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Der Autor hat als Strafrichter beim Landgericht Hamburg – zuletzt als Vorsitzender einer Schwurgerichtskammer - viel Spannendes und Dramatisches erlebt und davon bereits im 1. Teil berichtet. Hier im 2. Teil stellt er weitere authentische Fälle vor, welche die Schwierigkeiten des Gerichts bei der Wahrheitsfindung beleuchten und einen tiefen Blick in die Köpfe unserer Mitmenschen erlauben. Und dort sieht es nicht immer gut aus: So trachtete eine Masochistin ihrem Master nach dem Leben, ein Mann wollte seine Freundin zur Strafe langsam verbluten lassen, eine traumatisierte Frau ihren Liebhaber erstechen, eine enttäuschte Geliebte ihren Freund durch eine Falschaussage ins Gefängnis bringen… Nichts für schwache Nerven.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
Inhaltsverzeichnis
Impressum
Prolog
Fall 17: Die Sklavin und ihr Master
Fall 18: Eine brutale Liebe
Fall 19: Wer tötete Christine?
Fall 20: Aussage gegen Aussage
Fall 21: Der soziale Tod
Fall 22: Der wütende Kunde
Fall 23: Eine ungemütliche Familie
Fall 24: Der „sanfte“ Vergewaltiger
Fall 25: Tabletten als Tatwaffe
Fall 26: Hass auf Männer
Fall 27: Der Femizid
Fall 28: Der Wurm im Strafprozess
Fall 29: Hilflos ausgeliefert
Fall 30 : Ein unangenehmer Zeitgenosse
Fall 31: Der Alkoholexzess
Fall 32: Unbändiger Hass
Über den Autor
Danksagung
Impressum
Wolfgang Backen
DAS LEBEN IST ZERBRECHLICH
Teil 2
WEITERE 16 AUTHENTISCHE KRIMINALFÄLLE
AUS DER SICHT EINES RICHTERS
Dieses Buch ist den vielen Opfern
von Gewaltverbrechen gewidmet
Text: Wolfgang Backen,
c/o Barbara`s Autorenservice, Barbara Behrendt,
Tüttendorfer Weg 3, 24214 Gettorf,
E-Mail: [email protected]
Mobil: 0049-1624230957
Lektorat: Birgit Hartwig
Lithografie: Sarah Carl-Syre
Covergestaltung:
Wolfgang Backen
Foto: Auf dem „Hexenweg“ in Sülldorf, W. Backen
Copyright © by Wolfgang Backen
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Autors.
ebook erschienen im Januar 2024
Ich wollte es bei meinem ersten Buch „Das Leben ist zer
brechlich“ belassen, denn ich rechnete nicht damit, dass sich so viele Leser für die Arbeit eines Strafrichters interessieren würden. Schließlich sind die Erlebnisse einer Kriminalkommissarin oder eines Kriminalkommissars, die Verbrecher jagen und dabei wahrscheinlich auch manchmal selbst in Gefahr geraten, sehr viel spannender. Umso mehr freue ich mich über die positive Resonanz und möchte den Bitten nach weiteren authentischen Kriminalfällen mit dieser Fortsetzung gern nachkommen.
Beim Schreiben dieses Buches wurde mir wieder einmal bewusst, was für einen vielseitigen und interessanten Beruf ich hatte, weil ich in die Köpfe meiner Mitmenschen blicken durfte. Und dort sieht es nicht immer gut aus, das kann ich versichern. Auch nach vielen Jahren meiner Berufstätigkeit blickte ich noch in Abgründe, die mir vorher nicht begegnet waren (siehe z. B. den ersten Fall). Nichts ist interessanter als der Mensch. Ich lernte mit zunehmender Berufserfahrung, dass keiner nur gut oder nur schlecht ist. Alle Angeklagten hatten einen anderen Hintergrund und wurden durch viele Faktoren geprägt, bevor sie straffällig wurden. Gene, Elternhaus, Freunde, Schule, sexuelles Verlangen sowie kulturelle und religiöse Einflüsse spielen dabei eine ganz bedeutende Rolle. Hinzu kommen oft Drogen, Alkohol und psychische Erkrankungen, die die Hemmschwelle, etwas Verbotenes zu tun, senken oder beseitigen können. Am Ende steht ein einzigartiges Individuum.
Ich stelle daher in den meisten Fällen die Vita der Angeklagten vor, um Zusammenhänge mit den Straftaten zu verdeutlichen. Ich möchte meinen Leserinnen und Lesern einen Blick auf die Arbeit eines Richters ermöglichen, aber auch auf die Menschen, die ihnen mit viel Angst, großer Verzweiflung und gespannten Erwartungen gegenübersitzen.
Die Aufgabe des Richters, Tatsachen festzustellen und Verstöße gegen Gesetze zu ahnden, ist nicht immer leicht und erfolgreich, aber in jedem Fall mit großer Verantwortung verbunden, da die Entscheidungen gravierende Folgen für das Leben der Angeklagten haben können. Indizien und Beweise sind sorgfältig zu würdigen. Sagt eine Zeugin oder ein Zeuge tatsächlich die Wahrheit? Irren oder lügen sie etwa? Fragen, die manchmal nur sehr schwierig zu beantworten sind (mehr dazu im Kapitel „Aussage gegen Aussage“). Die Arbeit der Richter ist daher Regeln unterworfen, die sich hauptsächlich aus der Strafprozessordnung (StPO) ergeben. Ist der Jurist von der Schuld der Angeklagten nicht überzeugt, muss er sie freisprechen.
Auch die 16 Fälle dieser Fortsetzung sind authentisch – nur die Namen der Täter und Opfer habe ich verändert oder abgekürzt, um niemanden zu stigmatisieren. Eine mögliche Namensgleichheit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist daher rein zufällig. Eine Ausnahme bildet der Name des Opfers im letzten Fall, auf den auf einem Straßenschild in Hamburg öffentlich hingewiesen wird.
Strafrichter sollen einen Sachverhalt feststellen und danach prüfen, ob sich die von der Staatsanwaltschaft angeklagten Personen durch ihr Verhalten strafbar gemacht haben. Falls ja, muss das Gericht eine Strafe festlegen. Es ist hingegen keine richterliche Aufgabe, über die Moral zu befinden oder Lebensweisen zu beurteilen. Gleichwohl sind bestimmte Neigungen manchmal wichtig, denn sie können den Richtern und Richterinnen wertvolle Hinweise auf das Tatmotiv liefern und helfen, eine Straftat nachzuvollziehen.
Menschliche Verhaltensweisen sind äußerst vielfältig. Als mir nach 28 Jahren richterlicher Tätigkeit der Justizwachtmeister eine neue Akte auf den Schreibtisch legte, war ich sicher, schon alles zu kennen, aber dieser Fall belehrte mich eines anderen.
Angeklagt war eine masochistisch veranlagte Frau, der vorgeworfen wurde, sie habe versucht, ihren ehemaligen Herrn und Gebieter zu töten. Aber hätte es nicht umgekehrt sein müssen?
Masochismus ist laut dem klinischen Wörterbuch Pschyrembel ein Verhalten, bei dem sexuelle Erregung und Befriedigung allein oder hauptsächlich durch psychische Demütigung, Unterwerfung oder körperliche Misshandlung erreichbar ist. Andere nennen es salopp „Schmerzgeilheit“. In der großen Bandbreite sexueller Erlebnisformen kommt Verschmelzung von Schmerz und Lust gar nicht so selten vor. Eine Therapie ist in der Regel nur dann erforderlich, wenn der Leidensdruck zu gewaltig wird oder eine Gefährdung anderer besteht.
Mit dem Verhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Opfer, ihrem sadistisch veranlagten ehemaligen Lebensgefährten, mussten wir Richter uns Ende 2007 im Saal 237 des Hamburger Strafjustizgebäudes am Sievekingplatz 3 in einem Schwurgerichtsprozess auseinandersetzen, um die Tat zu verstehen.
Schräg unter uns saß auf der Anklagebank eine kleine zierliche Frau, die etwas älter als vierzig Jahre war. Ihr braunes Haar war streng zurückgekämmt. Ihrem schmalen Gesicht sah ich an, dass sie im Leben sehr gelitten hatte. Größtenteils freiwillig, wie sich herausstellen sollte, denn Mia war eine Masochistin aus Leidenschaft. Während die meisten Leute bei Schmerzen schnellstens zum Arzt eilen oder Schmerzmittel schlucken, genoss sie es, sich selbst Leiden zuzufügen. Gern ließ sie sich auch von anderen quälen. Die Schmerzen waren mit ihrer Sexualität eng verbunden.
In der Hauptverhandlung berichtete uns die 1972 in der damaligen DDR geborene Mia zunächst etwas über ihre Vita. Ihr Vater verstarb, als sie 11 Jahre alt war. Mias Mutter arbeitete als Lehrerin und später als Bibliothekarin. Seit einem Unfall als Jugendliche war sie teilweise gelähmt, konnte sich aber mithilfe von Krücken oder im Rollstuhl fortbewegen. Dies führte dazu, dass Mia in ihrer Kindheit wenig Freiraum und Außenkontakte hatte, weil sie sich intensiv um ihre Mutter kümmern musste.
Mia besuchte eine Polytechnische Oberschule, die sie mit einem Realschulabschluss abschloss. Danach arbeitete sie ohne Ausbildung als Reinigungskraft und in der Küche eines Krankenhauses.
Mit 12 Jahren zog sie mit einer Clique älterer Jugendlicher umher, begann zu rauchen und zu trinken und hatte ihre ersten sexuellen Kontakte. Diese führten schon bald zu einer ungewollten Schwangerschaft, die sie jedoch frühzeitig abbrechen ließ.
In dieser Zeit begann sie zu entdecken, dass es für sie sehr befriedigend war, wenn sie sich selbst Schmerzen zufügte. So nahm sie beispielsweise eine Nadel, die sie immer tiefer in die Brust stach, bis es kaum mehr auszuhalten war. Auch hatte sie beim Kramen im Keller einen Siegelstempel entdeckt. Diesen erhitzte sie über einer Kerze und presste ihn dann auf ihre Haut, um anschließend den Schmerz und den Geruch des angesengten Fleisches zu genießen.
In diesem Alter beging Mia auch einen Suizidversuch, weil sich ihr Freund von ihr getrennt hatte.
Mit 14 Jahren lernte sie Boris kennen, der doppelt so alt war wie sie. Von ihm bekam Mia mit 16 ihr erstes Kind. Von Boris lernte Mia erstmals sadomasochistische Praktiken und Spiele kennen, wobei sie von Anfang an den masochistischen Part übernahm, sich dem Mann völlig unterwarf und es genoss, wenn er sie schlug oder Zigaretten auf ihrer Haut ausdrückte. Wurde sie auf ihre Verletzungen angesprochen, äußerte sie: „Wenn mir jemand Schmerzen zufügt, brauche ich es nicht selbst zu machen.“
Beide waren ca. drei Jahre zusammen. Schon zu Beginn der Beziehung versuchten sie, aus der ehemaligen DDR zu fliehen. Der dilettantische Versuch scheiterte jedoch kläglich.
Mit fünfzehn war Mia erstmals in psychologischer Behandlung, nachdem sie sich in den linken Unterarm geritzt hatte. Derartiges geschah später noch mehrfach und immer dann, wenn sie sich im Stich gelassen fühlte. Sie lenkte sich in einer solchen für sie unerträglichen Situation durch Schmerzen ab.
Schließlich hatte Mia insgesamt zehn Kinder, die im Zeitpunkt der Hauptverhandlung zwischen 8 und 25 Jahre alt waren. Die ersten beiden gingen aus verschiedenen kurzzeitigen Beziehungen hervor, die weiteren acht Kinder entstammten einer längeren Liaison mit einem vier Jahre älteren Mann namens Herbert, den Mia am Ende heiratete. Drei Schwangerschaften wurden abgebrochen.
Nach der Geburt ihres fünften Kindes erkrankte sie schwer und musste lange Zeit stationär behandelt werden. Währenddessen war ihre eine Tochter, die damals vierjährige Jasmin, in einer Pflegefamilie untergebracht und wurde vom Jugendamt der DDR dann nach der Genesung von Mia dort belassen, nachdem man ihrem Ehemann sexuellen Missbrauch von Jasmin vorgeworfen hatte.
Im selben Jahr, nach Öffnung der innerdeutschen Grenze, übersiedelte die Familie in die Bundesrepublik, weil Mia Angst hatte, dass man ihr die anderen Kinder auch noch wegnehmen würde.
Im Dezember 1989 bezog die Familie eine Wohnung in Bad Oldesloe. Herbert fand dort eine Arbeit in einer Druckerei, später war er bei einem Sicherheitsdienst tätig. In dieser Zeit wurde er zunehmend aggressiver und schlug immer häufiger und heftiger seine Frau. Ab 1993 war er wegen psychischer Probleme dauerhaft krankgeschrieben, danach befand er sich öfter in stationärer psychiatrischer Behandlung und verlor seine Arbeitsstelle.
Mitte der 1990er Jahre wurde Mia zwangsweise in einer psychiatrischen Klinik untergebracht, nachdem sie im Rahmen eines Nervenzusammenbruchs aufgrund der Überforderung im Haushalt und der Erziehung der Kinder ihren Suizid angekündigt und Drohungen gegen andere ausgestoßen hatte. In der Psychiatrie beruhigte sie sich jedoch rasch und konnte schnell wieder entlassen werden. Diagnostisch wurde von einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ ausgegangen. Eine weitere Behandlung fand jedoch nicht statt.
Um die Jahrtausendwende absolvierte Mia mit Unterstützung des Arbeitsamtes eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten. Anschließend arbeitete sie einige Zeit in einem Steuerberatungsbüro.
Ihr Ehemann Herbert zog nach einem massiven Streit in den Keller des Hauses, nahm aber gelegentlich noch am gemeinsamen Familienleben teil. Das Verhältnis der Eheleute gestaltete sich zunehmend distanziert, nachdem Mia immer häufiger von ihrem Mann gegen ihren Willen misshandelt worden war und dieser in der Wohnung vor ihren Augen sexuelle Beziehungen mit anderen Frauen pflegte.
Mia befriedigte wieder stärker ihre masochistischen Neigungen und chattete oder telefonierte mit Gleichgesinnten. Das alles führte schließlich zur Trennung der Eheleute. Nachdem sie von ihrem Mann massiv bedroht worden war, verließ sie eines Tages fluchtartig ihre Familie und zog alleine nach Hamburg in eine Einzimmerwohnung in Hamm.
Die Kinder blieben zunächst bei Herbert, dem später auch das alleinige Sorgerecht zugesprochen wurde. Nach kurzer Zeit wurden die Minderjährigen auf Betreiben des Jugendamtes in einem Heim in Bargteheide aufgenommen, weil Herbert sexueller Missbrauch seiner Kinder vorgeworfen wurde. Mias Ex wurde später wegen zahlreicher Missbrauchsdelikte zu einer Freiheitsstrafe von über 7 Jahren verurteilt.
Die Ehe endete 2004 durch Scheidung. Kurz nach der Trennung von ihrer Familie lernte Mia auf einer Sadomaso-Party in Hannover den späteren Geschädigten, sechs Jahre jüngeren Ole kennen, der sadistisch veranlagt war. Beide fühlten sich sofort zueinander hingezogen. 2001 zog Ole zu der Angeklagten nach Hamburg. Die Beziehung war geprägt durch die besonderen sexuellen, sadomasochistischen Neigungen des Paares: Sie beinhaltete kaum Sexualität im üblichen Sinne, sondern war konzentriert auf Formen der Machtausübung, Demütigung und dem Zufügen von Schmerzen und Qualen. Während Ole den dominanten Part übernahm und intensiv seine sadistischen Neigungen auslebte, indem er Mia mit ihrem Einverständnis insbesondere mit einer Peitsche und einem Weidenstock heftig bearbeitete, sie fesselte und manchmal bis zur Bewusstlosigkeit würgte, füllte seine Freundin Mia die devote Rolle aus.
Einen gewissen Höhepunkt erreichten ihre SM – Spiele, als Ole sich sehnlichst wünschte, Mia an einem Strick an der Zimmerdecke aufzuhängen. Dies sei besonders geil, kündigte er Mia an, und versprach ihr, sie dabei sexuell zu stimulieren. Es werde ihr einen noch nie erlebten Kick geben.
Hypoxyphilie ist der wissenschaftliche Name für das bewusste Herbeiführen eines Sauerstoffmangels, um die sexuelle Lust noch einmal zu steigern. Dies ist hochgefährlich, ja lebensgefährlich, sodass man nur jedem dazu raten kann, die Finger davon zu lassen. Das Würgen bzw. Drosseln kann nicht nur Bewusstlosigkeit hervorrufen, sondern auch zum Tod führen. In Deutschland sterben jährlich um die 100 Menschen durch derartige erotische Unfälle, weil sie ihre Grenzen nicht kannten.
Erstmals zögerte Mia, die bisher noch nie zu Ole „nein“ gesagt hatte, da ihr das doch zu extrem und gefährlich erschien. Ihrem Partner aber gelang es dann nach mehreren Versuchen, sie zu überreden. Er behauptete, er habe so etwas schon mehrfach gemacht und wisse, worauf es ankäme. Eine frühere Freundin habe er dabei während des Sauerstoffmangels zum Höhepunkt gebracht, und sie habe jedes Mal einen wundervollen starken Orgasmus erlebt. Auf Knien habe sie ihm gedankt. Im Übrigen erinnerte er Mia an ihren Schwur, ihm ohne Widerrede als seine Sklavin hörig zu sein. Habe sie etwa kein Vertrauen zu ihm? Schließlich willigte Mia zögernd ein. Sie wollte Streit vermeiden. Überzeugt war sie nicht.
Ole besorgte sich daraufhin aus dem nahegelegenen Baumarkt einen stabilen Haken, den er in der Zimmerdecke des Wohnzimmers befestigte, sowie ein Seil, in das er eine Schlinge knüpfte. Nachdem Mia sich ausgezogen hatte, stieg sie auf einen Hocker und ließ sich die Hände auf den Rücken fesseln. Dann führte Ole das Seil durch den Haken, legte Mia die Schlinge um den Hals, zog die Leine straff und befestigte das andere Ende am Griff der Wohnzimmertür. Um Mias Angst zu steigern, verkündete er ihr süffisant, er habe sie in eine Falle gelockt, es sei kein Spiel. Er werde sie jetzt beseitigen, denn er habe eine Jüngere gefunden, die in SM – Dingen viel besser und erfahrener sei.
Mia fuhr ein gewaltiger Schreck durch die Glieder. Sie wusste nicht, ob die Ankündigung zum „Spiel“ gehörte oder tatsächlich ernst gemeint war. Sie hatte aber nun keine Chance mehr, sich aus ihrer Lage zu befreien. Ole genoss ihre Panik einige Minuten untätig und verfolgte, wie Mia verzweifelt vergeblich versuchte, ihre Fesseln abzustreifen. Dann trat er mehrfach mit dem Fuß leicht gegen den Hocker - aber nur so, dass dieser kippelte. Mia flehte ihn weinend an, er solle „keinen Scheiß“ machen. Als sie immer lauter wurde, presste Ole ihr schließlich einen Knebel in den Mund, weil er verhindern wollte, dass die Nachbarn etwas mitbekämen. Dann holte er mit aller Kraft mit dem Fuß aus und stürzte den Hocker um. Mia hing nun zappelnd am Seil und die Schlinge zog sich dabei immer enger um ihren Hals. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis es Ole endlich gelang, den Knoten am Türgriff zu lösen und Mia wieder festen Boden unter den Füßen fühlte.
Der versprochene Orgasmus war ausgeblieben. Stattdessen war Mia fix und fertig und zitterte am ganzen Körper. Auch wenn Ole als Sadist wieder einmal seine abartige Neigung ausgelebt und seinen Spaß gehabt hatte, waren sich beide darüber einig, dass so etwas nicht mehr stattfinden solle.
Strafrechtlich hat so eine Sexpraxis übrigens keine Folgen, solange ein einwilligungsfähiges erwachsenes Opfer mit der Körperverletzung einverstanden ist.
Mia ertrug höllische Schmerzen und demütigende Quälereien, weil ihr das Befriedigung verschaffte. Sie unterwarf sich ihrem Freund voll und ganz, und zwar nicht nur in sexueller Hinsicht. Ole bestimmte über ihr Geld, ihre persönlichen Anschaffungen sowie über ihre Berufstätigkeit. Strom, Wasser, Telefon und Internet waren allein auf seinen Namen angemeldet.
Im Laufe der Jahre gestaltete sich die Beziehung zunehmend problematischer, weil Ole gegenüber Mia immer unangenehmere, besonders demütigende Praktiken anwendete. So hatte sie oft einen Hund zu spielen, indem sie auf dem Fußboden der Wohnung auf allen vieren stundenlang an einer Leine umherkriechen und Hundefutter essen musste. Oder ihr wurde befohlen, auf spitzen Geflügelknochen herum zu kauen und mit Urin vermischtes Wasser aus dem WC zu trinken. Dies war selbst Mia zuwider. Gegenüber seinen Gleichgesinnten prahlte Ole mit entsprechenden Einzelheiten aus seiner Beziehung und zeigte ihnen Videos, mit denen er ihre Spiele dokumentiert hatte. Der absolute Renner war der Film mit der am Seil zappelnden Mia.
Die Einbeziehung Dritter schätzte Mia überhaupt nicht. Sie empfand dies als grenzüberschreitend, denn sie befürchtete, ihre Kinder könnten von ihren „Spielen“ erfahren und damit geärgert werden.
Als Ole genug von seiner Freundin hatte, weil ihn ihr klammerndes Verhalten zunehmend störte, beschlossen beide Mitte 2006, sich zu trennen, lebten aber vor allem aus finanziellen Gründen weiterhin in einer Wohnung. Manchmal gab es auch noch „SM-Spielchen“.
Die Spannungen zwischen beiden nahmen kontinuierlich zu, auch weil sie über das Internet Beziehungen zu neuen Partnern aufnahmen, was immer wieder zu gegenseitigen Eifersuchtsszenen und Beleidigungen führte.
Beide verbrachten ihre freie Zeit schließlich fast nur noch am PC, der besonders für Mia die wichtigste Verbindung zur Außenwelt darstellte. Auf diese Weise hatte sie Kontakt zu einem Franzosen geknüpft, dem sie über eine Webcam demonstrierte, wie sie ihre Brustwarzen mit einem Feuerzeug versengte oder mit Nadeln durchbohrte. Normalen Umgang mit anderen Menschen hatte sie zu dieser Zeit kaum mehr.
Zu erheblichem Unfrieden und Streit führte schließlich der Vorwurf von Mia, Ole chatte mit Minderjährigen, um sie zu SM-Spielen zu verführen. Dies ging ihr zu weit. Sie behauptete, sie habe von seinem Treiben Kopien angefertigt, die sie gegen ihn verwenden würde, wenn er keine Therapie absolviere. Auf ihren massiven Druck hin, insbesondere mit der Drohung einer sofortigen Anzeige bei der Polizei, versprach Ole schließlich, sich einer entsprechenden therapeutischen Behandlung zu unterziehen.
Später erfuhr Mia aus einem Brief seines Psychologen an ihn, dass Ole sich dort wegen ganz anderer Probleme behandeln ließ, was erneut einen heftigen Streit zur Folge hatte.
Beide entschlossen sich endlich, sich räumlich zu trennen, wobei Mia erhebliche Angst vor der Trennung und der auf sie zukommenden Eigenverantwortung hatte und sich deshalb weiterhin an ihren Freund klammerte.
Daran änderte sich auch nichts Grundlegendes durch eine neue Bekanntschaft zu einem Herrn Fischer aus Hamburg, den sie über das Internet kennengelernt und mit dem sie einmal ausgegangen war. Mit seiner Unterstützung hatte sie für sich erstmals Sozialhilfe beantragt und sich für einen SAP-Kurs angemeldet.
Ende Juni 2007 hatte Ole endlich eine Wohnung für sich gefunden; der Umzug war für das kommende Wochenende geplant. Von diesem Termin unterrichtete er Mia mit der Anweisung, sie solle den Hausrat schon einmal teilen und am Montag nach seinem Auszug die bis dahin noch auf ihn laufenden Verträge u. a. für Telefon und Internet auf sich ummelden.
Überraschend erschien Ole jedoch bereits am Donnerstag, zwei Tage vor der abgesprochenen Zeit. Innerhalb weniger Stunden bewältigte er mithilfe von vier Kollegen den Auszug, wobei er achtlos Mias Sachen aus den von ihm abgebauten Schränken und Regalen auf den Boden warf, sodass ein fürchterliches Chaos entstand. Der vorgezogene Umzug kam für Mia völlig unerwartet und verunsicherte sie aufgrund ihrer Abhängigkeit und Unselbstständigkeit erheblich. Entgegen der Absprache drohte Ole, ihren PC und sämtliche Telefone mitzunehmen, was sie zutiefst verängstigte und verärgerte, zumal der Hausrat von ihr noch nicht vollständig aufgeteilt war. Erst auf ihr Betteln hin schloss er großzügig die Geräte wieder an, allerdings mit der Ankündigung, die Internet- und Telefonverbindungen würden am nächsten Tag abgeschaltet, da er die Verträge gekündigt habe. Auch Wasser und Strom habe er abgemeldet. Sie müsse sich eben selbst um eine Neuanmeldung kümmern. Ole, der nicht ganz zu Unrecht befürchtet hatte, seine Ex würde sich trotz der Trennungsabsprachen weiter an ihn klammern und ihm den Umzug schwer machen, hatte sich bewusst für das Überraschungsmoment entschieden und Mia auch seine neue Anschrift nicht mitgeteilt. Auf eine Diskussion mit ihr, die während des gesamten Auszugs auf ihn verzweifelt einredete, ließ er sich bewusst nicht ein. Vielmehr verkündete er ihr durch einen seiner Kollegen, Absprachen würden nicht mehr gelten, wodurch sich Mia zusätzlich abgefertigt und verstoßen fühlte.
Nachdem Ole und seine Helfer gegen 20.30 Uhr die Wohnung verlassen hatten, chattete Mia innerlich aufgewühlt im Internet. Sie war immer noch ziemlich sauer auf Ole, der ihr ein fürchterliches Chaos hinterlassen hatte. Sie begann, ihn zu hassen. Der Hass resultierte auch daraus, dass sie meinte, er habe sie offenbar bewusst vor seinen Freunden in eine erniedrigende Lage gebracht. Sie fühlte sich hilflos und alleingelassen und konnte sich nicht im Entferntesten vorstellen, mit all dem fertig zu werden. Sie spielte zwischenzeitlich mit Suizidgedanken, verwarf diese jedoch wieder. Sie fing an zu trinken, was sie normalerweise nur selten tat, und schluckte Likör und Brandy hastig hinunter.
Um 21.13 Uhr schrieb sie unter ihrem Nickname ins elektronische Gästebuch von Ole, der auf einer Internetseite unter einem Profil mit dem Namen „cruelsadist“ angemeldet und registriert war: „Wir sehen uns im nächsten Leben. Ich hoffe, dann kriegst du mehr auf die Reihe.“
Anschließend chattete sie auf derselben Internetseite mit einem anderen Mann bis 21.51 Uhr und erkundigte sich bei diesem nach der Verwendung von Pfefferspray, das sie noch am selben Abend kaufen wollte.
Die Gemütsverfassung der Angeklagten änderte sich auch nach einem ausgiebigen Schaumbad nicht; vielmehr steigerte sich ihre Wut noch. Was hatte sie alles für Ole getan? War es für beide nicht wunderschön gewesen?
Sie entschloss sich schließlich, ihn, dessen neue Anschrift sie aus einem herumliegenden Brief entnommen hatte, noch in der Nacht aufzusuchen, ihn zur Rede zu stellen und ihn zu zwingen, die Abmeldungen für Strom, Wasser, Telefon und Internet umgehend rückgängig zu machen.
Sie zog ihren Mantel an und stopfte eines ihrer Fesselungsseile in die Innentasche. Auf St. Pauli kaufte sie in einem Sexshop noch ein Paar Handschellen. Sie hatte sich überlegt, Ole in seiner Wohnung durch einen Überraschungsangriff zu überwältigen und ihn zu fesseln, damit er nicht fliehen könne und ihr endlich einmal intensiv zuhören müsse. Ach ja, und dann wollte sie an ihm ihre Wut abreagieren und ihn auch einmal in eine hilflose Lage bringen. Sie hoffte, sie könne Ole dadurch wieder Lust auf erregende SM-Spielchen machen und ihm beweisen, wie wertvoll und unentbehrlich seine Sklavin für ihn doch noch sei. Sie dachte lustvoll an die Peitsche, die in ihrer Fantasie immer schneller auf ihren Po und Rücken klatschte.
Gegen 01:30 Uhr erreichte sie Oles neue Zweieinhalbzimmerwohnung, welche sich im Hochparterre links eines Mehrfamilienhauses in Hamburg-Hamm befand.
Die Hauseingangstür war verschlossen. Da in der Wohnung kein Licht brannte, ging Mia zutreffend davon aus, dass Ole bereits schlafe. Um das Überraschungsmoment auszunutzen, klingelte sie nicht, sondern zog eine Mülltonne an die rückwärtige Hauswand, wo ein Fensterflügel der Wohnung offenstand und lediglich mit einem Bügel arretiert war. Sie kletterte auf die Tonne und stieg durch das Fenster in die Wohnung ein. Dabei stieß sie die auf der Fensterbank stehende Telefonanlage um, die mit einem lauten Poltern zu Boden fiel.
Sie befürchtete, ihr Ex-Freund sei aufgewacht und sie könne nicht mehr ihren ursprünglichen, auf den Überraschungsmoment bauenden Plan verfolgen. Spätestens nun beschloss sie, wenigstens ihrer Wut auf Ole in anderer Weise Luft zu machen und ihn dafür zu bestrafen, dass er sie verlassen und ihr einen Haufen Probleme aufgebürdet hatte. Sie wollte den Spieß jetzt umdrehen und ihm auch einmal fürchterlichen Schmerz zufügen. Sie nahm ein Messer mit einer 20 cm langen und 4 cm breiten Klinge mit Wellenschliff an sich, das sie in dem durch den Schein der Straßenbeleuchtung leicht erhellten Wohnzimmer in einem Umzugskarton mit Küchenutensilien fand. Damit wollte sie ihm mehrere Stiche in empfindliche Körperteile versetzen. Es sollte so richtig wehtun. Ob Mia ihn mit dem Messer töten wollte, vermochten wir im Prozess nicht sicher festzustellen. Sie hielt aber seinen Tod aufgrund ihrer geplanten Vorgehensweise zumindest für möglich und nahm ihn billigend in Kauf. Die Juristen bezeichnen so etwas als bedingten Vorsatz.
Mia schlich vorsichtig ins Schlafzimmer, in dem ihr Ex auf der hinteren von zwei am Boden liegenden Matratzen lag und vom Umzug erschöpft vor sich hin schnarchte.
Als sie sich über ihn beugte und zum ersten Stich ausholte, wobei sie in Richtung seines Oberkörpers zielte, erwachte er, riss reflexartig seine Hände hoch und konnte so noch gerade mit einem Griff in die Messerklinge den Angriff abwehren. Erst jetzt erkannte er Mia, die zunächst für ihn nur ein schwarzer Schatten gewesen war. Es kam sodann zu einem heftigen Handgemenge, in dessen Verlauf sich beide auf die vordere, zur Tür hin liegende Matratze wälzten. Mia biss Ole hier
mehrfach kräftig in den linken Arm, während sie immer noch die Waffe in der Hand hielt und weiterhin versuchte, auf ihn einzustechen, wobei sie einmal in die Matratze stach, nachdem er ihrem Messer ausweichen konnte.
Schließlich schaffte sie es, ihm zwei Stiche in den Oberkörper zu versetzen. Infolge seiner Abwehrbemühungen und weil das Messer bloß auf Knochen traf, entstanden nur oberflächliche Verletzungen.
Ihr Versuch, ihn noch mit Haarspray, das im Kampfgeschehen aus ihrer Handtasche gefallen war, anzusprühen, scheiterte, woraufhin sie mit der Spraydose nach ihrem Ex schlug.
Ole gelang es anschließend, eine Latte, die neben seiner Matratze lag, zu ergreifen und damit nach Mia zu schlagen. So konnte er sich befreien und um Hilfe rufend ins Treppenhaus flüchten. Die Frau verfolgte ihn, das Messer in der einen und die Handschellen in der anderen Hand. Nachdem sie ihn eingeholt hatte, versuchte sie mehrfach, auf den mit dem Rücken zur Treppenhauswand stehenden Ole einzustechen, wobei sie in Höhe seines Oberkörpers oder seines Kopfes zielte. Er konnte diese Angriffe jedoch weitgehend abwehren.
Der Nachbar des Geschädigten, der im Hochparterre rechts wohnte, hatte die Hilfeschreie gehört und zunächst durch seinen Türspion die Auseinandersetzung im beleuchteten Treppenhaus beobachtet. Er sah das Messer in der Hand von Mia und ihre wiederholten heftigen Stichbewegungen in Richtung von Ole. Mutig öffnete er die Tür und betrat das Treppenhaus, weil er die Situation als ernst einschätzte und Angst hatte, dass sich der vor Anstrengung keuchende Nachbar gegen die Stiche nicht länger würde wehren können. Als Mia auf seine Rufe, sie solle sofort aufhören, nicht reagierte, trat er ihr beherzt mit dem Fuß das Messer aus der Hand, wodurch sie das Gleichgewicht verlor und einige Stufen der Treppe herunter taumelte, bevor sie sich am Geländer festhalten und wieder hochziehen konnte. Diesen Moment nutzte der Nachbar, um Ole zu sich in seine Wohnung zu ziehen, die Tür zu schließen und die Polizei zu rufen.
Mia begab sich in die noch immer offene Wohnung Oles und legte das blutverschmierte Messer wieder sorgfältig zurück in den Umzugskarton, wo es später von Polizeibeamten gefunden wurde. Die Handfessel ließ sie im Flur auf dem Boden liegen.
Aus ihrer Handtasche holte sie nun einen Joint heraus, den sie kurz zuvor auf ihrem Weg zu Ole gekauft hatte, und zündete ihn an. Die restlichen Utensilien aus ihrer Tasche, welche während des Kampfes ausgekippt waren - darunter das Fesselungsseil und die Verpackung der Handfessel - packte sie wieder ein. Lediglich die Haarspraydose ließ sie liegen. Sodann ging sie zurück ins Treppenhaus und bettelte vor der verschlossenen Wohnungstür des Nachbarn, sie wolle nur noch einmal mit Ole reden, es täte ihr unendlich leid, er solle rauskommen. Ole kam aber ihrer Bitte vorsichtshalber lieber nicht nach.
Den gegen 01.45 Uhr eingetroffenen Polizeibeamten rief Mia zu, sie sei die gesuchte Person und öffnete die Haustür. Sie erklärte den Beamten gegenüber spontan: „Ja, ich bin die Schuldige. Ich war bei meinem Ex-Freund zu Besuch.“ Anschließend ließ sie sich widerstandslos festnehmen.
Ole erlitt durch das Kampfgeschehen Stichverletzungen am Oberkörper, dem linken Oberarm und an beiden Oberschenkeln. An Händen und Fingern fanden sich zahlreiche abwehrbedingte Schnittverletzungen. Der linke Unterarm wies vier große rundliche Bisswunden aus und an der rechten Hand zeigten sich Rötungen und Schwellungen als Zeichen stumpfer äußerer Gewalteinwirkung.