Das Haus am Ende des Weges ... - Alf Glocker - E-Book

Das Haus am Ende des Weges ... E-Book

Alf Glocker

4,9

Beschreibung

Wer kennt sie nicht? Die schaurigen Geschichten von Edgar Allan Poe? 59 Autoren haben sich an die Fersen des großen Meisters des Gruselns gehängt und sind ihm gefolgt, haben Geschichten geschrieben, die es in sich haben. Kaum weniger psychotisch, gruselig und mörderisch. Der amerikanische Schriftsteller Edgar Allan Poe (1809 - 1849) ist eine der schillerndsten Dichterfiguren der Weltliteratur. Mit seinen ebenso brillant wie psychologisch raffiniert erzählten Geschichten gilt er als Urvater der Detektivgeschichte und als unübertroffener Meister des Unheimlichen, der mit messerscharfer Feder die Schattenseiten der menschlichen Seele zeigt. Er gilt als der große Magier des Schreckens und hatte großen Einfluss auf den Symbolismus, auf die Entwicklung der phantastischen Literatur und auf die Kriminalliteratur. Viele Autoren, wie Jules Verne, H.G. Wells etc., haben sich von ihm inspirieren lassen.

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Das Haus am Ende des Weges ...

Kerstin Surra

07. Oktober 1849

Ich erzähle euch diese Geschichte, damit ihr daraus eure Lehre ziehen mögt. Denn so wir forschen und uns täglich Neues, Unbegreifliches sich eröffnet und seine Geheimnisse Preis gibt, so kann doch manches Mal aus purem Forscherdrang das Grauen entspringen und Türen geöffnet werden, die besser verschlossen geblieben wären. Drei Menschenkinder schauen die Nacht und ihr werdet sehen, dass sie es besser hätten wissen müssen. Doch richtet selber und überlegt euch wohl, wie ihr gehandelt hättet, wenn ihr ins Unbekannte hättet blicken dürfen.

Eves Blick wanderte von den alten, kunstvoll geschwungenen Gitterstäben des Zaunes über den geheimnisvollen, verwilderten Garten hinüber zu dem mächtigen, trutzigen Gebäude. Düster und fremd blickte das Haus aus scheinbar blinden Augen auf das Mädchen hinab, wie stolz auf seine verblätterte Schönheit, die nicht nur von der Zeit, sondern auch von der Bauwut seiner zahllosen, eigenwilligen Besitzer so verdreht worden war, dass sie seltsam verstörend wirkte. Als trüge es die schizophrenen Gefühle einer ganzen Ahnenreihe zur Schau. Im Gefühl der Nacht, durchzogen von Dunkelheit schien es immer noch prachtvoll, lebendig. Als hätte es eine eigene, vielschichtige Persönlichkeit.

War es nicht eigenartig, unnatürlich, wie die schwere Eingangstür mit den zierlichen Schnitzereien an den barocken Fenstern und den Fratzen am Giebel harmonisierten, als hätte sich das Haus all dies zu eigen gemacht und umgeformt, bis es zusammen passte? Etwas Neues wurde. Bollwerk oder Schloss, Festung oder Palast, Tempel oder Gefängnis? Oder alles zusammen? Wer war der erste Bauherr gewesen, wie seine Träume von einem Dasein in diesen Mauern zum Leben erwacht? Welche Schicksale hallten noch in seinen Mauern nach, welche Geschichten summten um seine Winkel und Erker, seine Türmchen und Spitzen, aufgesetzt und angebaut und drangelehnt?

Eve fürchtete sich vor seiner Vertrautheit. Als wäre es die steingewordene Abbildung ihrer Selbst. So zusammen gesetzt und wieder zerstückelt. Schön und faszinierend und doch so seltsam, dass nur die wenigsten Menschen ein warmes Gefühl für sie entwickeln konnten.

Es blieb stets eine Distanz, die sich ihr Gegenüber oft nicht erklären konnte. Wenn Eve lächelte, dann schwang auch immer eine Traurigkeit mit darin, die jeden frösteln ließ, außer ihren Bruder Charles, dem das so vertraut war, weil er dieselbe Traurigkeit, Verlorenheit unter all den geerdeten Menschen spürte, wie Eve. Ein nicht-dazu-gehören, das er durch seinen gewinnenden Charme wett zu machen wusste. Eve besaß diese Gabe nicht. Sie konnte nicht spielen, was nicht war.

Gleich, als sie einen ersten Blick auf das Haus geworfen hatte, verstand sie, warum ihr Bruder Charles das erst kürzlich von einer entfernten Verwandten geerbte Monstrum so liebte. Er, der von allen skurrilen Dingen fasziniert war, hatte ihr in seinen geheimnisvollen, reichen Briefen von diesem Ort vorgeschwärmt. Seine Forschungen, sein Wissensdrang, seine Lust am Übernatürlichen, die ihn in Heidelberg an der Universität immer ein wenig zum Außenseiter gemacht hatten, zumindest was seine wissenschaftliche Reputation betraf, fanden hier anscheinend genug Nahrung, um ihn den Spott und die eigenen Zweifel an der Existenz des Anderen, Unerklärlichen, die auch den Gläubigsten zuweilen plagen konnten, vergessen zu lassen.

Hier fand er genug Inspiration, um all die Arbeit zu leisten, die zu lange unerledigt auf seinem Gemüt gelastet hatte. Denn Charles betrieb diese Wissenssuche in dieser durchaus nicht ungefährlichen Disziplin nicht nur aus reinem Forscherdrang, sondern auch aus dem Gefühl heraus, es der Menschheit zuliebe zu tun, die den Kräften jenseits unserer Vorstellungskraft hilflos ausgeliefert war. Wäre es möglich, diese Kräfte zu verstehen, zu regulieren, ja zu bannen, wie anders könnte das Leben aussehen, befreit von Angst und Zweifeln, wie stark das Menschengeschlecht werden, wenn es nicht von der Frucht nieder gedrückt wurde, die jeden denkenden Menschen einfach ergreifen musste, dachte er an den Tod, das Jenseits und seine zahlreichen Gefahren. Denn Charles war überzeugt, dass nicht jeder Tote das Glück besaß, direkt in das herbei gesehnte Paradies auffahren zu können. Allzu viele wurden in Zwischenwelten gefangen gehalten, lebten Geisterleben, griffen mit kalten Händen nach dem noch warmen, pulsierenden Dasein der Lebenden. So viele neue Erkenntnisse, die in letzter Zeit für Aufmerksamkeit gesorgt hatten, bestätigten Charles in seiner Auffassung.

Die faszinierenden Versuche eines Anton Mesmer, der das Fluidum entdeckt hatte, das alles durchdringende Prinzip, beeinflussbar durch Magnetismus und Hypnose, oder Isaac Newton, der vom Äther sprach, und ein Übertragungsmedium der elektromagnetischen Kräfte meinte. Dies alles sagte doch nur, dass es Unsichtbares gab, sie alle umgab. Umhüllte und veränderte. Könnte man all das sichtbar machen. Doch in letzter Konsequenz war das ein Gedanke, den Eve zuweilen verdrängte. Was, wenn der menschliche Verstand nicht ausreichte, um alles zu sehen, was, wenn es gut war, dass der Mensch mit Blindheit geschlagen war? Für Charles galten solcherlei Einwände nicht. Er wollte den Schleier abreißen, der sie von dem trennte, was sie noch nicht verstanden, aber sehr wohl spürten. Besonders Charles und Eve, diese Beiden, die mit allzu großer Sensibilität geschlagen waren.

So lange wähnte Eve sich alleine mit ihrem Bruder auf dem Weg durch den Nebel, der sich immer weiter lichtete und Schreckliches ans Licht treten ließ. Jede neue Idee, die Charles durch den Kopf schoss, brauchte auch Versuche. Mutig warf er sich selber in das Unterfangen, wenn die Art des Experimentes dies zuließ, doch zuweilen musste er Beobachter sein, ohne von Schmerzen oder Zuständen heimgesucht zu werden. Dann blickte er seine Schwester mit diesen großen Augen an und sie ließ sich stets auf alles ein, was er ersann. So groß war ihr Vertrauen, dass sie niemals am Gelingen eines Versuches zweifelte, wenn sie auch schon das ein oder andere Mal unangenehme Erfahrungen gemacht, ja einen Blick hinter den Vorhang geworfen hatte.

Von dem, was sie erblickt hatte, war eine graue Strähne über ihrer linken Schläfe in ihrem sonst noch glänzend braunen Haar zurückgeblieben. Und eine tiefe Angst, die sie vor Charles verbarg, um ihm kein schlechtes Gewissen zu machen, dass er sie dem ausgesetzt hatte, die sie ihm aber unmerklich entfremdete, weil er diese Angst nicht kannte, noch verstanden hätte. Für ihn war alles Erkenntnis, reine Freude, große Entdeckerlust. Charles hatte keine Farbe, die dem Grauen einen Namen hätte geben können, in seiner Gefühlspalette.

All das nahm Eve hin, weil sie eine Liebe mit ihrem Bruder verband, die weit über das geschwisterliche Gefühl hinausging, das die meisten Schwestern für ihren Bruder empfanden. Er war alles für sie. Sonst besaß sie nichts und niemanden. Von ihm getrennt zu sein, war eine Qual, die sie krank und elend machte. Zuweilen fühlte Eve sich dann so schwach und losgelöst von ihrem Körper, dass dies einer Seelenwanderung sehr nah kam. Sie fühlte, wie sie verblasste, als würde ihrem Körper die Essenz zum Leben fehlen. Charles war der Äther, der die Luft erfüllen musste, die Substanz, die ihre Zellen beieinander halten musste. Das Fluidum, das sie verlor, wenn Charles sich zu tief in seine Welt verlor, und sie vergaß. All das nahm Eve hin, umgab ihn, ohne, dass er es merkte, umsorgte ihn, liebkoste ihn unmerklich und hielt ihn am Leben, wenn er vergaß, was der Mensch brauchte, außer dem Studieren und Lernen, nämlich Essen und Licht und Luft.

Wenn er dann von seinen elektrifizierenden Magneten aufschaute, seine brodelnden Tinkturen für einen Moment vergaß und zu ihr hinüber sah, zu ihr, die ihn beobachtet hatte, beschützt, dann lächelte er, nur für sie, dieses eine Lächeln, das nur ihr alleine gehörte, dann war es gut. Dann war es genug und Eve war ganz da, im Hier und Jetzt. Vollständig.

Dann lernte er Mei kennen. Tochter aus besserem Haus. Ruhig, schön, strahlend. Fasziniert von seiner Zerstreutheit, angetan von seinem Charme, seinem guten Aussehen, seinem Lächeln, das nun Mei gehörte, hatte sich eine stille Liebe zwischen den beiden ungleichen Partnern entwickelt, die Eve außen vor ließ. Sie nur noch duldete. Charles tat das nicht bewusst. Dazu lebte er zu sehr in seiner eigenen, kleinen Welt. Er stieß Eve nicht fort, doch es gelang ihr auch nicht mehr, ihn zu umfließen, wie sie es gewohnt war.