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Wir leben mitten in einer Zeitenwende, die nach neuen Formen des menschlichen Zusammenlebens geradezu schreit, und begegnen sechs Männern, alle gefesselt von Macht, Gier und unsäglichem Reichtum, verkleidet hinter bürgerlichen Berufen und skurriler Lebensart. Ihr Leben kennt nur einen Mittelpunkt: sich selbst. Mit einem Mal wird ihnen jedoch der Abgrund bewusst, zu dem ein solches Leben führt, und sie erkennen die Flammenschrift an der Wand ihres Alltags. Hilfe finden sie im Wort des großen Mahatma Ghandi: "Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für diese Welt". Ein Gelübde, das einer von ihnen in höchster Gefahr ablegt, erweist sich für sie alle als Rettungsanker und Kristallisationspunkt für ein gänzlich neues Leben. "Wir vermehren das Glück des Nächsten" – das ist es, was sie von nun an auf ihre Fahnen schreiben. Nicht weniger, nicht mehr. Und in einem himmelnahen Ort im Kaukasus setzen sie ihre Absicht in die Tat um. Das Erhoffte wird wahr: "Liebe habt ihr gegeben – Freiheit habt ihr gewonnen" – dies erfahren sie von nun an jeden Tag. Hundertfach erhalten sie zurück, was sie gegeben haben und gewinnen so eine neue, eine unbesiegbare, eine zutiefst menschliche Macht. Erlöst von den Fesseln ihrer Vergangenheit, wird ihr Weg frei hin zu einer wahrhaft humanen Wende der Zeit. Ein Roman, der aktueller nicht sein kann, spannend erzählt mit tiefgreifendem Humor und reichlich Gedanken zwischen den Zeilen.
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Seitenzahl: 192
Veröffentlichungsjahr: 2024
Claus-Olaf Gravittsson
Das kaukasische Gelübde
„Und wer ist‘s, der Euch schaden könnte, so ihr dem Guten nacheifert?“ 1. Petr. 3,13
© 2024 Claus-Olaf Gravittsson
ISBN Softcover
978-3-347-86993-6
ISBN Hardcover
978-3-347-86994-3
ISBN E-Book
978-3-347-86995-0
ISBN Großschrift
978-3-347-86996-7
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Germany
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung „Impressumservice“, An der Strusbek 10, 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Der Autor
Claus-Olaf Gravittsson ist von Beruf Arzt.
Nach dem Studium der Medizin und Biochemie an in- und ausländischen Universitäten, setzte er seine ärztliche Ausbildung an einer süddeutschen Universitätsklinik fort, habilitierte sich und leitete in der Folgezeit eine große Medizinische Klinik.
Er ist Verfasser zahlreicher Fachpublikationen. Seine wissenschaftlichen Bücher wurden in sieben Sprachen übersetzt. „Das kaukasische Gelübde“ ist sein zweiter Roman.
Claus-Olaf Gravittsson ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.
Das Buch
Wir leben mitten in einer Zeitenwende, die nach neuen Formen des menschlichen Zusammenlebens geradezu schreit, und begegnen sechs Männern, alle gefesselt von Macht, Gier und unsäglichem Reichtum, verkleidet hinter bürgerlichen Berufen und skurriler Lebensart. Ihr Leben kennt nur einen Mittelpunkt: sich selbst.
Mit einem Mal wird ihnen jedoch der Abgrund bewusst, zu dem ein solches Leben führt, und sie erkennen die Flammenschrift an der Wand ihres Alltags. Hilfe finden sie im Wort des großen Mahatma Ghandi: „Sei Du selbst die Veränderung, die Du Dir wünschst für diese Welt“. Ein Gelübde, das einer von ihnen in höchster Gefahr ablegt, erweist sich für sie alle als Rettungsanker und Kristallisationspunkt für ein gänzlich neues Leben.
„Wir vermehren das Glück des Nächsten“ – das ist es, was sie von nun an auf ihre Fahnen schreiben. Nicht weniger, nicht mehr. Und in einem himmelnahen Ort im Kaukasus setzen sie ihre Absicht in die Tat um. Das Erhoffte wird wahr: „Liebe habt ihr gegeben – Freiheit habt ihr gewonnen“ – dies erfahren sie von nun an jeden Tag. Hundertfach erhalten sie zurück, was sie gegeben haben und gewinnen so eine neue, eine unbesiegbare, eine zutiefst menschliche Macht.
Erlöst von den Fesseln ihrer Vergangenheit, wird ihr Weg frei hin zu einer wahrhaft humanen Wende der Zeit.
Ein Roman, der aktueller nicht sein kann, spannend erzählt mit tiefgreifendem Humor und reichlich Gedanken zwischen den Zeilen.
Für Julius Quirin und seine Eltern
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Titelblatt
Urheberrechte
Der Autor
Das Buch
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Gleich weiterlesen?
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Widmung
Kapitel 1
Kapitel 17
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Kapitel 1
Wir sind unser sechs. Alles Männer. Alle unverheiratet, aus Überlegung, Notwendigkeit, aus Fahrlässigkeit oder Erfahrung, wer weiß.
Alle waren wir im Beruf erfolgreich, mehr als erfolgreich – Spitzenleute. Unter den obersten Tausend der obersten Zehntausend. Unsere bloßen Namen: Türöffner, obwohl es für uns keine Türen gab.
Unsere Vermögen – ausreichend, durchaus ausreichend. Wenn Sie es genauer wissen wollen: über Geld spricht man nicht in gewissen Kreisen.
Jetzt leben wir alle in einer anderen Welt, arbeiten an den sonderbarsten Plätzen, in den seltsamsten Gegenden, alleine oder zu zweit. Im Nirgendwo einer zerstörten Stadt im Gebirge, am Rande einer Wüste oder in der Eiseskälte Grönlands.
Sie runzeln die Stirn? Zurecht, zurecht.
Fünf Männer, die sich Freunde nennen, superreich, mächtig und zäh, diese „Wir-schaffen-das Typen“. Ich bin der sechste und sie nennen mich „Unser Kleeblattsammler“, nur weil ich zufällig Botaniker bin.
Bald schon fühle ich Ihr mitleidiges Lächeln: Sonderliche Typen, eine weltferne Gemeinschaft – aber es kommt noch schlimmer.
Als wir noch hier im Lande tätig waren, trafen wir uns regelmäßig, regelmäßig für unsere Verhältnisse: immer am ersten Donnerstag eines Monats, manchmal schon mittwochs, selten dienstags und nur in Ausnahmefällen freitags, ganz selten samstags, und montags nur im Notfall. Immer abends um acht Uhr oder um sieben, selten um neun, manchmal um fünf und in der Sommerzeit auch schon um sechs.
Wirtshäuser dienten uns als Treffpunkte. Allen voran der „Goldene Adler“. Ein Traditionshaus nannte er sich und war auch sonst ungemütlich. So flohen wir in einen vergoldeten „Bären“ oder einen „Ochsen“, wie gesagt irgendein Getier, nur golden musste es sein.
Anfangs ging alles gut: Donnerstag, acht Uhr, Goldener Ochse. Aber es gibt unter uns Freunde, die sind noch weltfremder und noch chaotischer als ich selbst.
Entsprechend war die Bilanz:
einen Freund fand man montags um sechs im vergoldeten „Bären“, zwei weitere im güldenen „Ochsen“, leider aber an einem Samstag gegen neun. Und zwei vergnügten sich freitags um sieben in einem „Goldenen Hirsch“.
Mit einem Wort – eine chaotische Truppe.
An einem der nächsten Donnerstage drohte derjenige, den wir zu unserem Präsidenten ernannt hatten, wutentbrannt mit veritablen Folterwerkzeugen, die er persönlich anlegen und zudrehen werde. Daumenschrauben, so lautete das Zauberwort – das einzige Therapeutikum für solche Chaoten.
Zuflucht jedoch finden wir, die Bedrängten, in der Philosophie: Nur der Wechsel, rufen wir, nur der Wechsel ist auf dieser Welt das einzig Beständige. Und zu einem Wirtshaus mit Tiernamen, leider dem falschen, wären wir ja auch gegangen, wenn auch nicht zur vorgegebenen Zeit – aber Großzügigkeit, Großherzigkeit, Großmut seien essentielle Eigenschaften unseres Freundeskreises seit eh und je und unverzichtbar, und natürlich würden wir reumütig Asche auf unsere Glatzen streuen angesichts dieser schauerlichen Schrauben.
Allein – trotz der Aschenofferte – die Wogen glätteten sich nicht an diesem Abend. Die Dezibels stiegen und mit ihnen der Blutdruck. Verbalinjurien unterschiedlichster Schweregrade erfüllten den Raum. Seltsame Mutationen machten die Runde. Vierbeinige gewöhnliche Dackelhunde wurden plötzlich zu verbalen Halbdackeln – dem Superlativ aller schwäbischen Beleidigungen.
Der Rest ist schnell erzählt:
Ein wenig chaotisch sind wir geblieben. Aber wir treffen uns jetzt, wo wir nicht mehr im Land, sondern in alle Welt verstreut sind, zweimal im Jahr. Nein, außerhalb einer psychiatrischen Abteilung und tatsächlich zu unverrückbaren Zeiten.
Die Termine sind sakrosankt, die Spielregeln streng, die Strafen für das Fernbleiben gewaltig. Den „Adler“ haben wir verlassen, und auch das vertraute Gold hat sich zu Gelb gewandelt.
Das Wirtshaus hört jetzt auf den Namen „Gelbe Forelle“ und steht an einem Waldrand. Weit und breit nur Wald. Keine Spur von Fischen und von Forellen, vor allem gelben, schon gar nicht.
Neben einem Präsidenten haben wir jetzt auch einen Schriftführer, einen veritablen Oberlehrer, Herbert mit
Namen, Kassen- und Klassenwart sozusagen in Personalunion. Wer fehlt oder zu spät kommt, wird ins Klassenbuch eingetragen. Manchmal kommt er selbst zu spät, dann trägt er sich selbst ein – nur damit Sie verstehen, was das für ein Kerl ist.
Außer Dienst ist unser Oberlehrer die Liebenswürdigkeit in Person. Aber Dienst ist Dienst, egal ob die Forelle blau ist oder gelb, und um acht Uhr meint um acht Uhr und nicht um neun, und die Zeit in der Forelle ist die zentraleuropäische und Disziplin ist die Mutter des Erfolgs – solche Sprüche.
Die Versammlung am Jahresende nennen wir verwegen „unsere Weihnachtsfeier“. Damit die Feier nicht zu fröhlich wird, liest dieser Mensch dann aus einem Buch vor, das er das „große Protokollheft“ nennt:
„A kam in diesem Jahr nie zu spät, B einmal und C zweimal, jedes Mal mit der Entschuldigung, sein Papagei sei verstorben“ – solche Dinge. Dann verkündet der Herr Kassenwart das jeweilige Strafmaß, schauerliche Summen, obwohl Weihnachten naht – nur damit Sie sehen, was das für ein Kerl ist.
Einer unserer Freunde betäubt Menschen von Berufs wegen:
Treibt es der Kassenwart zu toll, erhebt er sich und sagt: „Dir sollte man einfach ein bisschen mehr Äther auf die Schnauze geben, dann kommt für Dich keiner mehr zu spät, und Du schon gar nicht.“
Auch heute ist wieder ein besonderer Tag: Der Präsident feiert seinen Geburtstag. „Du lieber Greis“ – so begrüßen wir ihn, weil er bereits fünfundfünfzig Jahre zählt. Ein Auto mit zwölf Zylindern hat er sich zu diesem Anlass gekauft, weil man sich ja gelegentlich etwas gönnen sollte. Wenn es trotzdem fährt – Bitteschön, wir haben nichts dagegen.
Halbierte Enten hat er als Festmahl bestellt mit rotem Kraut und bayerischen Knödeln. Dazu will er Riesling trinken aus der Pfalz und geradezu ideal sei er, dieser Riesling, zu allen Tieren, Enten eingeschlossen.
Herbert ist kein Sommelier – glaubt es aber.
Natürlich haben wir auch ein Präsent für ihn – ein elektrisches Fahrrad. Er muss es laden mit der gesunden grünen Elektrizität. Danach fährt das Ding bergaufbergab, solange bis die Batterie sagt, dass es jetzt genug sei. Dann steigt der Chauffeur ab, in der Regel beleidigt, und tritt danach selbst in die Pedale, vor allem bergab – ein Meister im Umgang mit seinen Kalorien.
In der Forelle steht verirrt ein Flügel. Unter meinen Händen gibt er erfrischende Laute von sich, fürchtet sich aber vor dem, was wir Geburtstagsgesang nennen.
So verlaufen unsere Abende mit verhaltener Freude.
* * * * *
Sie wollen wissen, wer sich in einer solchen Gemeinschaft tummelt und wie ein solch seltsamer Verein überhaupt zustande kam?
Herbert, unseren Oberlehrer und Präsidenten, Kassen- und Klassenwart in einer Person, kennen Sie schon. Seit Jahren bin ich mit ihm befreundet. Ein feiner Kerl, aber manchmal akribisch. Drei Stellen hinter dem
Komma, das wäre ihm am liebsten. Das makelloseste Kassenbuch der Welt im Guinnessbuch der Rekorde – einer seiner Träume. Früher, als man noch per Hand Briefe schrieb, unterstrich er die Ortsnamen der Empfänger stets mit dem Lineal, zweimal selbstverständlich, vielleicht, weil sich ein einziger Strich auf der Reise hätte verabschieden können.
Herbert ist blitzgescheit. Er lernt gerade aus Spaß, wie er sagt, Rätoromanisch, und unterrichtet im Alltag Sprachen und Geschichte. Und wenn Du ihn nachts weckst und ihn fragst: „Wann und wozu war die Schlacht bei Salamis?“, dann antwortet er nicht etwa: „Du dummer Hund, lass mich schlafen“, sondern murmelt einfach: „20. September 480, natürlich vor Christus, Du Esel, und die Griechen haben die Perser durch ihren Sieg vertrieben, wenn das in Dein Spatzenhirn hineinpasst, Du Bildungsferner…“
Und dreht sich um und schläft weiter den gesunden Schlaf des Gebildeten.
Über die Sprachen, die er beherrscht, redet er nicht. „In toto sechs oder acht, wenn ihr es absolut wissen wollt.“
Nebenbei: Nur zwei Leute auf dieser Welt sprechen Latein so fließend wie er. Wenn Sie es für sich behalten wollen: der Papst ist der andere.
Wundert es Sie, dass wir ihn „unseren klugen Oberlehrer“ nennen und ihm bald darauf das Präsidialamt übertrugen?
Jahre hat er damit verbracht, ein berühmtes Gymnasium zu leiten. Seine Tätigkeit – nichts als die reine
Tarnung. Mit Gelderwerb habe das nichts zu tun, sagt er, und schon gar nicht mit Lebensunterhalt oder solchen Dingen.
Eine altledige, nicht gerade verarmte Nenntante hätte schon vor Jahren diese Welt verlassen und er sei von ihr sehr geliebt worden. Der Wert der Erbtante: zwölfmal zehn hoch sechs – wenn ihr das versteht, nein, nicht in Lire oder in alten französischen Francs, in echten Euros.
Er sei daher mit „Mitteln“ zufriedenstellend versorgt, durchaus zufriedenstellend, und wir fragen nicht weiter nach den zufriedenen Mitteln, damit diese sich nicht verabschieden.
Herbert sammelt Bücher. Eine Galerie hat er in sein Haus einbauen lassen, damit es mehr Wände gibt für diese Schätze. Er leugnet, dass sein Bett auf Büchern stehen würde, aber selbst in der Küche und im Klo verlangen die Bücher nach einer standesgemäßen Unterkunft. Bücherregale soweit man blicken kann, sozusagen zu Luft, zu Wasser und zu Lande, schlicht: überall.
Manchmal ärgern wir ihn, den Blitzgescheiten, mit seiner Salamischlacht. Dann lächelt er milde wie ein Lehrer unter Hilfsschülern: „Oh, wie oft habe ich das euch schon gepredigt – nicht ein „i“, sondern ein „s“ am Ende des Wortes: Salamis, wie man es spricht, nicht Salami, Ihr Wurstfresser.“
Treiben wir es zu toll, hebt er jedes Mal die Hände gen Himmel und ruft in bestem Honoratiorenschwäbisch: „Oh Herr, schmeiß’ Hirn ra auf diese Kerle.“
Danach geht es dann wieder einige Zeit.
Natürlich hat auch er Schwächen und nicht zu wenige, wie wir alle. Außerdem ist er seltsam, ausreichend seltsam, wie wir alle.
* * * * *
Siegfried ist unser Häuslesbauer und Schwabe dazu. Wir spielten schon im Sandkasten miteinander. Er baute Burgen, die ich zertrampelte. Ich grub Höhlen als Wohnungen für meine Phantasiezwerge, über die er nur lachte. „Als nächstes glaubst Du auch noch an Elfen und Trolle, mein Kleiner.“ So war er damals, ein kleines Großmaul.
Aber meistens vertrugen wir uns. Und wenn wir im Sandkasten alleine waren, schaufelten wir manchmal einen Fluss und dazu einen See. Und weil ein See ohne Wasser kein See ist, und ein Fluss ohne Inhalt sich nicht Fluss nennen darf, sondern nur Rinne, pinkelten wir in unseren See, bis er überlief und so unser Fluss zu einem echten Fluss wurde. Und es war sehr schön, wenn auch ein bisschen eklig.
Nach dem Gymnasium verloren wir uns aus den Augen, bis mich plötzlich ein unverhofftes Telefonat erreichte.
Er habe, sagte er, das Vorlesungsverzeichnis unserer Universität zufällig durchgeblättert, und sei dabei auf einen ungewöhnlichen Namen gestoßen. Und einen solchen gebe es eigentlich nur einmal im ganzen Land und ob ich nicht der sei, von dem er glaube, dass ich es sei.
Sie können es auch unkomplizierter haben: Siegfried kam ins Institut und wir fielen uns um den Hals, beteuerten uns gegenseitig, dass wir uns überhaupt nicht verändert hätten, die Jahre an uns abgeprallt wären wie Wasser an einer Regenhaut. Sigi hat es, so sagte er, mit der Architektur, so wie ich es mit den Pflanzen habe.
Was mein Mitpinkler und Sandkastenfreund berichtete:
Sein dritter Wolkenkratzer in Shanghai sei unlängst fertig geworden und ein auch etwas höheres Häusle in Dubai habe er gerade eingeweiht, beiläufig 86 Stockwerke über Normalnull. Das Dubaihäusle trage die Nummer 19 auf der Liste seiner Wolkenkratzer und bei Nummer 20 würde er Schluss machen mit dem ganzen Geschäft, und nur noch Rosen züchten oder Himbeeren – ob Du es glaubst oder nicht.
Unsere Wette: einen Kasten des Gewächses der Witwe Cliquot. Sigi gewann. Auch ohne Champagner hätten wir ihn alle gleich ins Herz geschlossen, den Häuslesbauer aus dem Sandkasten, dem man seine Energie erst ansieht, wenn er seine Bert-Brecht-Brille abnimmt und dann seine Sätze mit einem „Das-muss-aber-wesentlichbeschleunigt-werden“ schmückt – nicht immer zur Freude seiner Umgebung.
So kam er in unsere Gemeinschaft. Ein Freund, die Augen verborgen hinter dieser antiquarischen Seltsamkeit, aber der Hintern voller Hummeln – ein getarntes Energiepaket, ein Mann, der – kein Zweifel – seine Wolkenkratzer zu Fuß besteigt.
Sein Einkommen, gar seinen Stundenlohn wollen Sie erfahren? Zehn Personen, sagt er, könnten davon höchst luxuriös leben, fünfzig noch sehr gut. Mit einem Wort seine Einnahmen seien erträglich, sehr erträglich. Und mit jedem Jahr, das vergehe, würde sich sein Bankdirektor tiefer verbeugen – also auf Sozialhilfe sei er, Gott sei Dank, nicht angewiesen.
Manchmal, sagt er, würde man ihn mit Naturalien bezahlen. Und ob ich vielleicht Interesse hätte an einem Rennkamel, einem weißen? Pfeilschnell sei es und er würde es mir schenken. Oder an einem wohlerzogenen Falken, falls mir die Jagd auf Hasen oder die Fuchsjagd am Herzen läge.
So ist Sigi, der unter die Gruppe der Pfundskerle zählt und den man vorsichtig umarmen muss, wegen der Kostbarkeit, die er auf der Nase trägt und als Brille bezeichnet.
Sie sind gespannt zu erfahren, was ihn aktuell beschäftigt?
Wenn Sie ihn fragen, wird er absolut Unverständliches antworten. Er wird sagen:
Vergil beschäftigt mich gerade und sein Epos, und der ihm zugeschriebene Satz „Immota manet“, was auf Deutsch so viel heißt wie: „Harret aus, bleibt standhaft, weicht nicht zurück, trotzt dem Unglück, haltet aus in der Katastrophe“ – das ist’s, was er antworten wird. Und in Ihr Stirnrunzeln hinein wird er dann fortfahren:
Entsetzlich seien sie, die Verwüstungen nach dem Erdbeben in der Stadt, die in ihrem Wappen genau diese Botschaft des Vergil trägt: „Haltet aus, trotz allem.“
Am eigenen Leib habe er durch bloßen Zufall dieses Unheil erlebt. Der Schrank im Zimmer habe sich geöffnet wie von selbst, Bilder, Bücher und Lampen seinen auf dem Boden zerborsten und fliehend hätte dieses schauerliche Beben mit Dachziegeln nach ihm geworfen, mit Bäumen, Mauern, ja mit ganzen Hauswänden.
Knapp nur dem Tod entronnen, habe er beschlossen: ich kehre zurück. Ich helfe. Mit meinem ganzen Wissen und mit Geld, viel Geld. Und zusammen mit HG, meinem Freund, den Sie noch nicht kennen, einem Städtebauer, einem Wiederaufbauer erster Güte, komme ich zurück.
Natürlich: die Welt könnten sie nicht retten – aber zwei kluge Köpfe und vier helfende Hände – besser als nichts. „Immota manet“: wir harren aus mit euch, wir stehen zu euch, packen an, bauen wieder auf, mit euch zusammen – bleibt standhaft, trotzt dem Unheil. Wundert es Sie, dass die Einheimischen diese beiden bald „unsere heimlichen Engel“ nannten?
* * * * *
Unser Bauigel heißt mit Nachnamen Mayr, nicht Maier, nicht Meier oder Meyer und schon gar nicht Meyr. Natürlich hat er auch einen Vornamen, wenn auch einen sonderlichen: Hannsgert heißt er, in einem Wort.
Und auf zwei „n“ und dem knalligen „t“, sagt er, müsse er bestehen.
Logisch, dass er viele Spitznamen trägt. Der kehlkopfschonendste lautet: „unser HG“, schlicht, aber alltagstauglich. Der zweite leitet sich von seinem Beruf ab. HG baut. Nein, weder Wochenendnoch Reihenhäuser und schon gar nicht Sommer-, Winter- oder meinetwegen Frühjahrshäuser. Er baut auch keine Klohäuser, keine Brauhäuser, und Kartenhäuser hat er noch nie hergestellt. Er spielt in einer anderen Liga, aber man sieht es ihm nicht an.
Immerhin sagt er von sich, dass er habhaft baue. Seine Gebäude, davon ist er überzeugt, wären solide vom Fundament bis zum Dach und ihre Mauern hielten über viele Generationen. „Mayr’s Mauern meisterlich“ – das einzige, sagt er, was ihr Euch merken müsst, meisterlich.
Logisch, dass wir dann, wenn wir ihn ärgern wollen, ihn unseren „3M“ nennen, den meisterlichen Mauern-Mayr.
Den Laden, sagt er, habe er vom Vater und dieser ihn vom Großvater übernommen und das Geschäft, sagt er, ginge gut, ja sehr gut. Nein, unter die Hungerleider zähle er nicht.
Ganze Städte baut HG, Flughäfen und Feriensiedlungen, gelegentlich sei auch eine U-Bahn dabei oder ein Tunnel unter irgendeinem Meeresarm, manchmal ein Staudamm oder ein Viadukt – nur damit klar ist: 3M ist nichts für Ihr nächstes Sommerhäusle am Meeresstrand, es sei denn, Sie hätten an neunundneunzig weitere gedacht und dazu noch an einen Flugplatz, kein Flugplätzle, versteht sich.
HG ist der jüngste von uns allen. Wir schätzen ihn unter Brüdern auf fünfundvierzig. Dabei ist er neun Jahre älter. Ein „alerter Jüngling“, behauptet er von sich, und Hochsprung, sagt er, sei früher sein Lieblingssport gewesen. Je höher, desto besser. Niemand zweifelt: für den 3M ist das die richtige Sportart.
Ob ich mir zwei Meter plus vierzehn Zentimeter, seinen Rekord, vorstellen könne? Im nüchternen Zustand, erwidere ich, nein. Zweivierzehn – mit Anlauf?
Natürlich, Du Esel, mit gehörigem Anlauf.
Den Esel will ich nicht auf mir sitzen lassen. Ob er schon einmal etwas gehört habe von dem guten alten Hundefloh, dessen unfasslicher Anlaufgeschwindigkeit und Sprunghöhe: Springt dreißig Zentimeter hoch und ist nur zwei Millimeter groß. Dies würde für Dich, der Du fast einsachtzig groß bist, bedeuten, dass Du mit Leichtigkeit über ein 3-stöckiges Haus…
HG lässt mich nicht ausreden, murmelt ein unfeines Wort aus dem Bereich des menschlichen Enddarms und lässt mich stehen. A bad loser.
Bei HG ist alles flink: seine Augen, sein Verstand, seine Hände. Und so auch seine Lebensweise. Schon lange hat er es aufgegeben zu schlafen. Er hält es, sagt er, mit Napoleon: drei bis vier Stunden im Sommer und im Winter noch ein Viertelstündchen dazu – das genüge. Reine Gewohnheitsache – ihr Schlafmützen!
So ist Hannsgert, glaubt es oder glaubt es nicht. Seine Heimat sind die Flugzeuge. Er wohnt sozusagen in diesen Apparaten. Viele Stewardessen kennen ihn, den Alerten mit seiner Stoppelfrisur und dem Schnurrbart, den er selbst als „verführerisch“ bezeichnet, obwohl er mit Mädels nichts mehr am Hut hat.
Einmal geschieden, sagt er, reicht. Die hohen Sprünge, sprich Reisen, habe Elsa, seine Ex, nie mitgemacht, weder nach Asien noch nach Amerika. Und dann dieser muskulöse Gärtner, den er – „ich Idiot“ – auch noch selbst besorgt habe, nun ja, nun ja, Tempi passati.
3M ist ein guter Mensch, hat aber kaum Zeit dazu. Siegfried kannte ihn, schätzte ihn und so kam er in unseren Verein, wahrscheinlich während eines Stopover.
Manchmal, so sagt er, frage er sich, warum er sein Leben ausgerechnet auf Sitz 1 A verbringe, links vorne in jedem Flieger, und er nur deshalb lande, um danach wieder starten zu können. Und kaum von uns getröstet, umarmt er uns alle, und das mit dem unaussprechlichen Darm nimmt er zurück und ich meinen Floh.
So ist HG, unser Architekt – unendlich reich und ziemlich arm.
Ein Erdbeben brauchte es, um seine Armut wegzublasen. Reicher, sagt er, sei er nie gewesen als jetzt, wo er zusammen mit Sigi durch eine halbwegs wiederaufgebaute Stadt habe gehen können. Man nenne ihn dort den anderen Engel – aber das bitte nur unter uns.
* * * * *