Das postkoloniale Kuba aus weiblicher Perspektive: Gender, Rasse und Klasse im Werk von Zoé Valdés - Silke Nufer - E-Book

Das postkoloniale Kuba aus weiblicher Perspektive: Gender, Rasse und Klasse im Werk von Zoé Valdés E-Book

Silke Nufer

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Romanistik - Lateinamerikanische Sprachen, Literatur, Landeskunde, Note: 2,3, Universität zu Köln (Romanisches Seminar Köln), Sprache: Deutsch, Abstract: Der socialismo tropical und Fidel Castro haben sich entgegen vieler Prognosen, die seit der Ausrufung der „besonderen Periode in Friedenszeiten“ 1990 den Zusammenbruch des kubanischen Regimes proklamierten, gehalten. Die sich gegenseitig verstärkenden Auswirkungen des Abbruchs der Beziehungen zur UdSSR und zum COMECON, die Verschärfung des US- amerikanischen Wirtschaftsembargos und die bürokratische Zentralisierung der „Kommandowirtschaft“ haben zu einem Zusammenbruch und einer nie da gewesenen Krise auf Kuba geführt, die an ihrem Höhepunkt im August 1994 mit der Massenflucht tausender balseros gipfelte. Es fanden zahlreiche Demonstrationen gegen die Regierung statt. Diese Massenproteste zeigten auf, daß aus der wirtschaftlichen Krise eine soziale geworden war, welche ihrerseits zu einer politischen Krise auswachsen konnte. Der Lebensstandard der Bevölkerung verschlechterte sich derartig, daß Castro 1993 gezwungen war, neue wirtschaftliche Reformen, wie z.B. die Öffnung für ausländisches Kapital, den Tourismus oder die Legalisierung der US-Währung zu akzeptieren. 1 Die positiven Errungenschaften des socialismo tropical sind im Gesundheits- und Bildungswesen zu verzeichnen. Die Kindersterblichkeitsrate ist zusammen mit der Analphabetenrate die niedrigste in ganz Lateinamerika. Bildung ist unabhängig von der persönlichen finanziellen Situation jedermann zugänglich und die Gleichstellung von Mann und Frau wird in der marxistischen Ideologie betont. Jedoch verschlechterte sich die Gesundheits- und Bildungssituation innerhalb der Sonderperiode zunehmend.

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Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG.
2. THEMATIK DER ROMANE
3. DIE UNGLÜCKLICHE VERBINDUNG VON SOZIALISMUS UND
5. DAS MACHISMOPARADIGMA ALS FUNDAMENT EINER
6. KONSTRUKT WEIBLICHER UND MÄNNLICHER IDENTITÄT
8. SPRACHE IN ZOÉ VALDÉS’ ROMANEN - ORALLITERATUR
9. FAZIT

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1. Einleitung

1.1. Politische und ökonomische Situation Kubas in der Sonderperiode

Dersocialismo tropicalund Fidel Castro haben sich entgegen vieler Prognosen, die seit der Ausrufung der „besonderen Periode in Friedenszeiten“ 1990 den Zusammenbruch des kubanischen Regimes proklamierten, gehalten. Die sich gegenseitig verstärkenden Auswirkungen des Abbruchs der Beziehungen zur UdSSR und zum COMECON, die Verschärfung des US- amerikanischen Wirtschaftsembargos und die bürokratische Zentralisierung der „Kommandowirtschaft“ haben zu einem Zusammenbruch und einer nie da gewesenen Krise auf Kuba geführt, die an ihrem Höhepunkt im August 1994 mit der Massenflucht tausenderbalserosgipfelte. Es fanden zahlreiche Demonstrationen gegen die Regierung statt. Diese Massenproteste zeigten auf, daß aus der wirtschaftlichen Krise eine soziale geworden war, welche ihrerseits zu einer politischen Krise auswachsen konnte. Der Lebensstandard der Bevölkerung verschlechterte sich derartig, daß Castro 1993 gezwungen war, neue wirtschaftliche Reformen, wie z.B. die Öffnung für ausländisches Kapital, den Tourismus oder die Legalisierung der US-Währung zu akzeptieren.1Die positiven Errungenschaften dessocialismo tropicalsind im Gesundheits- und Bildungswesen zu verzeichnen. Die Kindersterblichkeitsrate ist zusammen mit der Analphabetenrate die niedrigste in ganz Lateinamerika. Bildung ist unabhängig von der persönlichen finanziellen Situation jedermann zugänglich und die Gleichstellung von Mann und Frau wird in der marxistischen Ideologie betont. Jedoch verschlechterte sich die Gesundheits-und Bildungssituation innerhalb der Sonderperiode zunehmend.

1.2. Situation kubanischer Autoren

Als Kolumbus das erste Mal seinen Fuß auf die unbekannte Insel Hispañola setzte, leitete er nicht nur die 500jährige Versklavung und Unerdrückung eines ganzen Kontinents ein, sondern begründete auch folgende Tradition: Die Mystifizierung, romantische Verklärung und zuletzt Diffamierung der erst kolonialen, dann neokolonialen und jetzt

1Habel (1997), 19

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sozialistischen Karibikinsel Kuba.2In literaturgeschichtlichem Kontext finden sich die Motive Mystifizierung, Verklärung und Diffamierung Kubas von der frühen Reiseliteratur europäischer Entdecker über José Marti, Carpentier bis hin zu den zeitgenössischen kubanischen Schriftstellern. Die kubanischen Autoren und Intellektuellen gehen angesichts der aktuellen politischen Lage unterschiedliche Wege. Während einige bemüht sind, den Dialog mit Fidel Castro zu suchen und einen Spagat zwischen Politisch-korrektem und Sozialkritischem zu machen, vermeiden andere jegliche politische oder gesellschaftliche Kritik in ihren Werken. Autoren, welche aufgrund nicht- regimekonformem politischem oder ideologischem Gedankengutes keine Chance haben, auf Kuba verlegt zu werden, entscheiden sich meist fürs Exil. In Europa oder den USA sorgt die Kritik an Fidel Castro und den Lebensbedingungen auf Kuba für Erfolg und ist eine Verkaufsknüller-Strategie.

Auf dem Internationalen Kuba-Solidaritätskongress 2001 wurde zur Sprache gebracht, daß es für im Exil lebende kubanische Intellektuelle leicht wäre, ein Forum zu finden, wenn sie nur bereit dazu seien, den jahrzehntelangen Überlebenskampf der Kubaner auf der Insel zu diffamieren. Dieser Vorwurf wurde u.a. an Zoé Valdés gerichtet, welche sich inmitten der Sonderperiode 1995 ins französische Exil begab.3

1.3. Die Exilkubanerin Zoé Valdés

Zoé Valdés wurde im Mai 1959 in Havanna geboren. Sie stammt aus einfachen Verhältnissen und wuchs bei ihrer Mutter und Großmutter auf. Sie studierte zwei Jahre lang an der Filologischen Fakultät der Universität Havanna und führte ihr Studium in derAlianza Francesa de Parisfort. Von 1984 bis 1988 arbeitete sie bei der kubanischen Delegation der UNESCO in Paris und imOficina Cultural de la Misión de Cubain Paris. Von 1990 bis 1995 war sie Vizedirektorin der ZeitschriftCine Cubanound Drehbuchautorin desInstituto Cubano de Arte e Industria Cinematográficos.Schon 1982 gewann sie erstmalig einen Literaturpreis für Poesie in Mexiko. Von diesem Zeitpunkt an war Zoé Valdés konstant literarisch tätig. Auf

2Burchardt (1996), 10

3URL: http:/www.cubasi.com

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Kuba wurden 1986 drei Gedichtbände von ihr publiziert. Daraufhin folgte 1992 ein Band mit kritischen Essays, 1993 der RomanSangre Azulund 1995La hija del embajador.1995 gelang ihr mitLa nada cotidianader internationale Durchbruch, als sie die Fesseln all ihrer Verbindungen zur Castro-Regierung sprengte und endgültig nach Paris zog. Kurz darauf folgte 1996 die Veröffentlichung vonTe di la vida enteraund 1999 im französischen ExilQuerido primer novio.Zoé Valdés wird in ihrer Heimat offiziell totgeschwiegen. Es ist ihr heutzutage nicht einmal als Besucherin möglich, Kuba zu besuchen. Von ihren bisher sechs Romanen erschien nur der erste auf Kuba. Ihre neuen Bücher werden nicht publiziert. Während ihre Werke in Europa auf Bestsellerlisten erscheinen, werfen ihr Schriftstellerkollegen und Kritiker aus der Heimat vor, daß ihre Romane nicht der kubanischen Realität entsprächen. Sie wären negativ und voller Hass auf Kuba und die kubanischen Männer. Trivialität und Obszönität sind weitere Punke der Kritik, mit welchen Zoé Valdés konfrontiert wird. Sie selbst bemerkt hierzu, daß sich ihr Hass nicht auf ihr Land beziehe, sondern auf das restriktive Regime und die dadurch entstandenen Lebensbedingungen der Bevölkerung4. Einige Kritiker betrachten Zoé Valdés als feministische Autorin. In ihren Romanen werden jedoch nicht die verschiedenen persönlichen Beziehungen zwischen dem männlichen und weiblichen Geschlecht analysiert und gewertet. Zoé Valdés stellt vielmehr an sich selbst und an ihre Werke den Anspruch, einen Eindruck der vielschichtigen und totalen kubanischen Realität in allen Bereichen, welche durch die Demystifizierung von Sexualität und Benutzung von Umgangssprache aus dem Straßenmilieu Havannas einen hohen Grad an sprachlicher Authenzität erreicht, darzustellen. In einem Interview sagt die Autorin, daß sie sich für Sexualität im poetischen, ironischen und komischen Sinne interessiere.5Ironie, Poesie, Komik und eine minimalistische, vulgäre Umgangssprache, die einer Vielzahl von marginalen Figuren in den Mund gelegt wird, werden als Stilmittel für das Aufzeigen politischer und sozialer Missstände, als die ‚Stimme des Volkes’ (Vox populi), bzw. politisch-soziales Bewußtsein

4URL: http://www.wdr-nachtkultur.de

5vgl. Bertollini-Ciano: La última tention de Zoé Valdés

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verwendet, welche ebenso ein Teil der komplexen kubanischen Realität sind. Jedoch wird die Kritik nicht vertieft. Ebenso verhält es sich mit feministischen Themen. Zoé Valdés selbst will sich selbst nicht als Feministin verstanden wissen, da ihr Ziel nicht darin besteht, über soziale und politische Ungerechtigkeit gegenüber der Frau zu werten oder mit den Männern abzurechnen, sondern die komplexen Komponenten und Mechanismen der kubanischen Gesellschaft mit all ihren Facetten aus weiblicher Perspektive zu reflektieren.6

1.4. postmoderner feministischer Ansatz der RomaninterpretationAnhand von feministischer Theorie lassen sich eine Reihe postmoderner Charakteristika aufzeigen. Unter Feminismus wird das Eintreten gegen jegliche Art patriarchaler Unerdrückung verstanden. Die Berührpunke einer postmodernen und einer feministischen Theorie liegen zum einen in der Machtanalyse. Der Ausgangspunkt ist zum einen der foucaultsche Machtbegriff als Ausdruck von Herrschaftsverhältnissen, die im Diskurs deutlich werden. Die Diskursanalyse dient zur Dekonstruktion der Mechanismen und deren (fehlender) Repräsentation. Zum anderen haben feministische und postmoderne Theorie die Kritik des Subjekts gemeinsam. Die vermeintliche Neutralität des männlichen Subjekts wird aufgedeckt. Die erste Phase hierbei ist die Differenzierung von männlich und weiblich; das Weibliche wird als das ‚Andere’ enttarnt. Die zweite Phase besteht aus Kreieren von Differenzen, eines Pluralismus innerhalb der feministischen Perspektive, die Schaffung einer Vielzahl von Stimmen, welche einen Ausdruck von Marginalität schaffen. Letztlich wird hierdurch auch eine Verbindung mit dem Postkolonialismusdiskurs gezogen. Auch die Identität an sich wird in beiden Theorien in Frage gestellt. Die Geschlechteridentität wird insex(biologisches Geschlecht) undgender(soziale Zuschreibung) unterschieden. Die Geschlechtsidentität wird als performativ, alsgender actdefiniert7.

6vgl. Bertollini-Ciano: La última tention de Zoé Valdés

7vgl. Butler (1990)

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1.5. Untersuchungsgegenstand der Arbeit

Untersuchungsgegenstand der Arbeit sind drei Romane von Zoé Valdés. Zwei von ihnen -La nada cotidiana(1995) undTe di la vida entera(1996)sind auf Kuba entstanden. Die Manuskripte wurden aus dem Land geschmuggelt und in Europa verlegt. Der dritte RomanQuerido primer novioentstand 1999 im französischen Exil. Der Schwerpunkt der Romananalyse wird auf die Genderanalyse innerhalb post-kolonialer Rahmenbedingungen, bei denen sowohl soziokulturelle, als auch historische und politische Gegebenheiten auf Kuba eine Rolle spielen, gelegt. Da es sich bei Kuba um eine Insel mit einer besonderen politischen und kulturellen Vergangenheit handelt, ist es notwendig, sich näher mit der Kolonisierungsgeschichte Kubas zu befassen. Mit der Eroberung der Insel und ihrer Urbewohner wurde der Grundstein gelegt für die Entwicklung zu den heutigen

Gesellschaftsstrukturen in sozialer und rassischer Hinsicht. Auch die patriarchalisch geprägte Gesellschaft hat ihren Ursprung in der Zeit der Kolonisierung Kubas durch die Spanier. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den patriarchalischen, rassischen und sozialen Strukturen einer Gesellschaft und dem Konstrukt von männlicher und weiblicher Identität, was im einzelnen in dieser Arbeit dargelegt werden soll. Hierbei muss das heutzutage sozialistische Kuba, in welchem die Frau im marxistischen Gesellschaftsmodell dem Mann gleichgestellt ist, mit berücksichtigt werden. Die Analyse von Rollenzuschreibungen in den o.g. Romanen erfolgt an Anlehnung postmoderner Gendertheorien Judith Butlers, welche sich schwerpunktmäßig mit der Konstitution männlicher und weiblicher

Rollenzuschreibungen in Form von sprachlichen Diskursen auseinandersetzt.

2. Thematik der Romane

2.1. La Nada Cotidiana

Die frustrierende Alltagssituation ohne Perspektive im sozialistischen Kuba ist die Thematik vonLa Nada Cotidiana.Gleichzeitig werden die von der Männergesellschaft ausgehenden Machtmechanismen anhand der im Roman vorkommenden männlichen Protagonisten, aufgezeigt - zum einen durch den linientreuen Vater der Protagonistin und zum anderen von ihren Liebhabern, dem Verräter und dem Nihilist. Die Erzählerin inLa Nada

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Cotidiana,Patria, wird am 2. Mai 1959 geboren, und es ist Ché Guevara persönlich, welcher der hochschwangeren Mutter die kubanische Flagge über den Bauch breitet. Der linientreue Vater ist enttäuscht, daß die Geburt nicht auf den ersten Mai gefallen ist. Zum Ausgleich bekommt das Mädchen den Namen Patria, Vaterland. Patria, welche ihren Namen zuliebe ihres ersten Geliebten, dem Verräter, in Yocandra ändert, heiratet diesen überstürzt, aber Yocandra wird von ihm nur als Koch- und Putzfrau und die Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse ausgenutzt. Später lernt sie den Nihilisten, einen regimekritischen Filmemacher, kennen. Ihre Beziehung mit ihm reduziert sich auf das Teilen der Sinnesfreuden Essen, Trinken und Sex, um dem tristen und perspektivlosen sozialistischen Alltag zu entfliehen.

2.2. Te di la vida entera