Das Landei - Florian Beckerhoff - E-Book + Hörbuch

Das Landei Hörbuch

Florian Beckerhoff

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Beschreibung

Die Traumfrau wartet, wo man(n) sie nie vermutet! Die romantische Komödie »Das Landei« von Bestsellerautor Florian Beckerhoff als eBook bei dotbooks. Das große Glück, was ist das eigentlich? Rob – der eigentlich Robert heißt und bitte nicht mehr Robbie genannt werden will – hat es geschafft: super Job, klasse Auto, tolle Wohnung … und das alles ganz weit weg von dem Dorf, aus dem er nach dem Abi so schnell wie möglich geflohen ist. Eigentlich fehlt ihm jetzt nur noch die richtige Frau an seiner Seite – aber die ist im Großstadtdschungel schwerer zu finden als eine Nadel im Heuhaufen. Und ganz, ganz sicher ist es nicht Gabi, die Tochter seines alten Mathelehrers, die damals seine Haschplantage im Schulgarten enttarnt hat. Aber plötzlich steht ausgerechnet dieses Landei vor ihm. Und dann wird’s kompliziert. Denn so ist das manchmal mit dem Glück … Jetzt als eBook kaufen und genießen: der Feelgood-Roman »Das Landei« von Florian Beckerhoff. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Zeit:4 Std. 47 min

Sprecher:Sebastian Blomberg

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Über dieses Buch:

Das große Glück, was ist das eigentlich? Rob – der eigentlich Robert heißt und bitte nicht mehr Robbie genannt werden will – hat es geschafft: super Job, klasse Auto, tolle Wohnung … und das alles ganz weit weg von dem Dorf, aus dem er nach dem Abi so schnell wie möglich geflohen ist. Eigentlich fehlt ihm jetzt nur noch die richtige Frau an seiner Seite – aber die ist im Großstadtdschungel schwerer zu finden als eine Nadel im Heuhaufen. Und ganz, ganz sicher ist es nicht Gabi, die Tochter seines alten Mathelehrers, die damals seine Haschplantage im Schulgarten enttarnt hat. Aber plötzlich steht ausgerechnet dieses Landei vor ihm. Und dann wird’s kompliziert. Denn so ist das manchmal mit dem Glück …

Über den Autor:

Florian Beckerhoff, geboren 1976 in Zürich, wuchs in Bonn auf. Nach seinem Studium der Literaturwissenschaften in Berlin und Paris promovierte er an der Universität Hamburg über literarische Schwerversprecher und arbeitete danach unter anderem als Sprachlehrer, Museumswärter und Werbetexter. Seinem Bestseller »Frau Ella«, der mit Matthias Schweighöfer verfilmt wurde, folgten zahlreiche Romane und Kinderbücher. Florian Beckerhoff lebt heute mit seiner Familie in Berlin.

Bei dotbooks veröffentlichte Florian Beckerhoff seine Romane »Frau Ella« und »Ein Sofa voller Frauen«; weitere Titel sind in Vorbereitung.

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eBook-Neuausgabe März 2022

Copyright © der Originalausgabe 2011 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Das Zitat auf Seite 244 ist entnommen aus: Homer, DIE ODYSSEE. Deutsch von Wolfgang Schadewaldt. Copyright © 1958 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Dean Drobot, photo_jeongh, ARTvector, Svestol, Kalinin Ilja, Look Studio

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96655-989-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Florian Beckerhoff

Das Landei

Roman

dotbooks.

»Home is just another word for you.«

Billy Joel

Kapitel 1

»Ja«, lächelte Marietta. »Du warst großartig.«

Arm in Arm standen sie auf dem Vorplatz des Kongresszentrums und warteten auf ihr Taxi. Neben ihnen klappte eine letzte Hostess den Aufsteller zusammen, der den Weg zu seinem Vortrag gewiesen hatte. Das Foto zeigte Robert glattrasiert mit offenem Hemd und glänzend angelegtem Haar. Darunter standen Datum und Uhrzeit, Buchstaben und Ziffern des Raumes, in dem er wieder einmal in viele erstaunte Gesichter geblickt hatte. Man musste die einfachen Wahrheiten aussprechen, um zu überraschen, und das war wieder einmal bestens gelaufen. Robert war zufrieden mit sich, auch wenn es ihn immer anstrengte, nach einem Tag in der Agentur noch vor Publikum erklären zu müssen, wie einfach das alles wirklich funktionierte, der Mensch und seine Bedürfnisse, wenn man nur wusste, wie.

Marietta hatte sicher recht. Sie musste recht haben. Sie war so schön, diese Frau an seiner Seite, die er sich nicht perfekter hätte ausdenken können. Er spürte ihre Schulter durch die Wolle seines Mantels, roch das teure Parfüm. Den Kopf im Nacken zwinkerte sie ihm zu, ließ den Blick frei auf die zarte goldene Kette, das kleine Herz am Ansatz ihres makellosen Busens. Früher hätte er nicht zu träumen gewagt, von einer solchen Frau überhaupt wahrgenommen zu werden, und doch hatte er genau das gewollt. Und geschafft.

»Sollen wir nicht gleich nach Hause?«, fragte er.

»Wie bitte?«

»Ich bin müde.«

»Ist das dein Ernst?«

»Natürlich. Warum denn nicht?«

»Warum nicht, Rob? Es ist Freitagabend.«

»Und?«

Ungläubig sah sie ihn an.

»Wer geht denn bitte Freitagabend um diese Uhrzeit nach Hause?«

»Wir, wir beide. Komm Marietta, ich hab einfach keine Lust mehr. Was soll das Ganze?«

»Das meinst du ja nicht wirklich. Du bist nur ein bisschen erschöpft und denkst jetzt, tiefsinnig zu sein. Glaub mir, ein guter Drink, und du bist wieder du.«

Vermutlich hatte sie schon wieder recht. Ganz sicher sogar. Zu oft verwechselte er in letzter Zeit Erschöpfung mit Nachdenklichkeit, dachte, dass etwas nicht ganz stimmte. Ja, da war es wieder, dieses unsinnige Gefühl, dass er seine Sache leider in einem falschen Leben sehr gut machte. Dass er sich selbst betrog mit seinem nach außen hin so makellosen Auftritt. Der naivdumme Junge vom Lande, der sehnsüchtig Suchende in ihm war noch immer nicht ganz besiegt, meldete sich zu Wort, wenn er nicht aufpasste. Robert wusste, es wäre Unsinn, seinen sentimentalen Grübeleien nachzugeben, anstatt die Belohnung für all die Arbeit zu genießen. Es wäre gefährlich. Man musste sich zusammenreißen. Man hatte schließlich nur ein Leben.

»Entschuldigen Sie bitte«, hörte er da eine ältere Frauenstimme.

Gleich neben sich entdeckte er eine kaum anderthalb Meter große Alte mit ein paar Zetteln in der Hand. Marietta wandte sich ab.

»Würden Sie bitte unterschreiben, gegen die Zerstörung unserer Gärten?«

Er hatte den Moment verpasst, sie einfach zu ignorieren. Man musste hellwach sein, um unangreifbar zu bleiben. Selbst hier draußen vor den Toren der Stadt. Jetzt hatte die Alte ihn gestellt, sah ihn mit glänzenden Augen an.

»Gärten?«, fragte er.

»Unsere ganze Kolonie. Sie wollen dort schicke Büros bauen, wo doch die Vögel sich so wohlfühlen. Wir haben unseren Garten seit zweiundsechzig Jahren.«

Langsam begriff Robert, worum es ging. Anwohner versuchten ein Immobilienprojekt zu verhindern. Das Ganze war keine ganz saubere Geschichte, doch er unterstützte die Pressearbeit als Berater. Er konnte unmöglich gegen sich selbst unterschreiben. Schnell fingerte er einen Schein aus der Hosentasche.

»Hier, nehmen Sie.«

»Junger Mann, bitte, ich brauche kein Geld, nur eine Unterschrift für meinen Garten. Nur Ihren Namen.«

Da stand sie vor ihm, mitten in der Nacht in dieser gottverlassenen Gegend, in der zitternden Hand diese Zettel, die ohnehin nichts verhindern würden. Und plötzlich griff Robert nach dem Füller in der Innentasche seines Mantels, füllte die ganze Zeile wahrheitsgemäß aus, zögerte dann kurz und schloss mit einer falschen Unterschrift. So würde er sich notfalls herausreden können. Hoffentlich.

»Gott segne Sie, junger Mann«, sagte die Alte und lächelte. »Genießen Sie Ihr Leben und lassen Sie Ihre Frau nicht warten!«

Erst jetzt bemerkte Robert das Taxi am Straßenrand. Marietta saß längst im Fond und winkte hektisch. Als er sich noch einmal umblickte, war die Alte verschwunden. Gott segne Sie!

Im Taxi unterwegs ins Zentrum der Stadt schwiegen sie. Doch schon die Lichter am Boulevard vertrieben die Erinnerung an diese seltsame Begegnung, die ganze Tristesse des Kongresszentrums und so auch Roberts überflüssige Gedanken. Natürlich war es das richtige Leben! Mit dieser Frau! Hier in der Stadt! Seiner Stadt! Selbst jetzt noch tummelten sich die Menschen auf den breiten Bürgersteigen, genossen teils in Decken gehüllt ihre Getränke im Freien, sahen und wurden gesehen, jeder auf seine Art, allesamt glückliche Teile des großartigen Treibens. Natürlich ging man da nicht nach Hause!

»Was wollte denn die Hutzlige vorhin?«, fragte Marietta schließlich.

»Nichts. Den Weg zurück ins Heim.«

»Scheint ja nicht gleich um die Ecke gewesen zu sein.«

»Was meinst du?«

»Das Heim. So lange, wie du gebraucht hast.«

»Sie war schließlich alt.«

»Ich wusste gar nicht, dass du so ein Typ bist.«

»Was bin ich denn für ein Typ?«

»Einer, der alten Frauen über die Straße hilft.«

»Marietta, sie hat mich nach dem Weg gefragt, verdammt!«

Als sie vor dem Olymp aus dem Taxi stiegen, zog sich die Schlange der vergeblich Wartenden schon bis zur nächsten Straßenecke. Noch schützte eine strenge Tür die Bar vor der von Woche zu Woche stärker andrängenden Masse, und bei aller Müdigkeit und trotz Mariettas schlechter Laune genoss es Robert, seine Frau auf direktem Weg zum Fahrstuhl zu führen. Sie brauchten jetzt dringend einen Drink. Beide. Schnell.

Am Ende der Schlange grüßte der Empfangschef höflich. Dann schlossen sich auch schon die Türen hinter ihnen und der gläserne Kubus nahm Fahrt auf. Kurz darauf lag die Stadt als glitzerndes Meer zu ihren Füßen. Ein Glücksversprechen, fast bis zum Horizont. Wie konnte er nur denken, dass dieses Leben nicht das richtige war?

Der Tresen der Bar im siebzehnten Stock zog sich als Kasten aus poliertem Mahagoni von Glasfront zu Glasfront durch den ganzen Raum, hob sich dunkel ab vom sanften Cremeweiß des leicht unter den Schuhen nachgebenden Schaumstoffbodens. Silbern glänzten die Metallgestänge der mit indigofarbenem Fell bezogenen Sessel. An den Wänden aus Gussbeton hingen abstrakte Gemälde in Übergröße. Robert entdeckte die Freunde am anderen Ende des Tresens, hinter ihnen das Panoramafenster, dahinter die Lichter der Stadt. Noch weiter in Richtung Horizont, wo in Dunkelheit das Land lag, reflektierte die Scheibe das Innere der Bar. Da sah er sich selbst, größer als die meisten anderen Gäste, schlank und in perfekt sitzendem Anzug, sah sich, wie er dieser wunderschönen Frau aus dem Mantel half. Auch er legte ab und gab der Garderobiere großzügig Trinkgeld.

Marietta zog ihn in Richtung der Freunde. Laut und fröhlich grüßte sie, platzierte ihn auf einem Barhocker, von dem aus er lächelnd in die Runde nickte. Schon nach dem ersten Schluck von seinem Manhattan fühlte er endlich die Zufriedenheit in sich, wieder etwas geschafft zu haben. Achtlos folgte er der Unterhaltung seiner Freunde, trank immer weiter und, ja, er hatte wirklich das Gefühl, dass es ihm gutging.

»Auf das verdiente Wochenende!«, sagte nach einigen Drinks ein etwas jüngerer Typ neben Robert und hob das Glas in seine Richtung.

»Und wer meinst du, melkt dann die Kühe?«, fragte Robert.

»Kühe?«

»Na, am Wochenende. Wer melkt die Kühe, wenn der Bauer saufen geht?«

»Keine Ahnung. Wie ein Bauer siehst du jedenfalls nicht gerade aus.«

»Nicht äußerlich, aber hier«, sagte Robert und zeigte auf sein Herz. »Hier bin ich Bauer geblieben. Eins mit mir und meiner Scholle, auch am Wochenende, immer.«

Sein Gegenüber musterte ihn, auf der Suche nach einem Einstieg in diese ernsthafte Unernsthaftigkeit, die ihn aus dem Konzept brachte, zumal die anderen in der Runde ihnen amüsiert zuhörten.

»Du meinst von wegen keine Entfremdung der Arbeit? Weil du deinen eigenen Laden hast?«

»Ach, vergiss es«, winkte Robert ab, der sich schon jetzt über seine Bemerkung ärgerte.

»Du hast ja recht. Natürlich ist das irgendwie krank, das ganze Spiel mitzuspielen, aber was ist denn die Alternative? Ich meine, das ist doch alles Mist heute, und dann ist es wirklich ehrenwert, den Mist ganz gut zu machen.«

»Weißt du was?«, fragte Robert da wie von selbst und ignorierte Mariettas Hand auf seinem Bein. »Wegen Typen wie dir, nur wegen so falscher Typen wie dir ist das alles Mist. Verlogene, zynische Abstauber, die an nichts glauben als an sich selbst, Menschen, die die Oberfläche verachten, weil sie meinen, etwas Besseres zu sein.«

Plötzlich schwiegen sie alle. Verwirrt sahen sie ihn an, taten aber so, als lauschten sie der Musik, dem Geplapper der anderen Gäste, dem Klackern und Schmatzen des Cocktailshakers. Das waren seine Freunde, allesamt erfolgreiche Spieler auf den besseren Plätzen der Stadt, in den höheren Etagen oder auf dem Weg dorthin, und er war aus der Rolle gefallen. Einfach so, und unangenehm war ihm das nicht, sie dumm gucken zu sehen, regelrecht schockiert wegen seines kleinen Scherzes. Er war gespannt, was jetzt passieren würde, doch leider zerstörte Marietta mit ihrem spitzen Kichern das schöne Schweigen viel zu schnell. Erleichtert stimmten sie einer nach dem anderen ein in das etwas zu laute Lachen. Man klopfte ihm kumpelhaft etwas zu fest auf die Schulter und bestellte etwas zu souverän weitere Runden. Ja, er war wirklich gut in Form heute.

»Du bist schon einer!«, lachte dieser Typ. »Ganz oben dabei und trotzdem drüber Späßchen machen. Und das mit dem Bauer ist ja mal hammermäßig. Das klau ich dir irgendwann noch für irgendeine Kampagne von wegen verkaufsoffener Sonntag.«

Einige Stunden und viele Manhattans später, zurück in seinem Penthouse im Zentrum der Stadt, liebte Robert Marietta mit einer Perfektion, die ihn selbst beeindruckte. Der große Spiegelschrank reflektierte sie auf dem schwarz glänzenden Seidenlaken, er selbst aufrecht, Marietta vor ihm, entrückt und makellos. Sie zeigte ihm, was er wirklich wollte. Mit ihr lebte er seinen Traum, doch während sie anschließend zufrieden einschlief, blieb er wach liegen, fragte sich, was ihn da vorhin in der Bar getrieben hatte. Glaubte er denn wirklich an das, was er tat? Was hieß überhaupt glauben? Was sollte er denn sonst tun? Natürlich glaubte er an sich. Allein der Gedanke an sein altes Leben, seine spießigen Eltern auf dem Land, seine peinlichen Auftritte als Kleinkünstler, die einsamen Nächte, allein das sollte doch reichen, ihn jetzt zufrieden einschlafen zu lassen. Er hatte allen Grund, stolz auf sich zu sein. Und doch war da plötzlich eine Art Sehnsucht nach damals, nach diesem erfolglosen Leben als zielloser Tagedieb, das er so glücklich überwunden hatte, eine Sehnsucht, die ihn schließlich aufstehen, seinen weißen Seidenbademantel anziehen und ins Wohnzimmer gehen ließ.

Die Kiste mit den alten Kassetten fand er ganz hinten im Schrank. Ohne jedes System waren die klobigen schwarzen Klötze in den unterschiedlichsten Farben beschriftet, teils mehrere Filme auf einem Band, die Etiketten schmutzig, nachlässig wie sein vergangenes Leben. Ein für alle Mal musste geklärt werden, was ihn daran noch reizen konnte. Schließlich fand er die Kassette, die er gesucht hatte.

Nach einigen Sekunden schwarzweißen Schneegestöbers erschien grobkörnig eine Bühne auf dem Flachbildschirm, spärlich beleuchtet mit wenigen Kerzen. Im Rücken der Kamera wurde geredet, ungeduldige Rufe, gespielt hysterisches Kreischen einzelner Mädchen. Dann trat ein hagerer Kerl ganz in Schwarz ins Bild, die dunklen Haare halblang bis über die traurigen Augen, eine akustische Gitarre in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand, und setzte sich auf den bereitstehenden Barhocker. Das Publikum verstummte, und ohne jede Begrüßung legte er los, hieb plötzlich auf die Saiten ein und schrie pathetisches wie sinnloses Zeug in den Raum hinein.

When one and one is three

One minus one leads to eternity

The world is what we try

And what we want to beeeee…

Die schlaksigen Gliedmaßen des Sängers zuckten um den Barhocker herum wie die Tentakel eines betrunkenen Kraken, er schaukelte bedenklich hin und her, brüllte sich die Seele aus dem Leib. Ja, das war er, so hatte er wirklich ausgesehen, so hatte er sich aufgeführt, und er war ganz eindeutig überzeugt von dem, was er von sich gab. Damals hatte er wirklich geglaubt.

Ohne den Blick vom Bildschirm abzuwenden, griff Robert neben sich in die Hausbar, nahm irgendeine der vielen Flaschen, fummelte den Korken aus dem Hals und gönnte sich einen tiefen Schluck. Doch auch der Cognac versöhnte ihn nicht mit dem, was er sah. Nicht ein Hauch von Stil lag in der verrauchten Luft des Studentenkellers. Immer wieder meinte er sogar, im Publikum leises Kichern zu hören, auch wenn das gar nicht passte. Und dann, plötzlich, lachte jemand klar und deutlich, laut und spitz, direkt hier, in seinem Wohnzimmer. Erschrocken drehte er sich um, erblickte im Türrahmen Marietta, nackt bis auf das Goldkettchen.

»Bist du das?«

»Was?«, fragte er und drückte hektisch die Fernbedienung.

»Lass doch! Der komische Junge, bist du das?«

»Quatsch.«

»Ach komm, Rob. Wer soll das denn sonst sein?«

»Ein Idiot. Irgendein lächerlicher Idiot.«

»Doch, doch, das bist du, Darling«, lachte sie. »Zeig bitte noch einmal.«

»Hör auf, Marietta!«

»Ich wusste gar nicht, dass du ein Künstler bist.«

»Vergiss es einfach.«

»Ach, Darling«, seufzte sie und massierte seinen Nacken, fuhr ihm mit der Rechten in den Bademantel. »Vor mir musst du nicht den starken Mann spielen. Ich mag es doch auch, wenn du alten Frauen hilfst. Wirklich. Du musst dich nicht schämen!«

»Warum sollte ich mich schämen?«, fragte er und machte den Fernseher aus. »Das bin ja nicht ich.«

»Ja, ich ist manchmal ein anderer«, lächelte sie. »Aber das musst du selber wissen.«

Dann zog sie ihn hoch und hinter sich her zurück ins Schlafzimmer. Sie hatte recht, und trotzdem wäre er lieber sitzen geblieben, alleine vor dem Fernseher mit seiner Vergangenheit.

Kapitel 2

Eine Woche später stand Marietta mit gepackter Reisetasche vor ihm an der Wohnungstür.

»Weißt du, was du bist?«, rief sie aufgeregt. »Du bist peinlich, Rob!«

»Peinlich?«, fragte er ruhig, da er sicher war, dass sie auch diesmal ihre Tasche wieder auspacken würde.

»Unglaublich peinlich, wie ein pickliger Junge. Immer dieses Getue! Nur Getue!«

»Bis jetzt warst du doch ganz glücklich über mein Getue, oder fährst du doch lieber unparfümiert mit dem Fahrrad zur nächsten Frittenbude?«

»Mein Gott, bist du peinlich. Das ist so unreif! Du bist ja gar kein Mann!«

Und dann war sie plötzlich einfach weg, hörte er immer leiser das Klappern ihrer Absätze im Treppenhaus. Noch nicht einmal auf den Aufzug hatte sie warten wollen. Ungläubig wandte Robert sich ab von der Wohnungstür, die er trotz allem angelehnt ließ. So weit war sie bis jetzt nie gegangen. Vielleicht war das ja das Problem.

Er hatte ihr lediglich zu verstehen gegeben, dass es sie nichts anging, was für ein Depp er früher gewesen war. Doch sie hatte mehr wissen wollen über seine Vergangenheit, um sich weiter über ihn lustig zu machen. Warum konnte sie ihn nicht einfach lassen, wie er war? Ausgerechnet sie, die ihr ganzes Leben zwischen Spiegel und Laufsteg verbrachte und der er alles geboten hatte, wollte echte Emotionen! Nach dieser unnötigen nächtlichen Begegnung vor dem Fernseher hatte sie plötzlich wissen wollen, woher er kam, wie er als Kind ausgesehen hatte und wovon er träumte. Als hätte das irgendeine Bedeutung. Als ginge sie das irgendetwas an.

Später lag Robert zum ersten Mal seit über einem Jahr sonntags alleine in seinem Bett, ohne jede Lust, aufzustehen, laufen zu gehen, irgendetwas zu tun. Er schaffte es nicht, sich aufzuraffen, bis plötzlich anstelle von Mariettas Traumfigur er selbst neben sich lag. Ja, sein vergangenes Selbst kuschelte sich an ihn heran, legte ihm die Arme um die Schultern, bedrängte ihn. Natürlich waren das unsinnige Gedanken, aber Robert fehlte jede Kraft, sich zu befreien, einfach aufzustehen, die Vergangenheit mit kaltem Wasser von sich zu spülen, in die Kanalisation der Stadt, in den Fluss und ins Meer, so weit weg wie nur möglich. Da lag er neben ihm, der schwarzgekleidete, nach Patchouli stinkende Schlaks, der er gewesen war, und sah ihn an mit traurigen Augen, als wolle er ihm etwas vorwerfen.

»Und?«, hörte er sein altes Ich fragen. »Macht das jetzt mehr Sinn?«

»Was?«

»Dein neues Leben. Der große Erfolg.«

»Es sind immer die Erfolglosen, die sich über die lustig machen, die es geschafft haben.«

»Oho! Der Schaffer greift an. Du Held unserer Zeit!«

»Du kannst mich mal. Du bist tot«, sagte Robert und versuchte, sich endlich zusammenzureißen.

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Denn plötzlich gingen seine Gedanken noch weiter zurück, verwandelte sein Bettnachbar sich in den leicht übergewichtigen Jungen mit unregelmäßigem Bartwuchs, der er zu Hause auf dem Land gewesen war. Robert ekelte sich und verdrängte schnell die Gedanken an all das pubertäre Unglück, erinnerte sich lieber an den Tag der ersehnten Erlösung, sah Golo, den besten Jugendfreund, am Steuer des alten Wagens, mit dem sie auf die Autobahn auffuhren. Golo damals schon mit langen roten Locken und Batiktuch um die Stirn, Robert selbst noch in Jeans und weißem T-Shirt.

»Wir sind frei!«, schrie Golo immer wieder, hielt jauchzend den Kopf in den Fahrtwind und trommelte zur Musik ihres Lieblingssenders auf dem Lenkrad herum, dass Robert um sein Leben fürchtete. »Robbie! Wir sind jetzt endlich frei! Zur Hölle mit den Landeiern!«

Langsam war das Signal des Senders immer schwächer geworden. Erst in Tunneln und zwischen Hügeln, dann auch auf flachem Land, hatten sich andere Signale durchgesetzt gegen die Stimmen, die ihnen jahrelang von der Welt erzählt hatten. Endlich ließen sie die Ödnis hinter sich. Ja, Golo zog ihn mit sich, weg von den Eltern, der Schule, dem Kaff und in die große Stadt, die Freiheit, in der er jetzt vor sich hingrübelte, anstatt sich glücklich mit Frauen wie Marietta zu vergnügen.

Am Abend dieses Sonntags hatte Robert sich schon mehrmals versichert, dass die beharrlich schweigende Türklingel auch funktionierte. Kein Lebenszeichen von Marietta. Nichts. Mittlerweile war er so weit zermürbt von seinen Grübeleien, dass er zum ersten Mal seit Jahren mit dem Gedanken spielte, auf ein Bier in ihre alte Stammkneipe, die Grotte, zu gehen. Alleine im Bett würde er jedenfalls nicht mehr glücklich.

In Hemd, Jeans und Lederjacke machte er sich schließlich auf den Weg. Die Grotte lag noch immer abseits der beliebten Gegenden im Zentrum, auch wenn man langsam mit dem Gedanken spielen konnte, hier zu investieren. Nicht mehr lange und mit der gammeligen Stille, in der er sich so wohl gefühlt hatte, wäre es vorbei. Da wurde er plötzlich panisch, fürchtete, die Grotte geschlossen zu finden, zu spät zu kommen, an ihrer Stelle einen Sandwich- oder Kaffeeladen sein Neonlicht auf das Pflaster des Platzes werfen zu sehen. Robert ging schneller, hastete fast durch die letzte Gasse, die auf den kleinen Platz führte, auf dem sie im Sommer die Abende verbracht hatten, und sah endlich erleichtert die Blumenkästen aus Waschbeton, in denen schon damals nichts mehr geblüht hatte. Golos Liebeserklärung an eine seiner vielen unerreichbaren Verehrten zierte in roter Farbe noch immer den grauen Stromkasten: Jenny, es ist doch nur Liebe!

Schon damals hatte er nicht verstanden, was Golo genau damit sagen wollte. Seinem Ziel, der Eroberung der Pillen-Jenny, war er jedenfalls auch auf diesem Weg kein Stück näher gekommen. In dieser Hinsicht waren sie lange Zeit ähnlich erfolglos gewesen. Damals. Robert wandte sich ab und erblickte endlich auch den Namen ihrer Kneipe in Schwarz auf dem an der bröckeligen Fassade flackernden Leuchtkasten aus vergilbtem Plastik. Ja, die Grotte existierte noch.

Robert war der einzige Gast, grüßte dennoch lautlos ins Halbdunkel hinein und setzte sich an den Tresen, ganz rechts an der Wand. Damals, zu Anfang ihrer Zeit in der Stadt, hatten die niedrigen Bierpreise Golo und ihn hierhergelockt, in dieses ausgediente griechische Lokal, an dessen Tischen schon lange nur noch getrunken wurde. Die Vorpächter hatten den ganzen Raum höhlengleich mit einer gipsartigen grauen Masse verspachtelt. Anstelle glatter Wände mit klaren Ecken und Kanten wölbten sich raue Rundungen, Hohlräume öffneten sich, aus denen Petroleumlampen flackerten, Simse boten Platz für Nippes, Kerzen und Postkarten von Stammgästen, die es für ein paar Wochen in die weite Welt geschafft hatten.

»Sonntagabend ohne Glotze kannste vergessen«, hörte er da eine Stimme krächzen und entdeckte an einem der Tische im dunklen Teil des Lokals einen Mann mit langen grauen Haaren und eingefallenen Wangen, der jetzt aufstand und hinter den Tresen trat.

»Ja?«

»Das ist wie früher, nur umgekehrt. Als nur irgendeine Tante ein Gerät hatte, bei der sich dann die ganze Familie traf. Heute hat jeder ein Gerät, aber keiner mehr eine Tante. Deshalb glotzen sie in der Kneipe.«

Jetzt erst begriff Robert, dass er mit Willi redete, dem Wirt, der ihn anscheinend auch noch nicht erkannt hatte.

»Bei Ihnen aber nicht?«

»Nee du, so weit kommt’s noch. Vorm Fernseher saufen, das ist was für Alkoholiker. Und bitte, Robbie, nur weil ich scheiße aussehe, musst du mich nicht siezen.«

»Klar, ich dachte nur.«

»Trink lieber, Junge. Denken hilft selten. Ich habe noch jeden wiedererkannt. Und guck nicht so, als wär jemand gestorben. Wer gerne raucht, muss auch gern sterben, oder? Aber jetzt sag schon, was los ist. Du siehst nicht so aus, als wärst du zum Vergnügen hier.«

Und dann redete Robert einfach drauflos, wusste selbst nicht, wie er dazu kam, diesem halbtoten Kneipier zu erzählen, was ihn plötzlich für Gedanken heimsuchten. Aber Willi kannte das, Willi tat so, als seien die letzten Jahre nie gewesen, Willi rauchte und hustete und zapfte Bier und spendierte hin und wieder einen Kurzen.

»Ich meine, guck mal, Robbie«, sagte er schließlich, nachdem Robert ihm erklärt hatte, worum es im Wesentlichen ging, und sie schweigend ein weiteres Bier getrunken hatten. »Frauen sind doch schon so kompliziert genug.«

»Ja und?«, fragte Robert, der nicht dahinterkam, was Willi ihm sagen wollte. »Außerdem heiße ich Rob.«

»Mir hast du dich damals als Robbie vorgestellt. So was vergesse ich nicht, sonst könnt ich gleich dichtmachen. Ist mir einmal passiert, so ein Typ Ende fünfzig, immer braunes Wildlederblouson, weißer Borsalino und halbgetönte Brille, immer Mentholzichten, zwei Fernet und ein Pils mit nem Schuss Waldmeister. Der grüne Heinrich war das, und ich hab ihn auf nen Freitag mal aus Versehen Heinz genannt. Der ist nie wieder gekommen. Da verstehn die Leute keinen Spaß. Weil so ein Name, das ist am Ende alles, was man hat. Aber gut, von mir aus Rob, jedenfalls muss man, wenn man sich so wie du anscheinend mal eben ganz neu erfindet, doch nicht auch noch eine Perle nehmen, die komplett anders ist. Exotik, das ist eher was zum Gucken. Such dir jemand, der so ist wie du, der weiß, wie du funktionierst, wie dein Fundament aussieht.«

»Wie jetzt?«

»Na, so halt. Du weißt doch am besten, wo du her bist.«

»Du meinst, eine von hier?«

»Unsinn, Robbie! Nicht von hier. Nimm dir ganz einfach ein Mädchen von zu Hause, aus der Heimat.«

»Die Stadt hier ist verdammt noch mal meine Heimat.«

»Nee du«, schüttelte Willi seine graue Mähne und zapfte eine seiner schönen Kronen auf Roberts nächstes Bier. »Heimat, das ist nicht da, wo du sein willst, das ist da, wo du her bist.«

»Meinst du jetzt das Kaff, oder was?«

»Zurück zu den Wurzeln, Robbie, genau das. Ich hab das erst nach zwanzig Jahren Höhlenleben auf den Kanaren kapiert.«

Robert griff nach dem Bier, ehe Willi es auf den Deckel stellen konnte, und gönnte sich die erste Hälfte in einem Schluck.

»Unmöglich«, sagte er. »Dann lieber ganz ohne Frau. Und bitte vergiss ein für alle Mal Robbie!«

Aber all die Sprüche und weiteren Biere waren stumpfe Schwerter im Kampf gegen diesen einen Gedanken. Robert schwieg und trank, und schließlich zahlte er und stand auf von seinem Barhocker.

»Man sieht sich«, verabschiedete ihn Willi.

»Klar«, sagte er und hob, schon unterwegs zur Tür, die Hand zum Gruß.

Als er Willi husten hörte, drehte er sich noch einmal um. Der Wirt stand gekrümmt hinter dem Tresen, die brennende Zigarette im Mundwinkel.

»Das wird schon wieder«, röchelte er.

»Du sagst es«, flüsterte Robert, winkte noch einmal, ließ dann endlich die Tür zufallen und machte sich auf den Heimweg. Immerhin regnete es nicht.

Zurück in seiner Wohnung, ließ Robert die Glastür zur Dachterrasse aufgleiten und trat unter den Himmel, der bei Stromausfall oder auf dem Land sternenklar gewesen wäre, wie zu Hause über ihrer Lichtung im Wäldchen, wo sie besoffen und bekifft ganze Nächte lang auf dem Rücken gelegen und Pläne geschmiedet hatten, bevor sie dann wirklich aufgebrochen waren. Er und Golo. Golo und er. Hier jedenfalls lag der Himmel dicht über den Häusern, hier schafften es nur die stärksten Sterne, sich gegen das milchige Licht der Stadt durchzusetzen.

Eigentlich hatte er es geschafft. An seinem Großstadthimmel strahlte Robert heller, als die meisten anderen von sich behaupten konnten. Es gab nichts, was seine Aussicht verstellte. Kein Nachbar, der ihm in die Wohnung guckte, kein Vermieter, kein Vorgesetzter. Ja, er war ein freier Mann. Und dennoch, ausgerechnet jetzt, als er nach all den Jahren endlich am Ziel war, gerade jetzt verlor er seine gute Laune. Und das wegen der Frauen. Wegen einer Frau. Marietta. Es war lächerlich, und er versuchte zu grinsen. Erfolglos. Robert ging zurück in die Wohnung, schenkte sich widerwillig noch einen Wodka ein und nahm das Glas mit ins Schlafzimmer. Kurz versuchte er, sich über die üblichen Erotik-Clips zu amüsieren. Er musste an Marietta denken und schaltete um. Schließlich schlief er ein zu den Tönen eines Heimatfilms.

Kapitel 3

Der Tennisclub lag schon fast im Grünen, wo die Stadt langsam ins Land überging. Die Häuser verloren an Höhe, überall sah man freie Parkplätze, einmal sogar eine alte Scheune, eine Dorfkirche. Endlich wirkten die Kopfschmerztabletten, und Robert schaffte es, sich kurz über die frische Luft zu freuen, darüber, dass sie zu dieser Jahreszeit draußen spielen konnten und Golo natürlich Zeit für ihn hatte. Im Bett liegend hatte er ihn angerufen, anschließend einen Platz für den späten Nachmittag reserviert. Noch war es warm genug.

Schon vom Parkplatz aus sah er Golo mit seinem weißen Stirnband. Auch Schuhe, Hose und Hemd waren weiß, nach Vorschrift im Verein in der Kreisstadt, wo Golo als ordentliches Mitglied gespielt hatte. Robert hatte erst später, nach persönlicher Fürsprache von Golos Vater, als Gast mitspielen dürfen. Seine Eltern hätten sich die Mitgliedsbeiträge nicht leisten können. Die teure Ausrüstung sowieso nicht. Golos nicht mehr ganz sauberes Hemd spannte auffällig über seinem nicht mehr ganz kleinen Bauch, und auch wenn das nichts Neues war, wunderte Robert sich doch immer wieder darüber, dass seinem Freund gar nichts peinlich war, er überhaupt so ganz und gar nicht auf sich achtete. Er war einfach, wie er war, und war ja auch zufrieden. Solange er im Tennis gewann und abends sein Bier bekam.

»Wollen wir dann?«, fragte Golo, während Robert noch sein Dehnprogramm absolvierte, um sich nicht auch noch körperlich zu verletzen.

»Willst du dich nicht aufwärmen?«

»Ich denke, lieber nicht. Ganz ohne Risiko ist Sport doch nur halb so interessant.«

Als Robert dazu nichts weiter sagte, trottete Golo an seine Grundlinie und unterhielt sich mit einer Katze auf der anderen Seite des Zaunes.

Dann legten sie los. Golo mit seiner nach wie vor lehrbuchmäßigen Technik, vor- wie rückhändig elegant, Robert, der Kämpfer, der keine Mühen scheute, die Rückhand zu umlaufen, die Vorhand mit aller Wucht kurz vor die Grundlinie zu setzen und ans Netz zu stürmen, wo Golo ihn passierte oder eben nicht. Das hielt sich meist die Waage. Nur spürte Robert heute das Bier und den Schnaps des Vorabends im Blut, verpasste ein ums andere Mal den richtigen Moment, um loszustürmen, drosch eine Vorhand nach der anderen in den Himmel. Die Hälfte ihrer Bälle lag schnell im angrenzenden Wald.

»Ist dir nicht gut?«, fragte Golo, entspannt auf der vergilbt weißen Plastikbank sitzend, nachdem er den ersten Satz für sich entschieden hatte.

»Marietta ist weg.«

»So fand sich das Ende deiner spanischen Phase?«

Golo grinste unter seinen langen roten Locken. Seine Augen strahlten hinter der silbernen Nickelbrille aus Fensterglas, die er mit einem Einmachgummi um den Hinterkopf fixiert hatte. Dazu diese seltsam hochgestochene Sprache.

»Ich hab’s vor die Wand gefahren.«

»Du bist nun mal ein seltenes Exemplar der Spezies Phasentier, aber bislang hast du noch immer recht schnell ein neues Betätigungsfeld erschließen können«, sagte Golo und drehte sich eine seiner tiefschwarzen Zigaretten.

»Weißt du, was sie wollte?«

»Ich wage nicht zu raten.«

»Sie wollte wissen, wie ich als Kind ausgesehen habe.«

Golos etwas unbeholfener Gesichtsausdruck signalisierte ihm auch durch den stinkenden Tabakqualm hindurch deutlich, dass selbst sein alter Freund damit nicht gerechnet hatte.

»Na und? Taugten die alten Bilder ihr zum Schrecken?«

»Was denn für alte Bilder?«

»Na, die aus deiner Kindheit.«

»Warum sollte ich ihr Bilder aus meiner Kindheit zeigen?«

»Ich dachte, sie fragte danach.«

»Hat sie auch.«

»Und was geschah?«

»Ich hab sie ihr natürlich nicht gezeigt! Es gibt gar keine Bilder aus meiner Kindheit, und wenn, dann gehen die sie einen Dreck an.«

»Und da wollte sie dir keinen Glauben schenken?«

»Was weiß ich denn, was sie glauben wollte? Sie wollte jedenfalls wissen, wie ich früher war, woher ich komme. Vielleicht ist das in unserem Alter ja normal. Ist das normal?«

»Was nennt das Volk schon normal? Die absolute Entblößung in Liebesdingen? Möglich, aber ist das Normale erstrebenswert? Wir sind doch jedenfalls nicht ausgezogen, andauernd zurückzublicken.«

»Sie meinte, ich sei gar kein Mann.«

»Was?«

»Ja, das war sozusagen ihr Schlusswort. Entweder hat sie einen Knall, oder ich mache etwas falsch. Vielleicht mache ich ja wirklich etwas falsch.«

Golo setzte die Wasserflasche an und ließ sich besonders viel Zeit, als bräuchte er die, um nachzudenken. Robert fragte sich, was er da gerade alles erzählt hatte und ob das sein Ernst sein konnte.

»Unglaublich«, sagte Golo schließlich. »Ich hätte nicht gedacht, dass es so schnell passieren würde, aber ich war doch sicher, der Tag würde kommen.«

»Was für ein Tag?«

»Der Tag, an dem du zweifelst. Ich kenne dich einfach schon zu lange. Mir war klar, dass dir die Portion Zynismus fehlt, um diesen hübschen Hochglanz-Lebenskuchen in Gänze aufgehen zu lassen.«

»Was denn für ein Lebenskuchen?«

»Dieses ganze Konstrukt, das du dir da gebaut hast. Deine pseudo-postadoleszent abgeklärte Lebensphase. Die tollen Frauen, die schicke Agentur, deine Wohnung, deine Uhren.«

»Was hat das denn mit meinen Uhren zu tun?«, fragte Robert ehrlich verwirrt.

»Du nimmst sie ernst. Du bist einfach kein Spieler, noch nie gewesen. Du möchtest wirklich glauben, aber Glauben, das ist in deinem neuen Leben nur eine Facette der Außendarstellung. Das bist nicht du, der da erfolgreich ist. Ganz im Ernst, Robert, wir wissen doch beide, dass du nicht der zynische Meister des schönen Scheins bist, der zu sein du seit ein paar Jahren vorgibst, sondern ein echter Mensch mit echten Träumen.«

»Na dann«, sagte Robert und fand endlich die Kraft, wieder aufzustehen. »Dann lass uns lieber weiter Tennis spielen.«

Aber er entkam nur Golos Worten, nicht seinen eigenen Gedanken. Er spielte so unkonzentriert, dass er nicht einen einzigen seiner ersten Aufschläge platzierte und Golo kein Problem hatte, ihm ein Spiel nach dem anderen abzunehmen und seine eigenen souverän, ja hin und wieder sogar mit der Arroganz des Übermutes durchzubringen.

Robert verlor zunehmend die Lust. Zwischen zwei Ballwechseln trottete er den Bällen hinterher und wunderte sich, wie selbstverständlich er Golo erzählt hatte, dass es ihm schlechtging. Wie nah sie sich immer wieder kamen, obwohl sie vollkommen verschieden waren, sich eigentlich gar nicht verstanden, niemals zusammengefunden hätten, wenn sie nicht gemeinsam aufgewachsen wären. Das war doch genau das, was mit Marietta nicht funktioniert hatte. Sie kannte ihn einfach nicht. Sie war ihm vollkommen fremd geblieben. Warum sollte er sich auch mit einer Frau vom anderen Ende der Welt so gut verstehen wie mit einem Freund aus der Heimat? Aber wie sollte er sich in seinen Freund verlieben? Da spürte Robert ein glückliches Kribbeln im Nacken. Er erinnerte sich an Willis weise Worte, und die Gedanken kamen ihm wie von selbst.

»Robert?«, hörte er Golo rufen und merkte, dass er beim Aufheben der Bälle am Zaun stehen geblieben war. »Du bist jetzt nicht etwa beleidigt, oder?«

»Ich hab die Lösung«, rief er über den Platz.

»Die Lösung?«

»Die Lösung«, sagte er und winkte seinen Freund zurück zur Plastikbank, unter der die Katze es sich mittlerweile gemütlich gemacht hatte.

»Wir beide«, setzte er fast hektisch an, um nicht zu vergessen, was er plötzlich verstanden hatte. »Also du und ich, wir sind damals doch einfach so abgehauen, ohne jeden Grund, sagen wir, fürs Abenteuer, und tun seitdem so, als wären wir eigentlich von hier, als wären wir Männer ohne Vergangenheit. Dabei muss man sich doch nur die ganzen anderen Auswanderer angucken, um zu kapieren, dass das Unsinn ist, radikal von vorne anfangen zu wollen.«

»Die anderen Auswanderer?«

»Die bleiben doch auch unter sich und holen ihre Frauen aus der Heimat oder zumindest aus der Verwandtschaft oder was auch immer. Jedenfalls nehmen sie eine, die mehr oder weniger den gleichen Horizont hat.«

»Nimm es mir bitte nicht übel, Rob, aber ich meine beobachten zu müssen, dass du dich da auf einen äußerst wurmstichigen Holzweg begibst. Nur weil sich gerade ein kleines sinnliches Vakuum in deinem Leben auftut, musst du ja nicht gleich den Sinn in der alten Heimat suchen. Die letzten sechzehn Jahre erging es dir doch ganz gut hier, wenn ich das recht erinnere.«

»Sechzehn Jahre sind wir hier?«

»Und drei Monate«, grinste Golo.

»Das weißt du so genau?«

»Ich feiere jedes Jahr.«

»Was feierst du?«

»Die Freiheit.«

»Und warum klappt es mit den Frauen nicht, in deiner Freiheit?«

»Vermutlich weil Frauen und Freiheit nur als Alliteration zusammenpassen. Oder weil die richtige sich noch nicht vorgestellt hat.«

»Und warum?«