Das Palais muss brennen - Mercedes Spannagel - E-Book

Das Palais muss brennen E-Book

Mercedes Spannagel

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Beschreibung

Mit Anschluss ist nicht zu rechnen. Abgründig, rasant und mit bitterbösem Sprachwitz erzählt Mercedes Spannagel in ihrem Debütroman von der korrupten rechten Elite, die von ihrer rebellischen Brut zu Fall gebracht wird. Luise ist die Tochter der rechtskonservativen Bundespräsidentin Österreichs. Als diese sich ihren neunten Windhund zulegt, holt Luise einen Mops ins Palais, den sie Marx nennt. Die Waffen der präsidialen Jagdgesellschaft schmeißt sie in den Pool, das Teezimmer tapeziert sie mit Artikeln über die Verbrechen der chinesischen Regierung und als ihre Mutter sie mit einem Burschenschafter verkuppeln will, der ihr stolz den Schmiss über seiner Augenbraue zeigt, skandiert sie: »Mensur ist Menstruationsneid!«. Mit ihren Freunden streift Luise durch die Straßen Wiens und schmiedet Pläne, die Regierung zu stürzen. Eine Kunstaktion auf dem Opernball soll das Land verändern – doch es läuft nicht ganz so, wie sie es sich gedacht haben. »Das Palais muss brennen« ist eine scharfsichtige und irre komische Erzählung über den Widerstand in einer tief gespaltenen Gesellschaft. Ein furioses Debüt, mit dem ein neuer, unverwechselbarer Sound Einzug in die deutschsprachige Gegenwartsliteratur hält.

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Seitenzahl: 162

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Mercedes Spannagel

Das Palais muss brennen

Roman

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Mercedes Spannagel

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Motto

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Inhaltsverzeichnis

Ich bin kein Superheld.

Ich bin nicht einmal Kate Moss.[1]

Ianina Ilitcheva, @blutundkaffee

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

 

Ich tauchte mit Marx in dem Café auf. Ich hielt ihn auf dem Arm und er war ganz still.

Jo schaute von seinem Bier auf und fragte: Was soll das bitte sein?

Ich setzte mich ihm gegenüber und sagte: Eine Trotzreaktion.

Ich sagte, dass Frau Bundespräsidentin sich gestern den neunten Windhund angeschafft habe und dass ich mir daher sofort diesen Mops zugelegt hätte, weil er überhaupt kein Windhund sei, und: Ich habe ihn Marx getauft, weil Frau Bundespräsidentin den Kommunismus hasst.

Jo setzte das Bier ab und schaute skeptisch auf das Baby in meinen Armen.

Ich würde ja fast sagen, er schaut philosophisch, aber weil ich es besser weiß: traurig.

Ich legte Marx eine Hand auf die Stirn und strich ihm sanft über die samtigen Falten. Marx war ein schwarzes Mopsbaby. Und ich fand, er passte gut zu der Einrichtung des Cafés. Ich sagte: Marx komplettiert das Bild des Kaffeehauses.

Jo und ich saßen einander gegenüber in einer Nische auf Bänken mit blauer Sitzfläche, als wären wir in einem Zug, und wir aßen hier pikante Crêpes.

Immer dieses provokante Verhalten, meinte Jo und schüttelte den Kopf.

Ich schaute Jo an und ich erinnerte mich an das eine Mal, als ich vom Büchertisch ein Buch genommen hatte, hellrosa Umschlag, darauf in Schwarz (.)(.) und der Titel: Brüste. Ich hatte damals mit ihm über das minimalistische und direkte Cover reden wollen, aber es war ihm urunangenehm gewesen.

Auf dem Regal hinter der Theke standen nur die ersten vier Buchstaben des klassischen Konditorei-Schriftzuges, KOND, weiß mit Goldrand, und eine Überwachungskamera.

Ich sagte zu Jo: Weißt du noch, wie ich dich einmal fotografiert habe, als du in der Revolte, dieser anarchistischen Zeitung, den Artikel über den Voyeurismus der Wiener Linien gelesen hast?

Ach ja, sagte Jo.

Beim Frühstück hast du den gelesen, sagte ich.

Jo nickte.

Man muss sich halt gleich schon beim Aufstehen mit der Härte der Welt konfrontieren, sagte ich.

Und Jo lachte auf und fragte: Schläfst du heute bei mir?

 

Als wir bei ihm in der Wohnung waren, war Jo noch immer merklich überfordert von dem Baby. Ich sagte: Es ist ein absolutes Wunschkind.

Jo fragte: Kann ein Mops high werden?

Darüber wusste ich nichts. Ich fand es dann auch o.k., Marx in Jos Zimmer zu lassen, während wir im Wohnzimmer kifften. Jo legte ihm erst ein Kopfkissen hin, suchte schließlich aber nach einem T-Shirt in der Kommode, sagte: Falls er draufscheißt.

Ich sagte: Bitte nimm das T-Shirt mit Mao drauf.

Aber Jo zog ein weißes hervor. Ich legte Marx darauf ab und er lag dann so mit seinem Kopf auf den Pfoten und schaute uns mit riesigen Augen an.

Als würde er einfach mit dieser Welt noch nicht klarkommen, sagte ich.

Verständlich, sagte Jo.

 

Im Wohnzimmer machten wir es uns auf der Sofalandschaft gemütlich, und während Jo den Joint baute, fragte er mich, wie ich es hier fände. Ob sich etwas verändert hätte in der Zwischenzeit.

Und ich schaute mich um und sagte, dass sich nichts verändert habe. Als wäre ich zwischendurch nie weg gewesen.

Wir lümmelten herum, der kalte Joint lag im Aschenbecher aus Marokko, den ich sehr schön fand, was ich gerne betonte. Dann fragte Jo, ob ich nicht meine Pfeife aus Marokko dabeihätte, aber ich hatte sie nicht dabei. Wir schauten auf dem Laptop eine österreichische Serie, die mich zutiefst langweilte. Jo zündete den Joint wieder an. Ich stand auf, hockte mich zwischen den Couchtisch und Jo, er blies Rauch aus und sah mich an, ich griff ihm an die Hose.

Jo fragte, ob er die Serie pausieren solle.

Ich sagte, dass es mir egal sei, dass ich sowieso nicht aufpassen würde.

Und nachdem ich geschluckt hatte, fragte ich, wie es eigentlich sei, mit dem Kind von Nazis zu schlafen.

Und Jo atmete schwer und lachte und hustete und fragte: Wie ist es denn überhaupt, das Kind von Nazis zu sein?

Ich stand auf, um nach Marx zu sehen, der schlief ganz friedlich auf dem T-Shirt. Ich lächelte Jo an, als ich zurückkam und die Tür hinter mir schloss. Zufällig sah ich: Auf dem gelben Stuhl, der beim Esstisch stand, lag ein rotes Heft. Ich lachte. Ich las laut: Stalin, Über Selbstkritik.

Jo sagte, dass ich das lesen solle, nach dem, was ich ihm erzählt hätte über meine Depression und Unzufriedenheit im letzten Winter, als Präventivmaßnahme quasi.

Ich sagte: Ich denke noch lange nicht an den Winter, obwohl ich schon seit Ende August demonstrativ Lebkuchen kaufe.

Ich setzte mich wieder auf das Sofa. Ich sagte: Das Heft liegt doch mit voller Absicht da. Und dass diese Wohnung eine einzige Installation sei. Dass diese Wohnung das Hippiehafte dermaßen zelebrieren würde. Man könne sich auch nur derart inszenieren, wenn man aus einer gutbürgerlichen Familie komme.

Sheesh, sagte Jo.

Wir hingen über Stunden herum, wie früher. Ich schaute lange auf den nepalesischen Wandteppich und war doch froh, hier nicht eingezogen zu sein.

Lili hatte mir geschrieben: Ja, eh süß. Aber sind wir nicht zu alt dafür, unschuldige Lebewesen als Mittel der Kompensation für unerwiderte Liebe jeder Art zu benutzen?

Sie schrieb: …

Sie schrieb: Kannst du überhaupt Verantwortung übernehmen?

Ich schrieb: Ich kann mich in der Früh selbst anziehen.

Ich kann mich in der Früh sel

Ich kann mi

Ic…

Ich schrieb dreihundert rechtfertigende Antworten und schickte keine ab.

Jo erklärte, er habe heute im Kunstunterricht mit seinen Erstklässlern Elfchen gestaltet, Bild zu Text.

Weil ich mich nicht mit Lilis Vorwürfen auseinandersetzen wollte und die Serie nicht spannender geworden war, holte ich eine alte Ausgabe vom Standard, die ich auf der Toilette gefunden hatte, eine leere Klopapierrolle und eine Schere. Ich schnitt aus der Zeitung 1–2–3–4–1 Wörter aus und klebte sie mit Klebestreifen auf die Rolle, das Elfchen lautete:

Küsschen

Kriminelle Energie

Aber auch Kondome

Ist gegen die Nazis

Dilemma

Da ich über Nacht bleiben würde, wollte ich duschen gehen, Jo begleitete mich ins Bad.

Ich sagte, dass ich heute bereits einen Finger in der Vagina gehabt hätte im Juridicum. Ich sprach vom Einführen eines Tampons während der Menstruation.

Jo fragte, ob mich das angemacht hätte.

Nein.

Ich hatte mich in die Badewanne gesetzt, den Duschvorhang nicht vorgezogen. Jo stand an den Heizkörper gelehnt da und sah mir zu. Jo fragte mich, ob er mir ein Handtuch reichen solle, aber ich sagte, dass mir nicht kalt sei. Mir tropfte das Wasser von den Haaren. Blut lief zwischen meine Zehen. Ich sagte, dass ich eine Idee hätte für eine Kunstinstallation: in der Öffentlichkeit in einer Badewanne im Blut sitzen, so lange, wie die Menstruation dauert. Vielleicht die Milliliter zählen.

Jo sagte, dass er jetzt an Marina Abramović denken müsse, die tage-, wochen-, monatelang im MOMA in New York bloß auf einem Stuhl gesessen und die Besucher angeschaut habe.

Jo sagte, dass er, wenn er künstlerisch aktiv werden würde, eh auch Performancekunst machen würde. Dadaistische Performancekunst vielleicht.

Ich sagte, dass Walter Benjamin in Das Kunstwerk in Zeiten seiner technischen Reproduzierbarkeit schreibe, dass das dadaistische Kunstwerk vor allem den Zweck verfolge, öffentliches Ärgernis zu erregen.

Willst du das?

Jo sagte, er könne auch jetzt Fotos von mir machen. Für Instagram.

Ich sagte, er müsse aber die kollektive Angst vor Nippeln bedenken.

Jo schlug vor, Marx aus dem Zimmer zu holen. Ich könnte ihn vor meinen nackten Körper halten. Der Titel des Fotos wäre dann Möpse & Menstruation.

Ich stieg aus der Badewanne, Jo reichte mir das Handtuch, ich wickelte es um mich, er half mir, meinen Körper trocken zu reiben, er stand hinter mir, und ich schaute in den Spiegel und erzählte, dass mich meine Mutter verkuppeln wolle mit einem jungen Mann namens Ferdinand.

Jo legte sein Kinn auf meine Schulter und schaute auch in den Spiegel und fragte, ob ich diesen Mann denn gernhätte.

Und ich sagte, ja, so gern, er hat mir seinen Schmiss über der Augenbraue gezeigt und ich habe gesagt: Mensur ist Menstruationsneid.

Ich sagte: Das musst du jedem Burschi immer sagen.

 

Später im Bett las ich noch in Stalins Rede über Selbstkritik. Dann sagte ich: Der Hauptunterschied ist wohl, dass Stalin Selbstkritik wegen herrschender Überheblichkeit fordert, während ich selbstkritisch bin ganz ohne Überheblichkeit. Was man aus der Schrift Verwertbares extrahieren kann, ist Folgendes: Wir brauchen die Kritik zur Festigung der Sowjetmacht, nicht aber zu ihrer Schwächung.[2] Ich bin die Sowjetmacht. Selbstkritik also nur in einem wohldosierten Ausmaß.

Jo neben mir legte sein Handy beiseite und sagte: Jaja, dass Selbstkritik ein wichtiges Element des Kommunismus sei, aber dass er das in seiner pubertären Kommunismusphase schon nicht gelesen habe und jetzt auch sicher nicht mehr lesen werde. Finde ich stark von dir, dass du jetzt die Reden eines Massenmörders liest.

Und ich sagte, dass schließlich jemand wissen müsse, worum es gehe.

Jo fragte, aha, worum es denn gehen würde, und ich spürte seine Hand in meiner Unterhose.

 

Jo sagte: Der Mops kommt nicht ins Bett!

 

Am nächsten Morgen schliefen wir noch einmal miteinander, ich lag auf dem Rücken, und als wir fertig waren, schaute ich nach oben und auf der Unterseite des Brettes, das über dem Bett an der Wand hing, klebte ein Post-it, auf dem stand: Danke, ich liebe dich. Und es war nichts, was ich geschrieben hatte. Und ich konnte mich nicht erinnern, dass Jo jemals ein Post-it von mir aufgehängt hatte an einer Stelle, die er sofort sah, wenn er morgens die Augen öffnete. Ich stand auf und fragte mich, ob das was mit mir mache. Dann schnitt ich meinen Lieblingssatz aus dem Standard aus und klebte ihn auf den Spülkasten der Toilette: Als Individuen können wir die Welt nicht retten, nahm Marx und ging. Draußen blendete mich die Sonne und das war gut so.

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

 

Im Café Kino zeigten sie diese Woche Gangsterfilme, heute Reservoir Dogs, sie bauten den Projektor auf, ich bestellte einen Rosenspritzer, der Rosenspritzer kam mit einem Strohhalm aus Glas und ich zog sofort am Strohhalm, und Marx schlabberte Wasser aus einem Napf neben mir.

Lili kam zu spät.

Na, er lebt ja noch!, sagte sie mit einem Blick auf Marx, dann hielt sie mir ihr Handy unter die Nase. Eine Schwarz-Weiß-Fotografie, auf der Frauen in Miniröcken Schilder mit der Aufschrift Miniskirts Forever und Dior unfair to Miniskirts hochhielten. Ich zog weiter an dem Strohhalm.

Lili sagte: 1966 haben Frauen in London gegen das Fehlen von Miniröcken in Dior-Kollektionen protestiert. Ich habe heute eine Doku gesehen. Ich habe auf YouTube einen Kanal gefunden, auf dem Videos zur Emanzipationsgeschichte der Frau veröffentlicht werden.

Ich fragte, ob sie das Gangster-Motto des heutigen Tages so interpretiert habe: Das Leben ist kurz, der Rock ist kürzer.

Ich trank weiter und schaute zu, wie sich Lili mir gegenüber in den Ledersessel setzte, und ich sah noch, dass auf ihrer Unterhose AMORE stand, dann schlug sie die Beine übereinander.

Dass sie deshalb zu spät sei, erklärte sie, weil sie nach der Doku noch ein Video angeschaut habe, in dem eine YouTuberin den Porno analysiert habe, mit dem Kim K. berühmt geworden sei, und dass sie sich das noch habe anschauen müssen.

Ich fixierte Lili und zog währenddessen geräuschvoll das letzte bisschen Flüssigkeit aus dem Glas. Lili nahm mir das Glas weg.

Ich sagte: Ich glaube dir kein Wort, und ist nicht Kim der faschistoide Herrscher eines asiatischen Landes?

Ich sagte: Deine Ausreden, warum du zu spät kommst, werden auch immer schlechter!

Lili fragte: Und was hast du so gemacht, als du mir gestern nicht geantwortet hast?

Ob ich bei Jo gewesen sei, fragte sie mich.

Ich bückte mich unter den Tisch. Marx schloss die Augen, als ich ihn im Nacken kraulte. Er war so süß.

Ich sagte leise: Ja.

Lili sagte laut: Nein.

Ich sagte lauter Ja und dass ich am Wochenende auf Jagd fahren und anschließend einen Porno drehen würde, der mich berühmt machen werde.

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

 

Während die anderen jagten, lag ich am Pool. Ich lag da so in einem Liegestuhl, nah am pervers blauen Wasser, hatte die Augen hinter der Sonnenbrille geschlossen, und spürte die Septembersonne sehr warm auf meinem Körper, dann plötzlich wurde es kalt. Ich verharrte eine Weile in diesem Zustand unerklärlichen Fröstelns, Gänsehaut am ganzen Körper, bis ich die Augen öffnete und merkte, dass mir ein junger Mann den Schatten machte. Ich nahm die Sonnenbrille ab, schaute ihn einfach an, sagte nichts. Und er stellte sich vor als Theodor Thies.

Er streckte mir die Hand entgegen. Er trug ein rosa Hemd. Ich bemerkte, dass auf der linken Seite, in der Nierengegend, seine Initialen eingestickt waren: TT.

Ich fragte ihn, warum er nicht beim Töten sei.

Er sagte, er sei gerade erst angekommen.

Ich sagte: Schade, jetzt ist schon alles tot.

Und er sagte: Ja, schade.

Er lächelte. Er fragte, ob er dürfe, er stellte einen Liegestuhl neben meinen, er setzte sich auf die Kante und sah mich an, ich hatte gesagt: Bitte, bitte, setz dich nur, gedacht hatte ich aber: Scheiße, der bleibt jetzt hier sitzen.

Ich erzählte Theodor Thies, dass meine Mutter mich vor diesem Ausflug in die Steiermark verdächtigt habe, ich würde nur mitfahren, um den anderen die Stimmung zu vermiesen. Sie hatte gesagt: Wenn du nur dabei bist, um anderen die Stimmung zu vermiesen, dann lass es.

Im Auto hatte ich angefangen zu randalieren. Die Mutter hatte eine Hand vom Lenkrad genommen, um sich die Sonnenbrille abzusetzen, mich so lange angesehen, dass ich begonnen hatte, für sie auf die Autobahn zu schauen, auch um ihrem Blick auszuweichen, und dann hatte sie gefragt: Bist du eine PETA-Aktivistin oder warum führst du dich so auf?

Wäre ich noch klein, hätte ich bestimmt eine Ohrfeige bekommen.

Theodor Thies sagte: O.k., also liegst du hier, dein Bikini ist weiß, deine Hände sind sauber, du bist erfrischt, während sich andere in fremdem Blut wälzen. Ist dein Alternativprogramm hier ein stiller Protest?

Und ich war erstaunt, dieser Theodor ließ sich nicht leicht abwimmeln, ich schaute auf seine Wildledermokassins, den hellen Stoff seiner Leinenhose, ließ den Blick wandern, bis ich wieder an den Initialen hängen blieb, und sagte: Genau, TT, ganz genau.

TT sagte, er habe jetzt große Lust, mir die Zehennägel rot zu lackieren, was mich empörte.

Er sagte, den übrigen Nagellack würde er hier auf die Steinfliesen spritzen. Er sprach von Pollock.

Ich riss den Mund auf, sagte mit erschrockener Stimme: Aber Theodor!

Dann sagte ich: Auf jeden Fall halte ich nichts von Jackson Pollock.

Er lächelte und sagte: Ich habe Hunger. Komm, lass uns was essen gehen!

 

Wir waren allein im Haus. Der Waffenschrank war leer, die Bar war voll. Ich hatte mir ein übergroßes Hemd angezogen, ich setzte mich auf den Küchentisch, ließ die Beine baumeln.

TT erklärte mir, während er einen Toast mit Lachs belegte, dass er auch streng erzogen worden sei, inklusive g’sunder Watschn, und schließlich fragte er mich nach meiner adeligen Herkunft und ich sagte: Plattenbau.

Ich sagte: In irgendeinem Wiener Ranzbezirk.

Hast du gerade Randbezirk gesagt?

Jaja.

TT fragte: Und wie war die Aussicht?

Ich wusste nicht, ob TT glaubte, ich würde Scherze machen, ich sagte: Zuerst schauten wir auf einen Fußballplatz. Später zogen wir in eine andere Wohnung, Blick frei auf die Autobahn.

TT sagte, und ich wusste wieder nicht, wie ernst er es meinte, dass doch die Vorstellung schön sei, näher an Gott zu wohnen.

Ich sagte: Ich finde es gruselig, du stehst im achten Stock auf dem Teppichboden, schließt die Augen und spürst, wie sich das Haus im Wind bewegt. Mit Gott hat das nichts zu tun.

Ich überlegte, während ich kaute, TT den Toast wegaß, und sagte noch: Vielleicht bist du wirklich näher an Gott, denn wenn du aus dem Fenster springst, bist du sicher instant bei ihm.

 

Nach dem Essen wollten wir raus. Wir spazierten Richtung Wald.

Ich lachte, ich sagte: Oje, wie langweilig muss mir bitte sein, dass ich dir von früher erzähle!

TT forderte mich auf, noch etwas zu erzählen.

Also begann ich: Katzen haben in die Sandkiste des Spielplatzes geschissen, der Sand wurde durch Kies ersetzt, wir haben uns mit Steinen beworfen. Der Hausmeisterjunge hat mitgespielt, er hatte einen Vokuhila. Es war das Ende der Vokuhila-Zeit. Es war Krieg im Kosovo, deshalb war der Junge hier. Die Sonne schien, das Hochhaus stand im Weg, wir sind im ewig langen Schatten des Hochhauses festgesessen.

TT sagte: Ich hatte nie einen Vokuhila. Meinst du, mir würde ein Vokuhila stehen?

Nein.

Weil wir nicht in die Schusslinie geraten wollten, gingen wir bloß am Waldrand entlang, bis wir zu einem Hochstand kamen, auf den wir kletterten. Dort beschrieb TT seine Kindheit als eine Mischung aus Segeln am Attersee und Skifahren in der Schweiz.

Und ich sagte: Blablabla.

Und TT packte und kitzelte mich und sagte: Das ist auch ernst zu nehmen.

Ich lachte und stieß ihn weg.

Alle Kinder auf unserer Schule sind immer in den Skiurlaub gefahren, nur meine Schwester Yara und ich nicht. Wir sind stattdessen in den Ferien in unseren Betten gelegen und haben gespielt, wir wären beim Skifahren verunglückt und hätten uns die Beine gebrochen. Wir haben einen Wettbewerb gemacht, wer seinen Pyjama länger am Stück tragen kann. Yara hat meistens gewonnen, ich war älter und Bettnässerin.

 

Später sahen wir die erfolgreiche Jagdgesellschaft aus dem Wald heraustreten. Die meisten in etwas Trachtigem, Feder am Hut, die Gewehre geschultert, das Erlegte tragend, das man später, im Zustand verändert, auf dem Tisch wiederfinden würde. Wir machten uns nicht bemerkbar und so bemerkte uns keiner. Wir saßen so lange dort, bis der Himmel grauer wurde.

 

Zurück im Haus wurde TT von allen begrüßt, ein Mann mit Schnauzer und Akzent sagte: Und richte deinem Vater liebe Grüße von mir aus.

Meine Mutter trug statt strengem Dutt die blond gefärbten Haare zu einem lockeren Zopf gebunden und schien sich trotzdem nicht ganz dieser Wochenendslockerheit hingeben zu können.

Sie fragte mich, ob ich nur rumstehen könne oder ob es mir auch möglich sei, mich nützlich zu machen, ich könne den Tisch decken oder im Garten Salat pflücken gehen, es gebe genug zu tun, ob ich nicht den ganzen Tag faul in der Sonne gelegen hätte, also los, marsch. Und was hast du da überhaupt Unmögliches an!

Ich fragte mich, ob mein Mund auch so furchtbar schmal und angespannt aussah wie ihrer, ich bediente mich bereits vor dem Essen ordentlich an der Bar, TT ließ sich auch etwas einschenken, er meinte, jetzt, da er mich neben der Mutter gesehen habe, falle ihm die Ähnlichkeit stark auf, und dann waren unsere Gläser den restlichen Abend nie leer.

 

Die Jagdgesellschaft hatte sich schlafen gelegt. TT und ich mixten uns noch einen Drink.