Das Glück des Wolfes - Paolo Cognetti - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Glück des Wolfes E-Book

Paolo Cognetti

0,0
10,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 18,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vom Suchen der Stille und dem Finden der Liebe

Fausto und Silvia begegnen sich das erste Mal im Bergdorf Fontana Fredda. Gemeinsam erleben sie, wie der Winter sich über den kleinen Ort und seine Anwohner legt. Während Fausto die Stille fernab der Stadt genießt, ist Silvias Blick immer auf den höchsten Gipfel, den nächsten Gletscher gerichtet. Trotzdem sind sie einander nah und glücklich wie nie zuvor. Bis Fausto eines Tages beschließt, die Berge und damit auch Silvia hinter sich zu lassen. Doch zurück in der Stadt kreisen Faustos Gedanken noch immer um Silvia; um das Leben, das er sich so dringlich wünscht …

»Es ist die Stärke von Paolo Cognetti, dass er nichts romantisiert und dennoch eine romantische Liebesgeschichte schreibt.« Münchner Abendzeitung

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 182

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Paolo Cognetti, 1978 in Mailand geboren, verbringt seine Zeit am liebsten im Hochgebirge, und seine Erlebnisse in der kargen Bergwelt inspirieren den Mathematiker und Filmemacher zum Schreiben. Für seinen internationalen Bestseller »Acht Berge« , der ins Aostatal führt, erhielt er u. a. den renommiertesten italienischen Literaturpreis, den Premio Strega. »Das Glück des Wolfes« ist sein neuester Roman, der erneut in über 20 Ländern erscheint.

Außerdem von Paolo Cognetti lieferbar:

Acht Berge

Mein Jahr in den Bergen. Vom Abenteuer des einfachen Lebens

Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen

Sofia trägt immer Schwarz

Besuchen Sie uns auf www.penguin-verlag.de und Facebook.

PAOLOCOGNETTI

Das Glück des Wolfes

ROMAN

Aus dem Italienischen von Christiane Burkhardt

Die italienische Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel Lafelicità del lupo bei Giulio Einaudi editore, Turin.Questo libro è stato tradotto grazie ad un contributo alla traduzione assegnato dal Ministero degli Affari Esteri e della Cooperazione Internazionale italiano.Dieses Buch wurde übersetzt dank einer Übersetzungsförderung des italienischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten und internationale Kooperation.Zitat auf Seite 5 nach Lopez, Barry: Arktische Träume. Fischer Verlag.Frankfurt (Main) 2007, S. 14.Zitat auf Seite 188 nach Blixen, Tanja: Jenseits von Afrika. Manesse Verlag. München 2017.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Copyright © 2021 by Paolo CognettiThis edition published in agreement with the author through MalaTesta Lit. Ag., MilanoCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe by Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, MünchenISBN978-3-641-28179-3V002www.penguin-verlag.de

Während ich herumreiste, wurde mir klar, dass die Wünsche und Hoffnungen der Menschen ebenso zu dem Land gehören wie der Wind, die in der Einsamkeit lebenden Tiere und die lichten Flächen aus Fels und Tundra. Und auch, dass das Land selbst unabhängig davon existierte.

Barry Lopez, Arktische Träume

Inhalt

1 Ein kleines Restaurant

2 Die Liebenden

3 Der Bulle

4 Die Lawinen

5 Eine stürmische Nacht

6 Der entwurzelte Wald

7 Babette und die Flugzeuge

8 Die Haare

9 Eine Raupe und zwei Hähne

10 Die Tankstelle

11 Eine leere Wohnung

12 In einem anderen Land

13 Ein Krankenhaus im Tal

14 Der Gesetzlose

15 Die Tochter des Gebirglers

16 Traumpfade

17 Eine Postkarte

18 Altes Holz

19 Ein Außenposten der Menschheit

20 Die Holzfäller

21 Die Bergfeuer

22 Die Nachteule

23 Ein Morast

24 Luft und Liebe

25 Ein Rettungseinsatz

26 Ein Brief von Babette

27 Die versunkene Stadt

28 Ein Vollrausch

29 Ein Steinhaufen

30 Die Biwakschachtel

31 Die Lawinenschutzzäune

32 Die Apfelernte

33 Der Kartoffelacker

34 Die Rückkehr einer Flamme

35 Die Holzversteigerung

36 Die Lärchen

Träume von Fontana Fredda

1Ein kleines Restaurant

Fausto war vierzig und auf der Suche nach einem Neuanfang, als er Zuflucht in Fontana Fredda fand. Er kannte diese Berge von klein auf, und seine Schwermut, wenn er weit weg davon lebte, war mit ein Grund oder vielleicht sogar der eigentliche Grund für die Probleme mit der Frau, die er beinahe geheiratet hätte. Nach der Trennung hatte er sich dort oben eine Unterkunft gesucht und den September, Oktober und November damit verbracht, die Wanderwege abzulaufen, im Wald Holz zu sammeln und am Ofen zu Abend zu essen, vom Salz der Freiheit kostend und an der Bitterkeit der Einsamkeit knabbernd. Außerdem schrieb er oder versuchte es zumindest: Den Herbst über sah er, wie das Vieh von den Almen getrieben wurde, wie die Lärchennadeln gelb wurden und zu Boden fielen, bis ihm – sosehr er seine Bedürfnisse auch auf ein Minimum reduzierte – beim ersten Schnee die Ersparnisse ausgingen. Der Winter präsentierte ihm die Quittung für ein schwieriges Jahr. Er hätte zwar jemanden in Mailand um einen Job bitten können, doch dann hätte er ins Tal hinabsteigen, sich ans Telefon klemmen und mit seiner Ex klären müssen, was in der Schwebe geblieben war. Eines Abends, kurz bevor er sich beinahe damit abgefunden hatte, geschah es, dass er sich bei einem Glas Wein alles von der Seele redete, am einzigen sozialen Treffpunkt von Fontana Fredda. Babette hinter ihrem Tresen verstand ihn nur zu gut.

Auch sie war aus der Stadt hergezogen, besaß immer noch den entsprechenden Akzent und eine gewisse Eleganz – doch wann das gewesen war und unter welchen Umständen? Er hatte keine Ahnung. Irgendwann hatte sie ein Lokal übernommen, an einem Ort, der außerhalb der Saison keine andere Kundschaft als Maurer und Viehbauern zu bieten hatte, und es Babettes Gastmahl getauft. Seither nannten sie alle nur noch Babette, und niemand wusste mehr, wie sie vorher geheißen hatte. Fausto hatte sich mit ihr angefreundet, weil er Tania Blixen gelesen hatte und die Anspielung verstand: Die Babette aus der Erzählung war eine Revolutionärin, die nach dem Scheitern der Pariser Kommune als Köchin in einem winzigen norwegischen Dorf voller Hinterwäldler gelandet war. Die hiesige Babette servierte zwar keine Schildkrötensuppe, war aber Anlaufstelle für verlorene Seelen und half, pragmatische Lösungen für existenzielle Probleme zu finden. Nachdem sie sich seine angehört hatte, fragte sie nur: »Kannst du kochen?«

Deshalb war er an Weihnachten immer noch da und hantierte mit Bottichen und Pfannen im Küchendunst. Es gab auch eine Skipiste in Fontana Fredda. Jeden Sommer hieß es, sie werde geschlossen, doch jeden Winter nahm man sie doch wieder irgendwie in Betrieb. Mit einem Hinweisschild unten an der Abzweigung und mit ein wenig Kunstschnee, der auf die Weiden geschossen wurde, zog sie skibegeisterte Familien an und verwandelte die Bergbewohner für drei Monate in Sesselliftbetreiber, Beschneiungsverantwortliche, Schneeraupenfahrer und Bergretter – eine kollektive Kostümierung, an der jetzt auch er mitwirkte. Die andere Köchin war eine erfahrene Kraft. In wenigen Tagen brachte sie ihm bei, wie man kiloweise Wurst ausbrät, den Garprozess der Nudeln mit kaltem Wasser unterbricht, das Öl in der Fritteuse verlängert und auch, dass es Zeitverschwendung ist, stundenlang in der Polenta herumzurühren, weil sie ganz von selbst fertig wird, wenn man sie auf niedriger Flamme vor sich hin köcheln lässt.

Fausto war gern in der Küche, aber mit der Zeit erregte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. Er hatte eine Durchreiche, durch die er die Teller in den Saal schob, und beobachtete, wie Silvia, die neue Kellnerin, Bestellungen entgegennahm und an den Tischen bediente. Keine Ahnung, wo Babette die aufgetrieben hatte. Sie war keine Frau, die man hier zwischen Gebirglern erwarten würde, so jung und fröhlich, eher der Typ Weltenbummlerin. Wenn man ihr dabei zusah, wie sie Polenta und Würste servierte, schien auch sie ein Zeichen der Zeit zu sein, wie eine außersaisonale Blüte oder wie der Wolf, der angeblich in die Wälder zurückgekehrt war. Zwischen Weihnachten und Heilige Drei Könige arbeiteten sie ohne jede Pause zwölf Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, und machten sich dabei den Hof – sie, indem sie ihre Bestellbons an die Korkwand pinnte, und er, indem er nach ihr läutete, wenn die Teller rausgehen konnten. Sie neckten sich: »Zweimal Nudeln ohne Soße nach Art des Chefs«, sagte sie und darauf er: »Nudeln ohne Soße stehen nicht auf der Karte.« Die Teller und Skigäste kamen und gingen in einem solchen Tempo, dass Fausto die Dunkelheit draußen erst beim Töpfeauskratzen bemerkte. Dann hielt er kurz inne und musste wieder an die Berge denken, fragte sich, ob es dort oben gestürmt oder geschneit hatte, wie das Licht auf den großen sonnenbeschienenen Hochebenen jenseits der Waldgrenze wohl gewesen war und ob die Seen jetzt Eisplatten oder eher weichen, verschneiten Senken glichen. Auf 1800 Metern Höhe herrschte ein seltsamer Winterbeginn, es regnete und schneite, und schon am nächsten Morgen verflüssigte der Regen den Sulzschnee der Nacht wieder.

Eines Abends, als die Feiertage vorbei waren, die Böden feucht glänzten und das Geschirr getrocknet und gestapelt war, nahm Fausto die Kochschürze ab und ging auf ein Glas nach nebenan. Um diese Uhrzeit kam das Lokal zur Ruhe und lief mehr oder weniger von selbst. Babette legte Musik auf und ließ eine Flasche Grappa auf dem Tresen stehen, denn jetzt schauten auf der Suche nach etwas Gesellschaft die Schneeraupenfahrer vorbei, zwischen ihren Runden auf der Piste, bei denen sie die von den Skifahrern verursachten Löcher und Buckel einebneten, den nach unten geschobenen Schnee wieder hochbrachten und ihn dort, wo er gefroren war, zerfrästen, damit er wieder körnig wurde, ein ständiges Bergauf und Bergab in ihren Kettenfahrzeugen, endlose, dunkle Stunden lang. Silvia bewohnte ein Zimmer über der Küche: Gegen elf sah Fausto vom Tresen aus, wie sie mit einem Handtuch um den Kopf wieder herunterkam und sich einen Stuhl neben den Ofen zog, um dort einen ihrer dicken Wälzer zu lesen. Unwillkürlich drängte sich ihm der Gedanke auf, dass sie soeben aus der Dusche getreten war.

Währenddessen hörte er dem Schneeraupenfahrer zu, der von allen nur Santorso genannt wurde – wie der Heilige und die Schnapsbrennerei. Santorso erzählte ihm von der Birkhuhnjagd und vom Schnee. Von Schnee, der dieses Jahr auf sich warten ließ, von kostbarem Schnee, weil er die Höhlen der Vögel vor dem Eis schützte, von den Problemen, die ein schneeloser Winter für Rebhühner und Fasane darstellte. Fausto lernte gern dazu, trotzdem hätte er seine Kellnerin unter keinen Umständen aus dem Blick verloren. Irgendwann nahm Silvia das Handtuch vom Kopf, begann sich die Haare mit den Fingern zu kämmen und breitete sie vor dem Ofen aus. Sie waren so schwarz, lang und glatt wie die einer Asiatin, und die Art, wie sie sie kämmte, hatte etwas sehr Intimes. Bis sie sich beobachtet fühlte, von ihrem Buch aufschaute und ihm, die Finger noch in den Haaren, zulächelte. Fausto brannte der Grappa in der Kehle, als wäre er ein Teenager, der den ersten Schluck probiert. Kurz darauf nahmen die Raupenfahrer ihre Arbeit wieder auf, und Babette verabschiedete sich, erinnerte sie daran, dass einer von ihnen frühmorgens die Brioches aufbacken musste, nahm den Müll mit raus und ging nach Hause. Bereitwillig überließ sie ihnen die Schlüssel, die Liköre, die Musik und freute sich, dass ihr Restaurant auch Freundschaften stiftete, wenn sie nicht dabei war: eine kleine Pariser Kommune zwischen norwegischen Gletschern.

2Die Liebenden

An diesem Abend war sie diejenige, die ihn mit nach oben nahm. Wäre es nach ihm gegangen, hätte das Tauwetter schon früher eingesetzt. In Silvias kleinem Zimmer kam die einzige Wärme von der darunter liegenden Küche, sodass das Ausziehritual ein wenig hektisch vonstattenging. Doch für Fausto hatte es etwas unglaublich Rührendes, nackt neben eine ebenso nackte wie zitternde junge Frau unter die Decke zu schlüpfen. Zehn Jahre hatte er mit ein und derselben Partnerin verbracht und ein halbes Jahr in der langweiligen Gesellschaft seiner selbst. Ihm war, als hätte er endlich wieder Besuch, als er diesen Körper neben sich im Bett erkundete: die untere Hälfte stark und robust, mit kräftigen Schenkeln und glatter, straffer Haut, die obere Hälfte knochig, mit kleinen Brüsten, und ansonsten überwiegend Rippen, Schlüsselbeine, Ellbogen, gefolgt von Wangenknochen und Zähnen, mit denen er kollidierte, als Silvia beim Sex etwas stürmischer wurde. Sie hatte die Geduld verloren, die man braucht, um die Vorlieben des anderen zu erkunden und ihm die eigenen nahezubringen. Zum Ausgleich hatte er die Hände voller Brandwunden, Schnittwunden, Putzmittelverätzungen und Schürfwunden von der verdammten Aufschnittmaschine, sodass ihr Ungestüm einen gewissen Widerhall in seinen rauen Liebkosungen fand.

»Du riechst so gut«, sagte er. »Nach Ofen.«

»Und du nach Grappa.«

»Stört dich das?«

»Nein, im Gegenteil, ich mag das. Grappa und Harz. Woher kommt dieser Geruch?«

»Von den Kiefernzapfen, die wir in den Grappa tun.«

»Ihr tut Kiefernzapfen in den Grappa?«

»Ja, von der Zirbelkiefer.«

»Und wann sammelt man die?«

»Ende Juli.«

»Dann schmeckst du nach Juli.«

Fausto gefiel diese Vorstellung, denn das war sein Lieblingsmonat: dichte, schattige Wälder, Heuduft von den Feldern, plätschernde Wildbäche und weit oben der letzte Schnee, jenseits der Geröllfelder. Er gab ihr einen Julikuss auf dieses entzückende hervorstehende Schlüsselbein.

»Und ich mag deine Knochen«, sagte er.

»Das freut mich. Seit siebenundzwanzig Jahren schleppe ich die nun schon mit mir herum.«

»Siebenundzwanzig? Die sind ganz schön rumgekommen.«

»Ein wenig schon, ja.«

»Erzähl! Lass hören, wo deine Knochen waren, mit neunzehn zum Beispiel.«

»Mit neunzehn war ich in Bologna und habe Kunst studiert.«

»Bist du Künstlerin?«

»Nein. Wenigstens das habe ich begriffen – dass ich keine Künstlerin bin, meine ich. Im Partymachen war ich besser.«

»In Bologna, das kann ich mir vorstellen. Hast du Hunger?«

»Ein bisschen.«

»Soll ich uns was holen?«

»Ja, aber nur, wenn du dich beeilst. Mir ist jetzt schon kalt.«

»Ich beeil mich.«

Er ging hinunter in die Küche, wühlte in den Kühlschränken, kam an dem kleinen rückwärtigen Fenster vorbei und sah, wie die Schneekanonen die Piste beschossen. Jede Kanone war mit einem Scheinwerfer ausgestattet, sodass der gesamte Hang über Fontana Fredda von diesem Feuerwerk erleuchtet war – Fontänen aus vernebeltem Wasser, das in Kontakt mit der Luft gefror. Er dachte an Santorso, der im Dunkel der Nacht Kunstschneehaufen einebnete. Mit Brot, Käse und Olivenpaste kehrte er ins Zimmer zurück und schlüpfte unter die Decke. Sofort schmiegte Silvia sich an ihn, sie hatte eiskalte Füße.

»Versuchen wir’s noch mal«, sagte er. »Silvia mit zweiundzwanzig.«

»Mit zweiundzwanzig hab ich in einer Buchhandlung gearbeitet.«

»In Bologna?«

»Nein, in Trient. Eine Freundin lebt dort, Lilli. Nach Bologna ist sie wieder nach Hause zurückgekehrt, um sich selbstständig zu machen, und ich habe Bücher schon immer gemocht. Mit der Uni hatte ich inzwischen abgeschlossen. Als sie mich einlud zu kommen, musste ich nicht lange überlegen.«

»Und so bist du Buchhändlerin geworden.«

»Ja, für eine Weile. Es war eine schöne Zeit. Und dort hab ich auch die Berge entdeckt. Die Brenta.«

»Ach ja?«

Fausto schnitt eine Scheibe Brot ab, bestrich sie mit Olivenpaste und legte ein Stück Käse darauf. Er fragte sich, wie das wohl war, die Berge zu entdecken. Er führte das Häppchen an ihre Lippen, hielt aber mitten in der Bewegung inne.

»Dann verrate mir bitte, was du hier am Fuß des Monte Rosa zu suchen hast.«

»Ich suche nach einer Hütte.«

»Du auch?«

»Ich würde gern auf einer Gletscherhütte arbeiten. Den Sommer über. Kennst du welche?«

»Ein paar schon, ja.«

»Kann ich jetzt diesen Käse haben?«

Fausto hielt ihr das Brot hin.

Silvia machte den Mund auf und biss hinein. Er saugte den Duft ihres Haars auf.

»Eine Gletscherhütte«, sagte sie. »Meinst du, ich finde eine?«

»Warum nicht? Einen Versuch ist es wert.«

»Würdest du bitte aufhören, an mir herumzuschnüffeln?«

»Du schmeckst nach Januar.«

Silvia lachte. »Und wonach schmeckt der Januar?«

Ja, wonach schmeckte der Januar? Nach Ofenrauch. Nach verdorrten und gefrorenen Wiesen, die auf den Schnee warten. Nach dem nackten Körper einer jungen Frau nach langer Einsamkeit. Er schmeckte nach einem Wunder.

3Der Bulle

Santorso mochte nicht nur die Abende, an denen er trank, sondern auch die Morgen, nachdem er getrunken hatte. Nicht übertrieben viel, nicht so viel, dass er litt, aber doch so viel, dass der Rausch bis zum Aufwachen anhielt. Er stand dann gern früh auf, um spazieren zu gehen, und bei diesen Runden waren seine Sinne einerseits betäubt, andererseits geschärft, so als träten manche Details in der allumfassenden Dunkelheit umso deutlicher hervor. An erster Stelle das Brunnenwasser: Er wusch sich das Gesicht im Freien und nahm einen eiskalten Schluck. Fontana Fredda besaß so einige Brunnen, einst ausnahmslos Viehtränken, mit Wasser, das sommers wie winters in derselben Temperatur hervorsprudelte und auf geheimnisvollen, unterirdischen Wegen von den Gletschern bis hierher gelangte. Sowohl das Wasser als auch das Dorf entsprangen einem breiten Plateau, das talwärts abrupt abbrach und dann in einem fünfhundert Meter langen bewaldeten Hang steil abfiel, bergwärts hingegen in Form von mehreren Sommerweiden sanft anstieg. Jetzt waren die Almen still und verlassen, die Ställe leer, die Badewannen auf den Wiesen umgedreht. Unter dem eintönig grauen Himmel sah Santorso, dass in schattigen Zonen ein Hauch Schnee liegen geblieben war, darin nächtliche Spuren. Die Fährte eines Hasen zwischen den Tannen, die des Fuchses, der bei den verrammelten Ställen herumgeschnüffelt hatte. Die Hufspuren der Hirsche, die aus dem Wald gekommen waren und sich bis zur asphaltierten Straße vorgewagt hatten, wo sie vom Streusalz angelockt worden waren. Von Wölfen war nach wie vor nichts zu sehen. Im Herbst waren sie bloß zwei Täler weiter gesichtet worden, weshalb er sich sicher war, dass sie kommen würden. Vielleicht waren sie auch längst da, aber auf der Hut und erkundeten noch die Lage. Wo der Schnee aufhörte, brachen auch die Geschichten ab, wie etwas, das er nur unzureichend kannte. Sein Vater hatte ihm mal einen Rat gegeben, den er stets zu beherzigen versuchte – »Kehre nie mit leeren Händen aus dem Wald zurück« – , und so sammelte er an diesem Morgen Wacholderbeeren und füllte die Tasche der Jägerjacke damit.

Es war Mittwoch, und auf den Pisten würden nur vereinzelt Skifahrer unterwegs sein. Er schaute beim Restaurant vorbei, aber Babette war noch nicht aufgetaucht. Es war bloß der Koch da, besser gesagt dieser Mann, der gar kein richtiger Koch war und nun allein in der stillen Küche herumwerkelte. Als er die Tür hörte, kam er zum Tresen und begrüßte ihn.

»Kaffee?«, fragte er.

»Du heißt also Fausto«, sagte Santorso. »Nein, besser Faus.«

»Faus?«

»Falso cuoco, Möchtegernkoch.«

Der Koch lachte amüsiert. Er füllte den Kaffeefilter, umschloss den Hebel und sagte: »Das passt perfekt.«

»Es scheint zu schneien, Faus.«

»Wurde aber auch Zeit.«

Babette kam mit dem Brotsack und den Zeitungen herein. Letztere ließ sie auf dem Tresen liegen, das Brot brachte sie in die Küche. Hinter ihr betrat der alte Viehbauer das Lokal, der in einem der tiefer gelegenen Häuser lebte. Das war eine schöne Zeit, zwischen acht und neun, wenn die Skifahrer noch nicht da waren und die Alten von Fontana Fredda bei Babette vorbeischauten, wenn über Heu und Milch gesprochen wurde, über Holzvorräte, über den Schnee von früher, der bis zu den Balkonen gereicht hatte. Fausto machte sich auch einen Kaffee, und Babette löste ihn am Tresen ab. Santorso warf ihr einen Blick zu und reckte mit einer Geste, die nur sie beide etwas anging, das Kinn. Sie stöhnte laut auf, griff zur Brandyflasche und gab einen Schuss in seine Tasse.

»Und, sind die Wölfe gekommen?«, fragte der Viehbauer.

»Sollen sie doch!«, erwiderte Santorso. »Wir heißen jeden willkommen.«

»Eines sag ich dir: Wenn die auch nur einem meiner Tiere ein Haar krümmen, greif ich zur Flinte.«

»Na super.«

»Du glaubst wohl, ich scherze.«

»Nein, nein, ich glaube dir.«

»Und was willst du dann machen, mich verhaften?«

»Ich? Ich habe ausgedient, ich verhafte niemanden mehr.«

Auch die junge Frau kam herunter, die neue Kellnerin. Sie holte eine Schürze unter dem Tresen hervor und band sie sich um. Dann schenkte sie sich ein Glas Leitungswasser ein und trank es in einem Zug aus, um sich gleich noch eines einzuschenken. Du hast aber Durst!, dachte Santorso.

»Ausgedient? Inwiefern?«, fragte Fausto.

»Ich war mal bei der Forstpolizei.«

»Bei der Forstpolizei? Bist du denn kein Jäger?«

»Das eine schließt das andere nicht aus.«

»Wer hätte das gedacht.«

Die junge Frau stellte Gläser aufs Tablett und ging die Tische eindecken. Im Vorbeigehen streifte sie Faustos Hand, was Santorso lieber nicht mitbekommen hätte. Das Liebesleben der Menschen interessierte ihn nicht. Das der Wölfe, Füchse und Birkhähne schon eher.

»Dann setz ich mal die Polenta auf«, sagte Fausto.

»Du hast dich lange genug gedrückt.«

»Du sagst es.«

»Au revoir.«

Santorso trank seinen Kaffee aus, ließ ein paar Münzen auf dem Tresen liegen und verabschiedete sich von Babette, die schon mit anderen Dingen beschäftigt war. Den alten Viehbauern würdigte er keines Blickes. Draußen atmete er tief ein und dachte: Hier hatte jemand Sex heute Nacht. Und gleich darauf: Hach, riecht das gut, wenn es anfängt zu schneien! Mit dem angenehmen Geschmack von Kaffee und Brandy im Mund zündete er sich eine Zigarette an und überlegte, was er mit diesem Vormittag noch anfangen wollte.

4Die Lawinen

Und ob es schneite! Innerhalb weniger Tage blieb der Schnee in den Obst- und Gemüsegärten liegen, auf den Holzschuppen, Misthaufen und Hühnerställen. Es war ein kompakter, nasser Schnee, der nichts mit Januarschnee zu tun hatte, begleitet von einem Wind, der ihn verwehte und an den Baumstämmen und Außentischen von Babettes Gastmahl festfrieren ließ. Da in diesem Lokal nicht viel angeordnet wurde, befand sich neben der Restauranttür eine Schneeschaufel für alle, die gerade daran dachten: Um drei Uhr nachmittags war es Silvia, die daran dachte. Sie ging nach draußen, begann, Terrasse und Treppe freizuschaufeln, und staunte, wie sehr sich Fontana Fredda verwandelt hatte.

Die bäuerliche Landschaft, die sie im Dezember vorgefunden hatte, ein etwas raueres, waldreicheres Ackerland, hatte sich über Nacht in einen borealen Landstrich verwandelt. Silvia schaute zur Straße, wo die Autos in ungeschickten Manövern ausparkten, ununterbrochene winzige Schleuderbewegungen. Menschen kehrten mit staksigem Gang von der Piste zurück, die Skier geschultert. Dort, wo Silvia aufgewachsen war, fiel nicht viel Schnee, und sie fragte sich, ob ihre Mutter jemals gesehen hatte, was sie jetzt sah. Ob es ihr gefallen hätte? Ob sie sich geschützt oder eher bedroht gefühlt hätte? Sie schaute zu, wie der Schneepflug vorbeifuhr, der die Straße bis zur Biegung hinter dem Restaurant räumte und einen meterhohen Schneehaufen auftürmte. Dann legte das Räumfahrzeug den Rückwärtsgang ein, und Silvia begriff, dass diese Barriere im Winter das Ende der Zivilisation darstellte: In die weiße Wüste dahinter wagte man sich nur auf eigenes Risiko, auf eigene Gefahr, und sie bekam Lust nachzuschauen, wie es dort aussah. Mehr noch als von der Skipiste fühlte sie sich von diesem unberührten Schnee angezogen.

Am Tresen wurden gerade süße Stärkungen eingenommen, heiße Schokolade nach einem Spezialrezept von Babette. Ein bisschen erinnerte sie Silvia an ihre Mutter: Sie servierte mit viel Elan, interessierte sich aber kein bisschen fürs Abräumen der schmutzigen Tassen. Silvia drehte eine Runde bei den Tischen, wich Skifahrern und Skifahrerkindern aus, belud ein Tablett und räumte die Spülmaschine ein. Nachdem die durchgelaufen war, stellte sie die Tassen zum Trocknen auf die Kaffeemaschine.