Das Gottessiegel - Dominic Selwood - E-Book
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Das Gottessiegel E-Book

Dominic Selwood

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Beschreibung

Ihre Geheimdienst-Vergangenheit wollte die englische Archäologin Ava Curzon eigentlich hinter sich lassen. Doch diesem Auftrag kann sie nicht widerstehen: Angeblich ist die mythische Bundeslade gefunden worden - und sie befindet sich in der Hand von Terroristen!

Für Ava beginnt eine irrwitzige Jagd durch die trügerische Welt der Geheimbünde, Okkultisten und Ritterorden. Bald stellt sich heraus: Die Bundeslade ist nur ein kleiner Teil eines viel größeren, mörderischen Plans! Ava fahndet quer durch Europa und den Nahen Osten nach Hinweisen. Die uralte Spur führt die Agentin immer tiefer in die Geheimnisse dunkler biblischer Magie, bis hin zu einem tödlichen Ritual ...

Das Gottessiegel: Dan Brown meets Lara Croft! Ein Verschwörungs-Thriller der Extraklasse - jetzt als eBook bei beTHRILLED!

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Seitenzahl: 1245

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber den AutorTitelImpressumWidmungZitatERSTER TAGKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7ZWEITER TAGKapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21DRITTER TAGKapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25VIERTER TAGKapitel 26Kapitel 27FÜNFTER TAGKapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36SECHSTER TAGKapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51SIEBTER TAGKapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56ACHTER TAGKapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Kapitel 64Kapitel 65Kapitel 66Kapitel 67NEUNTER TAGKapitel 68Kapitel 69Kapitel 70Kapitel 71Kapitel 72Kapitel 73Kapitel 74Kapitel 75Kapitel 76Kapitel 77Kapitel 78ZEHNTER TAGKapitel 79Kapitel 80Kapitel 81Kapitel 82Kapitel 83Kapitel 84Kapitel 85Kapitel 86Kapitel 87Kapitel 88Kapitel 89Kapitel 90Kapitel 91Kapitel 92ELFTER TAGKapitel 93Kapitel 94Kapitel 95Kapitel 96Kapitel 97Kapitel 98Kapitel 99Kapitel 100Kapitel 101Kapitel 102Kapitel 103Kapitel 104Kapitel 105Kapitel 106Kapitel 107Kapitel 108Kapitel 109Kapitel 110ZWÖLFTER TAGKapitel 111EpilogPostskriptumDanksagungZitierte Quellen

Über das Buch

Ihre Vergangenheit als Geheimagentin wollte die Archäologin Ava Curzon eigentlich hinter sich lassen. Doch dann behaupten Terroristen, dass sie die mythische Bundeslade in ihrer Gewalt haben! Kann das wirklich sein?

Für Ava beginnt eine irrwitzige Jagd durch die trügerische Welt der Geheimbünde, Okkultisten und Ritterorden. Eine uralte Spur führt die Agentin immer tiefer in die Geheimnisse dunkler, biblischer Magie, bis hin zu einem tödlichen Ritual …

Über den Autor

Dominic Selwood ist Autor und Historiker. Er war schon immer von der Zeit der Kreuzzüge fasziniert und studierte Mittelaltergeschichte in Oxford und an der Pariser Sorbonne. Nach seiner Promotion arbeitete er einige Jahre lang als Rechtsanwalt. Heute schreibt er neben seinen Thrillern immer noch Bücher und Artikel über Geschichte, oft über wenig bekannte Themen. Wenn er gerade nicht schreibt, spielt er Bass in einer Rockband. Dominic Selwood lebt in London.

Dominic Selwood

DAS GOTTESSIEGEL

Aus dem Englischen vonGerold Hens

beTHRILLED

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Deutsche Erstausgabe

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Copyright © by Dominic Selwood 2013 (first year of publication)

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Sword of Moses«

Textredaktion: Ralf Reiter

Lektorat/Projektmanagement: Lukas Weidenbach

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock: pisaphotography | Olga Nikonova | Zsschreiner | nito

Gestaltung Innenteil unter Verwendung von Motiven © Shutterstock: BurRuss | jesterpop | Kmannn

eBook-Erstellung: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7325-3890-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für

Delia, Inigo, Arminel, Andreas

›Der HERR ist der rechte Kriegsmann; HERR ist sein Name.‹

Exodus 15,3

(aus einem kurzen und vermutlich ältesten Abschnitt der Bibel)

ERSTER TAG

1

Kirche St. Maria von Zion, Aksum, Region Tigray, Demokratische Republik Äthiopien, Afrika

Sie kamen vor Morgengrauen von Osten, aus der Danakil-Wüste. Die beiden weißen, klimatisierten Land Cruiser rasten durch die Altstadt von Aksum, einer alten Stadt von Krieger-Kaisern, heute nur noch eine vergessene Kuriosität – ein Relikt. Nur ein paar Hundert Meilen im Osten lag die weite Afar-Senke – die trocken-heiße Wiege der Menschheit. Die Stadt Aksum selbst jedoch war fruchtbar und grün, reich an Gras und ausladenden Bäumen.

Während blutrot das erste Licht am Horizont aufstieg, jagten sie vorbei am prachtvollen Badeteich der Königin von Saba – dessen einst mit Blüten bestreutes Wasser, seit langem verwahrlost, nun schlammig und faulig war. Dann weiter zu dem gespenstischen Stelenfeld mit seinen gewaltigen Reihen aus Obelisken, die sich höher reckten als die höchsten in Ägypten.

Und dann schließlich bis an ihr Ziel, die heilige historische Kirchenanlage von St. Maria von Zion – dem heiligsten Ort in Äthiopien, der Krönungsstätte des Neguse Negast, des Königs der Könige.

Er hatte ihnen den Weg gut beschrieben. Auf dem ledergepolsterten Beifahrersitz des vorderen Land Cruisers zog sich Aristide Kimbaba eine schwarze Skimütze übers Gesicht und legte den Sicherungshebel seiner AK-47, 7,62 mm, auf die halb automatische Position um. Bewundernd strich er über den kalten Stahl der Waffe. Es war ein echtes russisches Modell, keine billige Kopie aus dem Fernen Osten. Sie hatte sogar ein POSP-Militär-Zielfernrohr aufmontiert.

Er hatte ihn und seine Leute gut ausgerüstet. Der Milizionär lächelte in sich hinein. Für das hier war er von weit hergekommen, und in dem Moment, als er von dem Plan gehört hatte, hatte er gewusst, dass es ein guter Plan war.

Er schaute sich um und stellte befriedigt fest, dass in der heißen, verschlafenen Stadt niemand unterwegs war. Die engen, staubigen Straßen der Kirchenanlage waren völlig menschenleer.

Er warf einen Blick auf die eingeschweißte Karte auf seinen Knien.

»Halt hier an«, befahl er dem Fahrer mit einem tiefen Grollen und wies ihn an, vor einem reich verzierten Gebäude stehen zu bleiben, das sich in eine Lücke zwischen einer modernen Kirche nördlich und einer kleinen alten südlich schmiegte. Die abwechselnd grün und rosafarben getönten Steine waren in der Morgensonne kaum zu erkennen.

Wenn Kimbaba auf solche Dinge geachtet hätte, hätte er bemerkt, dass das bunte Gebäude numerologisch vollkommen war – ein Viereck mit einer Tür und drei Fenstern pro Wand. Eins, drei, vier und zwölf – alles heilige Zahlen. Aber solche Feinheiten entgingen ihm. Sein ungeschultes Auge nahm nur die Zwiebelkuppel wahr und das schmale metallene Kreuz, das auf eine religiöse Bestimmung hindeutete.

Der Milizionär sprang aus dem Fahrzeug. Mit eins neunundachtzig bot Kimbaba eine imponierende Erscheinung – der Eindruck natürlicher körperlicher Bedrohung wurde verstärkt durch eine offene Tarnjacke, die einen muskelbepackten Oberkörper enthüllte, eine olivgrüne Hose, die in schwarzen Springerstiefeln steckte, und einen kakifarbenen Baumwollgürtel, der vor Ersatzmagazinen starrte.

Mit schnellen Schritten näherte er sich dem eisernen Zaun, der die Kapelle umgab, und musterte ihn aufmerksam, um die Stärke der Stäbe zu beurteilen und abzuschätzen, wie tief sie in den Beton eingelassen waren.

Vom Motorengeräusch der Land Cruiser zu so früher Stunde aufgeweckt, erschien auf wackligen Beinen der Mönch, der die Kapelle bewachte, an den alten Eichentüren. Seine abgetragene gelbe Kutte und die runde grüne Kopfbedeckung waren die einzigen Farbtupfer im morgendlich grauen Dämmerlicht.

Beim Anblick der Schusswaffe und des vermummten Kopfs des Milizionärs erstarrte der Wächter und blieb wie angewurzelt oben an der Treppe stehen.

Kimbaba hatte gehört, wie die Kirchentür sich öffnete, und augenblicklich reagiert. Er hob die Waffe, stemmte ihren schweren Kolben gegen die gepolsterte rechte Schulter und zielte direkt über Kimme und Korn auf den reglosen Mönch.

»Ouvrez la grille!«, knurrte er und ging mit schnellen Schritten auf das Tor zu. Sein Französisch hatte einen schweren kongolesischen Akzent. »Ouvrez!«

Der alte Mönch schaute ihn ausdruckslos an.

Kimbaba blieb am Tor stehen. Er drückte die Klinke, aber jahrzehntealter Rost hatte sie fest verschweißt. Was ihn nicht überraschte. Er wusste, dass nur der Mönch auf dem Gelände lebte und das Tor nur geöffnet wurde, wenn er starb und ein Nachfolger seine Stelle einnahm.

Kimbaba stand keine zehn Meter von dem fassungslosen Wächter entfernt. Er richtete das Gewehr genau auf ihn und versuchte es auf Englisch. »Aufmachen!« Seine Stimme klang bedrohlich.

Der alte Mönch blickte weiterhin starr auf den bewaffneten Mann, der ihn da anschrie.

Kimbaba drehte sich zu Simplice Masolo um, seinem drahtigen Stellvertreter, der rasch hinter ihn getreten war und ebenfalls auf die greise Gestalt zielte.

»Hol das C-4«, knurrte Kimbaba.

Masolo ging zum Land Cruiser zurück und holte zwei Klumpen grauweißen Sprengstoffs aus einer Stahlkiste auf dem Rücksitz. Er hatte zuvor ein paar Claymore-Personenminen ausgeschlachtet, befestigte nun zwei der Ladungen am Zaun – eine knapp über dem Boden, die andere in Schulterhöhe – und schloss sie an zwei lange Drähte an, die er zu einem kleinen metallenen Hand-Detonator führte. Er gab allen Vermummten Zeichen, hinter einer zusammengefallenen Steinmauer in der Nähe in Deckung zu gehen. Als sie außer Sprengweite waren, drückte er den abgegriffenen Knopf des Detonators.

Die Ladungen explodierten mit einem tiefen, kurzen Knall, worauf verbogene Metallsplitter mit tödlicher Geschwindigkeit durch die Luft geschleudert wurden.

Als der Rauch sich legte, ging Kimbaba rasch durch das gezackte Loch im Zaun, wo kurz zuvor noch das Tor gehangen hatte. Er marschierte direkt zu dem alten Wächter hinauf, der, wunderbarerweise unversehrt, immer noch auf den Stufen stand.

Ohne innezuhalten, knallte Kimbaba ihm den braungelben, mit Tape umklebten Kolben direkt ins verblüffte Gesicht, wobei er ihm den Mundwinkel aufriss und ihn durch die Wucht des Schlags umgehend zu Boden schickte.

Zufrieden stand er über dem daliegenden Mönch und schaute zu, wie das Blut aus dem Mund auf die staubige Erde rann. Er bückte sich, drehte den Wächter auf den Bauch, packte ihn an den Armen und fesselte ihm grob mit einem Kabelbinder die Handgelenke auf den Rücken. Das Ganze geschah rasch und brutal. Es hatte keine fünf Sekunden gedauert.

Ohne weitere Umstände zerrte er den Wächter auf die Füße und rammte seinem Gefangenen den kalten Lauf der Waffe in die linke Niere. Dann stieß er ihn die glatten Stufen nach oben in Richtung der geöffneten Holztüren der Kapelle.

Der fassungslose Wächter leistete keine Gegenwehr. Benommen stolperte er vorwärts.

Vier von Kimbabas Männern folgten ihm auf den Fersen. Die beiden anderen blieben, die Gewehre angelegt, bei dem Loch im Zaun stehen und beobachteten den Vormarsch über ihre Visiere.

Als die schwer bewaffneten Männer das abgedunkelte Gebäude betraten, schwärmten sie aus, um kein festes Ziel zu bieten. Sie hätten sich jedoch keine Sorgen machen müssen.

Es war leer. Sie waren allein.

Als Kimbabas Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnten, konnte er erkennen, dass die Fenster mit schweren, dunklen Vorhängen verhängt waren, die alles natürliche Licht draußen halten sollten. Die rau verputzten Steinmauern der Kapelle waren mit uralten Stickereien behängt, auf denen Heilige und religiöse Szenen abgebildet waren. Am anderen Ende des Raums befanden sich ein grob geschnitzter, rötlich-brauner Altar aus Eukalyptusholz und eine schmutzige Matratze mit einer verknautschten Decke in einer Ecke, in der der Mönch schlief. Ansonsten war der Raum leer.

Die Sache, derentwegen sie gekommen waren, war nicht da.

Kimbaba wandte sich an den Mönch. »Soll das ein Witz sein?« Seine Stimme war tief, der kongolesische Akzent unverkennbar.

Der Wächter, der immer noch aus dem Mund blutete, schaute ihn mit leerem, unstetem Blick an.

Der Söldner trat einen Schritt auf ihn zu. »Ich frage nicht noch mal.« Sein Ton war unangenehm. »Wo ist es?«

Dem Mönch schien gar nicht bewusst zu sein, was geschah.

Ohne Vorwarnung schlug Kimbaba ihn heftig mit dem Handrücken ins Gesicht, was zu einem weiteren Schwall roten Blutes aus dem gezackten Riss im Mundwinkel führte.

Der neuerliche blitzartige Schmerz schien den gelb gewandeten Mönch aus seiner Träumerei zu reißen. Als er sprach, war seine Stimme ruhig. »Was wollt ihr hier?«

»Wo ist er?« Der Söldner blickte ihn finster an, und auf seinem Stiernacken trat der Schweiß aus. »Der tabot.«

»Der tabot ist nicht für euch bestimmt.«

Unversehens rammte Kimbaba ihm die Faust in den Solarplexus. Der Mönch krümmte sich und sackte zu Boden.

Mit unveränderter Miene beugte Kimbaba sich über ihn. »Sofort.«

Es entstand eine Pause, als der Mönch zu dem massigen Mann hochblickte, der über ihm aufragte. Trotz der Schmerzen, die sein Gesicht verzerrten, verrieten seine Augen keinen Zorn.

Seine Stimme kam als entschlossenes Flüstern. »Nein.«

Kimbaba öffnete den Verschluss an der Kydex-Gürtelscheide seines Patriot-Kampfmessers, hielt es einen Moment hoch, sodass die schwarze Klinge vor dem Gesicht des Mönchs matt glänzte, bevor er die stählerne Spitze in die stoppelige dunkle Haut unter dem Kinn des Alten bohrte. Seine blitzenden Augen ließen keinen Zweifel an seinen Absichten.

Der alte Wächter blickte Kimbaba gelassen an. »Ich bin schon mein ganzes Leben lang bereit.« Seine Stimme war sanft und ruhig. »Meine Seele kannst du nicht töten.«

Kimbaba trat ihm so hart in die Seite, dass er herumgeschleudert wurde. »Du wirst deinem Gott heute nicht begegnen, tabot-Mann, so sehr du mich auch bald darum anbetteln wirst.«

Das Gesicht des Mönchs zuckte vor Schmerz, als er seinen Folterer anschaute, er sprach jedoch langsam und gelassen weiter. »Deine Drohungen sind wertlos – mein Leben ist ein heiliges lebendiges Opfer.«

Kimbaba erwiderte den Blick des Gefangenen einen Moment lang, während er den massigen Kopf wiegte und an den Zähnen saugte. »Bring es her.«

Masolo nickte dem Vermummten zu, der ihm am nächsten stand, und zusammen verschwanden sie durch die alte Eichentür.

Wenige Minuten später kamen sie zurück und legten einen eloxierten Dachgepäckträger, einen Benzinkanister und ein aufgewickeltes dünnes Seil neben dem Mönch auf den Boden.

Kimbaba rollte den Gefangenen mit dem Stiefel herum, bückte sich und schnitt den Kabelbinder durch, mit dem er die schmalen Handgelenke zusammengebunden hatte. Er packte den Mönch an den Schultern, drückte seinen schmächtigen Körper gewaltsam auf die kalten Metallstangen des Gepäckträgers und spreizte ihm Arme und Beine. »Als religiöser Mann wirst du das zu schätzen wissen. Die Spanische Inquisition hat das erfunden.« Grunzend schnitt er kurze Stücke des schmierigen Seils ab und band Hand- und Fußgelenke des Mönchs an den starren Metallrahmen.

Der Wächter musterte Kimbaba aufmerksam. »Ich fürchte die Hölle und die Verdammnis, nicht dich und den Schmerz.«

Kimbaba nickte. »Schmerzen wird es nicht geben.« Seine Augen glänzten voller Vorfreude. »Nur Schrecken.« Er setzte die rasiermesserscharfe Messerspitze erneut unten am Kinn an und drückte diesmal fester zu. »Letzte Chance.«

Der Mönch drehte kaum merklich den Kopf, als das Messer die Haut durchbohrte und erneut Blut hervortrat. »Ich habe meinen Weg schon vor langer Zeit gewählt«, murmelte er ruhig und unerschrocken.

Der Söldner zog das Messer scharf nach unten und zerfetzte das altersschwache gelbe Gewand. Er säbelte ein großes Stück Stoff ab, das er entzweiriss. Das kleinere Stück faltete er zu einem Streifen, mit dem er dem Mönch fest die Augen verband.

Leise singend fand der Mönch in seinem Innern einen ruhigen Ort, der ihm erlaubte, den Geist vom Körper zu trennen. »Abune zebesemayat, yitkedes simike, timsa mengistike weyikun …«

Kimbaba verstand die Sprache nicht. Hätte er sie verstanden, hätte er sie als Ge’ez erkannt, die rituelle Sprache der äthiopisch-orthodoxen Kirche – ein semitischer Dialekt, der eng mit dem Aramäischen verwandt war, das der Gott des Mönchs vor zweitausend Jahren in Galiläa gesprochen hatte.

Kimbaba machte Masolo Zeichen, ihm zu helfen, den Mönch zum Altar zu schleppen. Als sie das untere Ende des Gepäckträgers über die hölzerne Kante der Altarplatte hakten, traten von dem Blut, das rasch zum Gehirn strömte, die Adern auf der zerfurchten Stirn des Wächters hervor.

Der Söldner blickte hinab auf den wehrlosen Körper. »Deine Seele mag zum Sterben bereit sein, Priester, aber in deinem Geist gibt es einen Teil, der es nicht ist.«

Der Mönch schien ihn nicht zu hören und fuhr mit seiner Litanei fort. »… fekadeke, bekeme besemay kemahu bemedir …«

»Du wirst mir sagen, was ich wissen muss.« Kimbabas Stimme war tief und selbstsicher.

Der Mönch hörte ihm nicht zu. »… keme nihneni nihidig leze’abese lene …«

Über so viel Entschlossenheit erstaunt, packte Kimbaba das fünfundzwanzig Zentimeter hohe Kreuz auf dem Altar und riss es aus seinem hölzernen Fundament, sodass das zugespitzte Ende, mit dem das Metall ins Holz getrieben worden war, zum Vorschein kam. Er legte das Kreuz dem Mönch in die Hand und schloss die dünnen, faltigen Finger darum.

»Lass es fallen, wenn du bereit bist zu reden«, wies er ihn an und häufte die Reste des zerrissenen gelben Gewands dem Mönch aufs Gesicht.

Zufrieden nickte er Masolo zu, der den Verschluss des grünen Metallkanisters öffnete und ihm diesen reichte. Ohne weitere Ankündigung hielt Kimbaba den Kanister über das stoffbedeckte Gesicht des Mönchs und goss einen Schwall Wasser über Mund und Nase. Nach einer kurzen Pause wiederholte er den Vorgang in Sekundenabständen.

Die warme, mit Rost gemischte Flüssigkeit durchdrang die Lumpen sofort, tränkte sie und rann dem Mönch übers Gesicht.

Der Wächter kniff fest den Mund zu, konnte aber nicht verhindern, dass seine Nasenlöcher sich rasch füllten. Als sich das Wasser hinten in der Kehle staute, öffnete er den Mund, um auszuspucken, was aber nur dazu führte, dass er sich mit der strömenden Flüssigkeit füllte. Nach Luft ringend, geriet er in Panik, sodass er den Atemreflex nicht mehr unterdrücken konnte. Als er die Kehle öffnete, um die dringend benötigte Luft einzusaugen, geriet ihm das Wasser in die Lungen.

Kimbaba wusste, dass der Alte das nicht lange durchhalten würde. Niemand hielt das lange durch. Das war auch der Grund, weshalb die CIA diese »erweiterte Verhörtechnik« allen anderen vorzog. Der Umstand, dass sie keine sichtbaren Spuren hinterließ, war ein zusätzlicher Pluspunkt. Kimbaba wusste außerdem, dass ein Durchgang gewöhnlich reichte. Er hatte in den Augen von Opfern die panische Verzweiflung gesehen, wenn die ältesten und primitivsten Triebzentren ihrer Gehirne das Kommando übernahmen und ums nackte Überleben kämpften.

Sollte der Mönch sich allerdings als stark erweisen, war Kimbaba bereit, es immer wieder zu tun, solange es nötig war. Die Lunge würde zwar Schaden nehmen, aber der Vorgang konnte quasi endlos wiederholt werden. Er hatte von Häftlingen in Guantanamo gehört, die Waterboarding bis zu zweihundertmal durchlitten hatten.

Als ihm das Wasser übers Gesicht lief, fing der Mönch an, sich heftig zu winden, und wollte seinen hageren Körper von dem Gestell losreißen.

Kimbaba musste lächeln. Es war ja so einfach.

Amüsiert hatte er zugesehen, als ein junger CIA-Mann im Fernsehen mit neutraler Stimme erklärt hatte, Waterboarding sei keine Folter, nicht einmal gefährlich. Es sei rein psychologisch, sagte der Agent – simuliertes Ertränken.

Kimbaba wusste es besser. Waterboarding simulierte überhaupt nichts. Es war richtiges Ertränken – kontrolliert, qualvoll und entsetzlich.

Der Mönch zappelte und hustete inzwischen immer panischer. Kimbaba schaute auf die dürren Hände des Alten und wartete darauf, dass er sich ergab und das Kreuz fallen ließ. Er packte es jedoch fester denn je mit seinen weißen Fingern.

Der massige Milizionär hielt einen Moment inne und gestattete dem Mönch, das faulige Wasser auszuhusten. Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und beugte sich tief über die verbundenen Augen des Wächters. »Wir können damit aufhören«, knurrte er. »Wo ist er?«

Der Mönch schüttelte den Kopf mit einer Entschlossenheit, die den Söldner erstaunte.

Kimbaba nahm den tropfnassen gelben Lumpen vom Gesicht des Wächters und rollte ihn zu einer nassen Kugel zusammen, die er ihm in den Mund stopfte, womit er das Atmen unmöglich machte.

Ohne weitere Warnung fuhr er fort, dem Mönch, wiederum in kurzen Schwallen, aber diesmal in schnellerer Folge, warmes Wasser übers Gesicht zu gießen.

Nach wenigen Sekunden begann der Mann sich zu winden. Zufrieden stellte Kimbaba fest, dass es diesmal echte Panik war, echte Verzweiflung. Der Mönch versuchte mit aller Kraft, sich loszureißen – das Geräusch des Gestells, das gegen den Boden schlug, hallte jetzt in dem steinernen Raum. Immer wilder kämpfte er gegen seine Fesseln an, und endlich sah Kimbaba, wie sich die faltige alte Hand für einen Sekundenbruchteil öffnete, bevor der Mönch seine gesamte verbliebene Kraft aufbot und das schwere silberne Kreuz neben sich auf die dunkelroten Bodenfliesen schleuderte. Der Laut donnerte durch den Raum, während der Mönch anfing, mit der Hand verzweifelt auf den Metallrahmen zu schlagen.

Mit einem Nicken hörte Kimbaba auf zu gießen und stellte den Kanister zu Boden. Er zog dem Mönch den getränkten gelben Lumpen aus dem Mund, bevor er ihm die Binde herunterriss, unter der die schreckgeweitet hervorquellenden Augen sichtbar wurden. Der Alte drehte den Kopf und erbrach Wasser, bevor er keuchend und nach Luft ringend zu seinem Folterer aufblickte.

Kimbaba legte ihm eine prankenartige Hand auf die bebende Schulter. »Du bist so weit.« Es war eine Feststellung, keine Frage.

Langsam, kaum merklich nickte der Wächter.

Kimbaba und Masolo traten zurück, hakten das untere Ende des Gestells vom Altar los und legten den Mönch wieder flach auf die Erde. Kimbaba hielt den Alten am Boden, indem er ihm seinen schweren Stiefel auf den schweißnassen Bauch stellte. Gespannt blickte er auf ihn hinab.

Der Wächter hustete im Bemühen, seine Lungen zu befreien. Er drehte den Kopf zur Seite und spie eine Mischung aus Schleim und Wasser aus. Kimbaba glaubte die Worte »Vergib mir« zu hören, aber zu spät bemerkte er, dass die knochige Hand des Mönchs nicht mehr an den Rahmen gefesselt war. Er hatte sie aus den nassen Stricken befreit, und in einer Bewegung, die schneller war, als Kimbaba es für möglich gehalten hätte, packte er das silberne Kreuz, das neben ihm auf der Erde lag.

Blitzend beschrieb das Kreuz einen Bogen durch die Luft.

Verblüfft grunzend versuchte Kimbaba es ihm aus der Hand zu treten, doch der Alte war zu schnell. Kimbabas Fuß trat vorbei, und ehe er ihm einen weiteren Tritt versetzen konnte, hatte der Mönch es sich tief in die triefende, magere Brust gestoßen.

Der dürre Leib bäumte sich auf und erstarrte, als die scharfe Spitze die schwachen Brustmuskeln durchbohrte und tief ins Herz drang. Ehe Kimbaba reagieren konnte, war der Alte mit starrem, leblosem Blick wieder zurückgesunken, und auf seiner durchbohrten Brust und unter ihm auf den warmen Fliesen breitete sich eine Pfütze aus rotem Blut aus.

Mit einem Tritt schleuderte Kimbaba das Gestell mit dem immer noch daran gefesselten Mönch laut fluchend über den nassen Fußboden.

Im Alter von sechs Jahren hatte er in dem namenlosen Slum, in dem er aufwuchs, seinen ersten Ermordeten gesehen. Mit acht hatte er in den übel riechenden Gassen von Kinshasa seinen ersten Mann niedergeschossen. Seitdem hatte er so viel und so oft getötet, dass er nicht einmal mehr von den Gesichtern seiner Opfer träumte.

Der vorzeitige Tod des Mönchs scherte ihn nicht – aber dass der Alte nicht mehr reden konnte, war eine Komplikation, die er nicht eingeplant hatte.

»Sucht ihn!«, blaffte er wütend die schweißglänzenden Männer an, die um die Leiche herumstanden.

Sofort schwärmten sie aus und fingen an, den Raum fachmännisch auf den Kopf zu stellen. Masolo riss das Tuch vom Altar, ein anderer drehte die Matratze und die Laken des Mönchs um und verstreute seine wenigen schlichten Habseligkeiten.

Bald war klar, dass hier nichts zu finden war. Der Raum war weitgehend leer.

»Runterreißen«, rief Kimbaba. Seine Frustration kochte über, während er auf die schweren bestickten Behänge zeigte, die die Wände schmückten. »Er war hier.«

Während die Männer begannen, die schweren, staubigen Stoffe von den Wänden zu reißen, packte Masolo hinter dem Altar ein Seidentuch. Die einst leuchtenden Farben des Gewebes waren schon lange verblichen, und es starrte vor Staub und Schmutz, doch noch immer war es ein eindrucksvolles Stück Tuch, auf dem Reihen stilisierter Figuren in reichen äthiopischen Kirchengewändern abgebildet waren.

Der schwere Seidenstoff fiel zu Boden, und in der Wand dahinter wurde eine breite Nische sichtbar. Masolo untersuchte die Einbuchtung sorgfältig und entdeckte im Finstern einen kleinen Hebel. Als er die Hand danach ausstreckte und ihn drückte, öffnete sich eine kaum sichtbare, schmale Tür.

»Hier!«, rief er, stieß die Tür weit auf, und zum Vorschein kam eine schmale Treppe, die von Kerzen beleuchtet wurde.

Kimbaba drängte sich ungeduldig an ihm vorbei, sodass Masolo und die anderen ihm die ausgetretenen Stufen hinab folgen mussten.

Am Boden der Treppe bekam Kimbaba endlich das zu sehen, um dessentwillen sie gekommen waren.

Es stand mitten in der fensterlosen steinernen Krypta. Um es herum hatte der Wächter Hunderte von flackernden weißen Kerzen sowie Dutzende von verschiedenartigen Öllampen aufgestellt. Ihre tanzenden Lichter spiegelten sich tausendfach in seiner unregelmäßigen goldenen Oberfläche und warfen seltsame Muster auf die golddurchwirkten Behänge, die lückenlos die Wände bedeckten.

Während Kimbaba sich an dem Anblick weidete, fingen seine Augen an zu brennen. Die Luft war stickig, schwer vom bittersüßen Qualm von brennendem Weihrauch und Adlerholz aus vier verzierten Feuerschalen, eine auf jeder Seite des Objekts.

Kimbaba drehte sich um und nickte seinen Männern zu. Sie wussten, was zu tun war.

Ungeschickt machten sie sich daran, sich einen Weg zu dem Objekt zu bahnen. Planlos schoben sie die Kerzen und Lampen aus dem Weg und verschütteten heißes Wachs und warmes Öl auf dem Gewebe der fadenscheinigen Wandteppiche. Augenblicklich wurde die Luft noch schwerer und stechender, als die beißenden Dämpfe der fettigen Kerzendochte sich mit dem schweren Weihrauch mischten.

Als das Objekt freigelegt war, konnte Kimbaba sehen, dass unten an beiden Seiten Tragestangen angebracht waren.

Er gab den vier Männern ein Zeichen, je eine Stange zu nehmen und ihm zu folgen.

Er hatte keine Ahnung, wen die C-4-Explosionen alarmiert haben könnten. Nun, da er hatte, wofür er gekommen war, wollte er so schnell wie möglich von hier weg.

Den Gesichtern der Männer war die Anstrengung anzusehen, als sie das Objekt anhoben. Es war aus schwerem Holz gemacht, dessen gesamte Oberfläche mit gehämmertem Gold bedeckt war. Zwei goldene Statuetten an der Spitze machten es noch schwerer.

Mit großer Mühe trugen sie es über die Stufen hinauf ans anbrechende Tageslicht. Ihre Körper glänzten vor Schweiß.

Kimbaba verriegelte die schweren Holztüren des Gebäudes, während die Männer ihre Beute vorsichtig in den ersten Land Cruiser luden und sie mit einer schmutzigen Plane abdeckten, um sie vor Blicken zu schützen.

Kimbaba knallte die Hecktür zu, und die Männer bestiegen rasch die beiden Fahrzeuge. Nun, da ihr Auftrag erledigt war, fuhren sie schnell aus der Stadt zum Treffpunkt am Flugplatz.

Im Innern der Krypta schloss eine umgeworfene Kerze Kontakt mit einer Ölpfütze aus einer umgefallenen Lampe. Die Flammen griffen rasch über, tanzten über den Boden und fraßen sich durch ein Gemisch aus Öl und trockenem Teppichstoff.

2

U.S. Central Command (USCENTCOM), Camp as-Sayliyah, Emirat Katar, Persischer Golf

»Wissen Sie, was mein größtes Problem ist, Dr. Curzon?« General Hunter drehte sich ruhig zu Ava um. Er sprach bedächtig, aber mit Autorität und mit einem deutlichen Alabama-Akzent, der zu seiner mächtigen Gestalt passte.

Ava hatte keine blasse Ahnung. Das Adrenalin, das ihr durch die Adern strömte, trug auch nicht zu ihrer Konzentrationsfähigkeit bei. Sie schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht einmal, wieso sie hier war, und war immer noch völlig durcheinander.

Den Tag hatte sie in der behaglichen Stille des Nationalmuseums von Bagdad begonnen, wo ihr vollgestopftes Büro einer der wenigen Bereiche zwischen den geschlossenen, staubbedeckten Ausstellungssälen war, in denen ständig etwas passierte. Sie hatte gerade aus ihrem großen Fenster den wuchtigen Eingang des Museums – eine Kopie des berühmten antiken Ischtar-Tors von Babylon – betrachtet, als zwei uniformierte und bewaffnete Soldaten des U.S. Marine Corps unangemeldet an ihrer Tür erschienen waren.

Ohne ihr eine Wahl zu lassen, hatten sie sie zu ihrem gepanzerten Humvee gebracht und sie durch die Beton-Schutzmauer und den NATO-Drahtverhau um die internationale Grüne Zone und weiter zum Gelände der ehemaligen Forward Operating Base Prosperity – dem Ultra-Hochsicherheits-Camp des US-Militärs – gefahren.

Jedermann in Bagdad hatte schon von der Prosperity gehört. Sie war einer von Saddams vergoldeten Marmorpalästen gewesen, ehe das US-Militär sie zu ihrem Befehls- und Kontrollzentrum in Bagdad erkoren hatte. Als die Army abgezogen war, war der Bau zum Zuhause des US-Außenministeriums geworden und nach wie vor ein bedeutender Stützpunkt.

Ava war noch nie durch die gestaffelten Sperren und mehrfachen Sicherheitschecks gefahren – und schon gar nicht unter bewaffneter Begleitung und ohne jede Erklärung.

Bei Ankunft an der Sperre zur Ultra-Sicherheitszone hatten ihre Begleiter einen Pass vorgewiesen, auf dem ein weißes A auf blauem Grund in einem roten Kreis und das Wort ARCENT prangten. Trotz der langen Fahrzeugschlange vor der Einfahrt winkten die Wachsoldaten sie nach einem Blick sofort durch.

In der schwer befestigten Basis angekommen, brachte ihr Begleiter sie direkt zu dem belebten Hubschrauberlandeplatz und setzte sie in einen US-101 in Wüstentarnung, der in Richtung Süden abflog.

Auf ihre wiederholten Fragen erfuhr sie wenig mehr, als dass ihre sofortige Anwesenheit im US-Hauptquartier in Katar, siebenhundert Meilen in südlicher Richtung im türkisfarbenen Persischen Golf, erforderlich sei.

Nach einem unbequemen Viereinhalb-Stunden-Flug war der Pilot endlich über Katar heruntergegangen und hatte die Skyline von Doha mit ihren Moscheen und Minaretten überflogen, bevor er im Südwesten der Stadt in der wüstenartigen Mondlandschaft von Camp as-Sayliyah, der US-Einsatzzentrale im Persischen Golf, aufsetzte.

Als sie aus dem Hubschrauber stieg, hüllte sie augenblicklich die erstickende Backofenhitze der Wüstenluft ein. Es war viel heißer als in Bagdad – fünfzig Grad im Schatten, wenn man der Bodencrew glauben durfte. Wobei nirgendwo Schatten zu sehen war. Im Umkreis von Meilen gab es hier kein Leben.

Der Ganzkörper-Röntgen-Check an der Kontrolle dauerte nur kurz. Sie wurde von den Wachsoldaten, die sie bewundernd musterten, als sie ihr ihren Ausweis aushändigten, im Schnellverfahren durchgeschleust. Vermutlich bekamen sie nicht viele Frauen zu sehen, die etwas anderes trugen als die ortsübliche flatternde schwarze abaya, gewöhnlich zusammen mit einem niqab-Schleier, der das gesamte Gesicht bis auf die Augen verhüllte.

Mit ihren gold gesprenkelten Augen und den langen dunklen Haaren hätte sie als Einheimische durchgehen können, wenn nicht das offene Freizeithemd, die Kampfstiefel und der offene Pferdeschwanz sie sofort als Abendländerin verraten hätten.

Jetzt, keine zehn Minuten nach der Landung, saß sie an einem nackten Eichentisch im voll klimatisierten strategischen Nervenzentrum der US-Kampfeinsätze im Nahen Osten.

Sie war noch nie in einem Kontrollraum des US-Militärs gewesen.

Ein Wachsoldat an der Rezeption hatte sie auf die Etage eines Hangars gebracht, auf der sich Gruppen von Soldaten in kaki- und sandfarbenen Uniformen um Arbeitsstationen und Reihen von Wandmonitoren drängten. Er hatte sie direkt zur ›Briefing Zone‹ in einer schalldichten Glasbox in der Mitte geführt, von der aus sie nun die Aktivitäten beobachtete, die sich rings um sie her auf der Etage entfalteten.

Mit den Holzregalen und Tischen in ihrem stillen Büro, auf denen sich Bücher, Kataloge und Museumsobjekte türmten, hatte das alles nicht das Geringste zu tun.

Ihr gegenüber am Tisch wurde General Hunter von einem Mann und einer Frau in Zivil flankiert. Vor allen dreien lagen dünne braune Mappen, auf denen der Stempel mit der blauen brennenden Fackel und dem von Elektronenringen umkreisten Erdball der U.S. Defense Intelligence Agency – des militärischen Nachrichtendienstes der USA – prangte.

Ava fühlte sich deutlich im Nachteil. Zu einem Kaffee oder zum Frischmachen war nach dem Aussteigen aus dem Hubschrauber keine Zeit gewesen. Und man hatte ihr keine Gelegenheit gegeben, sich auf das vorzubereiten, worüber man mit ihr sprechen wollte.

General Hunter schaute sie mit einem ehrfürchtigen Ausdruck in den blassgrauen Augen an. »Was Sie hier sehen, Dr. Curzon«, er wies durch die Glaswand auf einen Monitor im Hauptraum, auf dem eine Reihe blauer und grüner Zahlen aufleuchtete, deren Werte sekündlich stiegen und fielen, »ist der NYMEX-Kurs für das nach Cushing, Oklahoma, gelieferte WTI-Light-Sweet-Crude-Erdöl.« Er machte eine Pause. »Für Sie und mich ist das der Preis, den die Welt für Benzin bezahlt.«

Ava blickte genauer hin. Die Zahl schwankte um circa einhundertfünf Dollar pro Barrel.

Als sie sich wieder im Raum umschaute, fiel ihr auf, dass General Hunters Kampfuniform mit dem Wüstentarnmuster ebenso sonnengebleicht und verschlissen war wie die beiden verblassten Sterne auf seinen Schultern. Das wunderte sie nicht – er war gewiss kein Etappenhengst, sondern machte den Eindruck eines Frontkommandanten.

Er fuhr fort, offensichtlich bemüht, ihr alles verständlich zu erklären. »Bevor wir 2003 mit der Operation Iraqui Freedom begannen, stand er bei etwa zwanzig pro Barrel. Mitte 2008 waren es hundertsechsundvierzig, Anfang letzten Jahres waren es hundertzehn. Jetzt liegt er eine Spur niedriger. Aber wer weiß, wo er hingeht. Er hat seinen eigenen Willen, der nichts mehr mit irgendetwas Realem zu tun hat. Bei der andauernden Instabilität in der Region könnte der Wert jederzeit ausreißen und die Zweihunderter-Marke durchbrechen.« Er schaute sie feierlich an. »Jeder Unternehmer und Fahrzeughalter auf der Welt bekommt die Auswirkungen dessen zu spüren, was wir hier tun.«

Ava hatte keine Ahnung, wohin diese Unterhaltung führen sollte. Sie war keine Expertin für petrochemische Wirtschaft.

»Und«, mit einer Grimasse zeigte er auf eine weiße Tafel, die durch das Glas im Kontrollraum zu sehen war, »das ist die Realität, die keiner sehen will. Ich achte darauf, dass sie die ganze Zeit über aktualisiert und hier gezeigt wird.«

Sie las die handschriftlichen Zeilen:

Aufständische Kräfte

Irakische Sunniten

65.000

50 %

Irakische Islamisten

32.500

25 %

Irakische Schia

29.900

23 %

Al-Kaida & Dschihadisten

2.600

2 %

Insgesamt

130.000

Sie begann sich extrem unbehaglich zu fühlen. Sie wusste eine riesige Menge über den Irak, aber das hier war überhaupt nicht ihr Gebiet – sie war keine militärische Analytikerin.

Ein Soldat betrat die Glasbox leise und ohne anzuklopfen. Er hatte den vorschriftsmäßigen Bürstenschnitt und die gleiche Wüstenkampfuniform wie Hunter. Auf seinem Ärmel waren die Rangabzeichen eines Master Sergeant zu sehen. Er blieb stehen und flüsterte Hunter etwas ins Ohr, dann ging er, ohne auf eine Antwort zu warten.

Hunter spitzte die Lippen, bevor er sich an die Frau wandte, die rechts neben ihm saß. Sie trug ein hübsches hellgraues Kostüm und hatte lange, leicht gewellte rotbraune Haare, die zu einem strengen Knoten gebunden waren.

»Auf der falschen Seite des schatt al-arab wurden sieben Schnellboote der Revolutionsgarden gesichtet, Auftrag unbekannt.« Er sprach leise, aber entschlossen. »Wenn wir hier fertig sind, will ich, dass sofort eine schnelle Eingreiftruppe zusammengestellt wird.«

»Washington wird davon wissen wollen«, antwortete die Frau und tippte hastig etwas in ihren Blackberry.

Er nickte knapp.

Avas bemächtigte sich rasch das Gefühl, sie werde hier gerade in etwas von höchster strategischer Bedeutung verwickelt – sie bezweifelte, dass General Hunter Zeit für reine Höflichkeitstreffs hatte. Wenn sie sich jedoch in dem Raum umschaute, hatte sie keine Ahnung, wie ihre Fähigkeiten hier hereinpassen sollten.

Der General neigte seine bullige Gestalt in ihre Richtung. Sie konnte sehen, wieso er zur Spitze aufgestiegen war. Er strömte Autorität aus. »Dr. Curzon, nichts von alledem ist als solches mein größtes Problem. Die wirklichen Kopfschmerzen bereitet mir, dass bei jedem Einzelnen hier – Öl, Aufständische, Grenzstreitigkeiten, um nur einige zu nennen – ein völlig unwägbarer Faktor eine Rolle spielt.« Er stockte und schaute sie grimmig an, bevor er mit vier Worten die eigene Frage beantwortete. »Die Islamische Republik Iran.«

Ava kam zu dem Schluss, dass es an der Zeit war, etwas zu sagen, bevor die Situation sich weiterentwickelte. Es war eindeutig, dass hier irgendwie ein schwerer Fehler unterlaufen war.

Sie schaute den General bedauernd an. »General, wenn ich offen sprechen darf, ich glaube, Sie könnten an die falsche Person geraten sein. Ich denke nicht …«

Er brachte sie mit einem abschätzigen Wink seiner mächtigen Hand zum Schweigen. »Dr. Curzon, wir wissen, dass das nicht Ihr Fachgebiet ist. Sie sind Archäologin. Deshalb sind Sie hier.«

Ava hörte die Worte, aber noch immer hatte sie das Gefühl, hier liege ein fundamentaler Irrtum vor. »General, ich bin im Augenblick mit keinerlei Feldforschung beschäftigt. Ich bin lediglich …«

Hunter unterbrach sie. »Okay. Legen wir also los. Beginnen wir mit Ihrer Erfahrung. Wir wären dankbar für einen kurzen Abriss Ihres Lebenslaufs.«

Auch wenn sie immer noch keinen Schimmer hatte, wie sie in die militärische Hightech-Welt General Hunters passte, atmete sie ein wenig auf. Das war keine schwierige Frage.

»Ich bin Spezialistin für das Altertum im Nahen Osten«, setzte sie an. »Ich habe in Oxford, Kairo und Harvard Archäologie und alte Sprachen des Nahen Ostens studiert. 2005 kam ich in die Nahost-Abteilung des Britischen Museums. Mitte 2007 wurde ich ans Archäologische Nationalmuseum in Amman in Jordanien abgestellt. 2009 wurde ich aufgrund meiner Ortskenntnisse im Feld eingeladen, die Einsatzgruppe der UNESCO zu leiten, um Zehntausende von Kunstgegenständen aufzuspüren, die während des Krieges aus dem irakischen Nationalmuseum geraubt worden waren.«

Sie brach ab und schaute zu Hunter hinüber, um zu sehen, ob er weitere Einzelheiten wissen wollte.

»Bagdad ist ein gefährlicher Ort für Zivilisten, die außerhalb der Green Zone arbeiten.«

Die unerwartete Bemerkung kam von dem athletischen Mann zu Hunters Linken. Er sprach mit britischem Akzent. Auch wenn er keine Uniform trug, wirkte er wettergegerbt und braun gebrannt wie von einem aktiven Leben im Freien. Sie schätzte ihn auf Mitte dreißig. Sie warf einen Blick auf den Ausweis, den er um den Hals hängen hatte. Die Aufschrift lautete schlicht DAVID FERGUSON, ohne weitere Einzelheiten.

Fergusons Unterbrechung war eine Feststellung gewesen, keine Frage. Er musterte sie jetzt eindringlich, ganz ohne Hunters Liebenswürdigkeit. Sie erwiderte seinen Blick und fragte sich, was er wohl dachte. Sein Ausdruck verriet ihr jedoch nichts.

Sie überging die Bemerkung und wandte sich wieder an Hunter. »Meine Aufgabe ist es, die Wiederbeschaffung der dezimierten Bestände des Museums anzuführen. Das wird Jahrzehnte brauchen. Wir haben geplünderte Kunstobjekte schon bis nach Peru verfolgt.«

Hunters Ausdruck veränderte sich. Einen Sekundenbruchteil lang glaubte sie, ein Aufblitzen von Reue zu sehen, dann war es weg. »Da haben wir Mist gebaut, Dr. Curzon. Das wissen wir inzwischen. Das Oberkommando hat einfach nicht gewürdigt, wie wichtig das Museum war.«

»Ja, das kann man wohl sagen«, antwortete sie in kurz aufwallendem Zorn. »Sie hatten einfach andere Prioritäten.« Ihr Blick huschte zu dem Bildschirm, der in Echtzeit den Ölpreis anzeigte.

Sie wusste, dass Wochen vor Beginn der Feindseligkeiten die Angriffstruppen der Koalition über diplomatische Kanäle gebeten worden waren, das Museum und seine einzigartigen Bestände zu beschützen. Sie wusste das, weil sie damit beauftragt gewesen war, eine Informationsbroschüre für das militärische Oberkommando zusammenzustellen. Darin hatte sie haarklein erklärt, wie unschätzbar, einzigartig und unersetzlich die Sammlung war – für die Bestandsaufnahme der menschlichen Geschichte ebenso bedeutend wie die Schätze des Britischen Museums, des Vatikans und des Louvre.

Im April 2003, als in Bagdads al-Karkh-Viertel rund um den Museumskomplex und den benachbarten Standort der Republikanischen Spezialgarde die Straßenschlacht unter Artillerieeinsatz tobte, wurden die Appelle um die Sicherheit des Museums ignoriert. Unbewacht und schutzlos, verschwanden Zehntausende seiner unschätzbaren Objekte in der dunklen irakischen Nacht. Manche wanderten in Taschen und unter flatternde dishdashas, während andere auf die Ladepritschen von geliehenen oder gestohlenen Lastwagen geschnallt wurden.

Die internationale Presse begann rasch über die beispiellose Schändung des Welterbes zu berichten. Über einhundertsiebzigtausend der frühesten Zeugnisse der Menschheit an Schriften, Literatur, Mathematik, Wissenschaft, Bildhauerei und Kunst waren verloren – gestohlen, zerstört oder verschollen.

Zehn Jahre danach machte es sie immer noch fuchsteufelswild. Es war eine völlig vermeidbare Katastrophe gewesen. Aber aus welchem Grund auch immer hatte der militärische Stab der Koalition die Einsatzentscheidung getroffen, das Museum zu opfern. Sie fand keine Worte, um auszudrücken, wie wütend sie das machte.

Ferguson unterbrach sie in ihren Gedanken. »Sie erzählten uns gerade von Ihren Erfahrungen.«

Sie nickte und konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. »Meine Veröffentlichungen beziehen sich hauptsächlich auf die Länder in diesem fruchtbaren Landstrich. Mein Fachgebiet ist die Bronzezeit.« Sie lächelte. »Für die meisten Menschen heißt das, ich betreibe Archäologie der alttestamentarischen Periode.«

Ferguson schaute von seiner Akte auf und sah ihr in die Augen. »Es heißt hier, Sie hatten Anpassungsprobleme in der Schule.«

Hatte sie richtig gehört?Was für eine Frage war das denn? Sie hatte angenommen, sie sei hier, um zu helfen, nicht um sich beleidigen zu lassen.

Sie schaute nach den Akten, in denen die drei blätterten. Waren das Personalakten? Über sie? Sie erwiderte seinen Blick.

War das eine Art Test?

Er fuhr fort. »Und dass Sie mit sechzehn aus Ihrem Internat in England geflüchtet sind. Sie fanden ein afrikanisches Touristikunternehmen auf der Earls Court Road in London, wo Sie mit Ihren Kenntnissen ostafrikanischer Sprachen einen solchen Eindruck machten, dass man Sie als Reiseleiterin für eine Kreuzfahrt durch den Sudan von Sannar bis zum Blauen Nil einstellte. Nachdem Sie dort gelandet waren und Ihren Job erledigt hatten, schlugen Sie sich quer durch das Land nach Äthiopien zu Ihrer Familie in Addis Abeba durch, wo Ihr Vater viele Jahre lang der britischen Botschaft angehörte.« Er hob den Blick. »Das ist sehr beeindruckend. Und Sie sind sich sicher, dass es keine Verschwendung ist, akademisch zu arbeiten?«

Ava spürte, wie ihr Blut in Wallung geriet. Versuchte er etwa absichtlich, sie zu provozieren?

Hunter mischte sich mit einem leichten Lächeln ein. »Dr. Curzon, lassen Sie mich Ihnen versichern, dass Sie hier unter Freunden sind.« Er tippte auf die DIA-Akte. »Wir wissen, dass Sie in die Fußstapfen Ihres Vaters traten und dass Sie nach Ihrem Abschluss eine Reihe von Jahren für den britischen Geheimdienst MI6 gearbeitet haben.«

Ava spürte, wie die Spannung im Raum anstieg. War es etwa das, worum es hier ging?

»Darüber darf ich nicht sprechen«, antwortete sie. Trotz der unliebsamen Erinnerungen blieb ihre Stimme ruhig. »Und ich möchte es auch nicht.«

Eine unbehagliche Stille trat ein.

»Sie gehörten zur Spitze Ihres Jahrgangs.« Das war wieder Ferguson. »Ich sehe hier, Sie waren die erste MI6-Agentin überhaupt, die im Einsatzgebiet an einer Operation der Spezialabteilung Increment teilnahm. Auch das ist sehr beeindruckend.« Seinem Gesicht war echte Neugierde abzulesen. »Warum haben Sie gekündigt?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wie gesagt, darüber darf ich nicht sprechen. Sagen wir einfach, ich hatte genug.« Das war mehr, als sie sagen wollte, aber es war die Wahrheit.

»Sie sind demnach zu Ihrer ersten Liebe zurückgekehrt«, fuhr er fort. »Zur Archäologie?«

Sie nickte.

Die Frau links neben Hunter räusperte sich. Als Ava sie anschaute, merkte sie zum ersten Mal, wie groß sie war, selbst im Sitzen.

»Dr. Curzon, mein Name ist Anna Prince«, begann die Frau. »Ich arbeite bei der US Defense Intelligence Agency in Washington. Wir möchten, dass Sie einen Blick hierauf werfen.« Sie sprach mit einem Ostküstenakzent – ruhig und akzentuiert.

Das Licht über ihnen wurde schwächer, und der unförmige Projektor mitten auf dem Tisch erwachte brummend zum Leben und warf einen staubigen Tunnel aus Licht auf die Wand gegenüber.

Das projizierte Bild zeigte eine goldene Kiste etwa in der Größe eines Reisekoffers.

Ava betrachtete sie mit beruflichem Interesse, brauchte aber nur Millisekunden, um sie zu erkennen.

»Das ist ein Modell der Bundeslade«, sagte sie. Es kam ihr ein wenig absurd vor. Sie war doch nicht zum größten amerikanischen Militärstützpunkt außerhalb der USA geflogen worden, nur um ihnen das zu sagen. Die meisten der GIs innerhalb des mit NATO-Draht gesicherten Geländes hätten ihnen das auch sagen können.

»Was können Sie uns darüber erzählen?«, fragte Prince.

Ava schaute sich das Bild genauer an. »Es ist die Fotografie eines Modells – die Vorstellung eines Künstlers, wie die Bundeslade ausgesehen haben könnte.«

»Wieso nur eine Vorstellung?«, fragte Hunter stirnrunzelnd. »Wie sieht denn die wirkliche aus?«

Ava schüttelte den Kopf. »Das weiß niemand. Es gibt keine Schnitzereien, Skulpturen oder Gemälde davon. Alle Rekonstruktionen sind lediglich fundierte Vermutungen, gestützt auf eine knappe Beschreibung in der Bibel.«

»Was können Sie uns über dieses spezielle Modell sagen?«, fragte Prince. »Gibt es irgendetwas, das ins Auge sticht?«

Ava blickte wieder zu dem leuchtenden Bild an der Wand. »Die Größe ist schwer abzuschätzen, aber es sieht vielleicht ein wenig größer aus als normal. Auch ungewöhnlicher. Die meisten der heutigen Modelle sind sich weitgehend gleich, aber eines wie dieses habe ich noch nicht gesehen.« Sie griff nach dem Laserpointer auf dem Tisch. »Darf ich?«

Hunter nickte.

Ava richtete den Lichtstrahl auf die beiden geflügelten Figuren, die den goldenen Deckel der Lade beherrschten.

»Aus künstlerischer Sicht hat dieses Modell ein paar einzigartige Merkmale. Zum Beispiel sind die Engel auf dem Deckel, Cherubim genannt, untypisch. Die Fotografie ist nicht gut, und ich kann sie nicht deutlich sehen, weil ihre Flügel im Weg sind, aber es sieht so aus, als gäbe es eine Andeutung von etwas Ägyptischem.«

»Ägyptisch?«, fragte Prince stirnrunzelnd. »Und was heißt das?«

»Das heißt«, antwortete Ava, »dass der Künstler ein Mann mit klaren Vorstellungen ist und nicht jemand, der nur wie ein Schaf der Herde folgt. Meistens werden die Cherubim als christliche Engel dargestellt – wie auf Weihnachtskarten oder auf Kirchenfenstern. Aber natürlich bauten die Israeliten der Legende nach die Lade in der Wüste nach ihrer Heimkehr aus hundert Jahren Sklaverei in Ägypten. Es wäre daher logisch, dass die Lade ägyptische Einflüsse aufweist – besonders da, wie viele Experten glauben, die alten Israeliten nicht über einen eigenen Kunststil verfügten.«

Sie legte den Laserpointer nieder.

»Legende?«, fragte Prince. Wenn Ava es nicht falsch interpretierte, lag eine Spur von Verwunderung in ihrer Stimme. »Sie meinen, der Exodus, als die Israeliten in die Wüste zogen und die Lade bauten, sei eine Legende?«

Ava nickte. Das war für viele Menschen ein heikles Thema.

»Tatsache ist«, antwortete sie, »dass niemand etwas Genaues weiß. Die große Mehrheit der Ereignisse in der Bibel wird von unabhängigen Texten oder archäologischen Funden nicht untermauert. Die Gelehrten sind sich uneins darüber, ob die Abenteuer der alten Israeliten, die in der Bibel aufgezeichnet sind, wirklich stattgefunden haben – ob Gestalten wie Abraham, Moses, David oder Salomon so existierten, wie sie geschildert werden, oder ob es sie überhaupt je gab. Selbst König Salomons Tempel wird nicht allgemein anerkannt, da nie ein Beleg für ihn gefunden wurde.«

»Die Geschichten aus der Bibel sind nie geschehen?«, fragte Hunter, der seine Neugierde nicht verhehlen konnte.

»Nicht unbedingt«, antwortete Ava. »Jede Geschichte könnte das Spurenelement eines Ereignisses aus der alten Geschichte enthalten, das mit der Zeit jedoch so mit Heldensagen und Übernatürlichem überwuchert und durchsetzt wurde, dass es nicht mehr erkennbar ist. Dasselbe findet man bei den nordischen Mythen, den Abenteuern der griechischen und römischen Heroen und Halbgötter, dem indischen Mahabharata und sogar bei Sagen wie den Geschichten um König Arthur und seine Ritter der Tafelrunde.«

Hunter zog eine Augenbraue hoch. »Fein, Dr. Curzon, Sie enttäuschen uns nicht. Sie benennen die Sache so, wie Sie sie sehen.« Er musterte sie eindringlich. »Das gefällt mir.«

»Aber die Bundeslade hat doch sicher existiert?«, hakte Prince nach.

Ava zögerte. Der Knackpunkt war, bei jedem Publikum die richtige Balance zu finden. Ihrer Erfahrung nach erwiesen sich Diskussionen um die Bibel im Kontext von Forschung und Wissenschaft oft als explosiv.

»Für Menschen, die an die Bibel glauben …«, setzte sie an, doch Hunter schnitt ihr das Wort ab.

»Schon gut«, unterbrach er sie, »sagen Sie es uns ohne Umschweife.«

Ava nickte. »Die Lade wird in der Bibel an vielen Stellen bezeugt. Meiner Ansicht nach hat sie, oder etwas ganz Ähnliches, fast mit Gewissheit existiert. Aber wir können nicht sicher wissen, wie, wann oder wo sie geschaffen wurde oder zu welchem Zweck.«

Alle am Tisch hörten gespannt zu. Prince machte sich genaue Notizen.

»Was hat sie bewirkt?«, fragte Hunter, der mit den Fingern nachdenklich auf dem Tisch trommelte. »Ich meine, wozu diente sie?«

»Auch da haben wir nur die Bibel als Orientierung«, antwortete Ava. »Das Buch Exodus sagt aus, die Israeliten benutzten die Lade als Panzerschrank, in dem die Tafeln mit den Zehn Geboten herumgetragen wurden. Außerdem stellten sie einen Topf mit Manna hinein, der wundersamen Speise, die beim Zug durch die Wüste vom Himmel fiel. In einem anderen Teil der Bibel steht, dass sie auch die zeremonielle Ausstattung von Moses’ Bruder Aaron, des ersten Hohepriesters, enthielt.« Ava machte eine Pause. »Im Wesentlichen war es die Schatzkiste des Stammes, eine Truhe, die die Schlüsselsymbole seiner kulturellen Identität enthielt.«

»Weiter nichts?«, fragte Ferguson. »Wieso war sie dann so heilig, wenn es sich nur um eine verzierte Transportkiste handelte?«

Ava nickte. »Da ist noch mehr. Der Deckel wurde Gnadenthron genannt. Jahwe, der Gott der Israeliten, sagte ihnen, dort, zwischen den Cherubim, würde er ihnen begegnen, um ihnen seine Befehle zu geben. Aus diesem Grund glaubte man, sie besitze göttliche Macht, und deshalb trugen die Israeliten sie mit sich in die Schlacht.« Ava stockte. »Als göttlicher Gegenstand wurde der Zutritt zu ihr streng kontrolliert. Der Bibel zufolge tötete Jahwe einmal fünfzigtausendundsiebzig Menschen, nur weil sie sie angesehen hatten.«

Prince rutschte auf ihrem Sitz herum.

»Und sie wurde in König Salomons Tempel aufbewahrt, richtig?«, fragte Hunter nach einer Pause.

»Später.« Ava nickte. »Wenn die Bibel recht hat, wurde sie um 1290 vor Christus gebaut. Anfangs bewahrten sie die herumziehenden Israeliten in einem Zelt, Tabernakel genannt, auf, das sie aufrichteten, wann immer sie irgendwo eine Weile blieben. Nachdem König David jedoch Jerusalem erobert hatte und die Israeliten kein nomadischer Stamm mehr waren, errichtete sein Sohn Salomon um 957 nach Christus den ersten festen Tempel und stellte die Bundeslade als den allerheiligsten Schatz darin auf.«

»Was ist dann passiert?«, fragte Prince. »Was ist daraus geworden?«

Ava trank einen Schluck von dem Wasser, das Hunter ihr reichte. »Die Lade verschwand 597 vor Christus aus den Seiten der Geschichte, als die Heere König Nebukadnezars von Babylon in einem der verheerendsten Ereignisse, die die Israeliten je trafen, Jerusalem bis auf die Grundmauern schleiften.«

»Babylon?« Prince runzelte die Stirn. »Lag das nicht in Mesopotamien oder irgendwo dort in der Nähe?«

»Mesopotamien ist der moderne Irak«, bestätigte Ava. »Babylon liegt etwa fünfzig Meilen südlich von Bagdad.«

Schweigen senkte sich über den Tisch.

Ava hatte keine Ahnung, was sie gerade gesagt hatte oder wieso die drei sie so anstarrten.

Als Nächstes sprach Hunter, diesmal langsam und wohlüberlegt; er legte die Stirn in Falten, als er behutsam die Frage an sie richtete.

»Sie sagen uns also, Dr. Curzon, dass vor langer Zeit irgendein irakischer Warlord Jerusalem dem Erdboden gleichmachte und den Israeliten ihren allerheiligsten religiösen Gegenstand wegnahm – den Thron ihres Gottes?«

Es wurde immer unangenehmer, nicht zu wissen, worum es hier ging. »Die Bibel sagt, dass Nebukadnezar Jerusalem dem Erdboden gleichmachte und alle bis auf die Ärmsten aus dem Königreich Juda im Süden mit sich nahm. Er ließ sie nach Babylon bringen, wo sie ungestört lebten, jedoch im Exil. Bevor er ging, brannte er den Tempel von Jerusalem nieder und schmolz dessen große Säulen sowie andere Bronzeobjekte ein und ließ die ganze Beute nach Babylon abtransportieren. Was mit der Lade geschah, wird nicht eigens berichtet, doch Nebukadnezar plünderte alles, was von monetärem oder propagandistischem Wert war – und die Lade muss ganz oben auf seiner Liste gestanden haben.« Sie trank noch einen Schluck Wasser. »Es existieren jedoch auch andere Legenden. Dem widersprechende. Etwa dass die Lade im Tempel von Jerusalem auf einer mechanischen Vorrichtung gelagert wurde, mithilfe derer man sie in ein unterirdisches Tunnelsystem absenken konnte, falls je eine Gefahr drohen sollte.«

Eine weitere lange Pause trat ein. Eine viel zu lange Pause. Es war Ava deutlich bewusst, dass die Atmosphäre im Raum mit jeder Minute spannungsgeladener wurde.

»Gestatten Sie mir eine Frage«, wandte sie sich an Hunter. »Wieso sind Sie an der Geschichte der Lade und an diesem Modell dermaßen interessiert?«

Hunter spitzte die Lippen und verschränkte die Finger ineinander. Er schaute sie mit seinen grauen Augen an, holte tief Luft und rückte auf seinem Stuhl nach vorn. »Sagen wir, das hat jetzt militärische Priorität und ist etwas, worüber wir ganz schnell Informationen brauchen.«

Ava spürte, dass ihre Hände feucht wurden. Hatte sie richtig gehört? Unter dem Tisch ballte sie die Hände zu Fäusten und grub die Nägel in die Handflächen. Ihre Stimme hörte sie wie von fern. »Woher stammt dieses Modell?«

Hunter schaute zu Prince hinüber. Nach einer Pause nickte die hochgewachsene Frau langsam.

Er wandte sich wieder Ava zu und legte seine riesigen Hände flach vor sich auf den Tisch. »Dr. Curzon, das ist kein Modell aus einem Museum. Es handelt sich um eine Aufnahme, die heute Morgen von einer gegnerischen Partei in einem Lagerhaus in Kasachstan gemacht wurde. Wir haben sie mit der Versicherung erhalten, es handle sich um die echte Bundeslade, und zwar zusammen mit einigen sehr schwerwiegenden politischen Forderungen.«

Ava hörte seine Worte, hatte jedoch Mühe, sie zu verarbeiten. Es war, als spräche er in Zeitlupe. Ihr schwirrte der Kopf. War das irgendeine Art raffinierter Schwindel?

Als sie sprach, war ihre Stimme heiser und brüchig. Sie stellte die Frage an die gesamte Runde. »Wollen Sie mir etwa erzählen, dass Sie glauben, dies könnte tatsächlich die echte Bundeslade sein?«

Hunter fixierte sie mit ernstem Blick und atmete tief aus. Er sprach mit ruhiger, leiser Stimme. »Das, Dr. Curzon, ist genau das, was Sie uns sagen werden. Die gegnerische Partei sagte, wir dürften einen unabhängigen Experten schicken, um das Objekt verifizieren zu lassen. Diesen Job haben Sie gerade bekommen. Major Ferguson hier wird Sie als Ihr technischer Assistent begleiten.«

In Avas Kopf drehte sich alles.

»Ihre Maschine nach Kasachstan geht in vierzig Minuten.« Hunter stand auf. »Ms Prince wird dafür sorgen, dass Sie mit allem versorgt werden, was Sie für diese Reise brauchen.«

Tausend Fragen gingen Ava durch den Kopf. »General, ich benötige Laborbedingungen, um das Objekt zu untersuchen – Spezialbeleuchtung, Instrumente und Chemikalien, eine fotografische Ausrüstung …«

Hunter winkte ab, während er ihr die Tür öffnete. »Ich fürchte, das alles wird nicht möglich sein. Sie werden bei Ihrer Ankunft in Astana auf den letzten Stand gebracht. Ich glaube, Peter DeVere kennen Sie bereits. Er wird dort zu Ihnen stoßen und Sie über alles informieren.«

Trotz des zuversichtlichen Tons in Hunters Stimme hatte der Name auf Ava eine alles andere als tröstliche Wirkung. Als sie die Worte hörte, hatte sie das Gefühl, jemand hätte ihr gerade einen festen Schlag in die Magengrube versetzt.

3

U.S. Central Command (uscentcom), Camp as-Sayliyah, Emirat Katar, Persischer Golf

Prince hatte Ava die Einrichtungen für Besucher gezeigt, damit sie sich frischmachen und heiß duschen konnte. Sobald die hochgewachsene Amerikanerin gegangen war, suchte Ava die sanitären Anlagen auf. Sie waren einfach – ein voll klimatisierter Bereich des großen Fertigbau-Hangars, der vom übrigen Camp as-Sayliyah nicht zu unterscheiden war.

Ihr brummte der Schädel, als sie unter den dampfenden Wasserstrahl trat. Trotz der Außentemperatur spürte sie, wie ihre Schultern herabsanken, als das heiße Wasser die Spannung zu vertreiben begann, die sich aufgebaut hatte, seit die Marines-Eskorte heute Morgen in ihrem Büro in Bagdad erschienen war.

Während um sie herum der Dampf aufstieg, versuchte sie, die Bombe, die General Hunter in dem Besprechungszimmer vor ihr hatte platzen lassen, zu verarbeiten und den Mahlstrom zu besänftigen, der in ihrem Kopf tobte. Die Neuigkeit, dass die amerikanische und die britische Regierung glaubten, die historische Bundeslade könne sich in diesem Augenblick in einem kasachischen Lagerhaus befinden, hatte sie völlig kalt erwischt.

Und es hatte sie umgehauen, dass man sie ausersehen hatte, hinzufahren und sie zu begutachten. Die Lade war einer der Gegenstände, von denen jeder Archäologe träumte, aber nie erwartete, sie je zu Gesicht zu bekommen. Es fiel ihr immer noch schwer, diese Informationen zu verdauen.

Doch von der Lade abgesehen, war sie ebenso überwältigt, festzustellen, dass eine Organisation, mit der sie in den letzten acht Jahren nichts mehr hatte zu tun haben wollen, jetzt wieder in ihr Leben getreten war. General Hunter hatte Peter DeVere erwähnt, und wenn DeVere wirklich in Kasachstan auf sie wartete, dann konnte das nur heißen, dass der MI6 tief in die Sache verwickelt war.

Ihr zog sich der Magen zusammen.

Sie kannte DeVere schon, so lange sie sich erinnern konnte. Ihre ganze Kindheit über war er der engste Freund ihres Vaters in der Firma gewesen. Er hatte sie oft zu Hause besucht und war praktisch als Familienmitglied adoptiert worden. Sie versuchte die Erinnerungen zu verscheuchen, aber die Bilder von Mitte Dezember 2002 strömten auf sie ein. Sie hatte zusammen mit ihrem Vater Simon das Haus verlassen, um wie gewöhnlich zur Arbeit zu fahren, beide auf dem Weg durch die beißende Kälte zu dem farbenfrohen, an babylonische Zikkuratbauten gemahnenden Hauptquartier der Firma bei Vauxhall Cross. Am Ende des Tages war sie wie gewöhnlich nach Hause gekommen.

Er hingegen kam nie wieder.

Das nächste Mal sah sie ihn bei seiner verschneiten Beerdigung ein paar Tage vor Weihnachten, als sie, ihre Mutter und ihr Bruder den Mann begruben, den sie alle so sehr geliebt hatten.

Dutzende seiner Arbeitskollegen saßen dicht gedrängt in der kleinen Trauerhalle neben der weiß bedeckten Kirche mit den dreieckigen Fenstern in dem kleinen Dorf in Somerset, aber um die genauen Umstände seines Todes hatte sich bereits ein Vorhang offiziellen Schweigens gesenkt. ›Im Dienste Ihrer Majestät‹ war alles, was die Familie je erfuhr.

Und DeVere erinnerte sie allzu schmerzlich an diese Zeit. Sie hatte die Firma nicht lange danach verlassen und, aus einer wachsenden Zahl von Gründen von dieser verborgenen Welt ernüchtert, jede Verbindung abgebrochen. DeVere war geblieben, und in den Jahren danach hatte sie sich nicht überwinden können, ihn zu sehen. Die Gefühle taten immer noch zu weh.

Während sie sich unter dem heißen Wasser drehte, riss der Lärm eines Jets, der draußen auf der Piste zur Landung ansetzte, sie in die Gegenwart zurück.

Ihr Flug nach Kasachstan würde bald abheben; sie trocknete sich rasch ab und zog sich an. Bevor sie ging, trank sie dankbar noch die Tasse schwarzen Kaffees aus, die Prince ihr hingestellt hatte, und verdrückte die beiden Hooah!-Energieriegel, die daneben auf dem Tablett lagen.

Dann ging sie, immer noch in Gedanken, hinaus auf die glühende Rollbahn. In der finsteren Wüstenlandschaft erkannte sie die Umrisse eines Jeeps, der sie zu dem schlanken Militär-Learjet C-21A bringen sollte, der weiter draußen auf der Piste parkte. Im Dämmerlicht konnte sie nur die Schatten einer Bodencrew ausmachen, die gerade das Auftanken und die Last-Minute-Checks abschloss.

Ein Blick auf die Leuchtzeiger der verschrammten Armeeuhr, die sie immer trug, belehrte sie, dass es kurz nach 20 Uhr war. Die Sonne war vor eineinhalb Stunden untergegangen, und sie war erstaunt, dass sich die Lufttemperatur kaum verändert hatte.

Sie blickte zu dem nächtlichen Wüstenhimmel auf und verlor sich für einen Augenblick in seiner ungeheuren Weite. Anders als in Bagdad gab es hier kaum Lichtsmog, und die Sterne funkelten in spektakulärer Helligkeit und Klarheit am blauschwarzen Himmel.

»Und, wie stehen die Chancen, dass diese Lade echt ist?«

Sie hatte nicht bemerkt, dass Ferguson zu ihr aufgeschlossen hatte. Er hatte sich für die Reise umgezogen und trug jetzt Bluejeans und ein leichtes Jackett.

Dieselbe Frage nagte an ihr, seit Hunter ihr gesagt hatte, weshalb er sie nach Katar hatte bringen lassen. Wie viele blauäugige, unerschütterliche Archäologiestudenten hatte sie in ihren ersten Jahren an der Universität davon geträumt, die Lade zu finden. In den seltenen Augenblicken, die sie zwischen dem Erlernen von altägyptischen Techniken zum Einbalsamieren von Menschen bis zu den Übereinstimmungen zwischen der Genesis und dem babylonischen Gilgamesch-Epos für sich hatte, hatte sie von der Bundeslade geträumt. Die hatte immer die Liste der Hauptgewinne biblischer Archäologie angeführt – die Arche Noah, der Turm von Babel, König Salomons Tempel, der Heilige Gral, der beim Letzten Abendmahl verwendet wurde, und das wahre Kreuz Jesu … Das waren die größten Ikonen der abendländischen Archäologie – trügerische, quasi-mythische Missionen.

Als jedoch ihre Studentenzeit in der Erinnerung verblasste und die Welt der professionellen Archäologie in Gestalt von Museen, Bibliotheken, Privatsammlungen und Ausgrabungen sie immer mehr gefangen nahm, waren die Gedanken an solche überlebensgroßen Artefakte ins Reich der Jugendträumereien zurückgetreten. Inzwischen hatte sie, wie alle erfahrenen Archäologen, akzeptiert, dass sie nicht so bald auftauchen würden, und schon gar nicht zu ihrer Zeit.

Somit hatte General Hunters Enthüllung, eine gegnerische Gruppe behaupte, die echte Bundeslade in Händen zu haben, einen Funken in ihr neu entzündet, der viele Jahre lang geschlummert hatte. Es war, als wäre ein längst als Märchen abgetaner Kindheitstraum mit einem Mal zu neuem Leben erwacht – diesmal aber in Wirklichkeit.

Sie hatte nie daran gezweifelt, dass die Lade irgendwann einmal existiert hatte. Aber nun fühlte sie sich zwischen zwei Welten hin- und hergerissen. Der abgebrühte Profi in ihr war sich bewusst, dass die kasachische Lade garantiert ein Schwindel war – eine Verschwendung von Zeit und Mühe für jeden und höchstwahrscheinlich ein überaus gefährliches Unterfangen. Die optimistische und begeisterte junge Archäologin in ihr war jedoch nie ganz gestorben, und sie fand sich unwiderstehlich von dem berauschenden Gefühl angezogen, an der Jagd nach der echten Bundeslade beteiligt zu sein.

»Und, ist sie’s?«, fragte er. »Echt?«

Sie vergrub die Hände tiefer in den Taschen und genoss die nächtliche Wüstenbrise auf dem Gesicht. »Ganz ehrlich?« Sie stockte. »Ich weiß es nicht. Aber wenn die leiseste Chance besteht, dass sie echt ist, dann müssen wir alles uns Mögliche tun, um es so oder so zu beweisen.«