Das Kind ohne Schatten - Heike Kiefer - E-Book

Das Kind ohne Schatten E-Book

Heike Kiefer

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Beschreibung

Am Strand einer seltsamen Insel entdeckt Max ein geheimnisvolles Mädchen: Das Kind ohne Schatten. Es will von der Insel fliehen, will einen Schatten bekommen und ein richtiger Mensch werden. Max, seine Schwester Trulla und ihre Freunde wollen dem Mädchen helfen. Sie ahnen nicht, auf was für ein Abenteuer sie sich einlassen.

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Heike Kiefer

Das Kind ohne Schatten

Heike Kiefer

Das Kind ohne Schatten

Illustrationen von der Autorin

1. Auflage 1990

Reihe Rote Rübe Nr. 2

Verlag Neuer Weg

Kaninenberghöhe 2

4300 Essen 1

Alle Rechte Vorbehalten

Gesamtherstellung:

Neuer Weg Verlag und Druck GmbH

Kaninenberghöhe 2

4300 Essen 1

ISBN 3-88021-178-7

Heike Kiefer

Das Kind ohne Schatten

Erstes Kapitel

Max

Es war einmal ein Junge, der hieß Max. Er war neun Jahre alt und hatte rote Haare und eine Menge Sommersprossen auf der Nase. In die Schule ging er ziemlich gerne, denn er hatte eine nette, lustige Lehrerin. Sie hieß Frau Meier, genauso wie Max mit Nachnamen hieß. Also noch mal: Der Junge hieß Max Meier. Deshalb war sein Geheimzeichen auch:

Zwei M, eins normal und eins auf dem Kopf geschrieben. Es sah so aus, als ob sich das stehende M in einem Spiegel spiegeln würde.

Dieses Geheimzeichen schrieb Max immer unter die Briefe an seine besten Freunde. Das waren Hans und Olaf und Lisa. Nur diese drei durften sein Geheimzeichen kennen. Max hatte noch eine kleine Schwester, die hieß Trulla. Also, Trulla hieß sie natürlich nicht in Wirklichkeit. So war nur ihr Spitzname, weil sie nämlich so gerne Kasperletheater spielte oder anguckte, und das fing immer an mit »Tri-tra-trullala, Kasperle ist wieder da«. Max hatte sein Schwesterchen Trulla genannt, und seitdem sagten alle Leute, auch die Eltern, nur noch Trulla zu ihr. Keiner wußte mehr, wie sie eigentlich richtig hieß. Aber das war ja auch egal.

Zweites Kapitel

Hitzefrei!

Es war gerade Sommer. So heiß war es, daß die Kinder in der Schule gar nicht mehr richtig denken konnten.

Max saß auf seinem Platz und guckte angespannt auf Frau Meiers Mund. Er sah, wie der sich bewegte, er hörte auch die Worte. Aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte den Sinn dieser Worte einfach nicht verstehen. Das kam nämlich daher, daß Max’ Gedanken wie von selbst immer wieder zu dem schönen kühlen See mitten im Wald wanderten. Dort würde er jetzt am liebsten, am allerliebsten sein! Hier in dem Klassenraum war die Luft stickig, und Max klebte fast mit seinen nackten Schenkeln am Stuhl fest. So schwitzte er.

Jetzt ins kühle Wasser steigen, erst mit den Zehen, dann mit den Beinen, immer weiter rein, bis zum Bauchnabel, bis zur Brust ...

»Ah«, sagte Max, weil dieser Gedanke so schön war.

»Was meinst du, Max?« fragte Frau Meier.

»Ach nichts«, sagte Max. Also jetzt will ich aber wirklich besser aufpassen, dachte er.

Aber schon nach kurzer Zeit waren seine Gedanken wieder beim See. Wo war er stehengeblieben? Ach ja, bei der Brust. Jetzt konnte er losschwimmen. Wie herrlich das klare Wasser an seinem Körper entlangkribbelte, wie es beim Schwimmen gluckste, wie kleine lustige Bläschen entstanden. Jetzt tauche ich auch mal den ganzen Kopf unter, stellte Max sich vor.

»Mmmm«, machte er, weil’s so schön erfrischend war.

»Na, Max, was ist denn los mit dir? Erst sagst du ›ah‹, dann ›mmm‹ ..., ißt du gerade was Leckeres?« fragte Frau Meier.

»Nein, ist schon gut«, sagte Max.

Die Lehrerin schüttelte verwundert den Kopf. Aber dann dachte sie bei sich: Vielleicht langweilt sich der Max. Ich glaube, heute kann ich den Kindern nicht viel beibringen. Bei dieser Hitze fällt mir gar nichts Lustiges ein ...

Max war natürlich schon wieder beim See. Jetzt schwamm er gemütlich immer weiter zur Mitte hin, in Richtung der geheimnisvollen Insel. Die war ganz schön weit draußen. Die Kinder durften höchstens bis zur Hälfte der Strecke schwimmen, weil danach dicht verflochtene Schlingpflanzen wuchsen. Das war sehr gefährlich. Wenn man dort hineingeriet, konnten sich die Schlingpflanzen wie Schlangen um die Arme und Beine wickeln, so daß man nicht mehr weiter konnte. Je mehr man zappelte, desto fester wurde man umschlungen. Noch nie hatte sich deshalb jemand getraut, zur Insel zu schwimmen. Sogar mit dem Boot hatte sich noch keiner hingetraut, weil sich die Schlingpflanzen auch um die Ruder wickelten.

Was war das bloß für eine Insel? Schon oft hatte Max stundenlang am Seeufer gesessen und rübergeguckt.

Wenn er bloß mal dort hin könnte!

Manchmal kam es ihm so vor, als wenn von der Insel wunderschöne Musik herübertönte, aber nur, wenn der Wind gerade zum Seeufer blies und nur, wenn auch alles andere ruhig war. An manchen Tagen war wirklich der Wald ganz still. Die Vögel sangen nicht, die Grillen zirpten nicht, nur das Laub in den Bäumen und das Schilf am Seeufer raschelten. Es war so, als wenn alle Tiere zuhören würden ... Aber vielleicht war die schöne Musik auch nur der Wind selber.

Wer weiß, vielleicht war auf der Insel ein Schatz vergraben? So ein richtiger mit Truhe und so. Das wär was, wenn er diesen Schatz finden würde! Dann würde er ... ja, was würde er damit wohl machen?

»Au ja!« rief Max plötzlich laut, weil ihm eine gute Idee einfiel.

»Also Max, jetzt mußt du uns aber wirklich sagen, was los ist! Erst sagst du ›ah‹, dann ›mmm‹, dann ›au ja‹ — was soll denn das bedeuten?« fragte Frau Meier.

»Mir ist so heiß, da habe ich leider nicht anders gekonnt und hab’ mir vorgestellt, ich würde im See schwimmen«, sagte Max.

»Ah!« — »Mmm!« — »Au ja«, riefen alle Kinder durcheinander. Einer schrie plötzlich los: »Wir wollen hitzefrei! Wir wollen hitzefrei!« Und alle Kinder schrien mit.

»Ich will eigentlich auch hitzefrei, gute Idee von euch«, sagte Frau Meier und ging zum Direktor. Da kamen gerade auch ein paar andere Lehrer. Alle sagten, bei ihnen würden die Kinder nur noch an Schwimmen und Eis essen denken.

Juhu, sie bekamen tatsächlich hitzefrei!

Drittes Kapitel

Die geheimnisvolle Insel

Max lief sogleich zum Geheimtreff. Das war eine uralte Eiche mit einer Bank darunter. Hier traf er sich immer mit seinen Freunden. Manchmal steckte man auch nur schnell einen Brief in eine kleine, versteckte Aushöhlung im Baumstamm. Das war ihr Geheimbriefkasten.

Als Max zum Baum kam, war niemand zu sehen, weder Hans noch Olaf noch Lisa. Sie waren wohl als erstes zur Eisbude gelaufen. Aber Max hatte kein Geld für ein Eis, außerdem wollte er so schnell wie möglich zum See.

Geschwind holte er einen Zettel aus dem Schulranzen und schrieb einen Brief:

Den Zettel steckte er in den Briefkasten und rannte los. Seine Freunde mußten wahrscheinlich erst mal zu Hause Bescheid sagen. Vielleicht durften sie auch gar nicht zum See! Die meisten Kinder durften nicht, weil der See wegen den Schlingpflanzen zu gefährlich war.

Max brauchte nicht Bescheid zu sagen. Seine Eltern kamen nämlich beide erst gegen Abend von der Arbeit nach Hause. Die Mutter mußte dann noch Trulla vom Kindergarten abholen, und anschließend kochte sie das Essen. Bis dahin hatte Max noch viel Zeit.

Er rannte so schnell er konnte in Richtung See. Natürlich immer auf der Straßenseite, wo Schatten war! Seine Kleider klebten schon auf der Haut, so schwitzte er.

Endlich war er am Stadtrand angelangt. Der kühle Wald fing jetzt an. Das war wie in einer hohen, friedlichen, grünen Halle. Oben rauschten sanft die Baumwipfel, auf dem Boden raschelten die Blätter. Überall tanzten lustige Sonnenflecken auf dem Waldboden.

Max rannte quer durch den Wald. Er wußte die Richtung zum See, da brauchte er nicht den Weg. Jetzt ging’s über den kleinen Bach. Der war heute nur ein dünnes Rinnsal. Das Wasser glitzerte so verlockend in der Sonne, daß Max sich niederkniete, um ein wenig zu trinken.

»Ah! Das tut gut!« murmelte er.

Als er so vor sich hinmurmelte, merkte er auf einmal, daß alles ganz still war. Stimmte es auch wirklich? Nur die Baumwipfel rauschten, und die Blätter raschelten vom Wind. Kein Vogel zwitscherte, keine Grille zirpte, keine Mücke hörte man summen ...

Aber das Herz von Max klopfte ganz laut. Heute war so ein stiller Tag im Wald! Max spürte auf einmal ein komisches Kitzeln im Bauch. Das hatte er manchmal, wenn er aufgeregt war, sich schrecklich freute oder auch ein wenig Angst dabei hatte. Er spürte genau, daß wieder etwas Besonderes in der Luft lag. Wenn die Tiere schon mal still waren ...

Nun aber los zum See! Max rannte und rannte. Vor lauter Aufregung hatte er seinen Ranzen am Bach liegengelassen! Aber das merkte er erst viel, viel später ...

Jetzt lichteten sich die Bäume, und er konnte schon das Geraschel des Schilfes hören.

Dann sah er den See. Niemand war am Ufer. Die Wasseroberfläche war leicht gekräuselt, als wenn der See Gänsehaut hätte. Die Insel lag hinter einem ganz feinen Nebelschleier.

Max setzte sich ins Gras direkt ans Wasser und guckte zur Insel. Wenn bloß sein Herz nicht so laut klopfen würde, dann würde er vielleicht wieder die Musik hören!

Allmählich beruhigte sich das Herz. Max machte die Augen zu, damit er besser hören konnte.

Da! Da kamen die schönen Klänge von der Insel herüber. Erst ganz leise wie aus weiter, weiter Ferne, dann trug sie der Wind näher zum Ufer, dann waren sie wieder ganz weit weg. So schwangen die Klänge mal lauter, mal leiser. Aber das war gerade das Schöne dabei.

Die Klänge selber ergaben eigentlich keine richtige Melodie wie bei einem Lied. Es war aber so, als wenn dort die ganze Natur singen würde. Das kann man gar nicht beschreiben.

Jedenfalls war es so wunderschön, daß Max am liebsten zur Insel wollte. In seiner Brust zog etwas ganz komisch, das Gekitzel im Bauch war auch immer wieder da, und beinahe mußte er sogar weinen. Manchmal weint man ja, weil etwas so schön ist.

Lange — oder nur kurz? — saß Max da und hörte zu. Aber dann wurde die Sehnsucht zur Insel so stark, daß er seine Kleider auszog und losschwamm. Er wollte so nah wie möglich an die Insel heranschwimmen.

Das Wasser war sein Freund. Max fühlte sich darin richtig wohl. Die kleinen Kräuselwellen glitzerten vor seinen Augen, und in die schönen Klänge mischte sich das Plätschern des Wassers, wenn er mit seinen Armen eintauchte.

Nun war Max an der gefährlichen Stelle des Sees angelangt. Er sah die Schlingpflanzen durch die Wasseroberfläche schimmern.

Auf keinen Fall durfte er dort hineingeraten! Aber er wollte noch nicht umkehren. Er schwamm am Rand der Schlingpflanzen weiter um die Insel herum. Die Musik tönte immer deutlicher herüber, aber er konnte noch nicht viel mehr von der Insel sehen, weil die Sonne ihn blendete. Auf einmal merkte Max an einer Stelle, daß durch die Schlingpflanzen ein Weg führte. Der war gerade so breit, daß man durchschwimmen konnte, ohne mit den Armen und Beinen in die Pflanzen zu geraten. Ganz vorsichtig schwamm Max hinein.

Plötzlich war alles ganz still! Man hörte nur das Glucksen des Wassers. Max war es ganz unheimlich. Aber jetzt konnte er nicht mehr umkehren. Wenn er jetzt im Wasser gewendet hätte, wäre er sicher in die Schlingpflanzen geraten.

Viertes Kapitel

Das Mädchen

Nun spürte Max den Boden unter den Füßen. Das Wasser ging ihm nur bis zur Brust. Vorsichtig ging er weiter. Auf einmal war es, als ob er durch einen Vorhang gehen würde. Das war der Nebel. Als er durch war, lag die Insel vor ihm. Endlich!

Am Ufer saß ein Mädchen. Als es Max kommen sah, sprang es sofort auf und lief zum Wasser. Aufgeregt winkte es dem Max entgegen.

Max getraute sich nun aber nicht, an Land zu gehen, weil er nur eine Unterhose anhatte.

»Komm doch!« rief das Mädchen.

»Aber ich hab’ nur eine Unterhose an!« rief Max zurück.

Da lachte das Mädchen so hell und lustig, daß Max auch über sich lachen mußte und schnell an Land sprang.

Das Mädchen guckte ihn mit großen Augen von oben bis unten an.

»Warum guckst du mich so an?« fragte Max.

»Ich habe noch nie einen Menschen gesehen«, sagte das Mädchen.

»Aber bist du denn nicht selber auch ein Mensch?«

»Nein, wir hier auf der Insel sind keine richtigen Menschen.«

»Wieso denn nicht? Du siehst doch aus wie ein normales Mädchen!«

»Aber ich habe keinen Schatten. Sieh her! Halte mal deine Hand neben meine.«

Tatsächlich! Auf dem Erdboden sah man nur den Schatten von Max’ Hand, nicht den des Mädchens!

»Aber wie kommt es, daß du keinen Schatten hast?« rief Max aufgeregt.