Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Neue Deutsche Rechtschreibung Paul Johann Ludwig von Heyse (15.03.1830–02.04.1914) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Übersetzer. Neben vielen Gedichten schuf er rund 180 Novellen, acht Romane und 68 Dramen. Heyse ist bekannt für die "Breite seiner Produktion". Der einflussreiche Münchner "Dichterfürst" unterhielt zahlreiche – nicht nur literarische – Freundschaften und war auch als Gastgeber über die Grenzen seiner Münchner Heimat hinaus berühmt. 1890 glaubte Theodor Fontane, dass Heyse seiner Ära den Namen "geben würde und ein Heysesches Zeitalter" dem Goethes folgen würde. Als erster deutscher Belletristikautor erhielt Heyse 1910 den Nobelpreis für Literatur. Null Papier Verlag
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 78
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Paul Heyse
Das Glück von Rothenburg
Novelle
Paul Heyse
Das Glück von Rothenburg
Novelle
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962811-22-8
null-papier.de/neu
Danke, dass Sie sich für ein E-Book aus meinem Verlag entschieden haben.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze
Der Tee der drei alten Damen
Arme Leute und Der Doppelgänger
Der Vampir
Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Der Idiot
Jane Eyre
Effi Briest
Madame Bovary
Ilias & Odyssee
Geschichte des Gil Blas von Santillana
und weitere …
Der Newsletter informiert Sie über:
die Neuerscheinungen aus dem Programm
Neuigkeiten über unsere Autoren
Videos, Lese- und Hörproben
attraktive Gewinnspiele, Aktionen und vieles mehr
https://null-papier.de/newsletter
Es war am Osterdienstag. Die Menschen, die das Auferstehungsfest durch einen Ausflug ins Freie, in den lustig aufblühenden Frühling hinaus gefeiert hatten, strömten in ihre Häuser und zu den Werktagsmühen, die morgen wieder beginnen sollten, zurück. Alle Landstraßen wimmelten von Fuhrwerken und Fußwanderern, die Eisenbahnen waren trotz eingelegter Extrazüge überfüllt, denn eines so lieblichen und beständigen Osterwetters konnte man sich seit vielen Jahren nicht erinnern.
Auch der abendliche Schnellzug, der auf dem Ansbacher Bahnhof in der Richtung nach Würzburg zum Abgang bereit stand, war doppelt so lang als in gewöhnlichen Zeiten. Dennoch schien er bis auf den letzten Platz gefüllt zu sein, da ein Nachzügler zweiter Klasse, der in der letzten Minute noch unterzukommen suchte, vergebens an allen Türen anklopfte, in alle Coupés hineinsah und überall nur einem mehr oder minder unwilligen oder schadenfrohen Achselzucken begegnete. Endlich fasste der Schaffner, der ihm zur Seite ging, einen raschen Entschluss, öffnete ein Coupé erster Klasse und schob den Spätling in den dämmernden Raum hinein, die Türe hastig zuschlagend, da eben der Zug sich in Bewegung setzte.
Eine einzelne Dame, die in der entgegengesetzten Ecke wie eine schwarze Eidechse in sich zusammengeschmiegt geschlummert hatte, fuhr plötzlich in die Höhe und warf einen strafenden Blick auf den unwillkommenen Störer ihrer Einsamkeit. Doch schien sie an dem blonden jungen Mann in schlichten Sonntagskleidern, der eine Mappe unterm Arm und ein abgetragenes Reisesäckchen mit einer altmodischen Stickerei in der Hand hielt, nichts Merkwürdiges zu finden. Wenigstens erwiderte sie seinen höflichen Gruß und die Entschuldigung, die er stammelte, nur mit einem stolzen, kaum merklichen Neigen des Kopfes, zog die schwarzseidene Kapuze ihres Mäntelchens wieder über die Stirn und schickte sich an, den unterbrochenen Schlaf so unbekümmert fortzusetzen, als ob statt des neuen Reisegefährten nur ein Gepäckstück mehr in den Wagen geschoben worden wäre.
Auch hütete sich der junge Mann, der sich hier nur als ein geduldeter Eindringling fühlte, durch überflüssigen Lärm an seine Gegenwart zu erinnern, ja, er hielt die ersten fünf Minuten, obwohl er stark gelaufen war, nach Möglichkeit den Atem an und verharrte standhaft in der unbequemen Stellung, in der er zuerst von seinem Eckplatz Besitz ergriffen hatte. Nur den Hut nahm er leise ab und wischte mit einem Tüchlein den Schweiß von der Stirn, diskret zu seinem Fenster hinausblickend, als könne er für sein Auftauchen in eine höhere Sphäre nur durch die bescheidenste Haltung Verzeihung erlangen. Da aber die Schläferin sich nicht rührte und die draußen vorbeisausende Landschaft wenig Reiz für ihn hatte, wagte er es endlich, seine Augen in das Innere des Coupés zu lenken, und nachdem er die breiten Kissen von rotem Plüsch und den Spiegel an der Wand hinlänglich bewundert hatte, nun auch die Gestalt der Fremden sich näher anzusehen, indem er sich mit vorsichtigen Blicken langsam von der Spitze des kleinen Schuhes, der unter dem Kleidsaume hervorsah, bis zu ihrer Schulter und zuletzt zu dem schmalen Streifen ihres Gesichts, den sie ihm zugekehrt, hinauftastete.
Eine sehr vornehme Dame musste es sein, das war ihm sogleich außer allem Zweifel, und weit her, eine Russin, Polin oder Spanierin. Was sie nur an und um sich hatte, trug den Stempel einer aristokratischen Herkunft: ihre Toilette, das feine rotlederne Reisetäschchen, gegen das sie so rücksichtslos den schmalen Fuß stemmte, der zierliche hellbraune Handschuh, in den sie die Wange geschmiegt hatte. Dazu umgab sie ein eigentümlicher Duft, nicht nach irgendeiner aromatischen Essenz, sondern nach Juchten und Zigaretten, und auf dem Teppich des Coupés lagen auch richtig einige halb ausgerauchte weiße Stümpfchen herum, die ihre Asche und etwas russischen Tabak verstreut hatten. Ein Buch war ebenfalls auf den Fußboden geglitten. Er konnte es nicht übers Herz bringen, es dort liegen zu lassen, und sah, indem er es behutsam aufhob und auf den Sitz legte, dass es ein französischer Roman war. Dies alles erfüllte ihn mit jenem heimlichen angenehmen Grauen, das junge Männer zu beschleichen pflegt, die, in bürgerlichen Kreisen aufgewachsen, unerwartet einmal in die Nähe einer Frau aus der großen Welt geraten. Zu der natürlichen Überlegenheit des Weibes über den Mann gesellt sich da der märchenhafte Reiz, den unbekannte, ungebundenere Sitten und die Ahnung leidenschaftlicher Freuden und Leiden in der höheren Welt auf den Sprössling der niederen ausüben. Ja, die Kluft, die zwischen den Ständen sich auftut, steigert nur diesen Zauber, da im Manne sich dann wohl eine traumhaft verwegene Neigung regt, gelegentlich einmal, auf sein Herrenrecht pochend, über diesen unausfüllbar scheinenden Abgrund sich hinwegzuschwingen.
Zu so abenteuerlicher Kühnheit freilich verstieg sich der junge Reisende nicht. Als er aber hinlänglich sicher zu sein glaubte, dass der Schlaf seiner fremden Nachbarin kein erkünstelter sei, zog er aus seiner Brusttasche sacht ein kleines, in graue Leinwand gebundenes Büchlein hervor und machte sich verstohlen daran, das feine, blasse, etwas hochmütige Profil der Schläferin mit raschen Strichen auf ein leeres Blatt zu zeichnen.
Es war kein ganz leichtes Unternehmen, obwohl ihn die sausende Bewegung des Schnellzugs über manche Anstöße leicht hinweghob. Er musste sich auf seinem Sitz halb schwebend erhalten und jeden Strich mit entscheidender Sicherheit machen. Der Kopf aber lohnte wohl der Mühe, und wie das Halbgesicht, in die Hand gedrückt, von den Falten der Kapuze leicht umrahmt, in der dämmernden Beleuchtung des Abends sich ihm zeigte, glaubte er niemals klassischere Linien an einem lebenden Wesen erblickt zu haben. Sie schien über die erste Jugend hinaus zu sein, der Mund mit den feinen Lippen zuckte zuweilen mit einem seltsamen Ausdruck von Bitterkeit oder Überdruss, selbst jetzt im Traum. Wunderschön aber war die Stirn und die Bildung der Augen, und das weiche, wellige Haar noch in reichster Fülle.
So hatte er etwa zehn Minuten höchst eifrig gestrichelt und das Skizzchen fast fertig gebracht, als die Schläferin plötzlich mit ruhiger Gebärde sich aufrichtete und im besten Deutsch die Frage an ihn richtete:
Wissen sie auch, mein Herr, dass es nicht erlaubt ist, Reisende im Schlaf zu bestehlen?
Der arme Ertappte ließ in großer Bestürzung das Büchlein auf die Knie sinken und sagte über und über errötend: Verzeihung, gnädige Frau! Ich dachte nicht – ich glaubte – es ist nur ein ganz flüchtiger Umriss – nur zur Erinnerung –
Wer gibt Ihnen ein Recht, sich an mich zu erinnern und Ihrem Gedächtnis dabei so handgreiflich nachzuhelfen? erwiderte die Dame, ihn mit scharfen blauen Augen etwas kühl und spöttisch musternd. Sie hatte sich indessen ganz aufgesetzt, die Kapuze war ihr in den Nacken gefallen, er sah, wie fein die Kontur ihres Kopfes war, und fuhr trotz seiner Verlegenheit fort, sie mit Maleraugen zu studieren.
Ich muss freilich gestehen, dass ich mich wie ein rechter Straßenräuber aufgeführt habe, versetzte er, indem er sich bemühte, die Sache ins Scherzhafte zu wenden. Vielleicht aber lassen Sie Gnade vor Recht ergehen, wenn ich meinen Raub zurückerstatte, nicht, damit Sie ihn aufheben, nur um zu sehen, wie wenig das noch ist, was ich mir angeeignet habe.
Er reichte ihr das aufgeschlagene Skizzenbuch hin, und sie warf einen raschen Blick auf ihr Konterfei, dann nickte sie beifällig, aber mit einer raschen Handbewegung, die das Angebotene zurückwies.
Es ist ähnlich, sagte sie, nur idealisiert. Sie sind Porträtmaler, mein Herr?
Nein, gnädige Frau. Ich hätte die Skizze sonst wohl charakteristischer gemacht. Ich male hauptsächlich Architekturbilder. Aber gerade, weil mein Auge für schöne Proportionen und reine Linien geschärft ist – und einem das an Menschengesichtern nicht alle Tage geboten wird –
Er verwickelte sich im Nachsatz, starrte auf seine Stiefelspitzen, versuchte wieder zu lächeln und wurde noch röter.
Ohne darauf zu achten, sagte die Fremde:
In der Mappe dort haben Sie ohne Zweifel von Ihren Zeichnungen und Malereien. Darf ich sie sehen?
Mit Vergnügen. – Er reichte ihr die Mappe hin und breitete den Inhalt Blatt für Blatt vor ihr aus. Es waren lauter Aquarelle, die altertümliche Gebäude, gotische Türmchen und spitzgieblige Straßenprojekte darstellten, in einer gewandten, durchaus künstlerischen Manier und Auffassung. Die Fremde ließ eins nach dem andern an sich vorübergehen, ohne eine weitere Frage an den jungen Maler zu richten. Manches Blatt aber betrachtete sie länger und gab es wie zögernd zurück.
Die Sachen sind noch nicht ganz ausgeführt, entschuldigte er diese und jene flüchtige Studie; doch gehören sie alle in denselben Zyklus. Ich habe die Ostertage benutzt, um in Nürnberg mit einem Kunsthändler darüber Rücksprache zu nehmen. Ich möchte all diese Blätter in einem chromolithografischen Werk herausgeben. Zwar habe ich schon manche Vorgänger, doch ist Rothenburg noch immer nicht so bekannt, wie es verdient.
Rothenburg?
Freilich. Dies sind ja alles Rothenburger Ansichten. Ich dachte, Sie wüssten es, gnädige Frau, da Sie nicht fragten.
Rothenburg? Wo liegt das?