FM4 Wortlaut 18. Sterne - Mercedes Spannagel - E-Book

FM4 Wortlaut 18. Sterne E-Book

Mercedes Spannagel

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Beschreibung

FM4 bietet Nachwuchsautor*innen und allen, die Lust am Geschichtenschreiben haben, die Chance, sich in kurzer Form literarisch über das Thema "STERNE" auszulassen. Die redaktionelle Vorjury wählt aus den cirka 800 Ein­reichungen 20 aus, die an die hochkarätige Jury weiter­gegeben werden. Diese kürt dann die Gewinner*innen, die zehn besten Texte schaffen es in die Anthologie Wortlaut 18. Mit Texten von: Stefan Adrian, Katherina Braschel, Anna Felnhofer, Barbara Kadletz, Lilian Loke, Roman Markus, Nikolaus Neu, Agnes Ofner, Mercedes Spannagel, Claire Walka

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WORTLAUT 18. STERNE

Der FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. Die besten Texte.

Herausgegeben vonZita Bereuter & Claudia Czesch

© Luftschacht Verlag – Wien 2018

luftschacht.com

Einzelrechte © jeweils bei den Autor*innen

Herausgegeben von Zita Bereuter und Claudia Czesch

Die Wahl der angewendeten Rechtschreibung obliegt dem/der jeweiligen Autor*in. Layout- und Formatvorgaben der einzelnen Texte wurden in der Regel beibehalten.

Covergestaltung: Matthias Kronfuss studio – matthiaskronfuss.at

Satz: Luftschachtgesetzt aus der Metric und der Noe

Druck und Herstellung: Finidr s.r.o.

Papier: Fedrigoni – fedrigoni.atKern: Arcoprint Milk 100 g/m2Umschlag: Sirio ultra black 370 g/m2

ISBN: 978-3-903081-27-7

ISBN E-Book: 978-3-903081-68-0

Inhalt

Zita Bereuter, Claudia Czesch

Nach Sternen greifen

Lucy Fricke

Nach Stapeln greifen

Mercedes Spannagel

Jo und ich bilden uns einen Hund ein und gehen mit ihm spazieren

Barbara Kadletz

Kalte Sterne

Lilian Loke

Auf Jupiter regnet es Diamanten

Stefan Adrian

gybym!

Katherina Braschel

solangehierunterwegsgewesen

Anna Felnhofer

Parallaxe

Roman Markus

Meyer

Nikolaus Neu

Supernova

Agnes Ofner

107.000 km/h

Claire Walka

Livability

Zita Bereuter, Claudia Czesch

Nach Sternen greifen

Wortlaut sei für ihn ein Booster gewesen, erzählt David Fuchs. 2016 hat er den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb mit einem Text um die Teenager Ben und Ambros gewonnen. Zwei Jahre später ist aus der Episode der Roman „Bevor wir verschwinden“ geworden. Die zweite Auflage ist schon nach gut einem Monat erschienen.

Von einem derartigen Erfolg der Wortlauttexte bzw. deren Autorinnen und Autoren haben wir früher kaum zu träumen gewagt. Zu sehr schien uns das nach den Sternen gegriffen. Tatsächlich aber finden Jahr für Jahr die Gewinnertexte von Wortlaut ihren Weg zu Verlagen. Auch heuer meinte eine Jurorin nach dem Lesen der besten zwanzig Kurgeschichten: „Es würde mich nicht wundern, wenn ich vielleicht sogar ein paar Sachen von einem zukünftigen Verlagskollegen gelesen hätte.“

Der Ablauf von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb, ist schnell erklärt: Anfang März wird ein Thema bekannt gegeben. Dieses Jahr war das STERNE. Bis Anfang Mai haben die Hörerinnen und Hörer dann Zeit, ihre Texte einzuschicken. Rund 800 Einsendungen waren das heuer. Herzlichen Dank an dieser Stelle allen Autorinnen und Autoren! Die redaktionelle Vorjury (die FM4 RedakteurInnen Zita Bereuter, Jenny Blochberger, Claudia Czesch, Conny Lee, Maria Motter, Martin Pieper, Lisa Schneider, Simon Welebil, Irmgard Wutscher und Jürgen Lagger vom Luftschacht Verlag) hatten einige literarische Sternstunden. Selten zuvor haben wir von so vielen Sternen gelesen. Die Konstellationen waren aber so unterschiedlich und die Vielfalt und Bandbreite der Geschichten so beeindruckend groß, dass es einmal mehr schwierig war, sich auf die besten zwanzig zu einigen.

Diese Auswahl – einheitlich formatiert und anonymisiert – hat die Jury überrascht.

Alex Beer (Krimiautorin), Vinzenz Dellinger (Wortlautgewinner 2017), Lucy Fricke (Autorin), Daniela Strigl (Literaturkritikerin, Germanistin, Essayistin) und John Wray (Autor) waren voll des Lobes. Dieses hohe Niveau, die Qualität und Vielfalt der Texte hätten sie nicht erwartet. Das Lesen sei spannend aber auch unterhaltend gewesen.

Das freut uns besonders, denn die Jury stellt uns ihre Zeit und ihr Wissen gratis zur Verfügung. Das ist keine Selbstverständlichkeit und wir möchten der äußerst freundlichen und kompetenten Jury von Herzen danken! Auf dem Boulevard der Literaturjury haben alle fünf einen Stern verdient!

Dabei herrschte keineswegs immer Einigkeit. Im Gegenteil. Positionen wurden klar vertreten, Kritik pointiert angebracht, mit Lob nicht gespart. Schweren Herzens mussten sich alle von dem einen oder anderen bevorzugten Text trennen, um letztlich auf die nun vorliegenden zehn Kurzgeschichten zu kommen. Diese Auswahl bietet eine interessante Vielfalt.

Einige Stichworte aus den Jurybegründungen: „Poetisch.“ „Tiefgründig.“ „Originell.“ „Knallhart.“ „Spielerisch.“ „Lakonisch“. „Sensibel.“ „Witzig.“ „Selbstbewusst.“ „Nachdrücklich.“ „Ernsthaft.“ „Faszinierend“. „Überzeugend.“ „Fantasievoll.“

Aber lest doch selbst!

Wir gratulieren jedenfalls den ausgezeichneten sieben Autorinnen und drei Autoren herzlich!

Ob diese Wortlauttexte auch bald in Romanen erscheinen, steht in den Sternen. Aber nach denen darf man ruhig öfter greifen …

Zita Bereuter und Claudia Czesch

Nach Stapeln greifen

Wie oft habe ich mich beworben, wie oft bin ich gescheitert, wie maßlos war und ist mein Hass auf diese Nixblicker, die über Preise entscheiden. Und immer dieser Wettbewerb. Immer besser sein wollen als die anderen, klüger, eleganter, witziger, origineller, lauter, leiser, schöner, wahrhaftiger, phantasievoller. Ja, was denn jetzt? Besonders sein müssen. Eigen sein. Den speziellen Ton haben, den unnachahmlichen.

Wie seltsam ist es, nach dutzendfachen Ablehnungen, nach dieser so oft gelesenen hohlen Phrase: „Wir wünschen Ihnen für Ihr Schreiben viel Erfolg“, nach all den zerrissenen Absagen und ausgerufenen Flüchen, nun selbst in einer Jury zu sitzen, noch dazu mit dem Anspruch, es besser machen zu wollen.

Nach dem ersten Lesen lagen auf meinem Tisch drei Stapel. Nach dem zweiten Lesen waren es immer noch drei Stapel, aber der erste, der mit den besten Texten, war größer geworden, nach dem dritten Lesen noch größer. Das ist nicht die Aufgabe eines Jurymitglieds, die Stapel sollten kleiner werden, man hat sich zu entscheiden. Doch je öfter ich die Texte las, desto schwieriger wurde es. Je öfter man liest, desto mehr erkennt man. Man beginnt die Besonderheiten zu sehen und die Schwächen zu lieben. Auf den ersten Blick erkennt man das gut Gemachte, den Stilwillen, die Konstruktion. Auf den ersten Blick sieht man Oberflächen, manche sind stumpf, andere blenden. Interessanter aber ist das Material, welches gewählt und wie es bearbeitet wird, welche Wagnisse dabei eingegangen werden.

Wir haben diskutiert, gestritten, und waren uns überraschend oft einig. Trotzdem musste sich jeder von einem Favoriten verabschieden. Manchmal steht man mit seiner Liebe ganz allein da.

Zu schreiben ist ein Wagnis, darüber zu entscheiden, was andere geschrieben haben, ist es ebenso. Ich freue mich für und über jeden Text, der in diesem Band abgedruckt ist, denn das hier ist erst der Anfang, einer der besten Anfänge überhaupt.

Was jetzt folgt, ist Zähigkeit, Stolz, Glück, Trotz und die elendschöne Arbeit an jedem einzelnen Satz und Gedanken. Immer und immer wieder.

Los geht’s!

Lucy Fricke

Lucy Fricke, geboren 1974 in Hamburg, wurde für ihre Arbeiten mehrfach ausgezeichnet; zuletzt war sie Stipendiatin der Deutschen Akademie Rom und im Ledig House, New York. Nach „Durst ist schlimmer als Heimweh“, „Ich habe Freunde mitgebracht“ und „Takeshis Haut“ stand sie mit ihrem vierten Roman „Töchter“ (2018) über Wochen auf der Spiegel Bestsellerliste. Seit 2010 veranstaltet Lucy Fricke HAM.LIT, das erste Hamburger Festival für junge Literatur und Musik. Sie lebt in Berlin.

Jo und ich bilden uns einen Hund ein und gehen mit ihm spazieren

Mercedes Spannagel

Foto: Privat

geboren 1995 in Wien, Studentin in Wien. Schreibt an einem längeren Projekt, da geht es um Meerjungfrauen und am Ende sind alle Männer tot. Dafür 2018 u.a. ein Arbeitsstipendium des bka erhalten und eingeladen zur Werkstatt für junge Literatur der Literaturwerkstatt Graz. Schreibt nicht autobiografisch.

1.

Es ist früh und hell in Jos Zimmer, ein weißer Morgen. Ich knie im Bett, trage einen String und sonst nichts. Ich sage zu Jo „schau“ und Jo schaut und ich lege mir den Zeigefinger zwischen die Hautfalten an meinem Bauch. Ich sehe, dass Jo nicht weiß, was er sagen soll, er schiebt die Unterlippe vor, ich lache, ich beuge mich vor und kneife ihm in die Wange. Ich sage: „Wenn du so schaust, dann schaust du aus wie ein Mops.“ Falten auf Jos Stirn, er schüttelt den Kopf, sagt: „So ein Blödsinn.“ Ich sage: „Doch, doch“. Dass ein Mops viel überschüssige Haut hat, dass sich bei ihm die Hautringe am Nacken bilden so wie bei mir am Bauch, dass wir eigentlich viel kleiner sind, innerlich, und dass ein Mops genauso um den Mund ausschaut wie du, Jo, wenn du dieses Gesicht machst.

Jo sagt: „Der Mops ist wirklich ein scheußliches Tier.“

2.

Wir stehen in der Küche. Jo macht mir eine Eierspeis. Ich schneide kleine Tomaten. Ich schneide eine Tomate, ich esse eine Tomate. Jo schaut auf die Pfanne und rührt ab und zu um.

Ich sage: „Ich mag einen.“

Jo sagt: „Ich auch.“

„Ich meine einen Mops.“

„Ich meine einen mit Käse überbackenen Auflauf.“

3.

Wir liegen im Bett, der Auflauf schwer in uns. Es ist so hell. Ich lege meinen Arm über die Augen. Ich beginne zu dozieren. Ich rede über Loriot. Ich zitiere: „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos.“ Jo richtet sich auf, zieht mir den String aus und ein bisschen bin ich böse, weil ich ernstgenommen werden möchte von Jo, aber dann beginnt er mich zu lecken.

4.

Wir verlassen die Wohnung, das Haus. Gehen vorbei am Schrebergarten Zukunft. Jo bringt mich zum 9er. Er nimmt meine Hand auf dem Weg zur Haltestelle, ich weiß nicht mehr wo. Vielleicht irgendwo zwischen Freikirche und Hundesalon. Vor dem Hundesalon steht ein weißer Transporter. Wir schauen auf die Rückseite des Transporters, auf dem ist groß das Foto der Rückseite eines Mopses. Wir stehen da und schauen auf das runde, rosa Arschloch des Tieres. „Wow“, sagt Jo, „was für Aussichten.“

5.

Ich habe das Fenster aufgemacht und stehe ans Fensterbrett gelehnt. Jos Wohnung ist im 3. Stock. Aus den Fenstern sieht man auf eine große Schrebergartensiedlung hinunter. Früher der Exerzierplatz, hat mir Jo mal erklärt. Im Rechteck stehen große Altbauten um die Schrebergartensiedlung. Gegenüber von dem Altbau, in dem Jo wohnt, ist die Kaserne, von der die österreichische Fahne weht. Die Kaserne ist immer noch da, der Exerzierplatz nicht. Soldaten auch nicht mehr, aber Hakenkreuzschmierereien.

Ich möchte Wiens Nachtluft atmen. Jo raucht neben mir aus dem Fenster. Ich missverstehe die Zigarettenluft als Wiens Nachtluft.

Es sind Sterne zu sehen.

„Aldebaran“, sagt Jo auf einmal, „so nennen wir den Mops.“ Er sagt es leise und sanft.

„Warum Aldebaran?“

„Er hat eine weiße Stelle über seinen Augen, die ausschaut wie ein Stern, nicht wie das Symbol des Sternes, sondern mehr oder weniger rund, und da habe ich an Aldebaran gedacht, weil der hundertfünfzigmal so hell leuchtet wie unsere Sonne, weil deine Augen leuchten, wenn du vom Mops sprichst, weil die Idee mit dem Mops reiner Blödsinn ist, wie auch die Verschwörungstheorien bezüglich Aldebaran.“

Jo schließt das Fenster.

6.

Es ist ein windstiller Wintertag. Ich sehne mich nach Frühling, wie ich da so an Jos Fenster stehe, und auch sonst ist die Sehnsucht groß an diesen Tagen. Draußen zwitschern schon Vögel, aber ich habe Angst, in der Nacht erfrieren sie noch.

Man schaut also hinunter auf diese Schrebergartensiedlung, es ist wie eine kleine Stadt, eine Miniaturstadt, eine Stadt in einer Stadt, und man denkt sich, wie süß diese kleine Ministadt ist und wie brav die Kaserne im Hintergrund darauf aufpasst, weil so schaut es aus von Jo seinem Fenster. Und Jo legt sein Kinn auf meine Schulter, er reibt sein trocken rasiertes Kinn an meiner Wange und schnurrt, als wäre er die Katze, an der ich meine Wange niemals reiben würde.

7.

Jo nennt mich „mopsfixiert“, als ich ihn von mir wegdrücke.

Währenddessen schnarcht im Vorzimmer röchelnd in einem ausgepolsterten Karton Aldebaran, ein Mopsbaby, das wir über Kontakte bekommen haben in diesem Karton, der Polster ist von mir, damit Aldebaran es weich hat. Jo hat gesagt, die gesamte Transaktion habe ihn an Drogenkäufe erinnert, aber ich habe „Gusch“ gesagt, weil ich endlich mein Baby in den Armen halten konnte. Samtig, weich und glatt und ohne Nase.

8.

Jo nimmt mich bei der Hand und in die andere Hand nehme ich die Leine von Aldebaran, wir gehen raus und durch den Schrebergarten und Aldebaran wackelt auf seinen kurzen, krummen Beinen hinter uns her und die Zunge hängt ihm aus dem Maul, wie süß ihm dieses rosa Schlabberteil aus dem Maul hängt, ich denke, Jo kann es nicht mehr hören, aber ich kann nicht aufhören, es zu sagen.

Ich frage Jo, ob die Hakenkreuze an den Mülltonnen durchgestrichen seien, weil jemand versucht ein schönes, ordentliches zu malen, aber mit den Versuchen nicht zufrieden ist, oder ob einer kommt und sie malt und dann ein anderer kommt und sie durchstreicht.

Jo sagt: „Wohl letzteres.“

Und ich sage: „Ach ja?“

Und Jo sagt, ja, dass er einmal gekommen sei und da habe er die Hakenkreuze gesehen und beim nächsten Mal waren sie durchgestrichen.

Dass das prinzipiell gar nichts beweist, sage ich. Es gibt ja möglicherweise Nazis mit einem hohen künstlerischen Anspruch, denen die Botschaft und die Gestaltung der Botschaft gleichermaßen am Herzen liegt.

„So viel Blödsinn in deinem Kopf“, sagt Jo. Er zieht mich näher an sich heran, sein Arm um meine Schulter, und drückt mir einen Kuss auf meine Schläfe, ich lächle, und in einem Busch zwitschern heftigst Vögel.

Jo wendet sich von mir ab, zu dem Lärm, sagt: „Na, da ist ja was los!“

Und ich schaue auch zu dem Gebüsch und dann wieder nach vorne, zucke mit den Schultern, sage: „Es ist nicht viel los im Schrebergartenland außer Vögel und Hakenkreuze.“

9.

Jo macht mir die Tür seiner Wohnung auf.

„Na du?“, fragt er und küsst mich auf die Nase.

Ich sage: „Der Aufzug zu dir in den dritten Stock fährt so langsam, währenddessen kann ich mein ganzes Leben überdenken.“

Oder ich sage: „Der Aufzug zu dir in den dritten Stock braucht so lang, da glaube ich fast, es ist ein Aufzug zum Mond.“

„Zu Aldebaran“, sagt Jo.

10.

Bei der U-Bahn-Station steht „Ganz Wien hasst die Polizei“. Für ein paar Tage ist der Schriftzug weg, dann wieder hingesprayt. Dahinter steckt Nachdruck. Jo sagt dazu: „Tiere, die ich noch weniger verstehe als Möpse, sind Pferde. So viel zur Idee einer berittenen Polizei.“ Jo holt mich von der U-Bahn-Station ab. Wir gehen an der „Jesus-hilft-uns-Gemeinde“ vorbei. Eigentlich heißt sie „Jesus-heilt-uns-Gemeinde“, aber ich vergesse das immer und denke stattdessen immer an helfen. Es kommt Musik von drinnen. Ich reiße die Tür auf, um hineinzusehen. Jo sagt: „Um zu stören.“ Jo nennt mich respektlos. Ich kann auch nichts dafür, wenn bei ihm in der Gegend so viele Freikirchen sind. Ich kann auch nichts dafür, dass er anscheinend in einer Gegend wohnt, in der die Leute so viel Blödsinn glauben.

Jo hat mich mit Aldebaran von der U-Bahn-Station abgeholt, damit wir am Eck ins Café gehen können, er für ein Bier und ich für eine „Heiße Oma mit Schlag“.

Ich löffle den Schlag von meiner heißen Schokolade und kippe anschließend den Schuss Rum hinein und verrühre ihn.

„Der Mops und du haben noch mehr Gemeinsamkeiten als dieses Knautschgesicht“, sage ich. „Und zwar seid ihr beide Feinschmecker. Kennst du das Lied: ‚Ein Mops kam in die Küche …‘“ Ich versuche leise, die Melodie zu treffen.

„Natürlich“, sagt Jo.

11.

Ich schlage die Augen auf und Jos Gesicht ist ganz nah bei meinem, er schaut mich an, ich frage „was?“, er sagt „du hast eine große Nase“, ich lache. Jo sagt: „Du könntest dir ja überlegen, ob du eine Nasenoperation in Betracht ziehen würdest. Oder eine andere Schönheitsoperation. So große Brüste hast du ja auch nicht. Eine Fettabsaugung am Bauch vielleicht – überleg’s dir.“

„Du spinnst ja“, sage ich und drehe ihm den Rücken zu und ziehe ihm die Bettdecke weg.

„Ich konnte heute nicht schlafen, weil der Mops so geschnarcht hat. Du hast auch geschnarcht. Ich könnte nicht sagen, wer lauter geschnarcht hat. Dieses nasenlose Tier ist komplett überzüchtet. So wie wir auch. Am Ende vererben wir uns unsere Schönheitsoperationen wie rechtes Gedankengut.“

12.

Jo rüttelt mich aus dem Schlaf, er sitzt auf meinen Beinen und schreit: „Aldebaran muss mal! Du musst mit ihm raus!“

Ich greife hektisch nach dem Handy, es ist fünf Uhr früh, ich lass mich zurück ins Kissen sinken.

„Mann“, sage ich, „ich bin unendlich müde. Und wozu hast du mich jetzt geweckt? Um mit einem eingebildeten Hund Gassi zu gehen?“

„Ja, lass uns einen Spaziergang machen“, sagt Jo, schiebt die Unterlippe vor, sieht mich an mit riesigen Augen.

13.