Das Leuchten des Safrans - Juliet Hall - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Leuchten des Safrans E-Book

Juliet Hall

0,0
5,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Traumhafte Schauplätze, zwei lange verborgene Familiengeheimnisse und der exotische Duft von Safran

Nell steht vor einem Neuanfang. Seit Generationen wird auf der Farm ihrer Familie in Cornwall Safran angebaut. Doch nach dem Tod ihrer Mutter drängt Nells Mann sie, alles zu verkaufen. Wann ist es Zeit, sich von Traditionen, von Althergebrachtem zu lösen? Nell fühlt sich entwurzelt und ist tieftraurig. Auf einer Reise nach Marokko sucht sie nach Antworten - und lernt dort die Fotografin Amy kennen. Gemeinsam begeben sie sich auf den Safranweg - auf die Suche nach Amys verschwundenem Cousin, aber auch auf die Suche nach sich selbst ...

Weitere Familienromane von Juliet Hall bei beHEARTBEAT: Ein letzter Tanz in Havanna. Das Erbe der Töchter. Julias Geheimnis.

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 667

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Es war einmal

Prolog

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

39. Kapitel

40. Kapitel

41. Kapitel

42. Kapitel

43. Kapitel

44. Kapitel

45. Kapitel

46. Kapitel

47. Kapitel

48. Kapitel

49. Kapitel

50. Kapitel

51. Kapitel

52. Kapitel

Weitere Titel der Autorin

Das Erbe der Töchter

Ein letzter Tanz in Havanna

Ein verzauberter Sommer

Eine letzte Spur

Emilys Sehnsucht

Julias Geheimnis

Rückkehr nach Mandalay

Über dieses Buch

Traumhafte Schauplätze, zwei lange verborgene Familiengeheimnisse und der exotische Duft von Safran

Nell steht vor einem Neuanfang. Seit Generationen wird auf der Farm ihrer Familie in Cornwall Safran angebaut. Doch nach dem Tod ihrer Mutter drängt Nells Mann sie, alles zu verkaufen. Wann ist es Zeit, sich von Traditionen, von Althergebrachtem zu lösen? Nell fühlt sich entwurzelt und ist tieftraurig. Auf einer Reise nach Marokko sucht sie nach Antworten – und lernt dort die Fotografin Amy kennen. Gemeinsam begeben sie sich auf den Safranweg – auf die Suche nach Amys verschwundenem Cousin, aber auch auf die Suche nach sich selbst …

eBooks von beHEARTBEAT – Herzklopfen garantiert.

Über die Autorin

Juliet Hall unterrichtet Schreiben und organisiert Literatur- und Musikfestivals in ihrer Heimatstadt an der Küste von West Dorset, Großbritannien. Zu ihren liebsten Reisezielen gehört Italien, wohin sie die Leser mit ihrem Debüt »Das Erbe der Töchter« führt. Nach Ausflügen durch viele wunderbare Städte Europas in »Emilys Sehnsucht« und »Julias Geheimnis« sowie nach Marokko in »Das Leuchten des Safrans« bringt sie uns mit »Ein letzter Tanz in Havanna« nach Kuba …

Juliet Hall

Das Leuchten des Safrans

Aus dem Englischen von Barbara Röhl

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2015 by Juliet HallTitel der englischen Originalausgabe: »The Saffron Trail«First published in the United Kingdom by Quercus Books, London, under the pseudonym of »Rosanna Ley«

Für diese Ausgabe:Copyright © 2016/2020 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Birgit Volk, BonnTitelillustrationen: © Shutterstock: Creative Family | vainillaychile | Vibrant Image Studio; © getty-images: Cultura Travel | Adie Bush

ISBN 978-3-7325-9528-0

www.be-ebooks.dewww.lesejury.de

Für Luke und Agata

Es war einmal eine junge Frau, die liebte Safran. Sie liebte seine Geheimnisse, das Mysterium, das ihn umgab. Sie liebte es, dass er im November blühte, wenn die meisten Pflanzen welkten. Sie liebte das Auf- und Abwogen von weichem Violett und Grün auf dem Feld, und sie liebte die Blütenblätter, die so zart wie Schmetterlingsflügel waren. Sie liebte die Eile, mit der sie geerntet wurden, das Ziehen der dunkelroten Fäden, die kostbar wie Gold waren, in halbdunklen Räumen, wo unter dem Gemurmel und dem leisen Gesang der Frauen der Berg von Fäden immer höher wurde. Sie liebte den Duft des trocknenden Safrans, seinen bitteren, verblüffenden Geruch. Sie liebte die Art, wie er einem Teller Nahrung etwas Besonderes verlieh und das Herz mit Sonnenschein füllte. Aber am allermeisten liebte sie seinen Hauch von Magie.

Prolog

Sie ließ den abendlichen Dunst der Stadt hinter sich und erklomm den Hügel. Es war einer dieser langen Tage im Spätfrühling, die früher so viel Hoffnung verheißen hatten, damals, als der Sommer noch etwas war, auf das man sich freute, und nicht etwas, wovor man sich fürchtete. Aber wenigstens ging endlich die Sonne unter, und sie würde einen Teil des Wegs im Dunklen zurücklegen. Das machte nichts. Sie kannte diesen Weg seit langer, langer Zeit; er war ihr so lieb und vertraut wie ein alter Liebhaber, an dem man immer noch hängt. Sie konnte ihn fühlen und wusste genau, wohin sie treten musste.

»Pass auf dich auf.« Tania hatte die Hand gehoben, um ihr zum Abschied zu winken. »Bist du dir sicher, dass ich dir kein Taxi rufen soll?«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich laufe lieber.« Gehen bedeutete nachdenken, und das hatte sie in letzter Zeit viel getan. Heute Abend hatte sie außerdem ein paar Gläser Wein getrunken, und das tat sie inzwischen nicht mehr allzu oft. Vielleicht hatte sie zu viel gesagt. Sie hatte sich daran gewöhnt, ihre Meinung für sich zu behalten, und es sah ihr gar nicht ähnlich, so offen über ihre Probleme zu sprechen. Sie schnitt sich selbst eine Grimasse.

Die Klippe war nicht leicht zu erklettern. Sie blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Unter ihr glitzerte im Schein der letzten Sonnenstrahlen ein kleiner Makrelenschwarm, der durch die Wellen sprang. Sie sah die glitschigen Rücken der Fische aufleuchten. Sie sah zu, wie die Sonne sank und in den Horizont eintauchte. Ihre Schatten verdunkelten das Wasser. Sie beschloss, sich Zeit für ihren Heimweg zu nehmen.

Über den Zauntritt kletterte sie auf die Weide. Vergangenes Jahr hatte sie hier eine Gruppe Grundschulkinder auf einem Ausflug getroffen. Sie hatten Brombeeren gepflückt, und ihre Finger waren voll roter und blauer Flecken gewesen. Ihre Lehrerin hatte ihnen mit einem Lächeln auf dem Gesicht von Insekten und Vögeln erzählt. Herzerfrischend war das gewesen. Am liebsten hätte sie der Lehrerin dazu gratuliert, dass sie diese Kinder zurück zur Natur geführt hatte, dass sie sie zu einer solchen Liebe zum Ländlichen ermunterte in einer Welt, in der die Menschen die meiste Zeit drinnen verbrachten, fest im Griff moderner Technologie.

Pah, was für ein Unsinn! Sie war dabei, sich zu einer mürrischen alten Frau zu entwickeln. Vielleicht war sie ja schon eine. Aber alles veränderte sich. Und jetzt das … Sie erschauerte, obwohl es nicht kalt war.

Sie passierte die stachlige, dichte Brombeerhecke, und ihre Gedanken wanderten zurück. Für gewöhnlich war es das Beste, das zu unterbinden. Was getan worden war, konnte man nicht rückgängig machen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie sich vorgestellt, es würde anders kommen. Aber andererseits galt das wahrscheinlich für jeden Menschen. Jeder konnte an ein »damals« zurückdenken. Hätte ich dies anders gemacht oder das … Das hätte den Lauf der Dinge verändert, vielleicht für immer. Aber das würde nicht passieren, weil dieses Spiel so nicht funktionierte. Es hatte keinen Sinn.

Sie hatte die Endgültigkeit erkannt, die darin lag, die Safranzwiebeln nicht wieder auszupflanzen. Nell hatte es ebenfalls gewusst. Sie hatte es in den Augen ihrer Tochter gelesen. Sie war sich nicht einmal sicher, warum sie es so offensichtlich gemacht hatte. Schließlich hätte sie einfach das Feld lassen können, wie es war. Aber es war das vierte Jahr. Es war wie ein Zwang. So hatte sie getan, was sie immer tat. Sollte Nell daraus machen, was sie wollte. Sie hatte ihrer Tochter ein Zeichen gegeben; mehr würde sie einstweilen nicht tun. Nell musste lernen, es zu entziffern.

Sie erreichte das Ende der Weide und stieg über den zweiten Zauntritt. Der Tag neigte sich seinem Ende zu; bald würde der letzte Vorhang fallen. Die Sonne war untergegangen, am Himmel mischte sich das Rot mit Grau, und alle Umrisse, die sie so gut kannte – von Klippenrand und Hecken, von hölzernen Gattern und Trockensteinmauern –, verschwammen im Zwielicht zu undeutlichen Schatten. Die Vögel flogen nicht mehr und hatten das Zwitschern eingestellt. Und die Landschaft, die sie umgab, die Landschaft von Roseland, Cornwall, die sie liebte, machte sich bereit für die Stille der Nacht, in der das Rascheln eines Wesens im Unterholz, das Rauschen des Meeres und die Brandung die einzigen Geräusche waren, die zu hören waren.

Von allen war Nell die Einzige, die an allem unschuldig war. An was auch immer. Und wenn sie die Wahrheit nicht zu wissen brauchte, dann brauchte Nell es auch nicht. Was spielte es schließlich für eine Rolle, wer zu wem gehörte und wer was getan hatte? Jedes Kind kam ohne Schuld auf die Welt.

Der Weg hier war schmal und verlief nah am Rand der Klippe. Unten in einer winzigen Felsenbucht plätscherte das Wasser, spritzte auf die Kiesel des Strandes und auf die Felsen und zog sich mit der Ebbe in die dunkle Weite des Ozeans zurück, hin zum sanften Schein des abnehmenden Mondes. Fast hätte sie den Atem angehalten. Konnte es einen schöneren Anblick geben?

Als du herausgefunden hast, dass du schwanger warst, dachte sie unwillkürlich, hätte es das herrlichste Gefühl der Welt sein müssen. Sie legte die Hände auf ihren Bauch, als könne sie so jenes Gefühl wieder wachrufen, das sie vor über dreißig Jahren gefühlt hatte, als sie mit Nell schwanger gewesen war. Herrlich … Herrlich waren die Dinge in einer idealen Welt. Sie sah aufs Meer hinaus. Ideal war ihre Welt nicht einmal damals gewesen.

Seufzend ging sie weiter. Und heute? Um sie herum breitete sich die Dunkelheit über das Gras, die Bäume und das Unterholz aus, über das Meer und die Felsen und Steine unter ihr. Die Wahrheit war immer eine Bürde gewesen – selbst der Teil davon, den sie kannte. Denn sie wusste nicht alles. Aber das gab niemandem das Recht, jemand anderen damit zu belasten, und das hatte sie auch jetzt nicht vor. Das war nicht ihre Art. Nell hatte etwas Besseres verdient. Sie hatte bei Nell nicht immer alles richtig gemacht. Sie hatte zu sehr versucht, Nell zu schützen – das erkannte sie jetzt. Schlussendlich musste man sein Kind loslassen, ganz gleich, welche Sorgen man sich um es machte. Und das war alles, was sie heute für Nell tun konnte.

Ohne den Weg noch erkennen zu können, ging sie weiter. Sie wusste auf dem vertrauten Pfad genau, wo sie sich befand. Nach einer Weile verbreiterte sich der Weg, und sie spürte aus der Entfernung die Straße mehr, als dass sie sie sah. Ein schwaches Licht aus einem der Cottages wies ihr den Weg. Einen Weg. Das Leben war voller Wahlmöglichkeiten. Jetzt war es nicht mehr weit. Und ja …

Angezogen von dem aufgewühlten Wasser, dem Schimmern des Mondes und dem Zischen und Klatschen der Brandung auf dem Strand unter ihr, trat sie näher an den Rand der Klippe heran. Sie konnte es sehen und spüren. Jetzt war es wirklich nicht mehr weit.

1. Kapitel

Fünf Monate später

Sie hatte wieder von ihr geträumt. Und nicht nur von ihr. In den Sekunden kurz vor dem Aufwachen, in diesen kurzen Momenten, in denen man nicht weiß, wo man ist oder sogar wer man ist, in diesen Sekunden, in denen ein Traum völlig real erscheinen kann, hatte Nell das Safranfeld gesehen. Die Krokusblüten hatten sich gerade erst geöffnet. Es war diese kostbare Zeit des kurzen Innehaltens vor der Ernte, in denen die Felder unter dem eisblauen Oktoberhimmel aussahen, als wäre eine malvenfarbene Tagesdecke sanft über die Erde gezogen worden. Es beherrschte ihr Traumbild und schien ihre Welt zu erfüllen, wie es es immer getan hatte: violetter Safran.

Doch bevor sie die Vision einfangen, bevor sie sie festhalten konnte, hörte sie das Rascheln, mit dem Vorhänge zurückgezogen wurden. Es war Morgen. Es war Ende Oktober. Aber hier gab es keinen Safran. Hier war nur ihr Mann Callum, der die Vorhänge geöffnet hatte und nun mit einem Tablett vor ihrem Bett stand. Das Grinsen auf seinem Gesicht wirkte gezwungen, vielleicht weil er es so lange nicht mehr gezeigt hatte.

Nell war angespannt. Sie wusste nicht, ob es an ihrem Traum lag, an Callum oder an dem Kummer, der ihr Leben immer noch wie eine dunkle Wolke verdüsterte. Ihre Mutter war vor fünf Monaten gestorben, als sie eines Abends um Mitternacht herum allein an den Klippen entlangspaziert war. Sie war nicht mehr da, und der Safran auch nicht. Und Nell fand ihren Weg nicht mehr.

»Aufwachen, du Schlafmütze.«

Nell öffnete die Augen noch ein bisschen weiter und versuchte, ihn beruhigend anzulächeln. Mir geht’s gut, wirklich. Das tat sie in letzter Zeit oft. Doch die Wahrheit war, dass es ihr nicht gut ging. Und ihrer Beziehung auch nicht.

»Tata! Frühstück im Bett für das Geburtstagskind!« Sein dunkles Haar war noch vom Schlaf zerzaust; und sie sah deutlich den Bartschatten an seinem Kinn. Er gab sich so große Mühe, so zu tun, als ob alles in Ordnung sei.

»Danke.« Ihr Geburtstag. Sie hätte ihn fast vergessen. Heute wurde sie vierunddreißig. Es war ihr erster Geburtstag als verheiratete Frau – und ihr erster Geburtstag seit dem Tod ihrer Mutter, die sie über alles geliebt hatte. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen.

Also setzte Nell sich auf und stopfte sich ein Kissen in den Rücken. »Du verwöhnst mich. Wie schön!« Die Worte schienen im Zimmer widerzuhallen. Nell fragte sich, ob sie in Callums Ohren genauso wenig überzeugend klangen wie in ihren. Aber sie hatte nicht das Herz, bei dem Spiel, das er offensichtlich spielen wollte, nicht mitzumachen. Er gab sich so große Mühe. Auf dem Holztablett standen ein Becher Tee, ein Teller mit einem Croissant, einem dicken Klecks Aprikosenmarmelade und einem Buttermesser und eine Herbstanemone in einer schmalen Vase. Daneben lag ein dicker cremeweißer Umschlag. Nell fühlte eine leichte Beklemmung in sich aufsteigen.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Nell.« Vorsichtig stellte Callum ihr das Tablett auf den Schoß – fast als wäre sie krank, dachte sie unwillkürlich. Dann beugte er sich über sie, um sie sanft auf die Wange zu küssen.

Sie fragte sich, wann sie aufgehört hatten, einander auf den Mund zu küssen. Bevor ihre Mutter gestorben war oder danach? Und war das wirklich wichtig? Er roch nach Pfefferminzzahnpasta und Herbstlaub. »Na, hast du was Schönes geträumt?« Er strich ihr das Haar aus der Stirn, und Nell schloss eine Sekunde lang die Augen und dachte an eine andere, weichere Hand.

»Glaub schon.« Sie beschloss, ihm nichts von dem Safran zu erzählen.

Seit dem Tod ihrer Mutter hatten sie es beide schwer gehabt. Warum?, dachte sie wie schon so oft, seit es passiert war. Warum hatte es so passieren müssen? Und was genau war passiert? Sie hatte keine Ahnung. Ihre Mutter war mitten in der Nacht allein über den Klippenpfad gegangen. Und dann? Nell wusste nichts über die Umstände ihres Todes – ein weiterer Punkt auf der langen Liste der Dinge, die sie nicht wusste, Dinge, von denen ihre Mutter in ihrer unendlichen Weisheit beschlossen hatte, sie ihr nicht zu erzählen.

Nell bemerkte, dass sie die Fäuste geballt und die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen hatte. Sie gab sich Mühe, ihre Muskeln zu entspannen. Es war schlimm genug gewesen, vieles nicht zu wissen, als ihre Mutter noch lebte. Aber wenigstens hatte Nell da noch gehofft, dass ihre Mutter ihr eines Tages davon erzählen würde. Doch nun, wo sie nicht mehr lebte, würde Nell es nie erfahren. Und in diesen furchtbaren Abgrund der Trauer mischte sich der Zorn auf ihre Mutter, den sie deswegen empfand.

Callum hatte sein Bestes getan, um sie zu unterstützen. Er hatte sie in den Armen gehalten, wenn sie weinte – sie konnte kaum glauben, dass sie so viele Tränen hatte –, er hatte ihr zugehört, wenn sie von den guten Zeiten erzählte. Er hatte ihr Haar gestreichelt, ihre Hand gehalten, ihr über die Stirn gestrichen, ihr die Schultern massiert, hatte alles getan, was er konnte. In dem grässlichen bürokratischen Nachspiel des Todes hatte er so viele Angelegenheiten geregelt, wie es ihm nur erlaubt war, während Nell versuchte, alles zu verstehen.

Im März hatte sie ihn geheiratet. Da hatte ihre Mutter noch gelebt. Ende Mai war ihre Mutter gestorben, und Mitte Oktober war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob sie und Callum zu Weihnachten noch verheiratet sein würden. Was passierte hier? Er war doch angeblich ihr Mann, und doch schien ihre Mutter die Achse gewesen zu sein, um die sich Nells Welt drehte. Ohne sie lief alles aus dem Ruder, einschließlich ihrer Ehe mit Callum.

»Trink doch deinen Tee«, sagte Callum ziemlich schroff. »Bevor er kalt wird.«

»Tut mir leid.« Nell holte tief Luft. Sie musste sich mehr Mühe geben, das war alles. Sie konnte ihre Ehe nicht kampflos aufgeben.

Denn Callum war es immer wert gewesen, um ihn zu kämpfen, oder? In Callums wohlgeordneter Welt, die Lichtjahre entfernt von dem ungeordneten Planeten lag, auf dem Nell aufgewachsen war, gab es immer eine richtige Art, etwas zu tun. Man lernte ein Mädchen kennen und ging mit ihm aus, um etwas zu trinken. Dieser Teil war einfach gewesen. Nell war Callum gleich sympathisch gewesen, als sie ihn in dem Café gesehen hatte, in dem sie mittags Sandwiches und Baguettes belegte und abends hektisch nach der Pfeife von Johnson tanzte, dem Boss und Chefkoch. Dem einzigen Koch. Sie hatte den hochgewachsenen Mann mit den warmen, haselnussbraunen Augen, der wirkte, als halte er sich gern an der frischen Luft auf, kennenlernen wollen. In Callums Welt führte das, falls es gut lief, zu einem Abendessen. Es war gut gelaufen, und sie hatten zusammen gegessen. Anschließend stand Kino auf dem Programm – eine romantische Komödie, bei der er mehr als sie gelacht hatte. Es folgten ein Konzert im örtlichen Kunstzentrum – eine lokale Band, die sich darauf verstand, alle auf die Tanzfläche zu locken – und schließlich ein Klippenspaziergang von St. Mawes nach St. Just, verbunden mit einem Mittagessen in einem Pub. Irgendwann würde das alles zu Sex führen. Nell hatte sich allerdings schon fast einen Monat mit Callum getroffen, bis das Thema zur Sprache gebracht wurde – durch Nell, die ihn mehr oder weniger fragte, was an ihr nicht stimme.

Callum hatte gelächelt – ein umwerfendes Lächeln, das zugleich Stärke und Ruhe ausstrahlte – und gesagt: »Ich wollte, dass wir uns Zeit lassen.« Das hatte sie schön gefunden und in gewissem Maße auch erfrischend, denn Nell hatte bis dahin eher erlebt, dass Männer nach nur ein paar Verabredungen das volle Programm erwarteten. Doch als er sich vorbeugte, um sie zu küssen – sie saßen in einer überfüllten Bar in Truro – und sie seine ganze Kraft spürte, als hätte er den Intensitätsregler plötzlich um ein paar Stufen hochgestellt, hatte sie gedacht: Ich brauche keine Zeit mehr. Danach hatte auch er nicht mehr Zeit gebraucht. In dieser Nacht hatte er sie in seiner Einzimmerwohnung am Fluss geliebt, zärtlich, aber mit zunehmender Leidenschaft, die sie unwiderstehlich mitzog.

Weiter war Nell mit Männern eigentlich nie gekommen. Manchmal blies sie die Sache ab, manchmal er; manchmal war sie einfach im Sande verlaufen oder nie richtig in Gang gekommen. Aber bei Callum war das nicht so. Sie verbrachten immer mehr Zeit gemeinsam. Beide wanderten und radelten gern und liebten es, draußen zu sein, ob bei Regen oder Sonnenschein. Nell kochte gern, und Callum genoss es, das Ergebnis zu kosten. Ihre Leidenschaft wuchs, und aus Verliebtsein wurde Liebe. Der nächste Schritt bestand für Callum darin, die Entscheidung zu treffen, ihr Leben zu teilen. Zusammenzuziehen, zu heiraten.

»Ich weiß nicht«, hatte sie an dem Tag gesagt, an dem er vorgeschlagen hatte, sie sollten zusammenziehen. Sie saßen bei ihrem Lieblingsitaliener, aßen Pasta und tranken Rotwein, und wie üblich war es Callum gelungen, einen Fensterplatz zu reservieren. Da waren sie seit zwei Jahren zusammen.

»Was weißt du nicht?« Er beobachtete sie genau; das spürte sie. »Ob du bereit dazu bist? Ob du mich liebst?«

»Ich liebe dich.« Sie legte die Hand auf seine. Wenigstens dessen war sie sich sicher.

»Liegt es daran, dass du deine Mutter nicht verlassen willst?«, fragte er.

Sie hätte es nicht so ausgedrückt. Vielleicht hätte sie gesagt, dass sie ihre Mutter nicht sich selbst überlassen wollte, dass sie Zeit bräuchte, um ihre Mutter an die Vorstellung zu gewöhnen, dass sie nicht wusste, wie ihre Mutter reagieren würde. Oder alles zusammen. »Nicht unbedingt«, wich sie aus.

»Jeder verlässt irgendwann seine Eltern«, hatte Callum vollkommen vernünftig argumentiert. »So funktioniert es nun mal.«

Das wusste Nell. Die Wörter »ungesund« und »unnatürlich« schwebten zwischen ihnen in der Luft. Noch waren sie ungesagt, aber in Zukunft würde sie vielleicht jemand aussprechen, daher wollte sie, dass er verstand. Es ging nicht nur darum, dass sie auf eine Anzahlung für ein eigenes Haus sparte. Die Frage war auch nicht, wie gut sie sich verstanden. Das taten sie ja meistens. Die üblichen Konventionen hatten in ihrer Familie nie gegolten. Aber ihre Familie hatte nur aus ihrer Mutter bestanden; so war es immer schon gewesen. Deshalb fühlte Nell sich für sie verantwortlich. Trotz allem. »Du hast recht«, sagte sie.

»Aber du bist dir nicht sicher, ob sie ohne dich auskommen würde?«, hakte er nach.

»So ähnlich.« Die Wahrheit war, dass ihre Mutter bestens dazu in der Lage war. Aber sie waren immer ein Team gewesen. Sie beide gegen die Welt – zumindest hatte ihre Mutter es immer so aussehen lassen. Und bis zu einem gewissen Punkt stimmte es auch. Aber warum hatte ihre Mutter sich dann immer geweigert, über die Vergangenheit zu reden? Darüber, wo Nell herkam? Darüber, wer sie wirklich war? In einem Team schwieg man nicht so verstockt, wenn eines der Mitglieder etwas so unbedingt wissen wollte.

»Liegt es daran, dass du Angst hast?« Callums Miene war weicher geworden. »Ich sorge für dich, Nell, du brauchst dir keine Gedanken zu machen.«

Sie war doch kein Kind mehr … Einen kurzen Moment lang sah sie an ihm vorbei durch das Fenster auf die Straße. Es hatte geregnet, und das Straßenpflaster glänzte vor Nässe. Draußen standen ein paar junge Männer herum, die rauchten, lachten und Dosenbier tranken. »Vielleicht sollte ich zuerst einmal versuchen, allein zu leben.« Dass sie es laut ausgesprochen hatte, wurde ihr jedoch erst klar, als sie seine verletzte Miene sah.

»Du bist dir nicht sicher, was uns angeht?«, fragte er und schob seinen Teller weg, obwohl er seine Pasta nicht einmal aufgegessen hatte – etwas, was für Callum beinahe etwas Unerhörtes war.

»Das habe ich nicht gesagt.« Sie hatte ein schlechtes Gewissen. »Ich finde nur, wir sollten ein wenig warten«, sagte sie. »Wir sind noch jung.«

»Nun gut.« Er rieb sich auf seine unnachahmliche Weise das Kinn und runzelte die Stirn. »Aber irgendwann wirst du sie verlassen müssen, weißt du.«

Nell wusste es.

»Willst du ihn denn nicht aufmachen?« Callum ging auf seine Seite des Bettes, und obwohl er schon angezogen war – Jeans und ein rot-grau kariertes Hemd –, streckte er sich wieder auf dem Bett aus und griff nach seinem Tee, der auf dem Nachttisch stand. Sie trank grünen Tee mit Jasmin. Seiner war Clipper Gold – stark und gut.

Nell sah ihm an, dass er aufgeregt war. Sie spürte, wie ihre Beklommenheit wuchs.

»Hast du heute etwas vor?«, fragte sie, um Zeit zu schinden. Sie trank von ihrem Tee, brach ein Stück von dem noch warmen, blättrigen Croissant ab und strich Aprikosenmarmelade darauf.

»Natürlich nicht«, sagte er. »Heute ist doch dein Geburtstag. Außerdem ist Sonntag. Du kannst dir aussuchen, was wir machen.«

Hmmm. Nell wäre allerdings jede Wette eingegangen, dass er schon entschieden hatte, was sie sich wünschen sollte. Sie zog die weiße Anemone aus der Vase und atmete den zarten, wintrigen Duft ein. Heute Morgen hatte sie den Duft des Safrans nicht richtig wahrnehmen können, obwohl sie ihn so gut kannte. Der Geruch der zarten Blüten, die feuerrote Stempelfäden bargen, war faszinierend und doch fast unmöglich zu definieren: eine Mischung aus Feuer, Honig und frischem Heu. Konnte man im Traum riechen? Nell war sich nicht sicher. Wenn sie wollte, konnte sie jederzeit ein Glas aus dem Vorratsschrank in der Küche unten aufschrauben und an den roten Safranfäden darin riechen. Sie konnte den schwer zu fassenden, exotischen Dufthauch marokkanischer Gewürzmärkte und persischer Paläste genießen, aber nicht den Duft der Blumen – dazu waren Safranblüten viel zu vergänglich.

Sie war mit dem Safran aufgewachsen. Sie pflückten jede Blume, wenn sie bereit war, sammelten ihre Ernte in hölzernen Gartenkörben und trugen sie nach drinnen. Nell und ihre Mutter und meist noch eine oder zwei Freundinnen saßen dann um den alten, zerschrammten Bauerntisch und zupften den Safran. Sie schlugen die Blätter jeder einzelnen, noch nicht aufgegangenen Blüte zurück, als wären sie eine Auster, die eine Perle barg, und zupften behutsam und geschickt die rubinroten Narben aus der Mitte, bis ihre Finger an der einen Hand schiefrig blaugrau vom Öffnen der Blüte waren und die an der anderen ockerfarben vom Herausziehen der Narben. Nach und nach begrub der Berg leerer Blüten den Tisch unter sich, während das kleine Häufchen der kostbaren Fäden nur langsam wuchs.

Einfach war diese Arbeit nicht. Die Blütenstempel waren empfindlich; man musste sie herauslösen, ohne das gelbe Staubgefäß zu öffnen, weil das die ganze Charge entwerten würde. Lavendelfarbene Blütenblätter klebten an ihren Fingerspitzen, Narbenfäden brachen, ihre Augen brannten. Und das Safranhäufchen wuchs immer so langsam. Aber das heimelige Licht, die Kameradschaft zwischen den Frauen, der scharfe Duft des Safrans, der zu Beginn wie Honig roch, bevor er dann ein tieferes, moschusartiges, viel stärkeres Aroma entwickelte – all das war Belohnung genug. Das hatte Nell schon als Kind festgestellt.

Die Fäden wurden portionsweise auf dem Herd getrocknet. Nells Mutter benutzte dazu ein Backblech. Die Safranfäden mussten schnell trocknen, bevor sie schimmelten und verdarben. Also wachte Nells Mutter ängstlich über sie wie eine Henne über ihre Küken und breitete sie sanft mit den Fingern aus, bis sie vollständig trocken und fertig zum Einlagern waren. Ihr bitterer Heugeruch zog von der Küche aus durch den Rest des Hauses und setzte sich in ihrer Kleidung fest, und auf Sesseln, Handtüchern oder Kissen tauchten matte, pudrig gelbe Flecken auf. Der Safran zog seine Spur durch ihr Leben. Und wenn die Ernte vorbei war, sammelte Nells Mutter die übrig gebliebenen, flüchtigen Reste der violetten Blumen in ihrem Weidenkorb und stellte ein Kistchen davon in den Wäscheschrank, wo sie während der Wintermonate als »Erinnerungspotpourri« dienten, wie sie es nannte. Und wirklich, sie erinnerten einen an den Safran. Als könnte man ihn je vergessen.

Nell war mit dem Safranfeld vor dem Haus auf der Roseland-Halbinsel in Cornwall aufgewachsen. Vom Fenster ihres Zimmers aus konnte sie es sehen. Dem Turnus des Fruchtwechsels folgend, sorgte ihre Mutter alle vier Jahre dafür, dass die Zwiebeln ausgegraben und an einer anderen Stelle wieder eingesetzt wurden. So konnte das Land wieder gedüngt werden, und die Tochterzwiebeln, die sich an die Oberfläche gedrängt hatten, konnten zum Wiedereinpflanzen abgenommen werden. So wurde Safran angebaut. Nell hatte den Safran immer vor Augen; vermutlich hatte ihre Mutter es so gewollt. Sie beobachtete die zarte Saat von dem Moment an, in dem die ersten papierdünnen, weißen, dreieckigen Hüllen, die die Blattspitzen schützten, durch den Boden stießen und ein kleines Büschel bildeten, in dessen Mitte sich die noch geschlossene Blütenknospe befand. Nach und nach wuchsen die Blätter. Wenn das Wetter gut war, konnte sich eine Knospe über Nacht in eine voll entwickelte Blüte verwandeln. Und dann kam irgendwann der herrliche Augenblick, wenn die Temperatur perfekt war, die Blüten sich endlich entfalteten und die langen Fäden herabhingen und bereit zum Pflücken waren.

Ihre Familie baute seit Generationen Safran an; das hatte ihre Mutter ihr oft erzählt. »Wir müssen arbeiten, damit unsere Tradition überlebt.« Diesen Satz hatte sie ziemlich heftig hervorgestoßen, und in ihren dunklen Augen – sie waren beinahe indigoblau – hatte dabei die gleiche Leidenschaft geglüht wie in ihren Worten. Wenn ihre Mutter Safrankuchen gebacken hatte, war ihr dunkles Haar meist überstäubt von Mehl gewesen, weil sie es sich bei der Arbeit mit den mehligen Händen immer wieder aus dem Gesicht gestrichen hatte. Der Tradition entsprechend benutzte ihre Mutter den gesamten Safranaufguss, statt ihn zu sieben, um das beste Aroma zu erzielen. Später gab sie Korinthen, Zitronat, Orangeat, Muskat und Zimt dazu. Er braucht keinen Schnickschnack, pflegte ihre Mutter zu sagen. Einfach eine Scheibe goldener Sonnenschein und ein wenig Sahne. Diese duftende gelbe Krume. Dieser schwer zu definierende Safrangeschmack. Himmlisch. Schon bei dem Gedanken lief Nell das Wasser im Mund zusammen.

»Du auch, Nell. Es ist dein Erbe.« Dann drehte sie sich mit einer schwungvollen Bewegung um, um weitere Zutaten aus der Speisekammer zu holen, und das Haar fiel ihr über den schlanken Rücken, und der bunt gemusterte Rock schwang mit. »Auch du musst sie lebendig halten.«

Dieses Erbe war eine furchtbare Verantwortung, dachte Nell, während sie ihren Tee trank. Ihre Mutter hätte nicht sterben sollen, nicht so plötzlich – und ganz bestimmt nicht auf diese Art. Es hatte Nell völlig unvorbereitet getroffen. Sie nahm den dicken, cremeweißen Umschlag vom Tablett. »Ist das mein Geschenk – oder eine Karte?«, versuchte sie zu witzeln.

Callum zog eine Augenbraue hoch. »Du musst ihn nur aufmachen und nachsehen.«

Sie wusste, es würde beides sein. Nell hatte eine Weile gebraucht, um ihren Mann zu verstehen und die Art, wie er sein Leben genauso in Ordnung hielt wie die Gärten anderer Menschen. Er war Landschaftsgärtner und -architekt und arbeitete auf die altmodische Weise. Nichts liebte er mehr, als an seinem Reißbrett auf Papier einen Garten zu entwerfen; mit Lineal, Bleistift und einem tiefen Stirnrunzeln, das sie ihm am liebsten weggestrichen hätte. Später setzte er seinen Entwurf dann mit Rasen, Stein aus der Gegend, Pflaster, Bodenbelag und Pflanzen um. Und obwohl Nell sich manchmal wünschte, er würde spontan seine Meinung ändern, seine Pläne würden im Chaos untergehen oder etwas würde sich anders entwickeln, als er erwartet hatte, war sie sich bewusst, dass es wahrscheinlich genau dieser Ordnungssinn gewesen war, der sie überhaupt erst zu ihm hingezogen hatte. Callum war das Fleisch gewordene Gegenteil ihrer Mutter.

Nell drehte den Umschlag in ihrer Hand. Callum hatte sein Bestes getan, um sie in ihrer Trauer und in ihrem Zorn zu unterstützen. Aber er hatte auch deutlich gemacht, dass sie nun langsam wieder nach vorn blicken sollte. Doch wie konnte man nach vorn blicken, wenn etwas in einem gestorben war?

»Wir müssen das blöde Haus verkaufen«, hatte er vor zwei Monaten zu ihr gesagt, als sie in an einem sonnigen Nachmittag in ihrem winzigen Garten hinter dem Haus saßen.

»Blöd?« Nell hatte das Wort nicht gefallen. Sie war dort aufgewachsen und hatte den größten Teil ihres Lebens dort verbracht. Sie wusste nicht, ob sie es ertragen würde, wenn es jemand anderem gehörte.

»Es ist jetzt drei Monate her.« Er war von der Bank aufgestanden und lief im Garten auf und ab, als säße er in der Falle. »Es steht bloß da und tut nichts. Du musst dich der Erkenntnis stellen. Sie kommt nicht wieder, oder, Nell?«

Nell spürte, wie die Tränen in ihr aufstiegen. Auch nach drei Monaten waren sie nie weit entfernt. »Nein«, sagte sie leise. »Sie kommt nicht zurück.«

»Und wir könnten das Geld gebrauchen.«

Nell hoffte, dass sie ihn nicht richtig verstanden hatte. Aber natürlich hatte sie das.

Er kam wieder zu ihr und setzte sich neben sie auf die Bank. »Wir könnten uns etwas Größeres kaufen. Ich könnte etwas Geld ins Geschäft stecken. Wir könnten sogar die Eröffnung eines eigenen Restaurants für dich planen. Das willst du doch, oder? Wollen wir das nicht beide?«

Nell sagte nichts. Ein Gefühl, das sie nicht identifizieren konnte, schnürte ihr die Kehle zu. In diesem Moment hätte sie nicht sagen können, was sie wollte.

»Es ist Zeit, Nell.« Er legte den Arm um sie.

Am liebsten hätte sie den Kopf an seine Schulter gelegt. Nichts wünschte sie sich mehr. Sie wollte die Augen schließen und einfach alles ihm überlassen. »Ich weiß nicht.« Sie hatte das Gefühl, das Gespräch darüber, ob sie zusammenziehen sollten, erneut zu führen. Aber dieses Mal schien sie nicht die Kraft zu haben, für das einzustehen, was sie wirklich wollte. Dabei war es ihr Erbe. Das Haus. Der Safran.

»Du bist nicht deine Mutter«, sagte er. »Du willst dich doch nicht um einen Bauernhof kümmern? Ich will das nicht. Ich kann das nicht. Du willst doch nicht, dass das dein Leben wird?«

Aber das war es. »Nein.« Unglücklich schüttelte Nell den Kopf. Aber … Ihre Mutter hatte unermüdlich auf dem Land gearbeitet. Manchmal hatte sie Hilfskräfte eingestellt, wenn sie es sich leisten konnte. Und es hatte Männer gegeben – oft war ein Mann monatelang bei ihnen geblieben und hatte für eine warme Mahlzeit und ein Bett für sie gearbeitet. Diese Männer waren nie geblieben. Im Herbst, wenn die Äpfel, Birnen und Pflaumen gepflückt waren und das Strauchobst abgeerntet war, wenn Nells Mutter Marmelade kochte, Obst einmachte und sich auf die Wintermonate vorbereitete, dann waren sie fortgegangen. Manchmal vor der Safranernte, manchmal danach. Als Kind hatte Nell nie gewusst, warum. An einem Tag waren sie da und am nächsten fort. Es war nie von Bedeutung. Ihre Mutter lächelte und sang immer noch, und sie waren immer noch zu zweit, so wie es immer gewesen war.

Aber jetzt war es nicht mehr so. Callum hatte recht. Es waren nur fünf Morgen Land und ein Farmhaus; so musste sie es sehen. Der Ziegenbock, den sie gehabt hatten, war bereits an eine Familie aus dem Dorf verkauft, die fand, eine Ziege als Haustier sei eine witzige Idee. Die Leute kamen aus London, was wussten sie schon? Und die Hühner – verkauft an eine Bauersfrau aus der Nachbarschaft, die ein Stück weiter die Straße hinunter wohnte. Und der Safran.

»Dieser Ort, dieses Haus, das Land … Das war Mums Welt«, versuchte sie zu erklären. Und meine Welt, dachte sie. Als Kind war es jahrelang alles gewesen, was sie gekannt hatte. Ihre Mutter hatte sie von Dingen in der Außenwelt ferngehalten, von denen sie glaubte, sie könnten sie verletzen. Eingesperrt, dachte Nell und fühlt sich sofort schuldig. Oder beschützt. Es war ein schmaler Grat. Sie hatte jedoch nie erfahren, warum ihre Mutter sie so unbedingt hatte beschützen wollen, was ihr zugestoßen war, dass sie die Welt für so schlecht hielt. Ihre Mutter hatte es ihr nie erzählt.

»Ich weiß«, sagte er. »Ich verstehe deine Gefühle, und ich weiß, wie schwer es dir fällt.« Aber während er sprach, schien er sich von ihr zu entfernen, das spürte sie. »Überlass es mir.« Plötzlich erkannte sie seinen Ton. Es war derselbe Ton, den er bei Kunden anschlug, wenn er begann, ihren Garten zu planen. »Ich übernehme die ganze Organisation. Sie brauchen keinen Finger zu rühren.«

Nell schlitzte den Umschlag mit dem Daumen auf. Sie hatten das Farmhaus noch nicht verkauft, das war die Hauptsache. Es stand zum Verkauf, aber noch gehörte es ihr.

Sie zog die Karte hervor. Sie zeigte ein Strichmännchen, das vor einer Strichfrau kniete und ihr ein Herz entgegenstreckte. Das Strichmännchen hatte dunkles Haar und haselnussbraune Augen wie Callum und die Strichfrau üppige blonde Locken und blaue Augen wie Nell. Sie fragte sich, wie viele Kartenläden er durchkämmt hatte, um sie zu finden. Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen – schon wieder.

»Callum, ich weiß, dass es …« Zwischen uns in letzter Zeit nicht so gut gelaufen ist, wollte sie sagen. Denn plötzlich wollte sie sich die Wahrheit darüber eingestehen, dass sie seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr auf derselben Wellenlänge funkten. Und sie wollte, dass er es ebenfalls tat.

Doch er gebot ihr Einhalt und unterbrach sie mit einem Kopfschütteln. »Nicht, Nell. Nicht heute.«

Sie zögerte.

Ein kleiner Umschlag fiel aus der Karte. Ihr Geschenk. Nell las die Worte auf der Karte: »Alles Gute zum Geburtstag für meine liebste Küchenchefin«. Sie durfte wirklich nicht wieder weinen. Sie reckte sich und küsste ihn auf die warme, stopplige Wange. Wenn nicht heute, dachte sie, wann dann?

»Und?« Callum wartete gespannt.

Nell hatte beinahe Angst, den Umschlag zu öffnen. Was, wenn es ihr nicht gefiel? Was, wenn er etwas vollkommen Falsches ausgesucht hatte? Es war schon schlimm genug, zum ersten Mal ohne ihre Mutter Geburtstag zu feiern: niemand, der in der Küche laut sang, mit Töpfen und Pfannen klapperte, während er Geburtstagspfannkuchen backte, in Gummistiefeln herumstapfte, weil er gerade draußen die Hühner gefüttert hatte, mit einer Henne sprach, die sich ins Haus verlaufen hatte, oder mit dem Ziegenbock, der auf dem Hof angebunden war. Alles Gute zum Geburtstag, meine Nelly! Das tiefe Lachen ihrer Mutter. Mein Sonnenstrahl. Ihre Mutter hatte sie Nell genannt, weil das im Altenglischen »Licht«, »Sonnenstrahl« bedeutete. Sie war nach dem Safran benannt.

Nell schniefte.

»Komm schon, Nell.« Callum drückte ihre Schulter.

»Schon gut.« Sie musste wirklich damit aufhören. Verdammt sollte dieser Traum sein. Sie öffnete den Umschlag. Ein Flugticket. Hin- und Rückflug. Sie runzelte die Stirn. Nach Marrakesch. »Warum …?«

»Und?«, fragte Callum noch einmal.

Nell bemerkte, dass noch ein Stück Papier in dem Umschlag steckte. Eine Art Kreditkartenquittung. Sie nahm es heraus. Für einen Kochkurs, las sie. Im Riad Lazuli. In Marrakesch. Ein fünftägiger Kurs in marokkanischer Kochkunst.

»Was ist das?«, fragte sie, obwohl sie es natürlich wusste. Callum hatte ihr einen marokkanischen Kochkurs in einem Riad in Marrakesch geschenkt. Was sie meinte, war – warum? Und wie in aller Welt konnten sie sich das leisten?

»Gefällt es dir nicht?« Callums entschlossenes Grinsen verrutschte. »Ich dachte, es wäre das perfekte Geschenk. Du hast gesagt, du hättest noch Urlaub. Ich habe mich mit dem Café abgesprochen.« In seinen haselnussbraunen Augen stand immer noch ein hoffnungsvoller Ausdruck. »Ich dachte, es wäre eine Investition in deine Zukunft. In unsere Zukunft. Du hast immer davon gesprochen, dass du mehr über …« Er verstummte.

»… die marokkanische Küche lernen wolltest. Ja, das habe ich. Und ja, das möchte ich.« Nell holte tief Luft. »Das ist ein wunderbares Geschenk.« So gesehen war es ungefähr das einzige Geschenk, das er ihr hätte machen können.

Seine Miene hellte sich sichtlich auf. »Sicher?« Er nahm ihre Hand. »Dann willst du fliegen? Du freust dich?«

»Natürlich möchte ich.« Er sollte nicht wissen, dass Nell sich seit dem Tod ihrer Mutter verletzlicher fühlte, als sie es je für möglich gehalten hatte. Er brauchte nicht zu wissen, dass es ihr schwerfiel, morgens aufzustehen und zur Arbeit zu gehen, dass es ihr sogar schwerfiel, zu ihrem Mann nach Hause zu kommen, ohne die Stimme ihrer Mutter zu hören. Ständig starben Mütter. Die Menschen trauerten, und sie kamen darüber hinweg. So war das Leben – und der Tod. Sie lungerten nicht sinnlos herum und dachten an Hühner, Frauen in Gummistiefeln und den schwer zu beschreibenden Duft von Safran. Sie lebten ihr Leben weiter; und wenn sich darin plötzlich ein Abgrund auftat, dann wichen sie ihm aus und stürzten nicht hinein. Sie behielten nicht die in ihr lila Lieblingstuch geschlagenen Tarotkarten ihrer Mutter und legten sie nicht täglich, um Anhaltspunkte dafür zu finden, was sie tun und wie sie weitermachen sollten. Sie lächelten, schoben die Erinnerungen beiseite und lebten weiter. Callum ahnte nichts davon, denn sie hatte ihm nicht erzählt, wie schlimm es war. Aber wie er empfand, hatte er deutlich zum Ausdruck gebracht: Er fand, es sei Zeit, dass sie zumindest versuchte, darüber hinwegzukommen.

Nell war sich nicht sicher, was am Beängstigendsten war – der Kochkurs oder die Unterbringung in einem Riad in Marrakesch. »War das nicht schrecklich teuer?«, fragte sie.

Er grinste. »Der Flug war ein Schnäppchen. Der Kochkurs – na ja, es war noch ein Platz frei, und sie hatten den Preis stark gesenkt, um ihn loszuwerden. Last minute sozusagen. Es ist auch keiner dieser schicken Riads. Mehr einer für … ähem … Rucksacktouristen.«

Rucksacktouristen. Sie nickte. Der Name Riad Lazuli klang allerdings nicht danach. »Dann kommst du nicht mit?«, fragte sie Callum.

Er sah sie an, doch dann wanderte sein Blick an ihr vorbei, in den Garten. Sie konnte erkennen, dass er an anderer Leute Gärten dachte. »Ich habe zu viel zu tun«, sagte er. Einen Moment lang klang er anders, ausweichend. Dann wandte er sich ihr wieder zu, streckte die Hand aus und zerzauste ihr die Locken. Das hatte er schon länger nicht mehr getan. »Das ist für dich, Nell. Nur für dich.«

»Großartig.« In Nells Ohren klang das Wort betrübt, aber Callum schien es nicht zu bemerken. Sie registrierte das Datum auf dem Ticket und rang die Panik nieder. Sie würde in drei Tagen fliegen. »Danke, Callum.«

»Also …« Callum wirkte immer noch besorgt.

Nell wurde klar, dass sie ihm davon in ihrer Beziehung bisher zu viel zugemutet hatte – Sorgen. Sie setzte ihr bestes Lächeln auf, das sie jederzeit herbeizaubern konnte. Woher sollte er wissen, was sie empfand? Sie konnte es ihm unmöglich erzählen. »Es ist perfekt«, sagte sie.

2. Kapitel

»Und was hat er dir geschenkt?«

Nell blickte zu Sharon hinüber. »Zwei Krabbenbaguettes«, sagte sie. »Einen Kochkurs. In Marrakesch.«

»Oooh. Sehr nett.« Sharon schnappte sich die Baguettes und tänzelte zu einem Tisch in der Ecke.

Nell wischte sich die Hände an der Schürze ab und wandte sich der nächsten Bestellung zu. Gebackene Bohnen auf Toast. Aha. So etwas hatte sie sich nicht vorgestellt, als sie ihre Ausbildung als Köchin am Cornwall College begonnen hatte. Als sie die Ausbildung endlich abgeschlossen hatte, hatte man ihr erzählt, nun stünde ihr der Weg in Spitzenbetriebe offen; sie könne sich nun hocharbeiten und schließlich Küchenchefin werden. Sie blickte sich in dem Raum mit den Resopaltischen und den Plastikstühlen um. Das hier war wohl kaum ein Spitzenbetrieb. Qualifikation war gut und schön. Aber man musste auch einen Job finden.

»Es ist doch nett, oder?«, fragte sie, als Sharon wieder an der Durchreiche zur Küche auftauchte. Sie dachte an Callums ausweichenden Blick. »Ist es ein gutes Zeichen, wenn dein Ehemann dir ein Geschenk macht, das erfordert, dass man fünf Tage ohne ihn verreist?«

Sharon lachte. »Bei deinem Callum ja.«

»Und wieso das?« Nell nahm ein paar Scheiben Brot und ließ sie in den Toaster in Gastronomiegröße fallen. Wenn sie ihr eigenes Restaurant hätte, würden gebackene Bohnen auf Toast auf keinen Fall auf der Speisekarte stehen.

»Weil er dich offensichtlich anbetet.« Sharon stemmte die Hände in die Hüften. »Du hast keine Ahnung, was für ein Glück du hast.«

Darüber dachte Nell nach. Das stimmte nicht, entschied sie. Sie wusste sehr wohl, dass sie Glück hatte, Callum zu haben. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie sie ohne ihn auf den Tod ihrer Mutter reagiert hätte. Aber es waren auch so schrecklich viele Dinge passiert, von denen Sharon nichts wusste. Außerdem war Sharon unheilbar romantisch.

»So ein wunderschönes Geschenk.« Sharon hatte sich jetzt warmgeredet. »Stell dir vor, Marokko: glühende Hitze, herrliche Märkte, in einem Luxus-Riad herumliegen …«

»Ich werde nicht herumliegen. Ich werde arbeiten. Kochen – schon vergessen? Es ist kein Luxus-Riad, sondern eher etwas für Rucksacktouristen. Und es ist Ende Oktober. So heiß wird es wahrscheinlich gar nicht sein.«

Sharon tat ihre Einwände leichthin ab. Sie warf einen Blick über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass die Gäste noch versorgt waren. »Du wirst jede Menge Freizeit haben«, versicherte sie Nell. »Das wird der pure Himmel. Ich wünschte, ich könnte mitkommen.« Sie nickte einem Gast zu, kritzelte etwas auf ihren Notizblock und sauste mit der Rechnung davon.

»Ich auch«, murmelte Nell. Sie rückte das Haarband zurück, mit dem sie die Locken aus dem Gesicht hielt. Darauf balancierte die weiße Mütze, auf der Johnson bestand.

Die Tür schwang auf, und Johnson kam mit großen Schritten herein, als hätten ihre Gedanken ihn herbeigerufen. »Immer noch Mittagsgeschäft?« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und schüttelte beim Anblick der gebackenen Bohnen betrübt den Kopf. »Wie viele Reservierungen haben wir für heute Abend, Nell?«

Er erwartete, dass sie solche Fakten immer sofort parat hatte, und runzelte die Stirn, als sie sich vorbeugte, um im Reservierungsbuch nachzusehen. »Einen Tisch für vier um sieben und zwei Tische für zwei um acht«, erklärte sie. Nicht übel für einen Dienstagabend außerhalb der Saison.

»Wie symmetrisch.« Johnson öffnete den Kühlschrank und musterte mit zusammengekniffenen Augen den Inhalt. »Hoffen wir, dass sie alle eines der Specials bestellen.«

Sharon brachte ein paar Teller herein, sah Johnson und verdrehte die Augen.

Sie hatte zwar gerade noch mit Sharon über Callum gescherzt, weil das die Art der beiden war, den Tag zu überstehen, aber jetzt ertappte Nell sich wieder bei dem Gedanken, ob die Beziehung zwischen ihr und Callum das hier überstehen würde – was immer »das hier« sein mochte. Ihre Trauer, vermutete sie. Sein Bedürfnis, sie solle sie hinter sich lassen.

Sie hatten angefangen zu streiten – Diskussionen, die dazu führten, dass er sich das dunkle Haar raufte und in seinen Gartenstiefeln nach draußen stampfte, um noch mehr Zweige von ihrer eigensinnigen Fichte zu schneiden oder den Hof hinter dem Haus zu fegen. Streitgespräche, nach denen Nell sich selbst ein wenig wie eine eigensinnige Fichte vorkam. Sie hatten seit Wochen nicht miteinander geschlafen. Nell hatte keine Lust, nachzurechnen, seit wie vielen Wochen. Callum arbeitete länger und Nell ebenfalls, und ihre Arbeitszeiten waren nicht immer identisch. Er hatte begonnen, sie mit einem Blick anzusehen, den sie nur verzweifelt nennen konnte. Er hatte sie gebeten, zum Arzt zu gehen, und sie hatte sich geweigert; Kummer war ein Prozess, und sie brauchte keine Glückspillen. Er hatte begonnen, sie überhöflich zu behandeln. Und er war so beflissen. Um Himmels willen, er hatte ihr Frühstück ans Bett gebracht. Er hatte darauf bestanden, dass sie das Farmhaus endlich zum Verkauf anboten. Und jetzt schickte er sie weg.

»Ich warte nur darauf, dass der Richtige für mich hier hereinspaziert.« Sharon ließ ihren geübten Kellnerinnenblick über die Gäste des an der Uferpromenade gelegenen Cafés schweifen. Nell folgte ihrem Blick und schmunzelte. Zwei Biker, die sich verfahren haben mussten, ein Paar mittleren Alters, das Cappuccino trank – eine Übertreibung, da Johnson’s Café gar keine Espressomaschine besaß –, und ein grauhaariger Wanderer, dessen Ziel wahrscheinlich die Roseland-Halbinsel war.

Sharon spielte natürlich darauf an, wie Nell Callum kennengelernt hatte. An einem kalten Tag zu Beginn des Frühlings war er hereingekommen, hatte Tee und ein getoastetes Sandwich mit Käse und Zwiebeln bestellt und sie durch die breite Klappe, die die Küche vom Gastraum trennte, angestarrt. Eine Viertelstunde später starrte er sie immer noch an. Johnson hatte immer behauptet, eine große Durchreiche, durch die ihre Gäste sehen konnten, was in der Küche vorging, flöße Vertrauen ein. Nell befürchtete, dass Vertrauen nicht alles war, was sie auslöste. Am nächsten Tag war Callum wieder da, und am Tag darauf ging er zufällig vorbei, als ihre Mittagsschicht zu Ende war.

»Ich erinnere mich an Sie«, sagte er, als würden sie sich schon lange kennen. »Würden Sie einen Kaffee mit mir trinken?«

Nell war eigentlich nicht auf der Suche nach einem Freund. Auf der Roseland-Halbinsel kannte sie schon die meisten Leute, und der Rest waren Fremde – Touristen. Sie hatte an der Kochschule Männer kennengelernt und ihren Teil an Verabredungen absolviert. Und sie war immer davon ausgegangen, dass eines Tages jemand Besonderes kommen würde. Aber bis jetzt war das nicht passiert. Bis dahin hatte sie das Café und das Leben mit ihrer Mutter in dem Farmhaus, das nur eine Meile entfernt lag. Sie hatte Freundinnen wie Lucy, die mit ihr zusammen am Cornwall College studiert hatte und jetzt in Truro lebte und arbeitete, und neuere Freundinnen wie Sharon. Aber vor allem hatte sie ihre Mutter.

Sie wusste gleich, dass Callum anders war, vielleicht sogar etwas Besonderes. Er erzählte ihr, dass er gerade einen Garten gestaltete. Terrassen anlegen. Pflanzen auswählen. Schönes erschaffen. Der Garten gehörte zu einem der großen Häuser westlich von St. Mawes, deren Gärten zum Meer hinunter verliefen. Nell hörte die Leidenschaft in seiner Stimme, mit der er über seine Vision für diesen Garten sprach, und stellte zu ihrer Verblüffung fest, dass sie sich etwas von dieser Leidenschaft für ihre eigene Person wünschte. Callum war wie ein frischer Wind. Er stellte die richtigen Fragen und sah sie auf eine gewisse Art an, auf eine gute Art. Aber das, rief sie sich ins Gedächtnis, war damals gewesen.

Nach ihrer Schicht verließ Nell das Café und fuhr mit dem Rad zurück zum Farmhaus. Mit gesenktem Kopf und gegen den Wind sauste sie über die vertrauten Landstraßen, vorbei an Bäumen, deren Laub gelb geworden war, und kurzen, breiten Hecken, in denen die verfaulenden Reste von Brombeeren hingen. Heute war einer dieser frischen Oktobertage, an denen der Winter plötzlich kurz bevorzustehen scheint. In der dumpfen Herbstluft lag mit einem Mal eine spürbare Kälte, die sie ihre Fleecejacke bis unters Kinn zuknöpfen ließ. Nach Hause zu Callum ging es eine weitere Meile quer über die Halbinsel, aber sie hatte sich angewöhnt, unterwegs hier anzuhalten, obwohl es eigentlich nicht am Weg lag. Es war eine schlechte Angewohnheit, sagte sie sich, stieg vom Rad, schnappte sich ihre Tasche aus dem Lenkerkorb und schloss mit ihrem Schlüssel die zerkratzte Haustür auf. Bald würde es das Farmhaus nicht mehr geben – jedenfalls nicht für Nell. Das »ZU VERKAUFEN«-Schild, das an den Zaun genagelt war, wirkte auf Nell wie ein Tadel.

Sie schob mit dem Fuß ein paar knittrige braune Blätter beiseite, zog die Tür auf, trat auf die kalten Bodenfliesen der Küche und lauschte. Nichts. Was hatte sie auch erwartet? Die Stimme ihrer Mutter? »Hallo«, flüsterte sie. Die vollkommene Stille des Hauses war undurchdringlich wie Nebel über dem Meer.

Entschlossen summte sie vor sich hin, um sie zu brechen, ließ den alten Teekessel volllaufen und griff nach den Kräutertee-Beuteln, die in einer alten Brühwürfeldose aufbewahrt wurden. Sie sagte sich, dass sie nur noch keine rechte Lust hatte, nach Hause zu fahren.

Als das Wasser gekocht hatte, goss sie sich einen Tee namens »Harmonie« auf, stellte den Becher auf den alten Bauerntisch und griff nach den Tarotkarten ihrer Mutter, die, in das violette Seidentuch gewickelt, seit jeher in einem Fach in der Anrichte aus Kiefernholz gelegen hatten. Stirnrunzelnd dachte Nell an ihre Frage und mischte die Karten dann langsam. Sie betraf Callum, ihre Reise nach Marokko und vielleicht ihre Mutter. Würde ihre Ehe ihre Trauer überleben? War sie stark genug, das zu schaffen? War sie in der Lage, einen Kochkurs in Marrakesch als Investition in ihre gemeinsame Zukunft zu betrachten?

Ihre Mutter hatte immer großen Wert auf schmückendes Beiwerk gelegt. Sie pflegte eine Kerze anzuzünden und eine Duftlampe – für gewöhnlich mit Lavendel, aber manchmal auch mit Rosenöl oder Patschuli. Sie dämpfte das Licht – sie legte die Karten immer abends –, zog weite, bequeme Kleidung an, ihren Kaftan oder einen Schlafanzug, und legte manchmal leise meditative Musik auf. Nell tat nichts davon. Sie konzentrierte sich einfach und legte die Karten ohne ein besonderes Muster aus. Sie bat die Karten nicht, sie an die Vergangenheit zu erinnern oder ihr die Zukunft vorherzusagen. Sie wollte nur die Stimme ihrer Mutter hören.

Sie zog eine Karte und blinzelte: die Sonne. Dies schien eine gute Karte für eine Reise zu sein. Und andere Verbindungen waren ebenfalls offensichtlich. Die Wärme Marokkos, die tiefgelbe Farbe des Safrans, die aus den blutroten Fäden entsprang, und natürlich ihr eigener Name. Nell war entschlossen, die Dinge positiv zu sehen. Die Sonne stellte eine Ermunterung dar, die Schatten hinter sich zu lassen. Aber andererseits begleitete einen der eigene Schatten immer, oder? Sie lauschte, aber die Stimme ihrer Mutter schien schwächer zu werden, und Nell geriet in Panik. Was, wenn sie sie irgendwann nicht mehr hören konnte?

Erleichtert registrierte sie die nächste Karte, die Hohepriesterin. Das war ihre Mutter. Die geheimnisvolle Frau. Die Hohepriesterin verkörperte die weibliche Kraft und hütete alle Geheimnisse. Ihre Mutter war der Mensch gewesen, den Nell auf der ganzen Welt am besten kannte. Und doch: Wer war sie wirklich gewesen? Wie gut hatte Nell über sie Bescheid gewusst? Über ihr Leben? Über ihre Vergangenheit? Sogar über ihren Tod? Sie wusste, was für ein Mensch ihre Mutter nach ihrer Geburt gewesen war. Zumindest von dem Punkt an, an dem ihre Erinnerung begann, konnte sie das sagen. Aber wer war sie vorher gewesen? Wer war die junge Frau gewesen, die Nell zur Welt gebracht hatte? Und wer war Nells Vater?

Sie ließ die Karten liegen und ging zur Kommode, um aus der Schublade das einzige Fotoalbum herauszunehmen, das ihre Mutter besessen hatte. Auf gewisse Art war es oft ihre Mutter gewesen, die sie zum Handeln gezwungen hatte, nachdem sie von zu Hause weggegangen und mit Callum zusammengezogen war. Eines Abends, als sie nicht mit ihm verabredet war, hatten sie zusammengesessen, und Nell hatte das Fotoalbum hervorgeholt. Das tat sie nicht oft – ihre Mutter hatte es nie besonders gemocht –, aber etwas, das Callum am vorherigen Abend zu ihr gesagt hatte, hing ihr noch nach, und sie war entschlossen, den Dingen auf den Grund zu gehen.

»Falls wir heiraten«, hatte er gesagt, ihre Hand genommen und ihren Daumen gestreichelt, »ich meine, wenn wir heiraten …«

Sie hatte gelacht, weil er sie bis jetzt noch nicht einmal gefragt hatte. »Ja?«

»Wer würde dich dann zum Altar führen? Deine Mum?«

»Glaube schon, ja.« Und seitdem hatte sie darüber nachgedacht. Es war ja nicht so, dass sie nicht wollte, dass ihre Mutter sie zum Altar führte. Sie hatte nur einfach keine andere Wahl.

Viele Fotos zeigten ihre Mutter als Kind. Auf den alten Schnappschüssen in Schwarz-Weiß wirkte sie einnehmend und hübsch. Einige waren in den umliegenden Feldern oder im Garten aufgenommen, eines am Strand, und eines, Nells Lieblingsfoto, zeigte sie, wie sie vor dem lilafarbenen Safranfeld stand, lachend, als sei sie durch den starken Safranduft vor Freude wie berauscht.

Und dann …

»Was hast du denn auf einmal?« Ihre Mutter war an ihr vorbeigerauscht und hatte dabei Teller und Besteck vom Tisch eingesammelt. »Nostalgische Anwandlungen?«

»Nein. Ich wollte nur …« Sie blätterte die Seiten um. Sie wusste schon, was sie sehen würde. Nämlich nichts. Es war, als hätte ihre Mutter einfach aufgehört zu existieren. Es gab Kinderbilder von Nell – nicht viele –, die wahrscheinlich jemand anderes aufgenommen hatte, denn sie konnte sich nicht erinnern, ihre Mutter je hinter der Kamera gesehen zu haben. Vielleicht einer der Freunde ihrer Mutter, die kamen und eine Weile bei ihnen blieben, oder eine ihrer Freundinnen aus dem Dorf.

»Wer war er?«, fragte sie.

»Er?« Ihre Mutter wandte ihr den Rücken zu und spülte. Nein, sie wusch nicht nur ab. Sie hatte beide Wasserhähne voll aufgedreht und spritzte Spülmittel hinein, als hinge ihr Leben davon ab. Sie konnte furchtbar stur sein.

»Mein Vater.«

Sie gab keine Antwort. Nell hörte nur, wie das Wasser in die Schüssel donnerte.

»Mum?«

»Ich weiß es nicht.«

Das Wasser spritzte auf den Boden. Nell sprang auf, rannte zu ihr, griff an ihr vorbei und drehte die Hähne ab. Ihre Mutter umklammerte den Rand des Spülbeckens und starrte vor sich hin.

»Weißt du es nicht, oder willst du es mir nicht sagen?«

»Beides.« Endlich sah ihre Mutter sie an. »Ich kann mich nicht damit beschäftigen, Nell. Nicht mehr. Das habe ich dir doch schon gesagt.«

»Aber ich muss es wissen.« Nell zwang sich, nicht nachzugeben. Sie hatte etwas Schlimmes erlebt, so viel war klar. Etwas, das sie verletzt hatte, etwas, das sie dazu brachte, Nell beschützen zu wollen, sie von allem fernzuhalten, worüber sie keine Kontrolle hatte – die Außenwelt. Und das Letzte, was Nell wollte, war, ihrer Mutter zusätzlichen Schmerz zuzufügen. Aber hatte sie es nicht verdient, die Wahrheit zu erfahren? Nells Mutter hatte immer mit etwas hinter dem Berg gehalten. Und was immer es war, es fehlte auf den Seiten dieses Albums.

»Es tut mir leid. Aber ich kann nicht.« Ihre Mutter nahm den Spüllappen und wusch weiter ab.

Nell hätte am liebsten geschrien. Aber was hätte das genützt? »Warum nicht?«, stieß sie hervor. Aber es war sinnlos. Sie kannte die Antwort schon.

»Es tut zu weh.«

»Das tut mir leid, Mum, aber …«

»Und du brauchst es nicht zu wissen.« Sie fuhr herum. »Wer hat dich großgezogen? Wer hat dich versorgt? Wer würde alles für dich geben? Alles.« Nell sah, dass sie zitterte.

»Darum geht es nicht.« Warum begriff sie das denn nicht? Es kam nicht darauf an, wer was tat oder wer der bessere Mensch war. Dies war kein Konkurrenzkampf, und sie würde nie aufhören, ihre Mutter zu lieben, aber sie musste es wissen, verdammt. Es ging um ihre Abstammung, ihre Herkunft, ihr Erbe.

»Du kannst nicht ständig auf etwas herumhacken, über das du nichts weißt. Du musst in der Gegenwart leben, Nell, nicht in der Vergangenheit. Und du musst in die Zukunft sehen. Das ist der einzige Weg.« Aber gleichzeitig schüttelte ihre Mutter den Kopf und begann zu weinen. Nell fühlte sich schlecht, so wie immer, und ging hinaus.

Als sie eine Stunde später zurückkam, legte ihre Mutter die Tarotkarten und wirkte wieder gelassen und beherrscht.

»Ich ziehe mit Callum zusammen«, erklärte Nell ihr. Sie würde sich nicht mehr mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern tun, was ihre Mutter vorschlug. Von jetzt an würde sie in die Zukunft blicken.

Ihre Mutter zuckte kaum mit der Wimper. »Du musst tun, was du tun willst, Schatz«, hatte sie gesagt.

Aber man konnte einfach nichts daran ändern, was oder wer man war, und so saß Nell wieder hier mit dem Fotoalbum und gab sich den Erinnerungen hin. Sie blätterte die Seiten um und stieß auf das Foto ihrer Großeltern, die sie nie kennengelernt hatte. Sie betrachtete den Vater ihrer Mutter, einen großen, ernsten Mann mit einem gezwirbelten Schnurrbart. Neben ihm stand, blond und hübsch, Patricia, die Mutter ihrer Mutter. Beide waren früh gestorben, ihr Großvater bald nach dem Krieg und ihre Großmutter kurz vor Nells Geburt. Das musste ihre Mutter schwer getroffen haben; heute verstand Nell das. Erst seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie deren tiefe Sensibilität ganz verstehen können, hatte die Möglichkeit akzeptiert, dass sie, wie Nell selbst, manchmal nicht weitergewusst hatte, nicht gewusst hatte, was sie tun sollte.

Nell seufzte. In der Tat, ihre Mutter war eine geheimnisvolle Frau. Callum hatte ihr – und zwar mehr als einmal – erklärt, was ihr Problem war. »Du hast ihren Tod nicht akzeptiert. Du kannst dich nicht damit abfinden, dass sie nicht mehr da ist.« Und so wie sie jetzt hier saß und einen Stapel Tarotkarten und ein leeres Fotoalbum betrachtete, vermutete Nell, dass das stimmen könnte. Sie war immer davon ausgegangen, dass ihre Mutter ihr eines Tages einfach alles erzählen würde, was sie wissen wollte. Aber sie hatte nicht so viel Zeit gehabt, wie sie dachte. Außer, sie hatte in der Nacht, in der sie gestorben war, genau gewusst, was sie tat. Was, wenn sie mit Absicht von der Klippe gesprungen war? Was dann?

Callum war hocherfreut darüber gewesen, dass Nell zu ihm ziehen wollte, und hatte sofort begonnen, Pläne zu schmieden. Er hatte erklärt, dass sie so schnell in seine Einzimmerwohnung einziehen könne, wie sie wolle. Aber Nell hatte etwas Geld gespart, sodass sie nach etwas Gemeinsamem suchen konnten, vielleicht nach einem kleinen Reihenhaus. Und sie würden heiraten. Oder?

»Fragst du mich gerade?« Nell rang gedanklich noch mit der neuerlichen Weigerung ihrer Mutter, ihr zu erzählen, was sie wissen wollte. »Ist das ein Antrag?«

»Ja!« Und dann war er mitten in der Bar, vor allen Leuten, vor ihr auf die Knie gegangen. Sie hatte gelacht und ihn wieder hochgezogen. »Dann sieh lieber zu, dass du mir einen Ring besorgst«, hatte sie gesagt.

Nells Mutter hatte angesichts des Ganzen zuversichtlich gewirkt. Sie schien Callum zu mögen und nahm all ihre Pläne ohne Einwände hin. Sie hatte etwas Geld für Nell beiseitegelegt, das sie ihnen jetzt als Zuschuss zu ihrer Hochzeit gab. Callums Eltern, die vor einigen Jahren nach Herefordshire gezogen waren, trugen ebenfalls dazu bei, und Nell und Callum heirateten im Frühling, in dem Jahr, nachdem sie ihr erstes gemeinsames Haus gekauft hatten.

Kurz darauf lud Nells Mutter die beiden eines Abends zum Essen ein.

»Ich verkaufe einen Teil des Landes«, hatte sie erklärt, als sie und Nell nach dem Essen den Tisch abräumten. Mutter und Tochter hatten darauf bestanden, dass Callum im Wohnzimmer die Füße hochlegte, denn er hatte auf der Arbeit einen harten Tag gehabt, und insgeheim wollten sie beide auch miteinander allein sein.

»Warum?« Mit dem Geschirrtuch in der Hand fuhr Nell herum und starrte ihre Mutter an. Sie war das Land.

»Es wird mir zu viel.« Ihre Blicke trafen sich.

Stimmte das? Nell wusste, dass es harte Arbeit war. Der Rücken ihrer Mutter war schon länger ein bisschen krumm vom Pflanzen. »Ich helfe dir.«

»Dazu hast du gar keine Zeit«, sagte ihre Mutter und eilte mit einem Stapel Teller auf dem Arm geschäftig zum Schrank.

»Aber …« Ihre Mutter konnte Hilfskräfte einstellen. Das hatte sie bisher immer getan.

Sie hatte recht. Nell hatte nicht die Zeit dafür. Aber es konnte trotzdem nicht wahr sein. Ihre unbezwingbare Mutter musste doch in der Lage sein, mit dem Land fertigzuwerden – das hatte sie immer geschafft. Worum ging es hier also? Redete sie von dem Safranfeld? Der Safran stellte doch angeblich Nells Erbe dar. Ihre Mutter versuchte doch nicht, sie auf irgendeine Art zu bestrafen?

Vielleich war ihre Mutter doch nicht so unbezwingbar gewesen, wie Nell gedacht hatte.