Das Kinder-Gesundheitsbuch - Georg Soldner - E-Book

Das Kinder-Gesundheitsbuch E-Book

Georg Soldner

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Beschreibung

Dr. med Jan Vagedes und Georg Soldner, Deutschlands bekannteste Kinderärzte mit anthroposophischem Ansatz vereinen in diesem Standardwerk einzigartig die Erkenntnisse der modernen Medizin und ganzheitlicher Kinderheilkunde. Dieses große Handbuch bietet umfassende und seriöse Hilfe bei der Vorbeugung und Behandlung aller wichtigen Kinderkrankheiten vom Säuglingsalter bis zur Pubertät. Eine umfassende Tabelle mit Leitsymptomen führt rasch zur Krankheitsdiagnose und der richtigen Therapie. Bei allen Beschwerden im Praxisteil wird ausführlich auch die ganzheitliche Sicht der Dinge geschildert. Übersichtlich und umfassend informiert dieses Buch über alle wichtigen Aspekte der Kinderheilkunde und Vorsorge sowie die Grundlagen der anthroposophischen Medizin.

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Seitenzahl: 753

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Impressum

© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2012

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2008

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

Projektleitung: Christine Kluge

Lektorat: Angela Hermann-Heene

Bildredaktion: Henrike Schechter

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Alisa Hese

ISBN 978-3-8338-3125-6

9. Auflage 2019

Bildnachweis

Coverabbildung: Barbara Dombrowski

Illustrationen: Ingrid Schobel

Fotos: A1PIX, alimdi, Bilder Box, Corbis, Barbara Dombrowski, Rainer Feldt, Filderklinik, Focus/SPL, Fotofinder, Getty, Antje Anders, Toch Roch, Sandra Seckinger, Kai Stiepel, Jump, LOOK, Mauritius, mediacolors, Medicalpictures, Okapia, photopool, Plainpictures, Sciencepictures, Ingrid Schobel, Georg Soldner, Superbild, M. Timm, Dr. Jan Vagedes

Syndication: www.seasons.agency

GuU 8-3125 10_2019_01

Aktualisierung 2019/009

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WICHTIGER HINWEIS

Dieses Buch stellt Krankheiten im Kindesalter, ihre ärztliche Behandlung sowie Ratschläge für die Selbstbehandlung vor. Halten Sie sich bitte genau an die Anleitungen. Wenn Sie unsicher sind, wenn unklare Begleitumstände auftreten, suchen Sie unbedingt ärztlichen Rat! Weder Autoren noch Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen praktischen Hinweisen entstehen, eine Haftung übernehmen.

Ein Wort zuvor

Für Eltern wie für Ärzte ist es das oberste Ziel, dass Kinder rundum gesund sind, also in körperlicher, seelischer und geistiger Hinsicht. Dabei ist allen klar, dass es diese »Rundum-Gesundheit« nicht dauerhaft geben kann, weil Krankheiten, egal ob harmlose Infekte oder schwere Erkrankungen, zum Leben dazugehören, auch schon im Kindesalter. Entscheidend ist, wie wir als Eltern und Ärzte kranke Kinder begleiten und sie beim Gesundwerden unterstützen möchten.

Unser Bestreben ist es, Kinder, wann immer möglich und sinnvoll, darin zu unterstützen, aus eigener Kraft gesund zu werden. Damit dies gelingt, müssen wir dem Kind und seinen Selbstheilungskräften vertrauen und wir müssen das Einmalige und Besondere jedes Kindes sehen, anerkennen und berücksichtigen. Dabei brauchen wir Ärzte die Unterstützung von Ihnen, den Eltern, denn niemand kennt Ihr Kind so gut wie Sie. Deshalb haben wir diesen Elternratgeber geschrieben, der Sie unterstützen möchte, wenn

• Sie versuchen, selbst zu verstehen und zu entscheiden, was für Ihr Kind, ob gesund oder krank, gut ist.

• Sie wissen wollen, wie Ihr Kind nicht nur sanft und schnell, sondern vor allem nachhaltig gesund wird.

• Sie Ihr Kind aktiv beim Gesundwerden und -bleiben unterstützen möchten, zum Beispiel durch Wickel und andere äußere Anwendungen.

• Sie in der Informationsfülle von heute – die auch Ängste erzeugt – einen Weg suchen, auf dem Ihr Vertrauen und Selbstvertrauen, Ihr eigenes Wissen und Ihre eigene Kompetenz wachsen können.

Wir möchten Ihr Vertrauen in eine ganzheitliche Medizin stärken, die die Einheit von Körper, Geist und Seele anerkennt und die naturwissenschaftlich orientierte Medizin integriert. Wir möchten Ihre elterliche Kompetenz und Sicherheit im Umgang mit Ihrem kranken und gesunden Kind erweitern.

Wir möchten Sie darin bestärken, den Zusammenhang von Heilen und Erziehen anzuerkennen.

Denn Sie können mit Hilfe vieler einfacher erzieherischer Maßnahmen im Alltag die Gesundheit Ihres Kindes stärken, etwa durch altersgerechtes Spielen, durch eine vollwertige Ernährung, durch positive sinnliche Erlebnisse und Familienrituale.

Wir erheben in diesem Buch nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Selbst in einem so umfangreichen Ratgeber können nicht alle Krankheiten Platz finden, und auf einige Krankheitsbilder haben wir bewusst verzichtet: Krebserkrankungen, Rheuma und Epilepsie werden Sie in diesem Ratgeber nicht finden, da bei ihnen eine intensive, individuelle Therapie unabdingbar ist. Auch die aufgeführten anthroposophischen Medikamente stellen nur eine Auswahl an Möglichkeiten dar, wie die Anthroposophische Medizin Krankheiten behandeln kann. Doch wir hoffen, dass Sie bei Ihrer Suche nach einer ganzheitlichen Sicht und Therapiemöglichkeiten erfolgreich sein werden!

Dr. med. Jan VagedesGeorg Soldner

Grundlagen der Anthroposophischen Medizin

EINHEIT AUS KÖRPER, GEIST UND SEELE

Die ganzheitliche Sichtweise

Viele Eltern wünschen sich heuteeine ganzheitliche Therapie für sich und ihre Kinder. Denn sie haben erkannt, dass jeder Mensch eine Einheit aus Körper, Geist und Seele bildet, die man nicht isoliert von einander betrachten und behandeln sollte.

Hierfür eignet sich die anthroposophisch erweiterte Medizin hervorragend, da sie alle Aspekte des Menschen in eine ganzheitliche Therapie einbezieht und ihn als aktiv mitwirkendes Individuum in ihren Mittelpunkt stellt.

Die Anthroposophische Medizin ist keine alternative Heilkunde, sie will die konventionelle Medizin nicht ersetzen. Vielmehr erweitert sie die klassische Schulmedizin um eine ganzheitliche und individuelle Sicht auf den Menschen.

Das heißt, die anthroposophisch erweiterte Medizin nutzt die Erkenntnisse und Errungenschaften der naturwissenschaftlichen Medizin wie Medikamente, Laboruntersuchungen, Medizintechnik, Operationen und Intensivmedizin. Ebenso wichtig ist es, den Menschen als Individuum zu erfassen, als Gesamtpersönlichkeit mit Körper, Seele und Geist und einer ganz persönlichen Biografie.

Denn für die Diagnose und Therapie einer Krankheit sind die seelischen und persönlichen Voraussetzungen des Patienten ebenso bedeutend wie die körperlichen. Zusammen bilden sie eine untrennbare Einheit.

Bei der Diagnose einer Krankheit achten anthroposophische Ärzte deshalb auf

die rein

körperlichen

Faktoren und darüber hinaus auch auf

die

dynamischen Lebensprozesse,

die sich unter anderem in der Vitalität, den Wachstumskräften und der Regenerationsfähigkeit (etwa der Wundheilung) zeigen (siehe Lebensorganisation, Seite

>

),

das

Seelische,

das sich zum Beispiel in Mimik, Gestik oder der Muskelspannung ausdrückt (siehe Seelenorganisation, Seite

>

),

das

Geistige,

das sich etwa in der Sprache, dem Gang, der Haltung und vor allem in der individuellen Biografie jedes Menschen äußert (siehe Ich-Organisation, Seite

>

). Schon bei jedem Neugeborenen ist diese geistige Individualität fühlbar, die dieses Kind von allen anderen unterscheidet.

Eine so umfassende Diagnostik erfordert vom Arzt viel Zeit und neben fundierten medizinischen Kenntnissen auch menschenkundliche Fähigkeiten. Deshalb durchlaufen anthroposophische Ärzte zunächst die übliche medizinische Ausbildung mit Medizinstudium, Approbation und Facharztweiterbildung. Danach folgt eine mindestens dreijährige Ausbildung in Anthroposophischer Medizin. Anthroposophische Kinderärzte sind in Praxis und Klinik tätig. Adressen finden Sie auf Seite >.

Das umfassende Menschen- und Weltbild, das der Anthroposophischen Medizin zugrunde liegt, ermöglicht es dem Arzt, Zusammenhänge zwischen Körper, Geist und Seele besser zu verstehen und so zu einer möglichst nachhaltigen Heilung beizutragen. Denn sein Blick bleibt nicht auf die Medizin beschränkt, sondern umfasst ebenso die übrigen Bereiche des menschlichen Lebens. Im Folgenden geben wir Ihnen einen kurzen Überblick über die Anthroposophische Menschenkunde, damit Sie die Hintergründe der in diesem Buch dargestellten Heilkunde besser verstehen können. Für die Umsetzung der therapeutischen Maßnahmen und Empfehlungen, die Sie im großen Praxisteil ab Seite > finden, ist diese Kenntnis allerdings nicht unbedingt erforderlich. Wünschen Sie einen noch tieferen Einblick in die hier vorgestellte Art, den Menschen und die ihn umgebende Welt zu betrachten, finden Sie Literaturempfehlungen und Links ab Seite >.

Die »Weisheit vom Menschen«

Anthroposophie leitet sich von den beiden griechischen Begriffen »Anthropos« (der Mensch) und »Sophia« (die Weisheit) ab.

Rudolf Steiner (1861–1925), der Begründer der Anthroposophie, knüpft mit seiner eigenständigen Forschung an jahrtausendealtes Wissen aus verschiedenen Kulturen an und beschreibt mit modernen Begriffen den Menschen als eine weisheitsvolle Einheit von Körper, Geist und Seele. Ist diese Einheit gestört, geraten wir aus dem Gleichgewicht und werden krank. Zwischen dem Menschen und den uns umgebenden Naturreichen – dem Tier-, dem Pflanzen- und dem Mineralreich – gibt es durch die gemeinsame Evolution eine tiefe innere Beziehung.

Aufgrund dieser Beziehung ist es möglich, im Krankheitsfall Medikamente aus den drei Naturreichen für den Menschen zu gewinnen.

Rudolf Steiner sucht das Seelisch-Geistige also auch in der Natur und geht davon aus, dass in den uns umgebenden Naturreichen weisheitsvolle Gesetzmäßigkeiten wirken. Die von verschiedenen Wissenschaften entdeckten Naturgesetze sind ein Teil dieser Gesetzmäßigkeiten. Sie bilden eine wichtige Grundlage, um die Natur zu verstehen, sie erklären aber nicht alles.

Viele Menschen können diese Gedanken nachvollziehen. Sie spüren, dass mit den Gesetzen der Physik und Chemie nicht alles erfasst wird, was sie in sich selbst und in der sie umgebenden Natur wahrnehmen. Die Begriffe der Anthroposophie benennen diese Beziehung zwischen dem Menschen und der Natur, auch über die naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten hinaus. Damit ist die Anthroposophie eine Methode, die Welt und den Menschen wahrnehmen und erkennen zu können.

Ihre Erkenntnisse sind in verschiedene Lebensbereiche eingeflossen, zum Beispiel in die Medizin (Anthroposophische Medizin), in die Pharmazie (unter anderem durch die Firmen WALA und WELEDA), in die Pädagogik (Waldorfschulen und -Kindergärten), in die Landwirtschaft (biologisch-dynamische Wirtschaftsweise: Demeter-Produkte) sowie in die Kunst und Architektur. Die Anthroposophische Medizin wurde von Rudolf Steiner gemeinsam mit der Ärztin Ita Wegman und einem Kreis von Ärzten und Pharmazeuten entwickelt. Sie wird heute weltweit praktiziert. Seit 1989 ist die Therapieform auch in Deutschland offiziell anerkannt. Ihre Arzneimittel sind seit 1976 im Arzneimittelgesetz verankert.

Um die Anthroposophische Medizin zu verstehen, möchten wir Ihnen zunächst die methodischen Systeme und Begriffe erläutern. Dazu gehören in erster Linie die Wesensglieder und die Dreigliederung des Menschen.

Die vier Wesensglieder des Menschen

Um das Zusammenwirken von Körper, Seele und Geist zu verstehen, ist es wichtig anzuerkennen, dass der Körper nicht einfach nur eine Ansammlung von Zellen ist, deren Funktionen allein durch die Gesetze der Chemie und Physik erklärt werden können. Vielmehr sind im Körper unterschiedliche dynamische Lebensprozesse wirksam, die sich unter anderem in der Vitalität und der Regenerationsfähigkeit zeigen. Unser Körper ist also bis in jede einzelne Zelle hinein auf sehr spezifische Art und Weise belebt, weshalb sich unser Seelisch-Geistiges mit unserem Körper sehr differenziert verbinden kann. Steiner beschreibt diese verschiedenen Lebensprozesse innerhalb jedes Menschen als Teile einer »Lebensorganisation«, durch die die verschiedenen Lebenskräfte sinnvoll zusammenwirken. Da die »Lebensorganisation« dabei zwischen dem Seelisch-Geistigen und dem Körperlichen vermittelt, wird sie als eigenständiges Wesensglied gesehen, wodurch sich vier Wesensglieder ergeben:

Der Körper des Menschen bzw. sein physischer Leib.

Die »Lebensorganisation«, durch die die verschiedenen Lebensprozesse im Körper sinnvoll zusammenwirken.

Die »Lebensorganisation«, durch die die verschiedenen Lebensprozesse im Körper sinnvoll zusammenwirken.

Die »Seelenorganisation« als Ausdruck der Seele des Menschen.

Das »Ich« des Menschen oder die »Ich-Organisation« als Ausdruck seiner geistigen Individualität.

Der menschliche Körper

Der sichtbare Körper, das heißt die stofflich aufgebaute Gestalt, die mit naturwissenschaftlichen Methoden analysiert werden kann, ist der physische Leib. Von den Knochen bis hin zum Erbgut in jeder Zelle reicht diese physische Organisation des Menschen. Ihr verdanken wir unsere äußere körperliche Erscheinung, unser Gewicht, unsere Dichte und Statik. Der Körper ist in der Neuzeit am besten erforscht worden, da sich die rein naturwissenschaftlich orientierte Medizin vor allem mit den Vorgängen beschäftigt, die durch die Gesetzmäßigkeiten der Chemie und Physik erklärt werden können.

Der anthroposophische Kinderarzt wendet dieses Wissen selbstverständlich immer dann an, wenn der Organismus nicht aus seinen Selbstheilungskräften heraus alleine gesunden kann.

Bei einer Blinddarmentzündung oder einer eitrigen Hirnhautentzündung zum Beispiel kann auf chirurgische (Entfernung des Blinddarms) oder medikamentöse Maßnahmen (etwa Antibiotika) nicht verzichtet werden. Ebenso muss ein Insulinmangel nach der Zerstörung der insulinbildenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse (Diabetes mellitus) durch eine Insulinzufuhr ausgeglichen werden.

Die Lebensorganisation

Außer den chemischen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten gibt es Kräfte, die wir als Selbstheilungskräfte kennen, als Vitalität oder Regenerationsfähigkeit. Hierbei handelt es sich um dynamische Lebensprozesse, die in den einzelnen Organen und Geweben sehr unterschiedlich sein können. So ist die Regenerationsfähigkeit in den Leberzellen oder den Keimdrüsen (Eierstöcke und Hoden) anders als in den Gehirnzellen oder in der Hornhaut der Augen. Die verschiedenen dynamischen Lebensprozesse gehören zu einer »Lebensorganisation«, die das harmonische und sinnvolle Zusammenwirken der verschiedenen Lebensprozesse ermöglicht. Jeder Mensch hat seine eigene »Lebensorganisation«, genauso wie er seinen eigenen physischen Leib hat. Rudolf Steiner nannte diese Lebensorganisation auch »Lebens-Leib« oder »Ätherleib«, wobei der Ausdruck »Leib« immer bedeutet, dass etwas eine Gestalt und Form hat. Der Ausdruck »Äther« bezeichnet – in Anlehnung an die jahrtausendealten Naturphilosophien – die aus dem Kosmos auf die Erde einwirkenden Kräfte.

Damit kommt zum Ausdruck, dass alle Lebensprozesse auf der Erde und natürlich im Menschen mit den Kräften aus dem Kosmos in Zusammenhang stehen.

Von den klassischen vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer (Wärme) ist das Wasser das Element, das für alle Lebensprozesse und damit für den »Lebens-Leib« eine besondere Rolle spielt. Alle Lebensprozesse entwickeln sich aus dem Element des Flüssigen heraus. So ist das Leben im Meer entstanden, aber auch wir haben uns während der Embryonalphase zunächst ganz aus dem Wässrigen heraus entwickelt. Außerdem hängen die Selbstheilungskräfte, die Vitalität und Regenerationsfähigkeit eng damit zusammen, ob der Organismus genügend Flüssigkeit hat. Nicht umsonst wird im Krankheitsfall immer wieder darauf hingewiesen, dass der Patient ausreichend trinken soll.

Erst die Lebensorganisation lässt also das Seelisch-Geistige im Körper wirksam werden.

Ohne sie kann das Seelische sich gar nicht mit dem Körperlichen verbinden. Besonders aktiv ist sie im Kindesalter, denn Stoffwechsel, Wachstum und Regeneration sind allesamt Erneuerungsprozesse. Die Lebensorganisation bildet die Grundlage für die Entwicklung von Gesundheit, da sie die Selbstheilungskräfte in sich trägt: Keine Wunde heilt ohne sie, kein Chirurg könnte Patienten erfolgreich behandeln, wenn nicht deren Lebensorganisation die Operationswunden heilen ließe. Therapeutisch unterschiedet sich die Anthroposophische Medizin von der reinen Schulmedizin gerade dadurch, dass sie Medikamente, äußere Anwendungen wie Wickel oder Einreibungen und Bewegungstherapien wie die Heileurythmie (siehe Seite >) entwickelt hat, die vorrangig die Aktivität der Selbstheilungskräfte fördern und lenken.

In der Freude am Malen äußert sich die erwachende Seele des Kindes unmittelbar.

Die Seelenorganisation

Ob Kummer oder Freude, Angst oder Stolz – gerade beim Kind lässt sich jede seelische Regung unmittelbar an der Mimik ablesen. Das heißt mit anderen Worten: Das Seelische ist beim Kind besonders intensiv mit dem Körper und den dynamischen Lebensprozessen verbunden. Das zeigt sich auch an der Appetitlosigkeit oder Verdauungsstörung bei Kummer, oder an einer besonders schnellen Atmung bei Aufregung und Freude.

Unterschiedliche Gefühle wie Leid und Freude, Sympathie und Antipathie, die Fähigkeit, überhaupt etwas bewusst wahrnehmen zu können, etwas zu wünschen und zu wollen sind Ausdruck verschiedener seelischer Kräfte. Sie alle gehören zur »Seelenorganisation«, die das harmonische und sinnvolle Zusammenwirken der verschiedenen seelischen Regungen ermöglicht.

Jeder Mensch hat seine eigene »Seelenorganisation« wie er auch seine eigene »Lebensorganisation« und seinen eigenen physischen Leib hat.

Die Seelenorganisation schafft in uns einen Innenraum, der uns das Gefühl von Selbstständigkeit gibt. So erleben wir alle in unserem Inneren, dass wir unser Denken, unsere Gefühle und unsere Willenskräfte selbst beeinflussen können. Die dynamischen Lebensprozesse wie Vitalität und Regenerationskraft können wir dagegen im Allgemeinen nicht willkürlich verändern. Somit leuchtet in unserem Inneren etwas auf, das uns das Gefühl von Eigenständigkeit gibt.

Im Vergleich zu allen körperlichen Veränderungen und den dynamischen Lebensprozessen wie Wachstum und Regeneration vollziehen sich die Veränderungen im Bereich des Seelischen sehr schnell. Für die Lebensprozesse spielt wie erwähnt von den vier klassischen Elementen das Wasser eine besondere Rolle (siehe Seite >).

Die seelischen Kräfte werden dagegen stark vom Element Luft bestimmt. Die alten Griechen bezeichneten mit dem Ausdruck »Pneuma« sowohl die »Luft« als auch die »Seele«. Der Zusammenhang zwischen der Atmung und dem Seelischen zeigt sich unter anderem daran, dass sich die Ein- und Ausatmung durch jede seelische Erregung und jede Bewegung unmittelbar verändert. So atmen wir zum Beispiel kurz und hastig, wenn wir Angst haben, dagegen tief und entspannt, wenn wir gut schlafen.

In der Anthroposophischen Medizin wird viel Wert auf die seelischen Kräfte gelegt, denn die Seelenorganisation spielt bei der Entstehung von Krankheiten eine große Rolle. Anhaltender Kummer, aber auch unterdrückte Wünsche wirken sich auf Dauer auf die Lebensprozesse und schließlich auf den physischen Körper aus.

Und auch bei der Therapie spielt die Seelenorganisationen eine entscheidende Rolle: Durch die verschiedenen Kunsttherapien wie Sprachgestaltung, Musiktherapie, Maltherapie oder Plastizieren werden die seelischen Kräfte unmittelbar angesprochen und können so die Selbstheilung fördern (siehe Seite >).

Die menschliche Individualität

Wärme ist die ursprünglichste Form von Energie, alles Handeln ist nur möglich aus dem Beherrschen der Wärme, vor allem der eigenen Wärme heraus. Wärme stellt gegenüber dem Festen, Flüssigen und Luftförmigen eine übergeordnete Qualität dar, da sie die anderen Elemente durchdringen kann. Deshalb ist die Wärme für die integrierende und koordinierende Tätigkeit der Ich-Organisation so wichtig – was im Krankheitsfall am Fieber deutlich wird.

Es zeigt an, dass der Fiebernde gerade verstärkt damit beschäftigt ist, Fremdes, das nicht zu seinem Organismus gehört wie Viren und Bakterien, zu zerstören und wieder auszuscheiden.

Fieber dient also – im Normalfall – dazu, den Körper vor Fremdem zu schützen (siehe auch ab >) und ihn als Instrument des Ich, der eigenen Individualität zu erhalten und zu prägen. Im Wissen um die Bedeutung der menschlichen Wärmeorganisation achtet der anthroposophische Kinderarzt deshalb besonders auf die kindliche Wärmebildung und fördert bzw. nutzt diese als Heilmittel.

Die Seelen- und die Ich-Organisation, oder allgemein ausgedrückt: das Seelisch-Geistige ist im Laufe eines Tages nicht immer gleich intensiv mit dem Lebendig-Leiblichen des Körpers verbunden. Tagsüber ist das Seelisch-Geistige im Körper tiefer eingetaucht, präsenter – wir sind wach, nehmen bewusst wahr, sprechen und handeln. Nachts dagegen löst sich das Seelisch-Geistige wieder etwas vom Körper. Wie ein »Atmungsvorgang« im höheren Sinne löst sich der Mensch im Schlaf mit seinem Bewusstsein vom Körper, und im Wachsein verbindet sich das Bewusstsein wieder stärker mit ihm. Auch an der Wärmeorganisation wird der Unterschied von Wach- und Schlafzustand unmittelbar deutlich: Im Schlaf fließt die Wärme nach außen ab, der Körper kühlt etwas ab und wir müssen uns zudecken. Dagegen steigt am Tag die Körperkerntemperatur an, die Wärme wird stärker verinnerlicht und steht dem Ich für das eigene Handeln zur Verfügung.

In jedem Kind lebt und entwickelt sich eine einzigartige Persönlichkeit.

Das Wechselspiel der vier Wesensglieder

Am Beispiel der Musik lässt sich anschaulich darstellen, welche Funktionen die einzelnen Ebenen übernehmen. Der Körper entspricht dabei dem Musikinstrument, die Lebensorganisation dem Musiker, die Seele dem Dirigenten und das Ich dem Komponisten des einstudierten Stücks.

Zwischen den einzelnen Teilen bestehen Wechselbeziehungen. Ist das Musikinstrument schlecht gebaut, kann der Musiker nicht gut darauf spielen, der Dirigent kann das Stück nicht adäquat zum Erklingen bringen, und der Komponist hört seine musikalischen Ideen nicht verwirklicht. Aber auch umgekehrt besteht eine Wechselbeziehung, denn ist der Komponist nicht wirklich geistig anwesend beim Komponieren oder der Dirigent nicht emotional beteiligt bei seiner Tätigkeit, kann es trotz engagierten Musikern und funktionsfähigen Musikinstrumenten zu Missklängen kommen.

Konkret lässt es sich positiv so ausdrücken: Die Anerkennung und Förderung der Ich-Kräfte, des Selbstbewusstseins und der Persönlichkeit wirken sich positiv auf die seelischen Kräfte im Denken, Fühlen und Wollen aus. Die daraus entstehende innere Zufriedenheit fördert die heilenden Kräfte, die der Lebensorganisation innewohnen, und diese wiederum sorgen dafür, dass wir körperlich gesund bleiben.

In umgekehrter Richtung bedeutet das: Alles, was wir über den Körper aufnehmen wie Essen, Trinken und Atemluft, aber auch was wir über die Sinne aufnehmen wie Bilder, Gerüche und Geräusche unterstützt die Prozesse, die sich in der Lebensorganisation abspielen. Das wiederum wirkt positiv auf die seelischen Kräfte und schließlich auf das Ich, das mit Hilfe des Körpers in der Welt tätig ist, das seine Ideen verwirklicht und umsetzt.

Die Dreigliederung des Menschen

Rudolf Steiner erkannte unter anderem in den unterschiedlichen Formen des menschlichen Skeletts eine Gliederung, die er als Dreigliederung des Menschen bezeichnete. Allgemein könnte man das beschriebene Prinzip der Dreigliederung so zusammenfassen: Zwei Gegensätzlichkeiten werden durch eine ausgleichende Mitte miteinander verbunden.

Für das menschliche Skelett bedeutet dies: Der Kopf ist kugelförmig aufgebaut, die Arme und Beine dagegen sind gerade und gestreckt. Im dazwischenliegenden Brustkorb sind sowohl gerade als auch gerundete Formen erkennbar.

Im Schädelbereich sind die Knochen flächig, miteinander verwachsen und bilden etwas kugelähnliches. Sie befinden sich »außen« und schützen einen Innenraum (Gehirn). Im Gegensatz dazu sind die Knochen an den Extremitäten (Armen und Beinen) gerade und gestreckt und durch Gelenke beweglich miteinander verbunden. Sie befinden sich im Innern der Extremitäten und sind von Muskulatur umgeben.

Zwischen diesen gegensätzlichen Polen nimmt der Brustkorb eine Mittelposition ein: Er bildet etwas »Umhüllendes« wie der Schädel, hat aber mit den Rippen etwas Offenes wie bei den Fingern; er schützt wie im Kopf einen Innenraum (Lunge und Herz), aber ist von Muskulatur umgeben wie die Extremitäten.

Nicht nur am Skelett, sondern auch in vielen anderen Bereichen lässt sich dieses Prinzip der Dreigliederung finden, etwa an der Anordnung der Organe in den drei Körperhöhlen: der Schädel-, der Bauch- und der dazwischenliegenden Brusthöhle. In der Schädelhöhle ist das Gehirn in zwei symmetrische Hälften gegliedert. Ganz anders sind die Verhältnisse in der Bauchhöhle – hier sind die Organe asymmetrisch angeordnet: Der Magen, der Darm, die rechts gelegene Leber, die links gelegene Milz, die Bauchspeicheldrüse – nirgends ist eine Symmetrie zu entdecken. Zwischen diesen Extremen weisen die Organe der Brusthöhle sowohl symmetrische als auch asymmetrische Merkmale auf: Die Lunge hat zwar zwei Lungenhälften, von denen ist aber die linke in zwei, die rechte in drei »Lungenlappen« gegliedert. Auch die zwei Hälften des Herzens sind unterschiedlich angelegt. Das Prinzip der Dreigliederung wird in den Kapiteln zu den verschiedenen Erkrankungen noch dargestellt werden. Das ist insofern wichtig, da Gesundheit bedeutet, den richtigen Ausgleich zwischen Einseitigkeiten oder Extremen zu finden und zu erhalten. Zudem entstehen Krankheiten, wenn wir unsere »ausgleichende Mitte« verloren haben.

Rudolf Steiner beschäftigte sich intensiv mit dem Grundprinzip der Dreigliederung. Er fasste schließlich die gegensätzlichen Pole zusammen als Nerven-Sinnes-System auf der einen und Stoffwechsel-Gliedmaßen-System auf der anderen Seite. Die ausgleichende Mitte bezeichnete er als Rhythmisches System. Jedes der drei Systeme vermittelt in spezifischer Weise zwischen Körperinnerem und Außenwelt:

Das

Nerven-Sinnes-System

im oberen Bereich: Die Welt wird durch die Sinne aufgenommen und durch das Nervensystem verinnerlicht, wie zum Beispiel bei Licht und Klang.

Das

Stoffwechsel-Gliedmaßen-System

im unteren Bereich: Hier nimmt der Organismus Nahrungsstoffe aus der Außenwelt auf, gewinnt aus ihnen die Ausgangsstoffe für den eigenen Stoffwechsel, um daraus wiederum Energie zu gewinnen, die er allen Organen und den Gliedmaßen zur Verfügung stellt.

Das

Rhythmische System

im mittleren Bereich: Durch das rhythmische Zusammenspiel von Atmung (Außenwelt) und Herz-Kreislauf-System (Innenwelt) begegnen sich Äußeres und Inneres in Form von Atemluft und Blutflüssigkeit.

Das Nerven-Sinnes-System

Im Kopf befinden sich große Teile des zentralen Nervensystems sowie die Sinnesorgane Augen, Ohren und Nase. Sie können die Eindrücke aus der Umwelt optimal nach innen übermitteln.

Im Bereich des Nerven-Sinnes-Systems werden uns Sinneswahrnehmungen und Gedanken bewusst.

Das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System

Im Bauchraum befinden sich die wichtigen Stoffwechselorgane wie Magen und Darm, Milz, Leber, Galle und Bauchspeicheldrüse.

Nachdem die aufgenommene Nahrung zerkleinert und abgebaut worden ist, dominieren im Stoffwechselsystem vor allem aufbauende Prozesse. Der Stoff-Wechsel findet zum einen innerlich statt, wenn Substanzen durch die Verdauungsdrüsen und die inneren Organe ihre Beschaffenheit ändern. Zum anderen werden aber auch äußerlich »Stoffe gewechselt«, und zwar mit Hilfe unserer Gliedmaßen, durch die wir überhaupt erst in der Lage sind, die Stoffe der Außenwelt zu ergreifen, sie aktiv zu bearbeiten und zu verändern. Durch das Stoffwechsel-Gliedmaßen-System lassen sich Willensimpulse in konkrete Handlungen umsetzen.

Das Rhythmische System

In der Mitte, im Brustkorb, findet der Ausgleich zwischen den polaren Prozessen im »oberen« Menschen (Nerven-Sinnes-System) und im »unteren« Menschen (Stoffwechsel-Gliedmaßen-System) statt. Atmung und Herztätigkeit vermitteln fortwährend zwischen Außen- und Innenwelt; in ihrer Tätigkeit spiegelt sich wider, ob wir in Ruhe und Konzentration mit unserem Nerven-Sinnes-System tätig sind, ob wir gerade eine üppige Mahlzeit verspeisen oder eine anstrengende Bergtour unternehmen. Eine gesunde Mitte ist lebensnotwendig: Atmung und Herzschlag stehen für jeden Notarzt bei einer Reanimation im Vordergrund.

So wie die Denk-Kräfte mit dem Nerven-Sinnes-System, ist das Fühlen mit den rhythmischen Vorgängen verbunden. Atmung und Herzschlag verändern sich unmittelbar in Abhängigkeit von den Gefühlen. So kann vor Freude das Herz hüpfen und die Atmung sich beschleunigen; und andererseits gibt es keine Schmerzempfindung, die sich nicht in Veränderungen von Herzschlag und Atmung widerspiegelt.

PARALLELEN

In der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) stehen sich ebenfalls zwei polare Prozesse gegenüber: Yin und Yang. Im Symbol von Yin und Yang wird die harmonische Durchdringung beider Polaritäten durch eine rhythmisch geschwungene Linie angedeutet. In der anthroposophischen Menschenkunde wird der ausgleichenden und vermittelnden Mitte als drittem und eigenständigem Element besondere Bedeutung beigemessen. Denn gerade die Mitte ist der Ort, wo durch den Ausgleich zwischen den Polaritäten Gesundheit entsteht.

Von der Kindheit bis ins Alter

Die Dreigliederung des Menschen ist allerdings kein statisches oder gleichmäßig wachsendes System. Der Mensch gewinnt erst im Laufe seiner Entwicklung ein Gleichgewicht zwischen den dargestellten Polaritäten. Beim Säugling dominiert zunächst, für alle sichtbar, der Kopfpol mit dem Nerven-Sinnes-System und den relativ großen, schon weit ausgereiften Augen – das Innenohr ist bei der Geburt sogar bereits ausgewachsen. Demgegenüber sind der Brustkorb und die Gliedmaßen erst zart ausgebildet. Nach und nach eignet sich das Kind von oben nach unten seinen Körper an: Im Schulalter reifen Brustkorb und Wirbelsäule aus und die Gliedmaßen, vor allem deren Muskulatur, wachsen in der Jugend noch kräftig.

Auf der Ebene der Körperfunktionen findet genau das Gegenteil statt. Am Anfang des Lebens dominieren die Wachstums- und Stoffwechselprozesse: Ein Kind erholt sich rasch, sein Stoffwechsel ist schnell, ebenso die Wundheilung. Das Bewegungsbedürfnis ist in der Kindheit besonders groß. Und wenn das Kind fiebert, beschleunigt und verstärkt es seinen Stoffwechsel noch einmal ganz enorm – vergleichbar einem Hochleistungssportler.

Dagegen stehen im Alter, am Ende des Lebens, die Abbau- und Verhärtungsvorgänge (Sklerose) im Vordergrund: Die körperlichen Regenerationskräfte, der Stoffwechsel, die Wundheilung, die Fieberneigung und die Beweglichkeit lassen mit zunehmendem Alter nach. Die Muskulatur geht schon nach dem 40.Lebensjahr deutlich zurück – für die meisten Leistungssportler ist das Ende ihrer Karriere erreicht. Neigen Säuglinge noch eher zu Blutungen (weshalb sie zum Beispiel Vitamin-K-Tropfen zur Unterstützung der Blutgerinnung bekommen), so besteht bei älteren Menschen die Gefahr, dass das Blut zu schnell gerinnt und Gefäße verschließt (Thromboseneigung).

Sieht man sich die Gegenüberstellung im Kasten auf der folgenden Seite an, so hat das Alter gegenüber der Kindheit nur Nachteile, wenn ausschließlich die körperlichen Veränderungen betrachtet werden. Da der Mensch aber eine Einheit aus Körper, Seele und Geist ist, ergibt sich eine ganz andere Perspektive, wenn man das Seelisch-Geistige mit einbezieht. Während der ersten Lebensphase ist das Seelisch-Geistige des Kindes ganz »eingetaucht« in die lebendig-dynamischen körperlichen Prozesse, durch die der physische Leib gestaltet wird. Oder mit anderen Worten: Während der Kindheit werden auch die seelisch-geistigen Kräfte im hohen Maße für die gesunde Entwicklung des physischen Leibes gebraucht. So wird der Körper nach und nach zum Musikinstrument, durch das das Seelisch-Geistige schließlich erklingen kann. Deshalb ist es auch sinnvoll, dass der kindliche Körper noch weich und formbar ist.

Dadurch kann das Seelisch-Geistige den Körper besser mitformen, so dass er immer mehr zum einzigartigen Instrument wird.

Ist das geschafft, löst sich mit zunehmendem Alter das Seelisch-Geistige immer mehr aus dem Körperlichen heraus und steht dann dem Erwachsenen und älteren Menschen in der zweiten Lebenshälfte unabhängiger für rein seelisch-geistige Vorgänge zur Verfügung. Dies erlebt man in erster Linie als eine Reifung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit bis hin zur sprichwörtlichen »Weisheit des Alters«. Im Bild der Musik bedeutet das: In der Kindheit verwenden Komponist (Geistiges) und Dirigent (Seelisches) ihre Kraft, um selbst am Bau des Musikinstruments (Körper) mitzuwirken. In der zweiten Lebenshälfte können sie das Instrument dann mit selbst komponierten Melodien zum Erklingen bringen.

Gegensätzliche körperliche Prozesse in Kindheit und Alter

Kindheit:

WachstumRegenerationSchneller StoffwechselRasche WundheilungKörperliche Bewegung, BewegungsdrangNeigung und Fähigkeit zur FieberbildungBlutungsneigung

Alter:

KörperabbauVerzögerte körperliche RegenerationVerlangsamter StoffwechselSchlechte WundheilungBevorzugung körperlicher RuheWenig FieberbildungNeigung zu Thrombose und Gefäßverkalkung

Krankheit als Krise und mögliche Chance

Das harmonische Zusammenspiel seiner so unterschiedlichen Anlagen muss das Kind erst lernen. Für das menschliche Immunsystem findet der »Unterricht« bereits in den ersten drei Lebensjahren statt, wie die Allergieforschung gezeigt hat. Kein Kind wird »gesund« geboren – Gesundheit ist etwas, das nur durch Lernen erreicht und stabilisiert werden kann.

Das gilt in ganz verschiedenen Beziehungen: Das Kind muss lernen, sich mit seiner Umwelt zu verbinden, sie wahrzunehmen und fremde Nahrung zu verdauen. Und zugleich muss es lernen, sich immer besser von dieser Umwelt abzugrenzen, seine Verdauung zu stabilisieren und gegen Krankheitserreger immun zu werden. Es muss sich auch sozial behaupten lernen – etwa gegenüber seinen Geschwistern oder anderen Kindern im Kindergarten. Dabei kann es selbstverständlich zu Krisen kommen und diese können so bedrohlich werden, dass das Kind auf rasche Hilfe angewiesen ist. Viele Krankheiten des Kindesalters sind in diesem Sinne Krisen, bei denen das Kind auf leiblicher Ebene lernt, einen »Übergriff« aus der Umgebung (zum Beispiel durch Krankheitserreger) abzuwehren, sich besser abzugrenzen und sein Immunsystem zu stärken. Das heißt, auf leiblicher Ebene entwickelt sich das Kind schrittweise in Richtung Selbstständigkeit. Dieser Gedanke kann Eltern helfen, die Angst vor der Krankheit des eigenen Kindes zu reduzieren und sich auf die folgende Frage zu konzentrieren: »Wie helfe ich Dir so durch diese Krise, dass du sie auch aus eigener Kraft überwindest und dabei stärker, reifer wirst als du vorher warst?« – Wobei das Kind bei allen Krankheiten natürlich ärztlich eng begleitet und betreut werden muss und keinem unüberschaubaren Risiko ausgesetzt werden darf.

Betrachtet man Krankheit jedoch auf diese Weise, wird deutlich, dass das Gleichgewicht im kindlichen Organismus immer wieder aufs Neue gefunden werden muss. Echte, langfristige Gesundheit kann also nicht alleine von außen, durch Medikamente oder den Arzt hergestellt werden, indem dieser die Krankheit beseitigt. Vielmehr müssen die Eltern, der Arzt und das Kind zusammenarbeiten. Wir sollten nie vergessen, wie aktiv der kindliche Organismus schon bei einem Schnupfen und Husten wird – all die Krankheitssymptome, die uns beunruhigen, sind ja bereits Maßnahmen des Kindes, die eingedrungenen Erreger aktiv unschädlich zu machen und auszuscheiden.

Aber auch seelische Entwicklungskrisen sind für Kinder unvermeidlich, und sie beginnen schon im Säuglingsalter, wenn Kind (und Eltern) lernen müssen, wie man ruhig einschläft, ohne stundenlang »in der Warteschleife« von Schreikoliken hängenzubleiben. Richtiges Einschlafen und Aufwachen muss das Kind lernen, beides ist ganz entscheidend für ein gesundes Zusammenspiel von Körper und Seele. Ziel einer ganzheitlichen Therapie ist es bei allen Krisen des Kindesalters, die Eigenaktivität des Organismus, seine Selbstheilungskräfte und die Selbstregulation anzuregen und zu stabilisieren.

Das geht weit über eine einseitige Behandlung von Symptomen hinaus, die immer wieder Einzelteile repariert, statt das Ganze zu stärken.

Kinder brauchen Unterstützung, um schwierige Aufgaben selbst lösen zu lernen.

Der Start ins Leben

Aus ganzheitlicher Sicht ist auch die Art der Entbindung ein wichtiger Aspekt – sowohl für die Mutter, als auch für das Kind. In den meisten Fällen gelingt es, Babys auf natürliche Weise, also vaginal zur Welt zu bringen. Das hat viele Vorteile, denn bei einer vaginalen Entbindung ist zum Beispiel der Hautkontakt im engen Geburtskanal maximal erhöht. Auch wird das Nervensystem während des Geburtsvorgangs intensiv aktiviert und die Atmung verstärkt angeregt, da das Fruchtwasser aus der Lunge gepresst worden ist.

Die Kinder kommen bei der vaginalen Entbindung mit der Scheidenflora der Mutter in Kontakt, was sich später positiv auf die eigene Darmflora, die Nahrungsverträglichkeit und die Immunität auswirkt. Vor allem regeln und steuern die Kinder ihre Geburt selbst mit – immerhin gehen die Wehen vom Kind aus. Und: Nach vaginalen Entbindungen – ähnlich wie bei einem erfolgreichen Marathonlauf – werden oft sogenannte Glückshormone ausgeschüttet. Auf dieser Welle des Glücks begegnen sich Mutter und Kind im Idealfall unmittelbar nach der Geburt.

Der Kaiserschnitt

Doch ist eine vaginale Entbindung nicht in allen Fällen möglich, sondern ein Kaiserschnitt erforderlich. Mit einem solchen »Schnitt für das Leben« kann die Gesundheit und sogar das Leben von Mutter und Kind erhalten werden – ein echter Segen der modernen Geburtshilfe! Allerdings wird heute immer häufiger ein Kaiserschnitt ohne medizinische Notwendigkeit vorgenommen. So ist es in den letzten Jahrzehnten zu einem starken Anstieg der Kaiserschnittrate gekommen. Diese Entwicklung wird von Hebammen und selbst von Gynäkologen zunehmend kritisch betrachtet, denn der »Schnitt fürs Leben« kann auch »eine Narbe für immer« bedeuten. In Deutschland etwa kamen vor 70 Jahren weniger als zehn von hundert Kindern per Kaiserschnitt auf die Welt, Anfang der 90er Jahre waren es fünfzehn von hundert, heute sind es über dreißig von hundert Kindern. Die Ursachen sind vielfältig, etwa das mittlerweile höhere Alter der Schwangeren, vermehrte Probleme im Zusammenhang mit einem Übergewicht der Mutter sowie eine Zunahme von Frühgeburten und Mehrlingsschwangerschaften. Geburtshelfer berichten auch von zunehmenden Ängsten der Mütter vor Schmerzen oder Sorgen um das Kind sowie von einem immer größer werdenden Sicherheitsdenken, das sie an einen Kaiserschnitt denken lässt. Manchmal wollen auch Ärzte auf Nummer sicher gehen und schlagen vorsichtshalber eine Sektio vor. Geplante Kaiserschnitte können nicht zuletzt den Klinikalltag erheblich erleichtern, was leider ebenfalls zum Anstieg der Kaiserschnittrate beiträgt und eine mögliche Erklärung für die starken regionalen Unterschiede bezüglich der Anzahl durchgeführter Kaiserschnitte in Deutschland ist: Im Süden ist die Rate höher als im Norden, im Westen höher als im Osten. Auch gibt es Kliniken mit einer Sektio-Rate von über 40 Prozent und andere mit unter 15 Prozent. Mit Blick auf den Segen der modernen Medizin und den trotzdem bestehenden möglichen Folgeerscheinungen für Mutter und Kind gilt deshalb auch bei der Entscheidung für oder gegen einen Kaiserschnitt der Grundsatz: So viel wie nötig, so wenig wie möglich.

DER »SCHNITT FÜR DAS LEBEN«

Bei einem Kaiserschnitt werden die Bauchhöhle und die Gebärmutter der Frau operativ eröffnet, um das Kind entbinden zu können. Der Legende nach soll der römische Kaiser Julius Cäsar auf diese Weise zur Welt gekommen sein, daher spricht man auch von einer »sectio caesarea«, auf Deutsch »Kaiserschnitt«. Noch im 19. Jahrhundert wurden Kaiserschnitte nur in absoluten Notsituationen durchgeführt, um das Leben der Kinder zu retten. Schließlich verstarb zu jener Zeit noch fast jede Frau an inneren Blutungen oder Infektionen, die nach dem Eingriff aufgetreten sind. Im Gegensatz zu früher ist ein Kaiserschnitt heute zum Glück eine sichere Operation.

Es gibt unterschiedliche medizinische Gründe für einen sogenannten geplanten (primären) Kaiserschnitt. Dazu gehören etwa eine komplizierte Lage des Kindes, eine ungünstige Position der Plazenta (Mutterkuchen), verschiedene Erkrankungen wie ein Herpes im Genitalbereich oder ein anatomisch zu schmales beziehungsweise verformtes Becken der Mutter. Durchgeführt wird ein geplanter Kaiserschnitt etwa zehn Tage vor dem errechneten Geburtstermin, also noch bevor die Frau Wehen bekommt.

Ein ungeplanter (sekundärer) Kaiserschnitt wird durchgeführt, wenn zum Beispiel schon Wehen eingesetzt haben oder die Fruchtblase gesprungen ist und eine normale Geburt aufgrund unerwartet aufgetretener Probleme gefährdet ist. Das kann bei veränderten Herztönen des Kindes der Fall sein, aber auch aufgrund einer zu langen Entbindungsdauer, wenn die Mutter extrem erschöpft ist oder ihr Blutdruck so stark ansteigt, dass Schwangerschaftskrämpfe drohen. Eine besondere Form des ungeplanten Kaiserschnitts ist die Not-Sektio. Sie kann Mutter und Kind das Leben retten, etwa bei einer plötzlichen Ablösung des Mutterkuchens mit Blutungen, bei einem massiven Herztonabfall des Kindes oder einem Einriss der Gebärmutter.

Eine Vollnarkose ist meist nur bei einer Not-Sektio nötig. In den meisten Fällen bekommt die Mutter vor einem Kaiserschnitt eine örtliche Betäubung in die Nähe des Rückenmarks, eine sogenannte Periduralanästhesie (PDA). Die Mutter bleibt bei Bewusstsein, spürt noch Druck und Berührungen, hat aber keine Schmerzen während der Entbindung. In diesen Fällen kann auch der Vater bei der Geburt dabei sein. Noch während der Gynäkologe die Gebärmutter und den Bauch wieder verschließt, kann das Neugeborene in den meisten Fällen der Mutter auf die Brust gelegt werden, was für alle Beteiligten immer ein besonders schöner Moment ist.

DIE FOLGEN DER OPERATION

Nach dem Kaiserschnitt sollen sich die Frauen einerseits schonen, nichts Schweres heben und keine Treppen steigen, damit die OP-Narben nicht platzen. Andererseits sollen sie sich bewegen, um das Risiko einer Thrombose oder Embolie zu reduzieren. Daneben sind mit einem Kaiserschnitt noch weitere Risiken für die Mutter verbunden:

Wie bei jeder Operation können Wundheilungsstörungen auftreten,

ebenso Gewebeverletzungen, etwa an Blase, Darm oder Blutgefäßen.

Verwachsungen und Narben,

Infektionen durch eine Infizierung der Wunden mit Bakterien,

Komplikationen durch die Narkose mit allergischen Reaktionen oder Herz-Kreislauf-Problemen.

Während der Kaiserschnitt selbst von den meisten Frauen als schmerzfrei erlebt wird, leiden manche Mütter in den ersten Wochen nachträglich an Wundschmerzen.

Auch für die Kinder kann der Kaiserschnitt mit Risiken verbunden sein. Im Gegensatz zu vaginal geborenen Babys wirken manche Kinder, die mit einem Kaiserschnitt entbunden worden sind, bei der Geburt noch vollkommen unvorbereitet. Sie haben häufiger als Kinder nach vaginalen Entbindungen Probleme mit der Atmung. Nach einer Vollnarkose der Mutter reagieren sie gelegentlich mit Schläfrigkeit. Manche Studien sprechen dafür, dass Kaiserschnitt-Kinder im weiteren Leben häufiger an Infektionen oder Allergien leiden. Statt einer intensiven Begegnung mit der Mutter müssen manche Kaiserschnitt-Kinder nach der Geburt aufgrund der anfänglichen Atemschwierigkeiten allein auf die Intensivstation verlegt werden. Einige Mütter leiden nach einem Kaiserschnitt darunter, keine normale Geburt »geschafft« oder erlebt zu haben, selbst wenn sie wissen, dass es medizinisch die richtige Entscheidung und eine Schnittentbindung unvermeidlich war. Umso wichtiger ist es, auf diese seelischen Aspekte beim Kaiserschnitt zu schauen und bei Bedarf auch an eine „Rückbildungs-Gymnastik“ für die Seele zu denken. Erfahrene Hebammen oder Leiterinnen von Eltern-Kind-Gruppen bringen daher in ihren Kursen auch eine möglicherweise verborgene Trauer der Eltern zur Sprache.

Mangelgeborene Babys

Häufig, aber nicht immer, werden früh- oder mangelgeborene Kinder per Kaiserschnitt entbunden. Als Mangelgeborene bezeichnet man solche Kinder, die »unüblich klein und leicht« für das Schwangerschaftsalter sind. Der englische Ausdruck für diese Kinder ist: Small for Gestational Age (SGA-Kinder). Die Ursache kann in einer eingeschränkten Kapazität der Plazenta liegen, was zum Beispiel durch Rauchen oder Bluthochdruck der Mutter bedingt ist. Aber auch eine fehlerhafte Einmündung der Nabelschnur in die Plazenta oder Infarkte des Mutterkuchens können eine Mangelgeburt bewirken, ebenso wie angeborene Fehlbildungen von Organen des Kindes.

Auch seltene Infektionen in der Schwangerschaft und akute Komplikationen wie eine Unterzuckerung des Blutes nach der Entbindung können zu einer Mangelentwicklung führen.

80 Prozent der Kinder holen im ersten Lebensjahr mit dem Wachstum auf und sind mit sechs Monaten wieder so groß wie die meisten anderen gleichaltrigen Kinder. Die restlichen 20 Prozent bleiben häufig kleinwüchsig. Das Risiko einer späteren Diabetes-Erkrankung (durch Insulinresistenz) oder eines zu hohen Blutdrucks ist bei diesen Kindern erhöht. Andere Grunderkrankungen für den Minderwuchs müssen ausgeschlossen werden. Später kann eine Behandlung mit Wachstumshormonen nötig werden und hilfreich sein.

Frühgeborene Babys

In Deutschland kommen etwa neun von hundert Kindern zu früh auf die Welt, das heißt vor Vollendung der 37. Schwangerschaftswoche. Meistens liegt dann das Geburtsgewicht bei unter 2500 Gramm. Man unterscheidet sehr kleine Frühgeborene, die bei der Geburt weniger als 1500 Gramm wiegen und extrem kleine Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von unter 1000 Gramm.

Die häufigsten Ursachen von Frühgeburten sind:

Fruchtwasserinfektionen,

Erkrankungen der Mutter während der Schwangerschaft (etwa an Bluthochdruck und Leberfunktionsstörungen),

eine unzureichende Versorgung des Mutterkuchens,

Mehrlingsgeburten,

eine Muttermundschwäche,

seelischer Stress und

mütterliches Rauchen.

Daneben können auch angeborene Fehlbildungen beim Kind zu einer Frühgeburt führen.

Dank einer sehr guten Intensivmedizin für Frühgeborene (Neonatologie) sind die Überlebensraten in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen.

So überleben in Deutschland 70 bis 85 Prozent der Frühgeborenen, die in der 24. oder 25.

Schwangerschaftswoche geboren sind, und 90 Prozent derjenigen aus der 29. Schwangerschaftswoche.

MÖGLICHE SCHWIERIGKEITEN

Akute Komplikationen können bei Frühgeborenen durch die Unreife der Organe entstehen.

Noch nicht voll entwickelte Lungenbläschen können zu einem Atemnot-Syndrom führen, sodass die Frühgeborenen in der Anfangszeit beatmet werden müssen. Eine Unreife der Atemregulationszentren im Gehirn kann sich in kurzdauernden Atemstillständen (Apnoen) oder einer Verlangsamung des Herzschlags (Bradykardien) zeigen. Je nach Ausprägung kann das Kind dabei einfach beobachtet oder medikamentös behandelt werden. Bis zum errechneten Geburtstermin wächst sich diese Symptomatik aus. In seltenen Fällen, etwa bei 5 bis 6 Prozent aller Kinder unter 32 Schwangerschaftswochen, kann es zu Hirnblutungen kommen. Defekte der Herzscheidewände oder noch nicht verschlossene Blutgefäße, die vorgeburtlich offen sein müssen und bei Frühgeborenen zum Teil noch offen bleiben, verschließen sich mit der Zeit von alleine oder können medikamentös beziehungsweise chirurgisch verschlossen werden.

Da Frühgeborene auch ein unreifes Immunsystem haben, sind sie gefährdeter, Infektionen zu bekommen und müssen entsprechend geschützt werden. Je jünger ein Frühgeborenes ist, umso größer ist auch das Risiko, dass Spätfolgen, wie eine Körperbehinderung, eine kognitive Beeinträchtigung, Asthmaerkrankungen, aber auch Depressionen und Angststörungen auftreten, wobei es auch hier Ausnahmen geben kann. So kann auch ein Kind aus der 25. Schwangerschaftswoche im Alter von sechs Jahren nahezu keine Entwicklungsmängel mehr aufweisen.

INDIVIDUELL BEHANDELN

Wer bei der Geburt eines Frühgeborenen dabei sein kann, wird tief berührt sein, wie individuell jedes Kind auch schon mit 500 Gramm ist.

Hände, die so klein sind, dass sie gerade einmal den kleinsten Fingernagel des helfenden Arztes umgreifen können, werden entweder neugierig der Welt entgegengestreckt, entschlossen zu einer Faust geballt oder vertrauensvoll geöffnet. Auch und gerade Frühgeborene haben ein Recht darauf, in ihrer Individualität begrüßt, untersucht, gepflegt und behandelt zu werden. Wie wichtig diese innere Haltung jedem Frühgeborenen gegenüber ist, zeigen die guten Erfolgsergebnisse der sogenannten NIDCAP-Pflege. Die Abkürzung NIDCAP steht für »Newborn Individualized Developmental Care and Assessment Program«, was so viel bedeutet wie eine Pflege und Beurteilung von Neugeborenen, bei der die individuelle Entwicklung im Vordergrund steht. Mittlerweile belegen Studien weltweit, dass sich die Kinder neurologisch besser entwickeln, wenn sie in ihrer Individualität wahrgenommen und entsprechend gepflegt worden sind.

»KÄNGURUHEN« UND MUTTERMILCH

Frühgeborene kommen nach der Geburt in den meisten Fällen zunächst in einen Brutkasten (Inkubator). Moderne technische Geräte ahmen das nach, was sonst der Mutterkuchen, die Eihüllen und die Gebärmutter ermöglichen. Es ist ein großes Geschenk, dass diese Geräte entwickelt worden sind und ständig noch weiter verbessert werden. Genauso wichtig aber ist es, auch die seelischen Bedürfnisse von Kind und Eltern im Auge zu behalten. Viele Mütter fühlen sich zunächst als Versagerinnen, obwohl sie sich bemüht haben, in der Schwangerschaft alles richtig zu machen. Die Nähe und Kontaktaufnahme zum eigenen Kind sind nun besonders wichtig für die weitere Beziehung und Entwicklung, was durch die moderne Bindungsforschung bestätigt wird. Beim »Känguruhen« liegt das Frühgeborene auf der Brust der Mutter (oder des Vaters), durchaus auch mit Beatmungsschläuchen oder Infusionen. Manche Eltern beschreiben diesen Zustand liebevoll wie eine »Droge«. Das Kind hört den Herzschlag, spürt die Brustkorbbewegungen beim Atmen sowie die Körperwärme seiner Eltern. Es nimmt dabei auch den Geruch der mütterlichen Brustwarzen wahr – selbst dann, wenn es nicht daran nuckelt oder gestillt wird.

Die beste Nahrung für das Frühgeborene ist Muttermilch, auch wenn diese häufig zunächst nur in abgepumpter Form gegeben werden kann und anfangs noch Zusätze notwendig sind. Für die wenigen Fälle, in denen die Mutter keine Milch abpumpen kann, gibt es gute Ersatznahrungen oder auch Spendermilch von Frauenmilchbanken. Gerade Frühchen können mit gespendeter Milch von den Vorteilen der Muttermilch profitieren. Frühgeborene sind noch stärker als andere Neugeborene sinnesoffen. Umso wichtiger ist es, dass die Umgebung nicht zu laut oder zu hell ist, weshalb oft Tücher über den Inkubator gelegt werden. Besonders positiv reagieren Frühgeborene auf die Stimmen der Eltern. Eine Melodie, die leise gesummt oder gesungen wird, gehört zu den Sinneseindrücken, die die Seele des Frühgeborenen nähren. Auch das Spielen auf einer Kinderharfe, die pentatonisch gestimmt ist (in überwiegender Quinten-Stimmung) tut den Frühgeborenen wie auch später den reifen Säuglingen gut (siehe Literatur >). Wenn Frühgeborene gebadet werden, was durchaus möglich ist und ihnen meistens Freude bereitet, reicht warmes Wasser (37 °C), eventuell mit einigen Tropfen Öl oder Muttermilch. Sehr wohltuend kann auch das Pucken sein (siehe Seite >). Es umhüllt die Frühchen und erinnert sie an die schützende Gebärmutter.

DAS FRÜHCHEN ZUHAUSE

Die meisten Kinder können bis zum errechneten Geburtstermin aus der Klinik entlassen werden, häufig sogar etwas früher. Dann gilt es zuhause den neuen Rhythmus zu finden. Dabei ist ein Frühgeborenes anfangs noch stärker als andere Neugeborene darauf angewiesen, dass sich seine Eltern ganz auf seinen Rhythmus und seine Bedürfnisse einlassen, die es lauthals artikulieren soll und darf. Die Eltern lernen dabei immer besser, die Signale ihres Kindes zu deuten, sodass zunehmend Vertrauen und Sicherheit entstehen kann. Ein gleichmäßiger Tagesablauf mit entsprechenden Ritualen ermöglicht es dem Kind, eine stabile Kontrolle über die Körperfunktionen zu erhalten und nach und nach auch die Bedürfnisse der Eltern zu respektieren. Genügend Zeit für Zärtlichkeiten tut nicht nur dem Kind gut.

Die empfohlenen Maßnahmen zur Reduzierung des Risikos des plötzlichen Kindstods (siehe Seite >) gelten besonders für ehemalige Frühgeborene. Die meisten Kliniken, die Frühchen betreuen, bieten auch Nachsorge-Sprechstunden an. Stillberaterinnen, (Wochenbett-)Hebammen und »Frühchen-Eltern-Gruppen« sind zusätzliche Hilfen bei der weiteren Betreuung und Alltagsgestaltung. Viele Eltern verspüren trotz der besonderen Belastungen bei der Entwicklung ihrer Frühchen Zufriedenheit, denn sie haben sehr intensiv mitbekommen, was ihre Kinder schon so alles geleistet und gemeistert haben.

GANZHEITLICHE THERAPIEVERFAHREN

Individuell und nachhaltig

Die Kunst des Heilensbesteht darin, den Menschen in all seinen Aspekten wahrzunehmen und die richtigen Anstöße zu geben, damit er wieder ein harmonisches Ganzes wird. Um dieses Ziel zu erreichen, sucht der anthroposophische Arzt für jedes Kind individuell nach geeigneten Medikamenten und Methoden, die nachhaltig wirken und das Kind insgesamt stabilisieren. Dabei wählt er aus dem großen Spektrum der konventionellen und der unkonventionellen Medizin aus. Er verwendet je nach Bedarf potenzierte, homöopathische Arzneimittel, allopathische Medikamente und Kunsttherapien – manchmal auch mehrere Behandlungsformen gleichzeitig. Die Mittel wirken auf eines oder mehrere der vier Wesensglieder:

Allopathische (= schulmedizinische) Medikamente auf die physische Organisation

Potenzierte, anthroposophische und homöopathische Medikamente auf die Lebens-, die Seelen- und die Ich-Organisation

Bewegungstherapien wie die Heileurythmie auf die Lebens-, Seelen- und die Ich-Organisation

Kunsttherapien und Psychotherapie auf die Seelen- und die Ich-Organisation

Biografische Beratungsgespräche auf die Ich-Organisation. Diese finden in der Jugendmedizin mit dem Jugendlichen selbst statt, in der Kinderheilkunde meist als Elternberatung, um die Bedingungen für die reifende Individualität des Kindes besser zu gestalten.

Da die Wesensglieder (siehe Seite >) miteinander verbunden sind, finden immer auch wechselseitige Wirkungen statt. So beeinflusst die Stärkung des Ich auch das Seelische positiv, jede Besserung im Bereich des Seelischen stärkt die Lebensorganisation und jede Heilung auf der Ebene der Lebensorganisation wirkt sich wieder positiv auf den Körper aus.

Allopathische Medikamente

Die klassischen, so genannten allopathischen oder schulmedizinischen Medikamente wirken nach Gesetzmäßigkeiten, die mit Hilfe der modernen Chemie und Physik beschrieben und erklärt werden können. Sie werden nach den üblichen chemischen und pharmazeutischen Verfahren hergestellt, zum Beispiel durch Synthetisieren. Dabei werden Moleküle nach biochemischen Gesichtspunkten neu zusammengesetzt.

Die allopathischen Medikamente wirken unmittelbar auf die physische Organisation des Kindes. Es kommt dabei zu einem konkreten Eingriff in den Körper. Dabei hemmen oder ersetzen sie teilweise die lebendige Eigentätigkeit des Organismus. Ihre Anwendung in der anthroposophisch orientierten Kinderheilkunde erfolgt vor allem in den Fällen, in denen die kindliche Lebensorganisation überfordert oder unfähig ist, die Gesundung des Organismus aktiv herbeizuführen. In diesen Fällen verschreibt der Arzt zum Beispiel Antibiotika gegen bakterielle Entzündungen oder Beta-Sympathikomimetika bei Asthma.

Ein anthroposophischer Kinderarzt weiß diese manchmal lebensrettenden Medikamente sehr zu schätzen und setzt sie der jeweiligen Situation entsprechend ein. Darüber hinaus kann er das Kind mit weiteren wichtigen, potenzierten Medikamenten unterstützen. Bei Bedarf werden allopathische und potenzierte Medikamente kombiniert. Schließlich nützt es nichts, um unser Beispiel aus der Musik wieder aufzugreifen, den Geiger zu stärken, wenn man nicht gleichzeitig die gerissene Seite seiner Geige repariert.

Potenzierte Arzneimittel

Potenzierte, anthroposophische und homöopathische Heilmittel haben einen besonderen Stellenwert in der anthroposophischen Kinderheilkunde, da sie nicht direkt gegen eine Krankheit arbeiten, sondern die Selbstheilungskräfte und Entwicklungsprozesse im Menschen fördern und aktivieren. Diese Medikamente unterstützen die Lebensorganisation des Kindes darin, selbst die Gesundung herbeizuführen.

Potenzierte anthroposophische Arzneimittel sind pflanzlicher, tierischer, mineralischer und metallischer Herkunft. Sie gehen teilweise auf die Homöopathie zurück, die aber in wesentlichen Aspekten erweitert wurde. Die Herstellung erfolgt in manchmal sehr komplexen Aufbereitungs- und Transformationsverfahren der Gärung, der Destillation, der Veraschung, der Extraktion und der Filtrierung. Dabei werden Stoffe isoliert und anschließend zu Heilmitteln mit bestimmten Eigenschaften neu zusammengesetzt. Ihre Wirksamkeit kann nicht allein aus bestimmten Inhaltsstoffen der Ausgangssubstanzen verstanden werden. Die anthroposophische Medizin fragt darüber hinaus nach den Fähigkeiten, die zum Beispiel eine bestimmte Heilpflanze als Lebewesen auszeichnen, und versucht, durch die pharmazeutische Verarbeitung dieser Heilpflanze den entsprechenden Prozess im Menschen anzuregen. So kann zum Beispiel eine Pflanze wie die Brennnessel, die in der Natur sehr gut Eisen aufnehmen kann, dem menschlichen Körper bei Eisenmangel Impulse geben, das Eisen besser zu verwerten. Die potenzierten und dynamisierten Substanzen beeinflussen so die Lebensorganisation, also den Musiker im Orchester. Da die Lebensorganisation mit ihren Kräften in der Kindheit von besonderer Bedeutung ist, spielen gerade in der Kinderheilkunde potenzierte Heilmittel eine große Rolle. In vielen Fällen ist schon allein mit ihnen eine Heilung möglich.

Potenzierte Medikamente helfen dem Kind aber ebenso bei seelischen und psychosomatischen Störungen. Denn sie beeinflussen auch die Möglichkeiten des Dirigenten, seine Fähigkeit, das Spiel der Musiker zu lenken. Manchmal wird sogar erst mit Unterstützung dieser Mittel das Wesentliche einer Komposition hörbar.

Denn potenzierte Arzneimittel, vor allem solche, die aus Mineralien und Metallen hergestellt werden, wirken auch auf die Individualität des Kindes. So zeugt zum Beispiel bereits die Art und Weise, wie ein Kind fiebert (und dabei oft einen Entwicklungssprung herbeiführt), vom Charakter und der Aktivität der Ich-Organisation. Potenzierte Arzneimittel lenken solche Eigenaktivität, ohne sie zu unterdrücken. Das hat positive Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Selbstregulation – etwa beim Schlafen – und auf die Willensbildung eines Kindes.

Potenzierte Substanzen

Ergänzend zum klassischen Substanzverständnis der Chemiker und Physiker geht es in der Anthroposophischen Medizin darum, in jeder Substanz den dahinter bzw. darin wirkenden lebendigen Prozess zu erkennen, was am Beispiel einer so leblos erscheinenden Substanz wie dem Kalzium, das im Kalk enthalten ist, anschaulich gemacht werden kann:

Was ist Kalzium? Aufgrund naturwissenschaftlicher Forschungsergebnisse lässt sich der atomare Aufbau der Substanz Kalzium beschreiben.

Betrachten wir die verschiedenen Funktionen, die Kalzium erfüllt, so entdecken wir darüber hinaus, dass es Repräsentant eines ganz bestimmten, typischen Prozesses ist. In diesem Fall bedeutet der Kalzium-Prozess die Fähigkeit, etwas verfestigen zu können, Struktur und Halt zu geben, was an unterschiedlichen Phänomenen aufgezeigt werden kann:

Kalzium wird in Form von Kalk beim Hausbau verwendet. Es trägt dazu bei, dass der Mörtel hart und fest wird, wodurch die Backsteine Festigkeit bekommen.

Auch im so genannten niederen Tierreich wird Kalzium zum »Hausbau« verwendet. So finden wir Kalzium in den Schalen von Muscheln, aber auch im Schneckenhaus wieder.

Die Fähigkeit, etwas hart werden zu lassen, taucht auch bei den höheren Lebewesen auf. Denn erst mit Hilfe des Kalziums wird eine Anspannung, ein Festwerden der Muskeln möglich. Auch der wichtigste Muskel des Menschen, das Herz, kann sich nur mit Hilfe des Kalziums zusammenziehen.

Auch im Blut selbst kommt die Fähigkeit des Kalziums, etwas fest werden zu lassen, zum Tragen: Wenn wir uns verletzen, muss das aus der Wunde fließende Blut gerinnen können, da wir sonst verbluten. Diese Fähigkeit kann das Blut mit Hilfe vieler verschiedener Gerinnungsfaktoren erreichen. Kalzium spielt dabei eine entscheidende Rolle.

Rudolf Steiner hat wiederholt darauf hingewiesen, dass solche Prozesse für jedes Lebewesen eine besondere Bedeutung haben. Der Kalzium-Prozess ist nur ein Beispiel dafür; genauso gibt es auch einen Eisen-Prozess oder einen Phosphor-Prozess. Die besondere Entdeckung von Samuel Hahnemann war, dass durch bestimmte pharmazeutische Verfahren Substanzen wieder stärker in den Zustand gebracht werden können, in dem sie als Prozess wirksam sind. Er nannte diesen Vorgang Dynamisierung oder Potenzierung (die Substanz bekommt wieder ihre ursprüngliche Potenz).

Die dynamisierten und potenzierten Medikamente wirken unmittelbar auf die Lebensorganisation, die bei Kindern besonders stark ausgeprägt ist. Außerdem reagieren sie besonders leicht und intensiv auf feine Reize, weshalb es auch zu verstehen ist, warum gerade in der Kinderheilkunde der Einsatz potenzierter Heilmittel so sinnvoll und fruchtbar ist.

Da Sie in diesem Buch überwiegend anthroposophisch-homöopathische Arzneimittel finden, möchten wir Ihnen im Folgenden kurz darstellen, mit welchen pharmazeutischen Verfahren diese gewonnen werden.

Pharmazeutische Verfahren

Für Medikamente, die aus dem Mineral-, Pflanzen- und Tierreich gewonnen werden, gibt es verschiedene pharmazeutische Verfahren, zum Beispiel Extrahieren, Überbrühen und Auskochen, Destillieren oder Rösten, Verkohlen und Veraschen.

Wie bei der klassischen Homöopathie auch werden viele der so gewonnenen Substanzen dynamisiert und potenziert:

Flüssiges Potenzieren:

Die Ausgangssubstanz (Urtinktur) wird 1:10 verdünnt und rhythmisch geschüttelt (Herstellung einer D1). Die Flüssigkeit mit der D1 wird wieder 1:10 verdünnt und erneut rhythmisch geschüttelt (Herstellung einer D2). Der Vorgang wird wiederholt, bis die erwünschte Potenz erreicht ist. Bei der Herstellung von Globuli (Streukügelchen) werden Kügelchen aus Zucker mit der flüssigen Potenz durchtränkt.

Festes Potenzieren:

Gleicher Vorgang wie bei der flüssigen Potenzierung, nur dass die Verdünnung mit Milchzucker geschieht und statt der Verschüttelung rhythmisch verrieben wird.

Die folgenden Verfahren wurden in der anthroposophischen Pharmazie entwickelt und werden nur von anthroposophisch pharmazeutischen Firmen angewendet. Sie erweitern die Möglichkeiten, Natursubstanzen durch pharmazeutische Verfahren so aufzuschließen (zu »potenzieren«), dass sie die Selbstregulation des menschlichen Organismus noch wirksamer beeinflussen:

Metallspiegel:

Durch ständige Wärmezufuhr im Vakuum werden Metalle verflüssigt und verdampft. Sie werden damit in einen reinen, möglichst ursprünglichen Zustand zurückgeführt. Sie schlagen sich dadurch als Metallspiegel am Glas nieder, werden von dort abgekratzt und als Pulver zu verschiedenen Präparaten verarbeitet. Bei Gold (Aurum) zum Beispiel heißt der so hergestellte Goldspiegel »Aurum metallicum praeparatum«.

Ein vergleichbarer Prozess geschieht, wenn wässrig gelöste Metallsalze erwärmt und dann reduziert werden. An der Wand des Glasgefäßes schlägt sich dabei der Metallanteil als dünner Spiegel nieder, kann wieder abgekratzt und fein vermahlen werden. So entsteht zum Beispiel aus Silber (Argentum) das Präparat »Argentum metallicum praeparatum«, das in Form einer Salbe zur Verfügung steht.

Vegetabilisierung von Metallen:

Ein natürlich vorkommendes Metall in Form eines Erz-Minerals wird als lösliche Zubereitung hergestellt und als Düngemittel für eine entsprechende Heilpflanze verwendet. Diese wird zur Blütezeit geerntet, kompostiert und selbst als Dünger für die gleiche Heilpflanze im nächsten Jahr verwendet. Nach erneuter Wiederholung des Prozesses wird die Heilpflanze im dritten Zyklus geerntet und zu einem Arzneimittel weiterverarbeitet. Das ursprünglich leblose Metall ist durch die Pflanzen in einen Lebensprozess eingeschleust worden. Dadurch findet eine Dynamisierung und Potenzierung durch die Pflanze selbst statt. Ein Beispiel für ein solches besonderes Medikament ist »Chamomilla Cupro culta«, bei dem nicht nur die Kamille (Chamomilla) als Medikament wirkt, sondern vor allem das Kupfer mit seiner entkrampfenden Fähigkeit, das drei Jahre lang im Lebensprozess der Kamille wirksam geworden ist.

Rh-Verfahren (WELEDA) und »WALA-Verfahren«:

Gepresste Pflanzensäfte werden morgens auf 37 °C erwärmt, rhythmisch geschüttelt, abends auf 4 °C abgekühlt und erneut rhythmisch geschüttelt (WELEDA). Bei den von der Firma WALA hergestellten Heilmitteln erfolgt eine Rhythmisierung der Substanzen ebenfalls zwischen den beiden wichtigen Temperaturen 37 °C (Körpertemperatur des Menschen) und 4 °C (Temperatur der höchsten Dichte von Wasser). Bei 4 °C werden die Substanzen ins Helle und Freie gestellt und dabei rhythmisch bewegt – jeweils eine Stunde vor bis eine Stunde nach Sonnenaufgang bzw. Sonnenuntergang. In der übrigen Zeit ruhen die Substanzen bei 37 °C im Dunkeln und sind eingehüllt. Es entsteht also eine Rhythmisierung zwischen Wärme/Kälte, Helligkeit/Dunkelheit, Innen/Außen, Bewegung/Ruhe, und zwar in Abhängigkeit von dem Rhythmus des Tageslaufs (Sonnenaufgang und Sonnenuntergang). Dabei werden den Urtinkturen Aschebestandteile, die bei der Verarbeitung der Pflanze gewonnen worden sind, beigefügt. So entstand der Name WALA (Wärme-Asche-Licht-Asche). Aufgrund dieser Rhythmisierung und zusätzlichen Fermentierung können die Medikamente ohne zusätzliche Konservierungsstoffe (auch ohne Alkohol) verschlossen und kühl gelagert konserviert werden – deshalb sind diese Präparate in der Kinderheilkunde so beliebt. Immer wenn das WALA- oder WELEDA-Rh-Verfahren von Bedeutung ist, haben wir bei den Therapievorschlägen darauf hingewiesen.

Rhythmus trägt Leben

Dr. Rudolf Hauschka, unter anderem Erfinder der weltweit beliebten Dr. Hauschka Kosmetik, fragte Rudolf Steiner, was man machen könne, um Substanzen auch ohne Alkohol haltbar zu machen. Er bekam als Antwort: »Studieren Sie Rhythmen, Rhythmus trägt Leben«. Nach intensiven Forschungsarbeiten entstand die Firma WALA. Durch besondere rhythmische Prozesse bei der Herstellung (Wärme-Asche-Licht-Asche) gelang es, Pflanzensäfte haltbar zu machen. Die WALA-Präparate wie auch die WELEDA-Rh-Präparate sind bei anthroposophischen Kinderärzten sehr beliebt, da sie den Kindern ohne Alkoholzusätze verabreicht werden können.

Kompositionspräparate

Wie in der Musik durch zwei Töne ein Intervall entsteht, das mehr als die Summe der Einzeltöne ist, so entsteht im pharmazeutischen Prozess auch etwas Neues, wenn zwei oder mehrere Substanzen zu einem neuen Arzneimittel verarbeitet werden. Die Einzelmittel werden nicht zu einer Heilmittelsumme kombiniert, sondern zu einem neuen Heilmittel komponiert. Wie bei einem Orchester kommt es darauf an, wie viele unterschiedliche Instrumente es gibt und wie stark die einzelnen Instrumente vertreten sind – pharmazeutisch ausgedrückt: wie viele Inhaltsstoffe in welcher Konzentration nötig sind. Die Ausgangsstoffe können mineralischen, pflanzlichen oder tierischen Ursprungs sein. Potenzierte und dynamisierte können mit nicht potenzierten Stoffen kombiniert werden. Durch besondere Herstellungsverfahren wie gemeinsame Wärmeanwendungen, Strömungsverfahren oder erneutes gemeinsames Dynamisieren werden die Bestandteile zusammengefügt. So wird das pharmazeutische Verfahren zu einer Kunst, zu einer Fortführung und Vollendung bestimmter Naturprozesse.

Ein Beispiel für ein Kompositionspräparat mit Substanzen aus den drei Naturreichen ist »Apis/Belladonna cum Mercurio«, ein bewährtes Medikament bei fieberhaften Mandelentzündungen. Die pharmazeutische Verarbeitung der Bienensekrete (Apis) hilft bei Schwellungen und Rötungen, die der Tollkirsche (Belladonna) bei Fieber und die des Quecksilbers (Mercurius) bei Belägen auf den Mandeln.

Darreichungsformen

Anthroposophische und homöopathische Mittel sind in unterschiedlichen Darreichungsformen erhältlich. Diese sind unverzichtbar, um eine individuelle und auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes ausgerichtete Therapie zu ermöglichen.

Äußere Anwendungen:

Sie werden in der Anthroposophischen Medizin mit Salben, Körperölen, Harzen und Tinkturen durchgeführt, sowie durch Öldispersionsbäder, bei denen durch eine bestimmte Verwirbelungstechnik Öltropfen extrem fein mit dem Wasser vermischt werden. So bilden sie nicht mehr einen Film an der Oberfläche, sondern sind als feinste Tropfen im Wasser verteilt. Eine solche Öldispersion eignet sich sowohl für ein Fußbad, als auch für ein Ganzkörperbad. Bei äußeren Anwendungen nimmt die Haut Qualitäten der aufgenommen Substanzen wahr und gibt sie an den Organismus weiter, so etwa die durchwärmende von Ingwermehl, die anregende von Rosmarin oder die beruhigende von Lavendel. Dabei helfen Tinkturen bei nässender Haut, Salben und Pasten decken ab, Gele und Emulsionen kühlen, Öle wärmen. Kinder mögen äußere Anwendungen, ihre Haut ist besonders sinnesoffen, und der unmittelbare Körperkontakt kann die Heilung zusätzlich unterstützen.

Innerliche Anwendung: