Das Land ohne Migranten - Karl Czasny - E-Book

Das Land ohne Migranten E-Book

Karl Czasny

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Beschreibung

Hugo Bettauers Roman »Die Stadt ohne Juden« erschien im Jahr 1922 und nahm mit gespenstischer Hellsichtigkeit die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Österreich und dessen Hauptstadt Wien vorweg. In der Absicht, vor derartigen Entwicklungen zu warnen, beschrieb Bettauer in dieser Satire politische Entwicklungen und Schicksale einzelner Menschen, die sich im Zuge einer solchen Vertreibung abspielen könnten. Mit dem ersten Ertönen von »Ausländer-Halt!«- und »Ausländer raus!«-Rufen in den neunzehnachtziger Jahren hat das hinter dem Antisemitismus stehende Sündenbock-Motiv ein neues Opfer gefunden. Seit das Schlagwort von der »Remigration« die Runde macht, verbindet sich dieses Motiv nun auch wieder mit dem Aufruf zur Vertreibung der Sündenböcke. Die vorliegende Variation auf »Die Stadt ohne Juden« aktualisiert Bettauers Roman durch Vertauschung der »Juden« mit »Ausländern« bzw. »Migranten« und möchte so der Ähnlichkeit der beiden Vertreibungsideologien nachspüren.

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2025

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INHALT

Vorwort

Personenregister

Erster Teil

Zweiter Teil

VORWORT

Hugo Bettauers Roman ‚Die Stadt ohne Juden‘ erschien im Jahr 1922 und nahm mit gespenstischer Hellsichtigkeit die erst in den dreißiger Jahren beginnende Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Österreich und dessen Hauptstadt Wien vorweg. In der Absicht, vor derartigen Entwicklungen zu warnen, beschrieb Bettauer in dieser satirischen Dystopie politische Entwicklungen und Schicksale einzelner Menschen, die sich im Zuge einer solchen Vertreibung abspielen könnten.

Mit dem ersten Ertönen von »Ausländer halt!«- und »Ausländer raus!«-Rufen in den neunzehnachtziger Jahren hat das hinter dem Antisemitismus stehende Sündenbock-Motiv ein neues Opfer gefunden. Und seit das Schlagwort von der 'Remigration' die Runde macht, verbindet sich dieses Motiv nun auch wieder mit dem Aufruf zur Vertreibung der Sündenböcke, als einer vermeintlichen Patentlösung für die drängendsten Probleme der Gesellschaft.

Die Ähnlichkeit der beiden Vertreibungsideologien ist in meinen Augen so groß, dass es nahe liegt, Bettauers Roman durch Vertauschung der 'Juden' mit 'Ausländern' bzw. 'Migranten' zu aktualisieren. Ich beschloss, mich selbst an einer solchen Aktualisierung zu versuchen, um beim Schreiben dieser Variation gleichsam empirisch zu prüfen, ob die von mir vermutete Analogie tatsächlich besteht, und wo sie ihre Grenzen hat. Dabei waren zwei dieser Grenzen von vornherein klar. Erstens, die völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Geschehens in dem in der Zwischenkriegszeit spielenden Roman Bettauers und in einer erst künftig ablaufenden Geschichte. Zweitens die zum Teil bedeutenden Unterschiede zwischen den sozioökonomischen Positionen und Funktionen der Juden in der ersten Republik und jenen der Menschen mit Migrationshintergrund im gegenwärtigen Österreich.

Eine dritte, mir vor der Lektüre des Bettauer-Romans noch nicht bewusste Grenze für die unmittelbare Übertragung dieses Werks in unsere nahe Zukunft liegt in der aus heutiger Sicht ‚altmodischen‘ Sprache Bettauers. Sie klingt für mich so, wie sich wohl ein Illustrierten-Roman der Zwischenkriegszeit anhörte. Das ist keine kritische Anmerkung, denn Bettauers Satire wendete sich ja an die antisemitisch orientieren kleinen Leute von der Straße und nicht an ein Publikum mit gehobenem Literaturgeschmack. Aus dieser Zeitgebundenheit des Stils folgt aber, dass eine für die Gegenwart verfasste Variation dieses Romans Bettauers Sprache zwar keineswegs verleugnen aber doch behutsam aktualisieren sollte.

Um die strukturelle Analogie zwischen den beiden Vertreibungsideologien möglichst klar ans Tageslicht zu bringen, galt es beim Schreiben des folgenden Textes die drei einer unmittelbaren Übertragung des Bettauer-Romans in unsere nahe Zukunft entgegenstehenden Grenzen zu überwinden. Ich versuchte dies, indem ich entsprechende Änderungen in Stil und Handlungsablauf des Romans vornahm. Dabei folgte ich dem Grundsatz 'So viele Änderungen wie nötig und so wenige wie möglich'. Ob dabei ein in sich stimmiger Text herauskam, mögen die Leserinnen und Leser selbst beurteilen.

PERSONENREGISTER1

Journalisten:

Doktor W. vom Express

Herr H. von der Krone

Die kleine K. vom Standard

Frau M. vom Kurier

Mr. Holborn vom Daily Telegraph

Politiker samt deren Anhang:

Dominik Schnapp, FPÖ-Bürgermeister von Wien

Udo Landmann, FPÖ-Landeshauptmann von Niederösterreich

Adalbert (Adi) Kickler, Bundeskanzler (FPÖ)

Mag. Reinhard Deibl, sein Kabinettschef

Herr Rosenstängl, Nationalratspräsident

Professor Knauser, Finanzminister

Dr. Dr. Holzkopf, Wirtschaftsminister

Herr Stabler, SPÖ-Vorsitzender

Frau Pfingstler, evangelikale ÖVP-Nationalrätin

Herr Geier, ÖVP-Nationalrat und Mietshausbesitzer

Nikolić und Petrović, FPÖ-Nationalräte

Peter Westentaschler, FPÖ-Nationalrat, Kammerrat, ORF-Stiftungsrat

Hanna Kovalenko, Tochter von Westentaschler

Andriy Kovalenko, deren Gatte

Linda und Helmut, Enkelkinder von Westentaschler

Große und kleine Unternehmer samt deren Anhang:

Elon Muskin, US-Milliardär

Frau Habietnik, Inhaberin eines Modehauses in Braunau

Herr Mauler, Inhaber einer Bäckerei in Mattighofen

Karl Zwick, Inhaber eines Geschäfts für Haushalts- und Unterhaltungselektronik

Christa Zwick, seine Gattin

Herr Wang, sein Berater bei der Erste Bank

Herr Wuchert, Inhaber eines Wiener Mietshauses

Herr Hacioglu, Inhaber von zwei Marktständen am Brunnenmarkt

Ali Güneş, sein Berliner Schwager

Mehmet Yılmaz, Neffe von Hacioglu

Herr Schuster, österreichischer Freund und Steuerberater von Hacioglu

Intellektuelle und Künstler samt deren Anhang

Prof. Dr. Stuss, Rektor der Universität Wien

Ökonomierat Krautgartner vom Bauernbund, ein alter Bekannter von Stuss

Prof.

in

Dr.

in

Dr.

in

Pia Schwurb, Vizerektorin

Miko Rausch, Schweizer Theatermacher

Marco Bodrožić, Lyriker

Jenny Wash, irische Komponistin

Lena, Freundin von Wash

Waltraud Hofer, Dramatikerin, Lenas Geliebte

Enrico Schmelz, Tenor

Weitere Personen samt deren Anhang

Ein bettelnder Rom

Kardinal Göttlicher, Erzbischof von Wien

Rechtsanwalt Dr. Winkelzug, Stammgast im Cafe Imperial

Hofrat Mag. Bücklinger, Stammgast im Cafe Imperial

Hofrat i.R. Spineder, Inhaber einer Villa in Grinzing

Frau Spineder, seine Gattin

Lisa, seine Tochter

Boris Petrov, deren Freund

Theo, Johannes, Daniel und Gudrun, KommilitonInnen von Boris und Lisa

Hofrat Dumpf, Stammgast in der Villa der Familie Spineder

Ein Müllmann namens Kübler

1 Die Namen sämtlicher Protagonisten der folgenden vielleicht schon bald stattfindenden Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit den Namen einiger bereits jetzt im öffentlichen Leben stehender Personen sind aber nicht ganz zufällig.

ERSTER TEIL

(0)

Wir schreiben den 26. Oktober des Jahres - egal, sagen wir, es sei Übermorgen. Ich sitze vor meinem Laptop - diese Dinger heißen inzwischen anders und funktionieren auch etwas anders als eure Laptops, aber ich bleibe bei dieser Bezeichnung, damit ihr ungefähr wisst, wovon ich spreche. Ich sitze also vor meinem Laptop und schreibe auf, was damals - für mich ist es einfach 'gestern', für euch ist es 'morgen' - was damals also geschah, oder wenn ihr so wollt: was morgen geschehen wird. Warum ich es für euch aufschreibe? Ganz einfach: damit ihr euch (falls ihr typische Österreicher seid) beizeiten damit arrangiert, oder (falls ihr so gar nicht in dieses Land passt) überlegt, was man tun sollte, damit es nicht geschieht.

(1)

Von der Universität bis zur Bellaria umlagerte das schöne, vornehme Parlamentsgebäude eine einzige Menschenmauer. Ganz Wien schien sich an diesem Junitag um die zehnte Vormittagsstunde versammelt zu haben, um dort zu sein, wo sich ein historisches Ereignis von unabsehbarer Tragweite abspielen sollte. Menschen aller Schichten und Altersgruppen quollen durcheinander, schrien, diskutierten und schwitzten. Und immer wieder fand sich ein Begeisterter, der plötzlich an den Kreis um ihn herum eine Ansprache hielt und immer wieder brauste der Ruf auf:

»Ausländer raus!«

Sonst pflegten bei ähnlichen Demonstrationen hier und dort Leute mit dunklem Teint, besonders schwarzem Haar oder muslimischer Kleidung ordentlich verprügelt zu werden; diesmal kam es zu keinem solchen Zwischenfall, denn fremdländisch aussehende Menschen war weit und breit nicht zu sehen.

Plötzlich zerriss ein einziges Aufbrüllen die Luft.

»Hoch Kickler, hoch, hoch, hoch! Hoch der Befreier Österreichs!«

Ein offenes, von acht dunkelbebrillten Bodyguards gesichertes Auto fuhr langsam mitten durch die Menschenmassen hindurch, die zurückdrängten und Platz machten. Im Auto saß ein kleiner Herr vorgerückten Alters, der der jubelnden Menschenmenge zunickte und das Gesicht zu einem Lächeln verzerrte. Es war ein saures Lächeln, das von den zwei Falten, die von den Mundwinkeln abwärts liefen, gewissermaßen dementiert wurde. Seine braunen Augen blickten eher finster als vergnügt drein.

Lachende Mädchen drängten, was nur in Österreich und selbst hier nur an diesem Tag möglich war, an den Bodyguards vorbei und schwangen sich auf das Trittbrett. Eine warf dem Gefeierten Blumen zu, eine andere war noch dreister, schlang ihren Arm um seinen Hals und küsste ihn auf die Wange. Als ob der Chauffeur ahnte, wie seinem Dienstgeber bei solchen Gefühlsausbrüchen zumute wurde, ließ er das Auto vorwärts springen, sodass die Mädchen mit jähem Ruck nach rückwärts fielen. Sie taten sich dabei nicht weh, denn die Menschenmauer fing sie auf.

Im Parlamentsgebäude herrschte nicht die laute Begeisterung der Straße, sondern fieberhafte Erregung, zu stark, um Ausdruck nach außen zu finden. Die Abgeordneten, die sich bis zur letzten Hinterbänklerin eingefunden hatten, die Minister, die Kabinettsmitarbeiter gingen schweigend und unruhig umher, sogar die überfüllten Galerien verhielten sich lautlos.

In der Journalistenloge, in der es sonst am ungeniertesten zuzugehen pflegte, wurde nur im Flüsterton gesprochen. Und eine bemerkenswerte räumliche Spaltung hatte sich eingestellt. Die kompakte Majorität der Berichterstatter des weltoffenen Mainstreams drängte ihre Stühle zusammen, die Referenten der heimattreuen Medien bildeten ihrerseits eine Gruppe. Sonst mischten sich beide Gruppen fröhlich durcheinander, im Berufskreis war man nicht Parteigänger, sondern nur Kollege oder Kollegin, und da die heimattreuen Journalisten den besseren Draht zur neuen Regierungsspitze hatten, standen die Vertreter des Mainstreams zu ihnen in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis. Heute aber flogen hämische Blicke von der heimattreuen Ecke zum Mainstream und als die kleine K. vom 'Standard', die eben erst eingetreten war, den Doktor W. vom 'Express' mit »Servus Herr Kollege!« begrüßte, wandte ihr dieser ohne Erwiderung den Rücken zu.

Es drängten immer noch Journalisten herein, darunter Vertreter ausländischer Medien, die erst heute in Wien angekommen waren.

»Nicht rühren kann man sich«, brummte der H. von der 'Krone', worauf ihm ein Kollege mit kleinem, bärtigem Kopf und mächtigem Bierbauch erwiderte:

»Na, ein paar Tage noch und wir werden hier Platz genug haben!«

Hüsteln, Lächeln, Lachen auf der einen Seite, bedeutungsvolle Blicke auf der anderen.

Ein junger blonder Herr mit roten Backen machte nach links und rechts eine leichte Verbeugung.

»Holborn vom 'Daily Telegraph'! Bin vor einer Stunde angekommen und kenne mich wahrhaftig nicht aus. Unser Managing-Editor, das Kamel, hat mir nichts gesagt, als: In Wien wird es jetzt lustig, da schmeißen sie die Ausländer hinaus! Fahren Sie hin und berichten Sie! Also bitte, wäre sehr nett von Ihnen, wenn Sie mich rasch instruieren wollten.«

Das alles war in so drolligem Englisch-Deutsch herausgekommen, dass sich die Spannung ein wenig löste. Frau M. vom 'Kurier' bemächtigte sich, heftig gestikulierend, des englischen Kollegen und begann mit den Worten:

»Also, ich werde Ihnen alles genau erklären –.« Aber Doktor W. ließ sie nicht weitersprechen. »Sie verzeihen, aber diese Aufklärung wird besser von uns ausgehen.«

Tonfall drohend, das »uns« bedeutungsvoll unterstrichen.

Und schon befand sich Holborn in der heimattreuen Ecke, wo W. kurz und sachlich erklärte:

»Was geschehen soll, werden Sie sofort aus dem Munde von Bundeskanzlers Kickler erfahren, der das Gesetz zur Remigration aller nicht erwünschten Ausländer eingehend begründen wird. Die Vorgeschichte ist, kurz gesagt, folgende: Als der nach dem Zusammenbruch der Währungsunion wieder eingeführte österreichische Schilling auf ein Hundertstel eines Dollars gesunken war, begann Chaos einzutreten. Ein Minister nach dem anderen musste gehen, es entstanden Unruhen, täglich kam es zu Plünderungen und Pogromen, die Wut und Verzweiflung der Bevölkerung kannte keine Grenzen mehr und schließlich musste man Neuwahlen ausrufen. Sozialdemokraten, Grüne und Liberale starteten ohne neues Programm in den Wahlkampf, Volkspartei und Freiheitliche hingegen scharten sich um deren charismatischen Führer Adalbert Kickler, der die Parole "Remigration aller unerwünschten Ausländer!" ausgab. Nun, vielleicht ist es Ihnen bekannt,« – Holborn nickte, obwohl er keine Ahnung hatte – »dass die Wahlen den völligen Zusammenbruch aller linken und liberalen Parteien brachten.«

Dem diplomatischen Genie des Adi Kickler, seiner unerschrockenen Energie und Beredsamkeit sei dann gelungen, was zuvor niemand für möglich gehalten habe. Er habe die durch den kürzlich vollzogenen Uxit, Ruxit und Buxit geschwächte EU vor die Alternative Öxit oder Gewährenlassen gestellt und ihr so die Zustimmung zur großen Remigration abgerungen. In langen Verhandlungen mit der dem Vorhaben sehr aufgeschlossen gegenüberstehenden Kommissionspräsidentin Meloni habe er sogar erreicht, dass nun auch die Mehrzahl der in Österreich arbeitenden oder studierenden EU-Bürger wieder in ihre Heimatländer zurückkehren müsse. Die erfolgreiche Abschiebung der aus Drittstaaten stammenden Migranten sei ebenfalls bereits sicher gestellt. Kickler habe aus dem Scheitern der dilettantischen Abschiebungsversuche der Briten sowie der schon vor Jahren ins heimattreue Lager gewechselten Italiener und Franzosen gelernt und als Wirtsländer keine kleinen osteuropäischen oder afrikanischen Staaten ins Auge gefasst. Stattdessen habe er ein As aus dem Ärmel gezogen, mit dem niemand gerechnet habe. Es gehe dabei um ein sensationelles Angebot des russischen Präsidenten, dem er schon bei dessen Spezialoperation in der Ukraine zur Seite gestanden sei. Der greise Putin vertrete nämlich die Ansicht, dass die durch Abwanderung, Geburtenrückgang und diverse Spezialoperationen geschwächte Demografie seines Riesenreichs dringend eine Auffrischung benötige und jenseits des Urals Platz genug für Österreichs überzählige Migranten sei.

»Kickler hat erfreut zugegriffen und wird sogleich selbst jenes Gesetz einbringen, das diesen wahrhaft historischen Prozess –.«

»Pst!«-Rufe wurden laut. W. konnte nicht weiterreden, denn der Präsident des Hauses, der steinalte Rosenstängl, schwang nun mit zittriger Hand die Glocke und erteilte dem Bundeskanzler das Wort.

Grabesstille, in die das Surren der Ventilatoren unheimlich klang. Das leiseste Räuspern, das Rascheln der Papiere in der Journalistenloge wurde gehört und empfunden.

Ernst und trotz seiner geringen Körperlänge scheinbar übergroß stand der Kanzler auf der Rednertribüne, die Hände, zu Fäusten geballt, stützten sich auf das Pult, die scharfen Augen glitzerten über den Saal hinweg. So verharrte er bewegungslos, bis er plötzlich den Kopf ins Genick warf und mit seiner mächtigen Stimme, die sich in den turbulentesten Versammlungen immer hatte Gehör erzwingen können, begann.

»Verehrte Damen und Herren! Ich lege Ihnen jenes Gesetz und jene Änderungen unserer Bundesverfassung vor, die gemeinsam nichts weniger bezwecken, als die Remigration aller unerwünschten Ausländer. Bevor ich das tue, möchte ich aber einige rein persönliche Bemerkungen machen.

Seit vielen Jahren bin ich Kanzler der Herzen. Und schon einmal erkoren mich die Wähler zum Volkskanzler, der dann aber durch ein abgekartetes Spiel der Altparteien am Regieren gehindert wurde. Durch all diese Jahre hindurch war ich für die System-Medien eine Art Popanz, ein wütender Ausländerhasser. Nachdem mich nun aber das Volk neuerlich mit überwältigender Mehrheit gewählt hat und die Zeit der System-Medien ihrem unwiderruflichen Ende entgegengeht, drängt es mich, zu erklären, dass sie mich von Anfang an verleumdet haben. Ja, ich habe den Mut, heute von dieser Tribüne aus zu sagen, dass ich viel eher Ausländerfreund als Ausländerfeind bin!«

Ein Murmeln und Surren ging durch den Saal, als flöge eine Schar Vögel aus dem Felde auf.

»Jawohl, meine Damen und Herren, ich schätze die Ausländer, habe vor dem Betreten des heißen Bodens der Politik ausländische Freunde gehabt und bin jederzeit bereit, die Tugenden von leistungsund integrationswilligen Migranten anzuerkennen, ja zu bewundern!«

»Hört! Hört!«-Rufe wurden laut, sensationelle Spannung bemächtigte sich der Abgeordneten und des Auditoriums, und Mr. Holborn, der kaum etwas verstanden hatte, fragte allen Ernstes den Doktor W., ob der Mann am Rednerpult Vertreter der Migranten sei.

Der Kanzler fuhr fort.

»Trotzdem, ja gerade deshalb wuchs im Laufe der Jahre in mir immer mehr und stärker die Überzeugung, dass wir nicht länger mit, unter und neben all jenen kulturfremden und leistungsunwilligen Ausländern leben können, die nur deshalb zu uns kamen, um die Vorzüge unseres hoch entwickelten Sozialstaats auszunutzen. Sie leben von unseren Steuergeldern und bilden mitten unter uns Parallelgesellschaften, die als Fremdkörper in unserem Sozialgefüge wuchern und uns schließlich versklaven würden. Wir Österreicher sind ein naives, treuherziges Volk. Verträumt, verspielt, der Musik und stiller Naturbetrachtung ergeben, fromm und bieder, gut und sinnig! Das sind schöne, wunderbare Eigenschaften, aus denen eine herrliche Kultur, eine wunderbare Lebensform sprießen kann, wenn man sie gewähren und sich entwickeln lässt. Aber die Migranten, und hier denke ich vor allem an die Muslime sind auf dem besten Wege, uns durch ihre unkontrollierte Zuwanderung und Vermehrung an den Rand zu drängen, unsere Herren zu werden und unser ganzes alltägliches und kulturelles Leben unter ihre Macht zu bekommen.«

Brausende »Bravo!«-Rufe; »Sehr richtig!« »So ist es!«

Kickler führte mit der knochigen Rechten das Glas zu den dünnen Lippen und sein halb spöttischer, halb befriedigter Blick kreiste im Saal.

»Sehen wir unser kleines Österreich von heute an. Wer belegt die Sozialwohnungen? Die Migranten! Wer sitzt in den Ambulanzen? Die Migranten! Wer bevölkert unsere Parks und Plätze? Die Migranten! Wessen Messer bringen Unsicherheit auf unsere Straßen? Die der Migranten! Wessen Gotteshäuser sind überfüllt, während in den unseren gähnende Leer herrscht? Die der Migranten! Wessen kulturfremde Bräuche verdrängen den Nikolo und das Christkind aus unseren Kindergärten? Die der Migranten! Wessen fremdsprachige Kinder behindern den Unterricht an unsere Schulen? Die der Migranten!

Verehrte Anwesende! Ich habe gesagt, dass ich den Migranten, an sich und objektiv betrachtet, für ein wertvolles Individuum halte und ich bleibe dabei. Aber ist nicht auch der Rosenkäfer mit seinen schimmernden Flügeln ein an sich schönes, wertvolles Geschöpf und wird er von dem sorgsamen Gärtner nicht trotzdem vertilgt, weil ihm die Rose näher steht als der Käfer? Ist nicht der Tiger ein herrliches Tier, voll von Kraft, Mut und Intelligenz? Und wird er nicht doch gejagt und verfolgt, weil es der Kampf um das eigene Leben erfordert? Von diesem und nur von diesem Standpunkt aus müssen wir die Ausländerfrage betrachten. Entweder wir oder sie! Entweder wir, die wir nicht einmal mehr drei Viertel der Bevölkerung ausmachen, müssen zugrunde gehen oder die unerwünschten Migranten müssen verschwinden! Und da wir jetzt endlich die Macht in den Händen haben, wären wir Toren, nein, Verbrecher an uns und unseren Kindern, wenn wir von dieser Macht nicht Gebrauch machen und jene Minderheit, die uns vernichtet, nicht vertreiben wollten. Hier handelt es sich nicht um Schlagworte und Phrasen, wie Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Toleranz, sondern um unsere Existenz, unser Leben, das Leben der kommenden Generationen! Die letzten Jahre haben unser Elend vertausendfacht, wir stehen vor dem Staatsbankrott, wir gehen der Auflösung entgegen, ein paar Jahre noch und fremde Mächte werden unter dem Vorwand, bei uns Ordnung schaffen zu müssen, über uns herfallen und unser kleines Land in Stücke reißen. Unberührt von allen Geschehnissen aber werden sich die Migranten auch dann noch weiter vermehren und uns Einheimischen auch unter den geänderten Verhältnissen das Leben zur Hölle machen!«