Das Geheimnis um Anas Tod - Katrin Streich - E-Book

Das Geheimnis um Anas Tod E-Book

Katrin Streich

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Beschreibung

"Das Geheimnis um Anas Tod - Der erste Fall für Elsa Dreißig" ist ein spannender und zugleich auch ironisch-witziger Kriminalroman. Es geht um die Figur der Elsa Dreißig, eine ehemalige Polizeipsychologin, die ihren Job an den Nagel gehangen hat und sich nun anderen Themen zuwenden will. Unfreiwillig wird sie in einen Fall verstrickt, der zusehends ihr Interesse weckt. Sie taucht ein in die verschrobene Welt der Verschwörungsmythen und geistigen Brandstifter mit rechtem Gedankengut. Da die Seilschaften bis in die Politik und höchsten Beamtenstrukturen reichen, wird es für Elsa immer gefährlicher. "Das Geheimnis um Anas Tod" ist kein true crime, aber gespickt mit der geballten, 20-jährigen Berufserfahrung im Feld der Kriminalpsychologie. Streich selbst war viele Jahre Polizeipsychologin und weiß, wovon sie schreibt. Sie versteht es geschickt, die Charaktere miteinander zu verknüpfen und die psychologischen Hintergründe zu entfalten. Der Profiler-Hintergund der Autorin spiegelt sich in spannender Art und Weise in ihrem Buch wieder. Alle, die gerne Krimis lesen und die mehr Interesse an Psychologie als an blutigen Leichenszenen haben, sind hier richtig. Die Leserinnen und Leser werden mit unterhaltsamer Geschwindigkeit durch die Handlung geführt und am Ende hat man Lust, auch weiterhin an Elsas abenteuerlichem Leben teilzunehmen.

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Ähnliche


Katrin Streich

Das Geheimnis um Anas Tod

Der erste Fall für Elsa Dreißig

Kriminalroman

Mainspitz Verlag

Über dieses Buch:

Elsa Dreißig hat gerade als Psychologin bei der Polizei gekündigt, da taucht ein alter Klient auf. Er zwingt sie, den Tod seiner Schwester aufzuklären. Elsa ist schnell gefesselt von dem Fall und entdeckt einige Ungereimtheiten. Sie muss eintauchen in die verschrobene Welt der Verschwörungsmythen und geistigen Brandstifter mit rechtem Gedankengut. Da die Seilschaften bis in die Politik und höchsten Beamtenstrukturen reichen, wird es für Elsa immer gefährlicher.

Die Autorin:

Katrin Streich ist Kriminalpsychologin und hat früher selber viele Jahre als Einsatz­psychologin bei der Polizei gearbeitet. „Das Geheimnis um Anas Tod“ ist ihr Debüt als Romanschriftstellerin. Davor hat sie zahlreiche Fachartikel, Buchbeiträge und ein Sachbuch veröffentlicht. Streich lebt und arbeitet heute in Rheinhessen.

Impressum

Das Geheimnis um Anas Tod

von Katrin Streich

Copyright © 2022 Mainspitz Verlag

Covergestaltung: Elke Jutzi

Autorenfoto: Torsten Silz

Mainspitz Verlag

Frauke Nussbeutel

Ginsheimer Straße 1

65462 Ginsheim-Gustavsburg

www.mainspitz-verlag.de

ISBN: 978-3-9824041-7-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder realen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Für meinen Freund Peter, der immer an dieses Buch geglaubt hat und nun die Veröffentlichung nicht mehr miterleben kann. Du fehlst! Im Jahr 2022 liegen Freude und Trauer eng beieinander.

René

Sie würde nicht mehr wiederkommen. Er wusste es genau. Über einen Monat war sie nun schon verschwunden. Er vermisste sie. Nicht, dass sie hier Freunde geworden waren, aber es war jemand da, mit dem er sich ab und zu unterhalten konnte. Sie hatte ihm immer Mut gemacht. Wenn er zweifelte, ob das alles richtig war, was er tat, hatte sie ihn bestärkt. Immer wieder gesagt, dass er ein mutiger junger Mann sei – er musste dann stets lachen, weil sich das so merkwürdig in seinen Ohren anhörte.

Er vermisste seine Mutter und fragte sich, ob sie wohl nach ihm suchen oder zur Polizei gehen würde, wenn sie denn jetzt frei wäre. Über den Umgang der Polizei mit Vermisstenfällen hatte er mal etwas im Fernsehen gesehen, damals, als sie noch eine ganz normale Familie waren und in einem Haus lebten und er auch zur Schule ging. Wie lange war das jetzt her? Er hatte aufgehört, die Zeit zu verfolgen. Überhaupt hatte er aufgehört, über etwas bewusst nachzudenken. Die letzten Jahre waren geprägt von Ritualen, Strafarbeiten und einer immer vorhandenen Unruhe und Besorgnis.

Er schaute sich im Raum um. Alles war wie immer, nur sie fehlte. Als sie beide hier heruntergebracht wurden, hatte sie gesagt, wie sie heißt. Da sie nicht ganz bei sich war, konnte sie nur nuscheln, so wie er es immer getan hatte als er noch klein war. Er verstand Anna, also hieß sie für ihn so.

Viele Wachphasen lang sah er Anna dabei zu, wie sie mit einem Stuhl Muskeltraining machte. Sie war, wie er selbst, mit dem rechten Arm an einer Kette festgebunden. Diese war fest in der Wand verankert. Tagsüber saß sie auf einem Stuhl am Tisch und nachts lag sie auf einer Pritsche. Bei ihm war es genauso, nur spiegelverkehrt auf der anderen Seite des Raumes. Jeden Morgen und jeden Abend kam jemand, um sie umzuketten, wie er es nannte. Essen und Trinken gab es dann ebenfalls. Anna trainierte jeden Tag mit dem Stuhl. Sie stellte sich aufrecht, so gut es eben ging mit der Kette, und hob den Stuhl mit dem freien Arm hoch. Mal angewinkelt, mal gestreckt. Sie übte so lange, bis sie anfing zu schwitzen. Dann machte sie Pausen und begann später wieder von vorne. Er schaute ihr zu und zählte oft mit. Wenn er bei hundert war, sagte er das laut und sie wechselte die Armposition. Manchmal schenkte sie ihm ein Lächeln dafür.

Wenn Anna lächelte, dachte er an seine Mutter. Das machte ihn traurig. In solchen Augenblicken tröstete ihn Anna und sagte, dass seine Mama bestimmt zeitgleich an ihn denken würde und sie sich dadurch ganz nah seien. Nun war Anna weg und er wieder allein.

1

Ich ließ meinen Blick über den Teil meines Grundstückes schweifen, den ich von hier aus einsehen konnte. Über den gemähten Rasen, das Wildblumen- und Kräuterbeet, den reparierten Hundezaun. Ich saß mit einem Glas Sauvignon Blanc in der Hand auf der alten Holzbank auf der Terrasse. Ab und zu sah ich die Ohren und die Nase meines Mischlingshundes Sam, der auf Mäusejagd unter der Holzkonstruktion war.

„Wirklich Mama, es geht mir sehr gut. Ich genieße die freie Zeit und die Suche nach Ruhe!“

Meine Mutter war nicht in der Lage, Ironie zu verstehen. Deswegen entging ihr sicher meine Anspielung und mein etwas spitzer Unterton. Eigentlich sollte ich doch zufrieden und müde auf mein Tagewerk auf dem Grundstück schauen. Stattdessen konnte ich den Erfolgsdruck, endlich Ruhe zu finden, fast körperlich spüren. Doch diesmal gab es keine Ausrede, keine Ausflucht und kein Wegschieben. Kein zurück ins pralle Leben der Arbeit, Dauerbeschäftigung und des Adrenalins. Ich hatte mir eine Zwangspause verordnet. Nein, keinen Urlaub und kein Sabbatical, keine medizinisch-verordnete Herausnahme. Denn ich mache gewöhnlich Nägel mit Köpfen. Ich hatte kurzerhand gekündigt. Das Jahr 2022 sollte eine Zäsur in meinem Berufsleben bringen.

„Was hast du denn heute gemacht und was hast du gegessen?“, hörte ich die Stimme meiner Mutter durch die Leitung knarzen.

Ich stellte mir vor, wie sie in ihrem Haus auf dem Sessel im Wintergarten sitzt und beim Telefonieren ihre Bonsais begutachtet. Sie und ihr Lebensgefährte Karl haben sich der Bonsaizucht verschrieben.

„Och, so dies und das“, antwortete ich. „Ein bisschen Gartenarbeit, dann geruht, dann eine Suppe gegessen“. Ich hegte die Hoffnung, meine Mutter mit dieser Antwort zufrieden zu stellen. Um nicht ins Kreuzverhör genommen zu werden, fragte ich schnell: „Sehen wir uns am Sonntag bei Sebastian?“ Mein Bruder hatte Geburtstag und eingeladen zu einem Brunch. Wie jedes Jahr Ende September kam die Familie bei ihm zusammen. Nach einigen Detailabsprachen hinsichtlich des Geschenks – nichts war einfach so zu besprechen mit meiner Mutter – beendete ich das Gespräch.

Obwohl es Spätsommer war, wurde es abends schnell frisch. Ich rief Sam zu mir und nahm ihn mit ins Haus. Schwanzwedelnd rannte er um mich herum und legte seine Ohren nach hinten. Ein Trick, wie er glaubte. Die männlichen Hormone in ihm wollten mich bezirzen. Für ein Häppchen getrockneten Hirsch versuchte er alles in seiner Hundemacht stehende zu tun. Mit Erfolg! Er bekam, was er wollte, und schaute danach genauso verhungert wie vorher. „Nee, nee. Das funktioniert nur einmal, meine liebe Kaltnase!“ Lachend kraulte ich ihm seinen Nacken und er drückte seinen Körper gegen meine Beine. Ein Andocker-Hund. Seit ich ihn vor vier Jahren aus dem Tierheim geholt hatte, suchte er die Nähe zu mir. Er wird mir wahrscheinlich dankbar sein bis an sein Lebensende, dass ich ihn aus diesem Auffangbecken befreit hatte.

Ich verbannte Sam auf die Couch und mich ins Arbeitszimmer. Ich hatte zu tun. Nachdem ich vor vier Monaten gekündigt hatte, orientierte ich mich langsam neu in meinem Leben. Nichts zu tun war einfach nicht meine Sache. Auch wenn der eindringliche Rat des Arztes so lautete. Zwangspause hin, Ruhe finden her. Ich hatte 15 Jahre lang als Polizeipsychologin gearbeitet. Noch während meiner Polizeizeit absolvierte ich eine Ausbildung zur Heilpraktikerin. An den Wochenenden und in freien Nächten begab ich mich in die Welt der Heilkräuter, des Schröpfens und der Bachblüten. Inhaltlich hatte dies nicht das Geringste mit meiner Arbeit zu tun, aber es interessierte mich. Vor etwa zwei Monaten hatte ich angefangen, Menschen zu beraten, die Opfer einer Straftat geworden sind. Stalkingopfer, Menschen, die körperlich verletzt oder missbraucht wurden oder andere schwere Schicksale hinter sich hatten. Als ehemalige Polizeipsychologin bringe ich offenbar die Erfahrung mit, die die Opfer suchen und als Heilpraktikerin komplettiere ich meinen ganzheitlichen Beratungsansatz. Ich hatte mir ein Limit von zehn parallel aktiven Klienten gesetzt, da die Ruhe ja nicht zu kurz kommen sollte.

Lange überlegte ich mir, von wo aus ich arbeiten wollte. Nach meiner Scheidung vor fünf Jahren bin ich in eine kleine Gemeinde in der Pampa gezogen. Ich kaufte das Häuschen und war glücklich inmitten des Waldes, der Felder und der Weinberge. Es war zwar genug Platz, um Praxisräume einzurichten, aber ich hatte in meinem Job in den letzten Jahren einige Menschen getroffen, von denen ich nicht wollte, dass sie eines Tages bei mir vor der Haustür stehen. Sie kämen garantiert nicht auf einen Freundschaftsbesuch mit Blumen vorbei. Kurzum, ich hütete meine Privatadresse wie meinen Augapfel, da ging es natürlich nicht, dass ich meine Praxis dort einrichtete. Zwar bewerbe ich meine neue Tätigkeit nicht offen, sondern die Klienten finden nur über Empfehlungen zu mir, trotzdem ist eine gewisse Öffentlichkeit nicht zu vermeiden. Von den Menschen in den zum Teil sehr kom­plexen Biografien meiner Klienten ganz zu schweigen. Auch bei diesen würde ich nicht laut „Willkommen und trete ein“ rufen, stünden sie am Sonntagmorgen vor meiner Haustür. Ein sehr guter Freund von mir ist Psychiater in Bingen am Rhein. Bingen ist das nächst größere Städtchen in der Nähe meiner frei auserwählten Einöde. Wie der Zufall es so wollte, hatte er zwei Praxisräume in seinem großen Stadthaus frei. Diese mietete ich kurzerhand an und schon war die Frage nach dem Ort geklärt. Es war perfekt.

Ich saß also nun an meinem Schreibtisch und bereitete den Termin am nächsten Morgen um zehn Uhr vor. Eine Frau hatte sich von ihrem Mann getrennt. Der Verlassene fand die Idee gar nicht gut und hatte umgehend versucht, sie umzubringen. Nur durch einen glücklichen Umstand in Gestalt eines bekifften Nachbarn hatte sie die ganze Sache überlebt. Die Geschichte war gute drei Monate her und nun stand demnächst die Verhandlung an. Letzte Woche Montag schrieb sie mir eine E-Mail und wir vereinbarten den Termin. Sie schickte mir alle Unterlagen, die sie hatte: Anzeige, Berichte aus der Akte, medizinische Befunde und so weiter. Mein Ansatz ist, so viele Informationen wie möglich zu sammeln und erst danach den subjektiven Bericht zu hören. Oftmals geht es bei der Beratung von Opfern auch darum, eine mögliche, nach wie vor bestehende Gefahr einzuschätzen. Dafür sind Objektivität und die Bewertung belegbaren Verhaltens die wesentlichen Voraussetzungen. Ansonsten könnte man gleich den Trester vom Frühstückscappuccino nehmen und darin die Zukunft deuten.

Ich las, was mir zur Verfügung stand, googelte noch die Namen aller Beteiligten, ohne etwas Nennenswertes zu finden und checkte, welche Polizisten für diese Frau zuständig waren. Die Namen sagten mir nichts.

Die Geschichte, die die Frau erlebt hatte, könnte auch exemplarisch für die Geschichten sehr vieler anderer XX-Chromosom-Trägerinnen stehen. Same old Story. Ulrike lernte Phillip vor fünf Jahren kennen. Schnelles Verlieben, Verloben und Verheiraten. Ulrike arbeitete in einem Verlag, Phillip in der Autobranche. Er baute Autos am Fließband zusammen. Nach dem klassischen Dreiteiler zu Anfang, fing Phillip an, sich immer mehr zu verändern. Er trank, er stritt und war bald nicht mehr der sympathische Typ, den Ulrike ursprünglich geheiratet hatte. Er wollte, dass sie ihre Arbeit aufgab und nur noch für ihn sorgte. Ein ganz fortschrittliches Exemplar der modernen Welt also. Ulrike wollte nicht mehr mitspielen und stellte sich quer. Daraufhin wurde Phillip immer ungemütlicher und schlug auch schon mal zu, um seinen Willen durchzusetzen. Ulrike, eine Frau der Tat, packte ihre Siebensachen als Phillip auf Schicht war und wollte eben zur Haustür raus, als er auch schon vor ihr stand. Er drängte sie zurück ins Haus und schrie wie ein Verrückter auf sie ein. Dies wiederum war am Ende gut für die arme Frau. Denn der nette Nachbar von nebenan, Klaus, hatte sich gerade zu seinem Nachmittagsjoint niedergelassen und fühlte sich in seiner Ruhe und in seinem Freiraum gestört. Er suchte also den Ursprung der kapitalistisch-egoistischen Ruhestörung und traf auf Phillip, der gerade im Begriff war, seiner Frau Ulrike das Lebenslicht auszulöschen. Er saß hinter ihr auf dem Boden, hatte sie im Schwitzkasten und drückte ohne Gnade fest zu. Klaus hatte zum Glück noch nicht den ganzen Joint inhaliert und so warf er sich todesmutig auf den Würgenden. Dieser fiel zur Seite und schlug sich dabei den Kopf an der steinernen Deko-Katze ein. Das kurzzeitige Benommensein nutzten Klaus und Ulrike zur Flucht aus der Wohnung. End of Story. Ulrike kam mit einem Jochbeinbruch, einer Gehirnerschütterung und schweren Halsquetschungen in die Klinik, Phillip erst mal in U-Haft. Dort blieb er aber nicht sehr lange, sondern wurde bis zur Verhandlung auf freien Fuß gesetzt. „Gibt es nicht!“, sagen Sie? „Und ob!“, sage ich.

Mittlerweile war es zwei Uhr geworden. Da ich an massiven Schlafstörungen litt, verspürte ich keinerlei Müdigkeit. Nur der gesunde Menschenverstand ließ mich vom Schreibtisch aufstehen. Ich bereitete mir noch einen Lavendel-Verbene-Tee, damit es vielleicht doch noch klappen würde mit dem Schlafen. Während der Tee zog und seine Wirkung im Wasser entfaltete, rief ich Sam zu mir und ließ ihn noch einmal in den Garten. Er schaute mich verschlafen aus seinen braunen Augen an. Das Wort Schlafstörungen hatte er noch nie gehört.

Am nächsten Morgen stand ich wie immer gegen sechs Uhr auf. Ich warf die Kaffeemaschine an, ein italienisches Siebträgermodell, die den besten Kaffee auf diesem Planeten braute. Bevor ich mich mit Sam auf die lange Morgenrunde begab, schlürfte ich also meinen Café Crema, erfreute mich am guten Geschmack und an einem neuen Tag. Dieses entspannte Beginnen eines jeden neuen Tages und die Sache mit dem Erfreuen war Teil meines mir selbst auferlegten und ärztlich unterstützten Reha-Konzeptes. Um halb zehn machte ich mich dann auf den Weg in die Praxis. An einem Dienstagmorgen um diese Zeit war ich fast alleine unterwegs auf der Straße.

Ich fuhr einen Geländewagen der Marke mit dem dezenten Stern. Ein Geländewagen war in meiner Wohngegend durchaus sinnvoll, der Stern war eher eine Art genetisch bedingter Snobismus. Um Punkt zehn Uhr klingelte wie vereinbart mein Telefon. Ich habe keinen Namen an der Tür und auch keine Klingel. Menschen, die zu mir wollen, müssen mich vorher anrufen, damit ich sie reinlasse. Ich ging also nach unten und öffnete die Tür. Eine Frau Anfang 30 stand vor mir. Sie sah schwer mitgenommen aus. Dunkle Augenringe, blasse Gesichtsfarbe und stumpfe rotbraune Haare. Sie war mittelgroß und schlank. Ich schaute kurz die Gasse hoch und runter und ließ sie eintreten. Wir gingen schweigend die Stufen in den ersten Stock hinauf. Ich schloss meine Praxis auf und bat Ulrike Lehmann herein.

Der Termin dauerte fast den ganzen Vormittag. Mittlerweile war es kurz nach ein Uhr. Ulrike war mit meinem Vorschlag, sich zu melden, wenn sie mit mir weiterarbeiten möchte, einverstanden und hoffentlich mittlerweile wieder gut zu Hause angekommen. Sam musste dringend mal an die frische Luft bzw. auf den Rasen und mein Magen knurrte. Ich machte mich auf zu einem kurzen Spaziergang am Rhein und kehrte danach beim Italiener um die Ecke ein. Einen Insalata Mista und Penne Gamberetti später ging ich zurück in die Praxis. Im Hausflur traf ich meinen Freund, den Psychiater.

„Hey Elsa! Wie geht’s denn?“, fragte er lachend und gab mir ein Küsschen rechts und links auf die Wangen. Ich lächelte zurück. Wie immer war Alfons braun gebrannt. Entweder hatte er eine eingebaute Höhensonne als Deckenlampe in seiner Praxis oder er verbrachte jede freie Minute draußen. Wettertechnisch sind wir in unserer Gegend wirklich verwöhnt. Die Sonne scheint viele Stunden im Jahr, es ist angenehm warm und Regen zieht oft vorbei. Deswegen wächst der Wein hier auch so gut. Alfons ist passionierter Ruderer und eine imposante Erscheinung. Mindestens 190 cm lang und durch das Rudern sehr muskulös. Die grauen Haare standen zottelig in alle Richtungen und seine blauen Augen blitzten mich fröhlich an. Ich mag Alfons sehr gerne. Er ist durch und durch Optimist, charmant und zu hundert Prozent verlässlich. Wenn er nicht vor kurzem aus einer glücklichen Ehe heraus Silberhochzeit gefeiert hätte, dann würde ich gerne öfter mit ihm ausgehen. So bleibt es allerdings beim freundschaftlichen Flirten.

Ich umarmte ihn herzlich und gab ihm Küsschen zurück. „Mein lieber Alfons! Da arbeiten wir in einem Haus und sehen uns so gut wie nie! Bist du auch ab und zu mal hier oder nur auf dem Rhein unterwegs?“ Lachend sah ich in sein Gesicht und knuffte ihm in den Bizeps.

„Ich trainiere rund um die Uhr, nur um dir zu gefallen, liebe Elsa!“, parierte er schlagfertig. Wir alberten noch ein wenig herum und verabschiedeten uns, nicht ohne uns für den nächsten Abend auf einen Wein zu verabreden.

Der Nachmittag zog schnell vorüber. Ich hatte noch eine Klientin und musste eine Analyse fertigstellen. Gegen achtzehn Uhr packte ich alles zusammen, schnappte mir Sam und fuhr nach Hause. Ich stieg in meine Sportklamotten und Laufschuhe und machte mich auf den Weg zu einer ausgiebigen Laufrunde durch die Weinberge. Die wunderschöne rheinhessische Hügellandschaft zog mich immer wieder in ihren Bann. Mit Blick auf den Rheingau und den vorgelagerten Niederwald mit dem gut sichtbaren Denkmal auf der anderen Flussseite, trabte ich durch die noch grünen Weinberge. Bald schon würden die Blätter sich verfärben und die Landschaft in ein rot-buntes Meer verwandeln. Sam freute sich und sprang vor mir her. Nach einer Dreiviertelstunde kehrte ich verschwitzt und ausgepowert zurück und gönnte mir, nach einer Dusche, ein Glas von eben jenem Wein, durch dessen Reben ich gerade noch gejoggt war.

2

Stayin’ Alive, Stayin’ Alive, ha ha ha ha Stayin’ Aliiiive, Bum, bum, bum, bum – Robin, Barry und Maurice brüllten mir ins Ohr, während ich im Rhythmus versuchte den Brustkorb des Mannes, der vor mir leblos auf dem Boden lag, herunterzudrücken. Mir brach der Schweiß aus, entweder er trug eine Ritterrüstung oder die Leichenstarre hatte schon eingesetzt. Die Brust ließ sich nicht auch nur einen Zentimeter bewegen. Stayin’ Alive, Stayin’ Alive, ha ha ha ha – jetzt spuckte der Typ mich auch noch an, mein Gesicht war schon ganz angesabbert.

Ruckartig fuhr ich hoch und versuchte mich zu orientieren. Ich saß in meinem Bett, Sam schwanzwedelnd und mein Gesicht ableckend neben mir und die Gebrüder Gibb legten sich noch einmal richtig ins Zeug. Mein Handy tanzte dazu kreisend auf dem Nachttisch. Ich schielte auf die Uhr, konnte aber nichts erkennen, da ich normalerweise ohne Lesebrille schlafe.

Ich griff nach den Sängerknaben, wischte auf gut Glück über das Display und fragte in absoluter Wachheit „Hallo, wer ist da?“ Dies ist eine angeborene Begabung. Ich kann noch so tief und fest schlafen, wenn das Telefon klingelt, bin ich – spätestens wenn ich den Hörer in der Hand halte – hellwach und auf den Punkt konzentriert. Diese Eigenschaft kam mir während der Polizeiarbeit sehr zugute, denn damals klingelte das Telefon meistens nicht zwischen neun und fünf Uhr am Tage, sondern gerne um 2:30 Uhr morgens.

„Kriminaldirektor Weinreich, LKA! Entschuldigen Sie bitte die Störung! Spreche ich mit Frau Elsa Dreißig?“, jedes Wort gebellt. Der Name war ja schon mal vielversprechend.

„Wie spät ist es?“, bellte ich zurück.

„Drei Uhr zweiundzwanzig“, kam es zackig durch den Hörer. „Frau Dreißig?“

„Ja. Was wollen Sie?“, ich war zwar schnell wach, aber nicht schnell nett.

„Ich bin der PF der BAO Sitzkissen“.

„Aha“, es ging also eher nicht ums Falschparken oder zu schnelles Fahren. PF heißt Polizeiführer und BAO Besondere Aufbauorganisation. Der Hang zu Akronymen ist nirgendwo so verbreitet wie bei der Polizei. Wenn eine BAO gebildet wird, handelt es sich um eine außergewöhnliche Einsatzlage. Für den normalen Alltagswahnsinn gibt es die AAO, die Allgemeine Aufbauorganisation. PF hieß, er war der Chef dieses Einsatzes.

„Und, was wollen Sie da von mir? Ich arbeite nicht mehr bei der Polizei.“ Ich saß immer noch im Bett und war der festen Überzeugung, dieser Mann hatte sich vertan oder war nicht informiert über mein Ausscheiden. BAO Sitzkissen. Pfffff. Sehr originell.

„Das ist mir bekannt. Es geht um Savo Kostal, alias Boris Melnik!“, wieder gebellt. Der Mann machte nicht viele Worte.

Ich sprang aus dem Bett und das Adrenalin schoss mir durch die Adern. Mich bringt wenig aus der Ruhe. Bis meine Pulsfrequenz steigt, muss schon viel passieren. Aber einige Themen wirken wie wahre Beschleuniger auf mein vegetatives Nervensystem.

„Was ist mit ihm und was zum Teufel habe ich damit zu tun?“, hörte ich mich in einer leicht erhöhten Tonlage fragen.

Nun machte Kriminaldirektor Weinreich für seine Verhältnisse viele Worte. „Er ist geflohen. Aus der JVA. Vorher hat er seinen Zellennachbarn getötet. Auf der Flucht dann noch einen JVA Mitarbeiter. Und einen Autofahrer, der sich weigerte, sein Fahrzeug herzugeben.“ Lange Sätze waren offenbar einfach nicht sein Ding. Bevor ich ein weiteres Mal fragen konnte, was diese ungeheuerliche Geschichte mit mir zu tun hatte, fuhr er ungerührt und sachlich fort. „Wir denken, er ist hinter Ihnen her!“

Mir rutschte das Herz in die Hose. „Was? Wieso das denn?“, keifte ich nun rhetorisch auch nicht viel besser in den Hörer.

„Hören Sie mir zu“, knarzte es aus dem Telefon. Ja, was dachte der Mann denn, was ich tat? Nebenbei CSI gucken? „Kostals Schwester Ana ist tot. Vor drei Wochen ist das passiert. Seitdem dreht er auf. Er hat laut Aussage der JVA von nichts anderem mehr geredet. Und davon, dass er zu Ihnen muss. Er war geradezu besessen von dieser Idee.“

Ich atmete tief durch und setzte mich auf die Bettkante. Eigentlich konnte ich ganz entspannt sein. Ich habe eine Geheimadresse, bin in keinem Auskunftssystem zu finden und lebe in der Pampa. Er konnte mich also gar nicht finden. Außerdem kannte mich Kostal nur unter dem Namen Elsa Decker.

„Was ist passiert? Ich meine, wie konnte er aus der JVA fliehen?“, fragte ich den Kriminaldirektor. Da er Kostals Klarnamen nutzte – und vor allem kannte – und nicht nur seinen Alias Melnik, war klar, dass hier eine große Sache lief. Savo Kostal ist gebürtiger Slowake und er war ein hohes Tier in den mafiösen Strukturen einer mittelgroßen Stadt im Süden Deutschlands. Er war der Mann fürs Grobe und wurde 2012 auf frischer Tat ertappt, als er gerade versuchte, einen Drogenkurier ins Jenseits zu befördern. Der Kurier war ein verdeckter Ermittler der Polizei und konnte gerade noch rechtzeitig den Zugriff auslösen. Als man Kostal dann auf den Stuhl setzte, machte er einen vollkommen unerwarteten Vorschlag. Er war bereit, umfassend auszusagen und versprach, Detailinformationen bis in die höchsten Ebenen der kriminellen Strukturen zu liefern. Ihm selbst war zu diesem Zeitpunkt glasklar, dass seine Aussage ihn mindestens zehn Jahre hinter Gitter bringen würde, wahrscheinlich sogar länger. Seine Straftaten umfassten von Drogenhandel, schwerer Körperverletzung mit Todesfolge über sexuelle Nötigung, Vergewaltigung bis hin zu Betrug, Unterschlagung und Erpressung so ziemlich das gesamte Strafgesetzbuch. Savo versprach also nun Informationen, die ausreichen würden, die gesamte mafiöse Struktur auffliegen zu lassen. Im Gegenzug verlangte er Schutz für sich und seine Schwester Ana. Er wollte für sie beide eine neue Identität und für Ana die Möglichkeit, ein neues Leben zu beginnen. Ihm war damals schon klar, dass ein sicheres Leben ab sofort nicht mehr möglich sein würde. Der singende Vogel wird vom Baum geschossen. Und seine Liebsten neben ihm gleich mit.

So fanden 2012 viele Karrieren innerhalb der Polizei, der Justiz und der Politik ein jähes Ende. Kostal lieferte wie versprochen Namen, Details und Beweise, die einen ungeheuerlichen Sumpf aus Korruption, Drogengeschäften, Erpressung und Menschenhandel trockenlegten. Der Staatssekretär im Landesjustizministerium, ein Staatsanwalt und ein Kriminaldirektor bildeten den Kopf der kriminellen Truppe. Sie kannten sich alle aus dem Studium und bauten nach und nach ein wahrhaftes Imperium auf. Nach Kostals Aussage gab es zahlreiche Festnahmen und Verurteilungen. Bis zum Schluss blieben Zweifel, ob man wirklich alle Drahtzieher und Hintermänner aufgedeckt hatte. Savos Aussagen sicherten ihm und seiner Schwester im Gegenzug einen Platz im Zeugenschutzprogramm. Das war der Zeitpunkt, an dem ich die Kostal-­Geschwister kennengelernt habe.

KD Weinreich schilderte im schon bekannten Stakkatostil, wie dem Slowaken die Flucht aus der JVA gelang. „Gestern Abend, um 18:30 Uhr schlug Kostal in seiner Zelle Alarm. Die Schließer schauten nach. Kostal meinte, seinem Zellennachbarn würde es nicht gut gehen. Er habe geröchelt und liege nun reglos da. Man müsse dringend nach ihm schauen. Einer der beiden JVA-Beamten schloss die Zelle auf und ging hinein. Der andere wollte dem Sani Bescheid sagen. In dem Moment, in dem der eine in die Zelle trat, hatte er auch schon eine Schlinge um den Hals. Kostal stand hinter ihm und drohte, dass jede Bewegung seine letzte sei. Totmannschaltung. Eng umschlungen arbeiteten die beiden sich durch die Gänge bis zum Ausgang vor. An der letzten Tür verlor der Beamte die Nerven. Er schlug um sich, dachte wohl Kostal wolle ihn als Geisel mitnehmen. Die Schlinge zog sich sofort zu und durchtrennte seine Halsschlagader. Nichts mehr zu machen gewesen. Draußen riss Kostal die Tür eines PKW auf, der auf dem Seitenstreifen stand. Er forderte den Mann auf, das Fahrzeug zu verlassen. Der wollte aber nicht. Daraufhin zog Kostal ihn aus dem Wagen und verpasste ihm einen Handkantenschlag ins Genick. Er war sofort tot. Kostal setzte sich ins Fahrzeug und fuhr davon. Ringfahndung negativ. Das alles hat nicht länger als zehn Minuten gedauert. Seitdem fehlt jede Spur. Ach ja. Seinen Zellennachbarn hat Kostal mit einem Sitzkissen erstickt, während dieser auf seinem Bett lag und döste.“ Weinreich waren keinerlei Emotionen anzuhören.

Ich dachte über Weinreichs Worte nach. Kostal hatte damals eine neue Identität als Boris Melnik bekommen. Sein eigenes Strafverfahren brachte ihm zehn Jahre hinter Gittern ein. Das war im Jahr 2013. Er wäre also in gut einem Jahr als Melnik in ein neues Leben aus der JVA entlassen worden. Savo Kostal ist der berechnendste Mensch, dem ich jemals begegnet bin. Was hatte ihn jetzt also dazu gebracht, eine solche Tat zu begehen? Ich behielt meine Gedanken für mich und bedankte mich für die erhellenden Nachrichten.

„Wollen Sie Polizeischutz?“, fragte Weinreich.

„Nein danke! Aber wenn Sie neue Informationen haben, wäre ich dankbar, wenn Sie mich unterrichten würden.“ Ich beendete das Gespräch und ging in die Küche, um mir einen Tee zuzubereiten. An Schlaf war jetzt natürlich nicht mehr zu denken. Polizeischutz! Dann könnte ich gleich ein Plakat aufhängen mit meiner Adresse. Streifenwagen vor der Haustür und an der Praxis. So etwas spricht sich schnell rum auf dem Land. Viel zu auffällig. Außerdem war ich der Meinung, dass meine Abschottung auch von einem Savo Kostal nicht zu durchdringen ist. Da lag ich leider falsch.

In meinem Wohnzimmersessel sitzend schlürfte ich meinen Tee. Eigentlich war mir mehr nach einem Glas Weißwein, aber den verkniff ich mir. Savo war also geflohen und wollte zu mir. Damals war er sehr zufrieden mit seiner neuen Identität als Boris Melnik. Er hatte seine neue Biografie in zwei Tagen auswendig gelernt und verinnerlicht. Auch in der JVA ist der Aufbau einer neuen Vita ungemein wichtig. Dort sitzen genau die Leute, die ihm liebend gern den Garaus gemacht hätten. Natürlich wurde er fernab seiner alten kriminellen Wirkstätte untergebracht, aber die JVA-übergreifende Kommunikation funktioniert besser als das nachbarschaftliche Nachrichtennetz eines Mietshauses. Kostal integrierte sich gut in seiner neuen hochstrukturierten Umgebung. Sein ihm wichtigstes Anliegen war das Wohlergehen seiner Schwester Ana. Sie hatte mit den kriminellen Machenschaften ihres Bruders nichts zu tun, war aber natürlich immer mit im Blickpunkt. Er sorgte für sie, seit die beiden 1995 gemeinsam nach Deutschland gekommen waren, Ana war damals 15 Jahre alt, Savo 21. Die beiden sind in der Nähe von Bratislava noch zu Ostblockzeiten zur Welt gekommen. Sie lebten bei der Mutter, der Vater hatte sich kurz nach Anas Geburt in den Knast verabschiedet.

Als Mama Kostal Mitte der achtziger Jahre am Suff und dessen Folgen das Zeitliche segnete, waren die beiden auf sich alleine gestellt. Savo war zwischendurch für einige Zeit im damals noch tschechischen Jugendgefängnis. Sicherlich auch kein Vergnügen. Ana kam für diese Zeit ins Kinderheim. Sicherlich noch viel weniger Spaß. 1995 dann schlugen die beiden sich nach Deutschland durch und sind im Süden der Republik hängen geblieben. Da Ana noch minderjährig war, wäre eigentlich das Jugendamt zuständig gewesen. Nach den schlechten Erfahrungen, die sie in der Tschechoslowakei gemacht hatte, wehrte sie sich mit Händen und Füßen dagegen und flehte ihren Bruder an, sie nicht an die Behörden auszuliefern. Savo Kostal ist ein Mann, der sich selbst am Nächsten steht. Ich denke, seine Schwester ist der einzige Mensch, der ihm etwas bedeutet. Für sie hat er eine Art Verantwortung und Patenschaft übernommen. Er ging also mit Ana in den Untergrund und die kriminelle Entwicklung nahm ihren Lauf.

Ana machte Bekanntschaft mit Metamphetamin, besser bekannt als Crystal Meth. Eine psychotrope, das vegetative Nervensystem anregende Droge, die Ana geschnupft und geraucht hat. Durch noch gut funktionierende Verbindungen nach Osteuropa kam sie relativ leicht an die zerstörerischen Kristalle. Savo hatte immer halbherzig versucht, sie von der Droge abzubringen, aber er hing zu tief in seinen illegalen, sehr komplexen Machenschaften, als dass er sich wirklich mit vollem Einsatz darum hätte kümmern können. Crystal macht so schnell abhängig wie kaum eine andere Droge und hat eine unglaublich vernichtende Wirkung. Nach einer gewissen Zeit intensiven Konsums bekommt das Hirn so langsam die Struktur eines löchrigen Schweizer Käses, die Abhängigen haben Schwierigkeiten, sich Dinge länger als fünf Sekunden zu merken. Die Haut leidet, die Zähne fallen aus und der Phänotyp liegt gute 25 Jahre über dem realen Alter. Das Abhängigkeitspotential ist ungemein hoch. Als ich Ana 2012 kennenlernte, war ich erstaunt, wie gut sie sich für eine Langzeitkonsumentin gehalten hatte. Sie sah noch gut aus und auch Gespräche, die über den normalen Smalltalk hinausgingen, waren möglich. Das war auch gut so. Denn Smalltalk ist mir zuwider.

Savo fuhr also als Boris in den Knast ein und Ana ging als Ana Melnik erst in den Entzug, dann in die Therapie und danach zog sie in eine kleine Wohnung und versuchte sich ein neues Leben aufzubauen. Dies fiel ihr unglaublich schwer. Sie brauchte einen anderen Menschen an ihrer Seite, der ihr sagte, was sie tun und nicht tun sollte und der die grobe Richtung anzeigte. Sie hatte ihr Leben lang Savo als Orientierungspunkt gehabt und gab sehr gerne die Verantwortung für ihr Leben und Handeln in seine Hände. Plötzlich auf sich gestellt kam sie nur schwer zurecht. Als ich vor vier Monaten die Polizei verließ, war Ana zwar noch im Zeugenschutzprogramm, wurde aber nur noch lose betreut und alle paar Monate besucht. Ich hatte im Laufe der Zeit eine gute Beziehung zu ihr aufgebaut und sie durch diverse Tiefen gebracht. Das damalige Gerichtsverfahren gegen ihren Bruder hatte sie sehr mitgenommen, vor allem ihre richterlichen Vernehmungen. Gegen Savo hatte sie zwar die Aussage verweigern können, aber sie hatte auch von vielen anderen Zusammenhängen gewusst und kam nicht gänzlich um einen Auftritt vor Gericht herum. Nun war sie also tot. Was war passiert? Ein Unfall, Suizid, plötzlicher Herztod, ein Rückfall inklusive Überdosis oder etwas ganz anderes? Ich befragte intensiv mein Hirn, aber es gab mir keine konstruktive Antwort.

Wie auch? Es war mittlerweile fünf Uhr morgens und ohne zusätzliche Informationen konnten die grauen Zellen auch nichts Originelles hervorbringen. Es war an der Zeit, das World Wide Web zu befragen. Also klappte ich meinen Laptop auf und öffnete eine Suchmaschine. Als Stichworte gab ich Frau, tot, Wohnung, ihren Wohnort und das Datum 25.08.2022 ein. Wenn KD Weinreich immer so korrekt war wie er am Telefon gewirkt hatte, dann war seine Zeitangabe „Vor drei Wochen“ wahrscheinlich wörtlich zu nehmen. Die Maschine spuckte eine Menge Ergebnisse aus. Zu Frauen, zu Bestattungsinstituten, zu einem Potenzmittel, welches angeblich Tote wieder zu sexueller Aktivität überreden konnte und zu Herbstevents am Rhein. Das war also nicht sehr erfolgreich. Ich probierte noch das eine und andere aus, fand aber letztendlich nichts zum Tod der bedauernswerten Ana.

Gegen sechs Uhr gab ich auf und brühte mir einen doppelten Espresso. Sam hatte die ganze Zeit zusammengerollt auf dem Sofa gelegen und tief und fest geschlafen. Nachdem er mich nun in der Küche hantieren hörte, kam er neugierig um die Ecke. Er hoffte auf ein frühes Leckerchen und saß verhungert zu mir hochblickend zu meinen Füßen. Herzensbrecher! Ich griff in die Schale mit seinen Hundeleckereien und erntete einen dankbaren Blick. Auch wenn es vielleicht dämlich klingt, aber manchmal spreche ich mit Sam, so auch jetzt.

„Tja, Sam. Was soll ich dir sagen? Savo ist getürmt und Ana ist tot. Was soll ich denn davon halten?“ Ich sah ihn an, als erwartete ich eine Antwort. Nichts. Keine Reaktion. „Sollte ich mir Sorgen machen und mich mit dieser alten Geschichte herumplagen?“ Nun legte er die Ohren an und wedelte wild mit der Rute. Pragmatisch wie er war, hatte er wohl „Hasen jagen“ verstanden und wollte nun zur Tat schreiten. Also zog ich die „Hundeklamotten“ an. Ein Blick auf das Thermometer sagte mir, dass eine Fleecejacke angebracht war. Ich machte mich auf den Weg in die Weinberge und genoss die frische Luft und den Anblick der mittlerweile dick gewordenen Trauben an ihren Stöcken. Die frühen Rebsorten wie Bacchus und Solaris sind schon Ende August geerntet worden und konnten bereits als Federweißer genossen werden. Der heiße sonnenverwöhnte Sommer hat den Trauben gut getan. Es würde ein Spitzenjahrgang werden. Manche Winzer nannten 2022 in einem Atemzug mit den Weinwunderjahrgängen 1976 und 2003.

Ich konnte beim Laufen kein Ende finden und hatte das dringende Bedürfnis, mich bis zur Erschöpfung zu bewegen. Sam fand die Idee nicht schlecht und lief begeistert mit. Die Luft war sehr klar und frisch und ich lief kreuz und quer durch die Weinberge, bergauf und bergab und zog immer größere Kreise. Das Ganze konnte ich als gute Trainingseinheit für meine sportliche Leidenschaft verbuchen. Mit Sam zusammen starte ich bei Orientierungsläufen: „Human And Dog ­Orientation Games“, kurz HADOG. Im Wettkampf dauert ein solcher Run gute fünf bis sechs Stunden und führt durch Feld, Wiese und vor allem Wald. Jedes Starterpaar, also Hund und Hundeführer, bekommt zu Beginn die zu passierenden Koordinaten, verschiedene Aufgaben, die zu bewältigen sind und aus den gefundenen Örtlichkeiten und gelösten Aufgaben ergeben sich die Koordinaten für den Zielort. Der kann auch gerne mal auf einem scheinbar unpassierbaren Berg liegen oder in der Mitte eines Sees. Für den Hund werden spezielle Spuren gelegt, die er finden muss, zwischendurch gibt es Rätsel zu lösen und die Tour ist nur gemeinsam als Mensch-Hund-Gespann zu lösen. Es ist ein unglaublich spannender und herausfordernder Spaß, den man nur bestehen kann mit einer ausreichenden Kondition und einer hohen Bereitschaft, den tatsächlichen Schritt ins Ungewisse zu wagen. Manchmal sind auf diesen Trails Wege zu gehen, bei denen sich die Frage stellt, ob man eigentlich noch zurechnungsfähig ist. Dieser morgendliche Lauf war also nicht wirklich ein Run im Sinne des HADOG, aber sicherlich gut für die Kondition und die Muskulatur. Übrigens auch für Sam. Ein Leben im Wechsel von Leckerchen und Schlafen ist nicht im Sinne der Orientation ­Games. Aber Sam ist zum Glück topfit und neigt nicht zu Übergewicht oder Lethargie. Er findet nahezu jede Spur und freut sich über jedes gefundene Ziel.

Nach gut zwei Stunden war ich zurück von meinem Lauf, völlig ausgepowert, aber glücklich. Ich hatte mir Gedanken gemacht, wie ich mit der Geschichte von Savo und Ana umgehen sollte und beschloss, dass es mich nichts mehr angeht. Ich fühlte mich nicht verantwortlich, irgendetwas zu unternehmen und war überzeugt davon, dass der Anruf von KD Weinreich das Einzige bleiben sollte, was ich über diese Geschichte hören würde. Der restliche Tag verlief ereignislos. Ich hatte zwei Klienten, hörte nichts von Ulrike Lehmann und schrieb an einer Risikoanalyse eines massiv stalkenden Familienvaters. Er stellte seit nunmehr drei Monaten der Familienrichterin nach, die über das weitere Vorgehen im Sorgerechtsstreit hinsichtlich seiner Kinder entschieden hatte. Der Vater war der Meinung, in der Richterin seine neue Ehefrau gefunden zu haben und ließ sie seitdem nicht mehr in Ruhe.

Am Abend war ich mit Alfons verabredet und vorher wollte ich noch nach Hause fahren, um mich ein wenig frisch zu machen. Silberhochzeit hin, Silberhochzeit her. Mir war es wichtig gut auszusehen, wenn ich ihn auf ein Glas Sauvignon traf. Nach der Dusche zog ich etwas Nettes an und legte Make Up auf. Sam dachte wohl, ich machte mich für ihn schön. Er sprang freudig mit dem Schwanz wedelnd um mich herum und zwinkerte mich an. „Nee, nee, mach dir mal keine Hoffnungen. Du hütest heute Haus und Hof und ich amüsiere mich!“ Beleidigt zog er sich auf seine Decke zurück. Ich ließ ein kleines Licht für ihn an, schnappte die Autoschlüssel und verließ das Haus.

Auf dem Weg die Auffahrt hinunter zu meinem Auto bemerkte ich einen Schatten neben mir, der sonst nicht dort war. Ich drehte mich zur Seite und schaute in einen Pistolenlauf. Beschienen vom Außenlicht meines Hauses sah ich in ein Gesicht, das ein schwer gelebtes Leben widerspiegelte. Vernarbt und sehr markant. Es war nichts Gütiges darin zu erkennen, die Augen eine Mischung aus grau, blau und grün. Eiskalt und emotionslos. Eine markante Nase und ein schmaler, zynischer Mund. Sämtliche Muskeln meines Körpers wurden starr und meine Atmung legte erheblich an Geschwindigkeit zu. „Hallo Savo! Was willst du von mir?“. Direkt wie immer ging ich in die Begegnung. Mein Körper bewegte sich keinen Zentimeter.

„Elsa!“ Er nickte leicht mit dem Kopf. „Ich sage das jetzt genau einmal. Ana ist getötet worden und du wirst mir helfen, ihre Mörder zu finden. Ich werde das nicht mit dir diskutieren und wenn du nicht machst, was ich sage, bist du genauso tot wie sie. Hast du das verstanden?“ Savo schaute mich an und wartete auf eine Antwort.

Da konnte er lange warten. Auch wenn ich genau wusste, was in so einer Situation theoretisch richtig und falsch war, konnte ich nicht aus meiner Haut. Es gibt nichts, was mich schneller in die Reaktanz gehen lässt, als autoritäres Gehabe, Kommandos und Zwang.

„Wie hast du mich gefunden?“ Es interessierte mich wirklich, dachte ich doch, komplett abgeschottet und sicher zu leben. Er hatte meine Adresse herausbekommen und wohl auch meinen echten Namen.

„Wenn ich etwas will, dann bekomme ich es auch. Dies gilt auch für Informationen. Du kennst mich doch!“, beantwortete er nicht wirklich meine Frage.

„Hör zu Savo, ich arbeite nicht mehr bei der Polizei ...“

„Schluss jetzt, Elsa!“, er erhob die Stimme. „Du hilfst mir! Und wenn nicht, dann tust du gar nichts mehr auf dieser Erde!“ Er setzte sich in Bewegung in Richtung meines Autos und wedelte mit der Pistole in meine Richtung. Ich schloss daraus, dass ich das Gleiche wie er tun sollte. In Gedanken wägte ich meine Möglichkeiten ab. Der nächste Nachbar war gut drei Kilometer entfernt. Wenn ich die hohen Hacken auszog, konnte ich es in einer guten Zeit dorthin schaffen. Savo dagegen hatte bis gestern acht Jahre im Knast verbracht, mit seiner Fitness war es also hoffentlich nicht so weit her. Er sah zwar nicht schlaff aus, auch im Gefängnis kann man ja Fitness und Wellness betreiben, aber ich hielt mich für fitter. Der Entschluss war gefasst und ich setzte ihn sogleich in die Tat um. Möchte man seinen Gegner besiegen und hatte er die stärkeren Argumente, musste man die Überraschung für sich arbeiten lassen. Wenn ich einmal mit Kostal im Auto sitzen würde, gäbe es so schnell keine Gelegenheit zur Flucht mehr. Ich machte mir keine Illusionen. Kostal würde mich töten, wenn es ihm notwendig erschien. Die Vorstellung, mit diesem Mann unter diesen Voraussetzungen die nächsten Stunden oder gar Tage zu verbringen, gab mir den nötigen Mut und die Energie, in die Bewegung zu kommen.

Ich tat so, als würde ich Richtung Auto gehen, schlüpfte aus den Schuhen, schlug einen Haken nach links und lief los so schnell ich konnte. Gerne hätte ich Savo vorher noch eins über den Schädel gezogen, hatte aber außer der Handtasche nichts Wirksames zur Verfügung. Ich bildete mir etwas auf meine Antrittsgeschwindigkeit ein, doch Savo war davon leider unbeeindruckt. Keine zehn Meter schaffte ich. Dann war Savo auch schon da. Er packte mich von hinten, umschlang mich mit beiden Armen und zog mich rückwärts an sich. Sein Mund war direkt an meinem rechten Ohr. „Noch ein solcher Versuch, Elsa, und du hast es hinter dir!“, hörte ich ihn leise in mein Ohr zischen. Zur Bekräftigung seiner Worte fasste er mir an die Kehle und drückte leicht zu. Ich war zu geschockt und bekam außerdem nicht genug Luft, um ihm eine passende Antwort zu geben. Erst als er wieder locker lies, realisierte ich, was da gerade passiert war. Savo hatte mich nicht umgehauen und ist auch nicht ausgeflippt. Ein weiterer Beleg dafür, dass er ein Psychopath war. Keine Emotionen und durch und durch berechnend. Er brauchte mich! Das war der einzige Grund, warum ich noch lebte. Angesichts der Gesamtsituation zwar kein Grund in Jubel auszubrechen, aber doch ein Vorteil für mich. Erst wenn er hatte, was er wollte, würde es wirklich eng werden. Ohne Zweifel würde auch vorher jedes weitere Fluchtverhalten zu einem unschönen Ende führen. Auf der Nase rumtanzen ließ er sich mit Sicherheit nicht und wenn das Risiko für ihn zu groß werden würde oder ich ihm zu anstrengend, dann würde er handeln. Ich fasste den Entschluss, seine gefährliche Persönlichkeit für mich zu nutzen.

„Wenn du mich loslässt, können wir gerne darüber reden, wie es weitergehen soll. Vorher werde ich kein Wort sagen und mich auch nirgendwohin bewegen. Mit Gewalt und Druck geht bei mir gar nichts! Das ist der Deal, den ich dir anbieten kann!“, ich versuchte so ruhig wie möglich zu sprechen und mir meine Angst nicht anmerken zu lassen.

Wieder hörte ich ihn leise in mein Ohr zischen: „Ganz schön kühn, Elsa. Berechnend und kalt. Du bist genau wie ich!“

Sollte er doch denken was er wollte. Er lockerte seinen Griff und drehte mich zu ihm herum. Keine Sekunde ließ er mich aus den Augen. Die Farbe seiner Iris erinnerte an den Himmel über dem Meer kurz vor einem Gewitter. Eine Mischung aus bleiernen Farben, gefährlich und abweisend. „Ins Auto!“

Wir setzten uns in Bewegung und ich öffnete mit der Fernbedienung das Auto. „Du ans Steuer!“ Er öffnete die Fahrertür und versetzte mir einen kleinen Stoß. Seine Art mir zu zeigen, dass er hier das Sagen hatte.

„Schlüssel und Telefon!“, schnauzte er mich an und hielt die Hand auf. Ich gab ihm beides und setzte mich in den Wagen. Savo gab der Tür einen schwungvollen Tritt, so dass sie zufiel. Er selbst ging langsam vorne um das Auto herum, griff meine Schuhe und behielt mich im Auge. Unverwandt hielt ich den Blick nach vorne gerichtet und tat so, als wäre er gar nicht da. Ich war schon öfter in meinem Leben in unangenehme oder brenzlige Situationen geraten, aber diese hier war speziell. Ich hatte Angst! Nach außen strahlte ich die stoische Ruhe des Meeres bei Flaute aus, innerlich rasten meine Gedanken und lieferten sich einen Wettstreit mit den Gefühlen. Schon immer waren dynamische, druckvolle Situationen für mich die besten Voraussetzungen für klares, analytisches Denken. Nur hing ich diesmal persönlich mit drin. Das änderte natürlich einiges.

Savo öffnete die Beifahrertür, warf mir die Schuhe in den Schoß und ließ sich auf den Sitz fallen. Er schaute mich an, die Pistole locker in der Hand in meine Richtung zeigend. „Schuhe anziehen. Losfahren!“

Das konnte ich auch: „Schlüssel!“

Er verzog seinen Mund zu einem zynischen Grinsen. Das tat er wahrscheinlich öfter, denn sein Mund hatte durch die ständige Aktivierung der immer gleichen Muskeln schon den Ausdruck der zynischen Überheblichkeit als Grundstellung übernommen. Es war unglaublich, wie ein Mensch so unemotional sein konnte. Er hatte vor kurzem seine Schwester verloren, drei Menschen getötet, seine neu aufgebaute Existenz zerstört und die halbe Nation suchte nach ihm. Savo Kostal war im Moment sicherlich nach oben geschnellt auf der „best of most wanted“ Liste der Strafverfolgungsbehörden. Und nicht nur die suchten nach ihm. Da waren ja auch noch seine alten Weggefährten, die er damals verpfiffen hatte. Durch seine spektakuläre Flucht hatte er selbst dafür gesorgt, dass seine wahre Identität nun wieder ans Tageslicht gebracht wurde. Der Schutz, den er als besonderer Zeuge genossen hatte, war nun passé. Ich war mir sicher, dass in Kürze auch in meiner Straße die Polizei auftauchen würde, da Savo ja angekündigt hatte, nach mir zu suchen. Das musste auch ihm klar sein. Trotzdem war er die Ruhe in Person.

Auch Alfons würde langsam unruhig werden, waren wir doch vor gut einer halben Stunde verabredet gewesen. Ich hatte noch nie eine Verabredung platzen lassen und er kannte mich als absolut zuverlässig. Am ehesten würde er an einen Unfall denken oder an die sich in frühkindlicher Regression befindlichen Partner meiner Klientinnen. Wie auch immer, er würde versuchen, mich zu erreichen und sich dann wahrscheinlich auf den Weg zu mir machen. Ich könnte nun also versuchen, Zeit zu schinden und warten, bis ein potenzieller Helfer auftauchte. Dies würde aber auch bedeuten, das Leben dieses Menschen in erhebliche Gefahr zu bringen. Savo würde nicht zögern und ganz sicher Gebrauch von seiner Schusswaffe machen. Die Alternative war, mir aus den Umständen einen Vorteil zu verschaffen, sowohl im Hinblick auf die Beziehung zu Savo als auch – und dies war mir besonders wichtig – im Hinblick auf eine potenzielle Rettung aus der Situation.

Ich drehte mich leicht zu Savo und holte tief Luft. „Savo, ich möchte nicht mit dir diskutieren und dich auch nicht provozieren. Ich habe verstanden, um was es dir geht. Weil ich an meinem Leben hänge, werde ich versuchen, dir zu helfen. Nicht weil ich dich leiden kann.“ Selbstbewusstsein und Stärke waren im Moment die geeignetsten Mittel, um weiterzukommen. „Ich war heute Abend verabredet und wenn ich dort nicht erscheine ohne abzusagen, wird mein Bekannter sich auf den Weg machen, um nach mir zu suchen.“ Ich schaute ihm direkt in die Augen.

„So, so, dein Bekannter. Um wen handelt es sich denn?“, fragte Savo.

Ich hatte nicht die Absicht ihm zu sagen, wer da auf mich wartete. Je weniger Savo über mein Leben wusste, desto besser. „Ja, mehr ein Kollege. Wir arbeiten zusammen an einem Fall. Ich sollte ihn besser anrufen und sagen, dass mir etwas dazwischengekommen ist. Wenn nicht, wird er herkommen oder die Polizei verständigen.“ Ich versuchte so überzeugend wie möglich zu sein.

„Elsa, das glaubst du doch wohl selber nicht. Warum sollte ein Kollege die Bullen anrufen, nur weil du nicht zu einem Date kommst? Die würden sich ja schlapp lachen.“ Zynisches Grinsen.

„Er weiß, mit welchem Klientel ich zuweilen arbeite und da gehört es zum Berufsverständnis, sich um den anderen zu sorgen. Auch wenn dir so etwas fremd ist, so funktioniert die Zivilgesellschaft“, konterte ich bewusst angefressen. Ich wollte, dass er mir glaubt.

Savo schaute nach vorne aus dem Fenster. „Und warum erzählst du mir das? Sei doch froh, wenn jemand herkommt, um nach dir zu schauen. Das könnte deine Rettung sein.“ Sein Tonfall war voller Zweifel an meiner Geschichte.

Ich versuchte so geschäftsmäßig wie möglich zu klingen. „Ja, das stimmt. Ich wäre um jede Minute froh, die ich hier eher rauskommen könnte. Aber erstens möchte ich nicht weitere Menschen in Gefahr bringen und zweitens möchte ich auch wissen, was mit Ana passiert ist. Ich spiele mit offenen Karten.“ Der erste Grundstein meiner Taktik war, so hoffte ich, gelegt. Wenn ich überzeugend genug war, so würde Savo meine Information als eine Art Vertrauensvorschuss verbuchen. Eine gute Basis für die weitere Zusammenarbeit in dieser speziellen Situation und für mein Überleben. In diesem Moment meldeten sich die Gebrüder Gibb aus der Jackentasche. Er zog langsam mein Smartphone heraus und schaute aufs Display. Dr. Marx ruft an – dieses förmliche Abspeichern von Daten stammt noch aus der Zeit, als wir uns gerade kennenlernten und noch nicht beim vertrauensvollen Du waren. Ich nutzte diesen Umstand für die Untermauerung meiner Geschichte.

„Ja, wie ich schon sagte, das ist der Kollege, mit dem ich heute verabredet war. Dr. Marx.“ Ich stellte mir vor, wie Alfons im Schneiders am Tisch saß und sorgenvoll in der Gegend herumschaute mit dem Telefon am Ohr.

„Ich sollte dran gehen und ihm sagen, dass ich unsere Verabredung vor lauter Stress vollkommen vergessen habe“.

Niemals würde Alfons mir diese Geschichte abnehmen. Er würde sofort wissen, dass etwas nicht stimmen konnte. Sensibilität und Empathie waren die beiden Eigenschaften, die in meinem Gehirn die Synapsen gleichzeitig mit Alfons Namen feuern ließen. Es war klar, dass Savo die Verbindung auf Lautsprecher stellen würde. Das hieß, ich musste reden, bevor Alfons das Wort ergreifen konnte. Savo berührte den grünen Hörer auf dem Display, aktivierte das Lautsprechersymbol und hielt mir das Telefon vors Gesicht. In der Hoffnung auf noch nicht allzu viele Schlucke vom Sauvignon, ergriff ich schnell das Wort. „Dreißig hier. Guten Abend Dr. Marx. Es tut mir so furchtbar leid. Jetzt als ich Ihren Namen auf dem Telefon sah, fiel es mir wieder schlagartig ein. Mein Gott, wir waren ja verabredet, um über Helene Jakobi zu ­sprechen. Ich habe es schlicht und einfach vergessen. Der Stress, sie wissen ja selbst am besten, wie das ist!“ Erst jetzt traute ich mich eine Sprechpause einzulegen und hielt die Luft an. Es würde alles davon abhängen, ob Alfons diese etwas dramatisch wirkende Geschichte merkwürdig fand. Niemals spreche ich so mit Alfons. Im Übrigen auch mit niemand anderem. Helene Jakobi war vor einiger Zeit eine psycho­tische Patientin von Alfons, die sich auf einer Mission wähnte, die Menschheit von allen ­Männern mit grauen Haaren zu befreien. Sie war der Ansicht, in den farblosen Haaren befänden sich Mikro­organismen, die zur Ausrottung des Menschen führen würden. Nun hatte Alfons auch graue Haare. Als Helene Jakobi dies realisierte, zückte sie während einer Therapiesitzung ein Messer und versuchte ihm an den Kragen zu gehen. Alfons war stärker und schneller. Manchmal gewinnen auch die Guten. Es kam zu einem Gerangel. Am Ende bekam Helene einen festen Wohnsitz in der Psychiatrie und Alfons eine Schiene für die gebrochene Nase.

„Frau Dreißig“, kam es zögerlich durchs Telefon. Er hatte offenbar die außergewöhnliche Situation wahrgenommen, auch wenn er sicherlich noch nicht viel damit anfangen konnte. Egal, Hauptsache er spielte mit. Seine Stimme klang angespannt. „Ich finde das nicht Ordnung, habe ich mir doch extra Zeit für Sie genommen. So geht das nicht. Kommen Sie jetzt noch her oder gar nicht mehr? Wenn nicht, muss ich meine Zeit hier ja nicht weiter vertrödeln“, knurrte es schlagfertig aus dem Lautsprecher. Ich verdrehte innerlich die Augen und jubelte still in mich hinein.

„Nein, ich werde es jetzt nicht mehr schaffen. Wir müssen es wohl auf ein anderes Mal verschieben“, gab ich in einer etwas erhöhten Tonlage zurück.

„Und was ist mit Frau Jakobi?“, fragte er.

„Nun, meiner Einschätzung nach ist sie wirklich extrem ­gefährlich. Ich denke, sie hat sich auf Sie fixiert. Es besteht dringender Handlungsbedarf!“ Ich hoffte inständig einen für Alfons zu verstehenden Subtext formuliert zu haben.

„Umso enttäuschender, dass Sie heute unseren Termin verpasst haben. Ich schlage vor, dass wir morgen noch einmal telefonieren. Ich habe gerade meinen Terminkalender nicht bei mir“, tönte es durch das Innere meines Autos. Ich schaute zu Savo, ob er zu dem vorgeschlagenen Termin am nächsten Tag eine Meinung hatte. Er zuckte mit den Schultern. Also erwiderte ich, dass dies okay sei. Alfons ließ sich nicht nehmen, zum Abschluss noch einmal den beleidigten Kollegen zu geben. „Ich hoffe, Sie erinnern sich dann morgen an unseren Telefontermin und vergessen nicht wieder vor lauter Stress Ihr Telefon mitzunehmen!“ Damit beendete er das Gespräch. Ein Preis bei der nächsten großen Verleihung in Hollywood war ihm sicher.

„Mein Gott, was für ein überhebliches Arschloch!“, prustete Savo los. „Mit was für Kollegen musst du dich denn herumschlagen? Den hätte ich schon längst der verrückten Helene überlassen.“ Das sagte ja der Richtige. Auch wenn die Situation alles andere als komisch war, musste ich grinsen.

„Ja, er ist bisweilen etwas schwierig“, kommentierte ich seinen Vorschlag. Überglücklich, dass Savo die Story offensichtlich geschluckt hatte, machte sich ein Gefühl der Erleichterung in mir breit. Es gibt für alles eine Lösung. Es geht immer weiter, egal wie aussichtslos etwas scheint. Plane den nächsten kleinen Schritt, und dann den nächsten, und am Ende hast du einen schwierigen Weg step by step überwunden. Es gibt kein Problem, was nicht lösbar ist. Diese Sätze meines Vaters kamen wie ein Mantra in mein denkendes Hirn. Sie gaben mir Sicherheit und Zuversicht, denn ich glaubte fest daran. Auch wenn sie meinem Vater am Ende nicht geholfen haben, so haben sie ihm doch Zeit seines Lebens den Weg gewiesen und zu dem notwendigen Mut verholfen, auch Risiken einzugehen, die es manchmal braucht, um im Leben weiterzukommen. Er war Unternehmer und hat sein Geld mit nachhaltigem Vollwerttierfutter verdient. Anfang der siebziger Jahre haben ihm alle einen Vogel gezeigt, als er mit dieser Idee an den Markt ging. Erst an den kleinen lokalen Markt und mit der Zeit ist er dann in den großen Welthandel eingestiegen. Er wurde zum Global Player und fand es herrlich, allen Zweiflern den Wind aus den Segeln genommen zu haben. Allerdings hätte er sich niemals hingestellt und so was gesagt wie: „Seht her! Ich habe es doch immer gesagt!“, oder „Habe ich doch gleich gewusst ...“

Er erfreute sich an seinem Erfolg, übernahm Verantwortung für andere und gab sich leider dem Alkohol hin. Er trank nicht jeden Tag und zu jeder Stunde, aber eben doch immer häufiger und dann leider auch exzessiv. Seine Arbeit war wundersamer Weise davon unbeeinflusst, aber seine Freizeit eben nicht. Wenn mein Vater betrunken war, dann hielt ihn nichts. Er wurde dann unerträglich euphorisch, fast manisch. Das Fliegen war sein Hobby. Er hatte den Pilotenschein für einmotorige kleine Maschinen. Bis zum Schluss behielt er seine Lizenz, seine Alkoholsucht fiel bei den Überprüfungen nicht auf. Eines Tages hatte er geschäftlich in München zu tun und wie so oft flog er selbst zu seinem Termin. Er startete in Mainz-Finthen und steuerte Oberpfaffenhofen an. Die Vorhersage meldete für den späten Vormittag eine Schlechtwetterfront mit tief hängenden Wolken und schlechter Sicht. Für Piloten von einmotorigen Maschinen der Worst Case, da sie darauf angewiesen sind, etwas zu sehen. Mein Vater wäre nicht mein Vater gewesen, hätte er sich davon beeindrucken lassen. In grenzenloser Selbstüberschätzung dachte er wohl, schneller zu sein oder aus welchen Gründen auch immer auch ohne Sicht fliegen zu können. Auf Höhe des Katzenbuckels, ein verloschener Vulkan und der höchste Berg des Odenwaldes, verlor er die Orientierung und damit die Kontrolle über seine Cessna. Die rechtsmedizinische Untersuchung ergab einen Alkoholblutgehalt von 1,89 Promille. Leider dachte er in diesen Minuten nicht an sein Lebensmotto, jedes Problem lösen zu können. Stattdessen verdrängte er es und setzte damit seinem Leben ein Ende. Er hatte mir mit seinen Genen das bisweilen Manische und manchmal auch Depressive auf direktem Weg weitergegeben. Die Affinität zu gutem Wein auch.

„Fahr los!“ Savos Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich war innerlich hin- und hergerissen. Sollte ich versuchen, Sam aus dem Haus zu holen? Er würde total verstört sein, wenn er bis zum nächsten Morgen alleine bleiben würde. Donnerstagvormittags kam immer meine Putzfrau Karla. Spätestens um zehn Uhr würde sie Sam antreffen, der sich dann wahr­scheinlich überschlagen würde vor Freude. Vielleicht aber kam auch vorher schon im Laufe der Nacht meine Freundin Mila, um nach mir zu sehen. Alfons kannte Mila. Da ich Mila bedingungslos vertraue, hat sie einen Schlüssel für mein Haus. Ich ging davon aus, dass Alfons Mila informieren würde, dass etwas nicht stimmen konnte. Ich stellte mir die beiden vor, wie sie sich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an mein Haus anschlichen, um schließlich von Sam abgeschlabbert zu werden. Die Alternative war, Savo davon zu überzeugen, Sam mitzunehmen. Am Ende war es die Befürchtung, dass Savo nicht zögern würde, meinem Hund das Lebenslicht auszupusten, wenn er ihm auf die Nerven ging oder er einfach Lust verspürte, jemanden zu töten. Also sagte ich nichts und fuhr los.

Wir fuhren schweigend durch den Abend. Es dämmerte bereits, als wir auf der A60 Richtung Frankfurt unterwegs waren. Mir war klar, dass Savo irgendwann müde werden würde. Er war seit mindestens 36 Stunden auf den Beinen und ich wollte nicht, dass er vor lauter Übermüdung Fehler machte. Kurz vorm Frankfurter Kreuz sollte ich abfahren und wir fuhren in eine düstere Gegend. In einer kleinen Seitenstraße tauschten wir das Auto. Mein Wagen würde sicherlich bald zur ­Fahndung ausgeschrieben und Savo hatte irgendwann in der Zeit bis er zu mir kam für ein Ersatzfahrzeug gesorgt. Wir fuhren also mit einem alten blauen Skoda-Kombi weiter, ein Auto so unauffällig wie ein schwarzer Schirm bei Regen. Nachdem wir eine ganze Weile Richtung Süden unterwegs waren, fuhren wir kurz vor Karlsruhe von der Autobahn ab und dann eine ganze Zeit über eine Landstraße durch ein Waldgebiet. Auf einem versteckt liegenden Parkplatz sollte ich anhalten und das Auto so weit wie möglich in den Wald fahren. Dort blieben wir stehen. Ich ahnte, dass uns eine Nacht im Auto bevorstand und freute mich nicht gerade über diese Aussicht.

„So, Elsa, hier bleiben wir über Nacht. Ich muss dringend ein paar Stunden schlafen“, kam es matt von der Beifahrerseite. Savo kramte dabei in seiner Tasche und zog schließlich etwas daraus hervor. Ich versuchte zu erkennen, was er da in der Hand hatte und dann wurde mir bewusst, dass es sich um ein paar Handschellen handelte. Mein Atem wurde schlagartig flach und mein Puls raste. Schon der Gedanke an Fesseln führte bei mir zu einem dramatischen Anstieg von Magensäure in der Speiseröhre.

„Was hast du vor?“, – was für eine dämliche Frage.

„Schlafen. Das sagte ich ja. Und da ich nicht möchte, dass du abhaust oder mir eins über den Schädel gibst, werde ich dich festbinden. Dann kann nichts passieren und wir können morgen ausgeruht und frisch in den Tag starten.“ Wieder das zynische Lächeln. „Hände aufs Lenkrad, Position halbsechs!“ Ich schaute ihn verständnislos an.

„Die Hände. Unten ans Lenkrad. Stell dich nicht dumm!“

Alles in mir weigerte sich, mich von diesem Mann ans Steuer festbinden zu lassen. Meine Arme bewegten sich keinen Zentimeter. Savo drehte sich ruckartig zu mir, seine rechte Hand schnellte nach oben und umfasste meine untere Gesichtshälfte. Ich spürte jeden seiner Finger auf meinem Kiefer. Sie bohrten sich in mein Gesicht und seine Nase war nur wenige Zentimeter von meiner entfernt.

„Hände – auf – das – Lenkrad! Sofort!“, zischte er leise, jedes einzelne Wort betonend.

„Lass los, Savo“, gab ich so beherrscht ich konnte zurück. Er lockerte seinen Griff und ich legte resigniert die Hände ans Steuer. Nachdem er mich festgemacht hatte, stieg er aus und ging in den Wald. Ich versuchte die Kontrolle über meine Atmung zurückzugewinnen und eine Panik zu vermeiden. Gedanken an Sam, Alfons und andere liebe Menschen, die sich möglicherweise gerade furchtbar Sorgen um mich machten, schob ich mit aller Macht zurück. Die Fesselung war rein pragmatisch. Savo wollte mir nichts tun, sondern einfach nur in Ruhe schlafen. Er kehrte zurück, verschloss das Auto, steckte den Schlüssel in seine rechte Hosentasche und kurbelte seinen Sitz nach hinten. „Versuch zu schlafen, morgen wird es sicherlich sehr anstrengend. Und du wirst dein Bestes geben müssen“, sprachs und schloss die Augen. Ungläubig schaute ich zu ihm hinüber. Er muss meinen Blick wohl gespürt haben, denn nun öffnete er wieder die Augen und richtete sich auf. Ich zucke zurück in Erwartung der nächsten Attacke. „Was ist los?“ Was willst du denn noch?“, brummte er.

„Was los ist? Du fragst mich verdammt noch mal was los ist?“, erwiderte ich schrill. „Du hast mich entführt, mich ans Lenkrad gefesselt und nun brauchst du deinen Schönheitsschlaf?“ Ich konnte es nicht fassen und die Hysterie war nur zum Teil gespielt. Savo sollte denken, dass ich kein gutes Nervenkostüm hatte, dann würde er es vielleicht nicht übertreiben mit seinen Angriffen gegen mich, denn er wollte ja noch etwas Wichtiges von mir.

„Gib mir Informationen, Savo. Was ist mit Ana passiert und wie soll ich dir auf deinem Weg helfen?“, fragte ich nun wieder etwas ruhiger.

Savo atmete resigniert aus und legte sich zurück in seinen Sitz. Ich dachte schon, er würde wieder schlafen wollen, als er anfing zu sprechen. „Als ich damals 2012 in den Bau ging, hatte Ana es schwer. Es war niemand mehr da, der sich um sie kümmerte. Die kleine Ana brauchte aber immer jemanden an ihrer Seite. Jemand, der ihr sagt, was richtig und was falsch ist. Ich war ihr Leben lang da für sie. Mehr oder weniger. Sie versuchte also, ihr Leben alleine auf die Reihe zu bekommen. Du weißt ja, sie war viele Jahre auf Ice, diesem Scheißzeug. Es hatte sie verändert und ich glaube, sie ist nie wirklich davon weggekommen. Ab und zu haben wir uns im Rahmen der Verwandtenbesuche gesehen.“ Das alles kannte ich schon. Ich wartete ungeduldig auf den neuen Teil der Geschichte, sagte aber nichts.