Das Rathaus - Hans-Heiner Drögemeier - E-Book

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Hans-Heiner Drögemeier

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Beschreibung

Klaus Storben ist Erster Bürgermeister in Hamburg und möchte wiedergewählt werden. Sein gewünschter Koalitionspartner ist Dr. Clemens Berg. Berg allerdings gerät durch eine große Unvorsichtigkeit in Schwierigkeiten und scheitert auch deswegen mit seinen skurillen Ideen zur Reform des Wahlrechts.

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Ähnliche


Hans-Heiner Drögemeier

 

 

HAMBURG 7

 

 

Das Rathaus

 

 

Kriminalroman

Alle Rechte vorbehalten

© Hans-Heiner Drögemeier

 

E-Book-Erstellung: Satzweiss.com GmbH, Saarbrücken

 

ISBN 978-3-8450-1604-7

1. Das Gespräch

Bis zum Vorsitzenden der Opposition hatte er sich hochgearbeitet und dabei erhebliche Zugeständnisse machen müssen. Allen und Jedem musste er dabei zum Mund reden. Die größten Idioten und die, die wirklich von keinerlei Fachwissen auf welchem Gebiet auch immer in ihren Äußerungen gehemmt werden könnten, denen musste er zeigen, dass er sie für die Intelligentesten unter Gottes Sonne hielt. Und das mit einem immensen Aufwand an Zeit. Jeden Abend unterwegs, Termine, Treffen, Sitzungen und Interviews. Es war ihm schon klar, dass es so nicht weiter ging. Es musste etwas grundlegend geändert werden.

 

Dass Justus Jan Andresen als Leiter von Mord drei Marxx in sein Büro bat war schon ungewöhnlich genug. In der Regel, und das war bisher immer so, kam er in die Büros seiner Mitarbeiter geschlendert und hielt diese mit möglichst unverbindlichen Plaudereien und kleinen launischen Geschichten von der Arbeit ab. Wahrscheinlich, so munkelten die Kollegen, so wie Marxx und sein Freund Paul Fliege von der Spurensicherung, war es Andresen einfach zu einsam dort auf der Nordseite ihres Flures. Nicht einmal den Blick auf den Stadtpark hatte man ihm gegönnt, hatte Fliege einmal achselzuckend gemeint als er und Marxx bei einem Feierabendbier am Ubahnhof Alsterdorf standen. Das zumindest hätte man ihm geben können, hatte Fliege nachgeschoben, so ein Dezernatsleiter hat doch sonst nichts. Marxx hatte nicht widersprochen aber im Inneren gemeint, dass Fryer als Polizeipräsident seine Unterführer doch an einer ganz kurzen Leine führt und das ist weiß Gott kein Zuckerschlecken. Fryer galt als Choleriker, unberechenbar aber ehrlich. Seine schon legendären Ausbrüche machten auch vor seiner eigenen Person nicht immer halt. Jedenfalls und nach einem nachdenklichen Blick aus dem Fenster legte Marxx nach dem Anruf von Andresen den Telefonhörer auf und sagte zu seiner Kollegin Doren Schmidt, die ihm gegenüber saß nur:

„Andresen!“

Dabei hob er übertrieben achtungsgebietend die Augenbrauen. Doren Schmidt war ebenfalls entsprechend erstaunt, enthielt sich aber aller Kommentare. Als sie nichts sagte sondern sich nur wieder ihrem PC zu wandte um die angefangene aktenmäßige Aufarbeitung ihres gemeinsamen letzten Falles zu bearbeiten fügte Marxx als er sich von seinem Bürostuhl hochschraubte hinzu:

„Vielleicht kommt er nicht weiter und ich kann ihm helfen.“

Doren nickte bestätigend ohne ihren Blick vom Bildschirm abzuwenden.

„Männergespräche,“ sagte sie, „da sind die Herren dann unter sich, man hilft sich gegenseitig. Netzwerk gewissermaßen.“

Marxx zog sein Jackett von der Lehne des Bürostuhls und wandte sich zur Tür. Doren Schmidt und er hatten ein Fünfpersonenbüro fast für sich allein. Die anderen drei Arbeitsplätze gehörten drei Kollegen von der Bereitschaft, die nur ganz selten in diesem Büro anzutreffen waren, da die Nachtschichten der Bereitschaft in den letzten Jahren fast schon zur Normalität geworden waren. Der Vorteil dieses Büros bestand in der Weite des Raumes und in der Größe der Fensterfläche über die gesamte Länge des Raumes und zwar genau in Richtung des Stadtparks. Dieses Panorama aus dem sechsten Stock des Präsidiums wirkte beruhigend auf die manchmal hektischen Begleitumstände eines Arbeitstages. Der Nachteil war, dass die Kollegen dieses Büro auserkoren hatten, um sich anlässlich kleiner Feierlichkeiten wie Geburtstage oder Beförderungen gerade in diesem Büro zu versammeln.

„Kollateralschäden sind das,“ hatte Marxx damals erklärt als Doren Schmidt als Kriminalinspektoranwärterin dem Dezernat von Andresen zugeteilt worden war. Dieser hatte dann sie mit Marxx zusammengesetzt. Dabei hatte Paul Fliege sofort gesagt, dass damit eine unlautere Absicht verbunden war. Marxx hatte nur den Kopf geschüttelt und Andresen in Schutz genommen. Fliege und er hatte sich allerdings damals angewöhnt in Zeiten geringerer Ermittlungstätigkeit sich zu einem entspannten Gedankenaustausch auch und besonders während der Dienstzeit auf dem Anleger der Alsterschiffe am Jungfernstieg zu treffen und dort auch schon mal den Abend ausklingen zu lassen. Als Doren Schmidt dann allerdings so langsam dahinter kam begleitete sie diese Art der Dienstauffassung mit sarkastischen Bemerkungen wie „Die Herren wieder zu einem geheimen Gedankenaustausch“ oder „Ist der Dienstort jetzt schon wieder in die Innenstadt gelegt worden?“ Fliege entwickelte dann die Strategie, Doren Schmidt einfach mitzunehmen. Das passierte dann nur einmal nachdem sie kopfschüttelnd wieder mit der Ubahn vom Jungfernstieg in das Präsidium gefahren war. Marxx und Fliege ließen dann aber diese Praxis langsam einschlafen und als Andresen mal wieder in ihr Büro geschlendert kam, Fliege war gerade auch zufällig dort, tat er sehr überrascht so nach dem Motto damit hatte er nicht gerechnet. Marxx fing allerdings den kleinen bewundernden Blick von Andresen auf, den dieser Doren Schmidt dabei zuwarf. Seitdem hatte er das Gefühl, Andresen unterschätzt zu haben. So ging er mit einem durchaus variablen Gefühl den kurzen Weg über den Flur zu dem Büro von Andresen. Der winkte ihn mit einer kleinen einladenden Geste auf den Besucherstuhl vor seinen Schreibtisch und blickte ihn dann sekundenlang nachdenklich an. Also, dachte Marxx dabei, ist es doch etwas Großes.

„Tja,“ sagte Andresen dann, „Herr Marxx, was meinen Sie weswegen ich Sie hierher gebeten habe?“ Dabei gestattete Andresen sich ein kleines vorsichtiges aufmunterndes Lächeln.

„Beförderung, Erhöhung der Boni, Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Freien und Hansestadt, Herr Andresen. Mehr fällt mir da so spontan nicht ein. Nur eben das Nächstliegendste, nicht.“

Andresen nickte verstehend so als hätte er nichts anderes als einen solchen faulen Witz erwartet.

„Fast richtig, Herr Marxx, allerdings nur fast. Was halten Sie denn von einer Sonderaufgabe? Losgelöst von der Routine hier im Präsidium. Kurz, eine ganz neue Erfahrung, will ich meinen.“

Marxx wurde misstrauisch. Will man ihn abschieben? Er war der Mann gerade der Routine, möglichst keine Überraschungen, möglichst geregelte Arbeitszeiten und möglichst alles so wie es bisher war. Abends fernsehen, im Dachgeschoss die studierende Tochter jetzt schon mit einem regelmäßigen Gast namens Simon Stueck, Kommilitone und immer enger werdender Freund von Dörte, eine ebenfalls sich in der Routine eingerichtete Ehefrau, regelmäßige Kanastaabende mit dem Ehepaar Fliege und im Grunde jeden Tag schon wissen was der nächste Tag bringt. Jetzt also die Riesengefahr einer Sonderaufgabe. Vorteil oder Nachteil? Marxx tippte auf Nachteil.

„Ich weiß nicht,“ sagte er vorsichtig.

„Mal was Neues, Herr Marxx,“ ermunterte ihn Andresen, „mal die eingefahrenen Gleise verlassen. Aufbruch, Risiko, Erfolg, verstehen Sie?“

„Nee,“ erklärte Marxx.

Jetzt wurde Andresen ernst. Er warf sich zurück in seinen Schreibtischstuhl.

„Ich habe Präs schon zugesagt,“ gestand er dann und zog damit eine Karte, die bei Marxx meistens zog. Die Karte hieß Solidarität, Gemeinschaft und Zusammenhalt. Marxx geriet ins Wanken.

„Was soll das denn sein?“

Er machte damit den ersten Schritt in Richtung Kapitulation. Andresen beugte sich wieder vor.

„Aber topsecret,“ sagte er und erklärte dann in wohlgesetzten Worten die ganzer Geschichte. Im Rathaus wurden Insiderinformationen an die Öffentlichkeit gespielt. Höchst sensible Sachen besonders jetzt vor der anstehenden Bürgerschaftswahl. Die Kandidaten laufen sich warm und werden nervös. Ob er das versteht?

„Nicht eigentlich,“ sagte Marxx und dachte in den Kategorien einer Mordkommission und meinte dann: „Haben die da einen umgelegt?“

Andresen schüttelte den Kopf und fragte, ob Marxx denn keinerlei Informationen über das Fernsehen oder die Zeitungen hätte.

„Klaus Storben ist Erster Bürgermeister, das wissen Sie doch sicherlich.“ Andresen warf dabei einen misstrauischen Blick zu Marxx, der riskierte ein kleines Kopfnicken. Andresen nickte.

„Bürgerschaftswahl, der will wieder gewählt werden. Aber es gibt einen innerparteilichen Konkurrenten, diesen Werner Fredt, Leiter des Bürgermeisterbüros. Der Konkurrent von der Opposition, dieser Dr. Clemens Berg zählt nicht, die Opposition vergeigt das sowieso wieder. Es geht um Werner Fredt. Klaus Storben glaubt, dass Fredt mit den Medien am Stuhl von Storben sägt. Storben hat dann Präs mal so nebenbei gefragt, ob der nicht eine Idee hätte. Das war bei diesem Sicherheitsmeeting letzte Woche im Rathaus unter Ausschluss der Öffentlichkeit und Präs kam damit zu mir und ich komme damit zu Ihnen, Herr Marxx. Damit ist der Kreis geschlossen.“

„Aha,“ sagte Marxx.

Andresen beugte sich wieder nach vorn in Richtung Marxx. Der rutschte sicherheitshalber mit seinem Stuhl etwas zurück.

„Offiziell schulen Sie die Sicherheitskräfte dort von dem privaten Sicherheitsdienst. Sie bekommen einen Dienstausweis für das Rathaus und tatsächlich versuchen Sie das etwas heraus zu finden. Frau Schmidt und dieser Dingskirchen,“ hier war es Andresen sichtlich peinlich, dass ihm der Name nicht einfiel, „aus der IT-Abteilung unseres Hause, mit dem können Sie doch gut, die werden Ihnen zur Verfügung stehen.“

Mit Dingskirchen meinte Andresen Markus Schnell, der mit seinem schulterlangen oder zu einem Zopf gebundenen Haupthaar mindestens für hochgezogene Augenbrauen bei den höheren Rängen des Präsidium sorgte. Aber Markus war ein ausgefuchster IT-Experte, der im Grunde aus der Hackerszene Hamburgs stammt und sich jetzt eine quasi bürgerliche Existenz aufbauen möchte.

„Wir müssen Präsenz zeigen, Herr Marxx, verdammt noch mal.“ Andresen blickte ihn aufmunternd an. „Über den Tellerrand gucken, Menschenskind, Marxx, Flexibilität.“

„Und was schaut für den Präs dabei raus,“ fragte Marxx lakonisch nachdem er sich innerlich schon zu einem ja entschlossen hatte. Schließlich braucht er ja keine Dienstreisen oder dergleichen auf sich zu nehmen.

Bei dieser Frage blickte ihn Andresen verblüfft an. Marxx sonnte sich in diesem verbalen Volltreffer.

„Sie wollen doch nicht etwas andeuten, dass Fryer sich davon Vorteile verspricht?“ Dabei ließ Andresen sich diesen Gedanken allerdings genießerisch auf der Zunge zergehen. Tja, warum eigentlich nicht? Andresen war in den Präs-Besprechungen mit den Dezernatsleitern meistens die untere Stufe der Rangleiter und das zeigte Fryer manchmal unverblümt. Also jetzt dieser Gedanke? Hat durchaus etwas für sich. Der Polizeipräsident und die hohe Politik, sieh an, sieh an. Andresen nickte Marxx mit einem Hauch von Bewunderung zu.

„Aber was,“ fragte er dann, „könnte Fryer von der Politik erwarten? Beförderungen doch wohl nicht.“

Dabei war beiden klar, dass eine Anhebung der Eingruppierung eines Polizeipräsidenten in Hamburg vor dem Hintergrund der in weiter Ferne sich befindenden aber absolut notwendigen ausgeglichenen Haushalte politischer Selbstmord wäre.

„Neuer Job im Rathaus,“ spekulierte Marxx, „Senator oder so?“

Andresen blickte Marxx nachdenklich an, in seinem Blick schimmerte auch Bewunderung.

„Es sei,“ stellte er dann fest, „Präs möchte mit Ihnen jedenfalls weitere Einzelheiten dieser delikaten Sonderaufgabe durchgehen. Vieraugengespräch hat er ausdrücklich festgestellt. Sie könnten ja, wenn Sie sich das trauen, dieses Thema zum Gegenstand Ihres Gespräches machen. Ich allerdings rate ab.“ Andresen gestattete sich ein kleines Lächeln. Marxx stand auf.

„Ich glaube jetzt,“ sagte er, „dass mich diese Sonderaufgabe doch interessiert.“

 

Im Büro zurück rief Marxx Klara von Bethalm an. Klara saß im Vorzimmer von Fryer und war komischerweise keinerlei verbalen Attacken von Fryer ausgesetzt. Eine der ganz wenigen Personen, die bisher davon verschont geblieben waren. In den unteren Rängen wurde darüber schon spekuliert. Die Spekulation mit der größten Wahrscheinlichkeit war, dass Klara von allen Untergebenen Fryers mindestens ein ehrabschneidendes Zitat von Fryer nennen könnte und damit über Insiderinformationen höchster Brisanz verfügte. Kurz, sie hatte Fryer in der Hand und nicht umgekehrt. Im täglichen Umgang war Klara allerdings von überzeugender Neutralität.

Als Marxx einen Termin mit Fryer bei ihr vereinbaren wollte, sagte sie sofort zu und nannte als Vorschlag:

„Passt es Ihnen denn jetzt, Herr Marxx?“

Marxx verabschiedete sich bei Doren Schmidt, die wortlos das Gespräch mitbekommen hatte, mit den Worten:

„Der Präs erwartet mich.“ Dabei nickte er etwas übertrieben wichtig.

„Weiß der jetzt auch nicht weiter,“ antwortete Doren und wandte sich ihrem PC zu.

„Die Herren haben so ihre Probleme, Doren, was soll ich machen. Sie haben sonst keinen.“ Er zuckte entschuldigend mit den Schultern.

 

Im Aufzug in Richtung oberstes Geschoss begegnete er keinem. Von Fryer wurde der Ausspruch überliefert, dass er im obersten Geschoss sein Büro zwangsläufig haben musste damit auch jeder Idiot kapiert wer hier bei der Polizei das Sagen hat. Außer seinem persönlichen Stab und Klara von Bethalm residierte tatsächlich sonst keiner hier oben über allen anderen und mit dem grandiosen Blick auf den Stadtpark. Marxx spekulierte, dass Fryer damit vielleicht auch ein Maß an Komplexen kompensieren musste entstanden vielleicht durch die fehlende Promotion oder so. Sein Büro jedenfalls war beeindruckend. Mindestens hundert Quadratmeter mit einer aus Glas bestehende Längswand in Richtung Stadtpark und nur wenigen Möbel, die dann auch noch Vergeudung von Büroflächen unübersehbar machten.

Fryer saß an einem Schreibtisch, hinter sich ein Regal mit langsam verstaubenden und in Vergessenheit geratenen Standardwerke deutschen Polizeirechts und einem riesenhaften Besprechungstisch für zwanzig Personen vor sich. Direkt vor seinem Schreibtisch zwei einzelne Stühle. Fryer winkte Marxx leutselig zu und deutete auf die Stühle vor seinem Schreibtisch. Er war untersetzt, fast bullig und jetzt von erschreckender Leutseligkeit.

Marxx setzte sich und machte sich auf das Schlimmste gefasst. Schließlich wollte Fryer etwas von ihm und nicht umgekehrt. Er versuchte sich zu entspannen.

„Tja, Herr Marxx,“ begann Fryer aufgeräumt aber mit wachem Blick, „ich nehme dann, dass Andresen Sie schon ins Bild gesetzt hat.“

„Herr Andresen hat einige Andeutungen gemacht,“ nickte Marxx und versuchte das Wort Herr nicht zu laut und nicht zu provokativ klingen zu lassen. Ihn ärgerte schon die durch das Weglassen dieses Wortes die durchklingende Herabsetzung bei Fryer. Fryer hatte sich aber in der Gewalt und ließ sich nichts anmerken.

„Delikate Mission,“ fuhr er dann fort, „und ich muss Sie zunächst zur allergrößten Diskretion verpflichten. Sind Sie dazu bereit? Kein Wort zu irgendjemanden und wenn Sie Unterstützung brauchen durch Kollegen auch da kein Wort über diese Sache. Nur das was dann zur Unterstützung wirklich nötig ist.“

Fryer hatte jetzt den prüfenden Blick. Marxx entschloss sich zu nicken.

„In Ordnung.“

Dann begann Fryer eine großangelegte Erzählung über die Notwendigkeit von unpopulären Entscheidungen zum Wohl der Gesellschaft, zur Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung und letztlich zum Wohl und Wehe aller. Die ersten Minuten blieb er dabei im Allgemeinen wie Staatsräson und falschen Weichstellungen. Dann bemühte er Ereignisse der Vergangenheit.

„Ich sage nur München neuzehnachtunddreißg. Hitler hätte verhindert werden können, Marxx.“

Marxx dachte nur: du meine Güte, die ganz großen Geschütze, alles nur wegen eines kleinen Lecks im Apparat des Rathauses. Jetzt fehlt nur noch der NSA-Komplex. Das allerdings vermied Fryer klugerweise.

 

Fryer gab sich leutselig bei diesem Gespräch, er war in einer besonderen Situation. Er will etwas und kann es nicht einfach anordnen im Rahmen seiner Möglichkeiten, das gab die Möglichkeiten nicht her. Aber er stand im Wort. Er hatte sich bereiterklärt, diese Dinge in die Hand zu nehmen, als Polizeipräsident und auch als Mitglied der Partei. Es war jetzt geschlagene neunundvierzig Jahre alt, die letzte Gelegenheit, seiner beruflichen Entwicklung einen gesunden Schwung nach vorn zu geben. Wenn er die nächste Legislatur als Senator übersteht, dann ist er vierundfünfzig und hat Anspruch auf drei Jahre Übergangsgeld, also fünfundfünfzig und damit fällt er in den Beginn der Zurruhesetzung. Zusammen mit den Ansprüchen aus der Senatorenzeit, den Ansprüchen als Polizeipräsident und den Ansprüchen als Abgeordneter, die er kurze Zeit nur, aber immerhin, erworben hat, können die ihm alle mal kräftig am Arsch lecken. Das waren die Ziele von August Fryer, studierter und nicht promovierter Jurist, derzeit noch Polizeipräsident. Zunächst allerdings einmal die Kandidatur von Klaus Storben sichern. Klaus ist Erster Bürgermeister und hat nur ein Problem und zwar die innerparteiliche Konkurrenz. Wird er aufgestellt als unangefochtene Nummer eine gewinnt er. Das sagen alle Wahlprognosen. Die Opposition mit dem bereits festgestellten Gegenkandidaten dümpelt bei diesen Umfragen bei unter dreißig Prozent. Innerparteilicher Gegenkandidat dort ist Werner Fredt, auch Jurist, zweiunddreißig Jahre alt, ohne Promotion und von erschreckendem Ehrgeiz. Der gute Mann sollte ausgebremst werden. Allerdings hat Klaus Storben die Parole ausgegeben keinerlei schmutzige Wäsche, wir sind die guten und alle anderen machen Drecksarbeit. Na schön, das ist so, aber er, August Fryer, hätte da schon mal ganz gern die große Keule raus geholt. Aber es galt die Parteiräson. Dann allerdings nach einer Sitzung des Innenausschusses zu der er geladen war, es ging um die Kriminalstatistik, die sein Haus vorgelegt hatte und die veröffentlicht werden sollte, da nahm ihn Klaus Storben diskret an die Seite und bat ihn zu einem Glas Wein in den Ratskeller. Dort dann, in einer der verschwiegenen und uneinsehbaren Nischen, kam Storben zur Sache. Diese wahlentscheidende Einigkeit der Partei geriet in Gefahr durch Indiskretionen aus dem innersten Kreis.

„Irgendeiner oder eine steckt mit der Presse durch, August, wenn das alles an die Öffentlichkeit gerät können wir einpacken.“ Fryer staunte damals noch. Storben erklärte dann allerdings, dass damit keine Dinge gemeint seien, die kriegsentscheidend sind, aber die Front ist dann nicht mehr einheitlich und geschlossen.

„Wer diesen Berg Fakten in die Finger kriegt wird das ausschlachten und an die Medien durchstechen, August, dann verlieren wir zehn oder sogar zwanzig Punkte.“

Klaus Storben hatte ihn dabei streng angeblickt und gemeint, dass der Innensenator dann wohl an eine Koalitionspartei geht. Da hatte Fryer erst einmal geschluckt und dabei auch sofort die unausgesprochene Botschaft als das verstanden was sie war, nämlich der Hinweis auf den Posten des Innensenators für ihn selber bei der Verhinderung dieser Wahlverluste. Das war offenbar in den geheimsten der geheimen Gremien der Partei so verabredet. Jetzt war es heraus, Fryer hatte schlagartig eine Riesenzukunft und ein kleines lösbares Problem vor sich. Das sollte machbar sein. Da konnte man schon einmal einen Beamten für die Bearbeitung dieser Sonderaufgabe abstellen. Und da war dieser Marxx eigentlich der richtige Mann, wenig Ehrgeiz, verschwiegen und solidarisch wie ihm Justus Jan Andresen auf drängendes Nachfragen glaubhaft versichert hatte.

„Sie prüfen die Einhaltung der Vorgaben bei der Rathaussicherheitsgruppe in aller Ruhe, bekommen Zugang zu allen Räumen und versuchen herauszufinden, wer da im Trüben fischt. Der erste Kandidat dafür natürlich ist die Konkurrenz zum EB!“ Dabei blickte er Marxx prüfend an, EB, erster Bürgermeister, klar?

„Diese Null von der innerparteilichen Opposition können wir vergessen,“ fuhr Fryer dann fort, „es ist einer unserer eigenen Leute und zwar genau Werner Fredt, der mit seinem krankhaften Ehrgeiz dabei ist, den Laden an die Wand zu fahren. Wir brauchen Beweise und schmeißen ihn dann raus, klar? Innerparteiliche Säuberung, die nötig ist, um die verkehrten Leute auf ungefährliche Posten zu verweisen.“

Marxx grübelte darüber nach, ob Fryer meinte, dass er und Fryer in derselben Partei seien und warum Fryer auf diese Idee käme. Er selber war noch nie in einer Partei und gedachte auch es nicht zu tun. Aber dann schwieg er doch lieber. Irgendwie hatte er Geschmack an dem Gedanken gefunden, dort in den tiefsten Tiefen einer politischen Partei herumstochern zu können. Er nickte stattdessen zustimmend. Fryer beugte sich dann vor.

„Absolute Verschwiegenheit, Marxx, zu keinem ein Wort. Unterstützung von Kollegen nur nach Zustimmung durch mich und täglichen Bericht an mich und zwar mündlich. Kein Telefon, kein Internet, nichts. Sie wissen doch selber wie leicht irgendwelche Vollverbrecher diese Dinge knacken können.“ Fryer blickte ihn jetzt brütend und abwägend an. Marxx beschloss, zu nicken und sich den Begriff Vollverbrecher zu merken. Vielleicht gibt es dann auch Halb- und Viertelverbrecher.

 

In Hamburg war Klaus Storben Erster Bürgermeister, unumstrittener Sieger der letzten Wahl zur Bürgerschaft, der, der die jetzige Opposition dahin geschickt hatte wo sie hingehörte nach Meinung des treuen Teils der Parteimitglieder. Nämlich weg von den fetten einträglichen Pfründen der letzten Legislatur zu den dürren Wiesen der Sitzungsgeldebene. Das wurde ihm von vielen hoch angerechnet. Diejenigen, die skeptisch blieben waren die mit den hohen Erwartungen zu Beginn der Herrschaft Storben und denen dann diese Erwartungen nicht erfüllt wurden. Die Mehrheit der Partei trug Klaus Storben auf den weichen Daumen einer großen Zustimmung und genau dort hatte er sich eingerichtet. Er sah gut aus, jünger als seine vierundfünfzig Jahre und war verheiratet. Gisela Storben war studierte Pädagogin allerdings nicht berufstätig. Kinder hatten sie auch nicht. Brauchten sie im Grunde auch nicht denn Gisela war Erbin eines großen Vermögens und stark mit der Organisation und Durchführung von sozialen Projekten beschäftigt. Als einziges Kind hatte sie die Anteile ihres Vaters geerbt, der damals an der Achimwerft beteiligt war, die dann durch die Machenschaften, wie er, der Vater damals noch selber gesagt hatte, der alten Hamburg Schiffbauer zur Strecke gebracht worden war. Diese alten Player auf dem Hamburger Werftenmarkt hatten seinerzeit in Tateinheit mit den beteiligten Banken die Zinsen für die Achim-Verbindlichkeiten erhöht und dessen Kontokorrentlinien stark verkürzt. Das Ergebnis war Insolvenz und dann ein Vergleich, den Giselas Vater nicht mehr so richtig genießen konnte. Zwei Monate nach dem rechtskräftigen Vergleich verstarb er und hinterließ Gisela ein paar Millionen. Sie war also in der Ehe Storben die Reiche und er derjenige der sein Geld selber verdienen musste.

 

Vor ihrer Eheschließung hatte sie dann auch noch gemeint, dass die Sache mit Gütertrennung und so, „du verstehst das doch, Schatz, nicht wahr, immerhin könntest du doch auch insolvent gehen und da habe ich nun doch weiß Gott genug Erfahrungen sammeln müssen,“ gar nicht so schlecht sei um nicht zu sagen Bedingung. Er schluckte und hatte damals akzeptiert aber nicht vergessen. Ansonsten, sie waren ein schönes Paar, beide attraktiv, fotogen, immer gut angezogen, und nicht, um es vorsichtig auszudrücken, nicht unvermögend. Dabei sozial engagiert, auf jeder Benifizveranstaltung in der ersten Reihe, kompetent oder auch nicht zu den einzelnen Aufgaben des jeweiligen Events von den Medien befragt und immer kompetent geantwortet.

 

Klaus Storben hatte seit seinem Einzug in die Politik immer ein sympathisches Lächeln im Gesicht, war immer freundlich, immer verständnisvoll und immer ausgleichend und eine seiner wesentlichen Stärken, um nicht zu sagen die einzige. Als gelernter Kaufmann ohne Abitur und Studium in der Politik soweit zu kommen war eine Leistung, die so manche anerkannten. In der Regel allerdings täuschten sich immer diejenigen, die ihn nicht genau kannten und die seine scheinbare offene kumpelhafte Art für echt hielten. Im tiefsten Inneren seiner Politikerseele war er ehrgeizig, egoistisch und nachtragend.

 

Gisela war allerdings diejenige, die die Idee mit dem Sloganbeauftragten hatte.

„Klaus, Schatz,“ hatte sie gleich nach der gewonnenen Wahl gesagt während sie beim Frühstück die Printmedien nach deren Reaktionen auf die Wahl durchblätterte und bei der Rubrik -Splitter angekommen war. Dort wurden Zitate abgedruckt, kutz, prägnant und meinstens merkbar. Sie hatte dann zu ihrem Gatten gemeint, dass solche Zitate für sich allein ohne einen redaktionellen Teil drum herum den Eindruck von Intelligenz und Durchblick vermitteln. „Du solltest dir so etwas angewöhnen.“ Klaus Storben hatte zunächst gestutzt und dann den Gedanken sympathisch gefunden und nachgedacht. Als er dann weiter nachgedacht hatte, kam er zu dem Schluss, dass das gar nicht so einfach sei. Schnell gesagt und schwer getan. Dann hatte er die Idee für die Installation eines neuen Postens. Die Aufgabenbeschreibung musste natürlich die wahre Aufgabe verschleiern und sah deshalb vor, dass die Besetzung dieses Postens dann die permanente innere Organisation des Bürgermeisterbüros übernehmen sollte. Vor dem Finanzausschuss und dort vor Abteilung Personalwesen begründete er das mit einer sich ständig ändernden Welt „da draußen“ und dass die öffentliche Verwaltung sich in einem ständigen Konkurrenzkampf befindet.

„Allein auf dem Gebiet der Versorgung mit Wasser, Strom und Fernwärme hat die FHH vier Mitbewerber auf ihrem Staatsgebiet, die über ausgefeilte Organisationseinheiten verfügen und uns an die Wand hauen bevor wir morgens das Büro aufgemacht haben, meine Damen, meine Herren,“ hatte er ausgeführt und damit die Mehrheit auf seine Seite gezogen. Die Besetzung des Postens hatte er nicht der Personalabteilung überlassen sondern sich das Besetzungsrecht selbst vorbehalten.

„Das ist kein Misstrauen,“ hatte er gesagt als die ersten Bewerbungen vorlagen, „es ist ein äußerst sensibler Posten, der Feingefühl und Autorität gleichermaßen erfordert.“ In der Zeit kurz nach der Wahl, als die Erinnerung an den glorreichen Wahlgewinner noch frisch war, akzeptierte man fast alles was Klaus Storben in seiner gewinnenden und überzeugenden Art vortrug. Aus der Vielzahl der Bewerbungen dann den richtigen zu finden war schwerer als er gedacht hatte.

 

Dann machte er in seiner Not den Fehler, seinen Büroleiter in diese hochsensiblen Gedanken einzubeziehen. Sein Büroleiter war damals und ist auch jetzt noch Werner Fredt. Ein Mann damals seines absoluten Vertrauens, ein Mann, den er aufgebaut hatte, ein Mann, dem er vertraute und ein Mann mit überragenden organisatorischen Fähigkeiten. Er hatte damals gleich nach der Wahl viel zu tun mit der Besetzung von Posten zu tun und musste delegieren. Seine Einschätzungen von Fredt hatten zu diesem Zeitpunkt nicht getrogen. Nur in einem hatte er sich verschätzt, in dem Ehrgeiz, den Fredt inzwischen gezeigt hatte und der schon damals im tiefsten Inneren seiner tiefschwarzen verräterischen Seele gelauert haben musste. Fredt war nach seiner Einschätzung auf dem Weg zum Königsmörder. Der Zeitpunkt war gut gewählt, ein Jahr bis zur Wahl, ein dreiviertel Jahr bis zur Nominierung und dazwischen genug Zeit, sich an einen neuen Kandidaten zu gewöhnen.

 

Es gab Anzeichen, dass Artikel erscheinen sollten, die sich kritisch mit seiner, Klaus Storbens, Ehe befassten. Oder befassen sollten. Er hatte da zum Glück einen Tipp bekommen aber keinen Namen. Soweit ging die Freundschaft mit der entsprechenden Chefredaktion dann doch nicht. Informantenschutz hieß es auf seine Nachfragen. Aber es war ein Alarmzeichen. Gegenstand der Reportage sollte ein Bericht über ihr Haus in Kampen auf Sylt sein, das seine Gisela öfter besuchte als er und dort sollte sie nicht immer allein gewesen sein. Jetzt, ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl. Absolut tödlich, der Zusammenbruch einer über Jahre aufgebauten Fassade. Der Beweis von Vortäuschungen auf privatem Gebiet, wer weiß was dann im Beruflichen noch in der Tiefe bei ihm schlummert? Die Schlagzeilen dazu sah Storben bereits vor seinem geistigen Auge. Wehret den Anfängen! Deswegen hatte er Fryer eingeschaltet. Polizeipräsident, Parteimitglied, der muss so etwas regeln. Für was hatte er den Mann denn damals vorgeschlagen für den Posten? Fryer muss das Eisen aus dem Feuer holen, auch kleine Gefälligkeiten müssen irgendwann begleichen werden. Aber hatte er das nötige Feingefühl? Storben konnte das nur hoffen.

 

„Und,“ fragte Doren Schmidt ohne von ihrem Bildschirm aufzublicken, „hast du dem Präs aus der Klemme helfen kön-nen?“

Marxx setzte sich übertrieben ordentlich an seinen Schreibtisch und überlegte genauso übertrieben und lange und erkennbar angestrengt.

„Präs und ich,“ begann er langsam und dabei immer wieder scheinbar nach Worten suchend aus dem Fenster blickend, „haben uns lange unterhalten. Es war ein fruchtbares von beiderseitigem Respekt und Anerkennung getragenes Gespräch. Ein Gespräch auf Augenhöhe könnte man ohne Übertreibung sagen.“ Dann blickte er zu Doren, die ihn kritisch ansah.

„Und dann hat er dir das du angeboten und auf beide Wangen geküsst und ist in Tränen ausgebrochen, nicht? Endlich eine verwandte Seele gefunden, jemand, der mich versteht, nach so vielen Jahren.“ Ihr Sarkasmus war nur leicht erkennbar, aber er war da.

„Genauso,“ nickte Marxx. Dann schwieg er einen Moment und sagte:

„So eine Art Sonderaufgabe.“

Doren sah ihn interessiert an.

„Geheimauftrag, verstehst du?“

„Nee.“

„Niemand darf es wissen, nur Präs, Andresen und ich.“

Doren schwieg.

„Im Rathaus,“ fuhr Marxx fort.

„Aha!“

„Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten unter den Siegel der Verschwiegenheit.“

Dorens Blick wurde nachdenklich.

„Im Auftrag der hohen und höchsten Politik,“ sagte Marxx, „aber wie gesagt, höchste Geheimhaltungsstufe.“

Doren blickte und schwieg.

„Niemand darf wissen,“ fuhr Marxx fort, „dass ein Beamter einer Hamburger Mordkommission dort nach einem Informationsleck sucht und dabei vorgibt, die Sicherheitsgruppe des Rathauses zu prüfen.“

„Nur Präs, Andresen und du,“ fragte Doren sicherheitshalber.

Marxx nickte wichtig. Doren schwieg.

„Wann,“ fragte sie dann.

„Sofort,“ sagte Marxx, „das mit der Geheimhaltung war ernst gemeint.“

„Habe ich auch so verstanden,“ nickte Doren, „und du ganz allein im großen Rathaus?“

„Hilfe kann ich anfordern, aber die Hilfe darf natürlich nicht wissen wofür sie hilft und warum.“

„Alle Hilfe?“

„Vielleicht du und Markus. Die eine oder andere Leitung anzapfen oder so, mal sehen. Abhörsachen vielleicht, Mails checken, die üblichen Methoden einer Militär- oder Industriespionage eben. Routine für unser einen.“

„Oh Mann,“ sagte Doren und wandte sich wieder ihrem Aktenbeendigungsdienst zu, der genau vorschreibt, wie Fälle aktenmäßig abgeschlossen werden müssen und damit zur Staatsanwaltschaft gehen oder eben nicht. Je nach Ergebnis der Ermittlungen.

 

Julius Peter Teich stand am Fenster im oberen Geschoss des Hamburger Rathauses und blickte gedankenverloren auf den Rathausvorplatz. Kleine Gruppen von Touristen flanierten von der Mönckebergstraße kommend zum Rathaus oder zu dem nebenan liegenden Museum. Andere standen vor dem Rathaus und betrachteten sachkundig die Fassade. Das was ihm jetzt auffiel war, dass keine Skater diesen Platz benutzten obwohl er doch alle Voraussetzungen erfüllt. Groß, glatte Oberfläche und kaum störenden Menschen. Etwas was sich Teich nicht erklären konnte. Es war Vormittag und er war heute seit drei Stunden in seinem kleinen bescheidenen Büro mit dem schmalen Fenster in Richtung Jungfernstieg und Alster. Er war jetzt siebenunddreißig Jahre alt und hatte seit vier Jahren diesen Job im Rathaus. Das erste Mal in seinem Leben überhaupt, dass er einen festen Job und dazu noch so lange. Davor gab es nur diese Zeitdinger, Aushilfsjobs und das Hangeln von einer dieser Beschäftigungen zur nächsten. Dabei hatte er als Abiturient eine glänzende Zukunft vor sich, dachte er jedenfalls. Zunächst Studium auf Lehramt, aber das war nichts. Das lag ihm nicht. Dann Hochschule für bildende Künste, auch drei Semester, etwas mit Malerei und Grafik. Dazwischen diese Riesenträume von Karrieren auf dem Kunstmarkt, Bilder, die ihm aus der Hand gerissen wurden und immer neue Verkaufsrekorde erzielten. Leider auch nichts, dann immer interessante Gespräche in den Szenekneipen der Schanze, die eine oder andere Demo, das eine oder andere Mädchen und dann kroch so langsam, er meinte das war als er Anfang dreißig war, die Torschlusspanik in ihm hoch. Das war in der Phase als er mit kleinen Gedichten, die er in den Kneipen zum Gejohle der anderen Betrunkenen vortrug, den Durchbruch versuchte. Allerdings auch mit wenig Erfolg, diese Gedichte, als er sie später einmal wieder durchging, zeigten schon seinen damaligen seelischen Zustand, nur Depression und Niedergang. Dann aber komischerweise die Rettung aus einer ganz anderen Ecke. Es war an einem regnerischen Dienstag im Dezember, ein Wetter, das schon allein reichte um depressiv zu werden. Er saß beim Kaffee bei Tchibo, dort an der Ecke am Ottenser Markt und blickte gedankenverloren und noch leicht verkatert von dem Billigbier des Vorabends in der WG aus dem Fenster als Klaus hereinkam, Klaus Heymann, den er eigentlich nicht so richtig ab konnte. Ein Angeber, der es auch nicht weiter als er gebracht hatte aber einen wesentlich größeres Mundwerk hatte. Der knallte dann das Hamburger Abendblatt auf den Tisch als er seinem mit seinem Latte macciato auf den anderen Stuhl fläzte und gleich von den riesigen Chancen anfing, die er jetzt rein beruflich hatte. Er ließ diese Suade über sich ergehen und blätterte rein aus Mangel an Alternativen in der Zeitung herum und fand rein zufällig eine Anzeige, die ihn irgendwie interessierte. Er hatte sie noch genau vor Augen. Es wurde gesucht ein kreativer Organisator unter Chiffre. Er hatte bis dahin gedacht, dass Kreativität und Organisationstalent einander ausschließen. Es war irgendwie der Widerspruch, der die Sache interessant macht. Ungerührt riss er sich die Anzeige aus wobei Klaus Heymann eine kleine Sekunde lang den Schwachsinn unterbrach, den er pausenlos bis dahin von sich gegeben hatte.

 

Am selben Tag noch setzte er sich an seinem Laptop und schrieb eine Antwort auf diese Anzeige. Als er dann mit dem Laptop in das Nebenzimmer ging um bei Kerstin an ihrem Drucker auszudrucken und Kerstin, übrigens damals Lehramtsstudentin und jetzt vielleicht schon dabei, die Kinder Hamburger Eltern zu versauen, ihre Bude wie immer vollgequalmt, hatte das kommentarlos zur Kenntnis nahm und er sich nicht erklären musste, ging die Sache los. Er hatte neben seinem stark geschönten Lebenslauf in einem Anfall von Tollkühnheit noch zwei seiner Gedichte aus der optimistischen Phase beigelegt. Vier Tage später dann ein Vorstellungsgespräch. Im Rathaus Altona! Fester Termin! Er lieh sich von dem damaligen Typen mit dem Kerstin zusammen war in der Zeit einen Anzug, er hatte etwa seine Figur und war sonst auch ein ganz guter Kumpel. Obwohl er selber, Julius Peter Teich ja auch mit Kerstin damals und dann hat sie eben ..., na, ja Schwamm drüber. Der Anzug passte jedenfalls und machte es dann wohl auch.

 

Im Rathaus dann vom Pförtner gleich in einen kleinen Nebenraum gebeten und da saß dann Werner Fredt, den Namen hatte er vorher nie gehört, die Unterschrift auf der Einladung zu diesem Gespräch war irgendwie hin gekritzelt und unleserlich. Dieser Fredt war etwas älter als er, aber doch schon der strenge Dresscode des erfolgreichen Managers wie man sie eben so kennt mittags in den Cafés der Innenstadt Typ. Topanzug, Hemd und Krawatte, alles vom Feinsten. Und gegeltes Haupthaar. Schuhe spiegelblank. Er, Teich, war da schon heilfroh über den Anzug, den er an hatte. Dann das Gespräch selber und dieser Fredt. Der Blick etwas abschätzend, vielleicht lauernd und abwägend. Fredt natürlich ganz der Obenstehende mit leicht hingefläzter Haltung auf einem Stuhl ihm gegenüber.

 

„Ihre Bewerbung hat Aufmerksamkeit erzeugt,“ hatte Fredt gesagt mit dem Hintergrundwissen des Insiders, „EB war angetan, besonders von den Gedichten, die dabei waren.“ Dann wieder der abschätzende Blick von Fredt. Er selber hatte dann erst einmal EB gefragt, wer ist das denn?

„Erster Bürgermeister,“ hatte Fredt nachsichtig nickend gesagt und hinzu gefügt, „Klaus Storben.“ Dann wieder so ein abschätzender Blick nach dem Motto den wirst du doch hoffentlich kennen.

„Klaus war angetan,“ sagte Fredt dann weiter wohl nur um zu zeigen, dass er mit dem EB per du war. Dann hatte er ihm einen Bogen Papier zugeschoben über den Tisch, an dem sie beiden saßen und gemeint, dass das die Arbeitsplatzbeschreibung sei. Er hatte dann den Text überflogen. Da stand dann viel von Organisation, Optimierung, Anpassung, Kostenverfolgung und so drin. Fredt hatte ihn dabei nicht aus den Augen gelassen. Als er dann unschlüssig aufblickte hatte Fredt gemeint, dass das nur die offizielle Arbeitsplatzbeschreibung sei. Ihm war das zu diesem Zeitpunkt eigentlich gleichgültig gewesen und hatte nach der Bezahlung gefragt. A 12 hatte Fredt geantwortet oder besser B 7. Er hatte das nicht verstanden und hatte entsprechend verständnislos geblickt.

Mit zweiacht brutto, Herr Teich, monatlich sind Sie dabei wurde das dann konkretisiert. Da hätte er alles für unterschrieben. Dann allerdings diese merkwürdige Verschwiegenheitserklärung, die Fredt dann über den Tisch schob. Da hätte er wach werden müssen, zusammen mit dem beinahe lauernden Blick und dieser Erklärung, das hätte für eine solide Skepsis reichen müssen. Aber da war er wohl schon auf die zwei acht fixiert und hatte alles andere beiseite geschoben.

 

Mittlerweile hatte er sich allerdings an das Rathaus gewöhnt. Zuerst war da diese Exklusivität des Standortes. Rathaus Hamburg, Innenstadt. Da haben erst einmal alle in der WG massiv geschluckt. Kerstin natürlich auch mit ihren Loser diesem Hamann. Nach einem halben Jahr war er dann ausgezogen, es war nicht mehr seine Liga, dieses Teilen von Nasszellen und Küche in einer Wohnung. Jeder saut da herum und keiner macht es sauber, allein wie das Bad manchmal ausgesehen hatte. Er hatte dann eine Zweizimmerwohnung bezogen von der Saga, mit Vitamin B aus dem Rathaus natürlich, wahrscheinlich sogar vom EB höchstselbst. Eppendorf, Topadresse. Aus reiner Gemeinheit hatte er dann noch einmal Kerstin dorthin eingeladen. Sie hauste damals immer noch in der WG mit diesen anderen Versagern und stand kurz vor ihrem Lehramtsexamen. Er hatte dann beiläufig anklingen lassen, dass er den EB, EB Erster Bürgermeister, du verstehst, persönlich kannte und mehrmals, in Worten: mehrmals pro Woche mit ihm zusammen kommt. Allein dafür hätte Kerstin schon die Beine breitgemacht, aber er hatte überlegen verbal abgewunken. Er wolle keinen Stress mit seiner Freundin und so, du verstehst das doch?

 

Kerstin, das war für ihn snow from yesterday wie der Lateiner sagen würde. Trotzdem, ihr Besuch war eine gewisse Genugtuung. Dann damals erst die schriftliche Zusage, die Einweisung in dieses Büro hier im obersten Stock des Rathauses, klein aber fein. An den Wänden Organigramme, Stellenbeschreibungen und Namenslisten mit Beruf und Dienststellenbeschreibungen. Ein kleiner Schreibtisch mit Laptop und LAN-Anbindung. Vor dem Schreibtisch ein zweiter Stuhl. Sonst nichts, kein Kleiderhaken, keinen Schrank, nichts. Auch wieder dieser Werner Fredt, der ihm mit einer kleinen Handbewegung an diesem Tag das Büro gezeigt. Dann fläzte sich Fredt auf den Stuhl vor dem Schreibtisch und wies lässig auf den Stuhl dahinter. Dann deutete er auf die Wände mit den angepinnten Listen und Graphiken.

„Das vergessen Sie man am besten, das ist aus der Abteilung tarnen, täuschen und verpissen.“

Fredt war dann aufgestanden und an das Fenster getreten aus dem er jetzt auf den Rathausmarkt blickte und eine langatmige Erklärung abgegeben, die damit begann, dass er diese Verschwiegenheitserklärung unterschrieben hatte.

„Sie erinnern sich, Teich, hatte er gesagt, alles bleibt unter uns, besonders das was Ihr Arbeitsverhältnis und die damit verbundene Arbeitsplatzbeschreibung angeht.“

Andernfalls hatte er dann hinzugefügt und so eine Kehledurchschneidegeste gemacht und dabei gegrinst. Die Arbeit von Politikern dient der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, hatte er gesagt mit dem Rücken zum Büro. Ohne Öffentlichkeit keine Wahlsiege ohne Wahlsiege kein Geld, so einfach ist das. Nun leben wir in einer Welt, mein lieber Teich, in der wir zugeschüttet werden mit Informationen, von morgens bis abends, die ganze Nacht und sogar am Wochenende, jeden kotzt das an und jeder denkt, wenn er nicht mitmacht verblödet er. Wieder so ein kleines lauerndes Grinsen. Gegen so einen Hype muss man sich erst einmal durchsetzen wenn man Gehör finden möchte. Fällt Ihnen da so spontan etwas ein? Wie bekommt man mit seiner Info mehr Aufmerksamkeit in diesem Ozean von lesbaren, von hörbaren, hör- und sehbaren Infos als jeder andere? Fällt Ihnen nichts ein? Dann will ich Ihnen das sagen, denn dazu sind Sie nämlich jetzt im Spiel. Wir machen das mit weniger Info. Acht neun Worte, gezielt, scheinbar spontan dahergeredet und von diesen sogenannten Medien hungrig aufgenommen wie ein brandheißer Tipp für den nächsten Lauf im Derby von Horn. Was sagen Sie dazu? Nichts, ich sehe schon. Sie, mein lieber, liefern die Texte und EB gibt sie dann beiläufig weiter als das Ergebnis eigenen Nachdenkens und eigener Intelligenz. Dann wird EB dort zitiert wo es jeden lesen kann und wegen der Kürze der Sache bleibt so etwas hängen im Kleinhirn des Bürgers. Damit ist die ganze Geschichte gelaufen. Sie werden sehen. Ihre Gedichte haben Sie dazu prädestiniert, Sie sind der kreative Kopf, Sie können so etwas, Sie werden bezahlt und Sie liefern. Ein druckbares Zitat pro Tag, nicht mehr als acht bis zehn Wörter und wir werden Freunde. Damit hatte sich Fredt umgedreht und ihm aufmunternd zugenickt. Jeden Tag einen Spruch und jede Woche eine Auflistung der Zitate mit Quellenangabe und auf meinen Schreibtisch war dann noch die Ergänzung seines Auftrages. Statistik, hatte Fredt gesagt, Statistik ist der Nachweis von Erfolg.

 

Das war der Beginn, seitdem lieferte er und seitdem floss die Kohle. Er hatte eine eigene Wohnung in einem angesagten In-Viertel, er lebte das Leben eines erfolgreichen Mannes, seine Frauenbekanntschaften hatten jetzt auch eine ganz andere Perspektive und Qualität. Keine WG mehr wo man Angst hatte, dass die Mitbewohner an der Tür lauschten und jedes vernünftige Mädchen erst einmal die Nase rümpfte. So ein Zimmer in einer WG ist natürlich für die Kreativität im Bett nicht besonders förderlich.

 

Fredt selber hatte er dann mindesten alle zwei Tage gesehen in der Zeit seines Jobs hier im Rathaus, den EB vielleicht einmal die Woche. Fredt hatte sein Büro eine Etage unter seinem, neben dem großen Empfangssaal. Fredt war Leiter des Bürgermeisterbüros und damit extrem dicht an den Entscheidungsebenen der Hamburger Politik. Der EB schien aber von ihm, von Julius Peter Teich, angetan zu sein. Er begrüßte ihn immer freundlich, wechselte ein paar Worte, unverbindlich und kam aber nie auf seinen eigentlichen Job, dem des Produzenten von Sprüchen zu sprechen. Dann aber näherte sich die Hamburger Politik langsam aber unaufhaltsam dem Termin der nächsten Wal zur Bürgerschaft. Komischerweise wurde sein bis dahin mit einigem Abstand geführte Verhältnis zu Fredt lockerer. Fredt bemühte sich. Er kam öfter als vorher in seine Bürokemenate. Er konnte das nicht einschätzen, er hatte immer noch Vorbehalte gegenüber Fredt, es war etwas Undurchschaubares im Verhalten von Fredt, nach wie vor.

 

Drei Tage nach seinem Dienstbeginn damals er auf dem Weg war in die kleine Kantine lief ihm Klaus Storben über den Weg. Der Gang war schmal, ein Ausweichen nicht möglich und Storben kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. Er wurde also vom EB freundschaftlich begrüßt wie ein alter Bekannter. Man tauschte Freundlichkeiten aus und dann kam EB auf die eigentliche Sache zu sprechen. Nach einem kleinen Blick hin und her bei niemand auf dem Flur zu sehen war, hatte er gesagt:

„Redensarten, verstehen Sie, so kleine leichte Sätze mit Tiefgang. Etwas was man sich schnell merkt und nicht so schnell wieder vergisst. Genauso soll es sein.“

Er hatte genickt und ja, klar, kein Problem gesagt und wurde vom EB mit einem kleinen freundschaftlichen Schlag auf seinen Oberarm verabschiedet.

 

Dann die Lieferphase, sie war leichter als er zunächst gedacht hatte. Es gab dann gute Sprüche, schlechte und ganz schlechte. Es gab Sprüche wie „der Wähler ist nun einmal der Souverän“, nicht so prickelnd, wurde von zwölf Medien zitiert mit Quellenangabe Klaus Storben. Dann „wir arbeiten im Übereinstimmung mit dem Wähler“, Anzahl der Zitate sieben, also eigentlich schlecht. Dann „manchmal muss man gegen den Mainstream an“, Zitate fünfzehn, das war schon ganz gut. Der Hauptrenner war bisher „auch Könige machen Fehler“, Zitate zweiunddreißig. Es lief also ganz gut, er hatte dieses Geschäft einigermaßen im Griff, ihm redete keiner rein und er hielt die Vorgaben ein. Eine Redensart pro Tag, eine aktuelle Statistik darüber alle zwei Tage und mindestens einmal pro Woche zu diesem Werner Fredt zum Rapport. Freundschaftliche oder wenigstens weniger feindliche Gefühle konnte er diesem Fredt nicht entgegenbringen, aber hielt mit diesen Dingen strikt hinter den Berg. Er war freundlich zu Fredt, aufgeschlossen, scheinbar begeistert von dessen Gequatsche und dachte dabei: du kannst mich im Grunde mal ganz kräftig am Arsch lecken. Dann gab es aber diesen Wandel im Verhalten von Fredt. Er wurde erkennbar freundlicher zu ihm, entgegenkommender und begann beinahe, ihn zu hofieren. Fredt war scheinbar begeisterter von seinen geistigen Ergüssen obwohl diese, rein objektiv betrachtet, nicht besser geworden sind. Kurz, er, Julius Peter Teich, wurde misstrauisch. Eines Abends als er noch an dem Spruch des Tages für den nächsten Tag herum grübelte kam Fredt in sein Büro. Er war etwas aufgekratzt, unternehmungslustig und fragte ihn, ob er keine Lust habe einen kleines Feierabendbier mit ihm zu trinken.

„Ein, zwei Bierchen, Teich, kleine Plauderei an der Theke vom Peanuts drüben am Domplatz wenn Sie Zeit haben.“

Er verbarg seine Überraschung und tat freudig erregt. Das Peanuts war schließlich die angesagte Kneipe in der Innenstadt, ein Bier nullkommavier Liter kam dort auf vier Euro, und so trabten sie beide einträchtig vom Rathaus über die Mönckebergstraße zum Domplatz. Fredt war dort bekannt, er wurde vom Barkeeper mit Handschlag begrüßt, stellte seinen Gast mit den Wort vor „Serge, das ist mein Kollege Teich, er ist Künstler“, dann grinste Fredt wie über einen guten Witz während Serge seine Hand über die Theke zur Begrüßung hin hielt. Sie rückten dann so weit von Serge und seinen Zapfstellen weg, dass dieser bei der Unterhaltung nicht mehr zuhören konnte. Zuerst räsonierte Fredt etwas großspurig herum, erzählte von seinem Verhältnis zum EB und machte sich enorm wichtig. Dann kam er, es war beim zweiten Bier zur Sache.

„Bürgerschaftswahl, Teich,“ sagte er, „steht an in einem Jahr. Die Partei will Klaus....“

An dieser Stelle nickte Teich und schob ergänzend: „Der EB“ dazwischen.

„... wieder aufstellen. Klaus hat bisher einen guten Job gemacht. Ich allerdings auch und ich bin aus den Reihen der Partei angesprochen worden, ob ich nicht selber für den EB kandidieren will.“ Dann wieder dieser etwas abwartende und lauernde Blick von Fredt. Teich zuckte mit den Schultern.

„Für Sie könnte sich das rein einkommensmäßig auch von Vorteil sein. Sie könnten zunächst den Wahlkampf mit Texten versorgen und die ganze papiertechnische Infrastruktur machen. Da gibt es richtig dicke Kohle vom Wahlausschuss. Dann werden wir für Sie schon was Adäquates finden nach der Wahl.“ Teich grübelte über das Wort adäquat nach und entschied, dass das etwas mit monetärer Versorgung zu tun haben musste. Er nickte dann vorsichtig. Fredt bestellte dann noch zwei Bier und ließ sich die Rechnung machen.

„Wir sprechen noch einmal darüber,“ sagte er dann bei der Verabschiedung auf dem Platz vor dem Rathaus als Teich mit der Ubahn Rathausmarkt nach Hause wollte. Fredt verschwand mit den Worten „ich habe leider noch ein Meeting“ in Richtung Rathaus.

 

2. Im Rathaus

Der Morgen war mild, ein Morgen wie es dem beginnenden Frühling angemessen war. Die Bäume auf dem Rathausmarkt zeigten unübersehbar erste Knospen, die Alsterschwäne waren seit vier Wochen wieder auf dem Wasser und Touristen standen auf den Anlegern der Alsterschiffe und freuten sich augenscheinlich auf eine entspannte Seereise bis weit hinauf bis nach Winterhude und Alsterdorf. Es war für Marxx ein Morgen zum Durchatmen. Sein Einsatz im Rathaus war so vorbereitet, dass er offiziell den Auftrag hatte, die Gebäude- und Personensicherheitskonzepte zu überprüfen. Er hatte dafür einen Ausweis ausgestellt bekommen, der ihm Zugang zu allen Bereichen ermöglichte. Ein Gespräch mit Fryer hatte er nach seiner ersten Einweisung durch ihn nicht mehr geführt. Auf der Fahrt in der Ubahn zum Rathaus dachte er darüber nach, ob er vielleicht nur so einen Alibieinsatz hatte nach dem Motto von Fryer, dass Versprechen eingelöst werden müssen auch wenn der erwünschte Erfolg dann ausgeblieben war. Andresen hatte ihm bei der Verabschiedung gestern noch gesagt, dass er sich bei der Chefsekretärin oder was sie sonst noch sei, eine gewisse Viola Bergengrün, dabei hatte er etwas mokant die Lippen verzogen, melden solle.

„Frau Bergengrün ist die graue Eminenz, wie ich gehört habe, Herr Marxx, die Frau, die alle Fäden in der Hand hat.“ Dann hatte er sich etwas vorgebeugt über seinen Schreibtisch, vor dem Marxx gesessen hatte, und hinzugefügt: „Sie soll einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Personalpolitik des Bürgermeisters haben.“ Tja, hatte Marxx dabei gedacht: was will der Dichter damit sagen? Äußerlich war er allerdings neutral geblieben.

 

Jetzt jedenfalls stand auf dem Rathausmarkt keinerlei Wachpersonal. Marxx war sich noch nicht einmal darüber im Klaren, ob er durch das bereits geöffnete große Eingangstor gehen musste oder durch irgendeinen Nebeneingang. Unschlüssig schlenderte er von dem UBahnausgang zum großen Tor und ging in das Rathaus. Die Halle, später am Tag immer voller Menschen, die sich da staunend umsahen, war jetzt menschenleer. Unschlüssig blickte Marxx sich um und war schon bereit die Treppe links am Ende der Eingangshalle zu betreten als eine etwas ältere Frau ihm entgegenkam. Die Frau wollte wortlos an ihn vorbei auf die andere Seite der Halle von wo aus eine weitere Treppe irgend wohin führte. Marx sprach sie an und fragte nach Frau Viola Bergengrün. Die Frau blieb so abrupt stehen als wäre sie gegen eine Wand gelaufen. Ihr Blick war misstrauisch, Marxx stellte sich deshalb förmlich vor und zeigte seinen neuen Personalausweis vor. Sie beugte sich etwas vor und studierte den Ausweis wie eine unverständliche komplizierte mathematische Formel. Dann sagte sie mit Blick zu der Tür aus der sie gekommen war: „Zwoviersiebendrei.“ Sofort wandte sie sich um und wollte weiter gehen.

„Tja nun, zwoviersiebendrei,“ meinte Marxx ratlos.

„Türcode,“ sagte die Frau sich halb umdrehend mit ergebenen Kopfschütteln über soviel Unverständnis. Marxx wiederholt dann den Code und bedankte sich. An der Tür kam er problemlos mit der eingetippten Nummer herein. Dahinter tat sich ein halbdunkler Flur auf von dem mehrere Türen abgingen. Ein Kopiergerät stand etwa in der Mitte an der rechten Seite und alte verschlissene Türen gingen zu dahinterliegenden Büros ab. Der Fußboden war mit dunkelroten augenscheinlich alten Fliesen bedeckt. Als ihm ein junger Mann entgegenkam fragte er nach dem Büro von Viola Bergengrün. Der Mann deutete auf eine Tür drei Türen weiter.

„Frau Bergengrün ist noch nicht da,“ sagte er, „sie kommt immer erst um halb neun.“

Marxx zuckte mit den Schultern. Wenn er etwas hatte dann Zeit. Der Mann war bei ihm stehen geblieben. Er schien ebenfalls Zeit zu haben. Das Gespräch begann holperig, der Mann fragte, was er denn hier machte. Er trug eine modische Jeans und ein hellblaues Jackett, das weiße Hemd war oben geöffnet und ein Dreitagesart unterstrich die modische Ausrichtung. Dann hielt er Marxx die Hand hin und stellte er sich vor: „Julius Teich.“

Marxx stellte sich ebenfalls vor und erklärte, dass er sich hier einmal um die Sicherheit kümmern müsse.

„So eine Art externe Prüfung.“

Teich grinste und meinte flapsig das wohl nichts mehr zu tun sei bei der Polizei.

„Alle schon eingebuchtet nicht?“ Dabei lachte Teich laut.

Marxx nickte bestätigend und fragte, welche Aufgabe er denn hier im Rathaus hätte. Teich blickte sich übertrieben vorsichtig um und sagte dann:

„Permanente Anpassung der Organisation des Büros vom EB.“ Dabei grinste er wieder wie bei einem guten Witz. EB fragte Marxx dann und erfuhr: „Erster Bürgermeister, Durchlaucht Klaus Storben.“ Das sprach er allerdings so leise aus, dass Marxx vermutete er wolle seine kleinen Lästereien nicht weiter verbreiten.

Dann fragte er Marxx ob er einen frühen Kaffee wolle und führte ihn ein Stück weiter wo am Ende des Flures eine kleine Teeküche eingerichtet war. Teich kramte aus einen kleinen Wandschrank zwei Tassen und bediente sich großzügig an der dort stehenden Thermoskanne.

„Milch ist nicht,“ sagte er als er eine Tasse Marxx gab und begann in plauderndem Ton Marxx auszufragen. Was genau er hier machen wolle, ob es eine Sonderaufgabe sei, bisher hatte er einen solche Prüfung nicht wahrgenommen und was überhaupt genau dahinter steckt.

„Wir haben Wahlen im nächsten Jahr,“ sagte Teich dann, „und dann werden die Leute hier in der Administration etwas nervös.“ Marxx zuckte fragend mit den Schultern.

„Wenn der EB aus dem Amt fliegt kommt ein Neuer und der mischt die Karten natürlich neu,“ erläuterte Teich genussvoll. Marxx nickte verständnisvoll und fragte dann, ob sein, der Posten von Teich selber, auch gefährdet sei. Er sei ja schließlich für Organisation zuständig, nicht wahr. Teich blickte ihn da an als hätte Marxx ein Verhältnis mit seiner Freundin gestanden.

„Organisation ist gut,“ sagte er dann und fügte hinzu, dass er trotzdem keinen Einblick in eine Personalplanung bekomme.