Das große Aufräumen - David Whish-Wilson - E-Book

Das große Aufräumen E-Book

David Whish-Wilson

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Beschreibung

Ex-Cop und Privatdetektiv Frank Swann bekommt ein bizarres Job-Angebot – er soll für den »Ausputzer« des Premierministers von Western Australia den Ausputzer spielen und ein paar politische Ärgernisse beseitigen und sich vor allem um die Security kümmern. Im Grunde will Swann nur mit seiner Frau Marion und seinen Töchtern am Strand liegen, aber irgendwo muss das Geld ja herkommen.

Außerdem sieht er die Möglichkeit, noch ein paar alte Rechnungen zu begleichen, denn im Haifischbecken von Perth tummeln sich nicht nur raffgierige Immobilienspekulanten, Drogendealer, ein irrer Bankräuber, bestechliche Politiker und Biker-Gangs, sondern auch jede Menge korrupter Polizisten. Genau die, die Frank Swann seinerzeit mit falschen Anschuldigungen aus dem Verkehr gezogen haben. Stoisch, lakonisch und effektiv macht sich Swann ans große Aufräumen ...

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Ähnliche


David Whish-Wilson

Das große Aufräumen

Thriller

Aus dem australischen Englisch von Sven Koch

Herausgegeben von Thomas Wörtche

Suhrkamp

Für Luka Fergus

1

Blake Tracker band seine Dunlop Volleys mit grünen, aus einem Kurzwarenladen gestohlenen Schnürsenkeln; die Doppelschleife hatte ihm sein Vater beigebracht.

So ziemlich das einzig Nützliche, das er von Pops gelernt hatte. Richtig gut war die Doppelschleife an Fußballschuhen, damit gingen die nie auf.

Von seiner Mum hatte er Kämpfen gelernt. Kämpfen und Weglaufen.

Sein Zellengenosse im Longmore Remand Centre war noch wach. Peter Parkhill hatte ein bleiches Gesicht, blasse dürre Arme, auf die in diesem Moment Mondlicht fiel, und einen leeren Blick. Wie jeden Abend glotzte er auf den mit Klebknete an der Wand befestigten Kalender. Weil in einer Jugendanstalt keine Tittenbilder erlaubt waren, war auf dem Kalenderbild für November 1983 ein Strand bei Perth zu sehen: kobaltblaues Meer, weißer Sand, gebräunte Körper. Parkhill strich jeden Tag ab, der zu Ende ging – das war immer das Letzte, was er vorm Schlafengehen tat. Der 23. November wartete noch auf den Ritz von Parkhills Fingernagel.

Parkhill war Skinhead, und sobald er achtzehn wurde, würde er nach England deportiert werden. Er schien sich sogar darauf zu freuen. Hier war er, weil er auf einer schicken Party in Claremont mit einer Knarre eingelaufen war und einem verhassten Mod ins Bein geschossen hatte.

In Longmore hatten die Nyungar-Jungen Parky schon so oft verdroschen, dass es sie langweilte. Es war im Grunde nicht anders als draußen, nur umgekehrt, weil da die Skinheads zu zehnt einen schwarzen Jungen zusammenschlugen, wenn sie ihn in einer dunklen Ecke der Hay Street erwischten. Zu jeder Tages- und Nachtzeit.

Aber das hatte Parky nicht unterkriegen können. Nur ein Auge hing etwas über die wächserne Narbe, die er als kleines Kind von seinem Vater verpasst bekommen hatte.

Als Zellengenosse war Parky nicht mal so übel, jedenfalls für ein Pommie-Schwein. Er hatte von den anderen sogar ein paar Worte Nyungar aufgeschnappt, dazu einige Brocken Wongi von Blake. Nyungar, fand er, klang wie Klingonensprache und Wongi wie Urwaldgeräusche.

Blake stand auf, machte Armkreise und trabte auf der Stelle, um seine Nerven zu beruhigen. Schubste seinen Sack in Position, strich sein grünes T-Shirt glatt und schob sich die Locken aus den Augen.

Tastete seine Verletzungen ab. Die Nase war gebrochen, drei Rippen angeknackst. Die Finger seiner Linken waren noch taub.

Sobald er den Entschluss gefasst hatte, hatte er auch keine Angst mehr gehabt. Jetzt ging es nur noch um die Sache, darum, sie durchzuziehen. Vorher, nachher, fertig. Nur diese Sache, das Eine, was er tun würde.

Kein Wenn und Aber. Töten oder getötet werden. Sie oder ich.

Er nahm seinen Ausweis und hielt ihn ins Licht. Drückte ihn an der Längsseite leicht zusammen und spürte, wie die Rasierklinge aus dem Schlitz rutschte, den er in den Ausweis geschnitten hatte. Mit den Zähnen zog er sie so weit heraus, bis das Ganze fast ein kleines Messer war. Genug jedenfalls, um einem Mann die Kehle durchzuschneiden – und bald würde er gegen Männer antreten müssen.

Blake hatte die Rasierklinge benutzt, um die anderen zu tätowieren, und die Aufpasser suchten wie verrückt danach. Jedes Mal, wenn er ihnen beim Passieren einer Tür den Ausweis hinhielt, musste er sich das Lachen verkneifen. »Bitte sehr, Boss.«

Aber sie fanden sie einfach nicht. Stattdessen kassierten sie alle Kugelschreiber ein.

Aber mit Zigarettenasche ging’s auch.

Einfach das Design in die Haut ritzen, Tinte – oder Asche – reinreiben, heilen lassen.

Zehn Ziggies pro Tattoo. Sie standen Schlange bei ihm. Die Designs waren meist auch von ihm.

Parky hatte eins auf dem linken Unterarm. Spurs stand da, was immer das heißen sollte.

Es war fast so weit. Eine Stunde nach Schließzeit. Jetzt sahen die Wachen fern, aßen zu Abend und tranken was zusammen. Hatten geprüft, dass der Direktor keine Überstunden machte.

Eine Woche lang hatte Blake jeden Abend Prügel über sich ergehen lassen, aber jetzt hatte er die Nase voll. Er tauchte weg, ging in Deckung, tänzelte, stand sicher auf den Beinen, die Füße leicht gespreizt. Boxte Schatten mit dem Mond. Die angeknacksten Rippen machten ihn langsam. Die Linke konnte er nicht richtig zur Faust ballen. Die Rechte war okay.

Aber er hatte seine Klinge. Seine Füße. Und seine Zähne.

Er würde alles geben.

Er blickte zu Parky auf der Pritsche, und zum ersten Mal sah er Angst in seinen Augen. Ein Flackern im Blick. Parky seufzte und wollte aufstehen.

Blake beugte sich zu ihm. »Du bleibst schön unten. Was sollen denn deine Weißbrot-Kumpels sagen, wenn du dich für ’nen Blackfella prügelst?«

Die Worte saßen. Parkhill drehte sich zur Wand.

Das Türschloss klickte.

Ein Wächter, aber allein. Irish Pete. Den Schlagstock noch am Gürtel. Rotgesichtig, mit brennender Zigarette in der Hand. »Die meinen’s ernst, Blake. Und sie kommen bald. Sei kein Dickschädel.« Er warf Parkhill einen misstrauischen Blick zu. »Es gibt keine neue Chance mehr, nicht nach heut Abend.«

Blake straffte die Schultern, richtete sich auf. »Du bist wirklich nicht übel, Irish Pete. Aber ich geh nicht drauf ein. Der letzte Junge wurde dabei geschnappt und bekam zwei Jahre extra. In ’ner Woche komm ich nach Freo. Vielleicht grün und blau geschlagen, aber ich komm in den Erwachsenenvollzug. Dem hier wein ich keine Träne nach.«

Irish Pete schüttelte den Kopf und sah erneut Parkhill an, um festzustellen, ob er schlief. »Du kapierst es nicht, Junge. Du kriegst keine neue Chance mehr. Nie mehr. Die wollen ein Zeichen setzen.«

Der Ire legte sich eine imaginäre Schlinge um den Hals und zog daran, ließ die Zunge raushängen und verdrehte die Augen.

Blakes Körper begriff es vor seinem Kopf. Seine Knie wurden weich. Sein Magen krampfte zusammen. Schlaff baumelten seine Arme herab.

Blickte entschlossen drein, schnaufend, als wäre er gerade tausend Meter gerannt.

Konnte nirgendwohin laufen. Er schüttelte den Kopf, wollte den Druck auf den Ohren loswerden.

»Ich geh nicht drauf ein.«

Er wusste nicht, woher die Worte kamen, aber er meinte es genau so.

Irish Pete schüttelte den Kopf. Blickte den Zellengang hinunter, bis ans Ende zum Mannschaftsraum. Sah auf seine Armbanduhr. Spuckte auf den Boden.

»Los, Junge, mach …«

Blake verstand. Er schlüpfte an dem Iren vorbei und rannte durch den Gang. An den dunklen Zellen seiner Kumpels vorbei. Vorbei an dem Brett mit der Namensliste – auf der die Schweine bei seinem Namen das »e« weggestrichen hatten. »Blak Tracker.« Dann sah er, dass die Tür zu den Höfen offenstand. Verdammt, dieser Irish Pete war wirklich nicht übel. Mondlicht fiel auf sein geschwollenes Gesicht, als er mit schwingenden Armen, mit federnden Füßen auf der festgetretenen Erde Meter um Meter Anlauf nahm, um auf die Mauer zu springen und abzuheben und zu fliegen, fliegen …

2

Frank Swann zog die Schlafzimmervorhänge auf. Es war ein Frühlingstag, der ganze Garten war von blühenden Mittagsblumen orange gepunktet. Der Himmel strahlte in kühlem, von dünnen weißen Wolkenfäden durchzogenem Blau, leichter Südwind ließ die Wipfel der Straßenbäume schaukeln. Swann blickte auf seine Armbanduhr und ging in das zur Straße liegende Zimmer mit dem Telefon. Wie erwartet, klingelte es um Punkt sieben. Dennis Gould war so pünktlich wie zuverlässig. Swann nahm den Hörer und drückte eine Taste, um den Mitschnitt des Anrufs zu starten. Gould war sein bester Rechercheur, beinahe sein Partner, doch jetzt war er auf der Flucht. Dafür hatten Schläger von Trevor Dragic gesorgt.

»Dennis.«

»Swann.«

Ihre Kurzformel dafür, dass alles in Ordnung war. Aus dem Hintergrundrauschen hörte Swann, dass ein Road Train an Dennis vorbeirasen musste. Er stellte sich den Staub und die Hitze in der Nullarbor-Wüste vor – rote Erde, heißer Wind, krächzende Krähen auf der Telefonleitung, Gould an einer gottverlassenen Raststätte zur Telefonzelle hinkend.

»Ich bin an einem Surf-Spot kurz nach der Grenze zu South Australia. Heißt Cactus. Gibt ’nen Campingplatz da. Hab sogar einen Wohnwagen mit Meerblick.«

»Reicht das Geld?«

»Reicht. Was von Dragic gehört?«

Swann knurrte. »Ist angeblich im Ausland. Ich denke, wir sollten noch ’ne Woche warten.«

»Okay. Ist nicht mal so übel hier in South. War auch schon angeln. Die Lachsbarsche beißen grad gut. Der Typ nebenan hat sich aus’m alten Kühlschrank ’nen Räucherkasten gebastelt. «

»Wie weit hast du’s zur Raststätte?«

»Knapp fünfzig Kilometer, hin und zurück. Ich meld mich alle zwei Tage, immer um die Zeit.«

»Bisschen eher wär besser, wegen dem neuen Job. Ich muss um sieben in der Stadt sein und am Schreibtisch hocken.«

Swann legte auf und sah wieder auf die Uhr. Vor drei Tagen hatten sich vier Biker Gould auf der Straße geschnappt, ihn in die Berge gefahren und sein Grab schaufeln lassen. Er hatte sich auf den Bauch legen müssen und den Staub küssen. Gould hatte ernsthaft geglaubt, sein letztes Stündlein hätte geschlagen. Der Mann mit dem Gewehr klang erbarmungslos. Gould wusste noch immer nicht, warum sie ihn nicht erledigt hatten; irgendwann hatten sie gefragt, wie viel Geld er daheim hatte – ein paar tausend in cash. Mit verbundenen Augen fuhren sie ihn zurück in die Stadt. Warteten vor der Tür, während er eine Tasche packte, und ließen ihn seine Ersparnisse abdrücken. Anschließend folgten sie seinem Triumph hinaus bis zum Great Western Highway – der Straße nach Adelaide.

Als Swann vor dem Haus einen pluggernden Achtzylinder hörte, strich er am obersten Knopf über sein Anzugjackett.

Sein neuer Firmenwagen sollte um sieben Uhr kommen.

Er betrachtete sich erneut im Spiegel. Seine alten Polizeistiefel waren frisch poliert, der blaue Schurwollanzug saß perfekt. Die Haare waren frisch geschnitten, seine Augen von der neuen Sonnenbrille beschirmt.

Seine Töchter hatten sie ihm ausgesucht: eine Ray-Ban mit spitzen Ecken, wie aus den Fünfzigern. Teuer, aber er konnte sie sich leisten, weil er gerade sein Honorar bekommen hatte. Und das reichte, um jeder seiner drei Töchter einen großen Schein zuzustecken und den Rest draußen unterm Zitronenbaum zu vergraben. Trevor Dragic hatte offenbar das Land verlassen und war in seine mazedonische Heimat geflohen. Seine Konten und Immobilien waren an den Insolvenzverwalter gefallen, und der hatte Swann voll ausbezahlt.

Zum ersten Mal seit Monaten hatte er keinerlei Sorgen, und heute begann etwas ganz Neues.

Der Holden Statesman fuhr rückwärts in die Einfahrt und blieb wie eine große, tief und zufrieden schnurrende Katze stehen.

Ein Stato wäre schon eine feine Sache. Etwas größer als Swanns sonstige Autos, aber dank des ausgehandelten Vertrags konnte er sich das mächtige Fünf-Liter-Aggregat leisten – der Firmenwagen samt Benzinkostenübernahme stand auch drin.

In den letzten Jahren hatte er vor allem den Datsun 120Y seiner Frau mitbenutzt. Daneben gab es zwar noch eine Reihe von Holdens aus den 1960er Jahren, die er billig gekauft und an den Wochenenden hergerichtet, dann aber an seine Töchter weitergegeben hatte, sobald sie volljährig wurden: einen gelbgrünen HK für Louise, einen roten EK mit weißem Dach für Sarah und erst kürzlich einen smaragdgrünen Brougham, den sich seine Jüngste, Blonny, gewünscht hatte. Drei Jahre hatte er gebraucht, um die schon ausgeschlachtete Kiste in ihre alte Pracht zurückzuversetzen. Dabei hatte er auch die Vorzüge von Klimaanlage, elektrischen Fensterhebern und Ledersitzen zu schätzen gelernt.

In der Einfahrt stieg Heenan, die rechte Hand des neuen Premierministers, aus; der Fahrer des Statesman blieb sitzen.

Swann blickte Heenan fragend an, doch der zog sich nur die Hose über den dicken Bauch, ließ die Finger knacken und kurz den Kopf kreisen. »Schicker Anzug«, sagte er mit ruhiger Stimme. So ruhig und voller Schmelz, dass sie im Ohr schmeichelte. »Dein Auto steht ein Stück die Straße runter, Frank. Vor der Bäckerei. Hier sind die Schlüssel.«

Swann nahm sie aus Heenans warmer Hand, blickte auf das Holden-Logo, nickte.

»Den Pager hast du?«, fragte Heenan. Swann zeigte ihn ihm, obwohl er gar nicht wusste, wie das Ding funktionierte. »Wenn wir dich brauchen, schicken wir dir eine Nummer. Die rufst du an, dann kriegst du weitere Anweisungen. Wir könnten heute Vormittag überall sein. Wart in deinem Büro. Das Telefon dort hat übrigens noch keine Sicherheitsfreigabe. Damit könntest du also mal anfangen.«

Mit diesen Worten stieg Heenan in den Statesman, schlug die dunkle Tür zu, und der Wagen rollte zurück auf die Straße. Als er den Hügel hinauffuhr, war hinter seinen getönten Scheiben nichts zu erkennen.

Swann schloss ab und nahm die Werkzeugtasche, die auf der Veranda vor dem Haus stand. In der Tasche befand sich vor allem Elektronik, die mit Swanns Hauptbeschäftigung in den vergangenen Jahren zu tun hatten: Abhörgeräte, Wanzen und Funksignalmesser zum Aufspüren von Lauschern. Seine Kameras und Rekorder.

Ein Stück die Straße hinunter war eine Bäckerei, von der jede Nacht Brotgeruch in Swanns Schlafzimmer wehte. Davor parkte sein Auto.

Nicht gerade, was er erhofft hatte. Der pfirsichfarbene Commodore war das 1981er Modell, erst zwei Jahre alt, aber er sah schon mitgenommen aus.

Swann ging einmal um den Wagen herum in der Hoffnung, dass er von irgendeiner Seite einen besseren Eindruck machte. Es war natürlich ein Flottenfahrzeug, aber die Lackkratzer an den Kotflügeln verrieten, dass er viel auf den Schotterstraßen des Outbacks unterwegs gewesen war. Auch der Kühlergrill mit der Eierkartonoptik war angeschlagen und verbeult, die Antenne auf dem Kotflügel verbogen und rostig. Auf dem Kofferraumdeckel fehlte das Typenschild, der Tankdeckel war zerkratzt und stand etwas ab, als hätte jemand versucht, ihn mit Gewalt zu öffnen. Die Reifen waren schon stark abgefahren.

Auf all das wäre es aber nicht angekommen, hätte der 1,9-Liter-Motor nicht den Ruf gehabt, eine lahme Krücke zu sein, weil man dafür von einem originalen Sechszylinder bloß zwei Zylinder abgezwickt hatte. Das Auto war somit nicht viel mehr als ein vollbepacktes Pferd mit drei Beinen.

Swann öffnete die Tür und legte die Werkzeugtasche auf den Beifahrersitz, dann nahm er hinterm Lenkrad Platz. Er klappte die Sonnenblende herunter, drehte den Zündschlüssel und lehnte sich in den cremefarbenen Nylonsitzen zurück, während er auf das Anspringen des Motors wartete. Das Radio war auf einen Talksender eingestellt, in dem John K. Watts gerade energisch die Ansicht vertrat, dass Australien einen gesamtstaatlichen Australian-Football-Wettbewerb brauchte und Western Australia ein eigenes, schlagkräftiges Team. Swann war gleichzeitig mit Watts bei der Western Australia Police gewesen; daneben hatte Watts noch professionell Football gespielt und danach seine Zweitkarriere als Komiker gestartet.

Swanns Berufsweg war weniger unkonventionell verlaufen – vom Polizisten zum Sicherheitsspezialisten beziehungsweise dem, was gemeinhin Privatdetektiv genannt wurde.

Swann stellte das Radio ab, um den Motor besser zu hören. Immerhin ordentlich eingestellt, so schien es. Allerdings stand die Tankanzeige fast auf leer, und das Warnlämpchen für die Batterie leuchtete.

Mit einem Fingerdruck auf die Tasten schaltete er das Radio wieder an. Ein Mann sang von einem Auto. Er kannte diesen Song von einer Kassette von Blonny …

Here in my car, I feel safest of all …

Swann lachte auf. Sein letzter eigener Wagen, der geliebte 1962er EK Holden, war 1979 von Gus Rileys Bikern in die Luft gejagt worden, keine zwanzig Meter von der Stelle, an der er nun stand.

Swann stellte den Rückspiegel ein und prüfte, ob die Straße hinter ihm frei war.

Auf dem Weg nach Perth flirrte die Morgenhitze schon über dem Freeway, die Wasserfläche des Swan River glänzte wie poliert. Auf den Pylonen des alten Como Jetty saßen Pelikane, Kormorane dösten auf den Riffkalkfelsen. Manche von ihnen sahen aus wie mürrische alte Männer, andere wie abgemagerte schwarze Engel.

Swann zündete sich eine Zigarette an, während der Commodore sich in der ufernächsten Fahrspur abmühte. Plötzlich fing die Plastikbox in seiner Hosentasche zu piepsen an. Gleich darauf klingelte ein Telefon. Mit der linken Hand hob Swann den Deckel der Mittelkonsole. Darin lag ein Telefon wie aus Mini-Max. Er nahm den Hörer ab.

»Swann? Funktioniert der Pager?«

Swann zog die schwarze Box heraus und blickte auf die Digitalanzeige – eine siebenstellige Nummer.

»Yep.«

»Das heißt, du bist in oder kurz vor der City. Das Ding hat eine Reichweite von fünf Kilometern«, sagte Heenan. »Streich das mit deinem Büro. Du musst unbedingt ins Parliament House und die Büros und Konferenzzimmer überprüfen. Am Eingang liegt ein Ausweis für dich. Das alles muss noch vor der Morgenpressi …«

»Pressi?«

»Pressekonferenz.«

»Wieder was gelernt.«

Der Commodore näherte sich der Ausfahrt West Perth. Nur ein paar Meter nach dem Straßenrand erhob sich die Kalksteinflanke des Mount Eliza.

»Das Telefon hier – kann ich mit dem überallhin telefonieren?«

»Überall in der Stadt. Keine Ferngespräche.«

Diese Aufgeblasenheit in Heenans Stimme: Er hatte hörbar Spaß daran, die rechte Hand des Premiers zu sein – und die linke auf dem Geld zu haben. Swann schnitt ihm das Wort ab. »Ich leg jetzt auf …«

»Ach ja? Wieso denn?«

»Bin da.«

3

Des Foley beugte sich zwischen die Vordersitze und legte seine Hände auf die Schultern der beiden Männer vor ihm. Nach knapp fünfhundert Kilometern Autofahrt waren sie schon super Kumpel. Das Gras, mit dem Cameron auf dem Beifahrersitz immer wieder eine Tonpfeife bestückte, tauchte den Busch bereits in ein goldenes Licht, verlieh ihm eine fließende Weite und ließ den Wagen über dem Asphalt schweben. Worüber Des jedoch wirklich staunte, war das Speed, das in einer Tüte auf dem Schoß des Fahrers lag. Das Zeug war richtig gut, der Vorrat schien endlos, obwohl Reggie alle fünf Minuten einen Finger in die Tüte steckte und sich dann das Zahnfleisch massierte. Als er Nasenbluten bekommen hatte, hatte er begonnen, das Pep oral zu nehmen. Die beiden waren die ganze Strecke von Sydney ohne Schlafen gefahren und waren fast am Ziel: Das hieß, drei Tage und vier Nächte rauchen, schnupfen, Vollgas geben. Der neue Mazda, den sie, wie Cameron zugab, in Dubbo gestohlen hatten, hatte bislang alles mitgemacht, doch dieser plötzliche Geruch von verschmortem Plastik war kein gutes Zeichen. Cameron und Reggie schienen ihn aber nicht zu bemerken.

Reggie war von der Army desertiert und hatte Cameron in einer Bar in Wagga kennengelernt. Cameron war auf dem Weg nach Perth gewesen, um seinen drei Jahre alten Sohn zu besuchen, und Reggie hatte Gefallen an einem spontanen Trip gefunden. Des hatten sie in Kalgoorlie aufgegabelt, wo er schon drei Stunden lang glücklos den Daumen in den Wind gehalten hatte. Beim Anhalten schlidderten die beiden halb vom Randstreifen und wären beinahe ins Akaziengestrüpp gerauscht.

Dass die beiden zugedröhnt waren, war Des auf den ersten Blick klar, aber dafür waren sie nicht von hier, was ihm sehr gelegen kam. Denn ihn würde man in und um Perth schnell erkennen, auch wenn er jetzt einen Bart und lange Haare hatte.

Außerdem hatten die beiden es erkennbar eilig.

Auf den ersten ein-, zweihundert Kilometern war alles auch ganz lustig gewesen, doch als sie in der Gegend um York die ersten Weizenfelder des Wheatbelt erreichten, hatte Cameron zu jammern und schimpfen begonnen.

Seine Scheiß-Ex hatte ihm seinen eigenen, dreijährigen Sohn gestohlen. Der geklaute Fernseher auf dem Rücksitz war für ihn. Cameron wollte sich duschen, rasieren und ausschlafen, dann ihn besuchen. Dem Jungen den Fernseher geben und sich entschuldigen, dass er ihm beim letzten Mal Angst gemacht hatte.

Doch je näher sie Perth kamen, desto mehr regte sich Cameron auf. Von Ausschlafen war keine Rede mehr. Er wollte sofort hin. Und wenn sie ihn nicht reinließ, würde er den Fernseher durch ihr Scheißfenster schmeißen und hinterherspringen. Wo zum Henker in Perth war dieses Thornlie?

Des sagte nichts.

Die verdammte Fotze. Diese sommersprossige Schlampe. Wenn die nur einen Mucks macht. Sie glaubt wohl, sie ist schlauer als ich. Aber ich hab sie gefunden. Hab ich noch jedes Mal.

Cameron fing an, auf das Armaturenbrett einzudreschen. Und dasselbe würde er mit ihrem Schädel machen. Ihr die Fresse polieren. Sozusagen als kleine manuelle Aufhübschung. Reggie brüllte dazu wie ein angestochener Stier. Camerons Wildheit war ansteckend.

Das alles ging ihn nichts an, sagte sich Des. Einmal. Aber kein zweites Mal. Er hatte es satt, sich was vorzumachen.

Er blickte auf seine Hände: zu Fäusten geballt.

Das Auto schlingerte, als Reggie lachend auf das Lenkrad einprügelte. Cameron war außer sich wegen dem, was er mit seiner Ex anstellen würde, er brüllte es aus Leibeskräften, bis das Geschrei einen irren Rhythmus bekam, zu dem er mit den Fäusten aufs Armaturenbrett trommelte.

Nicht gut.

Des zählte zu den meistgesuchten Männern Australiens. Der »Good Morning Bandit«, wie er wegen seiner Masche, durch Seitenwände oder Decken in Banken einzubrechen und auf den Geschäftsführer zu warten, genannt wurde. »Good Morning« war das Erste, was der zu hören bekam. Bevor die ersten Kunden kamen, war Des wieder weg. Nie wurde jemand verletzt.

Die beiden Vollidioten auf den Vordersitzen waren zu dicht, um ihn zu erkennen, aber jeder Bulle sah sofort, wer er war.

Nicht gut.

Er würde nicht ins Gefängnis zurückgehen. Auf Zivilisten nahm er Rücksicht, aber einen Bullen würde er sofort erschießen, wenn er ihn auch nur misstrauisch ansah. Und er würde niemals ins Gefängnis zurückgehen.

Sein einziges Mantra.

In vier Bundesstaaten zur Fahndung ausgeschrieben, und in jedem davon wartete eine Gefängniszelle auf ihn. Er würde in der ersten Zelle seine Strafe absitzen und von dort in die nächste verfrachtet werden. Er käme nie wieder raus. Und es würde kein Zuckerschlecken werden. Nach seiner letzten Flucht aus Pentridge drohte Einzelhaft in einem Hochsicherheitstrakt.

Perth kam immer näher. Fünf Kilometer vor ihnen sah Des, wie sich die Kammlinie der Darling Scarp über dem grauen, von Marri- und Jarrah-Wäldern gesäumten Band des Great Eastern Highway erhob.

Es wäre nicht allzu überraschend, wenn vor der Hügelkette ein Streifenwagen stünde, um die heimkehrenden Fernfahrer zu kontrollieren. Über hundert Tonnen schwere Road Trains, die mit nahezu 100 km/h auf ein fast fünfundvierzigprozentiges Gefälle zurasten. Der eine oder andere Truckie am Steuer kurz vorm Einnicken oder mit kaputten Bremsen unterwegs. Leicht konnte da einer von der Straße abkommen und eine ganze Zeile von Ziegelhäuschen am Straßenrand plattwalzen.

»Halt hier an, Reggie. Ich bin da.«

Überraschenderweise hörte Reggie ihn trotz des Gebrülls. Des hatte leise, aber bestimmt gesprochen. Vielleicht hatte der Corporal den Befehlston gespürt. Oder immer die Antennen ausgefahren, weil er sich unerlaubt von der Truppe entfernt hatte.

»Dachte, du lebst an der Küste?«

Cameron hörte auf, das Armaturenbrett zu verprügeln.

»Kommst du nicht mit, meinen Sohn besuchen?«

Des würdigte ihn keiner Antwort. »Das letzte Stück geh ich immer zu Fuß. Hab ich mir so angewöhnt. Lass mich einfach an der nächsten Kurve raus.«

Die Straße wand sich in den John Forrest National Park.

»Ein Stück noch. Hier.«

Des stieg aus, hob seine Reisetasche aus dem Wagen und lehnte sie an den Stamm eines riesigen Marri-Baums. Dessen weiße Blüten rieselten um Des herum auf den staubigen Boden.

Er hörte, wie hinter ihm Fahrer- und Beifahrertür geöffnet wurden. Er hatte es erwartet. Der Ausblick von dem kleinen Rastplatz am westlichen Rand der Hügelkette war besonders; von hier aus lag einem Perth auf der weiten sandigen Ebene zu Füßen, dahinter bis zum Horizont der unermessliche Indische Ozean, überwölbt vom gewaltigen Blau des Himmelsdoms. Doch diese zwei Reisenden stiegen nicht wegen des Panoramas aus.

Cameron und Reggie waren weit, weit weg von daheim. Das Auto zu klauen und nach Westen zu fahren war eine spontane Idee gewesen. Von den beiden letzten Tankstellen waren sie weggefahren, ohne zu zahlen. Sie lebten bereits auf Pump.

Des legte eine Hand um den kühlen, angebrochenen Griff der Browning-Pistole in seiner Reisetasche und drehte sich um, hielt die Waffe jedoch hinterm Rücken verborgen. Als ob sie Ochs am Berg spielten, blieben die beiden anderen abrupt stehen und tarnten ihr Anschleichen als etwas Harmloses, Freundliches. Falsch lächelnd stemmten sie die Hände in die Hüften, verschränkten die Arme vor der Brust.

Des atmete tief ein und drehte sich wieder um, wandte sich dem Perth-Panorama zu. Er wollte wissen, ob er’s noch drauf hatte – noch den siebten Sinn besaß, den er sich als Kind in Jugendanstalten erworben und seither in allen Gefängnissen weiter trainiert hatte.

Er spürte, dass Reggie von hinten auf ihn zustürzte, trat einen Schritt zur Seite und versetzte dem Mann einen Schlag mit dem Pistolengriff, der ihn zusammen mit seinem eigenen Schwung über den Rand der Granitklippe stürzen ließ, hinunter ins Nichts.

Es fühlte sich gut an. So gut, dass er die Waffe durchlud, zu Cameron sprang und ihm, noch ehe der seinen geschockten Gesichtsausdruck ablegen konnte, die Beine wegtrat. Des kniete sich so auf Camerons Rücken, dass er dessen Füße sah.

»Weißt du, Kumpel, du erinnerst mich an meinen Vater. Meine Mutter hat mich und meine Brüder ganz allein großgezogen. Sie hat meinen Vater außen vor gelassen, bis wir alt genug waren, dass wir ihn selber außen vor lassen konnten. Er war ein widerlicher Sack, genau wie du …«

Cameron fasste sich wieder, begann zu strampeln.

»Du wirst deinen Sohn nicht besuchen, Cameron. Und keinen Fernseher durchs Fenster deiner Ex schmeißen. Und sie auch nicht mehr verdreschen.«

Des setzte die Browning an das Hosenbein des Mannes, direkt auf die Kniekehle, und drückte ab. Der Boden nahm den größten Teil des Drucks auf, die zerschmetterte Kniescheibe und den lauten, scharfen Knall; Camerons gellender Schrei wurde vom Wald verschluckt. Des schoss auch noch durch das zweite Knie und stand auf. Packte den Mann bei den Händen und zerrte ihn, ohne auf seine Schreie und die schmerzgeweiteten Augen zu achten, an die Abbruchkante, schubste ihn mit einem Tritt in den Abgrund. Hörte, wie die Äste größerer Marris knackten und brachen, als er auf die darunterliegenden Felsen stürzte.

»Grüß deinen Kumpel von mir.«

Das war mal ein Anfang. Eine Art Training. Er sah auf die Stadt hinab, seine Heimatstadt, um die sich der Fluss wand wie eine träge Schlange. Irgendwo da unten war seine Mutter, die irgendjemand auf die Straße setzen wollte. Aber nicht mit ihm.

Und wenn er dafür die ganze Stadt niederbrennen musste.

4

Swann fuhr mit dem Fühler des Funksignalmessgeräts über die Scheuerleisten an der Wand gegenüber dem Schreibtisch, an dem der Premier mit hochgelegten Füßen zurückgelehnt saß und telefonierte. Als Swann mit der Wand fertig war, blieb er stehen und wartete, bis ein paar Stabsmitarbeiter zur Seite traten. Der Premier wirkte entspannt, sah aber aufmerksam herüber. Die rötlich braunen Haare, die er bis wenige Monate vor der Wahl lang getragen hatte, waren jetzt ebenso wie die Koteletten und der Schnurrbart gestutzt, außerdem seitlich gescheitelt. Er sah fast aus wie der junge John F. Kennedy, nur ohne dessen leichten Schlafzimmerblick.

Mit ihrer kräftigen Statur und der kantigen Kinnpartie hatten seine beiden hochgewachsenen Amtsvorgänger wie Soldaten oder Detectives gewirkt. Rob Farrell dagegen war eher klein und das, was Swanns Töchter »geschmeidig« nennen würden. Seine grünblauen Augen verrieten Witz, aber auch Erregbarkeit, seine Stimme war tief, sein Tonfall moduliert. Anders als die zwei Vorgänger mit pseudoenglischem Akzent, wie er von Vertretern ihrer Generation erwartet wurde, sprach er mit dem Akzent der australischen Arbeiterschicht, aus der er stammte. Den Wählern gefiel das. »Hier ist der Prime Minister. Danke, dass Sie sich sogar im Urlaub die Zeit nehmen, anzurufen … danke, Mann, yep, schießen Sie los. Ihnen gefällt die neue Frisur? Heenan, mein Aufpasser, hat mich dazu gezwungen. Na ja, sind jetzt eben die Achtziger. Ein neuer Look für die neue Ära. Hinten und an den Seiten kurz, oben und vorn noch ein bisschen Gewächs für den schicken Scheitel … ja, klar, Mary hat sie geschnitten, an meine Haare lass ich keine andre ran. Wie geht’s Hazel und den Kindern?«

Im Büro des Premiers standen knapp ein Dutzend Frauen und Männer, die sich außerhalb des Lampenscheins im Halbdunkel drängten. Der Raum war mit dunkel gestrichenem Kasuarinenholz getäfelt, die schweren Vorhänge zugezogen, dennoch fing der Premier Swanns Blick auf und zwinkerte ihm zu.

Es war eine eigenartige Geste, vertraut und frech, selbst wenn Swann vermutlich die einzige Person im Raum war, die den Premier unverhohlen ansah, was dieser wohl auch gespürt hatte. Alle anderen gehörten zum Stab, waren mit Akten beschäftigt und warteten auf ein Gespräch mit ihm. Doch sie hielten den Blick gesenkt und taten so, als würden sie nicht jedes seiner Worte aufsaugen.

Sogar Heenan, der dicht hinter dem Premier stand, sah auf seine Armbanduhr. Die beiden erinnerten Swann an das Buch, von dem ihm Louise, seine Älteste, erzählt hatte. The Picture of Dorian Gray. Es schien, als habe Heenan die ganze Erschöpfung und alle Sorgen des Premiers angenommen, während der Premier nie jünger ausgesehen hatte.

Heenan war es gewesen, der Swann vor einem Monat angerufen hatte. Wenn die Wahl ausgehe wie erwartet, wolle der nächste Premier mit einem neuen Besen den Mitarbeiterstab auskehren. Außerdem gedenke er, ein paar neue Stellen zu schaffen, und für eine habe Heenan Swann im Hinterkopf. Als Mann für alle Fälle des jetzigen Oppositionsführers würde Heenan wohl bald auch selbst einen solchen Mann brauchen.

Swann steckte damals mitten in einem Gerichtsprozess, mit dem kleine Investoren Geld zurückbekommen wollten – von dem ehemaligen Drogenhändler Dragic, der ins Immobiliengeschäft eingestiegen war, dann Bankrott erklärt und die Profite selbst eingestrichen hatte. Mit Observationen und der Nachverfolgung der Geldströme über Briefkastenfirmen konnte Swann den Betrug belegen. Seither hatten ihn Dutzende Leute angesprochen, die in Aktien oder Immobilien investiert hatten und abgezockt worden waren – wieder ein neues Geschäftsfeld in einer Stadt, in der Abzocker in Anzügen immer fleißig mitkassiert hatten.

Das Problem war nur, dass Swann diese Leute nicht ausstehen konnte: weder die charmanten Blender noch die Geprellten, die ihre Lebensersparnisse für etwas aufs Spiel gesetzt hatten, das zu schön war, um wahr zu sein. Auf beiden Seiten herrschte blanke Gier, nur waren die Betrüger schlauer als die Betrogenen. Die verzweifelten Blicke und das ewige Jammern der Geneppten gingen ihm auf die Nerven. Die Leute taten ihm leid, aber er hatte keinen Respekt vor ihnen.

Deswegen war Swann neugierig gewesen, als Heenan ihn zu einem Treffen in die Bar des National Hotel in Fremantle einlud und ihm eine Vollzeitanstellung in Aussicht stellte, in der er mit noch zu bestimmenden Aufgaben für Heenan tätig sein würde. Nach ein paar Bieren rückte Heenan heraus, dass er Swanns Fähigkeiten als Ermittler nutzen wollte, um das Büro des Premiers »sauber« zu halten, neue Mitarbeiter unter Sicherheitsaspekten zu durchleuchten und Ähnliches. Das alles hänge aber noch vom Ausgang der Wahl und vom verfügbaren Budget ab. Ob er interessiert sei?

Ja, war er. In den vergangenen acht Jahren hatte er von der Hand in den Mund gelebt, und er wurde nicht jünger. Auf die Frage, warum ausgerechnet er, hatte Heenan ausweichend geantwortet und nur gemeint, er habe den Fall Dragic verfolgt und Swann dafür bewundert. Letzteres sagte Heenan in einem zweideutigen Ton und schaute ihn forschend aus seinen grauen Augen an – eine Bestätigung, dass es mehr als Mut erforderte, sich jemanden wie Dragic zum Feind zu machen.

Wollte er sich für kommende Stürme wappnen?

Dieser Blick Heenans, nach diesem vagen Angebot.

Sie gaben sich die Hand und tranken aus.

»Komm, Frank, reden wir beim Gehen. Und schauen wir zu, wie Geschichte gemacht wird.«

In der Enge des schmalen Korridors ließen sich Heenan und Swann hinter den vorauseilenden Premier zurückfallen. Nachdem er in der vergangenen halben Stunde Anrufe von Gratulanten entgegengenommen hatte, wirkte er aufgedreht und nervös. Immer wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, wischte sich über den Mund, wippte auf den Zehen. Schnaufend und mit Beschützermiene nach vorne blickend lief Heenan neben Swann und flüsterte: »Diejenigen, die angerufen haben, sind ihm was schuldig; denen, die er anrufen muss, ist er was schuldig. Momentan gibt’s mehr von der ersten Sorte. Hoffen wir, dass es so bleibt …«

»Ist das seine erste Rede seit gestern Abend?«

»Ja. Ich war die ganze Nacht auf und hab sie geschrieben. Es geht darum, dass er seine Wahlversprechen jetzt wirklich anpackt. Und was für die Zukunft wichtig ist. Manches betrifft auch dich. Er will mehr Überwachungskameras in der Stadt, für mehr Sicherheit. Als erste Stadt in Australien. Wär gut, wenn du das beaufsichtigst. Wir kriegen ja einen neuen Police Commissioner, aus Victoria – vielleicht brauch ich dich als Verbindungsmann. Dann sind da die ganz großen Themen, die zentralen Wahlversprechen. Schau mal, wie voll es hier ist …«

Im Atrium des Parliament House zierten Büsten und Porträts der früheren Premierminister die Wände, auf dem Boden kühler Donnybrook-Stein. Der Raum war voll ungeduldiger Journalisten, die Kameras und pelzige Mikrofone schwenkten.

Heenan blieb neben Swann stehen, während der Premier die Bühne betrat. Die gleißenden Lichter schienen ihn nicht zu stören. Swann öffnete den obersten Knopf seines Jacketts und zupfte seine Ärmel gerade. Die wartende Menge blickte gespannt zur Bühne. Nach Jahrzehnten mit zugeknöpften, hölzernen Premiers bekamen es die Journalisten mit einem neuen, jüngeren, schillernden Regierungschef zu tun.

Der Premier räusperte sich, klopfte mit den Fingern auf beide Seiten des Rednerpults und lächelte dem einen oder anderen bekannten Gesicht in der Menge zu. »Ladies and Gentlemen, heute Nachmittag werde ich Ihnen mein Kabinett vorstellen. Morgen werde ich dann das Parlament einberufen, um wie versprochen die Todesstrafe abzuschaffen. Und das wird nur das erste der neuen Gesetze sein, die wir vorlegen. Nachdem wir in beiden Häusern über eine Mehrheit verfügen, können wir uns sofort an die Arbeit machen. Doch zuallererst und getreu meinem zentralen Wahlversprechen, nämlich mich um die Belange unserer Arbeiter zu kümmern und zugleich das Unternehmertum unserer Stadt stark und lebendig zu halten, möchte ich mit Ihnen über das Thema Infrastruktur sprechen. Bislang habe ich mich mit Einzelheiten zurückgehalten, und dafür bitte ich um Verzeihung. Aber ich habe eine Vision für die Umgestaltung unserer wunderbaren Stadt für die kommende Generation, die, wie ich glaube, Sie alle hier in helle Begeisterung versetzen wird – und ich glaube, unser erster Premier, Big John Forrest, der da drüben von der Wand auf uns herabblickt, wäre genauso begeistert, wenn er heute unter uns wäre …«

Das Lächeln des Premiers wirkte ehrlich, aber sein Winken in Richtung der Bronzebüste von John Forrest war beiläufig. Als Sohn eines mittellosen, anfangs in Schuldknechtschaft lebenden Einwanderers war Forrest als Forschungsreisender und Landvermesser unterwegs gewesen, noch ehe sich die Kolonien in Australien zu einem Staat zusammengeschlossen hatten. Im ersten Goldrausch hatte er ein Vermögen erworben. Er hatte fast das ganze Eisenbahnnetz in Westaustralien, den Hafen von Fremantle sowie die Staudämme und Pipelines für die Goldfelder gebaut, während sein ebenso legendärer Bruder Bürgermeister wurde und dadurch zu Geld kam, dass er Peppermint Grove parzellierte und zu einem der teuersten Flecken des ganzen Landes machte.

Kommentar und Handbewegung des Premiers mochten beiläufig gewesen sein, doch sie lösten ein hektisches Fotografieren aus, Fernsehkameras surrten, ein Blitzlichtgewitter ging über ihm nieder. Wollte er tatsächlich ein so großes Bauprogramm auflegen und den Staat prägen wie der erste Premier, der Perth von einem kleinen kolonialen Außenposten zu einer boomenden jungen Metropole gemacht hatte?

»Ich will nicht behaupten, ich wüsste, was Big John persönlich von mir gehalten hätte, aber ich für meinen Teil hätte schon gern mal ein Bierchen mit ihm gezischt. Und wenn ich später auf meine Amtszeit zurückblicke, dann möchte ich eins mit ihm gemein haben – und zwar, dass die Leute sagen, meine Regierung hat den momentanen Bergbauboom genutzt und die Stadt gebaut, die wir für unsere Kinder und Kindeskinder brauchen. Was mir dabei vorschwebt, ist eine neue Art von Regierung. Um die Lasten für die Steuerzahler zu reduzieren, wird sich diese Regierung aktiv am Wirtschaftsleben beteiligen. Und damit meine ich nicht die Verstaatlichung von Industriezweigen oder so etwas. Sondern den direkten Einsatz von Steuergeldern in der Finanzbranche, in Industrie und Bergbau, damit wir alle Gewinne wieder in Infrastruktur und staatliche Dienstleistungen investieren können. Leute, der Gedanke, dass die Regierung selbst eine nach Gewinn strebende Einrichtung ist, ist revolutionär, doch er wird diese Regierung prägen. Als ersten Schritt in diese Richtung werde ich die Entwicklung großer Teile von Burswood und East Perth in attraktive Wohn- und Büroviertel vorantreiben und heruntergekommene Gebäude in der Stadt sanieren, einschließlich der Old Swan Brewery. Vor genau einer Stunde sind die Ausschreibungen dazu rausgegangen, als Erstes an unsere hiesigen Bauunternehmen, weil diese Pläne oberste Priorität haben und ich dafür sorgen will, dass sie schnell umgesetzt werden. Das Leben ist schließlich kurz …«

Der Premier trat einen Schritt zur Seite, damit ihn die Kameras mit ihren gleißenden Strahlern festpinnen konnten. »Vor nicht allzu langer Zeit hat ein führender Vertreter der westaustralischen Wirtschaft etwas zu mir gesagt, was ich nur als großes Kompliment auffassen kann. Der Betreffende meinte nämlich, im Grunde meines Herzens sei ich ein Geschäftsmann. Und über dieses Kompliment freue ich mich von ganzem Herzen …«

Swann stieß Heenan mit dem Ellbogen an. »Ist das jetzt die Rede, über der du die ganze Nacht gebrütet hast?«

Kaum merkliches Kopfschütteln. »So was ist echt schwer zu vermitteln. Wie alle Hundertachtzig-Grad-Wenden.«

Ein Berater trat zum Premier und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Der Premier machte ein ernstes Gesicht, dann wandte er sich an die Journalisten und streckte ihnen beide Arme entgegen. »Das war’s, Leute. Leider keine Fragen jetzt. Es ist was dazwischengekommen. Aber in ein paar Stunden bin ich mit dem neuen Kabinett wieder zurück, und dann können Sie alle Fragen stellen, die Sie auf dem Herzen haben. Nebenan stehen Tee und Kaffee für Sie bereit, und wie immer ist auch die Parlamentsbar geöffnet. Vielen Dank.«

Er wandte sich vom Publikum ab und sprang von der Bühne. Schlenderte zu Heenan, packte ihn am Revers und lehnte sich nah an sein Ohr. Heenan verdrehte die Augen, griff in seine Hosentasche und reichte Swann einen Autoschlüssel. »Bei der Sache kannst du keinen Commodore fahren. Nimm den. Wir haben ein kleines Problem, bei dem absolute Diskretion erforderlich ist …« Plötzlich fiel ihm ein, dass noch ein paar Journalisten um sie herumstanden, die auf einen Augenblick mit dem Premier hofften, und er zog Swann in eine Ecke. »Es geht um den Vater des Premiers. Du musst ihn bremsen. Ich ruf dich im Auto an, wenn du unterwegs bist. Los, es ist dringend …«

Der Premier beobachtete sie. Er hatte beide Hände in die Hosentaschen gestopft.

Als Swann auf dem Kwinana Freeway unterwegs war, klingelte wie angekündigt das Telefon in der Konsole zwischen den tiefen Ledersitzen des Statesman. Swann genoss die Fahrt so sehr, dass er schon vergessen hatte, warum er nach Salter Point sollte. Souverän rauschte der polarweiße Straßenkreuzer in Richtung Horizont. Die Beinfreiheit war großzügig, Swann kostete auch aus, dass er sich tief und mit entspannten Schultern in den Sitz zurücksinken lassen konnte, um die Hi-Fi-Qualität des Bose-Soundsystems zu genießen, das auf einen ihm bislang unbekannten Klassiksender eingestellt war; Bass, Höhen und der weibliche Sopran klangen so klar, dass er das Gefühl hatte, sie würde nur für ihn singen.

»Maria Callas«, sagte Heenan statt einer Begrüßung. »Und das ziemlich laut.«

Swann drehte den Lautstärkeknopf, die Frauenstimme zog sich wie ein widerspenstiger Dschinn in die Lautsprecher zurück.

»Die Sache ist heikel«, sagte Heenan. »Es geht um den Vater des Premiers, Stormie Farrell. Er macht irgendwelche Kapriolen bei sich vorm Haus. Wir stecken den Nachbarn und den Cops in Bentley ein bisschen Geld zu, damit sie uns in solchen Fällen informieren … Diesmal konnte keiner genau sagen, was er vorhat, nur dass er nackt rumrennt und lauter Zeug in den Vorgarten schmeißt.«

»Ich kenne Stormie. Na ja, ich hab ihn schon mal gesehen. Mein Stiefvater hat mich mitgenommen, als er bei einer Beerdigung gesprochen hat, auf dem Friedhof in Freo …«

»Schon klar, er ist ’ne Legende, zweifellos. Aber jetzt ist er krank, Frank. Seine Leber arbeitet nicht mehr richtig, die Blutwerte sind miserabel, und im Kopf stimmt’s auch nicht mehr ganz. Er wird immer unberechenbarer, eigentlich fast verrückt. Ich will, dass du mit ihm sprichst, bevor die Presse Wind bekommt. Fang ihn ein. Ich würd’s ja selber machen, aber Stormie kann mich nicht ausstehen. Wahrscheinlich hält er mich für ’ne Schwuchtel. Er hat mich sogar mal Wabbelpeter genannt. In aller Öffentlichkeit. Und da war er noch nüchtern.«

Über eine langgezogene Asphaltkurve fuhr Swann vom Freeway auf die Manning Road. Hinter den Sportplätzen des Aquinas College blitzte der Canning River auf, stellenweise gab es noch etwas Banksien-Buschland, einzelne alte Arbeiterhäuschen standen um die letzten Flecken des Kiefernforstes, der sich einmal bis nach Victoria Park ausgedehnt hatte.

Er bog in eine Straße mit holzverkleideten Häusern, die sich bis zum Flussufer hinunterzogen. Die stille Luft war getränkt von dem ätherischen Duft der Teebäume des Marschlandes.

Swann erkannte das gesuchte Haus, ohne auf die Briefkästen blicken zu müssen. Ein Stück hügelaufwärts in den Hang gebaut, stand ein einstöckiges Gebäude aus lachsrotem Backstein und orangeroten Terrakottafliesen inmitten von Kalksteingeröll und Kasuarinennadeln. Kein Rasen wie in den gepflegten Vorgärten ringsum. Dafür Rauch, Lagerfeuerrauch, nur in der falschen Farbe – dicker, schwarzer, schlieriger Qualm, der in den Mittagshimmel stieg. Nachbarn standen am Rand ihrer Grundstücke, wagten sich aber nicht näher heran. Ein, zwei von ihnen riefen etwas.

Als Swann auf der gegenüberliegenden Straßenseite hielt, wehte ihn sofort der Gestank von brennendem Plastik und glühendem Metall an. Er achtete nicht auf die Rufe, die dem alten Mann in Unterhose galten, der im Schatten einer Kasuarine vor dem Feuer stand und ein großes weißes Kaninchen streichelte. Am Baumstamm neben ihm lehnte ein uraltes einläufiges Gewehr.

Der alte Mann verfolgte mit zusammengekniffenen Augen, wie Swann auf der Einfahrt näher kam.

»Darf ich?«, fragte Swann und deutete auf den verknäulten, in einem Wust vertrockneter Kresse liegenden Gartenschlauch. Ohne die Antwort abzuwarten, bückte er sich, nahm den Schlauch und drehte den rostigen Hahn auf. Anfangs tröpfelte das Wasser spärlich, doch als sich Swann dem Feuer näherte und dabei den Schlauch entwirrte, stieg auch der Wasserdruck.

Kreuz und quer auf einem Haufen brennender Autoreifen lagen vier Fernseher, aus denen neongrüne Flammen und goldene und rote Funken schlugen. Sie wurden von der Hitze des Feuers sofort nach oben in den zugequalmten Himmel getrieben, und es schien, als könnten auch die Fernseher jeden Moment abheben. Swann sah sein Spiegelbild auf dem Schirm eines breiten holzfurnierten Geräts mit Metallknöpfen und Rollfuß, das in den Sechzigern ein Vermögen gekostet haben dürfte. Daneben lagen zwei kleine schwarze Fernsehwürfel, typische Motelware. Als Krönung thronte ein aktuelles, noch unbenutzt wirkendes Modell aus Chrom und dünnem Plastik und mit integriertem Videorekorder obenauf, dessen Gehäuse schon zu schmelzen begann und dessen Bildschirmglas sich schwarz verfärbte.

Wütend fauchend und zischend beschwerte sich das Feuer über das Wasser, das inzwischen mit überraschend großem Druck aus dem Schlauch kam. Swann erinnerte sich, dass sich in seinem Rücken noch ein Gewehr befand. Er blickte hinter sich und sah, dass der alte Mann jetzt auf dem Rücksitz eines knallroten Ford Thunderbird Cabrio saß und Wein aus einem Pappkarton trank. Das Kaninchen hatte er nun auf dem Schoß, dazu einen Hahn unterm Arm. Der T-Bird stand unter einer Pergola, weswegen Swann ihn erst nicht bemerkt hatte. Das Gewehr lehnte noch immer an der Kasuarine.

Noch brannten nicht alle Reifen, und Swann richtete den Strahl zunächst ganz unten auf das Feuer, um einen Reifen nach dem anderen zu löschen. Dabei ging er um den brennenden Haufen herum, ohne den Alten aus den Augen zu lassen, der jetzt versuchte, von der Rückbank aus auf den Deckel des gewaltigen Kofferraums zu klettern und gleichzeitig den Hahn im Wagen festzuhalten.

»Verdammter Vandale!« Stormie Farrell ballte die Faust und stieß sie in einer obszönen Geste in Swanns Richtung. »Man darf ja wohl in seinem eigenen Garten noch Feuer machen!«

Swann hob kurz den Schlauch und bespritzte den Alten, der den Weinkarton fallen ließ und sich wieder auf den Rücksitz setzte. Jetzt sprang das Kaninchen heraus und hoppelte hinter dem Hahn ins Haus. Stormie Farrell taperte beiden nach.

Von der anderen Straßenseite erklang Jubel. »Das war seine erste Dusche seit Jahren!«, rief ein Nachbar, ein empörter Alter in Fußballshorts und Flipflops, dem wirre graue Haarbüschel seitlich vom Kopf abstanden.

Das Feuer war inzwischen zu mehreren kleinen Rauchsäulen geschrumpft. Swann tränkte noch den Rasen um die Brandstelle, dann legte er den Schlauch auf einen Reifen, der nicht gebrannt hatte, so dass er weiter auf die Glutstellen spritzte. Danach wischte er sich die Hände notdürftig am Nadelteppich sauber, ging sicher, dass das Gewehr nicht geladen war und lief den leichten Abhang hinauf zu dem T-Bird. Von ferne wirkte der Wagen, ein Modell aus den späten Fünfzigern, noch gut in Schuss, doch von Nahem hatte er viele Dellen und Schrammen, und an verschiedenen Stellen war er unterschiedlich lackiert. Auch das Dach war kaputt, der Innenraum war mit Fish-and-Chips-Verpackungen und leeren Weinkartons übersät.

Weil die Kartons alle von einer Marke waren, schloss Swann, dass der Alte kontinuierlich, aber auch bewusst trank – er hielt wohl gern ein gewisses Level und wollte sich nicht bloß wegschießen wie viele der Schnapstrinker, die er kannte.

Die Haustür war offen, und so trat Swann ein. In allen Zimmern, die vom Gang aus zu sehen waren, war es dunkel. Aus der Küche am Ende des Gangs war zu hören, wie eine Nadel auf einer Platte kratzte, dazu statisches Knistern und ein leises Hintergrundrauschen.

Sonst war die Küche leer, das einzig Bemerkenswerte war ein staubfreies Rechteck auf dem Tisch, wo vermutlich der neueste Fernseher gestanden hatte.

Als Swann den orgelnden, aber nicht zündenden Thunderbird-Motor hörte, ging er wieder hinaus. Jetzt saß der alte Bursche in einem ausgeblichenen violetten Tropenanzug und mit Elvis-würdiger Sonnenbrille am Steuer und pumpte barfuß auf dem Gaspedal. Er hatte sich sogar die Zeit genommen, sein fettiges graues Haar zu kämmen.

Als er Swann kommen sah, gab Stormie Farrell auf und nahm die Hand vom Zündschlüssel. Verschmitzt grinste er Swann an. »Klappt doch, Frank Swann kommt wie bestellt. Wie wär’s, wenn wir zur Happy Hour im Coco’s vorbeischauen? Lad dich ein.«

Die Wolke des billigen Weins, die Stormie umgab, war alles andere als einladend, aber Swann war neugierig. Woher hatte der alte Haudegen gewusst, dass Swann kommen würde?

Wieder orgelte der Motor, ohne zu zünden. Stormie Farrell wischte mit einer Handbewegung den Müll vom Beifahrersitz. Er flog zu den Kaninchenköteln im Fußraum. »Wie steht’s immer so, Frank?«

Swann ging um den Wagen herum, streckte an Stormie vorbei die Hand aus und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, dann öffnete er die Motorhaubenverriegelung. Er ging zum Kühler, hob die schwere Stahlhaube an und sicherte sie. Ein Blick unter die Verteilerkappe. Genau wie erwartet: Jemand hatte den Zündverteiler entfernt. Swann steckte die Verteilerkappe wieder auf und ließ die Haube zufallen. Ging auf der anderen Wagenseite zurück, stieg neben Stormie Farrell ein und reichte ihm den Schlüssel. Die kleine Manipulation ging vermutlich auf Heenans Kappe, um dem alten Burschen die Flügel zu stutzen.

»Komm schon, Swann. Mach die Karre flott. Das bist du mir schuldig.«

Swann hob die Augenbrauen, um zu sagen: »Wieso das?«

Stormie Farrell verzog das Gesicht, als wollte er gleich losbrüllen, aber offensichtlich versuchte er nur nachzudenken.

»Wieso wusstest du, dass ich komme?«

Lachend warf Farrell den Kopf in den Nacken. Auf der anderen Straßenseite, wo die Nachbarn zusammenstanden, um sich das Maul zu zerreißen, fuhren die Köpfe herum. Vermutlich hatte einer von ihnen die Polizei gerufen, aber die war, mit einem entsprechenden Schmiermittel, instruiert worden, in so einem Fall Heenan zu kontaktieren. Nun dämmerte ihnen, dass Swann nicht gekommen war, um den alten Mann zu verhaften oder in eine Zwangsjacke zu stecken. Ein junger Mann in Boardshorts und Achselhemd hob einen Stein auf und kam über die Straße.

Flinker als Swann erwartet hätte, schwang Stormie Farrell die Beine aus dem T-Bird und eilte zum Gewehr am Baum. Nahm es und schwenkte es hin und her. Weiter mit dem Stein drohend, wich der junge Mann zurück.

Auch wenn das Gewehr nicht geladen war, konnte das Tragen einer Waffe in der Öffentlichkeit vom Gesetz mit Gefängnis geahndet werden. Allerdings nahm die Tactical Response Group der Western Australia Police selten jemanden fest. Soweit sich Swann erinnerte, war jedes Mal, wenn die TRG angefordert wurde, ein schwarz gekleidetes Einsatzkommando angerückt, hatte den Täter erschossen und war wieder in seine schwarzen Mannschaftswagen gestiegen.

»Mr Farrell!«

Mit Swanns Ruf war das wilde Grinsen aus Farrells Gesicht wie weggewischt und nahm den Ausdruck eines schmollenden Schuljungen an. Unaufgefordert und mit gesenktem Blick reichte er Swann die Waffe mit dem Kolben voran. Doch als er die Stimme erhob, lag ein tiefes Grollen darin, und Swann fielen die Worte seines Stiefvaters Brian wieder ein, der gesagt hatte, Stormie Farrell sei der mit Abstand beste Redner, den er je gehört hatte; er könne Tote zum Leben erwecken, sie versammeln und auf einen Protestmarsch gegen die Bosse führen.

In den blauen Augen von Farrell senior erkannte Swann den Premierminister wieder, er sah den gleichen vorgereckten Unterkiefer, wenn er voll Leidenschaft auf die Rednerbühne trat, hörte das gleiche unterschwellige Grollen in der Stimme.

Aus welchen fremden Welten Stormie Farrell auch zurückkam, jetzt waren seine Augen plötzlich klar – und voll Wut. »Du bist mir was schuldig, Swann. Oder hörst du auch nur, was du hören willst? Wer, glaubst du denn, hat dir deinen neuen Job verschafft? Etwa mein Sohn? Die Pfeife umgibt sich mit lauter Arschkriechern und Sesselfurzern, und dann glaubt er, er kann im Haifischbecken Fische streicheln. So ein Vollidiot. Der hat’s nur wegen meinem guten Ruf so weit gebracht. Und für mich hat er keine Zeit mehr. Schau dich doch um. Ich musste erst all meine Glotzen abfackeln, damit er mal herschaut. Ich halt’s einfach nicht aus, dass er so einen auf dicke Hose macht und auf allen Kanälen rumturnt. Ein Geschäftsmann will er sein? Was soll denn der Quatsch?«

»Jedenfalls hält er nicht hinterm Zaun damit, Stormie.«

»Aber hinters Brett vor seinem Hirn kommt er nicht.«

Stormie Farrell scharrte mit der nackten Fußsohle über einen Brocken Kalkstein. »Mir geht’s nicht so gut, Frank. Ich sollte meine Klappe halten.«

Als sich sein Ärger verzogen hatte und er in dem zwei Nummern zu kleinen Tropenanzug versuchte, mit den Zehen Kieselsteine aufzuheben, sah Farrell senior zart, schwach und kränklich aus.

»Wann hast du zum letzten Mal mit deinem Sohn gesprochen?«

Farrell senior zuckte die Achseln. »Weiß nicht. Vor paar Monaten. Oder vor ̕nem Jahr. Früher kam er immer ange-schissen. Aber jetzt bin ich ihm peinlich, genau wie damals seiner Mutter. Die hat mich immer nur den Bock genannt, auch vor den Kindern. Er war ihr Liebling, ihn hat sie verwöhnt, den kleinen Prinzen, aber ich war immer streng mit ihm …«

»Soll ich ihm was ausrichten?«

Stormie knurrte etwas Unverständliches, dann sagte er zögerlich: »Nja. Sag ihm, dass er sie nicht mehr alle hat. Dass, wer den Hund ins Bett lässt, mit Flöhen aufsteht. Dass er die Arbeiter verraten hat und die ganze Bewegung. Aber wenn er Rat braucht, weiß er ja, wo ich bin.«

Im Stillen verfluchte Swann Heenan. Den Babysitter für den Vater des Premiers zu spielen, sich darum zu kümmern, dass er keinen Mist baute, der Öffentlichkeit den wunden Punkt des Premiers zu verheimlichen – so hatte er sich den Job nicht vorgestellt. Swann warf einen Blick auf das Gewehr und überlegte, ob er es mitnehmen sollte.

»No worries, hab dafür keine Munition. Ich war im 2/16th Battalion, erst im Wüstenkrieg, später am Kokoda Track. Jetzt kann ich ohne meine Shottie nicht mehr schlafen. Ich nehm sie überall mit hin.«

Als Swann ein Geräusch hinter sich hörte, drehte er sich um und erblickte das Kaninchen – das größte, das er je gesehen hatte –, das mit Triefaugen zu ihm heraufsah. »Barry nehm ich auch überall mit hin, stimmt’s, Barry?«