Das Lachen der Wölfin - Heinz-Joachim Fischer - E-Book

Das Lachen der Wölfin E-Book

Heinz-Joachim Fischer

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Beschreibung

Rom – seit Jahrtausenden Schauplatz der größten Geschichten der Menschheit, von aufregenden Verbrechen, Skandalen und Passionen. Doch die Römer sind verschwiegen. Als aber ein Erzbischof genau auf der Grenze zum Papst-Staat stirbt, als die Leiche des Präsidenten der Banca Cattolica Romana gefunden und ein denkwürdiger Prozess um die Ermordung des päpstlichen Ministerpräsidenten wieder aufgenommen wird, kommen tiefe Gegensätze, böse Intrigen und tödliche Feindschaften ans Licht, auch wenn die Kirchenführer die Spuren verwischen wollen. Mit tiefgründiger Sachkenntnis und herausragender Erzählkunst dringt Heinz-Joachim Fischer in die Geheimnisse der Ewigen Stadt und des Vatikans ein.

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Seitenzahl: 927

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Heinz-Joachim Fischer

Das Lachen der Wölfin

Roman

Das Lachen der Wölfin ist ein Roman. Weil die Handlung der Wirklichkeit und der Geschichte entsprechen soll, sind die beschriebenen Personen und Ereignisse der Gegenwart erfunden. Die Übereinstimmung mit der Wirklichkeit ist beabsichtigt, Gleichheit mit Personen und Ereignissen jedoch rein zufällig und daher auszuschließen.

Vorabend

1. Martin Lumière nimmt etwas auf der Grenze vor Sankt Peter wahr

An jenem Abend geschah etwas.

In Rom und anderswo.

Martin Lumière wusste noch nichts davon.

In diesem Moment begann die Glocke von Sankt Peter zu schlagen. Martin Lumière überhörte sie. Erst als der Klang nach langen zwölf Schlägen ausblieb, stellte sich ein Gefühl ein, dass etwas fehlte. Da schwang doch noch ein leiser Nachhall in ihm. Musste da nicht etwas anderes gewesen sein, weshalb er aus seinem Versunkensein aufgetaucht war? Irgendetwas hatte sich ereignet. Eine Ahnung davon schob sich wie aus weiter Ferne in sein Bewusstsein. Irgendetwas war passiert. Er spürte es. Ihm schien plötzlich, als habe ein Geräusch die friedliche Stille, die über dem Platz und in ihm lag, aufgerissen, als sei ein Misston in die tiefe Harmonie gefahren. Aber was war es gewesen? Alles war ruhig. Unsinn, sagte sich Lumière.

Vielleicht war doch nichts geschehen.

Martin Lumière hatte am späten Abend – es ging auf Mitternacht zu – noch ein paar Schritte gehen wollen, die wenigen Meter von seinem Hotel in der Via della Conciliazione zur Piazza San Pietro. Der riesige Platz des Bernini vor Sankt Peter gefiel ihm. Nicht, weil hier die Päpste sich und ihre Kirche feierten. Nein, das Triumphale dieser ausgedehnten und sorgfältig konstruierten, die Unterschiede eines Hügels ausgleichenden Piazza imponierte ihm, aber es überwältigte ihn nicht. Vielleicht war er dafür nicht religiös genug. Martin Lumière galt sich und anderen als moderner Mann von knapp 40 Jahren – er selbst legte Wert darauf, 39 anzugeben und dafür gehalten zu werden. Genau gerechnet, waren es 39 Jahre, sechs Monate und drei Tage. Ein Mann auf der Höhe der Zeit, der sich nicht so schnell beeindrucken ließ. Doch irgendetwas an diesem Platz zog ihn immer wieder an, versetzte ihn in jene Stimmung, die am Ende eines anstrengenden und enttäuschenden Tages guttat, ihn mit den Mühen seines Auftrags versöhnte.

Anstrengend war es heute gewesen. Und enttäuschend. Lumière gestand es sich ein. Nach dem Gespräch mit dem schwerhörigen Jesuitenpater Durban an der Gregoriana-Universität, den langweiligen Stunden in der Bibliothek dort mit der Durchsicht alter Zeitungen und Zeitschriften, dem ergebnislosen Besuch im Vatikanischen Geheimarchiv, für dessen Erlaubnis er sich hatte lange bemühen müssen, dem beschwerlichen Gang am Abend durch das Ghetto am Tiber mit mühevollen Unterhaltungen – nach all dem hatte er sich auf seine Piazza im Dunkeln gefreut. Vielleicht war da noch etwas anderes. Vielleicht hatte er im Stillen gehofft, jene Frau wiederzusehen, die ihm am Vorabend aufgefallen war. Sie hatte seine Neugier geweckt, weil sie zu später Stunde von einem Auto – mit nicht-italienischem Kennzeichen, wie er bemerkt hatte – abgesetzt worden war und dann allein über den Petersplatz ging. Solche Frauen sieht man selten allein, hatte er gedacht. Solche Frauen nicht.

Aber nun war eine Störung eingetreten. Sie musste von außen gekommen sein, etwas Reales. War es gar ein leiser Schrei gewesen? Oder ein leichter Knall? Gewiss nichts Lautes. Aber doch etwas, das seine Wahrnehmung berührt und dabei jenen Gefühlsfrieden zerrissen hatte, den er fest um die wenigen Passanten, fast um die ganze Menschheit gespannt hatte. Lumière schüttelte sein Bewusstsein, so heftig wie ein Pudel sein nasses Fell, um herauszufinden, was die Störung in seinem Wohlbefinden verursacht hatte. Ein Schrei? Ein Knall? Ein Knall, wie er von einer Fehlzündung, von einem Motorrad herrühren konnte? Ein Schrei, wie ihn ein Mann vielleicht aus Übermut, eine Frau bei nicht ernstgemeinter Belästigung oder gar willkommener Annäherung ausstößt? Oder ein Schrei voller Erschrecken und Angst? Martin Lumière wusste es nicht.

Die Stimmung war dahin. Lumière schaute ringsum, zur Basilika weit voraus, zu den Brunnen, dem linken ganz in seiner Nähe und dem rechten hinter dem hohen Obelisken in der Mitte der Piazza, dann zu der Säulengalerie hinter sich. Er blickte hinauf zum Apostolischen Palast. Dort, im dritten Stock, wohnte der Papst; wahrscheinlich schlief er jetzt, früh, wie es seiner Gewohnheit entsprach. Dort oben, im zweiten Fenster von rechts, war der Kirchenführer am vergangenen Sonntagmittag erschienen, hatte ein paar Worte gesprochen, die schweigend, doch von vielen ohne besondere Ergriffenheit aufgenommen wurden, und war nach einem kurzen Gebet wieder verschwunden. Aber der Papst kümmerte Lumière im Moment wenig. Was sollte ihn jetzt überhaupt beschweren? Er gähnte lang und tief und beschloss, ins Hotel zurückzugehen.

Als er nach wenigen Metern um das Ende der Kolonnaden bog, sah er etwas Dunkles am Boden. Beinahe wäre er weitergegangen, so sehr hatte ihn das, was ein Schrei oder Knall hätte sein können, nun auch wieder nicht mit Verdacht erfüllt. Schließlich war er weder Polizeibeamter noch Gerichtsreporter. Er hätte achtlos darüber hinweggeschaut, wenn ihm nicht die Stelle merkwürdig vorgekommen wäre. Das Dunkle – hatte es nicht die Umrisse einer menschlichen Gestalt? – lag genau auf jenem grauen Streifen, der die Grenze zwischen dem Staat der Vatikanstadt und der Republik Italien bezeichnete.

Verwundert hielt Lumière inne. Vor Jahren, als sein Heimatland noch durch einen Eisernen Vorhang geteilt war, hatte er bei einer Besichtigungsreise mit seinen Eltern in Rom gelernt, dass eine Grenze auch so sein könne: Einfach ein grauer Streifen im Straßenpflaster, vom Ende der Kolonnaden links zum Anfang der Kolonnaden rechts, oder umgekehrt, je nachdem, wie man sich stellte. Eine Grenze, weil der kleine Staat des Papstes mitten in Rom souverän ist und ein souveräner Staat eben eine Grenze haben muss, selbst wenn sie nichts zu bedeuten scheint, niemand aufpasste, dass über die Grenze nicht die Eingegrenzten wegliefen, und jedermann sie leicht ohne Pass und Visum überschreiten konnte. Das heißt, der Cicerone damals, eine Studentin mit sanftem Lächeln und kühlen Augen, hatte erklärt, in den neun Monaten der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs, zwischen September 1943 und Juni 1944, sei der Streifen von Bedeutung gewesen und auch bewacht worden; mancher Italiener sei über diese Grenze geflohen, um im Vatikan Schutz vor Verfolgung zu suchen. So sagte sie. So war es wohl auch gewesen. Und Martin Lumière hatte es sich gemerkt.

Ihm fiel ein, dass er dazu Genaueres erfahren musste. Denn er konnte es für seinen Auftrag gebrauchen, der ihn nach Rom geführt hatte. Aber Vergangenheit hin und Auftrag her. Martin blickte in die Gegenwart. Auf dem grauen Streifen, am Ausgang der Kolonnaden, der rechten, wenn man, wie Lumière jetzt, mit dem Rücken zur Basilika stand, lag etwas Schwarzes, halb an den runden Schutzstein, halb an ein Holzgatter gelehnt, jene Sperre, die nicht für unerlaubte Grenzgänger, sondern gegen parkwillige Autofahrer und zur Kanalisierung der Pilger und Besucher aufgestellt war. Auf wessen Territorium lag diese, wohl menschliche Gestalt? Im Vatikan oder in Italien? Lumière überlegte. Er erschrak, weil er an den blutigen Zwischenfall an der Berliner Mauer dachte, bei dem ein Mann genau auf der Grenze verblutet war.

Unsinn, sagte sich Lumière, das hier war ein schlafender Stadtstreicher, vielleicht gar ein besonders frommer Pilger. Da vernahm er ein leichtes Stöhnen, fing eine mühevolle Bewegung auf. Schon war er – wie er nun an einem kurzen grauen Bart sah – bei dem Mann, suchte dessen Kopf mit seiner Hand zu stützen, schaute in weit aufgerissene Augen und auf sich bewegende Lippen, hörte ein paar Worte, die er nicht verstand, doch dann ganz deutlich: »E stato lui … Toujours lui … Er war es … Immer er …« Dann schüttelte es den Körper, und die Gestalt sank mit einem Ruck in sich zusammen. Es schien Lumière, als würde die Glocke von Sankt Peter in ihm zu schlagen beginnen und mit jedem Schlag lauter und dröhnender werden. Aber über dem Platz lag friedliche Stille. Nur eines wollte dazu nicht passen. Martin Lumière sah, dass an seiner rechten Hand, die den Kopf des Mannes gehalten hatte, ein wenig Blut klebte. Und er wusste, dass der Mann vor ihm in dem schwarzen Gewand eines katholischen Priesters tot war.

2. Benigno Sandiavolo sinnt seinen Erfolgen nach und ist müde

Als die Glocke von Sankt Peter anfing zu schlagen, zählte der Kommissar mit: »… elf, zwölf.« Benigno A. Sandiavolo gähnte. »Für heute reicht es«, wandte er sich an die zwei Untergebenen, die an einem Alfa lehnten. »Ich gehe.«

Der Kommissar war müde. Den ganzen Tag über hatte er hetzen müssen, und der Abendempfang bei Senator Vitelleschi war nicht entspannend gewesen. Im Gegenteil.

»Ich gehe«, wiederholte Sandiavolo und blieb stehen. Er zog die Stirn zusammen, sodass sich durch die Verschiebung der Falten zwei kleine Verknotungen bildeten. »Fast wie beim Moses des Michelangelo«, hatte ihm einmal eine kunstsinnige Freundin gesagt, wobei sie offen ließ, ob sie diese zwei Hörnchen als Zeichen erleuchteten Verstandes deutete oder nicht doch – seinem Namen »Heiliger Teufel« entsprechend – als Zierstücke des Leibhaftigen.

Über solche Vergleiche war Sandiavolo erhaben. 51 Jahre alt, seit fast 30 Jahren bei der Polizei in Rom, stand er über den Versuchen, in die Nähe des Allerhöchsten oder des Luzifer, des lichtbringenden Bösen, gerückt zu werden. Aber ob der Geist nun nach oben oder nach unten wies, Verstand hatte Benigno Sandiavolo in hohem Maß. Fast alle Kollegen erkannten das an, beinahe ohne Neid; sein Gehirn könne arbeiten wie ein Großcomputer, sagten sie. Mit dieser Fähigkeit hätte er es in jedem anderen Beruf zu mehr Ansehen, Macht und Geld gebracht. Doch er war mit knapp 22 Jahren in die Polizei, die Pubblica Sicurezza, die Öffentliche Sicherheit, wie es in der Republik Italien heißt, eingetreten und dabei geblieben. Vielleicht aus Dankbarkeit, weil die Polizei ihn aus der Misere gezogen hatte. Benigno war in einer Borgata aufgewachsen, in einem ärmlichen Barackenbezirk im Rom der Nachkriegszeit. Als er zum Militär eingezogen wurde, hatte er die schlimmsten Erfahrungen des Lebens bereits hinter sich: Streit in der Familie, gegenseitiges Misstrauen, Gewalt und Diebereien, auch unter Verwandten, Betrug, Raub und Mord, Vergewaltigung, Prostitution und Erpressung. Alles kannte er. Als er überlegte, was er mehr hassen sollte, die Verhältnisse, aus denen er kam, oder jene, die ihn, wie er zuweilen hörte, dazu verurteilt hatten, bot man ihm überraschend wegen seiner hervorstechenden Intelligenz an, in die Polizei übernommen zu werden. Er wurde ge- und befördert und brachte es aufgrund seiner Fähigkeiten in wenigen Jahren zum Kommissar. Für die unten behielt er Verständnis und drückte eher ein Auge zu als bei denen oben – wenn es möglich war.

Bei dem Senator war alles anders. Vitelleschi hatte ihn heute Abendgefragt, ob er etwas Neues wisse. Gerade als er mit einer jungen Richterin flirtete. Er hatte unwillig reagiert. Nicht nur wegen der Störung, sondern weil er noch kein klares Bild gewonnen hatte. Mit dem Senator verband ihn viel. Vor Jahren hatte der Fall Vitelleschi sein Leben verändert. Der Schwiegersohn des Senators der führenden Regierungspartei war auf der Via della Cainilluccia, einer Hauptstraße in einem der besseren Viertel im Nordwesten Roms, nachts um 3 Uhr von einem Auto erfasst und vor den Augen seiner Frau tödlich verletzt worden. Der Fahrer hatte Unfallflucht begangen. Das war Anfang Juni, kurz vor den Parlamentswahlen, die den Senator in seinem Amt bestätigen sollten. Die Beerdigung hatte ganz Italien zu Tränen gerührt, weil die schöne Witwe in Schwarz mit drei kleinen Kindern den Absturz aus dem siebten Himmel des Familienglücks symbolisierte. Die Illustrierten konnten nicht genug davon bringen. Der Senator schien vom Leid zerstört, seine Tochter untröstlich.

Sandiavolo hatte jedoch mehr durch Zufall etwas ganz anderes entdeckt: Der Zufall bestand darin, dass er, zum Unfallort gerufen, dort ganz in der Nähe beim Einparken mit seinem Wagen rückwärts – das war eine seiner Schwächen, Rückwärtsfahren – leicht an ein Auto gestoßen war, das rechts vorn am Kotflügel schon vorher eine Beule aufgewiesen haben musste. Das Auto gehörte, wie man leicht sehen konnte, einer Mietwagengesellschaft. Kurz und gut, als er die Sache in Ordnung bringen wollte, stellte er nach und nach fest, dass der Leihwagen von der Tochter des Senators mit falschem Führerschein und Bargeldkaution gemietet worden war. Weiter erfuhr er von den Dienstboten, dass die Ehe der Senatorentochter »eine Katastrophe« gewesen war. Amelia Vitelleschi, verheiratete Casavecchia, hatte, so ließ sich anhand der Indizien und Spuren an dem Leihwagen rekonstruieren, bei der Rückkehr mit ihrem Mann von einer Abendgesellschaft vor dem Tor des Familienanwesens das gemeinsame Auto unter einem Vorwand verlassen, war, als der Mann das Tor aufschloss und – wie gewohnt – dafür in der Dunkelheit einige Zeit brauchte, schnell zu dem vorher wenige Meter entfernt geparkten Mietwagen gelaufen und hatte ihren Mann überfahren, als dieser wieder einsteigen wollte.

Dann hatte sie das Auto 40 Meter weiter abgestellt, war zurückgeeilt und hatte von da an die vom Schicksal geschlagene Witwe gespielt.

Als Sandiavolo den Senator über dessen Tochter befragte und ihn von dem überraschenden Ergebnis seiner Ermittlungen in Kenntnis setzte, ergab sich jener Monolog, der sein Leben veränderte. »Mein Schwiegersohn«, sagte der Senator, »war ein Schwein. Er hat den Tod mehr als verdient. Meine Tochter darf seinetwegen nicht bestraft werden. Ich werde dafür Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Commissario, Sie können davon überzeugt sein! Und Sie werden dabei nicht ungeschoren davonkommen, wenn Sie sich mir in den Weg stellen. Mein Schwiegersohn hat im Leben genug zerstört, er wird es nicht auch noch mit seinem Tod tun.«

»Was ist das auch schon, ein Toter?« So ungefähr fuhr der Senator fort. »Die Weltgeschichte ist voll von Verbrechern, und die Menschen haben immer den mutigen und mächtigen Mördern applaudiert. Lesen Sie die Bibel, lesen Sie Homer, die Ilias mit dem zehnjährigen Kampf um Troja, durch nichts anderes als durch Menschenraub verursacht, oder die Odyssee mit den Schurkereien des listenreichen Helden! Nehmen Sie unsere römische Kaisergeschichte, nichts anderes als eine Abfolge von Verbrechen! Die Mutigen und Mächtigen zahlen nie für ihre Morde, und meine Tochter auch nicht.«

»Aber wenn Ihre kleine Seele«, dabei hatte ihn der Senator durchdringend angeblickt, »wenn Ihr zartes Gewissen aufschreit und Gerechtigkeit verlangt und meint, das Gesetz müsse für alle gleich sein – welch Hirngespinst! –, schlage ich Ihnen einen Handel vor. Sie suchen seit zwei Jahren den Raubmörder einer Frau, einer gewissen Mariacristina Civettina. Es ist Claudio Monterosso. Sie werden morgen in Ihrem Büro die Beweise für seine Schuld finden. Überlegen Sie, ob Sie selbst wie ein Blinder der blinden Justitia assistieren wollen!«

Noch am selben Abend war der Kommissar auf der Fahrt nach Hause von zwei Männern auf einem Motorrad eingeholt worden; bei einer Ampel hatte der auf dem Hintersitz eine Pistole gezückt und durch das offene Fenster auf ihn geschossen – mit Platzpatronen. Außerdem war seine Wohnung durchsucht und in Unordnung gebracht worden. Er hatte daraufhin den Senator angerufen und in den Handel eingewilligt. Gleichsam als Lebensversicherung, fügte er in dem Telefonat hinzu, werde er jedoch die Beweise für die Schuld der Tochter einem vertrauten Anwalt zu sicheren Händen übergeben. »Von einem Freund habe ich nichts zu befürchten«, antwortete darauf der Senator, »von einem intelligenten erst recht nicht, und Sie auch nicht.«

Am nächsten Morgen lag auf seinem Schreibtisch im Büro ein Paket. Der Fall Civettina war gelöst; er verhaftete den Mörder. Einen Monat später erhielt er in einem Päckchen Schlüssel, Adresse und sämtliche Eigentumsunterlagen für ein Appartement in der Via Margutta, nicht groß, aber angenehm gelegen mit schöner Aussicht über die Dächer Roms. Eine Woche darauf rief ihn der ihm bis dahin gänzlich unbekannte Direktor einer nahen Bankfiliale an und eröffnete ihm, dass sein Kreditrahmen erweitert worden sei, durch »Rückzahlung persönlicher Schulden«. Und immer wieder bekam er anonyme Anrufe, die ihm für seine Ermittlungen nützliche Details lieferten. Sein Ruhm als Kommissar erstrahlte ebenso, wie dem Bedürfnis der Bürger nach gerechter Bestrafung der Übeltäter entsprochen wurde. Als Gegenleistung verlangte man von ihm scheinbar nichts Unbilliges: Hinweise, Informationen, Personalangaben. Er beruhigte sein Gewissen, indem er sich sagte, dass durch sein Verhalten Justitia nur besser sehen könne.

Der Kommissar stand immer noch an derselben Stelle, neben der Polizeistation am Passetto, dem Verbindungsgang zwischen dem Vatikan und der Engelsburg. Wieder zog er die Augenbrauen in die Höhe. Warum musste er heute Abend nur an diese alte Geschichte denken?

Der Senator hatte ihn nach Miro Caldona[1] gefragt. Seit Monaten beherrschte Miro Caldona die Schlagzeilen der italienischen Zeitungen. Diesem Neapolitaner war es gelungen, aus dem Nichts heraus, genauer, aus dem armen Viertel von San Ferdinando in Neapel heraus, als jüngstes Kind einer siebenköpfigen Familie, an die Spitze der Banca Cattolica di Napoli zu gelangen und dann durch geschickte Operationen und Zukäufe die größte italienische Privatbank, die Banca Cattolica Romana, zu schaffen. Nun war er dabei, die Finanzen des Vatikans zu sanieren, was angesichts des bekannten Durcheinanders im Patrimonium des heiligen Petrus keine leichte Aufgabe sein konnte. Wegen Caldonas Aktivitäten waren die Beziehungen zwischen dem Staat der Vatikanstadt und der Republik Italien seit einigen Wochen gespannt. Das war dem Kommissar Sandiavolo nicht entgangen. Doch was wollte der Senator dabei von ihm?

Vitelleschis Frage nach Miro Caldona hatte ihn verwundert. So sehr, dass er rein aus Gefühl dorthin gefahren war, wo die Republik Italien und der Staat der Vatikanstadt zusammenstießen, an der Piazza San Pietro. Es war nur ein kleiner Umweg, von der Via Camilluccia zur Piazza del Popolo mit ihrer Via Margutta.

Der Kommissar schob das Kinn etwas vor und beschloss, nun wirklich zu gehen. Als er auf den Passetto zuschritt, blickte er in die Höhe, genau dorthin, wo an der Mauer über der Durchfahrt das Wappen Papst Alexanders VI. angebracht war, wenn er es auch wegen der Dunkelheit und der kargen Straßenbeleuchtung nicht richtig sehen konnte. Er kannte es auch so: Stier und Lilien waren die Zeichen. Sandiavolos Gesicht verfinsterte sich.

Als er das erste Mal in dieser Polizeistation im Passetto gewesen war, hatte ihn sein Vorgesetzter, der Maresciallo, gefragt, ob er Alexander VI. kenne. »Wieso?«, hatte er damals töricht geantwortet. »Der hat das alles hier gebaut. Deshalb hat er an dieser Stelle auch ein Wappen angebracht. Aber denk dir nichts!«, hatte ihm der Maresciallo auf die Schulter geklopft. »Selbst die Römer kennen ihre Stadt nicht mehr.« Das Denk-dir-Nichts hatte Benigno Sandiavolo am meisten aufgebracht, aber auch der Vorwurf der Unbildung. Seitdem las er Geschichtsbücher. Und seitdem er mehr über Alexander VI. wusste, wünschte er, in der Renaissance gelebt zu haben.

»Auch Renaissancemenschen müssen schlafen«, sagte der Kommissar und gähnte noch einmal.

3. Angelo Mefisto hat etwas zu verbergen – oder?

Angelo Mefisto hatte etwas zu verbergen.

Immer musste er etwas verbergen. Seit seiner frühesten Kindheit. Hunger und Niedergeschlagenheit, zum Beispiel. Denn traurige Augen mochte der Vater nicht; und genug zu essen hatten sie selten. Als er größer geworden war, durfte er den Geschwistern kein schlechtes Beispiel geben. Er musste sie trösten, weil auch sie Hunger hatten, in diesem armseligen Haus in der Innenstadt von Palermo.

Aber darum ging es jetzt nicht. Angelo Mefisto, »Ehrenprälat seiner Heiligkeit« und deshalb zur Demut verpflichtet, saß in einem Fiat Croma vor dem Petersplatz, in der Mitte zwischen den Kolonnaden, und kämpfte gegen den Stolz. So sehr war er damit beschäftigt, dass er nicht einmal wahrnahm, wie die Glocke von Sankt Peter Mitternacht schlug.

Es war aber einfach großartig für ihn gewesen. Dieser Abend! Wenn das die Seinen in Palermo wüssten … Nein, er wollte nicht die Sünde des Hochmuts begehen. Doch er, der kleine Angelo aus Palermo, mit all diesen vornehmen Adligen zusammen … Wenn diese nur nichts von seiner Vergangenheit erfuhren!

Etwa, dass er schon mit zwölf Jahren eine kleine Bande in Palermo geführt hatte. Dass er damals vielen Ladenbesitzern die Einnahmen stahl. Nicht mit Gewalt – das war dumm und brachte nur Prügel und Scherereien mit der Polizei. Stattdessen waren sie, Angelo lächelte bei der Erinnerung, zu sechst in ein kleines Geschäft getreten, zeigten ihr Geld, das wer weiß woher stammen mochte und mit dem sie vorgaben, wie dumme Jungs irgendetwas kaufen zu wollen. Und während der Inhaber geflissentlich mit der Aussicht auf Gewinn ihre Wünsche erfüllte, stahl einer aus der Kasse; der zweite erzählte mittlerweile die Geschichte vom reichen Onkel aus Amerika, Salvatore aus Chicago, der dem Neffen ganz spendabel so viel Geld zugesteckt hatte; der dritte und vierte nahmen den Kunden dann mit zarter langfingriger Hand etwas aus dem Portemonnaie, um Gottes willen nicht alles; der fünfte und sechste ließen aus dem Geschäft ein paar Waren mitgehen; und natürlich wurde das Gekaufte ordentlich bezahlt, am besten zu einem überhöhten Preis, das erschwerte dem Besitzer die Anzeige bei der Polizei. Außerdem wollte sich niemand lächerlich machen. Man durfte dieselbe Methode nie zu oft anwenden. Das erforderte freilich Nachdenken und Mühen um neue Wege, etwas, was offenbar die meisten Menschen scheuten. Angelo nicht. Aber nun diese Einladung! Welch ein Unterschied zwischen damals und heute!

Der Monsignore schaute aus dem Auto. Seine beiden Erzbischöfe waren noch nicht zu sehen. Vor genau einem Monat, am 15. Oktober, hatte er den Brief erhalten. Angelo Mefisto zog ihn aus der Tasche, um sich seines Glückes zu vergewissern. Obwohl er ihn immer vorsichtig behandelt hatte, war das Papier ziemlich abgegriffen. Schon der Umschlag hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Mefisto schaltete im Auto das Licht an und betrachtete ihn noch einmal. Die Vorderseite war von einem schwarzen Rand umzogen wie bei einer Traueranzeige, doch nicht ganz, weil an jeder Seite dieser schwarze Streifen dreimal unterbrochen war, nämlich so, dass Schwarz und Weiß gleich lang waren, was graphisch ein verwirrendes Muster ergab. Man mochte es für den Einfall eines modernen Designers halten, dem traurigen schwarzen Rand eine lockere Note zu geben. Die Rückseite des Couverts war ganz weiß, scheinbar ohne Absender. Doch bei genauerem Hinsehen hatte Mefisto vier eingeprägte Zeichen entdeckt. An jeder Ecke der dreiseitigen Umschlagklappe fand sich eine Prägung, zwei davon waren leicht als Wappensymbole zu erkennen, ein Adler links oben und eine Säule rechts oben, und in der Mitte die Buchstaben »SR«.

Für den Monsignore war es nicht schwer, die Säule, die Colonna, zuzuteilen. Sie konnte Bezug nehmen auf die römische Adelsfamilie der Colonna, die der Kirche zwei Päpste gegeben hatte. An einen von den beiden erinnerte er sich auf Anhieb, Martin V., dessen Wahl in Konstanz im Jahr 1417 das Große Abendländische Schisma beendete. Den anderen Papst musste er noch nachschlagen. Schwierig war es mit dem Adler, einem zu häufigen Wappentier, nicht nur bei Päpsten, auch bei römischen Familien und europäischen Fürstenhäusern. Die beiden Buchstaben »SR« konnten viel bedeuten – das »R« in der Ewigen Stadt mit einiger Wahrscheinlichkeit »Roma« oder »Romanus«. Unter dem »SR« in der Mitte befand sich die vierte Prägung, eine stilisierte päpstliche Tiara, die dreifache Krone, die unter Paul VI. vor zwei Jahrzehnten vom Haupt der Päpste verschwunden war. Dem Prälaten fiel plötzlich die Frage ein, wohin wohl die Papstkronen aus den verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Größen gekommen seien. Ob sie vielleicht wieder auftauchten und gebraucht würden?

Als Angelo Mefisto den Umschlag öffnete und ein zweifach gefaltetes Papier, fast in Kartonstärke, in der Hand hielt, war ihm selbst jetzt noch, genauso wie vor einem Monat, so feierlich zumute, dass er sich erheben musste und aus dem Auto stieg. Er blickte sich pflichtbewusst um, aber weder der eine noch der andere Erzbischof kam. Gleichviel. Der Monsignore hatte keine Eile. So konnte der Abend ausklingen. Er schaute wieder auf das Papier.

Auf dem ersten Teil fanden sich wieder Adler, Säule und »SR«, auf dem mittleren Teil der Karte las er – natürlich wusste er es auswendig:

Cardines urbis et orbiscommemorantes opus mirabilegloriae Dei–magnitudini Romaesanctitati Ecclesiae–saluti Humanitatisdedicatum consumatumgenerose tribuunt honores………

»Die Angeln der Stadt und des Erdkreises«, so übersetzte Mefisto leise für sich, »im Gedenken an die wunderbare Tat, die der Ehre Gottes, der Größe Roms, der Heiligkeit der Kirche und dem Heil des Menschengeschlechts geweiht war und vollbracht wurde, erweisen große Ehre …«

Es war Angelo Mefisto selbstverständlich erschienen, dass die Einladenden die Ehren vergaben. Gewöhnlich ging die Ehre von den Gästen aus. Mit einer Tiara im Hintergrund war das anders. Und die Säule deutete vornehmste Herkunft an. Außerdem hatte man ihn, das sah er sofort an den Worten Eccellentissimo Domino, schon eine Stufe höher in den Bischofsrang erhoben – »Seiner Exzellenz dem Herrn«. Es musste schon ein Bischof sein, darunter ging diese Gesellschaft nicht, die, wie weiter angegeben war, sich am 15. November um 21 Uhr im Festsaal des Palazzo Colonna an der Piazza 12 Apostoli einfinden sollte.

Dem Monsignore schien, dass er nun schon lange gewartet hatte. Dafür, dass die beiden hochwürdigsten Herren nur ein paar Schritte machen wollten, blieben sie lange aus. Doch ihm war noch immer feierlich zumute. Denn da stand schwarz auf weiß, in mittelalterlicher Mönchskalligraphie sein Name: Angelo Mefisto. Ihm, dem Sohn eines armseligen Gelegenheitsarbeiters aus Palermo, wurde die Ehre erwiesen – natürlich, so herum war es –, an jener Abendgesellschaft teilzunehmen, die Jahr für Jahr am 15. November im Palazzo Colonna zusammenkam und über die man im Vatikan mehr geheimnisvoll flüsterte als offen sprach. Er gehörte von jetzt an zu jenem Kreis der auserwählten Kurialen, die gewürdigt wurden, mit den erlesensten Vertretern des römischen Adels zusammenzusein. Der Prälat atmete tief ein vor Zufriedenheit.

Es war sicher die adligste Versammlung der Welt. Denn nicht wenige dieser Familien erhoben den Anspruch, sogar älter als das Papsttum zu sein, ihre Vorfahren bis in die Republikanische Zeit des Römischen Reiches vor Christi Geburt zurückverfolgen zu können, als noch keine Rede war von Imperatoren und Päpsten, als man nichts wusste von deutschen Königen, die zu Kaisern des Römischen Reiches zu erheben waren, durch römische Gunst, von der Römer Gnaden. Wenn Rom zu Recht Caput Mundi, Haupt der Welt, genannt wurde, dann waren hier die Häupter Roms versammelt. Und diese ließen sich herab, aus der Kurie, aus der Zentralverwaltung der katholischen Kirche, unter den Mitarbeitern des Papstes einige Würdige auszuwählen und an ihrem Ruhm teilnehmen zu lassen. Darunter ihn.

Gewiss, Angelo war nüchtern genug, daran zu denken, dass die großen Namen der römischen Nobiltà, des Adels der Ewigen Stadt, nicht auf der Liste der reichsten und mächtigsten Männer oder Familien der Welt zu finden waren. Das machte nichts! Irdische Reichtümer sind vergänglich. Geld konnte man erwerben und wieder verlieren. Doch die Abstammung von Romulus und Remus, von Scipio und Cato, von den Caesaren und Ciceronen, den Juliern und Flaviern konnte man nie einbüßen, wenn man in männlicher Weise für die Vermehrung des Geschlechtes sorgte. Deshalb war es das größte Opfer jener Familien, der Kirche den einen oder anderen als Bischof, Kardinal oder Papst zur Verfügung zu stellen. Deshalb mussten sich die adligen Kirchenfürsten durch Nepotismus revanchieren; die Familienbande und sogar die Verpflichtung, in persona patris die fruchtbare Tradition weiterzuführen, galten mehr als Kirchenzucht.

Ein wenig gehörte er nun auch dazu. Angelo Mefisto richtete sich zu voller, wenn auch eher bescheidener Größe auf. Wie wunderbar war doch diese seine Welt!

Schön und gut, dachte sich Angelo Mefisto plötzlich, nach offenbar unentschiedenem Kampf gegen den Stolz. Die Welt schien in Ordnung. Aber wo blieben seine Erzbischöfe? Sie wussten, wo er sie abgesetzt hatte. Vielleicht sollte er sie doch suchen gehen? Er schlug die Autotür zu, ohne abzuschließen. Er hatte nichts zu verbergen.

4. Vom Diensteifer italienischer Polizisten in Rom

Martin Lumière fiel erst jetzt auf, dass sich keine Neugierigen zu ihm und dem Toten gesellten. Auch von den Autos, die in nur wenigen Metern Entfernung, wenn auch jenseits des Absperrgitters vorbeifuhren, hielt keines. Offenbar wollten sich die Römer von Unannehmlichkeiten fernhalten. Er rümpfte die Nase. Noch einmal legte er dem Mann im schwarzen Gewand die Hand aufs Herz. Nichts. Jeder Wiederbelebungsversuch erschien ihm zwecklos. Lumière konnte so etwas beurteilen.

Vielleicht ist es wahr, schoss es ihm durch den Kopf, dass der Mensch im Moment des Sterbens sein Leben vor sich ablaufen sieht. Psychologen und Theologen haben daraus bücherfüllende Theorien entwickelt, die Psychologie des Sterbens, die Theologie des Todes. Vielleicht ist es wahr, dass man dann in wenigen Augenblicken gleichsam eine Quintessenz seines Lebens erhält, mit dem Ergebnis Himmel, Hölle oder Fegefeuer oder – gar nichts. Wenn dem so wäre, so hätte Martin Lumière etwas darum gegeben, den Lebensfilm dieses Mannes im schwarzen Talar mit ansehen zu dürfen, der vor seinen Augen gestorben war.

Auf einmal wurde ihm bewusst, dass in seinem eigenen Kopf ein Film ablief. Es war ihm, als hätte er bei einer Videokamera den Knopf für die Schnellverschlussfunktion gedrückt, so dass das Aufnahmegerät mit erhöhter Geschwindigkeit und gesteigerter Sensibilität die Wirklichkeit einfangen und speichern würde und man den Film nur flink vor und zurück, zurück und vor abspielen müsste, ihn zwischendurch auch anhalten und mit einem Zoom Vergrößerungen erwirken könnte, um alles zu erfahren, was geschehen war. So ging es jetzt in seinem Gehirn zu. Und dieser Film betraf nicht nur die letzten Minuten und Sekunden, sondern er ging auch – seltsam – in die Zukunft, was zu tun sei. Weglaufen, so tun, als ob man nichts gehört und gesehen hätte? Zur Polizei, zur Botschaft, im Vatikan läuten? Den Papst informieren? Lächerlich. Oder wenigstens einen Bischof? Nicht weniger töricht. Wie ein wildgewordener Cursor unprogrammiert über labyrinthische Bahnen in einem Computer fegt, so irrte sein Gedankenstrahl orientierungslos durch die vergangenen und kommenden Minuten, Wirklichkeit und Möglichkeit nicht auseinanderhaltend.

Nur mit dem Lasso der Vernunft, ermahnte sich Martin Lumière, konnte er die Ausbrüche seiner Phantasie einfangen. Als Deutscher verspürte er erleichtert die Pflicht, den Fall – denn um einen Fall handelte es sich zweifellos –, also diesen mysteriösen Tod – wenn nicht gar Mord, wie es ihm selbst im matten Licht der römischen Straßenlampen fast schon einleuchtete – in jedem Fall diesen Fall der Polizei anzuvertrauen. Unvergesslich waren ihm die Worte des Sterbenden: »Er war es … Immer er …« Was gab es da viel zu deuteln! Schrei oder Knall oder gar Schrei und Knall hatten damit sofort ihre Erklärung gefunden. Carabinieri! hieß der Ordnungsruf. Die italienische Ordnungsmacht musste in Aktion treten.

Aiuto, Hilfe zu schreien, kam ihm zwar auch in den Sinn, doch nicht über die Zunge. Erstens war offenbar schon geschrien worden, zweitens brauchte jener sie nicht mehr, und er konnte diese selbst holen. Also machte Lumière sich auf den Weg dorthin, wo er, rechts vom Petersplatz, an der Verbindungsmauer zwischen dem vatikanischen Palast und der Engelsburg, eine Travertintafel mit der Aufschrift Posto di Polizia, Polizeistation, gesehen hatte. Entweder würde die Wachstube noch offen sein oder davor ein Polizeiauto stehen, hoffte er.

Lumière legte sich die Worte zurecht: »Ho visto un morto. Ich habe einen Toten gesehen, einen Priester, genau auf der Grenze.« Letzteres schien ihm außerordentlich bedeutsam.

Vor der Station stand ein Alfa. Zwei Polizisten lehnten daran und führten ein offensichtlich wichtiges, aber entspanntes Gespräch.

Aufgeregt sagte Lumière: »Ein Toter. Ein Priester. Genau auf der Grenze.«

Die beiden Hüter der Unverletzlichkeit der Grenzen in der Ewigen Stadt schauten sich an: »Ein Toter? Sind Sie sicher? Waren es nicht vielleicht zwei?«

»Nein, einer. Aber so kommen Sie doch! Hier …«

Martin Lumière wollte zum Beweis seiner redlichen Absicht die rechte Hand mit dem Blut vom Kopf des Fremden vorzeigen, besann sich jedoch, weniger aus Vorsicht, nicht den Verdacht auf sich selbst zu lenken, sondern weil er die beiden auch ohne ein so schlagendes Indiz aus ihrer Ruhe aufscheuchen wollte.

»Also gut«, meinte der eine, und der andere stimmte zu. »Ein kleiner Spaziergang tut uns gut, auch wenn er nicht der Mühe wert scheint. Also, wo soll es sein?«

Statt einer Antwort ging Lumière einfach los, und den beiden Uniformierten blieb nichts anderes übrig, als ihm, wenn auch kopfschüttelnd, zu folgen. Ein Herr in Zivil, der sich dem Auto genähert hatte, hellblaues Hemd und eine Krawatte, deren modisches Design Lumière selbst in der Eile auffiel, gab den beiden ein zustimmendes Zeichen.

»Und wer sind Sie?«, wurde der eine nach einigen Schritten nun amtlich.

»Ich bin Deutscher, für einige Tage in Rom …«

»Turismo?«

»Nicht direkt. Aber wenn Sie wollen, ja, Tourist. Doch das ist jetzt nicht wichtig. Selbstverständlich können Sie meine Ausweispapiere sehen. Allerdings habe ich sie nicht bei mir. Doch hier ist meine Visitenkarte. Natürlich nur mit der deutschen Adresse. Ich wohne im Hotel Columbus, Zimmer 42, in der Via della Conciliazione.« Lumière beschleunigte seine Schritte. »Aber sehen Sie doch, bitte!« Das prego nahm vor Erbitterung über die Gleichgültigkeit der Polizisten einen scharfen deutschen Akzent an. »Sehen Sie doch!« Sein rechter Zeigefinger wies, wenige Meter vor den Kolonnaden, voraus auf den Boden.

Lumière hielt inne, denn er sah selbst dorthin, wo der Mann im Talar gelegen hatte. Die Stelle war leer. Lumière vergewisserte sich, ob es wirklich genau der Ort war, an dem er vorhin – eine Ewigkeit schien es her – den Mann gesehen hatte, den Mann mit den weit aufgerissenen Augen, den sich bewegenden Lippen und – dies Detail fiel ihm erst jetzt wieder ein – auffälligen Manschettenknöpfen. Er hätte sie zeichnen können: ein goldener Rhombus mit einem blauen Stein und darin ein kleiner Brillant. Ja, und einen Ring trug der Tote wohl auch. Der Platz war es. Holzgatter, Schutzstein, grauer Streifen, Ausgang der Kolonnaden. Doch die Stelle blieb leer.

»Na, dann ist ja alles in Ordnung«, riss ihn die Stimme des einen aus seiner Verwunderung.

Und der andere ergänzte: »Wo kein Toter, da ist auch kein Mord.« Und lachte dazu. »Sie können natürlich darauf bestehen, einen gesehen zu haben oder vielleicht auch zwei, gut, also einen, und eine offizielle Anzeige erstatten. Aber das muss nicht jetzt sein. Wir haben im Moment auch gerade keinen Stift dabei. Oder hast du einen?«, fragte er seinen Kollegen.

»Auch nicht. Also kommen Sie einfach morgen ins Polizeirevier oder zur Station der Carabinieri, wohin Sie wollen. Sie werden uns schon nicht durch die Lappen gehen. Hotel Columbus, Zimmer 42, nicht wahr?«

Damit ließen ihn die beiden stehen und gingen in Richtung des Alfa zurück.

5. Vom journalistischen Auftrag eines Historikers

Martin Lumière stand allein an jener Stelle – Gatter, Schutzstein, grauer Streifen, Ausgang der Kolonnaden, links, wenn man auf Sankt Peter blickt. Nicht nur Mörder kehren an den Ort der Untat zurück. Auch Zeugen tun das zuweilen – und sind dadurch schon in schlimmen Verdacht geraten. Aber weshalb blieb Lumière stehen? Wollte er dem Toten Gelegenheit geben, den Platz seines Hinscheidens wieder einzunehmen? In seinem Gedankenfilm konnte Martin diesen Kunstgriff anwenden, vor und zurück. Die Präzision, mit der die Bilder abliefen, bewiesen ihm, wenn es dessen bedurft hätte, dass nicht er sich geirrt hatte, sondern dass die Polizisten pflichtvergessen waren.

Lumière hielt sich für einen nüchternen Mann. Nüchtern wollte dabei besagen, dass er weder sich noch anderen etwas vormachte, es sei denn mit Absicht, was ihm jedoch selten ohne schlechtes Gewissen gelang. Er wusste, dass er mit diesem Verzicht nicht im Trend seines Berufes lag, der meist den Schein für bare Münze ausgab und den Glanz mehr liebte als das Solide. Er bildete sich auf diesen Nonkonformismus wenig ein. Es war kaum sein Verdienst.

Die Eltern hatten ihm ein kleines Vermögen hinterlassen, das er schon als Student mit mehr Glück als Verstand gemehrt hatte. Er konnte von den Erträgen leben, sogar in jenem Luxus, der einem modernen Menschen zur Pflicht gemacht ist. Als er nach den ersten Jahren des Berufslebens ein finanzielles Fazit zog, erkannte er, dass regelmäßige Arbeit und monatliches Einkommen angesichts einer ihm durch Erziehung auferlegten Steuerehrlichkeit in keinem vernünftigen Verhältnis standen. Deshalb entschied er, sich von beidem, der regelmäßigen Arbeit in einem Büro und gesicherten dreizehneinhalb Monatsgehältern, zu trennen.

Kurze Zeit hatte er – »aus sozialer Verpflichtung«, wie einige seiner Freunde dies nannten, und unter dem Eindruck des damals, in den siebziger Jahren herrschenden Zeitgeistes – erwogen, seine Einkünfte aus dem Vermögen dadurch zu mindern, dass er es langsam verschenkte. Als er würdige Adressaten seiner hochherzigen Absicht suchte und immer mehr fand, wofür sein Kapital wiederum nicht ausreichte, folgerte er daraus, dass er zu wenig von der Welt und den Menschen verstehe. Er beschloss, mal dies und mal das zu studieren, vornehmlich Geisteswissenschaften, Geschichte vor allem und Sprachen, darunter Italienisch, wofür er jetzt in Rom besonders dankbar war, Philosophie und, Faust sei’s geklagt, auch ein wenig Theologie. Evangelische, weil er von Hause aus Protestant und nicht wenig stolz darauf war, doch auch ein bisschen katholische, des ökumenischen Geistes wegen. Von allem etwas. Vor allem jedoch wollte er sich in der Welt und unter den Menschen umsehen. So vergingen die Jahre. Seine Lebenserwartung verringerte sich, seine Erfahrungen wuchsen. Schließlich wunderte er sich beinahe über nichts und niemanden mehr. Das führte ihn keineswegs in Zynismus, in jenen lockeren, wie er oft Journalisten nachgesagt wird, obwohl er an den Menschen zweifelte. Unsinn. Um vor Menschenverachtung gefeit zu sein, genügte es Martin Lumière, als Historiker die freundlichen Seiten der Geschichte zu betrachten und als Mensch in den Spiegel zu blicken. Er musste dann lachen und nahm alles nicht so ernst. Es bereitete ihm sogar immer mehr Spaß, weil er eine geheime Regie im Leben der Menschen besser zu verstehen meinte.

Frau und Kinder, die von selbst die Anforderungen an seine finanzielle Leistungsfähigkeit und den Lebensdruck erhöht hätten, hatten sich nicht eingestellt. Dem Ernstfall seines Schicksals war Lumière wohl noch nicht begegnet. Oder? Die Frage konnte ihn in tiefes Nachdenken stürzen, zum Beispiel gerade eben auf dem Petersplatz und auch jetzt wieder, da es an jener Stelle nichts mehr zu sehen gab. Es war wohl so. Nicht, weil er etwas gegen Frauen gehabt hätte! Im Gegenteil. Dass sich mit den Jahren der Wechsel bei seinen Freundinnen etwas verlangsamt hatte, sprach für und gegen nichts, außer für sein zunehmendes Alter. Oder war Beatrix, die Frau, von der er vor einigen Tagen ungern am Flughafen in Frankfurt Abschied genommen hatte, dieser Ernstfall? Auch diese Frage beschäftigte ihn, jetzt, vor dem 40. Geburtstag, häufig. Einmal hatte eine Freundin ihm gesagt, sie bemerke, dass er auch Männern gefalle, und fürchte, dass diese auch ihm gefallen könnten. Er hatte wenig darauf gegeben, jedenfalls teilte er diese Befürchtung nicht. Weiter hatte er nicht darüber nachgedacht und es angenommen, dass ihm die Natur ein, wie er es nannte, passables Aussehen gegeben hatte: 1,84 Meter groß, dunkelblonde, volle Haare, kräftig-schlank, sportlich, doch keinem Sport verschrieben. In seinem Pass stand natürlich: Keine besonderen Kennzeichen. Er hätte selbstverständlich einige aufstellen können. Zum Beispiel: das eine Auge blaugrau, das andere graublau. Aber das war nur manchmal von Bedeutung.

Martin Lumière schüttelte den Kopf. Was sollte er anfangen, wenn kein Toter vorhanden war? Er konnte froh sein, dass ihn die Polizisten – nett, diese Italiener – nicht behelligt hatten. Er schaute seine rechte Hand an. Das Blut war natürlich trocken, aber vorhanden. Gedankenverloren ging er zu dem linken Brunnen des Platzes, feuchtete ein Papiertaschentuch an, säuberte die Hand und steckte das Taschentuch in das leere Plastiktütchen zurück, als Beweis, dass alles keine Einbildung war. Dazu pfiff er, wie es seine schlechte Gewohnheit war, irgendeine Melodie. Nicht besonders genau. Nur er hätte sagen können, dass sie aus einem Streichquartett von Schubert stammte: Nr. 14, d-Moll sollte es sein.

Martin Lumière schüttelte den Kopf, während er vom Brunnen zurückging. Wichtiger schien ihm nun, dass er mit seinem Auftrag vorankam. Obwohl er seit Jahren keiner regelmäßigen Arbeit nachging, arbeitete er regelmäßig. Statt Tag für Tag ins Büro zu gehen, was ihm weniger eingebracht hätte als dem Finanzamt – an diesem Punkt schien ihm zwischen der Pflicht des Staatsbürgers und dem Ehrgeiz eines begabten Mannes die Grenze gezogen –, hatte er eigene Projekte entwickelt. Für Zeitungen und Zeitschriften, Magazine und Illustrierte, auch für Rundfunk und Fernsehen führte er Recherchen aus, schrieb Artikel, bereitete Sendungen und Filme vor oder gestaltete sie zuweilen auch selbst. Für diese aufwendige Arbeit hatten gewöhnliche, in tägliche Regelarbeit eingespannte Journalisten keine Zeit, oder sie war den Redaktionen zu teuer. Dadurch hatte er sich mit den Jahren einen Namen als Publizist erworben, ohne den Neid der fest eingestellten Redakteure zu erregen und vor allem nicht die Missgunst jener, die von ihrem Beruf leben mussten. In seiner Freiheit von abhängiger Lohnarbeit sah Lumière ein unverdientes Privileg, mit dem er wenigstens nicht andere ärgern wollte. Er nahm niemandem etwas weg, suchte sich stets Lücken und Nischen aus. Weil er gründlich war und er seine Studien nicht nur zum Zeitvertreib absolviert hatte, brachte er es außer zu Ansehen auch zur Deckung seiner Lebenskosten.

Vor zwei Wochen hatte ihn der Chefredakteur einer Berliner Wochenzeitschrift angerufen und ihm ein Thema vorgeschlagen. Er wünsche sich, so Heribert C. Klein – das C stand für Cicero, manchmal auch für Cato, den mit dem Ceterum censeo, weil Klein seine Konferenzen immer mit den Worten begann: »Ceterum censeo, im Übrigen meine ich, dass uns nichts über die Wahrheit geht«, womit er stets für entspanntes Schmunzeln sorgte – er wolle, so der Chefredakteur zu Martin Lumière, einen Artikel, vielleicht eine kleine Serie, eine »runde Sache« jedenfalls, über Rom und den Mittleren Osten, in der »alles drin sein« müsse. Kirche, Islam und Judentum, Papst und Kardinäle, Ayatollahs, Rabbiner und Patriarchen, Kreuzzüge und Judenverfolgungen, »ja meinetwegen auch das Hochhuth-Syndrom«, also die Frage, ob Papst Pius XII. im Zweiten Weltkrieg etwas gegen die Vernichtung der Juden durch die Deutschen hätte unternehmen können – was unterlassen zu haben ihm der deutsche Schriftsteller Rolf Hochhuth in einem Theaterstück vorwarf. Er dürfe Geheimes und Bekanntes aufs Tapet bringen, besser natürlich mehr Geheimes als Bekanntes; ja, ja, auch, ob der Heilige Stuhl und der Staat Israel diplomatische Beziehungen aufnehmen würden. Die Heilige Stadt Jerusalem und die Palästinenserfrage, auch recht. Große Striche, bitte, und nicht zu klein gedacht. Wenn er sonst noch etwas im Vatikan finde, so Heribert C., Agenten und Aktionäre, Fanatiker und Frauen, Verstecke und Verliese, so solle er sich das für ein andermal notieren. Denn er, Klein, werde ihm ein Empfehlungsschreiben des im Vatikan geschätzten Erzbischofs Joseph F., F wie Fürchtegott, Heidenspaß – er hieß nun mal so – besorgen. Damit werde er in Rom Einlass finden und die Skepsis im Vatikan allem fremden Wissensdurst gegenüber zunächst überwinden. Alles klar?

Lumière hatte zögernd »Ja« gesagt, obwohl ihm wenig klar war. Er war schon viel herumgekommen in der Welt, doch bis in den Vatikan hatte er es beruflich noch nicht gebracht. Aber das gänzlich unbekannte Terrain der römischen Kirche lockte, und so hatte er angenommen, vor allem das Empfehlungsschreiben, ein kostbarer Passepartout, wie sich herausstellte. Nun war er im Vatikan gewesen, und jetzt – Martin Lumière war zu jener Stelle zurückgegangen, um noch einmal zu schauen, vielleicht … – jetzt stand er auf der Grenze zu Italien. Bisher hatte er mehr Material zusammengetragen, als er verwenden konnte. Dennoch war er unzufrieden. Immer, wenn er in den letzten Tagen meinte, etwas gepackt zu haben, verflüchtigte es sich sofort. So wie dieser Tote, den er hier auf dem Boden selbst gesehen, mit der eigenen Hand berührt hatte. Er konnte doch diese Sache niemandem erzählen, geschweige denn schreiben. Vielleicht, dass in der Zwischenzeit der Herr Jesus Christus über den Platz gekommen sei und wie in der Bibel dem Toten zugerufen habe: »Steh auf und wandle.« Man würde ihn in Berlin verspotten. Vielleicht war es das Beste, das Ganze zu vergessen und ins Bett zu gehen.

6. Von der Begegnung eines Mannes mit einer Frau

Als Martin Lumière sich aufrichtete und umwandte, kam die Frau auf ihn zu.

Jene Frau, die er schon auf der Piazza gesehen hatte. Natürlich kam sie nicht auf ihn zu. Es schien nur so, da sie beide auf denselben Ausgang in dem Absperrgitter zustrebten. Wenn das nicht ein schöner Zufall war! Sie konnte unmöglich Italienerin sein. Römerinnen gehen nicht nach Mitternacht allein über den Petersplatz. Sie hatte es eilig. Lumière kam nicht dazu, sich geistreiche Worte zu überlegen, um jenen Abstand der beziehungslosen Fremdheit zu überwinden, der schon die schönsten Träume Träume sein ließ.

»Pardon«, begann er auf französisch-international und fuhr englisch fort: »Ich habe Sie schon gesehen. Gestern«, fügte er keineswegs verlegen hinzu.

»Ich Sie nicht«, kam es knapp, weder unfreundlich noch ablehnend zurück. »Aber wenn, war es vorgestern. Jedenfalls war ich vorgestern auf der Piazza hier«, präzisierte sie. »Wenn Sie auch ein Nachtwandler sind und den Petersplatz lieben. Man kann dort so wunderbar allein sein, nicht wahr? Sie gestatten?«

Mit diesem Wort hätte die Dame den unverbindlichen Wortwechsel beenden und weitergehen können. Sie ging aber nicht.

»Man will gar nicht immer allein sein«, sagte Lumière weiterhin auf Englisch. Er hatte bemerkt, dass Englisch nicht ihre Muttersprache war, auch wenn sie es fast perfekt sprach. »Man will nicht immer allein sein«, wiederholte er mit Nachdruck.

»Es sollte Ihnen nicht an möglichen Partnern fehlen«, meinte die Fremde, »oder an Partnerinnen«, ergänzte sie, nicht ohne ihn kühl, genau und umfassend zu mustern.

Lumière hatte den Eindruck, dass dabei nur wenig weibliche Neugier im Spiel war, wiewohl ihm das nicht unsympathisch gewesen wäre.

»Nein, das nicht«, ging er schnell darauf ein, dabei flüchtig an den letzten Flirt denkend, Eleonora mit Namen, eine Florentinerin. Er dankte dafür, dass er gerade weder deren heftiges Parfüm noch ihre Redseligkeit teilen musste. »Nein, das nicht«, wiederholte er, »aber man soll dem Leben zuweilen auch Gelegenheit zu Überraschungen geben.«

Er hatte kaum diesen Satz herausgebracht, als er schon wieder den Knopf für den Zeitlupenfilm hätte drücken müssen: Lumière, mit dem Gesicht zur Peterskirche, mit dem Rücken zur Straße, hörte – doch was heißt hörte, es geschah hier und jetzt –, wie ein Auto sich mit erhöhter Geschwindigkeit näherte und abbremste, wie es hinter ihm zweimal trocken knallte und der Wagen wieder davonbrauste. Er konnte es eigentlich nicht gesehen haben, da seine Augen nach vorn blickten. Denn noch überraschender war, dass im selben Moment die Frau gänzlich undamenhaft reagierte. Halb glitt sie so, halb schob sie ihn so, dass er genau zwischen ihr und dem Auto zu stehen kam. Sein Körper beschützte den ihren, dachte er für den Bruchteil einer Sekunde.

Es war nicht das erste Mal, dass sich ihm eine Frau näherte. Aber Martin Lumière gestand sich ein, dass er es in diesem Moment am wenigsten erwartet hatte und die Annäherung kaum seinem männlichen Charme zuzuschreiben war. Er hatte wenig Zeit, daraus das Beste zu machen, etwa zu prüfen, ob ihre großen grünen, etwas geweiteten Augen mehr ins Dunkle oder Helle spielten oder einen Unterschied zwischen links und rechts aufwiesen, weil er selbst darauf Wert legte. Wehe jener, die graublau und blaugrau verwechselte.

»Sie haben recht«, sagte sie fast ruhig. Sie hatte längst ihre Arme von den seinen genommen. »Es ist nicht immer gut, allein zu sein. Finden Sie nicht auch, dass die Römer die Touristen nicht so erschrecken sollten? Uns Touristen.« Sie lachte dabei so unbeschwert, dass sie sich selbst Lügen strafte. »Man sollte wirklich dem Leben Gelegenheit zu Überraschungen geben.« Jetzt lächelte sie. »Aber es gibt außer dem Petersplatz noch anderes in Rom zu sehen. Zum Beispiel den Titusbogen am Kolosseum. Ich bin morgen um halb ein Uhr mittags bei einer Führung dort.«

In diesem Moment kam wieder ein Auto. Es bremste ebenfalls, doch diesmal lautlos. Die junge Dame machte ein paar rasche Schritte. Der Schlag öffnete sich. Mit quietschenden Reifen fuhr der Wagen, ein grauer Volvo mit einem CD-Kennzeichen, wie Lumière sah, davon.

7. Die Eleganz eines tüchtigen Kommissars

Der Kommissar mit der eleganten Krawatte verfolgte die drei – unauffällig, wie sich versteht. Natürlich war er nicht weggegangen, als er mit einem letzten Blick zurück jemanden sich zielstrebig seinen Untergebenen nähern sah. Ein tüchtiger Kommissar geht in solchen Momenten nie davon, selbst wenn es schon nach Mitternacht ist. Vielleicht hatte Sandiavolo auch zu viel kombiniert – Senator Vitelleschi, Miro Caldona und Papst Alexander VI., sein Namenspatron für Benigno A:, wie Alessandro. Das kann einen beschäftigen.

Das galt auch für Alexander VI. Sandiavolo spürte das Wappen im Rücken. Als Rodrigo de Borja, Abkömmling einer hochadligen Familie aus dem spanischen Valencia, so hatte der Kommissar als wissensdurstiger Anfänger aus den Büchern erfahren, am 26. August 1492 – der Sommer war schwül und bedrückte die Menschen – den Stuhl Petri bestieg, setzte er sich an die Spitze des Zeitgeistes. Humanismus und Renaissance, die großen europäischen Geistesströme des 14. und 15. Jahrhunderts, waren aus dem Boden des Christentums gewachsen, nicht gegen die Kirche, sondern von dieser gefördert. Päpste, Kardinäle und Bischöfe waren die Avantgarde des Fortschritts, die Vorhut der Kultur, jene, die den Trend bestimmten. So verstand es auch der Borja-Papst, aus dessen hartem spanischem Gaumenlaut im Familiennamen bei dem Kommissar wie bei allen Römern ein weich-sinnlicher italienischer Kusslaut wurde: Borgia. Er, der Kirchenmann, wollte der Welt zeigen, dass er noch rücksichtsloser und eigennütziger vorgehen, alles noch schlauer und geschickter anstellen, wüster und wilder treiben konnte.

Benigno A. Sandiavolo ließ die drei nicht aus dem Auge. Das hinderte ihn nicht daran, einen Sprung von fünf Jahrhunderten zu machen und an diesen Miro Caldona zu denken. Weshalb hatte der Senator Vitelleschi heute nach Caldona gefragt? Und warum ihn? Da musste etwas dahinterstecken. Miro Caldona gebot über zwei landesweite private Fernsehsender, die der katholischen Kirche nahestanden und ihr auch nie zu nahe traten – bis 24 Uhr abends, bis nach einem interessanten, zum Teil anspruchsvollen, zum Teil unterhaltsamen Programm ab Mitternacht nur noch Sendungen für Erwachsene kamen. Man meinte offenbar, dass gläubige Katholiken früher ins Bett gingen als die erotisch Empfänglichen. Sandiavolo kannte beide Sparten. Außerdem gebot Miro Caldona über Einfluss in einer der angesehensten Zeitungen des Landes, der Gazzetta d’Italia. Um dieses Imperium zuerst errichten und dann zusammenhalten zu können, gegen potenzielle und wirkliche Widersacher, musste Miro Caldona mächtige Freunde in den politischen Parteien und in der Regierung besitzen. Zur Imagepflege hatte sich der Neapolitaner einen Fußballclub der Serie A zugelegt, nicht den von Neapel – der war schon vergeben –, sondern einen aus der Provinz, der im zweiten Anlauf sogar Meister geworden war. Was ihn dazu bewogen hatte, in den größeren italienischen Städten soziale Zentren einzurichten, »Centro M. C.« genannt, die ohne Aufhebens Gutes taten, schoben die einen auf soziales Engagement aufgrund seiner Herkunft, die anderen auf sein schlechtes Gewissen.

»Schlechtes Gewissen«, murmelte Sandiavolo zweifelnd. Er kannte viele, die keines mehr hatten.

Seine zwei Untergebenen ließen nun den Deutschen stehen und kamen zurück. Am rechten Ausgang der Kolonnaden trat der Kommissar auf sie zu. Sie waren nicht erstaunt. Sie kannten ihren Commissario. Etwas gelangweilt meldeten sie: »Ein Deutscher. Meint, er habe einen Toten gesehen. War aber kein Toter da. Sagte, genau auf der Grenze. Komisch. Haben Sie schon mal gehört, Commissario, dass es hier eine Grenze gibt? Hier, mitten in Rom?«

Sandiavolo nickte vage: »Schon gut.« Gleichgültig wandte er sich um, bereit, mit den beiden zum Auto zurückzugehen. »Sonst noch was?«

Der eine, Giovanni mit Namen, zählte gelangweilt auf, was er noch von dem Deutschen erfahren hatte: »Wohnt im Hotel Columbus, Zimmer 42. Hier ist seine Visitenkarte mit dem Namen, wenn Sie wollen. Konnte sich gar nicht beruhigen, dass der Tote, angeblich ein Priester, auf der Grenze lag.« Giovanni schüttelte verständnislos den Kopf.

Der Kommissar wiederholte: »Columbus«. Zufall. Alexander VI. war der Kolumbus-Papst. Welche Möglichkeiten in dem Papsttum lagen! Damals hatten sich Portugal und Spanien an Alexander VI. gewandt, um einen Schiedsspruch zu fällen über die Eroberungen in der Neuen Welt, in dem von Cristoforo Colombo aus Genua zu Beginn des Pontifikats entdeckten Amerika. Alexander tat es nicht gewissenhaft, sondern so, dass beide sich zufriedengaben und die europäische Welt in Frieden ließen. Man musste die Rivalitäten der anderen nutzen, nahm sich der Kommissar aufs Neue vor, und dabei nicht auf die falsche Karte setzen. Aus der Geschichte konnte man lernen. Der Kommissar blickte in die Richtung des Wappens. Man musste so skrupellos sein wie dieser Alexander – Papst hin, Papst her. Es war gefährlich, dachte er, wenn man nicht selbst die Initiative ergriff, wenn andere einem zuvorkamen.

»Was wäre euch denn lieber gewesen?«, unterbrach der Kommissar seine Gedanken. »Wenn ihr jemanden gefunden hättet oder dass ihr nun nach Hause gehen könnt?«

Wie aus der Pistole geschossen, erklärte Giovanni: »Wenn wir jemanden gefunden hätten. Dann wäre wenigstens was los.«

»Na, vielleicht kann ich euch den Gefallen noch tun«, sagte der Kommissar leichthin. »Ich schau nochmal nach. Nein, nein, geht nur! Es ist ja nichts, wie ihr sagt«, wehrte er ab und wandte sich allein um.

Der Kommissar trat aus den Kolonnaden hinaus auf den freien Platz und hielt inne. Der Pontifexfürst der Renaissance ließ ihn nicht los. Erfüllte dieser Alexander nicht das Ideal des erfolgreichen modernen Menschen? Sonst hätte nicht Nicolò Machiavelli, der große Machttheoretiker der Renaissance, diesen Papst so bewundert. Der Kommissar hatte die Stelle im Principe auswendig gelernt: »Alexander VI. tat und sah nichts anderes, als die Menschen zu hintergehen, und er fand auch immer welche, die sich hintergehen ließen. Es gab noch nie einen Menschen, der seine Beteuerungen wirkungsvoller vorgebracht, seine Versprechungen feierlicher beschworen und weniger gehalten hätte. Trotzdem gelangen ihm seine Betrügereien stets nach Wunsch; so gut kannte er die schwache Seite der Menschen.«

Das war es, schloss der Kommissar, das war der Schlüssel; die Schwächen der Menschen erkennen, auch in seinem Beruf.

Und noch etwas hatte sich der Kommissar gemerkt. Der französische Schriftsteller Stendhal nannte seinen Alexander la moins imparfaite incarnation du diable, die am wenigstens unvollkommene Fleischwerdung des Teufels auf Erden. »Diable«, wiederholte er und fand es bedeutsam, dass auch er Teufel hieß, allerdings Sandiavolo, Heiligteufel, Benigno Sandiavolo, mit dem schönen Vornamen Gutartig, Benigno Alessandro Sandiavolo.

Die Welt ist ein Narrenhaus, stellte der Kommissar, Römer seit Generationen, fest. Wie konnte man darin etwas für unmöglich halten? Ein ermordeter Priester im Vatikan? Das heißt, dabei lachte der Commissario kurz auf, zwischen dem Vatikan und der Republik, genau auf der Grenze, wenn es stimmte, was Giovanni ihm berichtet hatte. Das war wenig wahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Warum nicht gleich auch ein Priester der Mörder? Das war noch weniger wahrscheinlich und noch mehr ausgeschlossen. Aber auch der Träger des Wappens da oben war mit Morden nicht kleinlich gewesen. Selbst einen Schwiegersohn, den zweiten Mann der Tochter Lucrezia, Alfonso di Bisceglie, ließ er, untätig, von dem Sohn Cesare ermorden. Es war nicht die einzige Schandtat, nicht der einzige Flecken in der Kriminalstatistik dieses elf Jahre dauernden Pontifikats. Wurde es nicht auch durch Mord beendet?

Der Kommissar war weit davon entfernt, den Stab über Alexander VI. zu brechen. Im Gegenteil. Er hatte nämlich gelesen: In der kurzen Zeit der Sedisvakanz, als der Thron Petri sozusagen leer stand, zwischen dem Todestag Innozenz’ VIII. am 25. Juli und der Wahl Alexanders in der Nacht zum 11. August des Jahres 1492, seien in Rom 220 Morde begangen worden. Dann hätten die Mörder aus Furcht vor dem neuen Papst ihr Treiben eingestellt. Eine schlechte Herrschaft ist besser als gar keine, folgerte Sandiavolo. Eine gute Regierung kann auch ein Schuft führen, freilich nicht jeder Schurke regiert ordentlich.

Die Welt ist verrückt, wiederholte Sandiavolo. Er schob das Kinn vor und drehte sich wieder um. Er war entschlossen, den Verlockungen der Nacht zu entsagen und den Fall zu verfolgen. Denn ein Fall war es. Im Unterschied zu den beiden Polizisten glaubte er, was der Fremde erzählt hatte, obwohl dieser eine altmodische Krawatte trug. Man sollte ihm eine neue schenken, überlegte der Kommissar, nun fest entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen.

Er ging rasch zu jener Stelle – Gatter, Schutzstein, grauer Streifen, Ende der Kolonnaden links. Er schaute dorthin, wo dieser Deutsche einen Toten gesehen haben wollte, und blinzelte. Dort vor dem Schutzstein lag … Nein, keine Leiche. Aber …

Bevor der Kommissar näher heranging, musste er noch in seinem Gehirn einspeisen und sichern: erstens, dass Martin Lumière hier eine Frau getroffen und mit ihr kurz geredet hatte, zweitens, dass aus einem Auto, einem Mercedes, Typ 200, polizeiliches Kennzeichen Roma D 37474 C, auf den Deutschen und eine Frau geschossen worden war, dass man sie eigentlich aus dieser geringen Entfernung nicht hatte verfehlen können, dass jedoch offenbar niemand treffen wollte und niemand getroffen worden war. Bevor der Kommissar aufhob, was da lag, musste er noch in seinem Gehirn einspeisen und sichern: drittens, dass kurz nach den Schüssen ein anderes Auto die Frau aufgenommen hatte, ein Volvo, polizeiliches Kennzeichen CD 47437.

Der Kommissar schob mit einem Ruck sein Kinn vor. Benigno Alessandro Sandiavolo hatte nämlich beim Hin und Her unter den Kolonnaden nicht nur an Alexander VI. oder Miro Caldona gedacht, sondern scharf beobachtet. Eben ein tüchtiger Kommissar.

8. Judith Meir – Was aber ist ihr Metier?

Judith Meir ließ sich in den hinteren Sitz des Autos zurückfallen. »Besonders früh seid ihr nicht gekommen«, sagte sie. »Hätte mich das Leben kosten können.«

Keiner der drei Männer antwortete, nicht der am Lenkrad mit der Narbe quer über dem Gesicht, zweifellos der am wenigsten Wichtige, nicht der rechts vorn in Jeans und sportlicher Jacke, der wohl fürs Grobe zuständig war, und nicht der links hinten in einem ziemlich zerknitterten Anzug – was man alles in der Dunkelheit nicht sehen konnte, was aber Judith Meir wusste.

Der besser Gekleidete neben ihr lachte kurz auf: »Stell dir vor! Unser bestes Stück auf dem Petersplatz in Rom erschossen … Die hätten alle nur noch gelacht. Von Washington bis Moskau. Und erst unsere Freunde in Tripolis und Bagdad … Nein, zu lustig.«

Er merkte, dass es Judith gar nicht lustig zumute war.

»Komm, die wollten dir doch gar nichts. Außerdem war es für uns wirklich überraschend, dass sie noch ein zweites Mal kommen würden.« Er wollte begütigend seine Hand auf ihren Arm oder ihr Bein unter dem leichten Mantel legen.

Doch Judith Meir schlug seine Hand weg und fauchte ihn an: »Bring mich ins Hotel zurück!«

»Wie du willst. Aber was ist mit deinem Bericht? Irgendetwas wirst du doch heute Abend erfahren haben? Irgendetwas Neues! Irgendetwas, was uns weiterbringt. Erst warten wir fast drei Stunden lang vor diesem alten Palazzo, dann willst du plötzlich zum Petersplatz, und jetzt soll auf einmal nichts gewesen sein. Sag schon, ob du es geschafft hast! Und wer war der andere? So rede doch!«

Judith Meir schwieg. Sie streckte leicht die geöffnete Hand vor und schloss sie zur Faust, zum Zeichen, dass sie jetzt nicht sprechen würde. Ihre grünen Augen streiften kurz ihren Nebenmann. Ihre Lippen drückten Spott aus.

»Es hätte nicht viel gefehlt, und du wärst ›Witwer‹ geworden. Aber du hast eben Glück. Du solltest zum Dank eine Kerze in einer Kirche aufstellen. Das tun, wie ich heute Abend erfahren habe, sogar die ungläubigen Römer, wenn ihnen etwas Besonderes gut ausgegangen ist. Aber es muss nicht mehr jetzt in der Nacht sein.«

Der besser, aber nicht gut Gekleidete wusste, dass er nun nichts mehr erfahren würde. Musste auch nicht sein. Er blickte hinaus. Das Auto war vom Petersplatz links an den Kolonnaden und jenem Palast vorbeigefahren, in dem, wie er gelernt hatte, die Glaubenskongregation, die Nachfolgeorganisation der katholischen Inquisition – allen Respekt, dachte der Fachmann –, ihren Sitz hatte. Durch den Tunnel unter dem Gianicolo-Hügel hindurch, über den Tiber und am Fluss entlang mit dem Blick zur Engelsburg, dem Mausoleum des Hadrian – seine auch kulturelle Vorbereitung auf Rom war gründlich gewesen – und rechts hinein in die Via Tomacelli. Da waren sie schon am Largo Goldoni. Mit den beiden da vorn konnte er sicher sein, dass sie nicht verfolgt worden waren. »Bis morgen, bis heute!«

Judith Meir war mit einem Satz draußen. Dann ging sie die Via Condotti hinauf, Richtung Spanische Treppe. Aus den Augenwinkeln nahm sie in den Schaufensterscheiben wahr, dass ihr niemand folgte. Die Absätze ihrer Schuhe schlugen ein hastiges Staccato auf dem Pflaster zwischen den eleganten Läden, ungebremst von weiblicher Neugier auf den verführerischen Inhalt der Edelläden, ungemindert im Tempo auch von einem Begleiter.