4,99 €
Die Geschichte spielt in einer Welt intelligenter Tiere. Der 11-jährige Fuchs Tim erhält vom hinterhältigen Grafen Dracula per "Fledermauspost" die üble Nachricht, dass dieser Fritz und Lilly, die beiden munteren Dachsgeschwister und beste Freunde des Fuchses, entführt hat. Und ihnen am Untotensonntag, dem höchsten Feiertag der Vampire, das Blut aus den Adern zu saugen gedenkt. Aber wo nur ist der gefährliche Untote zu finden? Es bleiben lediglich 14 Tage zur Befreiung der Dachszwillinge. Der Fuchs macht sich also sofort auf die Reise, die ihn zunächst allerdings in eine völlig falsche Gegend der Welt führt. Aber immerhin findet Tim findet dort Freunde, die bereit sind, ihm bei der Rettungsaktion durch dick und dünn zu folgen. Gemeinsam mit den Kameraden geht die Suche nach dem wie vom Erdboden verschwundenen Blutsauger per Luftschiff weiter. Man will in der Transandenregion in Südamerika nach ihm suchen, der Zeppelin muss aber nach einem schweren Sturm auf einer abgelegenen Insel weit im südlichen Atlantik notlanden. Es ist die Insel der "Zweisiedler" und Tim und die Zeppelin-Crew werden schon bald in kriegerische Auseinandersetzungen hineingezogen. Aber nicht nur das. Gleich nach dem Absturz schickt sie ein bösartig gewordener sturnmelhörniger Ziegenbock, seines Zeichens Physikprofessor und zu Tode gekränkter Nobelpreiskandidat, per Zeitmaschine zurück zu den Dinosauriern in die Untere Kreidezeit. Aber unsere Freunde sind durch nichts aufzuhalten. Die Fahrt des Luftschiffs geht letztlich doch weiter und Tim und seine Gefährten - allen voran die süße Samanta, das mutige südafrikanische Gazellenmädchen - kommen dem Blutsauger in einer Kirchenburg im transsilvanischen Siebenbürgen schließlich näher und näher ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2023
„Reading gives us someplace to go when we have to stay where we are.“
Mason Cooley
Cover
VORWORT
Teil 1: Eine Reise nach Südafrika
Teil 2: In den Drachenbergen von Transvaal
Teil 3: Das geheimnisvolle Schloss
Teil 4: Die Insel der Zweisiedler
Teil 5: Kurs Nordnordost
Teil 6: Transsilvanien
Teil 7: Nach Hause
EPILOG
DANKSAGUNG
Cover
VORWORT
DANKSAGUNG
Cover
I
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
42
43
44
45
46
47
48
49
50
51
52
53
54
55
56
57
58
59
60
61
62
63
64
65
66
67
68
69
70
71
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
101
102
103
104
105
106
107
108
109
110
111
112
113
114
115
116
117
118
119
120
121
122
123
124
125
126
127
128
129
130
131
132
133
134
135
136
137
138
139
140
141
142
143
144
145
146
147
148
149
150
151
152
153
154
155
156
157
158
159
160
161
162
163
164
165
166
167
168
169
170
171
172
173
174
175
176
177
178
179
180
181
182
183
184
185
186
187
188
189
190
191
192
193
194
195
196
197
198
199
200
201
202
203
204
205
206
207
208
209
210
211
212
213
214
215
216
217
218
219
220
221
222
223
224
225
226
227
228
229
230
231
232
233
234
235
236
237
238
239
240
241
242
243
244
245
246
247
248
249
250
251
252
253
254
255
256
257
258
259
260
261
262
263
264
265
266
267
268
269
270
271
272
273
274
275
276
277
278
279
280
281
282
283
284
285
286
287
288
289
290
291
292
293
294
295
296
297
298
299
300
301
302
303
304
305
306
307
308
309
310
311
312
313
314
315
316
317
318
319
320
321
322
323
324
325
326
327
328
329
330
331
332
333
334
335
336
337
338
339
340
341
342
343
344
345
346
347
348
349
350
351
352
353
354
355
356
357
358
359
360
361
362
363
364
365
366
367
368
369
370
371
372
373
374
375
376
377
378
379
380
381
382
383
384
385
386
387
388
389
390
391
392
393
394
395
396
397
398
399
400
401
402
403
404
405
406
407
408
409
410
411
412
413
414
415
416
417
418
419
420
421
422
423
424
425
426
427
428
429
430
431
432
433
434
435
436
437
438
439
440
441
442
443
444
445
446
447
448
449
450
451
452
453
454
455
456
VORWORT
Als ich vor etwa vier Jahren begann, die Geschichte der seltsamen Abenteuer des kleinen Fuchses und seiner Freunde aufzuschreiben, handelte es sich zunächst um eine kurze Leseübung für mein Enkelkind. Das Mädchen war damals eingeschult worden, da können solche Übungen ja durchaus hilfreich sein. Aber diese Erstklässlerin erwies sich als ziemlich schlau, und eigentlich brauchte sie meine Übungstexte gar nicht.
So blieb der Anfang dieser Story erst einmal unbeachtet liegen. Aber irgendwann dachte der Opa: He, so uninteressant ist die Geschichte eigentlich gar nicht, und schließlich willst du ja auch wissen, wie die Sache ausgeht. Das war mir nämlich zu diesem Zeitpunkt durchaus nicht vollständig klar.
Und so habe ich mich, wann immer etwas Zeit übrig war, auf den Hosenboden gesetzt und den Faden der Geschichte weitergesponnen.
Dass es schließlich ein Buch mit über 450 Seiten Inhalt geworden ist, hat mich selbst überrascht. Vielleicht ein bisschen lang für Kinder, aber kürzer ging es wirklich nicht. Beim Durchlesen am Ende der Schreiberei habe ich dann auch bemerkt, dass diese ursprüngliche Leseübung eigentlich nur am Anfang für Grundschüler geeignet ist. Unsere Helden haben so viele verschiedene Eigenschaften und Charakterzüge. Aus diesem Grund lässt sich, wie im „normalen“ Leben, ihr Handeln nicht immer in Gut und Böse trennen. Deshalb denke ich, dass das Buch eher für Leser ab 11 oder 12 Jahren geeignet ist.
Die Geschichte spielt in einer Welt der mehr oder weniger intelligenten Tiere, in der es alles in allem doch recht zivilisiert zugeht.
Zweierlei gibt es in dem Buch nicht: Menschen und Schusswaffen.
Es kommen Leute, Personen, Jungen, Mädchen, Männer, Frauen, etc. vor; das Wort „Mensch“ kann man an keiner Stelle finden.
Und dass der Gebrauch von Gewehren und Pistolen fehlt, wird wohl niemand ernsthaft vermissen.
Sprachbarrieren gibt es in dieser Welt ebenfalls nicht wirklich. Irgendwie kommen die Handelnden, egal wo sie wohnen, miteinander zurecht.
Und das ist ja mit so ziemlich das Wichtigste, findet Ihr nicht auch?
Der junge Fuchs schlief gerne bei offenem Fenster. Plötzlich klatschte ihm etwas Kaltes auf die Brust und es war, als ob ihn der Tod persönlich berührt hätte. Mit einem Schrei fuhr Tim auf und saß kerzengrade im Bett. Alle Haare, und er hatte viele davon, standen ihm steil zu Berge. Außerdem klopfte sein Herz ganz wild in der Brust. Er sah gerade noch, wie etwas in der Art einer großen Fledermaus geräuschlos aus dem Fenster schwebte. Dann schaute er, was ihm dieser seltsame nächtliche Gast wohl gebracht hatte.
Im Bett lag ein Brief, verunziert mit einem großen, schauerlichen Blutklecks auf der Vorderseite. Es war ein wirklich gruseliger Anblick.
„Den hätte die Post bestimmt nicht transportiert“, dachte der Fuchs. Er fasste sich und überlegte, was nun zu tun sei. Den Brief vielleicht sofort zur Polizei bringen? Natürlich: Zunächst musste er ja diesen Brief erst mal öffnen und lesen!
Tim schnappte sich das klebrige Ding und riss es mit zitternden Händen auf. Gut, dass er schon längst lesen konnte und in der Schule nicht nur geschlafen hatte.
Was musste er aus dem Brief erfahren, der mit Graf Dracula unterzeichnet war: Wie um ihn zu verhöhnen, teilte ihm dieser weltbekannte und gefürchtete üble Vampir mit, dass er die arme Lilly gefangen hätte. Lilly ist die Zwillingsschwester von Fritz, dem Dachs, Tims allerbestem Freund. Auch Fritz selbst, der mit seiner Schwester auf Reisen war und versucht hatte, sie zu befreien, befände sich in der Gewalt des Vampirs. Am Untoten-Sonntag, dem höchsten Feiertag der Vampire, würde sich der Graf der Finsternis dann bei Kerzenschein hinsetzen und den beiden gemütlich das Blut aussaugen. Bis dahin wollte das alte Scheusal gerne noch warten, denn Vorfreude wäre ja bekanntermaßen die schönste Freude.
Dem Füchslein wurde übel – so konnte das Ganze keinesfalls laufen! Seinen allerbesten Freunden Blut aussaugen, wo gibt es denn sowas! Heute war Montag, am übernächsten Sonntag also wollte der alte Unhold zubeißen! Man musste sich somit sehr beeilen. Nicht mal ganze zwei Wochen blieben dem Fuchs, um seine Freunde zu retten.
Er schaute noch mal auf den Brief, wo denn ein solcher Vampir eigentlich wohnt. Aber leider stand weder auf dem Umschlag noch auf dem Brief der Wohnort des Absenders. Da war gar nichts. Nur der Blutfleck leuchtete gefährlich rot.
„Dann muss es eben anders gehen“, dachte sich Tim. „Mal überlegen…, vielleicht hilft ja das Internet weiter. Aha, da steht es ja schon, das alte Ungeheuer wohnt in Trans… irgendetwas, in den Karpaten-Bergen in seinem versteckten Schloss.“ Außerdem erfuhr unser Rotpelz im Internet – man muss schließlich mit der Zeit gehen, natürlich besaß er einen kleinen Computer, ein hübsches iPad – allerlei Nützliches für die Vampir-Jagd: Vampire sind lichtempfindlich, im Tageslicht verbrennen sie, deshalb liegen sie tagsüber in einem Sarg in der Gruft ihres Schlosses, sie haben kein Spiegelbild, auch mögen sie garantiert keinen Knoblauch und vor allem keine spitzen Holzpflöcke. Silber ist auch nicht ihr liebstes Edelmetall, denn daraus gegossene Pistolenkugeln oder Armbrustpfeile, abgefeuert ins Herz des Vampirs, beenden sein untotes Dasein.
Wie sollte Tim nun aber in dieses Trans-Dings-Land kommen, von dem im Internet die Rede war??? Davon hatte er noch kein Sterbenswörtchen gehört. Sicher war es auch irre weit von seinem Zuhause in Deutschland entfernt. Dabei seufzte er, wenn er an die vor ihm liegenden Schwierigkeiten dachte.
„Gut, dass es neuerdings in unserem Städtchen sogar ein Reisebüro gibt!“, überlegte er sich. So schnell ihn seine flinken Füße trugen, rannte er dorthin. Eine ältliche Giraffendame, Madame Brimborius, saß hinter ihrem Schreibtisch, las Akten und trällerte dabei fröhlich ein Liedchen vor sich hin.
„Frau Brimborius, Frau Brimborius“, schnaufte Tim noch ganz außer Atem, „ich muss sofort und unbedingt nach Trans… , Trans… , Trans… “ Wie hieß das doch gleich? Den Zweck seiner Reise konnte der junge Fuchs hier natürlich nicht sagen. Und zur Polizei konnte er gewiss auch nicht gehen. Man würde vielleicht lachen und sagen: „Ab nach Hause zur Mama, Kleiner, es gibt keine Vampire.“
Frau Brimborius sah im Computer des Reisebüros nach: „Trans… Trans… Du meinst sicherlich Transvaal, so hieß es jedenfalls früher. Das ist ein Gebiet im Land Südafrika, ganz weit unten im Süden des afrikanischen Kontinentes. Es ist ca. 9000 Kilometer Luftlinie von unserer schönen Heimat entfernt. Der größte Teil von Transvaal ist eben, aber es gibt dort auch Berge. Drachenberge, wie bei uns, und wohl auch einige alte Burgen. Füchslein, was willst du eigentlich dort“, fragte die Reisebüro-Dame plötzlich und blickte ihren kleinen Kunden streng über den schmalen Rand ihrer runden Brille an. „Wissen deine Eltern eigentlich Bescheid, was du hier so treibst?“
„Berge und alte Burgen! Transvaal, natürlich!“ Tim glaubte, sich genau zu erinnern, was er über den Wohnort des Vampirs im Internet gelesen hatte. Das musste es sein! Unser Fuchs schwindelte nicht gern, gar nicht gern. Aber das hier war schließlich eine Notsituation!
Treuherzig guckte er die ältliche Giraffendame ganz lieb an und log, dass sich die Balken bogen: „Wissen Sie, meine Uroma wohnt dort in der Hauptstadt Pretoria. Oma Sieglinde ist schon etwas krank und möchte uns unbedingt schnellstmöglich sehen. Leider, leider ist meine Mama ebenfalls krank. Sie hat schlimmen Schnupfen und hustet viel. Papa muss sich natürlich um sie kümmern und kann auch nicht weg. So haben die beiden mich gebeten, hinzufahren.“
„Hm“, machte Frau Brimborius, die sehr gutgläubig war. „Da hast du großes Glück, noch heute Nachmittag, 16:00 Uhr, hebt von unserem neu erbauten Flugplatz das Linienflugzeug nach Pretoria ab. Wenn du dich beeilst, schaffst du es noch in diesen Flieger. Aber“, sagte sie weiter, „hast du überhaupt Geld für ein Ticket?“
Nun war der Fuchs doch heilfroh, dass er mit seinem alten Opa reichlich Matheübungen und anderen Schulkram gemacht hatte. Zwei Euro erhielt er von ihm, wenn eine Aufgabe besonders gut erledigt war. Eigentlich brauchte Tim normalerweise gar kein Geld. Aber um dem Alten eine Freude zu machen, sammelte er die Geldstücke in einem Beutelchen. Glücklicherweise hatte er dieses – es war mittlerweile schon recht prall gefüllt – jetzt sogar dabei. Er gab den Geldsack Frau Brimborius.
Die zählte lange nach und meinte schließlich: „Reicht, es sind sogar noch ein paar Euro Reisegeld für dich übrig! Wenn du willst, kann ich dir hier sogar schon das Flugticket ausdrucken, dann geht es nachher am Flugplatz umso schneller. Möchtest du am Fenster, am Gang oder auf einem Mittelplatz sitzen?“
Weil man da das Wolkenmeer so schön von oben sehen kann, war ein Fensterplatz im Flugzeug natürlich Ehrensache für einen Fuchs wie unseren. Stolz nahm Tim also sein Ticket in Empfang: Reihe 21, Platz A. Dann stopfte er den Flugschein zusammen mit dem restlichen Geld in seinen grüngelb karierten Rucksack.
„Vielen Dank, Frau Brimborius“, sagte unser Reisender, „Danke schön und Tschüss.“
Die Tür des Reisebüros klappte zu; weg war das Füchslein, denn es hatte es plötzlich sehr eilig. 16 Uhr war seine Abflugzeit nach Pretoria. „Hm, wie spät ist es jetzt eigentlich?“, überlegte Tim. Er schaute auf die kleine bunte Umhängeuhr, ein Geschenk von seinen Eltern zum elften Geburtstag, die um seinen nicht sehr sauberen Hals baumelte. Fast 13 Uhr, also nur noch etwa drei Stunden bis zum Start, und dabei musste im Flughafengebäude noch die ganze Check-In-Prozedur erledigt werden!
Tim sauste zur nahegelegenen Haltestelle der Regionalbahn. Er kramte zwei Euro aus seiner Geldbörse und löste am Automaten ein Ticket zum Flughafen. „Das mit dem Fahrschein und dem Automaten hat ja auf Anhieb prima geklappt! Besser als gedacht“, gratulierte sich der Fuchsjunge im Stillen.
Er schaute auf einen dicklichen Hammel mit gelber Jacke und schwarzer Hornbrille, der soeben die Haltestelle erreicht hatte und nun am Fahrscheinautomaten herumwurstelte. Die eingeworfenen Münzen fielen klimpernd immer wieder heraus. Ein Ticket dagegen wollte nicht erscheinen. Der Herr wurde immer wütender und schlug schließlich laut schimpfend gegen den widerspenstigen Blechkasten. Als das auch nicht half, vergaß der Hammel seine gute Erziehung vollends und verpasste dem Automaten einen derben Tritt. „Rums“, tönte es an der Haltestelle; eine Fahrkarte kam allerdings immer noch nicht zum Vorschein.
Tim wollte helfen, aber da fuhr schon ratternd der Regionalzug zum Flughafen ein. Das Füchslein setzte sich in den dritten Wagen. Die Räder quietschten laut, die Bahn fuhr an, und Tim begann die Haltestationen zu zählen. An der fünften musste er raus, das hatte er sich noch schnell an der Haltestelle am Streckenplan eingeprägt. Oder war „Flughafen“ doch erst der sechste Stopp?
„Nein, nein“, dachte der Fuchs und war sich seiner Sache plötzlich wieder sehr sicher. „Fünfte Haltestelle aussteigen, so und nicht anders ist es richtig.“
An der fünften Station verließ Tim den Zug. Dabei musste er sich zwischen den Leuten im Gang hindurchzwängen und kam gerade noch, bevor sich die Bahn wieder in Bewegung setzte, zur Abteiltür heraus. Der Zug ruckelte davon und Tim wehte ein recht frischer Wind um die Nase. Er schaute sich um und sah erst einmal, äh: Nichts. Jedenfalls nichts von dem, was der Junge hier erwartet hatte. Verlassen stand er auf einem staubigen Bahnsteig. Außer ihm war weit und breit niemand und keine Spur vom Flughafen zu entdecken.
Oder doch?
Weit in der Ferne sah Tim flache Gebäude hinter einem langgestreckten Zaun. Dazu noch den Tower und, wenn er mit halb zugekniffenen Augen ganz genau hinsah, konnte er sogar – winzig klein – Flugzeuge erkennen.
„Mist, also doch zu früh aus dem Zug ausgestiegen“, schimpfte unser Reisender. „Das nützt nun alles nichts“, dachte er, nahm die Beine in die Hand und flitzte, so schnell er konnte, querfeldein Richtung Flugplatz.
Zwanzig Minuten später stand Tim schnaufend wie eine alte Dampflokomotive vor dem Zaun, der das gesamte Flugplatzgelände umgab. Wie nun weiter? Das war hier jetzt die große Frage.
„Wenn es ganz dick kommt, ein Fuchs gräbt sich immer durch“, erinnerte sich Tim an einen oft gehörten Ausspruch seines Papas.
Gedacht, getan! Der verhinderte Flugpassagier schmiss seinen Rucksack mit Schwung über den Zaun und fing an zu buddeln. Fuchs ist Fuchs! Die weiche Erde flog im hohen Bogen davon und bereits nach wenigen Minuten öffnete sich direkt hinter dem Zaun der Boden. Geschafft! Wie ein schmutziger roter Erdgeist tauchte Tim aus dem entstandenen Loch auf.
Plötzlich heulte eine Sirene los und eine Lautsprecherstimme ertönte: „Sie sind eine Gefahr für den Flugverkehr! Sofort stehen bleiben, Sie werden verhaftet!“
Dem Fuchskind rutschte sozusagen das Herz in die Hose. Es blieb stehen und sah sich um. Polizisten, große Hunde in dunkelblauen Uniformen, kamen angelaufen und umringten Tim.
„Was soll denn das, willst du vielleicht von einem startenden oder landenden Flugzeug überfahren werden?“, wurde er streng gefragt.
„Ich, ich bibibibin doch bloß der Timi, Passagier des Fluges nach Südafrika und muss dringend zum Check-In.“ Mit zitternden Händen reichte er den Polizisten seinen Flugschein.
„Na, das scheint ja zu stimmen“, sagte einer der Wachleute in schon freundlicherem Ton. „Und besonders gefährlich siehst du mit deinem Rucksack ja ehrlich gesagt auch nicht aus. Aber bitte merke dir ein für allemal: Im gesamten Flughafengelände dürfen die Passagiere nicht alleine herumlaufen, sonst kann ein Unglück geschehen!“
Tim fuhr noch nachträglich der Schreck in die Glieder und er entschuldigte sich vielmals bei den Wachleuten.
„Und nun ab mit dir, sonst verpasst du wirklich noch deinen Flieger“, knurrte der Chef der Wachmannschaft zum Abschied den Jungfuchs an. Dann wurde Tim in einem offenen Geländewagen der Flughafenpolizei zur Abfertigungshalle gefahren.
Am Check-In-Schalter für den Flug 100 der bekannten Fluggesellschaft „Fugena Airdraken“ nach Südafrika hatten sich schon viele Passagiere angestellt. Da war eine große Gruppe von Urlaubern, schwitzende Geschäftsleute in Anzügen und mit Schlips sowie eine beträchtliche Anzahl aller möglichen Reisenden, die aus den unterschiedlichsten Gründen nach Südafrika wollten.
Tim, der gerade noch rechtzeitig angekommen war, marschierte seitlich an der gefährlich aussehenden bunten Passagier-Schlange vorbei Richtung Abfertigungsschalter.
„Hinten anstellen!“, blaffte ihn eine dickliche Nilpferddame an.
„Tschuldigung“, erwiderte der Fuchs und wackelte ganz ans Ende der übel langen Warteschlange zurück. Dort stellte er seinen Rucksack auf den Fußboden und schob ihn, wenn die Reihe vorrückte, einfach mit dem Fuß weiter.
„Willst du mit diesem Prachtstück die Fliesen wischen“, wurde er schon wieder angemeckert. „Häng’ ihn dir um, wie sich das gehört, Kleiner“, rief jemand laut.
Den Rucksack, der mit jeder Minute schwerer wurde, auf dem Rücken, kam unser Füchslein schließlich vorn am Schalter an. Dort ging aber erstaunlicherweise alles ganz problemlos ab. Tim, der ja sein Flugticket schon hatte und auch keinen Koffer aufgeben musste, konnte gleich weiterlaufen. „Dein Rucksack ist Handgepäck, den kannst du mit in die Flugkabine nehmen. Geh bitte als Nächstes zur Sicherheits- und Passkontrolle“, unterwies ihn die nette Schalterdame.
Die Sicherheitskontrolle, die durchgeführt wird, damit niemand etwas Übles oder gar Waffen mit an Bord des Flugzeugs nimmt, verlief dagegen für Tim zunächst gar nicht gut. Wie alle anderen Fluggäste musste der Fuchs durch einen frei im Raum aufgestellten Holzrahmen gehen. Da er keine Metallgegenstände am Körper trug, „piepste“ es dabei nicht. Sein Rucksack wurde durch einen Apparat befördert, der mit Röntgenstrahlen den Inhalt der Handgepäckstücke sichtbar macht.
Der Polizist hinter dem Bildschirm des Gerätes bekam ganz große Augen, als er sah, was sich da alles in dem karierten Rucksack befand. Eine rote Warnlampe leuchtete auf und plötzlich heulte eine Sirene wie 1000 Teufel: A-l-a-r-m!
Tim guckte sich noch um, was wohl der Grund für diesen schrecklichen Alarm war, da war er schon wieder von Wachleuten umringt. Einer zog aus dem Rucksack eine kleine Armbrust, eigentlich mehr ein Spielzeug. Die hatte Tim bereits vor längerer Zeit von seinem älteren Neffen Fridolin gegen eine Handvoll seiner besten bunten Glasmurmeln eingetauscht. Es gab dafür zwar längst keine Pfeile mehr – man sagt Bolzen dazu –, aber unser Schlaufuchs hatte sie trotzdem mit eingepackt. Armbrust ist immer gut im Kampf gegen Vampire, fand er. Aber das konnte er hier natürlich nicht erzählen!
„Ach, das ist doch nur ungefährlicher Spielkram. Die soll ich meiner Oma Sieglinde mitbringen. Die hat sie schon als Kind immer so gern zum Spielen gehabt, und jetzt hat Papa das Ding auf dem Dachboden endlich wiedergefunden“, schwindelte Tim notgedrungen.
„Das klingt etwas merkwürdig“, erwiderte der Chef der Wachleute. „Was riecht hier eigentlich so seltsam?“, fragte er als Nächstes und fasste wieder in den karierten Rucksack. Zum Vorschein kam ein etwa 30 Zentimeter langer Knoblauchzopf, geflochten aus zwölf frischen Knoblauchknollen, und zwei etwas schwarz angelaufene silberne Esslöffel. „Das stinkt ja hier wie der Teufel“, rief der Uniformierte. Dann feixte er und bemerkte fröhlich: „Knoblauch, Silber, Armbrust – da werden sich die Vampire aber fürchten.“ Dabei wusste er natürlich nicht, wie recht er damit eigentlich hatte. „Sag’ mal ehrlich, Junge, was soll denn nun dieser Kram in deinem Gepäck?“, fragte der Wächter.
„Ach, den Knobi, den esse ich für mein Leben gerne. Der ist sehr gesund und für mich sozusagen der ideale Snack für unterwegs. Und die ollen Löffel sind geborgt. Die soll ich meiner Uroma in Pretoria ebenfalls zurückbringen.“
Tim durfte schließlich alles wieder zurück in seinen Rucksack packen.
„Na dann guten Appetit und gute Reise!“, wünschte man ihm und schickte ihn weiter zu Gate 7. Dort könnte er dann, wenn der Aufruf erfolgte, in seinen Flieger einsteigen.
Tim wurde es mulmig zumute, denn schließlich war er noch nie in seinem Leben geflogen. Höchstens in seiner Kindergartenzeit einmal, und zwar vom Klettergerüst herunter. Aber das zählte hier wohl nicht.
Im Bauch unseres Reisenden grummelte es herum und ganz plötzlich musste er vor Angst mal ganz dringend aufs Klo. Gut, dass es hier auch eine Toilette gab. Tim sprintete hin. Wieder zurück in der Abflughalle, sah er auf seine Uhr. Sie zeigte zehn Minuten vor halb vier, also verblieben noch 40 Minuten bis zum Abflug. Aber wo war denn nun hier das verflixte Gate 7??? Der Fuchs sah sich um und entdeckte schließlich die verschiedenen Ausgänge zu den Flugzeugen, die Gates. Er las „Gate 4“, „Gate 5“ und erspähte schließlich weit hinten das Schild mit der Aufschrift „Gate 7“. Rasch lief Tim hin und setzte sich auf einen freien Sessel. Viele Plätze dort waren schon mit Fluggästen besetzt, die alle nach Südafrika wollten. Die meisten davon hatte unser Füchslein schon in der Warteschlange vor dem Check-In-Schalter gesehen. Natürlich durfte dabei auch die unfreundliche dicke Nilpferddame nicht fehlen.
Nun grummelte es zu allem Überfluss schon wieder im Fuchsbauch. Tim wollte gerade erneut aufs Klo rennen, da hörte er eine schrille Lautsprecher-Durchsage, dass nun das Boarding für Flug 100 „Fugena Airdraken“ nach Pretoria in Südafrika beginne. Der Fuchs beugte sich zu einem etwa gleichaltrigen Mädchen im Sessel neben ihm hinüber.
„Was bedeutet denn das nun schon wieder?“, fragte er und vergaß für einen Moment seinen Grummelbauch.
„Die Passagiere können nun das Flugzeug betreten. Es wird in Kürze starten“, erwiderte das zierliche Gazellenkind im hübschen, rotgepunkteten Kleid.
Durch eine etwas wackelige, tunnelartige Fluggastbrücke erreichten die Passagiere, einer nach dem anderen, das Flugzeug. Schon stand auch Tim direkt vor der weit offenen, dicken Eingangstür mit dem großen Handrad an der Innenseite. Eine nette Flugbegleiterin, eine Henne im schicken blauen Jackett und Rock, nahm den Fuchs in Empfang.
„Bitte deinen Flugschein, mein Lieber. Reist du etwa alleine?“, fragte sie freundlich. Tim kramte in seinem Rucksack, dem berühmten grüngelb karierten, und schließlich kam das nun schon etwas zerknitterte Ticket zum Vorschein.
„Ja, ganz alleine. Ich muss zu meiner Uroma nach Pretoria und werde auf dem Flughafen abgeholt“, schwindelte das listige Füchslein notgedrungen schon wieder und reichte der Stewardess seinen Flugschein.
Die Henne warf einen kurzen Blick darauf und sagte: „Reihe 21, Platz A, das ist ziemlich weit hinten. Gehe den Gang entlang und achte auf die Sitzreihen, sie sind beschriftet. Platz A ist am Fenster.“ Aber das wusste Tim ja bereits.
Er bedankte sich höflich und zwängte sich an Fluggästen vorbei, die Sachen und Handgepäck in seitlich entlang des Ganges über den Sitzreihen angebrachten Ablagefächern verstauten.
Reihe 15,… 19, 20. Schließlich entdeckte der Fuchs die Nummer 21. Der Innenplatz C war noch frei, jedenfalls teilweise!
Was musste Tim sehen: Auf dem Mittelplatz in der 3er-Sitzreihe thronte, eingezwängt wie eine Ölsardine in der Fischbüchse, die ihm nun schon gut bekannte, gewaltig dicke Nilpferddame. Im zeltartigen lilafarbenen Kleid mit großen Schweißflecken unter den Achseln saß sie da, schnaufte und verputzte zufrieden eine Tafel Schokolade.
Das nützte nun alles nichts: Irgendwie musste der Fuchs an ihr vorbei auf seinen Fensterplatz!
Eingedenk des Erlebnisses mit dieser Dame in der Warteschlange vor dem Check-In-Schalter, flötete Tim mit seiner allersüßesten Stimme, wie er es einmal in einem uralten Film gehört hatte: „Würden gnädige Frau mich vielleicht auf meinen Sitz lassen?“
Diesmal milde gestimmt, sagte die Dicke: „Aber gerne, mein Kleiner“. Angestrengt versuchte sie von ihrem Platz aufzustehen. Dabei hob sich ihr Po ca. zehn Zentimeter, dann sank Frau Nilpferd seufzend auf den Sitz zurück. „Es geht nicht! Mich werden wohl am Ende der Flugreise starke Männer aus dieser engen Falle befreien müssen“, sagte sie traurig. „Vielleicht muss man sogar die vordere Sitzreihe abschrauben, damit ich hier wieder rauskomme“, vermutete die Nilpferddame weiter. „Blöde Zwergensitze, wir Nilpferde sind nun mal keine schlanken Balletttänzer“, schimpfte sie plötzlich los, „und hoffentlich muss ich unterwegs nicht auf die Toilette!“
Frau Huhn, die Flugbegleiterin, kam, erschreckt durch den Radau, aufgeregt den Gang entlang geflattert. „Gibt es hier ein Problemchen?“, gackerte sie aufgeregt.
Na ja, das Problem mit dem in der engen Sitzreihe verkeilten Nilpferd war irgendwie offensichtlich und für den Moment auch nicht zu lösen.
„Der Start des Flugzeuges steht gleich bevor. Sie müssen sich also zunächst ein Weilchen gedulden, bevor wir Ihnen sicherlich aus dieser Zwangslage heraushelfen können“, sagte die Flugbegleiterin zu dem gefangenen, immer wütender werdenden Dickerchen im lilafarbigen Kleid.
„Darum möchte ich auch sehr gebeten haben“, schnaufte Frau Nilpferd empört.
„Dir, mein liebes Füchslein, kann ich aber gleich helfen“, wandte sich die schicke Stewardess an den immer noch wie bestellt und nicht abgeholt im Gang stehenden Tim. „Schau mal, da hinten in der letzten Reihe sind nicht alle Plätze besetzt. Da ist nur ein Mädchen, das während der Flugreise nicht unbedingt neben seinen Eltern sitzen will. Dort kannst du mit Platz nehmen.“
Tim guckte nach hinten und sah das hübsche kleine Gazellenmädchen im rotgepunkteten Kleid, seine Bekanntschaft aus dem Wartebereich des Flughafens. „Das könnte heute doch noch mein Glückstag werden“, dachte das Füchslein und freute sich. Tim schnappte seinen Rucksack und stapfte den Gang entlang ganz nach hinten.
„Ist hier vielleicht noch ein Plätzchen frei?“, fragte er das Mädchen sehr höflich. „Ich soll mich nämlich hier hinsetzen, da vorne geht es sozusagen momentan nicht.“
Die Gazelle blickte kurz von ihrem Computerspiel auf und hob den Kopf: „Hm.“
Das konnte nun alles Mögliche bedeuten. Für Tim war es ein klares „JA“, und so rutschte er fix auf den Platz neben der Kleinen, die am Fenster saß. Der Gangplatz in dieser Sitzreihe war ebenfalls noch frei. Auf dem landete Tims Rucksack.
Schließlich mussten alle Passagiere ihre Anschnallgurte um den Bauch schließen. Eine Flugbegleiterin zeigte für den Notfall den Gebrauch der Rettungswesten und Sauerstoffmasken. Dann wies sie noch mit Worten und Handzeichen auf die Lage der Notausgänge im Flugzeug hin. Falls wirklich mal eine Gefahr im Flugzeug auftreten sollte, musste sich natürlich jeder gleich zurechtfinden!
Der Fuchs wusste zwar ganz genau, dass Flugzeugunglücke glücklicherweise nur sehr, sehr selten vorkamen – ein bisschen mulmig wurde ihm nun aber doch zumute. Die Stewardess kontrollierte bei jedem Fluggast, ob er seinen Sitzgurt auch wirklich geschlossen hatte, und knallte mit Schwung noch einige offene Handgepäck-Ablagefächer zu. Tims Sitznachbarin musste ihre Spielkonsole ausschalten. Der Gebrauch von Handys und Computern ist während des Startes und der Landung eines Flugzeugs streng verboten. Diese Geräte können nämlich sonst die Funktion der Flugzeugcomputer stören.
Schließlich hörte man durch den Bordlautsprecher: „Boarding completed, flight attendants… “, genau konnte Tim das leider nicht verstehen. Er merkte aber, dass es nun mit dem Start langsam Ernst wurde. Schneller Blick auf seine Umhängeuhr: Schon zehn Minuten nach um vier, es konnte nun wirklich losgehen, genauer gesagt: „losfliegen“. Wie auf Kommando machten die Triebwerke etwas Krach und das riesige Flugzeug setzte sich langsam in Bewegung. Gleich einem zu großen Auto rollte es über das Flughafengelände und fuhr mehrere Kurven. Der Fuchs machte einen langen Hals und guckte am Kopf der Gazelle vorbei aus dem kleinen viereckigen Fenster mit dem dicken Glas ins Freie. So konnte er sehen, dass ihr Flugzeug gerade auf die lange Start- und Landebahn einbog.
„Jetzt geht es ab durch die Lüfte“, sagte das Mädchen neben ihm. „Übrigens, ich heiße Samanta, und wer bist du?“
Mit leicht schaukelnden Flügeln blieb das Flugzeug noch einen Moment auf der Startbahn stehen. Dann heulten die Triebwerke auf und die Boeing 737 raste immer schneller über die Betonpiste. Tim wurde etwas in den Sitz gepresst, aber eigentlich hatte er gar keine richtige Angst. Jedenfalls noch nicht!
An diesem bewölkten Herbsttag wehte auf dem Flugplatz ein recht frischer Wind. Es war fast schon ein Sturm. Kurz vor dem Ende der Startbahn zog der Pilot am Steuerhorn. Mit hochgezogener Nase hob das Flugzeug vom Boden ab. Gleich wurde es von einer Windböe gepackt und machte einen Satz in die Luft. Im Bauch des Fuchses hüpfte der Magen ebenfalls in die Höhe. Schlagartig wurde es Tim übel und alle Farbe, soweit das bei einem Fuchs möglich ist, wich aus seinem Gesicht.
„Du siehst aber käsig um die Nase aus“, hörte er neben sich die Gazelle kichern. „Bist nichts Gutes gewöhnt, was? Wohl noch nie geflogen? Brauchst du vielleicht sogar eine Tüte?“
Der Wind hatte sich etwas gelegt und das Flugzeug setzte seinen Steigflug nun ruhig und ohne große Hopser fort. Gleich ging es unserem Flugreisenden deutlich besser!
„Nö“, sagte er. „Übrigens, um deine Frage von vorhin zu beantworten, ich bin der Tim und fliege zu meiner Oma nach Pretoria.“
„Hö, Hö“, machte die Gazelle und zwinkerte allerliebst mit den Augen. „Der Tim also, und er fliegt ganz alleine zu Omi. Das kannst du sozusagen deiner Oma erzählen“, bemerkte Samanta schlau.
„Glaub’s oder glaub’s nicht.“ Der Fuchs war ein wenig eingeschnappt, und mit der Wahrheit konnte er hier ja wohl schlecht kommen.
„Ist schon gut“, besänftigte das Mädchen, „was soll’s – ich glaub dir schon. Übrigens, irgendwie riecht es hier etwas streng. Kann es sein, dass der Geruch aus deinem Rucksack kommt? Sind da vielleicht alte Socken oder Schuhe drin?“
Es war nicht zu leugnen, Tims grüngelb karierter Reisebegleiter müffelte merkwürdig vor sich hin. Flink löste die Gazelle ihren Anschnallgurt, beugte sich seitlich über Tim zum Gangplatz und schnappte mit einer Bewegung den Rucksack. „Darf ich mal reingucken?“, fragte sie und hatte die Schnallen schon halb geöffnet. „Du meine Güte“, entfuhr es ihr nach einem kurzen Blick in die Tiefe des Rucksacks. „Frischer Knoblauch, eine wunderschöne prall gefüllte Packung Knobi-Pulver ‚Knobeletto 1O-fach‘ –, olle Löffel, eine uralte, schrottreife Spielzeugarmbrust und noch anderer Krimskrams, ich bin erschüttert“, sagte das Mädchen. „Naja, wenigstens sind Waschzeug und Unterwäsche nicht vergessen worden. Und die Ernährung hast du wohl auf Zuckerkram und Schokolade umgestellt?“ Fröhlich lachend hielt die Kleine zwei in rotweiße Alufolie eingewickelte Überraschungseier und eine Großpackung Gummibärchen in die Höhe.
„Und du bist ganz schön frech, so einfach mein Gepäck zu öffnen“, entgegnete der Fuchs, aber er war der Gazelle nicht wirklich böse. Und irgendwie hatte er keine Lust auf weitere Schwindeleien von der Oma und vom „Knobi-Snack“ für zwischendurch.
Mittlerweile lag das Flugzeug ganz gerade und ruhig in der Luft. Die beleuchteten Anschnallzeichen über den Sitzplätzen erloschen.
Durch die Bordlautsprecher ertönte eine Durchsage aus dem Cockpit: „Hier spricht Ihr Pilot, Flugkapitän Fred Gänserich. Wir haben unsere Reiseflughöhe von fast zwölf Kilometern über dem Erdboden erreicht und befinden uns auf dem Weg nach Südafrika. Die Geschwindigkeit beträgt 800 Kilometer pro Stunde. Bald werden wir die deutsche Grenze überfliegen. Dann kommen Österreich und Italien. Schließlich geht es im Direktflug weiter über das Mittelmeer und verschiedene afrikanische Länder nach Südafrika. Die gesamte Flugstrecke beträgt etwa 9000 Kilometer, unsere Flugzeit hat der Bordcomputer mit zehn Stunden und 45 Minuten berechnet. Somit werden wir nach deutscher Zeit in der Nacht gegen drei Uhr auf dem Flughafen Wonderboom in Pretoria landen. Allerdings hat Südafrika zu Deutschland einen Zeitunterschied von plus einer Stunde. Das heißt, wenn es in Deutschland 3:00 Uhr ist, ist es in Südafrika schon 4:00 Uhr. Sie müssen also vor dem Aussteigen Ihre Uhren eine Stunde vorstellen. Übrigens ist es hier im Oktober mit tagsüber bis zu 23°C wärmer als bei uns zu Hause und es regnet auch nicht oft. Die dicken Jacken und Regenschirme können Sie nach der Ankunft also erst mal ganz unten im Koffer verstauen. Wir werden Ihnen jetzt ein warmes Essen servieren, im Anschluss daran wird auf den Fernsehbildschirmen über Ihren Köpfen ein spannender Film gezeigt. Dann können Sie bis zur Landung etwas schlafen. Ich wünsche Ihnen im Namen der gesamten Besatzung einen recht angenehmen Flug.“ Es knackte noch kurz im Lautsprecher, dann verstummte die Pilotenstimme.
„Puh, Kapitän Gänserich“, sagte Tim zu seiner Reisebekanntschaft auf dem Fensterplatz und sein Magen machte gleich noch mal einen Hopser wie beim Start des Flugzeugs. Der Fuchs hätte natürlich selbst sehr gerne am Fenster gesessen, aber so war es ihm letztlich auch ganz recht. Er lehnte sich zur Gazelle hinüber, blickte hinaus auf die geschlossene, blendend weiße Wolkendecke weit unter ihrer Boeing und blinzelte in die Sonne.
„Die scheint hier oben immer“, hörte er die Stimme des Mädchens. „Ich bin schon öfter geflogen. Immer mit Mama und Papa, hin und her. Wir haben nämlich Verwandte in Deutschland, bei denen machen wir Urlaub, und sie besuchen uns gelegentlich in Südafrika. Übrigens kann ich dadurch ganz gut Deutsch sprechen. Aber das weißt du ja inzwischen schon.“
Der Fuchs erhob sich von seinem Platz. „Jetzt muss ich aber wirklich noch mal ganz dringend aufs Klo“, sagte er zu Samanta.
Das Flugzeug wackelte ein wenig in der Luft. Tim schlängelte sich an Essenwagen und Stewardess vorbei, den schmalen Gang entlang zur Toilettenkabine. So konnte er sehen, wie gerade drei Stewardessen laut gackernd die eingeklemmte Frau Nilpferd aus ihrem Sitz befreiten. Erschöpft ließ sich die Dicke auf einem etwas breiteren Platz mit mehr Beinfreiheit am Notausgang sinken.
„Geschafft“, seufzte sie glücklich und wickelte sich erst mal einen saftigen Schokoriegel aus.
„Grünzeug wäre gesünder“, sagte das Füchslein etwas vorlaut im Vorbeigehen. Zurück an seinem Platz, nahm Tim etwas ganz unten aus dem Rucksack. Dann beugte er sich zu Samanta hinüber und flüsterte ihr ins Ohr: „In Wirklichkeit bin ich nämlich auf Vampirjagd! Und ehe du jetzt fragst, bei welchem Nervenarzt ich behandelt werde, schau dir bitte das an!“. Mit diesen Worten hielt Tim dem Gazellenmädchen den Umschlag mit dem Brief von Graf Dracula unter die Nase. Der große Fleck auf der Vorderseite leuchtete immer noch gefährlich blutrot.
Samanta zuckte zurück. „Ist das wirklich wahr oder willst du mich nur ganz gewaltig veräppeln?“, fragte sie leise.
„Leider ist das die volle Wahrheit“, entgegnete der Fuchs. „Dieser üble Geselle hat meine Freunde entführt. Heute ist Montag, aber in wenigen Stunden haben wir schon Dienstag. Und bereits übernächsten Sonntag will der Vampir dem Dachs Fritz und dessen Schwester Lilly das Blut aussaugen. Hier, lies es selbst“, sagte Tim und reichte Samanta den Brief.
Das Mädchen schüttelte den Kopf und schimpfte plötzlich los: „Kaum zu glauben, da muss man wirklich rasch helfen. Und was für eine Frechheit, damit sogar noch vorher anzugeben. Woher der alte Blutsauger nur deinen Namen kennt? Sicherlich hat Fritz gesagt, dass du ihn auf jeden Fall retten würdest, aber darüber kann ein uralter Vampir wie Graf Dracula wahrscheinlich bloß lachen.“
Die Kinder quasselten noch eine Weile weiter. Dann schoben die Stewardessen das Essenwägelchen den Gang entlang. Jeder Fluggast bekam eine in Alufolie eingeschweißte Portion. Dazu konnte man sich Getränke auswählen. Merkwürdigerweise tranken die meisten Passagiere Tomatensaft. „Den möchte ich nun wirklich nicht“, sagte Tim, dem beim Anblick der roten Flüssigkeit etwas übel wurde. Genau wie Samanta bestellte er sich ein Glas Apfelschorle. Nach dem schmackhaften Essen klappten an der Decke der Flugzeugkabine Flachbildschirme auf und der von Flugkapitän Gänserich angekündigte Film begann. Allerdings war er ziemlich langweilig: Ein Liebesfilm für Erwachsene. Da dauerte es auch gar nicht lange und der Fuchs und die Gazelle schnarchten aneinander gekuschelt um die Wette.
Beide wurden schließlich unsanft durch die Lautsprecherstimme aus dem Cockpit aufgeweckt.
„Hier ist noch mal Ihr Flugkapitän“, tönte es. „Wir haben unser Ziel nun bald erreicht. In wenigen Minuten verlassen wir die Reiseflughöhe und beginnen mit dem Sinkflug. Bitte schnallen Sie wieder Ihren Sitzgurt an und stellen die Rückenlehne in eine aufrechte Position. In etwa einer halben Stunde werden wir schon auf dem Flughafen Wonderboom in Pretoria landen. Danke, dass Sie mit ‚Fugena Airdraken‘ geflogen sind. Auf Wiedersehen, bis zum nächsten Mal. “
„Jetzt müssen wir aber unbedingt besprechen, wie es mit der Vampirjagd nun weitergehen soll“, sagte Samanta zum Füchslein neben ihr.
„Was soll schon sein“, erwiderte Tim. „Graf Dracula wohnt in Transvaal, in seinem Spukschloss in den Drachenbergen, das weiß ich aus dem Internet. Höchstwahrscheinlich überfällt er dort nachts im Gebirge einsame Reisende, die sich verlaufen haben, und dann… na, du weißt schon! Oder er schnappt sich müde Wanderer, die den Fehler machen, abends an die Tür seines Schlosses zu klopfen und um ein Nachtlager zu bitten. Diesem Treiben werde ich ein Ende machen und meine Freunde befreien, mir fällt schon etwas ein! Gleich am Flughafen erkundige ich mich nach dem Weg zu den Drachenbergen und dann suche ich mir eine Fahrgelegenheit dorthin!“
Das Gazellenmädchen entgegnete erstaunt: „Hm, Vampire, Graf Dracula; hier bei uns??? Das müsste ich eigentlich wissen, nie gehört. Aber sonst stimmt das schon. Es gibt in Südafrika die ,Drakensberge‘, zweimal sogar. Die kleineren hier in Transvaal im Norden des Landes, die größeren weiter südlich.“
Samanta überlegte ein bisschen und redete dann weiter: „Ich wohne mit meinen Eltern und meinem nervigen kleinen Bruder – er sitzt übrigens vorne bei der Mama und pennt noch – in Graskop, das ist eine kleine Stadt, gar nicht weit von unseren Drakensbergen entfernt. In die Schule muss ich erst nächste Woche wieder. Wenn wir heute zu Hause ankommen, werden natürlich erst mal die Koffer ausgepackt und ein wenig ausgeruht. Morgen, also am Mittwoch, habe ich mit meiner Pfadfindergruppe ohnehin einen Ausflug in unsere Berge geplant. Es ist da sehr schön, mit vielen steilen Hängen und tiefen Schluchten. Wenn du möchtest, kannst du gerne mitkommen und nach etwas Gruseligem suchen. Aber viel Hoffnung mache ich dir da ehrlich gesagt nicht. Ich war schon öfter dort und habe nichts Verdächtiges bemerkt. Natürlich muss ich vorher meine Eltern fragen, ob du für zwei oder drei Tage mit zu uns nach Hause kommen kannst.“
Tim war mit diesem Vorschlag mehr als einverstanden, er war regelrecht begeistert.
Durch die Fenster des Flugzeugs konnte man sehen, dass es draußen noch dunkel war. Immer heller leuchteten aber unten die Lichter der Stadt und der Flughafen kam rasch näher. Schließlich setzten die Räder der Boeing 737 quietschend auf der Landebahn auf. Die Triebwerke heulten noch mal los, als der Pilot zum Bremsen vollen Gegenschub gab. Das Flugzeug hoppelte ein wenig, wurde langsamer und kam schließlich zum Stehen – Flug 100 der Fluggesellschaft „Fugena Airdraken“ war pünktlich und sicher in Pretoria gelandet.
Vor dem Flughafengebäude, es war mittlerweile schon hell geworden, stellte Samanta den Eltern ihren neuen Freund vor. Sie erzählte Mama und Papa die Story des Füchsleins, natürlich nicht die richtige!
„Liebe Mama, lieber Papa“, sagte die Gazelle. „Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie gerne dieser Junge morgen beim Ausflug meiner Pfadfindergruppe mitkommen möchte. Er soll nämlich von der Schule aus die Pflanzen in einem fernen Land erkunden. Und in unseren Drachenbergen mit ihren Wiesen, Höhen und grünen Tälern kann man das ja wirklich prima tun“, redete Samanta. Dabei wurde sie beim Schwindeln nur ein ganz klein wenig rot.
Der Vater des Mädchens lud gerade Koffer und Taschen in sein dort geparktes Auto ein. Dem Geplapper seiner Tochter hatte er nur mit halbem Ohr zugehört.
„Ja, ja“, sagte er schließlich und zwinkerte Tim zu. „Klar kannst du die zwei Tage bei uns bleiben. Aber selbstverständlich nur, wenn deine Oma Bescheid weiß und nichts dagegen hat. Nach dem kleinen Ausflug kann ich dich dann ja mit dem Auto persönlich bei ihr ,abliefern‘.“
„Ich bin doch kein Postpaket“, protestierte Tim. „Aber Sie müssen keine Angst haben, natürlich ist meine Oma einverstanden – gleich rufe ich sie mit dem Handy an“, redete unser Rotpelz weiter auf den Gazellen-Papa ein.
„So, so“, bemerkte dieser. „Aber ich möchte dann auch noch mal mit deiner Großmutter am Telefon reden“, fuhr Herr Gazelle zerstreut fort, kratzte sich an den Hörnern – und hatte die Sache eigentlich schon fast vergessen.
„Yes“, jubelte Samanta im Stillen. Das wäre also geschafft!“
An diesem schönen und glücklicherweise auch warmen Mittwoch im zeitigen Oktober hatte sich bereits morgens eine muntere Schar von größeren Kindern und Jugendlichen an einem der vielen Wasserfälle im Hochland von Transvaal eingefunden. Die Jungen und Mädchen trugen Pfadfinderuniformen und Halstücher.
Auch Tim, der als Gast sehr herzlich aufgenommen worden war, hatte man ein blaugelbes Halstuch umgebunden. Das sah zwar zusammen mit seinem grüngelben Rucksack ein bisschen merkwürdig aus – etwa in der Art eines großen, rot-gelb-grün-blauen Papageis. Aber aus derlei Dingen machte sich der Fuchs überhaupt nichts. Er war mächtig stolz auf sein Outfit und seine neuen Freunde.
Man sah nicht nur Gazellen wie Samanta. Es gab hier auch viele Gnus, Antilopen und Zebras. Sogar ein Giraffen-Mädchen guckte oben mit dem Kopf aus einem der aufgestellten Zelte heraus und schimpfte irgendetwas auf Englisch, das sich für Tim anhörte wie „… much too small“. Der Fuchs, der das gerade so verstanden hatte, grinste. Der Anblick der lamentierenden Giraffe war wirklich zu komisch.
Die Pfadfindergruppe war mit dem Bus zu ihrem Wanderausflug in den Bergen angereist. Dieser Trip wird jedes Jahr im Frühling und im Herbst durchgeführt. Auf immer neuen Touren streifen die jungen Pfadfinder durch das Gebiet der Drachenberge, veranstalten Geländespiele und erleben die spannendsten Abenteuer.
Der Führer der Gruppe war Pieter, ein freundlicher und immer fröhlicher Jugendlicher von etwa 14 Jahren. Dieser kräftige Büffeljunge hatte es Samanta wohl besonders angetan. Sie hielt sich öfter in seiner Nähe auf, traute sich aber nicht, ihn anzusprechen oder offen anzusehen.
Solche Probleme waren unserem Fuchs, dem man auf seine Schwindelgeschichte hin eine hübsch alberne Botanisiertrommel zum Pflanzensammeln um den Hals gehängt hatte, momentan eher fremd. Er wartete bloß auf den Abmarsch der Pfadfinder ins Gelände. Gegen 9:00 Uhr war es schließlich so weit. Pieter teilte seinen Freund Biko, ebenfalls ein älteres Büffelkind, als Führer der größeren Pfadfindergruppe ein.
„Ihr geht den Waldweg entlang bis zur dritten Abzweigung nach rechts. Diesem Pfad folgt ihr dann zirka zwei Kilometer durch die Wiesen bis zu einer Weggabelung. Dort steht ein Wegweiser mit gelben Schildern. Der ist garantiert nicht zu übersehen, er zeigt euch die Richtung zum Plateau des Falkenbergs. Dort trefft ihr zirka 13:00 Uhr ein. Eine Stunde später gibt’s Mittagessen: Spaghetti mit Tomatensoße und hoffentlich genauso leckeren Grießbrei. Es existiert dort nur eine offene Herdstelle. Wenn ihr ankommt, holen die Jungs gleich Holz für das Feuer, dann können die älteren Mädchen auch schon mit dem Kochen beginnen. Sauberes Wasser zum Spaghettikochen gibt’s dort genug im Bergbach. Das braucht ihr also nicht extra mitzuschleppen. Abgekocht wird es dann ja ohnehin. Vergesst aber die Milch für den Grießbrei nicht. Vergesst auch sonst nichts! Bevor ihr loswandert, guckt jeder noch mal in seinen Rucksack, ob auch wirklich alles drin ist, was reingehört. Wir haben das bei der Vorbereitung unserer Tour ja alles gründlich besprochen und das Nötige eingekauft. Biko, hast du auch die Wanderkarte und zur Sicherheit einen Kompass dabei?“, beendete Pieter vorerst seine Ansprache an die jungen Pfadfinder.
„Klar, Chef, alles in Butter.“ Biko grinste seinen Freund an. „Das ist alles sozusagen idiotensicher – da kann nun wirklich nix schiefgehen. Unsere Tour ist ja diesmal auch irgendwie babyleicht. Du weißt doch, sonst waren immer Erwachsene als Aufsichtspersonen mit dabei. In diesem Herbst: Pustekuchen. Niemand hat sich angesagt, wir sollen mal hübsch selbst zurechtkommen.“
„Richtig“, entgegnete Pieter. „Umso wichtiger ist, dass es wie am Schnürchen funktioniert. Und nun weiter im Text: Ihr alle wisst ja inzwischen, dass wir auf unserem Ausflug einen weitgereisten Gast dabei haben. Tim ist hier zu Besuch aus dem fernen Deutschland und möchte heute die Pflanzenwelt im Hochland unserer schönen Drachenberge erkunden und – wenn möglich – ein paar besonders schöne Exemplare in der Botanisiertrommel einsammeln. Natürlich kann er dazu hier nicht alleine herumlaufen, er würde sich gewiss verirren. Also, so habe ich mir überlegt, bilden wir zu seiner Begleitung aus ein paar Pfadfindern eine zweite, kleinere Wandergruppe. Dieser werden Samanta, Malusi sowie die Zwillingsschwestern Anele und Mandisa angehören. Und ich selbst natürlich auch.
Unser Team folgt zunächst dem Lauf des kleinen Flusses, der hier den Wasserfall bildet. An seinem Ufer gibt es einige feuchte und sumpfige Auen, was selten bei uns in Südafrika ist. Auf diesen Wiesen wachsen viele schöne Blumen und andere bemerkenswerte Pflanzen.
Tim, schau dir alles an. Wenn du Fragen hast, vielleicht kann ich dir sogar weiterhelfen. Aber, ich sag’s dir gleich, ein Experte bin ich auf diesem Gebiet natürlich nicht. Wenn wir was nicht wissen, reißen wir die Pflanze natürlich nicht aus, sondern machen lieber mit meinem Handy ein paar Fotos und fragen dann später meinen Biolehrer. Der kennt sich natürlich prima mit unseren einheimischen Pflanzen aus, mit dem kannst du dann sozusagen fachsimpeln.
Später geht’s dann auch für unsere kleine Gruppe weiter zum Falkenberg, damit wir ebenfalls pünktlich um eins dort sind. Das dürfte kein Problem sein, denn ich kenn‘ mich hier ganz prima aus. Mit meinem Papa war ich in den letzten Jahren öfter in dieser Gegend, meistens am Fluss zum Angeln. So, das wär’s erst mal“, schloss Pieter. „Jeder hängt sich den Rucksack um, geht zu seiner Gruppe und dann ab durch die Mitte.“ Froh, dass es endlich begann, machten sich die Pfadfinder auf die Strümpfe.
Die Hauptgruppe, Biko mit dem lustig im Wind an einer langen Stange flatternden Pfadfinderwimpel vornweg, bog in den schattigen Waldweg, der hier seinen Anfang nahm, ein. Bald verschwanden sie hinter einer Wegbiegung. Aber das fröhliche Lachen und Singen der Kinder war noch eine ganze Weile zu hören.
Wird schon schiefgehen, dachte Pieter. Er selbst wanderte mit seinen fünf Getreuen einen schmalen Weg durchs hohe Gras am Flusslauf entlang. Es war ein sehr schöner Oktobertag. Aus einem hohen und wolkenlosen Himmel sangen die Vögel. Kaum ein Lüftchen ging.
Weniger schön fühlten sich da schon Tims nasse Fuchsfüße an, die er nach einer Weile in seinen Halbschuhen bekam. Die Pfadfinder mit ihren hohen, festen Wanderstiefeln waren da beim Marsch auf dem matschigen Pfad deutlich besser dran.
Ohne zu reden folgte die Gruppe, einer hinter dem anderen, dem Büffeljungen.
„Wollt ihr alle eigentlich Schweigemönche werden?“, fragte Pieter plötzlich in die aufkommende Stille hinein. „Und richtig miteinander bekannt gemacht habt ihr euch wohl auch noch nicht?“, ergänzte er.
„Tim quietscht.“ Anele, das 12-jährige Antilopenmädchen, zwinkerte ihrer Zwillingsschwester zu.
„Ein quietschender Fuchs“, Mandisa kicherte, „das hat die Welt noch nicht gesehen. Vielleicht rostet er hier am feuchten Flussufer?“ Die Mädchen konnten sich recht gut mit Tim verständigen. „No problem!“, sozusagen.
„Jungs rosten nicht“, sagte eingeschnappt der Fuchs. „Das sind bloß meine nassen Schuhe, die quietschen. Genau besehen, nur der linke, der hat ein kleines Loch in der Sohle. Da läuft bei jedem Schritt Wasser rein und quietscht beim Auftreten wieder raus.“
„Unser Kleiner ist ja behängt wie ein Tannenbaum in Deutschland zum Weihnachtsfest“, bemerkte Mandisa etwas schnippisch. „Auf dem Rücken der Rucksack, vorne die Botanisiertrommel und das merkwürdige Medaillon, wahrscheinlich mit einem Bildchen von der Mama oder der Omi drin.“
„Was wisst ihr hier schon von Weihnachten?“, maulte Tim. „Und das um den Hals ist auch kein Medaillon, sondern bloß meine Uhr. Die hab‘ ich erst im April von meinen Eltern zum Geburtstag bekommen, und die hat mir bis jetzt schon viele gute Dienste erwiesen. Aber ‚behängt‘ stimmt schon, ich kann mich ja hier zu Tode schleppen“, jammerte das Füchslein und gefiel sich als Drama-Queen, oder richtiger gesagt als Drama-King.
„Jetzt halt aber mal die Luft an“, meldete sich Malusi. Das Zebra in der Gruppe hatte bisher noch kein Wort gesagt. „Weihnachten wird hier in Südafrika natürlich auch gefeiert. Es ist für viele ein Familienfest, bei dem sie Verwandte besuchen oder einladen. Andere stellen wie in Deutschland in den Wochen vor Weihnachten einen Tannenbaum auf und feiern am 25. Dezember ‚Christmas‘. Es gibt als Weihnachtsessen Fisch vom Grill, Salate und Gemüse und zum Nachtisch unser berühmtes Dessert ‚Fruit Mince Pie‘. Das sind kleine Gebäckstücke, gefüllt mit süßen getrockneten Früchten. Die schmecken wirklich prima. Wenn du unser Land mal zur Weihnachtszeit besuchen solltest, musst du die unbedingt probieren. Womit wir dann allerdings nicht dienen können, sind Eis und Schnee. Im Dezember ist hier nämlich afrikanischer Hochsommer. Die Leute feiern im Garten und man kann zum Baden an den Strand oder ins Schwimmbad gehen.
Komm her, deinen Rucksack kann ich mit tragen“, setzte der stämmige Zebra-Boy seine Rede fort. „Aber bitte keine blöden Witze über karierte Rucksäcke und Zebrastreifen, sonst kracht es!“
„Nein, nein, wie werd‘ ich denn“, erwiderte das Füchslein, froh, den schweren Ballast loszuwerden.
„Dann ist es ja gut“, sagte Malusi und hängte sich mit Schwung Tims Rucksack neben seinem eigenen auf den Rücken. Damit sah er nun irgendwie ein bisschen wie ein zu klein geratenes Kamel mit zwei merkwürdig gemusterten Höckern aus. Der Rotfuchs blies die Backen auf und guckte ganz schnell anderswo hin. Jetzt vor Lachen laut loszuprusten wäre ohne Zweifel völlig das Falsche gewesen!
Weiter führte der Weg die kleine Wandergruppe am Fluss entlang. Pieter und Samanta marschierten vorneweg. Auch ohne ihr Lieblingskleid, ihr wisst schon, das rotgepunktete vom Flug, schaute das Gazellenmädchen ganz entzückend aus. Manche Leute sehen eben auch in Uniform gut aus, manche sogar in einem Lumpensack.
Pieter bemerkte davon natürlich nichts. Die ein wenig verliebte Kleine hatte Mut gefasst und bombardierte den Jungen regelrecht mit allen möglichen Fragen zum Ausflug. Doch der Pfadfinder-Chef antwortete Samanta nur zerstreut und konzentrierte sich auf den matschigen Pfad, der inzwischen im hohen Gras kaum noch zu erkennen war. Tim schwatzte mit Malusi, und die Zwillinge hatten natürlich wieder mal was zu tuscheln.
Im Lauf des Vormittags stieg die Sonne weiter am klaren Himmel empor und es wurde immer wärmer und drückend schwül.
Der Fuchs, froh, dass er den Rucksack nicht mehr tragen brauchte, hatte das Pfadfinder-Halstuch abgebunden und zusammengefaltet in die Hosentasche gesteckt. Zur Kühlung trug er sein Hemd weit geöffnet, was die nun überall herumsummenden Mücken offenbar sehr erfreute.
Eigentlich sollen Moskitos ja nachtaktive Tierchen sein, die hier wussten aber scheinbar nichts davon. Jedenfalls bemühten sie sich nach Kräften, Tim zu stechen, wo sie ihn nur erwischen konnten. Sogar mitten auf seiner spitzen Fuchsnase prangte inzwischen eine prächtige, juckende Schwellung. Sozusagen der Häuptling aller Mückenstiche.
„Gut, dass Füchse wenigstens keine Malaria bekommen können“, glaubte unser geplagter Fernreisender zu wissen. Malusi, der offenbar bisher keinen einzigen Mückenstich abbekommen hatte, grinste den Fuchs an.
„An mich gehen diese Biester Gott sei Dank nicht ran, ich bin immun gegen die Stecherei“, freute sich der Zebrajunge.
Mückenstiche, Blutsauger – Tim wurde schmerzhaft an den Zweck seiner Südafrikareise erinnert.
„Ich muss mal dringend vor zum Chef“, sagte er zu Malusi und stiefelte in seinen quietschenden Botten los.
„Du, Pieter“, sagte der Fuchs, an der Spitze ihrer kleinen Wandergruppe angekommen. „Wie ist das eigentlich, ich hab‘ mal gehört, in euren Drachenbergen hier im Hochland von Transvaal spukt es.“
„In deinem Kopf spukt es“, entgegnete der Oberpfadfinder. „Wir latschen nun schon seit über einer Stunde am Flussufer herum, hast du eigentlich inzwischen ein paar von deinen geliebten Pflanzen entdeckt und eingesammelt?“
„Noch nicht so richtig, aber ich guck‘ mir hier ja bald die Augen aus dem Kopf“, nuschelte Tim. „,Meine geliebten Pflanzen‘ sind das übrigens auch nicht unbedingt, wenn du es genau wissen willst. Ist eben ein Schulauftrag. Die wissen, dass ich nach Südafrika reise. Da soll ich mir hier vor allem die Wiesenpflanzen ansehen und dann im Unterricht einen Kurzvortrag darüber halten. Ist etwas merkwürdig, aber nicht zu ändern.“
„Ach, so ist das also“, wunderte sich der Büffeljunge. „Aber nun mal Klartext: Was genau suchst du dabei eigentlich? Welche Pflanzen wachsen denn bei euch in Deutschland eigentlich so auf den Wiesen?“
Gänseblümchen, Butterblumen, Brennnesseln, Löwenzahn,… viel mehr hätte Tim darauf normalerweise nicht zu sagen gewusst. Nun aber antwortete er Pieter voller Fachkenntnis: „Schafgarbe, Spitzwegerich, Huflattich, Klee, Acker-Kratzdisteln, echte Kamille, an Blumen zum Beispiel Margeriten, Luzerne, Klatschmohn, blaue Korn- und Glockenblumen; es gibt ja so viel Schönes in unseren Fluren zu bestaunen.“
Pieter war erstaunt über dieses Wissen. „Einiges davon gibt es hier auch. Halte die Augen offen und such’ mal schön weiter“, riet er dem Fuchs. „Ein bisschen Zeit ist ja noch für deine Pflanzenerforschung übrig. Hauptsache, wir sind pünktlich bei den anderen oben auf dem Falkenberg. Dort können wir dann nach dem Mittagessen über deine Funde reden.“
Wie aber war es eigentlich zu Tims verblüffendem Wissenszuwachs gekommen? Man sagt wirklich nicht umsonst „schlau wie ein Fuchs“: Unser angehender Vampir-Jäger hatte diese Frage der Pfadfinder vorausgesehen und sich gut darauf vorbereitet. Schließlich war er zu Gast bei Samantas Familie in Graskop! Gestern Nachmittag hatten die Kinder dort im Garten herumgealbert und im Pool geplanscht. Das Bad war sehr erfrischend gewesen, aber irgendwie für Tim auch recht anstrengend. Er hatte nämlich ständig mit einer Hand die viel zu große Badehose, eine Leihgabe von Samantas älterem Bruder George, festhalten müssen. Aber schließlich war es ihm doch gelungen, die absolute Peinlichkeit eines völlig nackigen Fuchses im Schwimmbecken einer fremden Familie zu vermeiden. Am späten Abend hatte er noch vom Gazellenmädchen ein Küsschen auf die Wange gedrückt bekommen. Dann war er zum Schlafen ins geräumige Gästezimmer geschickt worden. Im Bett hatte Tim dann in den untersten Tiefen seines unergründlichen Rucksacks gekramt und schließlich das kleine iPad, seinen treuen Reisebegleiter, zutage gefördert. Der Rest war dann dank Papa Gazelles WLAN-Anschluss, Google und Wikipedia, dem Wissensspeicher im Internet, sozusagen ein Kinderspiel gewesen.
Weiter ging es für die Wanderer auf dem schmalen Pfad durch die feuchten Wiesen am Fluss. Tim, der gerne etwas über Vampire und alte Schlösser oder Burgen hier in der Gegend erfahren hätte, war mit seiner Spuk-Anfrage bei Pieter nicht weitergekommen. Dafür hielt er nun nach verschiedenen blöden Blümchen Ausschau. Rote, blaue, gelbe,… irgendetwas musste er sich jetzt genauer anschauen und möglichst in seine Botanisiertrommel einpacken.
„Schau mal, Pieter, dahinten, die schöne weiße. Die sieht aus wie eine besonders große Glockenblume. Nur eben weiß gefärbt. Seltsam, die guck’ ich mir mal aus der Nähe an.“ Tim verließ den Weg und machte sich querfeldein Richtung Blume auf die Socken.
Die Pfadfinder hörten ihn laut irgendetwas schimpfen, das sich wie „dämlicher Schlamm“ anhörte. Dann klatschte es und der Fuchs verschwand von der Bildfläche. Er war im Matsch ausgerutscht und mit dem Po in einer beachtlichen Pfütze gelandet. Allerdings: Genau vor seiner spitzen Nase baumelte nun die Blüte, wegen der er in diese dumme Lage geraten war. Na, wenigstens etwas, dachte der Fuchs und rieb sich seinen feuchten, schmerzenden Hosenboden. „Gleich siehst du diese schöne Botanisiertrommel von innen“, rief er und trennte mit dem Taschenmesser die weiße Blüte ab. Die Pflanze verströmte einen süßlich-schweren Duft. Tim wurde etwas schwindlig. Er richtete sich auf und rief Pieter lauthals zu: „ICH HAB SIE.“
„WER HAT WAS?“, antwortete der Büffeljunge. Er blieb stehen und blickte verblüfft in die Richtung, in die der Fuchs verschwunden war. Suchend streifte sein Blick über die leere Wiese. Sanft wiegten sich Halme und Blumen im Wind. Sonst war außer einer eingedrückten Stelle im hohen Gras nichts zu sehen, kein Rotpelz weit und breit!
„Na, hier stehe ich doch“, brüllte Tim zurück, „ihr müsst mich doch sehen.“ Nun blieben auch die anderen Pfadfinder stehen und starrten auf die Wiese.
„Nö, da ist niemand“, sagte Malusi. „Aber, wer blökt hier rum, und wo ist eigentlich unser Forschungsreisender abgeblieben?“
„Die tun ja gerade so, als ob ich unsichtbar bin“, dachte der Fuchs. „Vielleicht bin ich es auch“, überlegte er weiter. „Aber sowas gibt’s ja gar nicht. Das ist Quatsch, völliger Unfug.“ Erneut hörte er, wie die Pfadfinder nach ihm riefen. Und das, obwohl er aufgerichtet und gut sichtbar dastand.
Tim wurde schlecht. Er fing an zu zittern. Die Beine wurden weich, die Knie knickten ein und plumps, saß er wieder im Matsch auf dem Hintern. Dabei fiel ihm die Blüte, die ihn in diese miese Lage gebracht, aus der Hand.
„Was soll’s, dann nehme ich eben eine andere“, schimpfte der Fuchs und stand wieder auf.
„Na also, da bist du ja“, hörte er Malusi rufen. „Gott sei Dank, wo warst du denn bloß? Kugelst du dich hier im hohen Gras rum?“, auch Pieter klang erleichtert.
„Ihr könnt mich jetzt sehen?“, schallte Tims Stimme über die Wiese hinüber zu den anderen.
„Klar doch, warum auch nicht. Wir sind doch nicht blind“, antwortete der Büffeljunge prompt.
In diesem Moment fiel beim Fuchs der Groschen. So sagt man jedenfalls, wenn einem ganz plötzlich etwas klar wird.
„Guckt noch mal ganz genau zu mir rüber“, rief er seinen Wandergefährten, die immer noch auf dem Wiesenweg standen, zu. „Ich hebe jetzt die weiße Blume wieder vom Erdboden auf, passiert da irgendetwas?“
Die Pfadfinder sahen, wie sich Tim bückte. Kaum hatte er die Blüte in der Hand, flimmerte die Luft ein wenig, und weg war er. Verblüfft starrten alle auf die nun wieder scheinbar völlig fuchslose Wiese.
Erneut flimmerte es in der Luft und Tim, der die Pflanze wieder im Gras abgelegt hatte, erschien so plötzlich wie ein Flaschengeist.
„Habt ihr’s kapiert?“, schrie der wieder Sichtbare. „Ohne Blume – Fuchs, mit Blume – kein Fuchs. Da ich euch die ganze Zeit gesehen oder wenigstens gehört habe, war ich hier nie weg. Das bedeutet, dass meine große weiße Blüte“, Tim deutete auf das abgeschnittene Gewächs zu seinen Füßen, „unsichtbar macht. Jedenfalls, wenn man sie in die Hand nimmt. Lege ich sie ab, schwupps, bin ich wieder zu sehen.“ Der Fuchs machte das Ganze noch mal vor, und es klappte erneut tadellos. Den Pfadfindern stand vor lauter Staunen der Mund weit offen.
„So etwas gibt es doch gar nicht“, brabbelte Malusi. Der Zebrajunge hatte die beiden Rucksäcke vor sich abgestellt und machte nun einen unbeholfenen Stolperschritt darüber.
„Wenn’s so ist, dann ist es eben so“, sagte Pieter zum Fuchs auf der Wiese. „Das nenn’ ich mal eine Weltsensation, wahrscheinlich wirst du berühmt damit. Vielleicht kann dir die Blume auch mal von großem Nutzen sein. Aber, wie willst du sie eigentlich transportieren, wenn du dann gleich unsichtbar wirst? Und nun komm erst mal wieder zu uns auf den Weg zurück. Wir sind schon etwas spät dran und müssen weiter.“