Das Rätsel um die verschwundene Braut - Elizabeth J. Duncan - E-Book

Das Rätsel um die verschwundene Braut E-Book

Elizabeth J. Duncan

4,3

Beschreibung

Die Bewohner des idyllischen walisischen Städtchens Llanelen sind schockiert, als Meg Wynne Thompson an ihrem Hochzeitstag verschwindet und wenig später tot aufgefunden wird. Die letzte Person, die Meg lebend gesehen hat, war Penny Brannigan. Penny, die Besitzerin eines Nagelstudios am Ort, ist entsetzt und schwört sich, den Mörder zu finden. Bald merkt sie jedoch, dass nicht wenige Leute - selbst zur Hochzeit eingeladene Gäste - Meg gerne tot gesehen hätten. Als eine Spur sie zum Bräutigam führt, entdeckt Penny ein Geheimnis, dessen Enthüllung die ganze Stadt erschüttern würde.

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Ähnliche


Das Rätsel um die verschwundene Braut

Ein Krimi aus Wales

von Elizabth J. Duncan

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Impressum

Leseprobe

Kapitel 1

Emma Teasdale war seit längerer Zeit krank gewesen, und starb schließlich allein und friedvoll an einem kühlen Abend im Juni.

Die Leute, die ihre Mittagspause im örtlichen Lokal ‚The Leek & Lily‘ verbrachten und sich über ihre alltäglichen Probleme unterhielten, erfuhren die traurige Nachricht vom Tod der ehemaligen Lehrerin. Sie dachten mit Wehmut an ihre eigene, längst vergangene Schulzeit zurück.

Eine Person jedoch, die ebenfalls von Emmas Tod erfuhr, wusste sofort, dass etwas erledigt werden musste, was nur sie konnte.

Penny Brannigan nahm ihre eisblaue Jacke, drehte das Türschild auf 'Geschlossen' um und verriegelte die Tür ihres kleinen Nagelstudios 'Happy Hands Nail Care

Sie ging die Station Road entlang und bog nach rechts in Richtung Marktplatz ein.

Wenige Minuten später kam sie etwas außer Atem bei 'Wightman & Sons' an, dem seit vielen Generationen ortsansässigen Bestattungsunternehmen.

Sie hielt einen Moment vor dem vertrauten Schaufenster inne, das sorgsam mit hellgrünem Samt ausgelegt und mit verstaubten Trockenblumen geschmückt war.

Als ihr wieder bewusst wurde, warum sie hier war, betrat sie den Laden. Die Türglocke ertönte und Philip Wightman trat aus einem Nebenraum hervor. Er wischte sich seine Hände an einem kleinen, gelb-weiß-gestreiften Handtuch ab.

Philip war groß und ging leicht gebeugt. Er hatte dünnes, weißes Haar und trug unter einer dunklen Jacke eine gestreifte Hose. Er lächelte, als er sah, wer ihm einen Besuch abstattete, und wollte gerade seinen Gast begrüßen, als Penny sagte:

„Philip, ich bin hier wegen Emma Teasdale. Um direkt zur Sache zu kommen: Ich würde gerne Emmas Fingernägel machen, bevor sie uns für immer verlässt. Emma hätte das gewollt. Sie hat meine Maniküre immer geliebt und war sehr eigen in diesen Dingen. Ich werde ihre Lieblingsfarbe 'Altar Ego' nehmen. Es ist ein schwaches Pink, umrahmt von Lavendellila, und ist genau das Richtige für diesen Anlass.“

Mit einem mitleidvollen Lächeln bot Philip ihr an, Platz zu nehmen. „Ja, hallo auch, Penny. Wie geht es dir denn? Wie immer beschäftigt? Keine Zeit mehr für die angenehmen Dinge des Lebens?“ Penny wollte sich entschuldigen, aber er schüttelte den Kopf. Dann dachte er einen Moment nach, faltete seine Hände sorgfältig und nickte zustimmend.

„Nun, ich denke, du hast recht. Miss Teasdale hätte es sich gewünscht“, sagte er. „Warum kommst du nicht morgen nach elf Uhr wieder und bringst deine Sachen mit. Wir werden dann Emma, eh, Miss Teasdale vorbereitet haben. Wenn du willst, bleibe ich bei dir, während du ihre Nägel machst. Die Leichenschau beginnt morgen um 14 Uhr, sodass du genügend Zeit hast.“ Er hielt inne und sah sie mitleidsvoll an. „Bist du dir wirklich sicher, dass du das tun willst?“ Penny nickte. „Das bin ich, Philip. Ich danke dir für deine Anteilnahme. Ich habe bisher noch nie jemandem eine Maniküre gemacht, der ...“ Ihre Stimme versagte. Philip vollendete ihren Satz „... gestorben ist.“

Penny dankte ihm, wandte sich um und ließ sich auf dem Rückweg zu ihrem Nagelstudio mehr Zeit. In ihrem kleinen Laden arbeitete sie schon seit mehr als zwanzig Jahren.

Der Tag hatte mit schönem Wetter begonnen, doch nun sah es nach Regen aus. Schwere, dunkle Wolken jagten am Himmel und der Wind nahm zu. Leere Trinkbecher, Plastiktüten und Papierfetzen wirbelten unaufhaltsam die Straße hinunter.

Als sie an ihrem Laden ankam, stand Penny einen Moment lang da, um die einzigartige Atmosphäre des Ortes zu genießen. Ihr Studio war eines von drei Geschäften in einem alten Steingebäude. Die Räumlichkeiten nebenan hatten einige Zeit leer gestanden. Ein Fotograf hatte kürzlich sein Studio im dritten Geschäftsraum eröffnet.

Zum Charme ihres Ladens trug ein kleiner Bach bei, der fröhlich am Haus entlang plätscherte. Das Wasser sprudelte über glitschige, runde Steine, was ein erfrischendes und doch beruhigendes Geräusch erzeugte. Eine geschwungene, schmiedeeiserne Treppe führte vom schmalen Gehweg zu ihrer kleinen Wohnung im ersten Stock. Sie ging jedoch selten die Außentreppe hinauf, weil es normalerweise schneller und bequemer war, den Aufgang im Hause zu benutzen. Dieser war im hinteren Bereich ihres Ladens durch eine unscheinbare Tür zu erreichen. Noch dazu musste sie einmal an einem regnerischen Morgen die Erfahrung machen, wie hart ein Aufprall sein konnte, wenn man auf den nassen, glitschigen Stufen der schmalen Außentreppe stürzte.

Sie öffnete die Tür zu ihrem Laden und ging hinein. Als sie das Türschild auf 'Geöffnet' umgedreht hatte, dachte sie wie so oft daran, wie froh sie sein konnte, ihren beschaulichen Lebensunterhalt damit zu verdienen, was sie am besten konnte, und was die anderen Leute offensichtlich zu schätzen wussten.

Ihr Nagelstudio war ordentlich, sauber und gut ausgestattet. Zahlreiche Fläschchen mit Nagellack waren akkurat neben einem kleinen Arbeitstisch aufgestellt, wo Frauen, Mädchen und gelegentlich sogar ein Mann, immer ein Tourist, Platz nahm, um die Nägel einzuweichen, die Nagelhaut kürzen und die Nägel schneiden, polieren und bemalen zu lassen. Die Farbpalette des Nagellacks reichte von Rosy Pink, über lebendiges Rot, tiefes Lila und Braun bis zu Vanillecreme und Perlweiß.

Penny war stolz darauf, für jede Frau und jede Gelegenheit die passende Farbnuance empfehlen zu können. Ein Vorstellungsgespräch? Sie möchten professionell aussehen? Warum versuchen Sie es nicht einmal mit Japanese Rose Garden? Ein erstes Rendezvous? Verblüffen Sie ihn mit einem Big Apple Red. Sie sind über fünfzig? Meiden Sie dunkle, auffällige Farben und wählen Sie etwas Passendes, das Ihren alternden Händen schmeichelt. Sonora Sunset wäre genau das Richtige für Sie.

Bei den Gedanken an Emma musste sie lächeln. Emma war nie verheiratet gewesen und Anfang siebzig. Dennoch wählte sie als Lieblingsfarbe Altar Ego aus der Brautkollektion. Trotz ihres Altersunterschiedes und ihrer unterschiedlichen Herkunft, entwickelte sich die Beziehung der beiden Frauen im Laufe der Jahre zu einer festen und innigen Freundschaft. Penny hatte Emma wie eine liebevolle und nette Tante bewundert, die sie sich immer gewünscht hatte, und wusste, dass Emma ihre Gefühle erwiderte.

Obwohl Penny Emmas Musikgeschmack nicht teilte, begleitete sie ihre Freundin gerne zu einem ausgefallenen Konzert oder Vortrag. Gleichermaßen besuchte Emma zusammen mit Penny Kunstgalerien oder Wanderausstellungen – einmal sogar bis ins weit entfernte Manchester.

Als Emma älter wurde und die Krankheit fortschritt, tat Penny alles, dass es ihrer älteren Freundin gut ging, während beide – jede auf ihre Art und Weise – versuchten, mit dem Unvermeidbaren fertig zu werden. Und nun war er schließlich da, der Tag, vor dem sich Penny immer gefürchtet hatte; der Tag, an dem sie die erschütternde Nachricht erfuhr.

Genauso wie Emma, stammte Penny nicht aus dieser Gegend. Mit Anfang zwanzig war sie als kanadische Rucksacktouristin auf ihrem Weg nach Betws-y-Coed in diese Kleinstadt gekommen, um hier eine Rast einzulegen. Mit ausgestreckten Beinen fand sie einen Platz auf St. Elen's Kirchhof und biss genüsslich in einen Apfel. Die Aussicht auf die leuchtend grünen Felder, die sich bis zu den höher gelegenen lilafarbigen Hügeln erstreckten, raubte ihr schier den Atem. Zum ersten Mal wurde ihr die Bedeutung des Begriffes 'atemberaubende Aussicht' bewusst.

Sie war überwältigt von der Tiefe und der Lebendigkeit der samtgrünen Felder um sie herum. Sie erstreckten sich höher und weiter, bis sie sich mit dem Lila und Grau der Bäume auf den obenliegenden Hügeln vereinten. Im Vordergrund verzauberte der plätschernde Conwy nicht nur durch seinen Anblick, sondern auch durch die wunderbaren Geräusche und die lebhafte Bewegung des Wassers. Nach wenigen Minuten beschloss sie, diese grandiose Gegend um sie herum festzuhalten und nahm aus ihrem Rucksack ein Zeichenbrett sowie einen Bleistift. Während sie mit gebeugtem Kopf den Stift über das Papier führte, vergaß sie die Zeit. Die Dunkelheit brach herein.

Die Sonne neigte sich langsam der Erde entgegen, das Licht wurde heller und veränderte ihre Farbe zu einer zauberhaften Nuance, die die nahende Dämmerung ankündigte. Penny schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es schon zu spät war, um weiter nach Betws-y-Coed zu gehen; sie würde sich hier eine Bleibe für die Nacht suchen.

Auf dem Marktplatz begegnete ihr eine elegant gekleidete Dame in einem hellgrünen, leichten Mantel. Sie trug einen altmodischen Weidenkorb. Penny fragte die Frau, ob sie ihr eine günstige Pension empfehlen könne. Obwohl die Dame offensichtlich in Eile war, weil die Geschäfte bald schließen würden, nahm sie sich die Zeit und schlug Penny in sehr gutem englischen Akzent eine geeignete Adresse vor.

Am nächsten Morgen begegnete Penny wieder dieser Frau, die nun ein Kopftuch und ein paar Schulbücher trug. Als sie Penny erkannte, grüßte sie herzlich und erkundigte sich, ob die Unterkunft zufriedenstellend gewesen sei. Es handelte sich bei dieser Frau natürlich um Emma. Penny verbrachte eine weitere Nacht in der Pension. Am dritten Tag nahm sie dankend Emmas Einladung an, ein paar Tage in ihrem Gästezimmer zu übernachten. Die Zeichnung, die Penny an diesem ersten Nachmittag angefertigt hatte, hing nun schon seit fast dreißig Jahren als umrahmtes Aquarell in Emmas gemütlichem Wohnzimmer.

So eine flüchtige Begegnung, dachte Penny mit tränenüberfüllten Augen. Sie bezweifelte, dass es noch viele Menschen gab, die einem Fremden gegenüber so hilfsbereit waren wie Emma. In der ersten Zeit hatte Penny Gelegenheitsjobs angenommen, was junge Leute eben tun, wenn die weite Zukunft zu ihren Füßen liegt. Penny deckte Tische im Speisesaal des Red Dragon Hotels und schnitt Gemüse in der Küche des Seniorenheims.

Eines Tages bot sie einer älteren Heimbewohnerin an ihrem Geburtstag an, ihre Fingernägel zu machen. Die anderen Damen versammelten sich um sie herum und bestaunten das Ergebnis ihrer Arbeit. Sie baten Penny, auch ihre Fingernägel zu verschönern und boten auch eine Bezahlung an. Schon bald machte sie jeden Samstag die Nägel der Bewohner des Seniorenheims. Ihre Arbeit sprach sich schnell herum, und Penny konnte die ersten festen Termine vereinbaren. Innerhalb eines halben Jahres hatte sie ihr eigenes Nagelstudio in einer Seitengasse des Ortes eröffnet und wohnte in der darüber liegenden kleinen Mietwohnung.

Sie ist ihrem kanadischen Akzent treu geblieben. Im Laufe der Zeit wurde Penny von den Dorfbewohnern herzlich in die Gemeinschaft integriert, obwohl ihre Sprache ein wenig anders klang. Nun, da sie Anfang fünfzig und älter war als Emma zu dem Zeitpunkt, als sie sich beide kennengelernt hatten, war Pennys kräftig rotes Haar immer noch ein Blickfang. Ihre Figur hatte sich mit den Jahren verändert, aber die legere und bequeme Kleidung, die zu ihrem Markenzeichen geworden war, verhüllten die paar Extrapfunde, die sich unwillkürlich auf ihren Hüften festgesetzt hatten. Sie liebte hellbraune oder schwarze Hosen, dazu eine ordentlich gebügelte, weiße Bluse. Darüber zog sie einen Pullover oder eine Weste mit V-Ausschnitt in sanften Farben, wie zum Beispiel Beige, Weiß, Rosé oder Eisblau. Diese Farbtöne standen – wie sie in einem Modemagazin gelesen hatte – im Einklang mit einem Gesicht über vierzig. Sie hatte hier im Ort Fuß gefasst und war im Grunde zufrieden mit ihrem angenehmen Leben.

Der Pfarrer, der Emmas Leiche in einem kleinen Schlafzimmer im ersten Stock des Jonquil Cottage gefunden hatte, rief an, um gemäß Emmas Wunsch die letzten Vorkehrungen für ihre Beisetzung zu treffen. Auf dem Nachttisch unter einem altmodischen gläsernen Briefbeschwerer, in dem feine lila Blumen für die Ewigkeit aufbewahrt waren, hatte er detaillierte Notizen gefunden, die alle Einzelheiten für den Fall ihres Ablebens regelten.

„Genau so war sie“, sagte Pastor Thomas Evans zu seiner Frau Bronwyn, als er an jenem Morgen in der lichtdurchfluteten Küche des Pfarrhauses die beiden handgeschriebenen Seiten andächtig auf den Tisch legte. „Sie plante alles bis ins Detail und lenkte ihr Leben gut durchdacht in geordneten Bahnen. Sie kann uns allen als gutes Beispiel dienen.“ Er warf seiner Frau ein liebevolles Lächeln zu, zog seine Jacke aus und legte das Kleidungsstück über die Stuhllehne.

Pastor Evans war Anfang fünfzig, ein Mann von kleiner Statur mit leichtem Übergewicht. Er bewahrte noch immer ein teils jugendliches Aussehen, obwohl seine Kieferpartie bereits erkennbar nachgab und seine buschigen Koteletten eindeutig ergraut waren.

Seine Frau war eine pragmatische und bodenständige Person mit hellblondem Haar, durchzogen von grauen Strähnen. Seit ihrer Kindheit trug sie dieselbe Frisur, die dem eines Pagenschnittes ähnelte. Ihre bequeme Kleidung und überlangen Shirts hingen lose an ihr herunter. Die Gemeindemitglieder hingegen waren der Meinung, dass ihr Kleiderschrank genauso aus der Mode war, wie die Koteletten ihres Mannes. Doch sie schenkte diesen Bemerkungen keinerlei Beachtung. Durch ihr herzliches und warmes Wesen und ihr untrügliches Vermögen, in jeder Situation die passenden Worte zu finden, war sie die richtige Frau an der Seite des Pfarrers, und das bereits seit fast dreißig Jahren.

Sie war in dem Städtchen aufgewachsen und dankbar, bereits viele glückliche Ehejahre an der Seite ihres Mannes im komfortablen, steinernen Pfarrhaus nahe des St. Elen's Friedhofs wohnen zu können.

Was Emmas Beerdigung anging sowie in den meisten anderen Dingen, stimmte sie mit der Meinung ihres Mannes überein. „Ich bin froh, dass wir wissen, welche Musik sie sich ausgewählt hatte“, sagte sie und deutete auf die Dokumente, die auf dem Tisch lagen. „Sie liebte die Musik so sehr. Es wäre ihr sehr wichtig gewesen, dass die passenden Lieder zu ihrer Beerdigung gespielt werden. Wir sorgen dafür, dass sie den Service bekommt, den sie sich gewünscht hatte.“

Sie hielt einen Moment inne, bewunderte Emmas altmodische, geschwungene Handschrift und fügte schließlich hinzu, dass sie etwas Eigenes in die Zeremonie einbauen könnten – sozusagen zu Ehren dieser ruhigen, englischen Lady, die ihnen in den vergangenen Jahren so vieles gegeben hatte.

Die kleine Ortschaft Llanelen, mitten im Herz des Conwy Valley in Wales gelegen, hatte Emma viele Jahre zuvor willkommen geheißen. Jahrzehntelang hatte sie Generationen von Schülern in der Schule des Orts unterrichtet. Während die Kinder in ihrem Klassenzimmer saßen und sehnsüchtig aus dem Fenster auf die umliegenden grünen Hügel schauten, dachten sie, ihre Lehrerin sei streng, humorlos und viel zu englisch. Aber als sie in die weite Welt hinauskamen und eine Schafzucht im Tal betrieben oder in einem Büro im weit entfernten Cardiff arbeiteten, die Karriereleiter immer weiter hinaufstiegen, vielleicht sogar bis ins Parlament, dann dachten sie an diese Dame voller Dankbarkeit und Respekt zurück. Nicht nur, weil sie ihnen all die Dinge beigebracht hatte, die für ihre erfolgreiche Karriere wichtig waren, sondern weil sie die Kinder auch stets ermutigt hatte, ihre Ziele unaufhörlich anzustreben.

„Ich stelle jetzt besser den Kessel auf“, sagte Bronwyn, als sie zum Spülbecken ging. „Du wirst ein paar anstrengende Tage vor dir haben“, fügte sie hinzu. Als das Geräusch von fließendem Wasser die Küche erfüllte, nickte der Pastor etwas gedankenverloren und nahm sein kleines Notizbuch zur Hand. Er schlug die aktuelle Woche auf und nickte abermals. „Ja“, stimmte er seiner Frau zu, „Es wird viel zu tun geben. Für Samstag sechzehn Uhr ist die Gruffydd-Hochzeit geplant. Ich denke, wir sollten mit der Beerdigung bis Montag warten.

Es wird sonst zu viel, und viele Bräute fühlen sich unwohl bei der Vorstellung, dass am Tag ihrer Hochzeit noch eine Beerdigung in der Kirche stattfindet. Sie meinen, dass die Atmosphäre darunter leidet, aber wie sie auf diese Idee kommen, ist mir schleierhaft. Sie sagen, es bringt Unglück und sorgt für eine gedrückte Stimmung. Außerdem sind es oft dieselben Leute, die an beiden Zeremonien teilnehmen. Und wer möchte schon morgens auf eine Beerdigung und am Nachmittag desselben Tages auf eine Hochzeit gehen? Ich sicherlich nicht. Und noch dazu kann keine der Veranstaltungen ohne mich stattfinden.“

Der Pfarrer deutete auf die robuste braune Teekanne, die auf dem Tisch stand. „Gibt es auch Gebäck dazu?“, fragte er hoffnungsvoll. Seine Frau legte ein paar Schokoladenkekse auf den Teller, schüttelte ihren Kopf, seufzte und drehte sich zu ihrem Mann um. „Die Hochzeit der Gruffydds. Emyr hätte jede haben können – jede! Aber er hat sich für sie entschieden. Nun, ich weiß, dass ich nicht so über sie denken oder reden sollte. Heutzutage nennt man es 'voreingenommen sein'. Aber ich sage nur die Wahrheit und was jeder schon weiß. Dass Meg Wynne Thompson eine eigensinnige, verwöhnte Prinzessin ist, und dass sie sein Leben zur Hölle machen wird. Ich verstehe nicht, warum er denkt, er müsse sie unbedingt heiraten, und das in der heutigen Zeit.“ Nachdem sie kurz nachgedacht hatte, fügte sie hinzu: „Es hat sich jedoch nicht so entwickelt, wie ich mir das gedacht hatte. Ich habe nichts davon gehört, dass sie schwanger ist oder etwas ähnliches. Ich bin mir sicher, dass es nicht ...“

Ihre Stimme versagte, als sie den Tee etwas zu heftig umrührte, den Deckel auf die Kanne klatschte und diese zusammen mit den Keksen fester als gewöhnlich auf den Tisch stellte. Dann nahm sie ihrem Mann gegenüber Platz. Als sich eine angenehme Stille über die beiden legte, nahm der Pfarrer mit der einen Hand einen Keks und suchte mit der anderen in seiner Jackentasche nach einem Stift. Vieles war noch zu erledigen und er musste sich ein paar Notizen machen.

Einen Augenblick später nahm Bronwyn einen genüsslichen Schluck ihres Tees und schaute ihren Mann an. „Hör zu, Thomas“, sagte sie. „Ich habe eine Idee. Es betrifft die Beerdigung. Mal sehen, was du davon hältst.“

So wie der Pfarrer dachte auch Penny über die Gruffydd-Hochzeit nach, weil sie darin auch eine Rolle spielte. Die Brautjungfern hatten für Freitagnachmittag einen Termin vereinbart, aber die Braut selbst entschied sich, ihre Nägel erst am Morgen ihrer Hochzeit machen zu lassen. Obwohl ihr insgeheim ein anderer Zeitpunkt lieber gewesen wäre, bestätigte sie Meg Wynne Thompsons Termin am Samstagmorgen um neun Uhr.

Penny schlug den Gästen einer Hochzeit immer vor, bereits ein paar Wochen vor dem großen Tag für eine erste Maniküre bei ihr vorbeizuschauen. Bei dieser Gelegenheit würden sie auch die Farben auswählen, die Penny dann am Vortag der Hochzeit auftragen würde. Glücklicherweise wünschte sich Meg Wynne keine Pediküre, wie es oft andere Bräute taten, um ihre Füße möglichst sexy in Riemchensandalen zur Schau zu stellen. Wegen ihres engen Zeitplans hatte es ihr Penny auch nicht vorgeschlagen.

Sie sah auf die Uhr und entschloss sich, noch schnell in ihren Lieblings-Einkaufsmarkt zu gehen und dort eines der Sandwiches – dieses Mal mit Mayonnaise – und eine Tasse Tee zu kaufen, bevor ihre Kunden am Nachmittag eintrafen.

Die erste Kundin am Nachmittag würde Evelyn Lloyd sein, die jeden Donnerstag eine Maniküre machen ließ. Wie viele ihrer Stammkundinnen sah Mrs. Lloyd eine Maniküre als verdiente Belohnung für die harte Arbeit in ihrem Leben an. Da sie das Rauchen aufgegeben hatte, konnte sie sich diese Behandlung locker leisten. Trotzdem schlug sie Penny hin und wieder vor, ihren Kundinnen über sechzig einen Seniorenrabatt zu gewähren.

Penny legte sich ihre Utensilien zurecht, drehte das Türschild auf „Geschlossen“ um, verriegelte die Tür und ging zum Mittagessen nach oben in ihre kleine Wohnung.

Kapitel 2

Als Penny wieder in ihren Laden hinunterging, sah sie Mrs. Lloyd, die schon eine ganze Weile vor dem Laden stand und durchs Schaufenster blickte.

„Oh, Mrs. Lloyd, es tut mir leid, dass ich Sie habe warten lassen. Bitte, kommen Sie herein. Darf ich Ihnen einen Tee oder Kaffee anbieten?“

Mrs. Lloyd trat ein und nahm Platz, nachdem Penny alles Nötige vorbereitet hatte. Mrs. Lloyd war eine kräftige, gepflegte Frau, Mitte sechzig, mit leicht ergrautem Haar und immer recht konservativ gekleidet. Sie trug einen Faltenrock und eine passende Strickweste, dazu eine weiße Bluse mit Schalkragen. Mrs. Lloyd war jahrelang für die Post im Ort zuständig gewesen. Zu jener Zeit war sie der Ansicht, dass ihre Arbeit als wichtiger Bestandteil zum ruhigen Leben in der Kleinstadt beitrug. Schließlich war sie es, die es den Leuten ermöglichte, Geldgeschäfte abzuwickeln und Rechnungen zu begleichen. Auch erinnerte sie die Kunden immer an Jubiläen oder Geburtstage. Heute jedoch, im Zeitalter von Handys, E-Mails und Internet, war alles anders. Aber was sich nicht verändert hatte, war ihre Begeisterung für alltägliche Gespräche, die sie als nützlich und notwendig erachtete, manch andere hingegen als gewöhnlichen Tratsch bezeichneten. Und sie liebte die Tatsache, dass sie im Ruhestand fast genauso gut über die Dorfgeschehnisse informiert war, wie in ihrer aktiven Zeit, als sie hinter dem Schalter an Waagschalen und Umrechnungstabellen stand.

„Penny, ich nehme an, dass Sie die Geschichte über Emma Teasdale gehört haben. Natürlich haben Sie das. Das war sehr schlimm, wirklich. Aber dennoch, in ihrem Alter … Sie hatte ein langes und erfülltes Leben. Ich frage mich, was mit ihrem Häuschen geschehen wird. Heutzutage wird es nur noch wenig wert sein. Emma hatte es gekauft, lange bevor sich die zahlreichen alleinstehenden Frauen ein Eigenheim suchten. Ich weiß nicht, ob sie noch irgendwelche lebenden Verwandten in England hat.“

Mrs. Lloyd hielt einen Moment inne, um tief durchzuatmen und sich zu sammeln. „Ich glaube, es gab da mal jemanden, aber Näheres ist nicht bekannt. Sie haben sicherlich nie geheiratet.“

Penny hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, ob Emma irgendeine Art von romantischer Beziehung hatte, und war sehr erstaunt über Mrs. Lloyds Worte. Sie konnte dazu nichts sagen. Emma hatte auch von sich aus nie Einzelheiten aus ihrem Leben erzählt. Penny war der Auffassung, dass es respektlos gegenüber der Verstorbenen sei, Mrs. Lloyd nun nach näheren Informationen zu fragen.

Nach einer Weile des Schweigens, wechselte die Kundin zum anderen Hauptgesprächsthema im Ort: die Gruffydd-Hochzeit. Genauso wie alle anderen Dorfbewohner, war Mrs. Lloyd wenig beeindruckt von Emyr Gruffydds Auserwählten.

Als Sohn eines vermögenden Großgrundbesitzers genoss Emyr in Llanelen höchste Sympathie und Anerkennung. Mit Anfang dreißig hatte er einige Jahre in London gelebt. Vor sechs Monaten jedoch kehrte er nach Hause zurück, weil sein Vater gesundheitlich sehr angeschlagen war. Emyr kümmerte sich um die geschäftlichen Belange, wie die Besitztümer, die Gartenanlagen, den Transportdienst und die Finanzen.

Die Familie Gruffydd wohnte etwa zehn Kilometer außerhalb des Städtchens, in einem großen Steinhaus mit einem atemberaubenden Ausblick über das Tal bis zu den Snowdonia-Bergen. Der Name des Hauses lautete 'Ty Brith', wurde jedoch oft 'The Hall' genannt. Auf diesem Anwesen wollte Emyr mit seiner Zukünftigen leben. „Ich weiß wirklich nicht viel über sie“, sagte Mrs. Lloyd im Vertrauen, als sie ihre Nägel in ein kleines Gefäß mit heißem Kräuterwasser hielt. „Aber ich weiß, dass die Leute in der Stadt sie nicht mögen. Geschäftsleute sagen, sie sei unverschämt zu ihnen und führe sich auf wie Graf Koks. Zu viel Glanz und Gloria für unsereins. Ich habe gehört, dass die Bediensteten in The Hall – zumindest die, die noch da sind – sich nicht gerade auf die neue Frau im Hause freuen. Aber natürlich haben sie dahingehend nichts zu bestimmen. Sie stammt aus London und ist daher eine sehr vornehme Dame. Dort hat er sie auch kennengelernt. Was sie arbeitet, weiß ich nicht. Ich glaube, alle Leute in London arbeiten entweder in der Werbebranche oder im Medienbereich – was immer das auch bedeuten mag.“

Auf ein Nicken Pennys hin, nahm Mrs. Lloyd ihre rechte Hand wieder aus dem Gefäß. Bevor Penny mit der Behandlung der Fingernägel begann, trocknete sie sie mit solcher Vorsicht ab, als ob sie ein zerbrechliches Erbstück aus Porzellan wären. „Ich habe sie noch nicht kennengelernt“, sagte Penny, „diese Meg Wynne Thompson, aber Emyrs Mutter kam immer regelmäßig hierher. Sie war eine liebenswerte Person.“ „Das war sie in der Tat“, stimmte Mrs. Lloyd ihr zu und beugte sich nach vorne, um ihre Hand besser sehen zu können.

„Irgendetwas hatte sie an sich, das mich immer an einen Hollywood-Filmstar aus den 40er Jahren erinnerte. Ab und zu habe ich auf den schwarz-weißen Plakaten der Spätvorstellungen eine Schauspielerin gesehen, die mich an sie erinnerte. Sie hatte wunderbar welliges Haar und große blaue Augen. Sie sah immer tadellos aus und strahlte eine gewisse Würde aus, obwohl sie aus einfachen Verhältnissen stammte.“ Mrs. Lloyd stimmte ihr zu. „Oh, ja. Ihr Vater war Schmied.“ Sie schnaubte ein wenig und fuhr dann fort: „Ein Hufschmied! Das ist ein uralter Beruf. Heute findet man nicht mehr viele seiner Art. Und dennoch hatte selbst das gewöhnliche Volk damals viel bessere Manieren und wusste, wie man sich am Tisch benimmt und mit welchem Respekt man mit höher gestellten Herrschaften zu reden hatte.“

Sie dachte einen Moment lang nach, zog ihre Hand weg und hielt Penny die andere hin. „Einige Leute, so wie Emyrs Mutter, besitzen schon von Geburt an diese Art von Grazie oder Anmut“, fuhr sie fort. „Ich weiß wirklich nicht, was sie von der Hochzeit halten würde, aber ich nehme an, sie hätte gewollt, dass Emyr ein Mädchen aus dem Ort heiratet. Aber die Zeiten haben sich geändert. Und wer aus dem Ort oder der Umgebung hätte zu Emyr gepasst? Außerdem war er eine lange Zeit weg. Er kennt ja niemanden mehr wirklich aus Llanelen. Da ist zwar meine Nichte Morwyn. Sie und er waren mal ein Paar, aber dann ging er nach London.

Es ist heutzutage überall dasselbe. Die jungen Leute glauben, sie müssten nach Cardiff, London oder Manchester gehen, um einen anständigen Job zu bekommen. Was für ein Unsinn! Sie würden genügend hervorragende Stellen in den kleineren Städten finden, wenn sie die Möglichkeit nur in Betracht ziehen würden.“

„Vielleicht ist es das Nachtleben, was sie reizt“, meinte Penny. „Nicht jeder junge Mensch liebt eine ruhige Umgebung. Und Sie müssen zugeben, Mrs. Lloyd, dass man hier abends nicht großartig ausgehen kann, höchstens in eine Kneipe. Sogar das Kino ist bereits seit Jahren geschlossen.“

„Das liegt bestimmt an diesen Clubs, über die man so vieles hört“, stimmte Mrs. Lloyd zu. „Niemand unter vierzig bleibt noch zu Hause vor dem Fernseher oder liest ein gutes Buch. Das ist wohl alles nicht aufregend genug.

Nun, ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Meg Wynne an einem derart ruhigen Ort wie The Hall wohlfühlt. Auch wenn Emyrs Mutter das Haus so schön hergerichtet hat. Man muss dort wirklich aufgewachsen sein und eine höhere Schulbildung genossen haben, um zu wissen, wie man die Blumen derart arrangiert und eine Dinnerparty mit dem Koch und den anderen Angestellten organisiert. Ich glaube nicht, dass sie dafür geeignet ist und bin gespannt, wie das weitergehen wird.“ Sie dachte noch einen Moment lang darüber nach und schüttelte dann heftig den Kopf. „Armer Emyr. Nein, sie ist nicht das richtige Mädchen für ihn. Sie werden sehen, alles wird in Tränen enden. Und was seinen Kumpel, diesen vorlauten Williams angeht, darüber rede ich besser nicht. Er versprüht zwar einen gewissen Charme, aber da steckt nicht viel dahinter, wenn Sie mich fragen. Und ich glaube nicht, dass er einen guten Einfluss auf Emyr hat. Früher, als sie jung waren, stiftete er ihn immer zu Untaten an. Emyr war nicht der Typ, der sich behaupten konnte. Er hat kein Rückgrat und sollte daran arbeiten.“

Sie sah hinüber zu den Nagellackfläschchen und blickte dann wieder Penny an. „Wo war ich gerade? Ach ja, Emyrs Freund. Nun, ich kann Ihnen sagen, dass einige von uns – und das schloss Ihre Emma mit ein – überrascht waren, dass er sich so verändert hatte. Überall machte er Ärger. Immer war er dabei, aber wegen seines guten Aussehens und seinem Charme kam er laufend ungestraft davon.“ Sie schaute Penny erwartungsvoll an. „Nun, Mrs. Lloyd, lassen Sie uns das Thema wechseln. Welche Farbe möchten Sie denn heute?“, fragte Penny.

„Heute ist mein Bridge-Abend, Penny. Daher denke ich, dass ein nettes gedecktes Rosa angemessen wäre. Wie wäre es mit diesem Farbton?“, fragte sie und deutete auf eine kleine Flasche in der vordersten Reihe. „Ja, das würde passen, Mrs. Lloyd. Der Farbton ist gerade neu hereingekommen. Sie sind die Erste, die diese Farbe bekommt.“

Mrs. Lloyd beugte sich nach vorne, um Penny bei ihrer Arbeit zuzuschauen. Letztere trug die Grundierung vorsichtig auf, lackierte die Nägel anschließend mit zwei Schichten der ausgewählten Farbe und versah sie schließlich mit einem letzten Schutzlack.

„Wissen Sie, Penny, ich muss vor einem Bridge-Abend immer meine Nägel machen lassen. Ich sehe sie als eine Art Geschenk für die anderen in der Runde an, die sich daran erfreuen können.“ „Das ist eine nette Sichtweise, Mrs. Lloyd.“ Penny lächelte. „Die Nägel müssten bis zur Hochzeit am Samstag halten. Sie gehen doch hin, oder?“ „Oh ja, so etwas würde ich doch nicht verpassen. Ich nehme an, dass Sie nicht ...“ „Nein, ich bin nicht eingeladen“, entgegnete Penny. „Aber ich werde die Nägel der Braut und die ihrer Brautjungfern machen, wenn man das auch als Geschenk für die Gemeinde ansehen kann.“

Mrs. Lloyd lachte sie freundlich an, stand auf, glättete mit der Hand ihren Rock und blies über ihre frisch lackierten Fingernägel. Sie sammelte ihre Habseligkeiten ein und wollte den Laden verlassen. An der Türe drehte sie sich um und begutachtete nochmals ihre Nägel.

„Was denken Sie, warum die jungen Leute heutzutage kein Bridge mehr lernen? Man sieht keine Jüngeren mehr Bridge spielen, nicht wahr? Nun dann, bis nächste Woche. Tschüß.“

Mit diesen Worten verließ sie den Laden. Penny schrieb ein paar Notizen auf Mrs. Lloyds Kundenkarte und begann, alles für ihren nächsten Termin vorzubereiten.

Kapitel 3

Penny wurde am frühen Freitagmorgen durch das Geräusch von Donner und heftigem Regen, der gegen ihr Schlafzimmerfenster prasselte, geweckt. Sie drehte sich auf die Seite, zog die Bettdecke über ihre Schultern und beobachtete die dicken schweren Regentropfen, die an der beschlagenen Fensterscheibe hinunterliefen. Sie seufzte, streckte sich und schlug die Bettdecke nach hinten. Mit einem Schwung drehte sie ihre Beine seitlich aus dem Bett und tastete nach ihren Hausschuhen.

Sie saß auf der Bettkante und schaute sich in ihrem vertrauten Zimmer um. Die schräge Zimmerdecke war weiß gestrichen, Zeichnungen und Aquarelle zierten die blassgelben Wände. Bücherregale an den Seiten und ein viel zu kleiner Kleiderschrank waren die wenigen Möbelstücke, die sie besaß. Und dennoch war es ihr Zuhause, ihres ganz allein.

Als Penny sich gerade ihre morgendliche Tasse Kaffee zubereitete, entschloss sie, den Tag mit einem ordentlichen Frühstück zu beginnen. Sie kochte sich ein Ei und hatte noch eine relativ frische Scheibe Weißbrot, die getoastet lecker schmecken würde.

Nachdem Penny die Zeitung gelesen und gefrühstückt hatte, öffnete sie ihren Laden und widmete sich der Maniküre zweier ziemlich reservierter Damen. Als die zweite Kundin gegangen war, drehte Penny ihr Türschild auf „Geschlossen“ um, räumte ein paar Utensilien und Fläschchen in ihre Handtasche und schnappte sich einen Regenschirm aus der kleinen Kommode unter der Treppe. Sie schloss die Tür hinter sich, öffnete den Schirm und machte sich auf den Weg zu Wightman & Sons, wo Philip sie sicherlich schon erwarten würde.

Kaum hatte sie die Türschwelle des Bestattungsunternehmens überschritten, begrüßte Philip sie und fragte nach ihrem Befinden. „Normalerweise würde ich mich auch um ihre Nägel kümmern, so wie ich es mit ihrem Haar und dem Make-up mache. Penny, wenn du es dir anders überlegt hast, gib mir einfach den Nagellack und ich werde die Arbeit für dich erledigen.“ „Nein, Philip, aber ich danke dir“, entgegnete Penny, als sie draußen den nassen Regenschirm ausschüttelte. „Das ist eine Sache, die ich für Emma tun kann, und ich werde es gerne tun.“ „Dann ist es gut, Penny. Sie ist soweit fertig. Komm bitte mit.“

Er führte Penny durch die Räumlichkeiten, vorbei am Schauraum, zu einem kleinen, weißgefliesten Arbeitszimmer am Ende des Gebäudes. Emma war dort auf einem Tisch aus rostfreiem Edelstahl gebettet und hatte ein klassisches marineblaues Kleid mit weißen Knöpfen an. Ein sauberes weißes Laken bedeckte die untere Hälfte ihres Körpers. Ihre Hände lagen darauf. „Nimm dir die Zeit, die du brauchst, Penny“, sagte Philip.

Vorsichtig näherte sich Penny dem Tisch und schaute Emma behutsam an. Sie drehte sich zu Philip und lächelte ihn unsicher an.

„Es ist ein Klischee, aber es ist wahr … Sie sieht wirklich friedlich aus. Du hast gute Arbeit geleistet, wenn man das so sagen kann.“

Philip stellte einen Hocker an den Arbeitstisch, der mit einem grünen Baumwolltuch abgedeckt war. Darauf hatte er sorgfältig ein leeres Glas, eine Flasche Wasser sowie eine Tücherbox gestellt. „Es ist vielleicht einfacher, auf dieser Seite zu sitzen“, sagte er. „Bearbeite erst ihre linke Hand, und für die rechte setzt du dich einfach auf die andere Seite des Tisches.“

Penny nahm behutsam auf dem Hocker Platz und schaute Philip erwartungsvoll an. Er nickte freundlich und sagte: „Es ist deine Entscheidung, Penny, ob ich während deiner Arbeit bei dir bleiben oder gehen und dich in Ruhe arbeiten lassen soll.“ „Danke Philip. Ich denke, ich werde das alleine machen. Gib mir etwa eine halbe Stunde.“ Er nickte abermals und verließ leise den Raum. Penny nahm die Utensilien aus ihrer Tasche und breitete sie auf dem Arbeitstisch aus.

Sie nahm Emmas Hand, hob sie vorsichtig an und legte sie behutsam auf einem kleinen weißen Handtuch ab, das Penny mitgebracht hatte. Tränen standen in ihren Augen, als sie Emmas kalte und starre Hand berührte. Diese Hände waren ihr so vertraut. Sie sah die Bilder vor sich, wie Emma ihr einen kühlen Gin Tonic anbot, die köstlichsten Kekse bug, das letzte Puzzlestück einsetzte, ein Weihnachtsgeschenk öffnete und bei der Gartenarbeit an einem heißen Sommertag ihre Haare elegant aus ihrem Gesicht strich. Penny hatte diese Hände fast jede Woche in den vergangenen zwei Jahrzehnten gehalten. Und mit den Jahren hatte sie auch die Veränderungen gesehen, die das Älterwerden der Haut auf grausame Art und Weise mit sich bringt. Braune Altersflecken hatten sich auf der dünner werdenden Haut ausgebreitet. Die Knöchel standen mehr hervor und dunkelblaue Adern waren deutlich zu sehen. Wie sehr hatte Emma die Veränderungen ihrer Hände gehasst! Aber trotz der zahlreichen Cremes und Maniküren waren auch ihre Hände, sowie der Rest ihres Körpers, gealtert. Auch das Tragen von Baumwollhandschuhen gegen die Sonneneinstrahlung konnte diesen Prozess nicht aufhalten. Diese Hände, dachte Penny, zeugten aber auch von einer wahrhaftigen und würdevollen Geschichte eines langen Lebens.

Sie nahm ein Papiertuch aus der Box, die Philip ihr dankenswerterweise hingestellt hatte, und begann mit ihrer letzten Arbeit an Emmas Fingernägeln. Sie sagte sich selbst, dass sie sich nun zusammenreißen müsse und erst nach getaner Arbeit in Tränen ausbrechen dürfe. Eine halbe Stunde später, als sie gerade fertig war, kam Philip zurück.

„Die Fingernägel sehen bezaubernd aus, Penny. Du hattest recht: Miss Teasdale hätte gewollt, dass du die Arbeit machst. Nun, um ein paar Dinge muss ich mich noch kümmern und dann wird sie für die Aufbahrung heute Nachmittag fertig sein. Wirst du auch kommen?“ Penny schüttelte den Kopf. „Nein, Philip. Ich werde mich heute Nachmittag um die Nägel der Brautjungfern für die Gruffydd-Hochzeit kümmern. Also kann ich erst heute Abend kommen. Danke, dass ich Emma diesen letzten Wunsch erfüllen konnte. Ich war sehr traurig. Es fühlte sich fremd an, aber gleichzeitig war es – wie soll ich mich ausdrücken – hilfreich.“ „Es hat dir sicherlich geholfen, Emmas Abschied zu verarbeiten. Ihr wart euch sehr ähnlich, ihr beide, und Emma hielt sehr große Stücke auf dich.“

Penny spürte, wie Tränen in ihre Augen stiegen und drehte sich um. Mit dem Feingefühl, das er im Laufe seiner langjährigen Arbeit entwickelt hatte, sagte Philip sanft: „Du kannst jetzt bestimmt keine Tasse Kaffee genießen, also werden wir dies auf einen anderen Zeitpunkt verschieben. Ich begleite dich nun zur Tür, in Ordnung?“ Penny nickte und folgte ihm stillschweigend. Er legte seine Hand behutsam auf ihren Arm und lächelte sie an. „Auf Wiedersehen, Penny. Bis später dann.“ Penny spannte ihren Schirm auf und ging in leicht gebeugter Haltung durch den Regen nach Hause. Einsam, traurig und allein aß sie zu Mittag.

Der Nachmittag begann mit einem lauten Gelächter, als die beiden Brautjungfern Jennifer Salyes und Anne Davidson das Nagelstudio betraten. Sie waren beide Ende zwanzig und sahen sehr betucht aus. Jennifer, die größere der beiden, hatte offensichtlich von Natur aus einen wohlgeformten und fitten Körper. Anne hingegen musste wohl hart dafür arbeiten, dass ihr jugendlicher Körper so aussah. In ein paar Jahren jedoch würde sie schließlich den Kampf gegen die Schwerkraft und das Kollagen unabänderlich verlieren.

Beide Mädchen trugen teure Designer-Jeans und keine Turnschuhe oder bequeme Straßenschuhe. Nein, sie bevorzugten Jimmy Choo-Sandalen mit extrem hohen Stiletto-Absätzen. Penny konnte sich ein Lächeln kaum verkneifen, wenn sie an all die Bemerkungen denken musste, die diese dummen und lächerlichen Schuhe im Ort auslösen würden. Jennifer wollte die Erste sein und nahm an Pennys Arbeitstisch Platz. Anne setzte sich in die kleine Warteecke und nahm die neueste Ausgabe der Zeitschrift 'Tatler' aus ihrer Handtasche.

„Wir haben unsere Farben schon ausgesucht, als wir letzte Woche in der Stadt waren“, sagte Jennifer zu Penny. „Anne und ich haben Embrace gewählt. Ich denke, dass sich Meg Wynne morgen eine eigene Farbe aussucht.“ „Wie geht es Miss Thompson?“, fragte Penny. „Ich nehme an, dass sie zurzeit ziemlich beschäftigt ist, die Hochzeit von London aus zu organisieren. Das ist bestimmt nicht einfach.“

„Das ist richtig“, stimmte Jennifer ihr zu. Normalerweise hätte die Hochzeit wohl in London stattfinden sollen, aber Emyrs Vater geht es gesundheitlich nicht so gut. Somit schien es eine gute Idee zu sein, diesen Ort für die Zeremonie zu wählen. Ich muss zugeben, dass es uns großen Spaß macht, für ein paar Tage aus der Stadt zu verschwinden und hierher nach North Wales zu kommen.“ „Was machen Sie beruflich in London?“, fragte Penny beiläufig. „Meg Wynne arbeitet in einem Grafikdesign-Studio. Ihr Unternehmen arbeitete für uns an einem Projekt und dadurch haben wir uns kennengelernt, genauso wie wir Sie nun durch Ihre Arbeit kennen. Emyr und sein Freund David Williams waren Stammgäste in der Weinbar in Covent Garden, wo wir nach der Arbeit öfters hingehen. Mit der Zeit bildete sich eine kleine Clique. Und so sind wir alle zusammengekommen.“

Sie sah zu Anne hinüber, die in ihrer Zeitschrift herumblätterte. „Anne, womit fing es eigentlich an, dass Emyr und Meg Wynne miteinander ausgingen?“ „Tja, nun“, murmelte Anne und schaute von ihrer Zeitschrift auf. „Ich glaube, er lud uns eines Abends zu einem Drink ein. Man konnte jedoch deutlich sehen, dass er es auf Meg Wynne abgesehen hatte. Sie ließ ihn aber ein wenig zappeln und spielte die Coole. Eine Zeitlang dachten wir, dass sie auf David steht, aber einmal lud sie Emyr zu einem Abendessen oder so ein, und damit begann ihre Freundschaft. Danach waren sie zusammen. Sie gehen mittlerweile fast zwei Jahre miteinander, nicht wahr, Jenn?“

„Ja, so ungefähr“, stimmte Jennifer ihr zu. „Wird denn Miss Thompsons Familie zur Hochzeit kommen?“, fragte Penny. Die beiden Mädchen schauten sich gegenseitig an und Jennifer ergriff - nach offensichtlicher stillschweigender Abstimmung – das Wort.

„Ich denke schon“, sagte sie zögernd. „Meg Wynne redet nicht gerne über ihre Familie. Ihr Bruder starb vor etwa einem Jahr und die Familie hat seither mit diesem Verlust zu kämpfen. Angeblich war er in falsche Kreise geraten und in Drogengeschäfte verwickelt. Wenn er in London war, um Meg zu besuchen, kam er manchmal zum Abendessen bei uns vorbei. Ich glaube, er war erst achtzehn oder neunzehn. Er war ein gut aussehender Bursche. Meg Wynne sagte, dass sein Tod ihre Mutter sehr mitgenommen hatte. Das ist auch verständlich. Aber ich bin mir sicher, dass ihre Eltern bei der Hochzeit ihrer Tochter auf jeden Fall dabei sein möchten."

Penny murmelte ein paar verständnisvolle Worte, als sie nach dem Decklack griff. „Sie sind fast fertig, Miss Sayles“, sagte sie. „Sie scheinen Ihre Nägel in London zu pflegen, denn ich hatte nicht viel zu korrigieren. Miss Davidson, bitte gedulden Sie sich noch einen Augenblick, damit ich alles für Sie vorbereiten kann. Dann sind Sie an der Reihe!“ Anne reichte Jennifer ihre Zeitschrift und beide tauschten ihre Plätze.

„Wie werden Ihre Kleider aussehen?“, fragte Penny, als sie mit der Bearbeitung von Annes Fingernägeln begann. „Nun, sie werden auf keinen Fall Puffärmel haben und mit Schleifen übersät sein“, antwortete Anne. „Sie sehen aus wie Abendkleider, aber nicht übertrieben schick, verstehen Sie? Meg Wynne möchte immer, dass alles sehr gut aufeinander abgestimmt ist. Ich denke, es ist eine Designerin an ihr verloren gegangen. Sie legt aber Wert darauf, dass alles glatt und kultiviert aussieht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Schlicht und einfach, und doch elegant und modern. - Übrigens: Ich habe mich gefragt, aus welchem Teil von Amerika Sie stammen.“ „Eigentlich komme ich nicht aus den Staaten, sondern aus Kanada. Die meisten Leute denken das irrtümlicherweise, weil der Akzent ähnlich klingt. Ich stamme aus Nova Scotia, einem kleinen Ort namens Truro.“ „Oh, ich fragte mich das nur, weil Emyr und Meg Wynne ihre Hochzeitsreise in Amerika verbringen werden. In New York. Waren Sie jemals dort?“ Penny erzählte ihr, dass sie viele Jahre zuvor während eines Universitätsbesuches in New York gewesen war. Während ihre Mitschüler die Zeit im Museum der Modernen Kunst verbracht hatten, konnte sie sich kaum von den alten Werken der Frick Collection trennen.

„Ich war noch nie dort, aber eines Tages werde auch ich nach New York reisen!“, schwärmte Anne. „Ich liebe alles, was mit Amerika zu tun hat, und ich kann es kaum erwarten, dorthin zu fliegen. Ich platzte fast vor Neid, als Meg Wynne mir von New York erzählte. Ich glaube, mein Neid war größer als die Eifersucht, dass Meg Wynne mit Emyr so einen guten Fang gemacht hatte!“ Penny belächelte Annes offenen Charme und ihre quirlige Art. „Ich frage mich, wer von Ihnen beiden die Trauzeugin sein wird“, sagte sie. „Das wird Jennifer sein“, antwortete Anne. „Es wird nur zwei Trauzeugen geben. Emyr's Trauzeuge wird David sein, und Robbie Llewellyn wird den Gästen ihre Plätze zeigen. Sie stammen offensichtlich alle aus dieser Gegend, gingen zusammen zur Schule und waren fast ihr gesamtes Leben gute Freunde. Es wird eine kleine Hochzeitsfeier sein. Nur etwa fünfzig Gäste sind eingeladen, die meisten von ihnen sind Emyr's Verwandte und Bekannte. Aber das war ja zu erwarten, da die Hochzeit in seinem Heimatort stattfindet, nicht wahr?“

„Ja, das denke ich auch“, stimmte Penny zu. „In letzter Zeit ist diese Hochzeit das Gesprächsthema im Ort. Jeder wünscht Emyr und seiner Braut alles Glück dieser Welt.“ „Meg Wynne sagte, dass sie bereits wunderschöne Geschenke bekommen haben. Sie sind alle in The Hall ausgestellt, und wir werden sie morgen beim Abendessen sehen.“ Die beiden Mädchen lächelten sich gegenseitig voller Aufregung an.

Das Abendessen, das am Vorabend der Hochzeit in The Hall stattfinden sollte, war seit Wochen das Dorfgespräch. Der hochgelobte und ausgezeichnete Chefkoch eines nahegelegenen, exklusiven Landhotels und sein Team wurden für das Essen an diesem Abend engagiert. Außer der Hochzeitsgesellschaft waren noch einige Gäste, meist langjährige Freunde der Familie, eingeladen. Keine Kosten wurden für das Essen oder die Blumenarrangements gescheut. Seit Tagen waren die Vorbereitungen in vollem Gange. Lieferwagen kamen und fuhren unentwegt. Der Bräutigam und seine Freunde übernachteten in The Hall, während die Braut und ihre Brautjungfern im Red Dragon Hotel untergebracht waren. Über eine Seitentür gelang man ohne Probleme über einen malerischen Weg zur Kirche. Penny hatte Meg Wynne angeboten, am Hochzeitsmorgen kurz vorbeizukommen, um ihre Nägel zu machen. Ihr wurde jedoch mitgeteilt, dass die Braut lieber Pennys Nagelstudio aufsuchen würde.

Alle offenen Fragen zur Maniküre wurden bereits am Telefon geklärt. Penny sollte dann die Rechnung an The Hall schicken. Als sie mit der Maniküre der Nägel fertig war, schlug Penny vor, dass die beiden Brautjungfern noch einige Minuten sitzen bleiben, damit der Lack vollständig trocknen konnte. Die Damen waren jedoch sehr ungeduldig und sagten, es gäbe noch viel zu tun. Beide verabschiedeten sich, öffneten vorsichtig die Ladentür und stolzierten auf die Straße hinaus.

Penny beendete ihren Arbeitstag, machte das Studio sauber und bereitete alles für den nächsten Tag vor. Sie ging nach oben in ihre Wohnung, nahm ein leichtes Abendessen zu sich und brach dann zu Wightman & Sons auf. Sie glaubte nicht, dass allzu viele Leute zu Emmas Aufbahrung kommen würden, vielleicht nur ein paar alte Freunde. Und so war es auch. Der Pfarrer und seine Frau Bronwyn fungierten als inoffizielle Familie und begrüßten die wenigen Leute, die erschienen waren. Penny wechselte mit jedem Besucher leise ein paar freundliche Worte. Anschließend ging sie nach Hause, trank eine Tasse Kakao und versuchte etwa eine Stunde lang ein Buch zu lesen. Ihre Gedanken schweiften jedoch immer wieder zu Emma und ihrem bedeutungsvollen und erfüllten Leben ab. Als eine erste Trauerwelle über Penny hereinbrach, wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihre Freundin vermisste. Ab dem heutigen Tag würde sich ihr Leben langsam weiter bewegen und Emma mehr und mehr in der Vergangenheit zurück lassen. Dann lächelte sie beim Gedanken daran, wie sich Emma über die Schuhe der Brautjungfern amüsiert hätte.

Kapitel 4

Der Privatweg nach Ty Brith schlängelte sich etwa drei Kilometer den Hügel hinauf. Anfangs eng und an beiden Seiten von Bäumen und Sträuchern eingefasst, wurde die Straße allmählich breiter, je mehr man sich The Hall näherte. Die Abstände zwischen den Bäumen wurden größer und es bot sich schließlich ein herrlicher Ausblick auf saftige, grüne Felder. An der Straßenkurve, an der die Bäume von weiten Feldern abgelöst wurden, waren für diesen besonderen Abend entlang des Zaunes Laternen befestigt worden, um den Gästen den Weg zu The Hall zu beleuchten. Die Lichter sollten ein Zeichen dafür sein, dass ein zauberhafter Abend bevor stand. Es schien, als würde jedes Fenster des Hauses vor Freude erstrahlen. Die Besucher wurden mit dem fröhlichen Klang der aufgeregten Partygäste begrüßt, als sie an diesem warmen Sommerabend aus ihren Wagen stiegen und mit knirschenden Schritten über den Schotterplatz zum Toreingang gingen.

Emyr Gruffydd stand mit Meg Wynne Thompson an seiner Seite an der Haustür und beide begrüßten die Gäste. Emyr hatte langes, dunkles, gewelltes Haar, ein markantes Kinn und tiefliegende blaue Augen. Sein gutes aber spezielles Äußeres hätte besser in die Zeit von vor dreißig Jahren gepasst. Die Frau an seiner Seite jedoch war definitiv zeitgemäß gekleidet und sah hervorragend aus. Meg Wynne war ebenfalls von großer Statur, trug ein schulterfreies smaragdgrünes Vintagekleid von Valentino. Ihre perfekte Haltung und ihre langen Beine zeugten von einer verwöhnten Kindheit mit Ballett- und Reitstunden, von Reisen zu einem Kindertheaterspiel in London, gefolgt von einem Spaziergang über die Regent Street, um die Weihnachtsbeleuchtung bestaunen zu können. Ihr schulterlanges, blondes, glattes Haar war sanft aus ihrem Gesicht gekämmt und mit einer Diamant-Spange zusammengesteckt. Die mit Diamanten und Smaragden besetzten Chandelier-Ohrringe, die ihr als Hochzeitsgeschenk von ihrem zukünftigen Schwiegervater geschenkt worden waren, reichten fast hinunter bis auf ihre Schultern. Ihr Lächeln war höflich, aber oberflächlich, und falls sie irgendeine Art von Aufregung spürte, sah man sie ihr nicht an. Ihre selbstsichere Haltung wirkte beruhigend, verursachte jedoch gleichzeitig ein gewisses Unbehagen, als ob sie etwas absichtlich verschweigen würde. Sie strahlte keine Fröhlichkeit aus, sondern vermittelte das Gefühl eines Triumphes.

Mit achtundzwanzig Jahren schien sie kurz vor der Sonnenseite ihres Lebens zu stehen: Sie hatte zu ihrer großen Schönheit auch großen Reichtum erworben. Für beides hatte sie unermüdlich arbeiten müssen.