Das Kupferhaus - Thomas Kühn - E-Book

Das Kupferhaus E-Book

Thomas Kuhn

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Beschreibung

Mit fünf Jahren wird Robert in ein DDR-Kinderheim zwangseingewiesen und verbringt dort zwei lange, einsame Jahre. Erst nach der Familienzusammenführung erfährt er die wahren Hintergründe seines Schicksals. Jahre später bahnt sich eine persönliche Tragödie an.

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Seitenzahl: 205

Veröffentlichungsjahr: 2015

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www.tredition.de

Thomas Kühn

Das Kupferhaus

Roman

www.tredition.de

© 2015 Thomas Kühn

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7323-2600-6

Hardcover:

978-3-7323-2601-3

e-Book:

978-3-7323-2602-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

WER DAS VERLOR, WAS DU VERLORST…

Frühjahr 1974

Alles sagen, was geschehen ist. Es ist alles so unwirklich. Aber es ist passiert. Es ist wirklich geschehen. Im Grunde kann ich es nicht glauben! Wie kann so etwas sein? Esther hat mir nie geglaubt, sie hat mich immer schlecht gemacht. Ich habe es ihr immer wieder gesagt, Mama, ich will frei sein, frei, frei, frei! Und ich werde es schaffen! Ja, und dann ziehst du mich da mit rein, was? Wie stellst du dir das vor? Du bist naiv! Du hast keine Ahnung! Du bist doch dumm! hat Esther gesagt, sie hat mich verhöhnt. Liebt sie mich überhaupt?

Zwei lange, endlose, qualvolle Jahre. 1972 – war Robert gerade mal fünf Jahre alt. Er war ein so liebes, ein kluges, er war ein glückliches Kind…

Wenn ich im Gefängnis etwas gelernt haben, dann das: Ich muss ohne Liebe leben. Und ich kann es! Ohne Menschenliebe. Ohne die Liebe der Anderen.

Aber ich liebe das Leben, die Freiheit, Leben ist Freiheit, das gab mir die Kraft!!! Das war immer mein Motor! Die Gedanken sind frei! Und man muss doch so leben können, wie man denkt, das ist doch kein Verbrechen! Esther hat mich nicht leben lassen wollen, sie ist nicht frei! Aber musste ich darunter leiden? Nein, ich musste mich entscheiden, sonst wäre ich untergegangen! Und ich habe mich für das Leben entschieden! Kann sie mir vorwerfen, dass ich mich gegen sie entschieden habe? War es nicht ihre Wahl, unfrei zu sein? Ich wollte nicht ihr Schicksal teilen, ich habe doch gesehen, wie unglücklich sie war! Aber sie, sie hat ihr Unglück noch verteidigt und mich verkleinert, bis zur Unkenntlichkeit! Wie sie mit Eberhard immer gewitzelt hat, die haben immer so komisch geschäkert, das habe ich nicht verstanden! Aber jetzt weiß ich es! Sie waren sich einig, in diesem Leben muss man sich holen, was man kriegen kann! Nicht mehr, aber auch nicht weniger! Wie schäbig. Das widerte mich an.

Ich wollte mich nicht beugen! Darin lag und liegt meine Freiheit!

Ich hasse jede Art von Zwang! Eberhard hat das nie verstanden! Im Grunde war er nur selbstverliebt und faul, wollte immer alles serviert bekommen! Ein Sklave seiner Eitelkeit und Genusssucht! Die drei Frauen haben ihn abhängig gemacht, er war ihr einziger Mann, er sollte nie jemand anderem gehören, nicht einmal sich selbst! Er hatte Angst vor der Freiheit! Vor dem Leben! Warum habe ich das bloß so spät erst erkannt? Er würde alles zerstören! Aber welche Wahl hatte ich? Und was hatte ich anfangs noch für eine Hoffnung, dass Robert ihn stark macht, dass Robert ihn dazu bringt, aufzuwachen! Wach auf, du bist ein Mensch, du musst doch denken! Erkennst du dich nicht in deinem Sohn? Aber er war immer misstrauisch, so kannte er Frauen nicht! Engstirnig! Und Kinder? Wollte er überhaupt ein Kind? War er nicht selbst noch ein Kind? Er duldete niemanden neben sich. Ja, er war ja der Halbgott, dem sie noch den A… abwischten.

Als ich erkannte, dass er Robert ablehnt, weil sich nicht mehr alles um ihn drehte, oh Gott, als er zu saufen anfing, nach dem Tod von Hilde, endlich frei, endlich frei, hatte er geschrien und sich betrunken, ich ihn morgens nicht mehr aus dem Bett kriegte, ich schüttelte ihn, er schlug nur um sich, steh auf, steh auf, aber er drehte sich um, ging nicht zur Arbeit, oh Gott, es war mir klar, ich würde alles verlieren, wir waren verheiratet, wie hatten wir uns schön eingerichtet, hatte er nicht auch daran geglaubt, Sonne, Mond und Sterne?, endlich eine Familie, und er, und er! Er würde ins Gefängnis kommen, sie würden uns Robert nehmen, meinen Robert!

Oh, Robert, ich bin immer bei dir! Kannst du mir das glauben? Du bist jetzt noch so klein, was haben sie nur mit dir gemacht? Später wirst du alles verstehen, später! Wirst du mir das später glauben, dass ich immer bei dir war, mit meinen ganzen Gedanken, mit meinen ganzen Gefühlen, auch wenn dicke Mauern uns trennten, du unter Fremden warst, ein unschuldiges Kind? Die Macht meines Glaubens, die Kraft meiner Gedanken wird die Mauern sprengen, ich bin mir sicher, ich weiß es einfach, ich weiß es!

Ich hoffe es so sehr, so sehr!

Wir waren so euphorisch, wir konnten es nicht glauben, etwas sagte uns, das könne nicht sein, wir waren alles Mütter, und nun waren wir auf dem Weg, in diesem stickigen Bus, wir fühlten uns wie Kinder auf einer Ferienfahrt, nach all diesen Schikanen, nach all den Schmerzen, Erniedrigungen, nach all dem, was Menschen einander ohne Grund, ohne Recht aus reiner Bosheit antun können, wir saßen im Bus Richtung Westen, Richtung Freiheit, es hatte sich wirklich gelohnt, es hatte sich gelohnt, sich nicht brechen zu lassen, nicht aufzugeben, stark zu bleiben, es hatte sich gelohnt, den Kampf gegen die Lüge, gegen die Dummheit, gegen die Gemeinheit auszuhalten, gleich würden wir frei sein, was für ein innerer Jubel, und wir würden alle unsere Kinder wieder sehen, ja an der Grenze, man hatte es uns ja doch versprochen, kaum zu glauben, ich würde meinen Robert wieder in die Arme nehmen, wir würden weinen, wir wären glücklich, so glücklich und es würde endlich alles wieder gut werden, und dann …. und dann …es war nichts gut! Sie hatten uns wieder belogen, oh, was für ein Verbrechen, was für eine Grausamkeit, wir wurden an der Grenze in Empfang genommen, da war kein Jubel, da war keine Freude, alles war so trostlos, so trostlos, so bitter schmeckt das Brot der Freiheit?

Ich fühlte mich so leer, um alles betrogen, ich würde meinen Robert doch nicht sehen, aber nun war ich ja im Westen, oh, diese Betrüger, diese Widerlinge, eine letzte Rache, die grausamste, haben sie sich bis zum Schluss aufgehoben, diese Verächter alles Menschlichen, es war, als hätte man ein Stück Fleisch aus meinem Körper gerissen, ich hätte nur noch schreien können…

In jeder Entscheidung steckt eine Trennung. Ist das die Freiheit?

Ein halbes Jahr noch! Ein halbes Jahr!

Wer sich nicht entscheidet, bleibt ohnmächtig!

Diese Schmerzen, mein Rücken tut mir manchmal so weh, als wäre ich in ein unerträgliches Joch gespannt. Ich weiß manchmal nicht, ob es mein Körper ist, der so schmerzt, oder mein Leben.

Ich habe Robert gesehen! Er war so blass, hat er sich auf mich gefreut? In seinem Anzug sah er so schick aus, die karierte Weste, er wirkte so merkwürdig stolz, zugleich so unsicher mir gegenüber! Was für eine Demütigung, was für eine Kränkung, er kommt jetzt zu den Jungpionieren, ich habe alles getan, ich konnte es nicht verhindern. Und er freut sich doch so, endlich in die Schule zu kommen. Ich habe ihm gesagt, ich werde ihn bald holen, oh Gott, oh Gott, hatte er mich überhaupt gehört, er blickte in die Ferne, er wandte sich ab und nickte nur, er hat früher immer gelächelt, er hat so viel gelacht, jetzt nickte er nur stumm und verlegen, er ist so ernst, als verstünde er nichts oder als verstünde er alles, oh Gott, er versteht nicht, was ich ihm gesagt habe, er ist ja noch so klein, aber wie er sich verändert hat, er sieht schon fast erwachsen aus, er ist so ernst, sie haben ihn gebrochen! Ich erkenne ihn nicht wieder. Sie haben ihn gebrochen, diese Unmenschen!

Aber ich werde es schaffen, nur ein paar Wochen noch, es wird alles gut! Er wird verstehen, er wird verstehen und er wird sehen, dass es gut war!

Ich weiß nicht, was mit Eberhard ist. Hat er fünf Jahre bekommen?

Sommer 1974

Was habe ich nur getan?! Was habe ich nur getan?!

Die Wohnung war so leer ohne Robert, ich hatte alles so schön gemacht, für ihn, für ihn, er sollte in sein neues Zuhause kommen, er sollte sich wohl und geborgen fühlen, er sollte es schön haben, ich muss ja so viel arbeiten, aber jede freie Minute mit ihm verbringen!

Ich könnte nur heulen, die Tage und die Nächte durchheulen, die Wohnung stinkt nach Zigaretten, überall Bierflaschen und diese laute Musik den ganzen Tag! Geh arbeiten, geh arbeiten, du musst Hoffnung haben, du bist doch ein Mensch, du denkst doch! Mein Sohn kommt! Robert! Er braucht mich! Ich streite mich jeden Tag mit Matthias, er versteht nicht, er bewegt sich nicht, er hat sich bei mir eingenistet wie eine widerliche, dicke Spinne, er spinnt mich ein, er könne nicht, er sei krank, er leide an der Welt, keiner habe ihn lieb, aber ja doch, ich habe dich doch lieb, ich helfe dir, Matthias, aber Robert kommt, Robert, mein Sohn!

Robert ist so sonderbar, wie bekomme ich das nur wieder hin! Gibt es denn niemanden, der mir helfen kann? Er verletzt sich selbst, oh Gott, er ratzt sich mit Draht die Beine und Arme auf, er isst Papier, er kackt in die Küche, ins Waschmittel, er kann seinen Urin nicht halten, er lacht kaum noch, ich werde noch wahnsinnig!

1975

Mit Matthias wird es immer schlimmer, gestern hat er die Tür zum Wohnzimmer eingetreten, als ich ihn nicht rein lassen wollte. Er säuft und säuft und immer diese laute Musik, die Wohnung stinkt! Warum versteht mich nur keiner! Oh, Gott, ist denn nirgendwo Hilfe?

1976

Robert will ein Affe sein, er will lieber ein Tier sein, sagt er, er könne es nicht ertragen, ein Mensch zu sein!

Robert ist im Ferienlager. Matthias ist aus dem Fenster gesprungen. Er ist tot. Ich habe ihm heute Morgen gesagt, wenn ich komme, will ich, dass er weg ist, jetzt ist er weg, er ist gesprungen, aus dem neunten Stock, direkt vor die Haustür.

Ich habe für seine Schulden gebürgt.

Robert hat gelächelt, als ich es ihm erzählt habe. Ja, es ist besser so, hat er gesagt, besser so, besser so.

Mit Robert geht es besser. Er freut sich über den Papagei! Nur mit der Schule hat er Probleme.

Aber das schaffe ich schon!!!

1977

Wir ziehen nach Berlin. Dort verdiene ich mehr und ich muss weg hier, das war ein Fehlstart, ich muss von vorne beginnen. Robert freut sich schon!

1978

Eberhard hat geschrieben! Ich erkenne ihn nicht wieder! Er sehne sich so nach uns, er möchte Robert unbedingt wieder sehen! Er liebe mich so und er bereue alles, alles, alles, er sei ein neuer Mensch geworden, schreibt er, ein völlig neuer Mensch, er habe endlich begriffen, dass er für sich die Verantwortung, und auch für uns, tragen müsse, er wäre so glücklich, wenn er wieder zu seiner Familie zurück könne!

1979

Ich hatte Eberhard geglaubt, man muss einem Menschen doch die Chance zu einem Neuanfang geben! Jeder kann sich bessern, ein anderer werden, das ist doch seine Freiheit, dadurch wird er doch zum Menschen, hätte ich ihm dieses Recht verweigern können?

Zwei Männer von der Stasi waren hier, haben sich nach Eberhard erkundigt. Diese merkwürdigen Drohungen! Wir kriegen euch noch, haben sie gesagt, denkt ja nicht, dass wir euch in Ruhe lassen, wir beobachten euch! Ich habe Angst.

Eberhard ist zu labil. Seine Ideen taugen alle nichts. Er trinkt wieder, träumt davon, als Musiker aufzutreten. Warum macht der Mensch nichts aus seinem Leben. Er betrügt sich doch selbst! Betrügt er mich?

Ich habe Angst!

Robert wird nicht besser in der Schule. Schafft er es doch nicht?

Robert hat jetzt einen kleinen, süßen Hund, ein Pudelweibchen, um das er sich rührend kümmert. Er blüht richtig auf, geht viel spazieren.

Er hat eine Frau kennengelernt, eine Frau von Dahlewitz, alter Berliner Adel, eine ehemalige Lehrerin, sehr religiös, sie ist behindert und er hilft ihr im Haus, besucht sie oft. Er nennt es Kupferhaus, weil es ganz aus Kupfer gebaut wurde. Es gibt doch noch gute Menschen.

1980

Ich hatte eine Fehlgeburt. Es hätte ein Mädchen werden sollen. Ich bin sehr, sehr traurig! Robert hat seine Schwester verloren. Ich kann es ihm gar nicht erzählen!

Eberhard ist schwer alkoholkrank, er trinkt, verheimlicht es mir aber. Wenn ich ihn darauf anspreche, tobt er, brüllt, rast. Er hat den Wellensittig, unseren Bubi, an die Wand geklatscht! Er schlägt mich. Er hat Robert geschlagen. Er hat gedroht, mich zu töten. Er holt sich andere Frauen in meine Wohnung. In meine Wohnung! Oh, Gott, hört das denn nie auf?

Robert ist im Ferienlager. Es geht ihm gut, schreibt er! Eberhard hat eine Pistole! Er hatte mich verraten! Er hatte meine Flucht bei der Stasi angezeigt! Warum? Warum? Warum hast du das getan, habe ich ihn angefleht, das könne er nicht getan haben, doch, er hatte Angst, ins Gefängnis zu kommen! Er war’s! ich habe es immer befürchtet! Und jetzt will er mich töten! Ich habe die Polizei gerufen! Oh Gott, wie er getobt hat!

Robert kommt heute zurück! Er sah ganz ungerührt mein blaues Gesicht, er kommt nicht wieder, habe ich gesagt, ja, es sei besser so.

Oh Gott, Eberhard war hier! Er ist heimlich in die Wohnung eingedrungen und hat Roberts Bücher, seine Münzen, alles, alles gestohlen, er hat seinen Schreibtisch aufgebrochen, oh, dieser Unmensch, dieses…Tier.

Neues Schloss anbringen lassen!

Bin mit Robert zur Polizei gegangen. Er war richtig stolz, als er seinen Vater angezeigt hat. Es ist besser so, hat er gesagt, ja, es ist besser so, es ist ein Unrecht, das darf man nicht tun. Er lächelte.

Eberhard hat Hausverbot! Ich lasse mich scheiden.

Diese Schmerzen sind manchmal unerträglich. Esther wohnt bei uns, Robert teilt sich das Zimmer mit ihr, wie bin ich glücklich, ihr hier in der Freiheit noch einen schönen Lebensabend bereiten zu können, sie soll doch endlich erkennen, dass ich sie liebe, dass ich ein guter Mensch bin, der keine Ablehnung oder Verachtung verdient.

Es wird täglich schlimmer! Diese Streitereien, diese Vorwürfe! Ich ertrag das nicht mehr!

Das ist ungeheuerlich, das glaube ich alles nicht! Ich werde wahnsinnig!

Eberhard hätte so schon Gitarre gespielt, es sei so schön gewesen, ich würde ihr ja gar nichts gönnen, immer sei ich gegen sie gewesen, es wäre ein so schöner Abend gewesen, die Gitarrenmusik, Kerzenschein, ich sei mal wieder im Krankenhaus gewesen, es sei ja schon so lange her…und im Übrigen, dieser Robert, wie der sich benimmt, ich würde ihn ja verwöhnen, der sei doch ein kleiner Pascha, aber ein bisschen dumm, sie meine ja nur, der sei doch immer so still, kann der nicht richtig reden?! …ich werde noch verrückt!

Robert fängt jetzt an, die Bücher zu lesen, die er von Frau von Dahlewitz geschenkt bekommen hat. Eine sehr liebenswürdige, gütige Frau, sie meint aber auch, na, der Robert, ob der das schafft?

1981

An der neuen Schule klappt es prima! Endlich! Er hat auch eine Freundin, ein sehr nettes Mädchen!

Wir sind zu Günther gezogen, er ist sehr lieb mit Robert. Wie bin ich froh! Esther bleibt vorerst in meiner alten Wohnung.

Eberhard hat wieder geheiratet. Das ging ja schnell! Er ist alleine nicht lebensfähig! Na, ich wünsche ihm viel Glück! Ich konnte ihn nicht so lassen, ich wollte, dass er etwas aus sich macht, aber er braucht wohl etwas anderes. Es ist jetzt vorbei. Endlich! Robert will Kontakt zu ihm aufnehmen.

Diese Schmerzen! Taubheit in den Beinen, seit Jahren diese tägliche Folter, als wäre ich nie aus dem Gefängnis entlassen worden. Aber der Mensch ist nur Mensch durch die Hoffnung, für die er sich täglich neu entscheiden muss. Wie schwer das manchmal ist, das kann ich keinem Menschen sagen! Es ist zum Zerreißen, es ist, als würde ich in der Mitte zerbrechen!

Günther versteht mich nicht, er ist so selbstzufrieden, so selbstherrlich, er versteht einfach nicht, was ich denke, was ich sage, was ich fühle! Es sei doch alles in Ordnung, sagt er immer wieder, es ginge uns doch gut, wieso beschwere ich mich denn da…Aber ich beschwere mich doch gar nicht, ich leben mit ihm zusammen, da interessiert man sich doch für einander! Er arbeitet nur, raucht, liest seine BILD, ab 20 Uhr läuft die Kiste, es ist nicht zum Aushalten!

Eberhard versetzt Robert ständig.

1982

Robert ist ein sehr guter Schüler geworden, unter den Besten seiner Klasse, er ist jetzt auch häufiger fröhlich, macht Scherze, manchmal etwas zu sarkastisch, es war gut, dass er nicht auf eine Hauptschule gekommen ist, er hat Freunde, mit Günther kann man nicht reden, aber es ist trotzdem besser so, endlich ein wenig Ruhe, es geht uns gut. Ja, es geht gut, wenn nur diese Schmerzen nicht wären.

Robert hat eine neue Freundin.

Robert sagt, er werde seinen Vater wohl nicht wiedersehen.

1983

Robert ist jetzt auf einem Gymnasium in Charlottenburg, das ist zwar ein weiter Weg, aber es war das einzige. Er ist sehr ehrgeizig, ich glaube, er ist jetzt über den Berg! Endlich! Er ist gesund geworden, es hat sich gelohnt. Es hat sich gelohnt! Er hat sich entschieden, er entdeckt seine Freiheit!

Ich glaube, ich bin ernsthaft krank, ich fühle manchmal meine Beine nicht mehr, manchmal ist mein Körper ein einziger Schmerz! Robert sammelt Bücher, er liest sehr viel und hört meine alten Platten.

Ich glaube, er raucht. Trinkt er auch?

Robert hadert mit seinem Schicksal, das spüre ich, wir reden jetzt wieder viel miteinander, er ist oft verzweifelt. Er sagt immer, die Welt sei so schlimm, all die Kriege, die Umweltverschmutzung, so viel Betrug in der Wirtschaft!

Er hat ja Recht, aber dagegen kann man ja etwas tun!

Habe ihn ermuntert, sich zu engagieren!

Er hat eine Schreibmaschine von Frau von Dahlewitz geschenkt bekommen.

Schreibt den ganzen Tag.

Ich muss mehr auf mich selbst achten!

Robert hat eine neue Freundin. Nimmt sie Drogen?

Diese Streitereien mit Günther nehmen kein Ende, er fragt immer nur, was ich denn wolle, mit Robert versteht er sich gar nicht mehr.

Robert wendet sich zunehmend ab, er wirkt immer so abweisend. Abwesend. Nimmt er was?

Ich habe angefangen zu meditieren. Yoga tut mir auch gut!

Mit Robert stimmt etwas nicht. Wenn ich ihm nur helfen könnte!

Aber er hat neue Freunde. Ist tagelang unterwegs. Das ist ja auch in Ordnung. Aber er redet nicht mehr viel. Manchmal glaube ich, er brütet über irgendetwas! In der Schule wird es zunehmend schlechter. Ich kann kaum noch arbeiten. Täglich diese Schmerzen! Aber ich habe gelernt, mit dem Schmerz zu leben! Ich lasse mich nicht zerbrechen, ich gebe nicht auf, ich mache weiter! Yoga hilft mir.

Robert schleppt ständig alte Bücher aus irgendwelchen Antiquariaten an. Frau von Dahlewitz schenkt ihm das Geld, ob das gut ist? Ich bin ihr so dankbar, aber ich kann ihr meine Dankbarkeit nicht zeigen.

Manchmal glaube ich, er ist lieber bei ihr.

Streit mit Günther wegen Robert.

Anfang 1984

Ich muss ins Krankenhaus, Operation! Vielleicht kann ich nie wieder arbeiten!

Günther und Robert streiten sich immer nur! Ich kann bald nicht mehr!

Ich wurde operiert. Ich bin berufsunfähig! Das ist so ein Schlag für mich, wie schaffe ich das nur! Muss mich völlig neu orientieren!

April 1984

Ob ich mich doch besser von Günther trenne?

Robert braucht vielleicht doch eine Psychotherapie? Vielleicht hat er doch nicht alles verarbeiten können?

Ich habe Angst!

Robert hält eine Dichterlesung in seiner Schule ab, das hätte ich nicht für möglich gehalten! Vielleicht wird ja jetzt doch alles gut?!

Ich werde wohl eine Umschulung machen!

Robert hat heute erzählt, dass Frau von Dahlewitz wegzieht! Oh, das ist ein schwerer Schlag für ihn, das glaube ich! Aber er kümmert sich jetzt erst einmal um ihr Haus, das Kupferhaus! Er schläft auch dort! Er hat von Frau von Dahlewitz aus angerufen und alles erklärt. Ich müsse mir keine Sorgen machen!

In der Schule läuft es immer besser, Dichterlesung! Auch sonst scheint alles in Ordnung. Er fährt vom Kupferhaus aus in die Schule. Gut!

Ich hoffe es so!

Streit mit Günther wegen Robert.

Robert meldet sich nicht. Tina vermisst ihn!

Heute kam ein Anruf aus Roberts Schule, eine Lehrerin, die ich noch nicht kenne, erkundigte sich nach seinem Verbleib und wie es ihm ginge, sie hörte sich sehr besorgt an, ich habe es an ihrer Stimme gehört, obwohl sie versuchte, ganz nett und verbindlich zu klingen! Merkwürdig! Was ist bloß los?!

Es ist eine Katastrophe!

Robert kam heute mit Fieber, verdreckt und zerrissen nach Hause, so habe ich ihn noch nicht erlebt. Er hat eine Verletzung an der Hand! Er hat sich etwas angetan! Er sagte, er könne nicht mehr leben! Er redete ganz wirr! Hat mir vorgeworfen, dass ich immer nur helfen wolle…Ich versteh das alles nicht! Ist es noch nicht vorbei, hört es denn nie auf! Ich trenne mich von Günther! Wir müssen doch eine Lösung finden.

VERWÜSTETE GÄRTEN

Ganz nah an dem Garten vorbei ratterte ein Zug, endlos, beladen mit Panzern, grau und riesig, die Rohre entgegen der Fahrtrichtung schräg aufragend.

Es donnerte, dröhnte; heißer Staub flirrte durch die sonnengetränkte Luft.

Der alte Mann stieg auf einer schmalen, morschen Leiter, die an einem Pflaumenbaum lehnte, hinauf, bewaffnet mit einem Stab, an dessen freiem Ende ein Beutel hing mit einem zackigen Metallkranz zum Pflücken der Früchte, die noch an den gekrümmten, moosigen Zweigen hingen.

Er pflückte die reifen, gelben Pflaumen.

Der Junge stand im Garten, unter dem Baum, ein wenig abgekehrt, starrte durch den Ausschnitt, den Obstbäume, Blumen, Gras und der Zaun, so morsch wie die Leiter und der Schuppen, frei ließen, auf die nicht enden wollende Serie von gleichen Panzern, die verkehrt herum zu fahren schienen, der Junge stand, in dem Garten, inmitten des süß duftenden Fallobstes, auf zerquetschten Birnen, Äpfeln, Pflaumen, er stand reglos, achtete nicht auf die Bienen, die sich nah seinen Zehen, die aus den Sandalen lugten, in die überreifen, verfaulenden Früchte bohrten mit ihren felligen Köpfchen.

Und er hatte keine Angst.

Die Luft schmeckte süß und heiß und staubig, in ihr taumelten Schmetterlinge, Bienen, der alte Mann pflückte mit seinem Stab die reifen Pflaumen, der moosig-morsche Schuppen mit dem gut riechenden Teerdach stand schon immer hier. Der letzte Panzer schoss krachend an ihm vorbei, in der surrenden Stille im Ohr, unter den blonden Locken, echote der Lärm unheimlich nach; der Junge schaute durch den leeren Staub hindurch auf die Bäume und Felder, in die sich das Land hinter dem Garten erstreckte.

„Hier, Robert, nimm doch den Eimer mit den Pflaumen und trag ihn hinein.“, sagte der alte Mann, vermutlich hieß er Onkel Willi, der mit dem Messemännchen.

Der Hof, zu dem der Garten gehörte, war öd und sandig, nur Kopfsteinpflaster hier und da, ein großer Schuppen aus geteerten Latten begrenzte ihn zur Straße hin, das Tor hing schief in rostigen Angeln, im Innern Gartengerät, Werkzeug, Schrott, ein Auto.

Davor döste im stickigen Schatten ein Schäferhund, so alt und hinfällig wie das Haus, das den Hof zur hinteren Seite hin begrenzte.

Der graue Putz löste sich von den Ziegeln, in den Rissen und an den Bruchstellen woben Spinnen ihre Netze in den Staub.

Robert trug den Emailleeimer mit den gelben Pflaumen in die Wohnküche der Urgroßmutter.

Unter der Treppe war das Plumpsklo; es stank von dort her durch das ganze Treppenhaus nach generationenaltem Kot, der an den gemauerten inneren jäh abfallenden Seitenwänden hart geworden klebte wie in einer Tropfsteinhöhle, und Urin, der drüber hin perlte, ein vertrauter, fast angenehmer Geruch, da es im Treppenhaus angenehm kühl war.

Und doch hatte Robert immer Angst, in die Kloake zu stürzen, wenn er an dem Rand des Loches im Holz sich festhaltend über ihr schwebte, mit nacktem Hintern, den er sich einhändig mit den Tageszeitungsresten aus schlechtem, hartem Papier abwischte.

In der Wohnküche roch es von der altertümlichen Kochmaschine her nach süßem Rotkohl und altem Kaffee.

Die Urgroßmutter saß auf dem Sofa am großen Küchentisch, unter dem er, geschützt durch die Tischdecke, sonst seine Cowboy- und Indianerfiguren zwischen den Tischbeinen und Querverstrebungen zum Leben erweckte, und war eingedöst.

Sie war in sich zusammengesackt, ihr großer, schlaffer, schwerer Busen ruhte auf dem Bauch in einem dunkel geblümten Kleid, das dünne, kurze Haar wurde durch Spangen und Haarnetz zusammengehalten, das Gebiss war verrutscht, ihr Mund war schief, die Haut war fleckig und duftete angenehm, das Kleid war hoch gerutscht, der Unterrock lugte hervor und die Beine, die in groben Strumpfhosen steckten, lagen lose über Kreuz.

An den Füßen Filzpantoffeln. Sie schnarchte.

Robert stellte vorsichtig den Eimer auf den Fußabtreter und ging zum Herd, kostete den Rotkohl, er schmeckte die Äpfel, Nelken, Lorbeerblätter und den Zucker heraus, sog den Geruch des Kaffees ein, von dem er heute Morgen getrunken hatte, und betrachtete das Bügeleisen, das auf dem Herd stand.