Das Rätsel von St. Peter Ording - Corinna Weber - E-Book

Das Rätsel von St. Peter Ording E-Book

Corinna Weber

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Beschreibung

Serienkiller oder vielleicht ein Trittbrettfahrer? Ludger Bär, Hauptkommissar und Leiter der Polizeidienststelle St. Peter Ording ist fassungslos. Kurz vor seiner Pensionierung verteilt jemand Gliedmaße in seinem schönen Örtchen. Der Fall scheint aussichtslos, bis Ludger eine zündende Idee hat: Knut Hansen muss her und ihn bei der Auflösung dieses verzwickten Falles unterstützen. Schließlich hatte der vor nicht allzu langer Zeit ein ganz ähnliches Problem auf seiner Heimatinsel Föhr. Umgeben von skurrilen und ganz besonderen Verdächtigen, renitenten Kollegen und der (eigentlich) entspannten Kulisse St. Peter Ordings tauchen Knut und sein Freund und Kollege Kilian tief ein in eine Welt voller Leidenschaft, Eifersucht und anatomischen Besonderheiten. Der vierte Krimi der Odenwälder Autorin rund um Kriminalhauptkommissar Knut Hansen ist wie gewohnt sehr humorig, absolut spannend mit vielen überraschenden Wendungen und verspricht erneut mörderisch gute Unterhaltung.

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Seitenzahl: 213

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über die Autorin:

Corinna Weber wurde 1976 in Darmstadt geboren. Sie lebt mit ihrer Familie in dem beschaulichen Örtchen Wald-Michelbach im Odenwald.

Mit einer 25jährigen und einer 13jährigen Tochter an der Hand, ihrer kleinen Krawalli fest im Herzen und seit 28 Jahren einem Mann an ihrer Seite, der fest zu ihr steht, hat sie bis jetzt alle Stürme des Lebens (fast) erfolgreich gemeistert.

Sämtliche Personen der Geschichte, sowie Handlungen oder Ähnlichkeiten, sind frei erfunden und daher rein zufällig.

Neben dem aktuellen Roman entstammen die „MUDDI Zusammen schaffen wir alles“-Bücher sowie die Taschenbuch-Reihe „Ronjas Welt“ aus der Feder der Odenwälder Autorin.

Inhaltsverzeichnis:

Kapitel 1 - Flora, Fauna und Seltsames

Kapitel 2 - Keine Spuren im Sand

Kapitel 3 - Viele Fragen, wenige Antworten und ein Fuß

Kapitel 4 - Ein Fuß, ein Stock, ein Regenschirm

Kapitel 5 - Rückendeckung

Kapitel 6 - Dreifach gemoppelt hält besser

Kapitel 7 - Blau, blau, blau…

Kapitel 8 - Lasset die Spiele beginnen

Kapitel 9 - Ich, du, er, sie

Kapitel 10 - Brotlose Kunst

Kapitel 11 - Ein Nackter und ein Pinsel

Kapitel 12 - Die Spur ins Nichts

Kapitel 13 - Ein dunkles Geheimnis

Kapitel 14 - Der alte Bekannte

Kapitel 15 - Ein Hund namens Didi

Kapitel 16 - Es fügt sich zusammen was zusammengehört

Kapitel 17 - Irrungen und Verwirrungen

Kapitel 18 - Das hat gesessen

Kapitel 19 - Ein schöner Tag

Kapitel 20 - Ein Kunstwerk wird vollendet

Kapitel 21 - Licht ins Dunkle

Kapitel 22 - Oh, du mein lieb Heimatland

Kapitel 1 - Flora, Fauna und Seltsames

Karl-Heinz Köster war bisher sehr zufrieden gewesen mit dem Vormittag. Er hatte zusammen mit seiner Frau Doris hervorragend gefrühstückt und war nun auf dem Weg vom Hotel aus zu dem ein Kilometer langen Holzsteg, der bis vor zum Pfahlbau, dem Restaurant „Arche Noah“ führte. Und von dem aus man nahtlos an den, für St. Peter Ording bekannten, breiten Sandstrand gelangte. Sie hatten gestern Nachmittag im Hotel „Ambassador“ eingecheckt und sich sofort sehr wohlgefühlt. Ihr Zimmer war sehr stilvoll eingerichtet, das Gebäude lag direkt an der Strandpromenade mit freiem Blick auf die Salzwiesen, den Strand und das Wattenmeer. Das gesamte Hotel strahlte eine elegante Gemütlichkeit aus, und Karl-Heinz hatte sich vom ersten Moment an richtig wohl gefühlt. Doris und er waren zum ersten Mal im hohen Norden, bisher hatten sie ihre Urlaube vorzugsweise eher im Süden verbracht. Seine Frau war nicht sonderlich begeistert gewesen, als er ihr vor einem halben Jahr vorgeschlagen hatte, doch einfach mal etwas anderes auszuprobieren. Sie war nicht wirklich experimentierfreudig (in keinerlei Hinsicht) und Karl-Heinz bedauerte das des Öfteren zutiefst. Dieses Mal allerdings hatte er sich durchgesetzt. Die Aussicht auf die gute Seeluft, dem wirklich schönen Hotel, die Möglichkeit auf fangfrischen Fisch und nicht zuletzt sein Versprechen auf die ein oder andere exquisite Wellnessbehandlung im Hotel hatten die eher grummelig wirkende Doris milde- und letztendlich umgestimmt. Sie waren beide pensionierte Oberstudienräte, er in Kunst und Latein, Doris in Deutsch und Geschichte. Karl-Heinz war zudem noch Kunst-Professor. Sie bewohnten ein geräumiges Häuschen in einem Vorort von Düsseldorf und konnten sich ein sorgenfreies und sehr angenehmes Leben leisten. Mehrmals im Jahr waren sie unterwegs, reisten in ferne Länder, besuchten Museen und Kunstausstellungen, gingen in die Oper, besahen sich Sehenswürdigkeiten, waren beide sehr belesen und kulturell versiert. Deshalb verstand Doris auch nicht, warum Karl-Heinz sie nach St. Peter Ording schleppte, das nun nicht wirklich gerade für seine kulturellen Highlights bekannt war. Während der sechsstündigen Autofahrt war sie dementsprechend schlecht gelaunt. Karl-Heinz kannte seine Frau nun schon über 47 Jahre. Sie führten ein relativ ruhiges und unauffälliges Leben. Ihre Ehe war kinderlos geblieben, Doris hatte immer betont, dass ihr ihre Schülerinnen und Schüler absolut genügen würden. Er selbst hätte früher gerne Kinder gehabt. Karl-Heinz war mit vier Brüdern und zwei Schwestern aufgewachsen und hatte es toll gefunden, immer jemandem zum Spielen oder Reden zu haben. Mit Doris wurde sein Leben dann erheblich ruhiger, auch wenn er sehr bemüht war, den Kontakt zu seiner Familie aufrechtzuerhalten. Seine Brüder und Schwestern hatte alle Kinder, einige sogar schon Enkel. Auf Familienfeiern war er der weit gereiste Onkel, der tolle Geschichten erzählen konnte und immer irgendetwas Interessantes zu erzählen hatte. Aber insgeheim würde er manchmal viel lieber sonntags mit seinen Enkeln spazieren oder in den Zoo gehen, Eis essen oder auf dem Spielplatz umher toben. Wenn sich die Familie traf, war Doris so gut wie nie dabei. Sie hatte weder Lust noch Interesse an Small Talk, auf Babybilder und Kindergeschrei. Da die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte war Karl-Heinz erleichtert, dass er alleine auf Feste oder Familientreffen gehen konnte. Alles in allem hatte er sich mit seinem Leben absolut arrangiert und war im Nachhinein manchmal sogar recht froh darüber, dass sie nun im Alter völlig unabhängig waren und tun und lassen konnten, was und wann sie wollten. Jetzt freute er sich aber erstmal auf ein paar hoffentlich tolle Schnappschüsse einer Zwergseeschwalbe oder eines See- und Sandregenpfeifers. Karl-Heinz war passionierter Ornithologe. Es war eines seiner leidenschaftlichsten Hobbys, neben der klassischen Musik und seinen ausgedehnten Waldspaziergängen. Auch damit konnte sich seine Frau nicht anfreunden, sie konnte Vögeln nichts abgewinnen (weder in der einen, noch in der anderen Richtung…). Und „stupide durch die Landschaft zu wandern“, wie sie es immer ausdrückte, war erst recht nichts für sie. Also lief Karl-Heinz fröhlich pfeifend quer über den gepflasterten Platz hinter dem Hotel, vorbei am Restaurant „Gosch“, an dem normalerweise jetzt im Frühjahr kein freier Tisch mehr draußen zu finden war. Zu dieser frühen Tageszeit allerdings schliefen die meisten Touristen noch, oder saßen bereits beim Frühstück. Die wenigen Menschen, die ihm entgegenkamen schienen mit sich selbst und ihren Gedanken beschäftigt zu sein. Ihn störte das wenig, er war froh, dass es heute morgen noch nicht so überlaufen war. So waren die Chancen auf ein paar gute Bilder erheblich größer. Er hatte seine Kamera geschultert, das Fernglas baumelte um seinen Hals und sein Filzhut, den er auch zuhause gerne bei seinen Waldspaziergängen trug, saß fest auf seinem Kopf. Als er am Holzsteg angekommen war bemerkte er, dass der Wind stärker wurde. Er hob die Nase in die angenehm kühle Nordseeluft und schloss für einen Moment die Augen. Er hörte die Möwen schreien und vernahm von Weitem das Rauschen der Brandung. Es schien ein wunderschöner Tag werden zu wollen, die Sonne blitzte hin und wieder durch die vereinzelt noch am Himmel vorbeiziehenden, weißen Wolken. Fast bedauerte er es ein wenig, dass Doris nicht mitgekommen war. Er hätte diesen friedlichen Moment gerne mit ihr geteilt. Die hatte es allerdings vorgezogen, sich mit einem Buch über Sokrates in den Schwimmbad-Bereich zu legen. Am hölzernen Geländer entlang des Stegs waren Info-Schilder über die Flora und Fauna des Strand-Abschnitts befestigt. Karl-Heinz las sich alles aufmerksam durch. Besonders die Tafel mit den verschiedenen Vögeln, die sich mit etwas Glück heute morgen auf den Salzwiesen neben dem Steg tummeln würden. Er blickte durch sein Fernglas und sah weiter vorne einige Lachmöwen, Stockenten und Austernfischer. Ein Rotschenkel hüpfte durch die unbeweidete und hochgewachsene Vegetation, auf der Suche nach Nahrung. Kurz darauf erspähte er noch ein Stück weiter vorne einen großen Brachvogel. Er wusste, dass diese Vogelart hier in St. Peter Ording nur eine Art Zwischenstation einlegte, um Energie für den Weiterflug zu tanken. Den musste er unbedingt fotografieren. Langsam machte er sich auf den Weg, der Steg vor ihm war nun menschenleer. Rechts und links neben den Holzplanken hatten sich kleine Priele gebildet, die sich zwischen den sandigen Abschnitten und den salzhaltigen Wiesen hindurchschlängelten. Er schlich sich mehr oder weniger an den Vogel heran, die Kamera hielt er „schussbereit“ vor seinen Körper. Er war so angespannt und fokussiert, dass er kurz zusammenzuckte, als ein heftiger Windstoß ihm seinen Filzhut vom Kopf und hinunter in den sandigen Priel links vor ihm wehte.

„Oh nein, so ein Mist aber auch!“ fluchte er.

Ihm war nämlich durchaus bewusst, dass er nun ein gewaltiges Problem hatte. Es war bekanntlich eigentlich verboten, den Steg zu verlassen, und durch die Salzwiesen zu laufen. Man wollte verhindern, dass eventuell brütende Seevögel gestört und die Vegetation niedergetrampelt wurde. Die Landschaft war Naturschutzgebiet, bei Zuwiderhandlung drohte demjenigen, der das Verbot missachtete eventuell sogar eine Geldstrafe. Karl-Heinz steckte also gerade ziemlich in der Bredouille und er sah leicht ratlos hinunter zu seinem grau-grünen Hut, den ihm seine Frau mal auf einem Kurztrip durch Bayern gekauft hatte. Er schaute sich kurz um, dann stieg er kurzentschlossen über das Holzgeländer und ließ sich langsam auf die Wiese fallen. Er schnaufte durch und griff aufatmend nach seinem Hut. In der gleichen Sekunde fuhr er allerdings mit einem lauten Aufschrei zurück. Er presste seinen Hut an sich und rannte zurück zu der Stelle, wo er, ohne klettern zu müssen zurück auf den Steg gelangen konnte. Aschfahl und schweißgebadet wählte er den Notruf.

„Bitte kommen Sie schnell an die Seebrücke, ich habe hier gerade eine Hand gefunden!“

Kapitel 2 - Keine Spuren im Sand

Hauptkommissar Ludger Bär stand fassungslos vor dem Gerichtsmediziner Hinnerk Petersen und starrte auf die blutverkrustete Hand, die Plüsch ihm, verpackt in einer Plastiktüte, unter die Nase hielt. Petersen war, im Gegensatz zu ihm völlig hin und weg und fast schon begeistert.

„Erst auf Föhr, jetzt hier bei euch. Der Hammer, oder? Ein Serientäter kann´s ja wohl nicht sein, Hansen hat ja schließlich den Täter damals in Wyk geschnappt. Ich vermute also mal, dass ihr es hier mit so einer Art Trittbrettfahrer zu tun habt. Jemand, den der Mord auf Föhr offenbar nachhaltig beeindruck hat. Stand ja auch ausführlich in allen Zeitungen und sonstigen Medien. Für einen Gewalt-affinen Mensch natürlich ein gefundenes Fressen. Wobei unser Mörder hier nicht wirklich sorgfältig ans Werk gegangen ist. Guck dir das mal an.“

Er drückte die Plastiktüte ein wenig enger an das abgetrennte Körperteil. Ludger hätte beinahe gewürgt. Als er aber sah, dass sein Kollege Frieder Eilers ihn fragend ansah, riss er sich zusammen. Eilers war ein sehr schwieriger Kollege, und Ludger arbeitete nicht gerne mit ihm zusammen. Er befürchtete allerdings, dass ihm dieser Fall keine andere Wahl lassen würde.

Hinnerk erklärte: „Siehst du das? Der Täter hat die Hand einfach nur brachial abgesäbelt, quasi ohne Rücksicht auf Verluste.“

Er lachte fett.

„Auf Föhr war die Hand sauber abgetrennt, eine klare Schnittkante, kurz vorm eigentlichen Handgelenk. Bei dieser Hand hier wurde mehr oder weniger einfach nur sinnfrei geschnitten. Die Hauptsache war offensichtlich, dass die Hand irgendwie ab ist. Hier am Handgelenk franselt es und es hat den Anschein, als hätte der Täter noch daran herumgedreht und gerissen, bis die Hand endlich ab war.“

Ludger Bär stöhnte und schloss für einen Moment die Augen.

„Danke Hinnerk für die detaillierte, sehr bildhafte Beschreibung. Kannst du eventuell schon was dazu sagen, zum Beispiel, wie lange die hier schon herumliegt?“

Er sah sich um, als könnte der Täter sich hier noch irgendwo in der Nähe befinden. Der Fundort war weiträumig abgesperrt, Rita Kummert und ihre Leute durchkämmten gerade das Gelände auf der Suche nach Spuren und Beweismaterial. Was sich unter den gegebenen Umständen als äußert schwierig erweisen würde. Der Wind war auf der Seebrücke meist recht heftig und gestern hatte es geregnet. Es war Ende März, so langsam kamen die Touristenscharen zurück, bevölkerten den kleinen Ort, den Strand und die Cafés und Restaurants und spülten somit Geld in die ziemlich marode Gemeindekasse. Plüsch packte die Tüte mit der Hand in eine Styroporbox.

„Also auf den allerersten Blick würde ich sagen, das Opfer ist ein Mann mittleren Alters, von der Struktur der Handoberfläche und der Handfläche ausgehend zwischen 20 und 30 Jahre alt. Der Besitzer dieser Hand legte augenscheinlich sehr viel Wert auf Pflege, die Nägel sind perfekt manikürt und weisen Spuren von Klarlack auf. Außerdem muss er wohl eine Art Armband getragen haben, am Stumpf kann man einen ganz leichten Abdruck davon erkennen. Das Band muss relativ festgesessen haben, man erkennt bei genauerem Hinsehen noch das Muster, dass es hinterlassen hat. Irgendetwas keltisches, würde ich sagen. Ich gehe davon aus, dass es entweder hier noch irgendwo herumliegt oder dass es euer Täter hat mitgehen lassen.“

Er klemmte sich die Box unter den Arm und tippte sich an die Stirn.

„Das eiskalte Händchen und ich machen uns jetzt auf den Weg in die Gerichtsmedizin, ich denke mal, bis morgen habe ich erste Ergebnisse.“

Ludger sah Hinnerk kopfschüttelnd hinterher. Dann machte er sich auf die Suche nach Karl-Heinz Köster, der inzwischen zu seiner Frau Doris ins Hotel zurückkehrt war. Sie saßen im Hotelfoyer, der Direktor war so freundlich und hatte ihnen einen Kaffee bringen lassen. Doris war immer noch fassungslos. Sie hatte ihrem Mann zunächst nicht geglaubt. Karl-Heinz neigte dazu, die Dinge ein wenig zu dramatisieren und hatte auch schon immer eine recht lebhafte Fantasie. Dementsprechend hatte sie ihn erst einmal ziemlich genervt angesehen, als er behauptete, am Strand ein Körperteil gefunden zu haben. Argwöhnisch sah sie ihn mit schief gelegtem Kopf an.

„Sind dir vielleicht die Frühstückseier auf den Magen geschlagen? Ausgerechnet du willst jetzt in einen Mordfall verwickelt sein? Ist es dir hier nun doch zu langweilig, oder wie kommst du auf so eine absurde Geschichte?“

Selbst das Polizeiaufgebot hinter dem Hotel und der Menschenauflauf, der sich ziemlich schnell gebildet hatte konnte sie nicht davon überzeugen, dass Karl-Heinz offenbar ein wichtiger Zeuge in einem Mordfall sein könnte. Er hatte sie dazu überredet, sich mit ihm zusammen in die Lobby zu setzen, falls die Polizei noch Fragen an ihn haben würde. Als dann kurze Zeit später tatsächlich ein Mann vor ihnen stand, der sich als Hauptkommissar Ludger Bär vorstellte wäre die rüstige Doris fast vom Sessel gekippt. Karl-Heinz machte nur eine wegwerfende Handbewegung, so als wolle er sagen: „Siehste, habe ich doch gesagt.“ Ludger ließ sich gegenüber von Doris und Karl-Heinz auf einen Sessel fallen und orderte ebenfalls einen Kaffee. Doris setzte sich kerzengerade hin und straffte die Schultern, während ihr Mann lässig die Beine übereinanderschlug und sich seine dunkelbraune Cordhose über den Knien glatt strich.

„Herr Köster, jetzt beschreiben Sie mir doch bitte noch einmal ganz genau, was Sie wo, wann und wie gesehen haben. Und gerne ausführlich, jedes Detail könnte für unsere Ermittlungen wichtig sein.“

Er nickte der Kellnerin zu, die wortlos eine Tasse Kaffee vor ihm abstellte. Karl-Heinz rückte seine Hornbrille zurecht und schilderte dann in ausschweifenden Sätzen den Ablauf seines Morgens. Ludger hörte aufmerksam zu und machte sich Notizen. Er war ein sehr ruhiger und besonnener Mann, den nichts so schnell aus der Ruhe bringen und aus der Bahn werfen konnte. Eigentlich jedenfalls. Das jetzt hier am Strand ein Mord passiert sein könnte beunruhigte ihn dann allerdings doch. Nachdenklich sah er von seinem kleinen Block hoch.

„Sie haben also weder etwas Ungewöhnliches gesehen noch bemerkt, richtig?“

Karl-Heinz schielte rüber zu seiner Gattin, die fast schon gelangweilt ihre Blicke durch das Foyer schweifen ließ. Sie hörte die ganze Story nun zum zweiten Mal und war dementsprechend schon wieder genervt. Dann sah ihr Mann Kommissar Ludger Bär bedauernd an.

„Nein, tut mir leid. Ich war so auf die Vögel und dann auf meinen Hut konzentriert, dass ich auf nichts anderes geachtet habe.“

Ludger Bär erhob sich, Karl-Heinz sprang von seinem Stuhl auf. Doris blieb sitzen, ihr ging das alles gerade gehörig gegen den Strich.

„Danke für Ihre Hilfe Herr Köster. Sollten wir noch Fragen haben würden wir uns wieder bei Ihnen melden. Ansonsten wünsche ich Ihnen und Ihrer Frau noch einen schönen Aufenthalt und gute Erholung.“

Karl-Heinz schüttelte dem Kommissar die Hand, Doris nickte kurz in seine Richtung. Ludger vermeinte ein leises, verächtliches „Pf“ zu hören. Das Ehepaar verabschiedete sich in Richtung der Fahrstühle und Ludger machte sich auf den Weg zur Rezeption. Dort stand Annika Rütter, die die Unterredung mit halbem Ohr verfolgt hatte. Sie zog die Augenbrauen nach oben.

„Ihr habt also tatsächlich eine Leiche in den Dünen gefunden?“

Ludger rieb sich die Stirn.

„Naja, „Leiche“ wäre übertrieben. Bis jetzt ist es erst mal nur eine Hand. Ich bin mal gespannt, wo und vor allem WIE der Rest auftaucht. Dann mach ich mich mal ab und fang an zu ermitteln. Grüß Dieter von mir und sag ihm, ich meld mich die Tage mal, wenn ich Zeit habe.“

Er war mit Annikas Mann befreundet, sie gingen hin und wieder zusammen angeln, spielten Karten oder tranken abends ein Bierchen zusammen. Ihm schwante nur, dass er dafür jetzt erstmal keine Zeit mehr haben würde. Nachdenklich fuhr er zurück zur Wache und überlegte unterwegs, wie sie nun weiter vorgehen sollten.

Kapitel 3 - Viele Fragen, wenige Antworten und ein Fuß

Ludger Bär saß zusammen mit seinem Team in der kleinen Wache im Deichgrafenweg, und brachte alle Anwesenden zunächst auf den neuesten Stand.

„Die Hand hat Plüsch mitgenommen, ich hoffe, wir bekommen da baldigst die ersten Ergebnisse. Wobei uns das ja vermutlich auch erst einmal nicht weiterbringen wird. Was hilft uns der vermeintliche Todeszeitpunkt, wenn wir keine dazugehörige Leiche haben.“

Er raufte sich sein sowieso schon sehr schütteres Haar. Seine Kollegen Ingo und Sören saßen ihm gegenüber am Schreibtisch und sahen sich hilflos an. Frieder Eilers war noch am Strand, er wollte später nachkommen. Ludger konnte das nur recht sein. Babette, die einzige Frau auf der Wache, kam schnaufend durch die Tür und ließ sich abgehetzt auf einen der vier Stühle im Raum fallen. Ludger hatte sie an ihrem freien Tag her zitiert. Er hatte das Gefühl, jedes Hirn, dass einigermaßen des Denkens fähig war, um sich herum haben zu wollen.

„Wir sollten zunächst herausfinden, ob jemand vermisst wird. Unser Rechtsmediziner geht bisher davon aus, dass die Hand einem Mann gehört, ich möchte aber, dass wir nach beiden Geschlechtern suchen. Ingo, du gehst die Vermisstendatei durch. Und das äußerst gründlich, wenn ich bitten darf. Sieh nach, wer in den letzten 12 Monaten als vermisst gemeldet wurde. Laut Plüsch war das Opfer zwischen 20 und 30 Jahre alt, es macht also wenig Sinn, Kinder oder Alte mit auf die Liste zu nehmen. Und ab!“

Ingo verzog sich ins angrenzende Büro und machte sich an die Arbeit.

„Sören, du und Babette fahrt nochmal ins „Ambassador“. Ich will, dass ihr die Hotelgäste befragt. Vielleicht hat irgendein Frühaufsteher doch noch etwas gesehen. Ansonsten geht ihr rüber ins „Strandgut Resort“ und fragt dort nach. Und dann könnt ihr euch noch auf der Strandpromenade umsehen. Irgendjemand MUSS doch was gesehen haben. Es kann doch echt nicht sein, dass niemandem aufgefallen ist, dass da jemand eine Hand abgelegt hat.“

Sören zog die Augenbrauen nach oben, sagte aber nichts. Sein Chef schien nervös zu sein, ein Charakterzug, den er von ihm bisher noch nicht kannte. Babette nickte und schob Sören zur Tür hinaus.

„Wird erledigt Chef, wir melden uns nachher mal.“

Ludger legte die Hände hinter seinem Rücken zusammen und starrte zum Fenster hinaus. Eine Mordermittlung hatte ihm jetzt gerade noch gefehlt. In einem Jahr wollte er in Rente gehen, bis dahin hatte er sich vorgestellt, würde er hier noch eine ziemlich ruhige Kugel schieben können. Eigentlich passierte hier in St. Peter Ording nichts wirklich Aufregendes. Hin und wieder ein Einbruch oder Diebstahl, wobei da die Opfer am ehesten bei den Touristen zu suchen waren. Ludger kam es vor, als würden die Leute im Urlaub leichtsinniger werden. Man war ja immerhin an einem wunderschönen Urlaubsort, da konnte einem doch gar nichts Schlimmes passieren. Ein ziemlich naiver Trugschluss, wie Kommissar Bär aus eigener Erfahrung wusste. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft schon das ein oder andere heulende Elend vor seinem Schreibtisch gestanden hatte. Und nur, weil man im Traum nicht daran gedacht hatte, seine Ferienwohnung abzuschließen oder leichtsinnigerweise seine Wertsachen einfach am Strand auf dem Handtuch liegen gelassen hatte. Mitleid hatte Ludger mit solchen Leuten schon lange nicht mehr. In den meisten Fällen liefen diese Ermittlungen sowieso ins Leere. Das Schlagen der Eingangstür holte ihn zurück in die Gegenwart. Polizeihauptmeister Frieder Eilers war zurück und machte sich am Kaffeeautomat zu schaffen. Ludger seufzte. Er und Eilers waren langjährige Kollegen und trotzdem nie richtig warm miteinander geworden. Sie waren zu unterschiedlich in all ihren Ansichten und Lebenseinstellungen. Ludger hatte die ersten Jahre hinweg noch versucht, einen kollegialfreundschaftlichen Zugang zu dem 20 Jahre jüngeren Kollegen zu bekommen. Aber irgendwann musste er einsehen, dass seine Mühen vergebens waren. Sie arbeiteten zusammen, nicht mehr und nicht weniger. Frieder stellte sich mit dem Kaffee in der Hand in den Türrahmen und nippte vorsichtig am Becher.

„Und? Hast du noch etwas herausgefunden?“

Ludger war inzwischen nicht mehr gewillt, mehr als nötig mit seinem Kollegen zu kommunizieren. Eilers zuckte mit den Achseln und verzog die Mundwinkel.

„Nö, keiner hat was gesehen oder bemerkt. Dieser Köster ist ja wohl auch nur durch Zufall da runter in den Sand. Sonst hätte man die Hand da ja wahrscheinlich so schnell gar nicht gefunden. Ich gehe also mal stark davon aus, dass unser Täter gar nicht wollte, dass man die so schnell entdeckt. Wobei sie an einer relativ gut einsehbaren Stelle lag.“

Ludger dachte nach. Er musste Eilers ausnahmsweise recht geben. Die Hand war nicht wirklich offensichtlich hindrapiert worden, sondern es sah eher so aus, als hätte sie jemand achtlos über das Geländer nach unten geworfen. „Guter Denkansatz, aber ich befürchte, das hilft uns grad nicht weiter. Wir müssen abwarten, was Plüsch noch herausfinden kann und was Ingo bei seinen Recherchen zu Tage fördert. Bis dahin werden uns wohl die Hände gebunden sein.“

Wie auf Kommando kam Ingo ums Eck.

„Also laut aktuellem Stand wird im ganzen Raum Eiderstedt keine Person vermisst, auf die die bisherige Beschreibung zutrifft. Was, wenn wir es mit einem Touristen zu tun haben?“

Er kratzte sich am Kopf.

„Dann suchen wir die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen.“

Ludger stöhnte. Das konnte ja wohl nicht wahr sein. Sein Telefon auf dem Schreibtisch klingelte, am anderen Ende der Leitung war Babette, völlig außer Atem.

„Also bis jetzt gibt’s keine neuen Erkenntnisse, keiner hat irgendetwas gesehen. Sollen wir wieder zurückkommen?“

In dem Moment, in dem Ludger noch überlegte, wie es nun weitergehen sollte entstand im Hintergrund ziemlich lauter Tumult.

„Was ist denn da los bei Euch?“

Er hörte, dass Babette losrannte. Dann vernahm er Schreie und Stimmengewirr.

„He, was passiert denn da?“

Die brummte nur kurz: „Jetzt warte doch mal, ich seh doch noch nix.“

Dann wurde es kurz still.

Sekunden später keuchte Babette in den Hörer: „Chef, du solltest schleunigst zur Mitte der Seebrücke kommen. Die Spusi hat einen Fuß im Waschhaus gefunden!“

Kapitel 4 - Ein Fuß, ein Stock, ein Regenschirm

Ludger stand völlig verwirrt neben Hinnerk Petersen, der gerade mit einem Grinsen auf den Lippen den abgetrennten Fuß in einen seiner Plastikbeutel packte.

„So mag ich das, Stück für Stück zum großen Ganzen.“

Bär schüttelte leise den Kopf. Er konnte diesem „Aufschneider“-Humor überhaupt nichts abgewinnen. Plüsch ließ sich davon allerdings herzlich wenig beeindrucken.

Er fuhr munter fort. „Ich bin nur gerade ein wenig enttäuscht. Nach der rechten Hand hatte ich jetzt den rechten Fuß erwartet. Der Linke bringt mich gerade völlig aus dem Konzept.“

Er lachte so sehr, dass er sich den Bauch halten musste.

„Aber ich kann dir gleich sagen, dass der Fuß hier genauso dilettantisch abgesäbelt wurde, wie die Hand. Die Schnittkanten sind völlig zerfetzt und der Muskel und die Sehnen sehen aus, als hätte man alles mit einer stumpfen Geflügelschere durchtrennt.“

Ludger schloss kurz die Augen. Die sehr ausführliche Schilderung des Rechtsmediziners schlug ihm ein klein wenig auf den Magen. Der fuhr unbeirrt fort.

„Und außerdem habt ihr ja echt Glück gehabt, dass ich noch nicht wieder zurück in Kiel war. Rita hat mich noch aufgehalten. Das geht ja hier ratzfatz bei euch mit den Leichenteilen. Also auf Föhr hat das erheblich länger gedauert.“

Und wieder dieses dröhnende Lachen, in das Ludger überhaupt nicht mit einstimmen konnte. Er verzog ein wenig gequält das Gesicht.

„Wo lag das Teil denn jetzt genau?“

Rita war unbemerkt hinter ihn getreten und mischte sich nun in das Gespräch mit ein. Ludger Bär zuckte kurz zusammen. Er hatte bisher noch nicht allzu viel mit der Chefin der Spurensicherung zu tun gehabt. Gott sei Dank, wohlgemerkt. Sie war ihm ein wenig suspekt. Ihr ganzes Erscheinungsbild war ihm ein einziges Rätsel und ihre Stimme verursachte in ihm Gänsehaut.

„Mein Team und ich sind die Umgebung rund um den Fundort der Hand abgelaufen. Natürlich auch parallel zu der Wiese auf dem Steg. Und da lag der Fuß, in diesem Waschhaus, ganz hinten unter der Bank.“

Sie lief hin und deutete auf die Stelle, wo man bei ganz genauem Hinsehen einen kleinen Blutfleck erkennen konnte. Das „Waschhaus“, wie es Rita Kummert bezeichnete, war ein Räumchen mit Holzplanken, in dem sich links auf ganzer Länge eine hölzerne Bank befand. Rechts hinten im Eck waren zwei Becken im Boden eingelassen, in denen man sich die sandigen Füße vom Strand abwaschen konnte. Ludger wusste, dass der Waschraum über den Tag hinweg sehr viel genutzt wurde. Nahezu jeder, der vom Strand zurück kam machte sich hier seine Füße sauber und zog sich wieder Strümpfe und Schuhe an. Die geschwungenen Holzbänke, die sich gegenüber dem Raum auf dem Holzsteg befanden, luden zum Sitzen und Verweilen ein. Wäre der Fuß also gestern schon da gelegen wäre es mit Sicherheit jemandem aufgefallen.

„Die Kollegen der Kripo Flensburg sind informiert, ich denke mal, bis zum späten Nachmittag dürfte da jemand da sein.“