Die Gruben von Perth - David Whish-Wilson - E-Book

Die Gruben von Perth E-Book

David Whish-Wilson

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Beschreibung

Perth, 1979. Der Goldpreis schießt in die Höhe, der Bergbau spült Unmassen von Geld nach Western Australia. Frank Swann, der aus dem Polizeidienst ausgeschieden ist, schlägt sich als Privatdetektiv durch. Er soll den Selbstmord eines renommierten Geologen untersuchen und gerät in einen besonders dreisten Schwindel mit Schürfrechten, in den so ziemlich alle verwickelt sind: die Mafia, Biker Gangs, die für jeden arbeiten, der gut zahlen, die große Politik und das Big Business sowieso.
Gleichzeitig führt Swann seinen Privatkrieg gegen eine total korrupte Polizei weiter. Seine Gegner sind noch lange nicht aus dem Verkehr gezogen, sondern formieren sich in verschiedenen Koalitionen immer wieder neu. Allerdings sind auch Swanns Methoden inzwischen mindestens ebenso robust wie die seiner Feinde ...

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David Whish-Wilson

Die Grubenvon Perth

Thriller

Aus dem australischen Englischvon Sven Koch

Herausgegeben vonThomas Wörtche

Suhrkamp

Die Grubenvon Perth

Prolog

Sanft stupste Max Henderson seinen Australian Kelpie Geraldine mit dem Fuß an. Doch sie bettelte winselnd weiter und wollte an den Kühlschrank. Bill dagegen saß nur mit heraushängender Zunge da.

»Schluss jetzt«, sagte Max wieder, jedoch ohne Nachdruck. Geraldine wusste nie, wann genug war. Anders als Bill mit seinen großen Welpenaugen, der anscheinend immer glücklich und zufrieden war.

Max öffnete den Kühlschrank, und sofort spürte er Kälte um seine sonnengebräunten Beine streichen. Ein weiteres Mal stupste er Geraldine an, und sie begann vor Freude zu bellen. Im Kühlschrank lag das geschenkte Ziegenfleisch eines anderen Vietnamveteranen, eines Selbstversorgers mit eigenen Ziegen, eigener Milch und Gemüse aus seinem großen Garten. Einmal im Jahr schlachtete dieser Freund seine jungen Böcke und brachte Max in blutigen Einkaufstüten die Vorderläufe, die hinteren Haxen und Rippen.

Außer Ziegenfleisch enthielt der Kühlschrank nur Getränke. Geschützt vor der Sommerhitze lagen darin Moselwein, Bordeaux und Burgunder. Max Henderson war zwar wohlhabend, aber Jennifers Wunsch nach einer Klimaanlage, die ihnen das Leben angenehmer gemacht hätte, hatte er sich immer verweigert.

Wie immer dachte er dabei an eine Stelle aus Graham Greenes Der stille Amerikaner, bis ihm auffiel, dass er jetzt laut sprach: »Lässt dem Mann den Samen im Körper vertrocknen …«.

Etwas in seiner Stimme ließ Geraldine mit dem Winseln aufhören und den Kopf zur Seite neigen. Max zwinkerte, Tränen stiegen ihm in die Augen. So ging das schon seit Monaten.

Er schob eine Flasche Lagavulin zur Seite, die ins Rollen kam und klirrend gegen die Highland-Park-Flasche stieß. An einem normalen Abend würde Jennifer den Whisky eine Stunde vor seiner Heimkehr aus dem Kühlschrank holen, damit er nicht mehr ganz so kalt war. Die Hände ums Glas gelegt, würde er ihn dann weiter wärmen, während Jennifer das Abendessen fertig machte. Max würde ihn sich unter die Nase halten und riechen, ob sich das Aroma schon entfaltet hatte, dann einen Spritzer Wasser über einen umgedrehten Löffel hineinlaufen lassen, um den Geschmack nach Torf und Granit aus der alten Heimat richtig zur Geltung zu bringen. Jennifer würde ihm das Essen auf den Couchtisch vor dem Schallplattenspieler stellen und etwas von Beethoven oder Schubert oder Bach auflegen. Er würde schnell und ohne große Lust essen, sich dann höflich bei seiner Frau bedanken, sagen, es habe ihm wunderbar geschmeckt. Das war zwar gelogen, aber er sah durchaus, wie viel Mühe sie sich gemacht hatte.

Danach würde er mehr Whisky trinken und Musik hören, immer tiefer in seinem Liegesessel versinken, sich in Gedanken immer weiter von dem zurückliegenden Tag entfernen. Wenn die Flasche leer war und Jennifer schon im Bett lag, die Nadel am Ende der Schallplatte in der Rille kratzte, würde er im Sessel bleiben und dort schlafen. Wenn er so unruhig war, war es gefährlich für Jennifer, sich neben sie ins Bett zu legen. Dann musste sie ihn nachts nur leicht berühren, und er würde um sich schlagen oder aus dem Bett hechten, gegen die Wand prallen. Da war es sicherer, wenn sie alleine schlief.

Er schloss die Kühlschranktür und trug die Tüten mit dem Ziegenfleisch hinaus in die kühle Nachtluft. Die Meeresbrise raschelte in den nadelartigen Zweigen der Kasuarinen, die den Garten einfassten. Kasuarinen waren seine Lieblingsbäume, die ihn an die Ferien seiner Kindheit erinnerten – an jenes Stück Land am Ufer des Donnelly River, wo sein Onkel Kartoffeln, Äpfel und Kirschen angebaut hatte und an dessen mit starken Zäunen gesicherten Grenzen die Rinderweiden gewesen waren.

Nichts wuchs unter einer Kasuarine, aber sie spendete genug Schatten, damit ein Junge dort auf einem Teppich aus dünnen braunen Nadeln sitzen und über das Tal blicken oder Commando-Comics, Reise- und Abenteuerbücher lesen und dem rötlichen Fluss zusehen konnte, der sich um Schwemminseln aus Steinen und Ästen hinab bis zum Meer schlängelte.

Max leerte die Tüten mit den Fleischstücken auf dem Nadelteppich aus und sah den Hunden zu, wie sie danach schnappten und daran herumrissen. Nur einmal wandte sich Geraldine, misstrauisch wegen seines Schweigens, zu ihm um und suchte in der Dunkelheit seinen tränenfeuchten Blick.

Er trug die blutigen Tüten zur Mülltonne und hob den Deckel ab. Als er sie hineinfallen ließ, spürte er die Feuchtigkeit, die von der verrottenden Masse aufstieg, auf seiner Hand. Er legte den Deckel nicht gleich wieder auf. Stattdessen ließ er die Finger in den Griff gleiten und hielt den Deckel wie ein Schild in die Höhe, wie er es oft als Kind getan hatte; all die Schlachten, die er und sein Cousin mit Steinen und Stöcken gegeneinander gefochten hatten, die Duelle mit Erbsenpistolen auf der Weide, bei denen sie mit solchen Schilden Gesicht und Augen geschützt hatten.

Er nahm das Gewehr, das an der nächsten Kasuarine lehnte – eine Halbautomatik, die er leicht in einer Hand halten konnte. Er stand da wie als Junge, mit Schild in der einen, Waffe in der anderen Hand; nie hatte er sich entscheiden können, ob er lieber Ned Kelly oder ein trojanischer Krieger sein wollte – die Rüstung des einen grob und schwer, die andere wunderbar verziert.

Als Erstes trat Max Henderson hinter Geraldine, hielt ihr den Deckelschild über den Kopf, um ihrem Blick nicht begegnen zu müssen, und schoss ihr in den Hinterkopf. Dann wandte er sich um und richtete das Gewehr auf Bill, der erschreckt vom Knall aufgesprungen war und zwischen Max und dem zuckenden Körper seiner älteren Schwester hin und her rannte.

»Tut mir leid, Kamerad«, sagte Max, obwohl keine Worte aus seinem Mund kamen, und drückte ab. Der Schuss traf Bill in die Falte zwischen den Augen. Er fiel sofort zu Boden.

Danach setzte sich Max Henderson mit dem Rücken an den warmen Kasuarinenstamm und richtete, umhüllt von Harzgeruch, flüsternden Ästen und zuckenden Schatten, das Gewehr gegen sich. Die Zehen seiner nackten Füße krallten sich in die Nadeln, der Abzugsfinger spannte sich, in Gedanken sah er Jennifer, so wie er sie sich in diesem Moment vorstellte, ihre Mahjong-Steine legend und nach einem Glas Chablis greifend, eingerahmt von den Gesichtern ihrer Freundinnen im warmen Kerzenschein. In Erwartung des kommenden grellen Lichts spannte er alle Muskeln an, drückte den Lauf an sein rechtes Auge, bis rote Blitze das Dunkel durchzuckten, sagte zum letzten Mal »Tut mir leid, Kamerad«, und dann war es vorbei.

1

Swann hielt die Bedienungsanleitung ins Mondlicht und versuchte, das Gewirr der roten, blauen und grünen Kabel nachzuvollziehen, das als Illustration die kleingedruckte Anweisung verständlich machen und dem begabten Bastler die Einrichtung des Empfangsteils eines ERA2012-Abhörgeräts erklären sollte. Laut Hersteller war es das neueste und beste Modell auf dem Markt, »gleichermaßen geeignet für Amateure und Profis«, doch obwohl seine Funktionselemente vorwiegend aus Standardbauteilen – Funksender und Mikrophon – bestanden, war die Verkabelung für einen Nichtfachmann nahezu unbegreiflich.

Swann faltete die Anleitung zusammen und warf sie in den Beifahrerfußraum. Dort gesellte sie sich zu den leeren Pappbechern, alten Zeitungen und der Urinflasche, die er wohl bald brauchen dürfte.

Der Holden EK parkte unter einer Gruppe von Myrtenheiden, nur ein paar Schritte vom leise plätschernden Wassersaum entfernt. Bevor Swann seinen Ausguck bezogen hatte, hatte er von mehreren Myrtenheiden große Streifen ihrer papierdünnen Rinde abgezogen und an seinem Parkplatz über tiefhängende Äste gelegt. Es war Sommer, doch auch dort, wo sich der Sumpf schon landeinwärts zurückgezogen hatte, war der Boden noch feucht. Im Winter wären Swann und sein Holden hier im Wasser gestanden. Das trockene Flussbett mit dem rissigen Schlamm erlaubte ihm, diesen Posten in Sichtweite der neugebauten Vorortsiedlung zu beziehen und dabei selbst unsichtbar zu bleiben, verborgen unter Myrtenheiden und Eukalypten, die den Sumpf säumten – oder das, was mittlerweile Bibra Lake hieß. Doch auch dieser neuernannte See war nur ein Sumpf unter vielen anderen, die sich in der Küstenebene südlich von Fremantle wie Perlen an einer Schnur aneinanderreihten.

Plötzlich drang Rauschen aus dem CB-Funkgerät, das unter dem Armaturenbrett hing. Gleich darauf eine beflissene Stimme: »Hier Charlie 66. Fahre mit Detective Sergeant Farquarson und Detective Inspector Hogan von Bentley nach Fremantle – Fahrzeit ca. dreißig Minuten. Over.«

»Roger, Charlie 66.«

»Also vom Raffles am Leopold vorbei zum National Hotel«, sagte Swann laut zu sich. Irgendwann fing man beim Observieren immer an, Selbstgespräche zu führen. Er zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich zurück, schloss die Augen. In Gedanken sah er den Uniformierten am Steuer von Charlie 66 vor sich, der den Gestank von Bier, Schweiß und Zigarrenrauch ausblendete, um sich bei den beiden Detectives anzudienen. Seine Freude, dass sie ihm so weit vertrauten, ihn als Fahrer einzusetzen. Jeder wusste, dass man den ersten Schritt zum Detective getan hatte, wenn man nachts ältere Kollegen beim Einsammeln ihres Zubrots durch die Gegend kutschieren durfte. Vorausgesetzt natürlich, man wischte auch ihre Kotze auf und brachte sie am Ende des Abends heim, man überhörte ihr Gerede und hielt generell die Klappe.

Alles wie gehabt.

Mit einer leichten Drehung des Handgelenks sah Swann auf die Uhr – elf vorbei. Er dachte kurz an die Flasche Grant’s, die irgendwo unter dem Müll im Beifahrerfußraum liegen musste, verscheuchte den Gedanken aber gleich wieder. Er würde sie später zum Einschlafen brauchen – wann auch immer er dazu kam.

Er warf die Zigarettenkippe in einen leeren Pappbecher und erschlug einen Moskito auf seinem Handgelenk. Alles ruhig in der Neubausiedlung. Nur jedes dritte oder vierte Haus war bewohnt; an ihren Fronten warfen nackte Glühbirnen gelbliches Licht auf die Vorgärten. Alle anderen Häuser waren dunkel und leer, sie warteten auf die große Auktion nächste Woche – die auch Swann diesen Auftrag verschafft hatte. Sowohl der Bauunternehmer, der dieses Vorortparadies errichtet hatte, wie der für Straßen und Infrastruktur verantwortliche Stadtrat hatten auf ihren Baustellen einige Diebstähle zu verzeichnen gehabt. Das war zwar nicht ungewöhnlich, aber weil die Auktion unmittelbar bevorstand, wollte man keine weiteren Vorfälle.

Irgendjemand stahl nachts den Rollrasen aus den Vorgärten. Rollte auf, was tagsüber ausgelegt worden war und noch keine Chance gehabt hatte, im grauen Sand auch nur die kleinsten Wurzeln zu schlagen. Und nicht nur vor leerstehenden Häusern verschwand der Rasen. Manche Familien gingen abends zu Bett, und am nächsten Morgen mussten sie beim Aufstehen feststellen, dass der hübsche grüne Rasen, den sie tags zuvor immer wieder gewässert hatten, weg war. Nur Sand und Staub waren übrig, die vom Wind aufgewirbelt wurden und das Haus verschmutzten. Es sah eher nach einem Kindersandkasten aus als nach einem Stück vom bald zu ersteigernden Vorortglück.

Eigentlich wäre die Sache lustig gewesen, wenn Swann nicht so dringend Geld gebraucht hätte. Er hatte eine Familie zu versorgen: Seine drei Töchter lebten noch daheim, obwohl sie mit Teilzeitarbeit etwas dazuverdienten. Blonny ging noch zur Schule. Sarah war schwanger und wollte einen jungen Mann heiraten, den Swann kaum kannte. Louise war die Erste aus seinem erweiterten Familienkreis, die nach dem Schulabschluss die Ausbildung fortsetzte und nun in den Sandsteingebäuden der Universität am Nordufer des Swan River Jura studierte. Marion hatte ihre alte Stelle als Gemeindeschwester wieder angetreten und arbeitete Vollzeit als Betreuerin in den Bordellen und den Altersheimen ihres Viertels.

Jetzt konnte er sich nicht länger beherrschen. Er griff nach der Flasche Grant’s, nahm einen kräftigen Schluck und ließ ihn langsam durch die Kehle rinnen. Sofort durchströmte ihn Wärme, vom Bauch aufsteigend bis in Arme und Beine. An sich mochte er bei Whisky Korkstopfen lieber als Schraubverschlüsse, aber bei diesem Blended war es okay. Während der drei letzten Nächte hatte er sechsundzwanzig Stunden observiert, und die würde er dem Bauunternehmen alle in Rechnung stellen, zusammen mit den Recherchestunden, die er mit dem Durchblättern von Zeitungen verbracht hatte auf der Suche nach Anzeigen, in denen jemand Rasen verhökerte. Und davon gab es ziemlich viele.

Nächste Woche war Zahltag. Mal wieder ein paar Krustentiere auf dem Tisch und für Marion etwas Sommerwein. Außerdem vielleicht was Süßes vom Italiener um die Ecke.

Rechts von ihm trottete ein Fuchs über den festgebackenen Schlamm. Er blieb kurz stehen und beäugte Swann, dann trabte er weiter und verschwand in einem Abflusskanal, der in die Straßenböschung am Rand der Siedlung eingelassen war. Vor einer Stunde hatten Jugendliche über die Zäune der bewohnten Häuser gespäht und nach Dingen gesucht, die sich davonschleppen ließen, waren aber mit leeren Händen abgezogen.

Ein neuer Vorort glich einer neuen, ein Stück weiter in den Busch vorgeschobenen Grenze, und wer hierher zog, war immer ein wenig auf der Hut – das war offensichtlich. Anders als in Swanns Straße in Fremantle, wo die Kinder ihre Räder und Spielsachen einfach in den Vorgärten liegen ließen, waren die Rasenflächen hier leer, alles aufgeräumt und hinter Rolltoren in Garagen verstaut. Nicht mal Topfpflanzen standen vor den Haustüren.

Swann sah sie, als sie von links anrückten. Die drei Männer mit Schubkarren machten keine Umstände. Stellten die Karren mitten auf der Straße ab, rollten ein Rasenstück auf, legten es darauf. Dann das nächste.

Swann nahm das Fernglas, stellte scharf. Und musste lachen. Er erkannte den Ältesten des Trupps an der Körperhaltung, den hängenden Schultern, den knorrigen Armen und Beinen. Auch den üblichen blauen Frotteehut hatte Stan Farmer auf. Dazu trug er sein immer gleiches schmutzig-weißes Trägershirt und die zu enge abgeschnittene Jeans. Und er war wie immer barfuß.

Stan war mit der Verlegung des Rasens beauftragt worden. Den er sich nun offenbar wieder zurückholte – seine Art von Recycling. Alle drei Männer wirkten angetrunken: den Tag über Rasen verlegen, nachts ihn wieder wegschaffen; dazwischen war nur ein bisschen Zeit für ein Pub. Die beiden Kumpane waren zwei seiner Söhne.

Swann kannte Farmer schon seit seiner Kindheit: Stan war ein Arbeitskollege seines Stiefvaters Brian gewesen. Nach einem Arbeitsunfall im Hafen und folgender Abfindung hatte Farmer dann einen Gärtnerbetrieb aufgemacht.

Etwas verkaufen, es zurückklauen und wieder verkaufen: die älteste Gaunerei der Welt. Auf Swanns Frage nach der Firma, die den Rasen verlegte, hatte der Bauunternehmer geantwortet, dass er sich um die nicht zu kümmern brauche, das mache ein Kumpel von ihm. Stan war jedermanns Kumpel.

Er legte das Fernglas beiseite und ließ sich wieder in den Sitz sinken. Dann schraubte er die Flasche Grant’s auf und gönnte sich einen weiteren kräftigen Schluck. Sie würden noch eine Weile zu tun haben. Es war auch nicht seine Aufgabe, die Kerle festzunehmen, er nur sollte rausfinden, wer sie waren. Jetzt musste er allerdings noch überlegen, was er mit seiner Erkenntnis anstellen sollte.

Swanns Stiefvater hatte eine Menge nicht ganz astreiner Hafenarbeiter gekannt, aber Stan hatte zu den guten gehört. Ein alter Linker, dem es mit der Sache ernst war. Zu seinem Ethos gehörte, alles zu klauen, was nicht niet- und nagelfest war, aber nur von Leuten, die es sich leisten konnten. Swann kannte die Regel – er war damit aufgewachsen: Klau von keinem, der weniger hat als du.

In Swanns Kindheit hatte Stan Farmer ihnen oft etwas Essen vorbeigebracht, wenn sein Stiefvater wieder auf Sauftour war, für Tage verschollen blieb und erst heimkam, wenn die Lohntüte leer war. Manchmal hatte Stan Swanns Mutter ein paar Münzen zugesteckt. Leute wie Stan, dessen Vater auch getrunken hatte, kümmerten sich häufig um Kinder von Säufern und Spielern. Stan wusste, was Hunger war.

Stan war offenkundig der Ansicht, dass der Bauunternehmer ein Schwachkopf war oder es sich leisten konnte, beklaut zu werden, vielleicht auch beides. Für Swann kam es nun darauf an, Stan so weit zu bringen, dass er keinen Rasen mehr stahl. Nur dann würde Swann bezahlt werden. Er dachte eine Weile darüber nach, und der Whisky vertrieb ihm dabei die Zeit.

Um vier Uhr hatten Farmer & Sons alle Rasenflächen an der neuen Straße abgeräumt und waren mit dem Schubkarren um die Ecke gefahren. Swann wartete, bis Stans alter Bedford-Laster angelassen wurde, ehe er den Motor des Holden startete. Er folgte dem Bedford mit ausgeschalteten Scheinwerfern. Der Laster war voll beladen, eine Plane lag über den Grassoden, die am nächsten Morgen wieder ausgebracht werden konnten.

Stan lebte nicht allzu weit entfernt in einer ruhigen Straße in Coolbellup. Swann parkte ein Stück von Stans Haus entfernt und sah den drei müden Männern beim Hineingehen zu. Kein Licht wurde angeschaltet. Er zündete sich eine Zigarette an und nahm das Handmikrofon des Funkgeräts. Es war strafbar, sich als Polizist auszugeben, aber Swann kannte die Codes – unwahrscheinlich, dass man ihn erwischte. Er ließ seine Stimme möglichst jugendlich klingen und spielte einen jungen Streifenpolizisten aus Kwinana. Unter falschem Namen berichtete er, er sei einem viel zu schnell fahrenden Wagen gefolgt, der von der Küste bis in eine ruhige Straße in Coobie gerast war. Beschrieb seinen Blick durchs Küchenfenster auf einen Tisch voller Drogen und Bargeld. Ganze Haufen davon, die einfach rumlagen. Er erbat weitere Anweisungen.

Swann brach ab, als er sich das Lachen kaum noch verkneifen konnte. Er würde bestimmt nicht lange warten müssen. Und tatsächlich, zehn Minuten später kamen sie von beiden Enden der Straße angerauscht. Mannschaftswagen und Zivilfahrzeuge, ohne Blaulicht und Sirene. Er erkannte Charlie 66 und ein paar andere Detectives von der Nachtschicht. Sogar Uniformierte aus Fremantle und von noch weiter entfernten Dienststellen waren dabei. Sie bogen in die Straße ein, fuhren auf den Rasen – was für den Briefkasten kein gutes Ende nahm – und stürzten aus den Wagen. Ein gutes Dutzend wildgewordener Bullen, die sich gegenseitig aus dem Weg schubsten, die Tür aufbrachen und bei ihrer Jagd auf das größte Beutestück allen Anstand vergaßen. Zwei Detectives von verschiedenen Dienststellen gingen mit Fäusten aufeinander los, mehrere Uniformierte ließen sich davon anstecken. Als die Anwohner davon aufwachten, gingen in einigen Nachbarhäusern die Lichter an. Swann fuhr im Rückwärtsgang um die Ecke.

Die eingetretene Tür und das Tohuwabohu würden Stan einen Schreck einjagen, und Swann wollte ihn später am Tag anrufen. Stan dürfte heute sicher daheim bleiben: Coolbellup war kein Vorort, in dem man ein Haus ohne Tür unbeaufsichtigt ließ. Swann würde auch mit dem Bauunternehmer telefonieren und berichten, dass er die Täter vertrieben hatte und sie sicher nicht wiederkämen. Dann würde er sein Geld bekommen.

Obwohl das fast nebensächlich war. Eine Stampede mit zehn, fünfzehn Prachtbullen von der Western Australia Police auf einem Vorstadtrasen in Coobie war eigentlich Belohnung genug.

2

Gary Quinlivan ließ den Harley-Oldtimer langsam an einem geparkten Nissan Cedric vorbeirollen und hielt am Straßenrand. Er stellte beide Stiefel gleichzeitig auf den Boden, um die schwere Maschine auszubalancieren, ehe er den Ständer herunterklappte und den Leerlauf einlegte. Der Motor blubberte langsam und stetig, als er mit knarrender Ledermontur und schmerzenden Gliedern aus dem Sattel stieg.

Born to ride – meine Fresse!

Er zog den Reißverschluss der Lederjacke auf, tastete nach dem Schaft und zog ihn ein Stück weit heraus. Beim Aufrichten blickte er die Quarry Street hinunter. Fremantle vom Feinsten. Proleten, Abos, Penner, Bhagwan-Spinner – jeder Dritte ein Fall für die Klapse. Dass alle ihn ansahen, war ihm egal. Auffällig und unsichtbar. Die Harley gehörte jemand anderem. Die Lederkluft auch. Und der Helm, dessen Visier geschlossen war, ebenfalls.

Er holte tief Luft und trat einen Schritt zurück. Ließ alle sehen, was er gleich tun würde. Er würde weggehen, aber den Motor laufen und den Zündschlüssel stecken lassen. Jedes andere Motorrad wäre weg. Aber nicht dieses. Die 1946er Harley Knucklehead war in der Stadt so bekannt wie ihr Besitzer.

Quinlivan lief auf die Glasschiebetür der R&I Bank zu. Er war kein bisschen nervös. Er hatte grünes Licht hierfür, und zumindest für die drei oder vier nächsten auch. Das bedeutete, solange niemand verletzt wurde, hielten die Leute von Armed Robbery ihre schützende Hand über ihn. Und sie bewahrten ihn auch vor den Ratten, die andere Räuber überfielen, falls diese Bastarde überhaupt den Grips hatten rauszukriegen, wer er war.

Er ging direkt zum Schalter, das abgesägte Gewehr im Anschlag hin und her schwenkend. Er hörte sich brüllen. Hogans Rat klang noch in seinem Ohr – Jag ihnen richtig Angst ein, Kleiner. Wer sich in die Hose scheißt, erinnert sich nicht mehr so genau. Einem Schlipsträger, der ihn eine Sekunde zu lange anstarrte, verpasste er eine, schlug ihm in die fette Visage. Ein Riss klaffte in seiner Wange, das Auge schwoll sofort zu. Das Adrenalin beflügelte ihn, machte ihn agil. Mein Gott, das machte richtig Spaß.

Die Mäuschen hinterm Schalter schaufelten die Scheine in die Baumwolltasche, so schnell die süßen Ärmchen konnten. Markierte, unmarkierte – das war ihm egal. Die Leute von Armed Robbery würden ihm die Nummern der markierten besorgen. Er brüllte immer noch. Die Mäuschen bibberten bei jedem seiner Worte. Eins weinte sogar.

Moment mal. Das hab ich gesehen.

Eine der jungen Kassiererinnen, die jüngste, ein schlankes Häschen mit Dauerwelle und grünen Augen, war aus dem Sichtfeld der Überwachungskameras nach hinten getreten. Hatte sich ein Geldscheinbündel in die Bluse gesteckt. Und sah ihm jetzt ins Gesicht, als ob weiter nichts wäre.

Die sollte er im Auge behalten. Sie hatte keine Angst. Würde sich erinnern.

Er prägte sich ihr Gesicht ein. Die Einzelheiten über sie würde er von den Bullen erfragen, sobald sie alle vernommen hatten. Ihr dann einen Besuch abstatten. Und vielleicht auch ein bisschen helfen, das Geld auszugeben, das ja eigentlich seins war. Bis dahin viel Glück, Schätzchen. Alles Gute zum Geburtstag von Gary. Seit heute fünfundzwanzig.

Die Tasche war voll. Zeit für den Abgang. Ein Sprung über die jammernden Waschlappen auf dem Weg zur Tür. Noch immer gut drauf. Der Bock lief noch. Ständer hochgeklappt, erster Gang und in den Verkehr einfädeln. Und einem beknackten Busfahrer ein freundliches ›Fick dich‹ bedeuten.

In nur drei Minuten von Null auf Yeah.

3

Swann hielt das grüne Kabel fest und zog mit einer Spitzzange die Ummantelung vom Kabelende ab. Den freigelegten Kupferdraht setzte er auf den Kontakt und hielt den Lötzinn unter die Lötlampe, bis er auf den Draht troff. Dann blies er auf die verlötete Stelle, zog den Stecker der Lötlampe aus der Dose und stellte sie auf eine Asbestmatte.

Nun hatte es geklappt. Er schob die Plastikhülse über die Empfängerbuchse und zog die Schrauben an. Legte die Kassette ins Kassettenfach und spulte zum Anfang zurück.

Die Jarrah-Dielen des Schuppens knarrten. Marion stand in der Tür. Das fahle Morgenlicht hinter ihr ließ nur ihren Umriss erkennen, ihr Gesicht lag im Dunkeln. Die meisten ihrer Gartenwerkzeuge bewahrte seine Frau neben der Schuppentür auf, aber sie machte keine Anstalten einzutreten. Der Schuppen war klein, und wenn Marion etwas wollte, das sich hinter seiner kleinen Werkbank befand, müsste er erst hinausgehen.

»Das hier hat jemand vorn auf die Veranda geworfen.« Marion hielt die Montagszeitung in die Höhe. »Und dann hatte er’s ziemlich eilig mit dem Wegfahren.« Hinter ihr hörte er Sarah und ihren Freund, die auf dem Gras Twister spielten, dazu das Zischeln des Rasensprengers und das Gezirpe der Zikaden.

Swann kannte den Ton in Marions Stimme. Ein flaues Gefühl beschlich ihn.

»Bitte.« Marion reichte ihm die Zeitung. Wartete. Swann legte sie auf die Werkbank und rückte den größten Artikel auf der Titelseite ins Licht. Und dort war er selbst zu sehen, der ehemalige Superintendent Frank Swann in seiner alten Uniform, wie er während der Royal Commission 1976 mit gehetzt-schuldigem Blick den Verhandlungssaal verließ. Fast wie Lee Harvey Oswald, bevor er erschossen wurde. Daneben ein Foto von Detective Inspector Donald Casey: welliges Haar, schmale harte Augen, kurz vor seiner Ermordung am Schlusstag der Kommission direkt vor seiner Haustür. Täter nie ermittelt.

Die Schlagzeile lautete: »WAFFENBRÜDER«. Aber der Teufel steckte im Detail. Beziehungsweise in der Unterzeile: »Auch drei Jahre nach dem kaltblütigen Mord an Donald Casey hat ihn sein Freund Detective Inspector Ben Hogan nicht vergessen und gelobt, den Täter zu finden.« Hogans Worte wurden mit einem Archivfoto illustriert, das ihn mit einer Selbstgedrehten im Mundwinkel, über die Schulter nach hinten geworfener Krawatte und einem auf die Motorhaube eines Holden FJ gestützten Gewehr zeigte. Das war in den frühen 1960er Jahren gewesen, bei einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt im Vorort Lathlain.

Swann konnte sich gut dran erinnern. Er war am Zaun hinter dem Haus postiert gewesen, als ein Schuss losging und einen langhaarigen Zwanzigjährigen tötete, kaum dass er, mit einem Schraubenzieher bewaffnet, die Tür öffnete.

Marions Hände auf seiner Schulter fühlten sich kalt an.

»Ist es, was ich glaube?«

»Sieht gut aus für Hogan.«

Detective Inspector Hogan schielte schon seit Langem auf den Chefsessel des CIB, und nun sah es so aus, als bekäme er ihn. Ausgeschlossen, dass der Police Commissioner einen solchen Artikel erscheinen ließ, wenn er nicht Hogan als neuen CIB-Chef favorisierte, sobald der Amtsinhaber in ein paar Wochen in Pension ging.

»Das ist ungut«, sagte Marion. »Davon hat mir niemand was gesagt.« Marions Vater war selbst ein hochrangiger Detective gewesen, und sie hatte ebenso weitreichende Kontakte bei der Western Australia Police wie Swann.

Der Artikel war bösartig und stellte Swanns Auftritt vor der Royal Commission und seine frühere langjährige Tätigkeit im Polizeidienst einseitig dar. Der Text unter seinem Foto lautete: »Der enge Freund der ermordeten Bordellbetreiberin war nach der Royal Commission gezwungen, unter Verzicht auf seine Pensionsansprüche aus dem Polizeidienst auszuscheiden.«

Swann wusste nicht, wer Casey erschossen hatte, aber Hogan hatte von Anfang an das Gerücht verbreitet, Swann stecke dahinter, und er hatte geschworen, seinen Freund eines Tages zu rächen. Weil Hogan nun drauf und dran war, Boss zu werden, rückte dieser Tag näher.

Swann riss die Seite aus der Zeitung und knüllte sie zusammen. Seine Töchter brauchten den Artikel nicht zu sehen. Seit seinem erzwungenen Abschied war ihr Leben ruhig gewesen, ihm war es nur darum gegangen, aus der Schusslinie zu bleiben und sich um seine Familie zu kümmern. Er hatte Marion versprochen, daheim nicht zu trinken, und alles getan, dass seine Familie sich sicher fühlte.

Unter dem tickenden Rasensprenger spielten Sarah und ihr Freund noch immer Twister. Sarah saß im Schneidersitz auf dem ausgedörrten Gras, während der Sprenger silberne Perlen in die Luft spie. Sie drehte die Drehscheibe, und Cameron versuchte, sein linkes Bein vor das rechte zu setzen, um die Linie roter Punkte zu erreichen. Er hatte beide Hände überkreuzt auf den Boden gelegt, sein Hintern ragte in die Höhe, aus seinem Mund kam gepresstes Lachen. Er sah ziemlich bescheuert aus, aber der Junge wollte nicht aufgeben.

»Mach schon, Schlaffi!«

Sarah spritzte ihren Freund mit dem Schlauch an, der grunzend und mit verknoteten Gliedmaßen umfiel.

Swann wusste noch immer nicht, was er von Cameron halten sollte. Marion und Louise hatten ihn schon abgesegnet, aber Swann wollte ganz sicher sein, dass seine Tochter einen guten Jungen bekam. Sarah war eben erst achtzehn geworden und schon im fünften Monat schwanger.

Swann ging mit dem Rekorder und der Wanze über den Rasen. »Darf ich das mal bei euch ausprobieren?«

»Also echt, Dad.«

Aber Cameron beäugte das Gerät wie ein Kind neues Spielzeug.

»Außerdem ist es verboten!«

»Strengstens. Aber nicht, wenn ihr zustimmt. Macht einfach weiter und seht zu, dass es der Sprinkler nicht anspritzt.«

Swann befestigte die Wanze mit Klebmasse unter dem Gartentisch, den er mit Marions Vater aus alten Wandoo-Eukalyptus-Brettern und Resten von Jarrah-Dielen gezimmert hatte. »In einer Minute bin ich so weit, dann könnt ihr zu reden anfangen.«

Sarah verdrehte die Augen, Cameron zuckte die Achseln und schenkte sich ein Glas Cottee’s Lemonade ein.

Swann ging durch den luftigen Anbau, Schlafplatz für heiße Nächte, in dem Louise Bassgitarre übte. Sie fläzte auf einem Sitzsack, hatte die Füße auf den Verstärker gelegt und ähnelte mit den riesigen Kopfhörern auf den Ohren Micky Maus. Weiter durch die Küche, wo Blonny, noch immer in ihrer Schuluniform aus Jeans und T-Shirt, den Kopf über ihr Biologiebuch beugte, so dass ihr Gesicht fast ganz von ihren roten Locken verdeckt war. Sie sah auch nicht auf, als er vorbeiging. Vor dem Haus setzte er sich auf die Sitzbank des Holden, stellte den Rekorder auf den Fußboden und wartete. Schließlich flackerte das rote Lämpchen, die Aufzeichnung begann. Nach zwei, drei Minuten stellte er das Gerät ab und spulte zurück. Sarah und Cameron sangen »Pinball Wizard«, eine fröhliche Parodie von Swanns heutigem Morgengesang unter der Dusche. Der Junge hatte Humor, auch wenn er keinen Ton traf. Und das verdammte Teil funktionierte endlich.

Swann hob den Kopf und entdeckte Marion vor der Haustür. Sie hielt sich eine Hand wie einen Telefonhörer ans Ohr und winkte ihn mit der anderen zu sich. Keine besorgte Miene. Das konnte nur einen neuen Auftrag bedeuten.

Swann brauchte Geld, und Ablenkung schadete auch nichts.

4

Jennifer Henderson brachte Swann ein Glas eiskaltes Wasser und blieb neben ihm stehen. Er betrachtete ein sepiafarbenes Foto und überlegte, wo er die Granitberge mit den herabrollenden Nebelschwaden und saftigen Weiden voller Angusrinder verorten sollte. Vielleicht die Porongurup Range im Winter?

»Das ist in Tasmanien, das ehemalige Land meines Vaters.«

Jennifer Henderson war Anfang dreißig, ungefähr zehn Jahre jünger als Swann. Als Erstes war sein Blick auf ihr langes schwarzes Haar gefallen, dann auf die helle, beinahe weiße Haut, die kleinen Sommersprossen auf ihrem Nasenrücken. Hohe Wangen, zarte, durchschimmernde Ohrmuscheln, dunkelblaue Augen, in denen ein gewisser Schalk zu stecken schien – ein typisch irisches Gesicht, wie er es immer gemocht hatte. Sie stand nahe bei ihm, viel näher, als es neue Mandanten sonst taten, und blickte ihm in die Augen. Ihr Parfüm erinnerte ihn an Honig, ihr Atem roch leicht nach Weißwein. Ihre ärmellose Bluse schmiegte sich um ihre Schultern.

»Ein wunderschönes Stück Land. Bestellt Ihr Vater es noch?«

Er vermutete in ihr eine auf Rache sinnende Ehefrau, das Übliche. Ein bisschen angetrunken und daher mutig. Und schnell enttäuscht, wenn er nicht auf ihr Spiel einging.

Sie lächelte melancholisch, und zum ersten Mal fiel der geldadelige Akzent von ihr ab. »Die Bank hat’s gepfändet, als ich Teenager war. Armer Dad, hat ihm das Herz gebrochen. Es waren nur vierzig Hektar Bergweide, aber sein Vater hatte sie nach der Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg bekommen. Aber, Mr … Swann, zum Grund, warum ich Sie angerufen habe.«

Sie trat einen Schritt zurück, doch ihr Duft umschwebte ihn weiter. Sie deutete auf ein cremefarbenes Ledersofa, das mehr wert war als Swanns Auto. Als sie sich neben ihn setzte, wandte er sich nicht zu ihr, obwohl er ihren Blick auf sich spürte, als würde er einer Prüfung unterzogen. Das Haus war geschmackvoll eingerichtet; nichts darin heischte Aufmerksamkeit, aber alles war interessant, sobald man es genauer betrachtete – das größtenteils japanische Mobiliar, die lackierten Kaufmannsschränke und Altäre; an den Wänden Samurairüstungen und Papuamasken.

Jennifer Henderson drehte das beschlagene Glas in ihren Händen und blickte auf ihre darum geschlossenen, perfekt manikürten Finger. Das goldene Band um ihren Ringfinger ließ das Glas leise klirren. Sie sah ihm kurz in die Augen, dann wieder auf ihren Drink. Ein erstes Zeichen dafür, dass er sich täuschte, dass es um mehr ging als einen Flirt und Rache.

Anders als viele reiche Frauen schlüpfte Jennifer Henderson in keine Rolle. Sie war auch nicht ganz ungezwungen, aber er spürte, dass sie etwas Warmes, Herzliches ausstrahlte. Vielleicht ein Erbe ihres Vaters aus der Arbeiterklasse? Aber Swann hatte auch schon Frauen aus bescheidenen Verhältnissen kennengelernt, die innerlich versteinert waren.

War es Trauer?

»Ich brauche Ihre Hilfe, Mr Swann –«

»Ich heiße Frank. Die meisten sagen aber nur Swann.«

»Also gut, Swann …«

Es war Trauer. Sie hatte aufgehört, mit dem Finger gegen das Glas zu tippen, doch die Eiswürfel darin klapperten leise weiter.

»Letzte Woche hat sich mein Mann erschossen. Im Garten.«

Darauf war er nicht vorbereitet gewesen. Für ihn war ihre Vertraulichkeit nur eine Art Prüfung gewesen. Doch nun hatte sie alle Reserviertheit abgelegt. Ihr Blick war auf den Boden gerichtet, die Stimme leise. Keine weiteren Gefühlsregungen. Keine Tränen, kein Tasten nach Worten. Beherrscht, aber zutiefst erschüttert.

»Vorher hat er seine Hunde erschossen. Erst gefüttert, dann erschossen. Und danach sich selbst.«

Swann holte tief Luft. Er hatte angenommen, das hier würde die Art Observation werden, die er lieber anderen überließ, den professionellen Spannern, aber offenbar hatte er sich getäuscht.

»Hat Ihr Mann –«

»Max.«

»Hat Max einen Abschiedsbrief geschrieben?«

»Nein, keinen Brief. Kein Abschied. Keine letzten Grüße.«

Ein Anflug von Ironie in der Stimme, aber nicht das geringste Selbstmitleid im Blick.

»Wo waren Sie zu der Zeit?«

»Beim Mahjong-Spielen. Wie immer am Mittwoch.«

»Mrs Henderson, mein herzliches Beileid, aber –«

»Bitte, sagen Sie nicht nein.« Sie unterbrach ihn mit einer so abrupten Handbewegung, dass sie etwas Wein verschüttete. Als hätte er sie geschlagen. Sie richtete sich auf, sah ihm in die Augen, ihr Blick ein schmerzerfülltes Dunkelblau.

»Ich würd Ihnen ja gern helfen, Mrs Henderson, aber ich arbeite auf Stundenbasis, und für den Selbstmord Ihres Mannes findet sich womöglich nie eine Erklärung. Oder nur eine, die Ihnen nicht gefällt.«

Sie lachte ironisch. Mit großen Augen. »Es gibt sicher eine Erklärung, Mr Frank Swann. Ehemaliger Superintendent der uniformierten Polizei. Ehemaliger Detective Sergeant. Ich habe Ihr Auftreten vor der Royal Commission verfolgt. Ich kenne Sie und weiß, dass Sie …«

Unehrenhaft entlassen wurden. Er wartete.

»… aus purem Widerwillen aus dem Polizeidienst ausgeschieden sind. Deswegen bin ich zu Ihnen gekommen. Um eine Erklärung zu finden. Sie haben wegen einer ermordeten Bordellbetreiberin Ihre Karriere und die Solidarität Ihrer Kollegen in den Wind geschrieben. War der Täter Polizist?«

»Ja.«

Swann sah ihr in die Augen. Hatte sie die heutige Zeitung gelesen? Er lehnte sich zurück, blickte zur Seite, die Hände auf den Knien. Musste ihr wieder in die Augen sehen. Hinter der Trauer auch etwas Wildes. Wille. Entschlossenheit.

Wovor er anfangs auf der Hut gewesen war – der Blick einer Frau auf einen Mann, wenn er ihren Ansprüchen genügt –, der war nun verschwunden. Das machte das Jasagen leichter.

Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Ich kann nichts versprechen …«

Im Arbeitszimmer im ersten Stock setzte sich Swann auf den Stuhl des Toten. Max Hendersons persönliche Dokumente lagen alle in säuberlich aufgereihten Ordnern auf dem lederbezogenen Schreibtisch. Offenbar hatte er seine Tat geplant.

Max Henderson war Geologe gewesen, laut Jennifer sogar ein weltweit angesehener. Nach dem Vietnamkrieg, in dem Max als Hubschrauberpilot in der Schlacht von Long Tan eingeschlossene Truppen aus der Luft versorgt hatte und dafür ausgezeichnet worden war, hatte er Geologie studiert. Der Bergbau lag ihm offenbar im Blut. Sowohl sein Vater als auch sein Großvater waren Goldschürfer gewesen, erst in Kalgoorlie und Coolgardie, dann weiter oben im Norden, in der Gegend um Cosmo Newberry, in den Gruben von Cue, ehe sie nach ihrem Bankrott mit dem kleinen Max im Schlepptau in die Stadt zogen. Seine Mutter war unter tragischen Umständen im Outback ums Leben gekommen; Jennifer hatte davon nur wenige Einzelheiten erfahren. Max’ Vater hatte danach zu trinken begonnen und war ebenfalls früh gestorben, noch ehe Jennifer und Max sich kennengelernt hatten. Max hatte nie gern über seine Kindheit gesprochen.

Nach seinem Diplom wurde Henderson Riverwalker in Papua-Neuguinea, und er war einer der drei legendenumwobenen Geologen, die das Ok-Tedi-Eldorado entdeckt hatten, einen Berg mit reichem Goldvorkommen im abgelegenen Bergland, das immer noch ausgebeutet wurde. Ok Tedi hatte Hendersons Ruf und Vermögen begründet, aber auch seine Gesundheit ruiniert. Er wäre dort beinahe an Malaria gestorben und erlitt seither jedes Jahr Rückfälle.

Drei Einsätze in Vietnam und immer wieder schlimme Anfälle von Malaria. Eine Kindheit ohne Mutter, ein früh verstorbener Vater. Keine guten Voraussetzungen für eine stabile Psyche.

Swann öffnete den mit »Mitgliedschaften« beschrifteten Ordner. Als Kriegsveteran Angehöriger der Returned and Services League von Swanbourne. Rotarier in Claremont. Mitglied beim Swan Districts Football Club. Und bei mehreren geologischen Gesellschaften, bei denen er laut Jennifer auch dann noch Gastvorträge gehalten hatte, als er kaum mehr als Geologe gearbeitet hatte.

Offenbar war das auch nicht mehr nötig gewesen. Das Haus war abbezahlt. Sie besaßen ein stattliches Aktienportfolio, lauter erstklassige Werte. Max war so reich gewesen, dass er sich schon mit Mitte vierzig hatte zur Ruhe setzen können.

Doch vor zwei Jahren hatte er wieder zu arbeiten begonnen und wurde Berater bei einer Exploration draußen im Outback. Ein Ordner mit dem Titel »Rosa Gold« enthielt Luftaufnahmen eines straßenlosen Buschlandareals in der roten Wüste, dessen Grenzen mit blauem Stift eingezeichnet waren; dazu ein paar Landvermesservermerke und einige rote Kreuze links unten an der südlichen Grenze. Darunter lag eine zusammengefaltete Karte. Dasselbe Gebiet. Darauf waren an der linken südlichen Grenze Aktivitäten vermerkt, es waren konzentrische Kreise um eine mit Bleistift gezeichnete Rhombenform gezogen. Eine Erzkarte? Swann hatte keine Ahnung. Er blickte auf ein paar mit penibler, stark geschwungener Handschrift beschriebene Blätter Kanzleipapier. Anscheinend der Entwurf zu einer Rede, in der Einzelheiten zu Rosa Gold im branchenüblichen Jargon dargelegt wurden: etwas über brekziierte Gesteine und den Magmatismus der Oberkreidezeit, aber kein Hinweis darauf, wann und wo die Rede gehalten worden war. Die Sprache sachlich und unaufgeregt, ohne Begeisterung bei der Darstellung dessen, was auf dem Papier als »höchst bedeutsamer Fund« bezeichnet wurde. Im Ordner fand er keine weiteren Hinweise auf Jennifers Vermutung, dass Henderson für ein paar »sehr wichtige Leute« gearbeitet hatte.

Swann schloss den Ordner, lehnte sich zurück und verschränkte die Hände hinterm Kopf. Dabei fiel ihm das gerahmte Zitat an der Wand auf, der einzige Schmuck in dem abgedunkelten Raum: »Ich und meine Männer leiden an einer Krankheit des Herzens, die sich nur mit Gold heilen lässt.« Hernán Cortés.

Swann nahm den Rahmen von der Wand und drehte ihn um. »Meinem Sohn Max zum Geburtstag am 30. April 1948. Clarrie Henderson.«

5

Gary Quinlivan schüttelte den Inhalt des Tütchens auf seinen Finger, zog ihn schniefend die Nase hoch und lehnte sich gegen die Fliesen. Es hatte etwas befriedigend Taktloses, in der Toilette von Tommaso Adamos Haus in Northbridge den Stoff zu schnupfen, den Adamo selbst im großen Stil vertrieb.

Von dieser Tätigkeit wusste selbstverständlich kaum jemand, und das würde auch so bleiben, denn Adamo war genauso wie sein Reihenhaus: von außen unscheinbar, aber mit einem sehr erstaunlichen Innenleben. Für die Renovierung der alten Hütte hatte Adamo eigens kalabresische Maurer und Fliesenleger einfliegen lassen. Im Garten unter Weinranken versteckt war dort nun eine lauschige Terrasse mit Holzofen und einem byzantinischen Bodenmosaik. An der Wand gab ein riesiges, realistisch gemaltes Panorama den Meerblick der Villa seines Großvaters in San Nicola Arcella wieder. In der geräumigen, reich verzierten Küche standen marmorbelegte Bänke und ein Bauernofen, in dem man eine ganze Ziege braten konnte und dennoch Platz für mehrere Laibe Brot und Fische hatte.

Am meisten angetan war Quinlivan aber von Adamos Toilette. Das hatte allerdings auch damit zu tun, dass er dort viel Zeit verbrachte und die glänzenden schwarzen Wandfliesen anstarrte und dabei immer wieder kurz das Bewusstsein verlor. Toilette und Bad waren so sauber, dass man den Granit des Waschtisches zu riechen meinte. Um das Haus kümmerte sich Adamos alte Mutter, die nebenan lebte. Eine Vase mit Rosen aus Adamos Vorgarten vervollständigte das Bild schlichter Eleganz.

Quinlivan lehnte sich gegen den Spülkasten und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte noch viel von Adamo zu lernen, auch wenn er überzeugt war, dass sie eines Tages Konkurrenten sein würden. Adamos Heroin kam mit Kurieren aus Thailand und Malaysia ins Land und wurde dann vor allem an Spaghettis verkauft. Es gab zwar noch ein paar andere Dealer dafür, aber nur Quinlivan hatte den Zugang zum großen Geld, das sich mit der Jeunesse dorée, die über die Stränge schlug, anzapfen ließ: diejenigen, die regelmäßig grammweise reinen Stoff kauften und nicht bloß die stark verschnittenen Zehn-Dollar-Päckchen auf der Straße.

Adamo hatte Macht, weil er die Stimmen der hiesigen Italiener hinter sich versammeln konnte – und weil immer Hunderte Männer bei ihm in der Kreide standen, die in seinen illegalen Casinos riesige Verluste aufgehäuft hatten. Aber in anderen Punkten war Gary ihm gegenüber im Vorteil. Zunächst war der Kerl Ausländer, trotz seiner Kontakte zu Geschäftsleuten und Politikern. Als Gary – ein wenig zu früh – gekommen war, verließ kein Geringerer als der Polizeiminister und Abgeordnete der Western Australia Legislative Assembly, Terry Sullivan, das Haus und ging zu seiner Ministerkarosse, die in der engen Straße in zweiter Reihe parkte. Bei anderen Gelegenheiten hatte Quinlivan gesehen, wie Stadträte und hohe Beamte in ihren Autos auf eine Audienz warteten.

Aber Quinlivan war kein Ausländer. Im Gegenteil, sein Vater war Richter und kannte alle wichtigen Leute. Wusste, wer was über wen wusste. Wer käuflich war, wer erpressbar. Wer Geld hatte, und wer nur groß tat. Dennoch konnte er noch viel von dem alten Italiener lernen, kein Zweifel. Jetzt, da Quinlivan ihm mehr Geld in Aussicht gestellt hatte, als Adamo mit all seinen Drogen und Casinos verdienen konnte.

Er ließ die Zigarette in die Schüssel fallen, ging zum Granitwaschtisch und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Seine Beine fühlten sich wacklig an. Er liebte das Heroin so sehr, dass er sich kein Leben ohne vorstellen konnte. Er war schon immer ein unruhiger Typ gewesen, ein wilder Junge mit zu viel Energie. Als Jugendlicher waren es Barbiturate und Valium gewesen, jetzt nahm er das strahlend weiße Pulver. Heroin brachte Harmonie in seine Welt.

Quinlivan wusch sich die Hände und trocknete sie ab. Sein Magen hatte sich beruhigt, und er bekam Appetit auf etwas Cassata. Ja, jetzt konnte er Wein trinken und Cassata essen und Adamo zuhören. Quinlivan wusste allerdings schon, was Adamo sagen würde. Der Alte war wegen des Selbstmordes von Max Henderson beunruhigt und verlangte nach Zuspruch.

Es sei denn, er hatte beim Tod des Geologen seine Finger im Spiel gehabt. Immerhin hatte Adamo darauf gedrängt, die Rosa-Gold-Aktien hochzujazzen und dann schnell abzustoßen – so wie sie es schon mit anderen Ramschaktien getan hatten. Henderson jedoch hatte sie bei der letzten Vorstandssitzung davon abgebracht, indem er dem Reden über die guten Aussichten der Lagerstätte auch finanzielle Taten hatte folgen lassen.

Max Henderson war ein auffälliger Mann. Groß und schlank, braungebrannt von der Sonne in der Wüste, aus der er gerade zurückgekommen war. Mit seinem wettergegerbten Gesicht, das den Luftaufnahmen des Geländes ähnelte, hatte er ihnen einen Vortrag gehalten und sie überzeugt, Geld für die Probebohrungen lockerzumachen. Als er zu ihnen sprach, war die Begeisterung in seiner Stimme unüberhörbar gewesen. Er hatte die Fotos vor ihnen ausgebreitet, die Geologie der Lagerstätte erläutert, irgendwelche Brekzien erwähnt, die schon früher erkannt worden waren, sich aber mangels geeigneter Technik nicht hatten ausbeuten lassen.

Doch trotz Hendersons flammender Rede war Adamo skeptisch geblieben – als Einziger. Quinlivan hatte Henderson überhaupt erst ins Spiel gebracht, um die Sache mit Rosa Gold richtig voranzutreiben. Nach einem Vortrag Hendersons bei einer Bergbaukonferenz waren sie ins Gespräch gekommen, hatten sich über Goldexploration und mögliche Finanzierungen unterhalten, und eine Woche danach hatte ihn Henderson wegen eines neuen Funds angerufen. Henderson hatte Gary von den Qualitäten der Lagerstätte so weit überzeugt, dass er auch Adamo dafür hatte gewinnen können, obwohl das nicht ganz leicht gewesen war. Denn natürlich hatte er recht, mit Pump-and-Dump-Geschäften ließ sich schnelles Geld machen, und diese Art Aktienbetrug war so wasserdicht und sicher wie kaum was anderes. Doch mit Rosa Gold hatten sie Aussicht auf viel mehr Geld – und ganz legitim. Die Goldklumpen, die Henderson aus der aufgelassenen Grube irgendeines armen Teufels mitgebracht hatte, hatten glänzend auf dem Tisch gelegen. Und daneben Hendersons eigenes Geld, ein Stapel von vierzigtausend Dollar. Der Geologe wollte selbst mitmachen, und das war für die anderen das beste Argument gewesen. Man sah es Henderson an. Er glaubte daran.

Adamo hatte in einer ironischen Geste die Hände gehoben und aufgegeben, aber für ihn war Henderson weiter ein Fremder. Er wäre ganz nützlich, wenn man trotteligen Spekulanten und institutionellen Investoren den Prospekt vor die Nase hielt, sobald die Bohrungen seine geologischen Gutachten bestätigt hatten, aber anders als die anderen Direktoren war Henderson kein Krimineller.

Und warum sollte man jemandem trauen, der kein Krimineller war?

Aber der Geologe hatte gute Arbeit geleistet. Genau wie vorhergesagt, hatten die ersten Bohrungen vielversprechende Proben zutage gefördert. Dass er im Vorstand war, hatte in der Stadt für positive Resonanz gesorgt. Aber nun, da es aussah, als könne die Mine bald in Betrieb gehen, hatte Quinlivan auch für Adamo Verständnis, wenn er Henderson loswerden und den Kreis wieder kleiner machen wollte.

Quinlivan lächelte sein Spiegelbild an. Ja, von dem alten Italiener konnte er noch eine Menge lernen. Wie man langfristig plante, im Verborgenen die Fäden zog und sich vom Rampenlicht fernhielt.

6

Als Swann in der Nachmittagshitze ankam, waren die Nachwuchs- und die Ersatzmannschaft der Bulldogs gerade beim Training. Der Nachwuchs, erkennbar an den schmächtigeren Körpern und dem fast uniformen, kurzgeschorenen, nur im Nacken etwas längeren Sharpie-Haarschnitt absolvierte Zirkeltraining, während die Ersatzmannschaft im Anstoßquadrat des Spielfelds hin und her sprintete. Die Trainer standen auf dem gelben Gras am Zaun und rauchten. Die erste Mannschaft der Bulldogs hatte im Winter die letzte Saison als Dritter beendet, und sowohl Nachwuchs- wie Ersatzmannschaft hatten ihre jeweilige Meisterschaft gewonnen. In der nächsten Saison sah es gut aus für Fremantle, auch wenn Swann die Spieler nicht beneidete, die jetzt in der Gluthitze des Sommers trainieren mussten.

Danny Yates füllte Swanns Ponyglas, dann seines.

»Wohlsein.«

Sie stießen an und tranken einen Schluck vom bestgezapften Bier in Fremantle. Seit fast zwanzig Jahren stand Yates nun hinter dem Tresen der Clubbar der South Fremantle Bulldogs. Er hatte sich zuvor beim Lokalderby gegen die Old Easts das Bein gebrochen, und weil der Bruch kompliziert gewesen war, hatte er auch seine Arbeit als Maurergehilfe aufgeben müssen. Aus Mitleid war ihm die Bar angeboten worden, und Yates hatte angenommen – und die Entscheidung nie bereut. Zwei Mal täglich reinigte er nun die Bierleitungen, und angesichts der feuchtfröhlichen Wochenenden roch es im Raum nicht übel.

»Noch so’n Banküberfall. Schon gehört?«

Nickend steckte sich Swann eine Craven A an und blies den Rauch in Richtung Teppichboden. »Fünf in weniger als zwei Wochen. Das ist blanke Gier. Oder ein Adrenalinjunkie …«

»Oder ne arme Sau, die Geld für ne Knie-OP braucht. Der Unterschied zwischen dem Typen und meinem Doc ist doch nur, dass der mich ohne Strumpf übern Kopf ausnimmt.«

»Sparst du immer noch drauf?«

»Der Doc sagt, sie müssen den Oberschenkel noch mal brechen und begradigen. Weil der Knochen schief steht, ist auch das Knie nicht mehr richtig geworden.«

Swann stellte sich eine kreischende Kettensäge über Yates’ Bein vor und verzog das Gesicht.

»Tja«, sagte Danny, »und dann soll ich den Scheiß auch noch selbst bezahlen.«

Swann und Yates waren in den Fünfzigern zusammen auf der Highschool gewesen. Sie hatten im selben Club geboxt und sogar gemeinsam ein paar Autos geknackt und Einbrüche gemacht. Als Swann zur Polizei ging, hatte Yates darüber kein Wort verloren, und dafür war ihm Swann heute noch dankbar.

Yates reichte ihm das Telefon und ging zu einem anderen Gast. Swann hatte kein Büro, sondern behalf sich mit Telefonzellen und Münzfernsprechern in verschiedenen Bars. In den Anzeigen, mit denen er seine Dienste bewarb, stand die Nummer seines Privatanschlusses. Irgendjemand war meistens daheim.

»Hallo?«

»Cameron. Kannst du mir Marion mal geben?«

Swann hörte, dass in der Küche gelacht, dann Eier in einer Metallschüssel verschlagen wurden. Erneutes Lachen. Auf dem Plattenspieler die Rolling Stones. Also war Marion da.

»Frank?«

Dieser Ton in ihrer Stimme. »Alles gut«, antwortete er.

»Du rufst zur rechten Zeit an. Unser Telefon läuft nämlich heiß. Du sollst nach Perth fahren. Zu einem Kerl namens Percy Dickson. Dem Chef der Kaufhausdetektive bei Boans. Er meint, ihr kennt euch von früher. Er würd zu irgendwas gern deine Meinung hören. Und dann noch dein Rockerfreund.«

»Gus Riley? Hat er seine Nummer dagelassen?«

»Er meinte, du wüsstest, wo du ihn findest.«

Warum nur kam immer alles auf einmal? Eigentlich wollte Swann zur Returned and Services League nach Swanbourne und sich über Max Henderson erkundigen, aber das musste nun warten. Genauso wie Gus Riley, der als Sergeant at Arms der Nongs so etwas wie Sicherheitschef des Biker-Clans war. Percy Dickson würde nie anrufen, wenn er sich anders zu helfen wüsste. Swann legte auf und trank aus. Klopfte mit dem leeren Ponyglas auf den Tresen und nickte Yates zu, dann nahm er Zigaretten und Schlüssel.

»Behalt die Kasse im Auge, Danny. Sieht so aus, als würdest du gleich erleichtert werden.«

Während des Telefonats mit Marion waren mehrere Männer hereingekommen und hatten sich an den Tresen gesetzt. Swann kannte sie: Detectives aus Fremantle, der älteste von ihnen hieß Curtis und arbeitete bei der Breaks Squad. Boxernase, schmallippig, verkniffener Mund. Er knöpfte sein Jackett auf und ließ beiläufig die .38er im Holster aufblitzen; daraufhin blickten die beiden jüngeren nervös in ihre Biergläser.

Swann lachte, als er in das Nachmittagslicht hinaustrat. Unter aus dem Sprinkler sprühenden Silberperlen übte der Bulldogs-Nachwuchs das Ballaufnehmen bei nassem Rasen, die Trainer sahen ihnen rauchend und mit Megafonen in der Hand zu.

Am Zusammenfluss von Swan River und Canning River blies der Fremantle Doctor über die seegleiche Wasserfläche. Swann fuhr am Raffles Hotel vorbei, überquerte die Canning Bridge und bog auf den Freeway nach Perth. Jetzt im Sommer war der Wasserstand niedrig, das Wasser bräunlich, brackig und warm, die Luft roch nach einem Gemisch aus fauligen Algen, Guano und heißem Kalkstein. Auch um diese Uhrzeit hatte die Sonne auf Swanns Unterarm noch Kraft. Sein Holden knurrte, als er das Gaspedal durchdrückte: Der EK war siebzehn Jahre alt und fuhr sich eher wie ein Lastwagen als ein Kombi, aber das störte Swann nicht. Seine Zeit der Verfolgungsjagden war vorbei. Gegen all die frisierten Karren, die heutzutage unterwegs waren, hatte er keine Chance. Selbst Marions Datsun 120Y konnte ihn locker abhängen.

Liebevoll klopfte Swann auf das Armaturenbrett. Die Sonne hatte den roten Lack des EK auf Dach und Motorhaube schon ausgebleicht, das Dach war sogar fast rosa, aber technisch war der Wagen in Ordnung. Das ideale Gefährt für einen Mann seines Alters und Metiers. Von diesem Typ fuhren noch viele herum, Ersatzteile waren reichlich vorhanden und billig. Und damit konnte er beim Observieren überall stehen, ohne aufzufallen.