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Carola Huflattich liebt Fußball und Eis, tobt gerne und ist Expertin im »Nachdenken«. Sie denkt über knifflige Fragen nach, zum Beispiel darüber, warum Hühner keine viereckigen Eier legen. Dummerweise gibt es das Schulfach Nachdenken nicht. Und in Mathematik und Deutsch ist Carola nun mal keine Expertin. Als sie eines Tages das Schulgespenst Buh trifft, scheint die Lösung gefunden. Beide tauschen die Rollen. Während Buh in Carolas Gestalt die Schulbank drückt und sich als Musterschülerin entpuppt, kann Carola in Gespenstergestalt endlich all das tun, wozu sie Lust hat. Nur merkt sie bald, dass auch das Gespensterleben seine Schattenseiten hat. Doch Buh weigert sich, den Tausch rückgängig zu machen.
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Seitenzahl: 82
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das Schulgespenst
Carola Huflattich besaß mehrere Leidenschaften. Sie aß Eis, spielte Fußball, bekritzelte die Wände und dachte so ungeheuer nach, dass es krachte.
Einige aus ihrer Klasse sagten: »Carola ist ein Spinner!«
Sie selbst bezeichnete sich als Experten.
Experte heißt so viel wie Fachmann.
In Mathe und Deutsch konnte sie sich nicht gerade als Experten bezeichnen. Dafür aber umso mehr in Sport und im Nachdenken. Dummerweise gab es kein Fach Nachdenken. Wenn es das gegeben hätte, wäre Carola Huflattich die Beste geworden.
Beim Nachdenken war sie darauf gekommen, dass alle Dinge, wie eine Medaille, zwei Seiten besaßen.
Zum Sportfest hatte Carola so eine Medaille erhalten. Auf der einen Seite war ein Lorbeerzweig abgebildet – Für gute sportliche Leistungen.
Auf der Rückseite stand der Spruch: Denke stets daran, dass Lorbeer welken kann!
Diese Seite nannte man die Kehrseite der Medaille.
Carola war der Meinung, diese Kehrseite müsste abgeschafft werden. An der Schule fand sie neben den Sportstunden die Pausen am schönsten. Kaum war man aber in der Pause so richtig in Schwung gekommen, hatte beim Einkriegezeck vergessen, sein Butterbrot zu essen, klingelte es wieder zur Deutschstunde. Das war dann die Kehrseite der Medaille.
Hatte man Glück, wurde in der Deutschstunde eine lustige Geschichte aus dem Lesebuch vorgetragen. Kaum aber hatte man Spaß daran gefunden, hieß es: »Zähle, wie viele Substantive und wie viele Verben in der Geschichte enthalten sind!«
Zählen konnte Carola bis 9999. Aber welches waren nun die verfluchten Substantive und welches die verdammten Verben?
Wenn man die Kehrseite abschaffte, würde es in der Schule nur noch Sportstunden und Pausen geben. Und wenn es wirklich einmal zu langweilig werden sollte, könnte Frau Prohaska eine Geschichte vorlesen. Nur diese Zählerei der Substantive und der Verben sollte, bitte schön, unterbleiben!
Carola wusste, dass sich die Lehrer gegen diese Neuerung wehren würden.
Wenn die unsereins nicht zum Ausfragen, Wettrechnen, zum Diktatschreiben hätten, würden die glatt vor Langeweile Fliegen fangen, dachte sie.
Nein, die Lehrer brauchten ihre Beschäftigung!
Vielleicht gab es jemand, der für Carola in den Unterricht ging! Aber wer würde schon so blöd sein?
Je länger sie überlegte, umso klarer wurde ihr, dass dieser Jemand nur ein Gespenst sein konnte.
Doch wie findet man Gespenster?
Vielleicht konnte Willi Neuenhagen diese Frage klären helfen. Willi wohnte wie Carola in der Stadtrandsiedlung. Sie gingen in dieselbe Klasse. Leider war Willi kein Experte im Nachdenken. Willi war es gleichgültig, warum die Hühner eiförmige Eier und nicht eckige legten. Genauso wenig interessierte er sich dafür, wo denn die Stunden eigentlich blieben, die so Tag für Tag vergingen. Dem Willi reichte es, wenn seine Hausaufgaben stimmten.
So war es kein Wunder, dass Carola Willi zu Hause am Tisch sitzend, über die Schularbeiten gebeugt, fand, obwohl das Wetter nicht auszuhalten schön war.
»Gut, dass du kommst, so können wir die Hausaufgaben zusammen erledigen«, sagte Willi zur Begrüßung.
»Hausaufgaben«, sagte Carola, »ich habe ganz andere Probleme!«
Und sie erzählte Willi, was sie sich ausgedacht hatte.
»Gespenster leben gewöhnlich in alten Schlössern, in Türmen, in Grüften …«, sagte Willi und dachte, damit wäre die Frage erledigt.
»Ha«, sagte Carola, »in unserer Stadt gibt es so etwas nicht!«
»Du mit deinen Gespenstern lenkst einen nur ab«, sagte Willi.
Daran sah man, was für ein Sturkopf dieser Willi war!
Carola ließ nicht locker. »Früher haben die Leute Zylinder getragen. Früher gab es eine Pferdebahn. Und früher haben die Lehrer die Kinder geprügelt. Du, Willi, vielleicht sind auch die Gespenster anders geworden.«
»Wenn du mich jetzt nicht in Ruhe arbeiten lässt, kannst du nicht von mir abschreiben!«
»Na schön, trotzdem könnte es doch wohl sein, dass sich die weiße Frau in ein Betriebsküchengespenst verwandelt hat und bei meinem Vater im Betrieb immer das Essen versalzt.«
»Ja«, sagte Willi aufgebracht, »und August der Kopflose ist jetzt ein Schulgespenst, das nachts Kreide frisst …, hau bloß ab, Mann!«
Carola schob gezwungenermaßen ab.
Sie musste zugeben, dass Willi, obwohl er kein Experte war, manchmal auch auf vernünftige Ideen kam.
Ein Schulgespenst, das war etwas Neues in der Gespensterwelt.
Todsicher würde es im Schulkeller hausen.
Schon stand Carola vor dem Schulgebäude. Natürlich, der Hausmeister Potter hatte den Kellereingang verschlossen. Aber man gelangte, wenn man nicht auf den Kopf gefallen war, auch durch den Flur des Schulhauses in den Keller.
Dieser Keller hatte leider überhaupt nichts Grusliges vorzuweisen.
Er war elektrisch beleuchtet und ekelhaft gut aufgeräumt.
In einer Ecke standen Schulmöbel, in der anderen ein Stapel Altpapier und der Korb mit Decke, in dem der Kater Munk sein Mittagsschläfchen hielt.
Carola wusste, das Gespenst würde sich nur hervorlocken lassen, wenn sie sich gruselte. Sie legte die Hände vor das Gesicht und schloss die Augen. Sie versuchte, sich die Fratzen der Gestalten vorzustellen, die sie auf dem Rummel in der Geisterbahn gesehen hatte. Aber schon damals war sie darauf gekommen, dass diese Figuren aus Pappe bestanden. Wie sollte sie sich jetzt davor fürchten!
»Als Experte muss man das ganz anders anstellen«, sagte sie laut.
»Ich gehe über einen Friedhof. Der Wind heult …«
Carola ahmte das Heulen des Windes nach. »Die Glocke vom Turm schlägt zwölfmal. Aus den Gräbern steigen entsetzliche Gestalten.« Ausgerechnet an dieser Stelle begann eine dicke Fliege um Carolas Kopf ihre Runden zu drehen. Mal summte es an ihrem rechten Ohr, mal an ihrem linken.
»Mann, ich bin doch keine Radrennbahn!«, sagte Carola.
Und sie wusste, mit dem Gruseln würde es heute nichts werden.
Es geschah in der Mathematikstunde bei Frau Prohaska.
»Neunundsechzig plus x ist gleich vierundachtzig.«
X oder y, dachte Carola, die Hauptsache ist, dass ich nicht seekrank werde. Sie stellte sich nämlich gerade vor, mit dem Schiff über dasweite Meer zu fahren. Die See ging hoch, und das Schiff hatte schwere Schlagseite. Plötzlich gab es einen furchtbaren Stoß.
War das Schiff auf ein Riff gelaufen?
Carola saß auf den Trümmern ihres Stuhls unter dem Tisch.
Die Klasse kicherte.
Frau Prohaska war besorgt.
»Wie konnte das nur passieren?«
Stefan Wedekind, der beste Schüler, meldete sich.
»Die Huflattich hat gekippelt. Ich hab es genau gesehen!«
»Ich gekippelt! Bei dir piepen sie wohl! Der Stuhl ist von Holzwürmern zerfressen.«
»So«, sagte Frau Prohaska, »nun wird das Fräulein Huflattich mit den Trümmern des Stuhles zum Hausmeister Potter gehen und den Fall klären!«
Carola dachte: Au, Mann, olle Potter wird wieder einen feurigen Drachen steigen lassen wegen des dämlichen Stuhls!
Glücklicherweise fiel Carola im Treppenhaus ein, dass im Keller der Schule genügend Stühle herumstanden.
Warum sollte sie wegen dieser lächerlichen Kleinigkeit erst den guten Meister Potter belästigen!
Die ganze Angelegenheit wäre ohne Aufsehen in Ordnung gekommen, hätte nicht Herr Perleberg in dieser Stunde bei den Großen im zweiten Stockwerk Physik unterrichtet.
»Herrschaften, die Elektrizität ist eine gewaltige Kraft!«, rief Herr Perleberg aus. »Sie kann Bäume ausreißen und Berge versetzen. Aber sie erleichtert uns auch die Arbeit im täglichen Leben. Als Beispiel möchte ich euch meinen selbstgebastelten Patenteierkocher vorführen. Ihr werdet staunen!«
Herr Perleberg betätigte einen kleinen Schalter an dem Gerät. Es gab einen bläulichen Blitz.
»Das ist nun ein Kurzschluss«, sagte Herr Perleberg im zweiten Stock und tat so, als würde das zu seinem Experiment gehören.
Im Keller verlöschte das Licht.
Gerade in diesem Augenblick hatte sich im Keller der Kater Munk entschlossen, vom Schrank auf den Fußboden zu springen, um ein wenig an Carolas Beinen entlangzustreichen.
»Buh-ich-hab-Angst!«, schrie Carola. Sie gruselte sich wenige Sekunden schrecklich.
»Buh-ich-hab-Angst!«, schrie sie noch einmal lauter, so, dass es durch das ganze Schulhaus schallte.
Dann merkte sie, dass es der Kater war, der an ihren Füßen entlangstrich.
Wenn mich jemand brüllen gehört hat, bin ich blamiert, dachte sie.
Frau Prohaska trippelte, so schnell es ihre hohen Absätze erlaubten, hinunter in den Keller. Als sie die Tür aufriss, fiel für einen Augenblick ein Lichtschein vom Treppenfenster in den Keller.
Frau Prohaska stürzte zu Carola.
»Was ist passiert?«
»Ein Gespenst!«, sagte Carola. Sie sprach mit furchterregender Stimme.
»Unsinn, es gibt keine Gespenster!«
Trotzdem zitterte die Lehrerin. Und dafür schämte sie sich, denn Lehrer dürfen von Berufs wegen nicht an Gespenster glauben. Sie war sehr froh, als das Licht wieder aufflammte und Herr Palisander, Lehrer für Sport und Geschichte, in den Keller gerannt kam. Auch er hatte Carolas Schrei gehört.
»Kollegin Prohaska, ist Ihnen nicht gut? Sie sind bleich wie eine Kalkwand!«
»Wenn Sie das durchgemacht hätten, würden Sie auch eine Kalkwand sein!«, sagte Carola. »Wir haben soeben ein Gespenst erblickt!«
»Ach nee«, sagte Herr Palisander und musterte Frau Prohaska mit einem erstaunten Blick. Die Lehrerin bekam wieder Farbe. Sie wurde rot.
»Ich habe kein Gespenst gesehen!«
»Dein Gespenst, wie sah es denn aus?«, fragte Herr Palisander Carola.
»Es war groß und wieder klein.«
»Und natürlich dick und dünn!«
»Sehr richtig, Herr Palisander. Es war auch ein bisschen grau rötlich.«
»Vielleicht auch gelb bläulich?«
»Ja, das auch!«
»Zeig uns doch dein Gespenst!«, sagte die Lehrerin.
Reinlegen lasse ich mich nicht!, dachte Carola. So schlau wie die Lehrer bin ich schon lange.
Sie zeigte auf einen alten Schrank.
»Dort ist das Gespenst!«
Frau Prohaska zuckte zusammen, aber sie konnte beim besten Willen nichts entdecken.
»Ein sehr seltsames Gespenst«, sagte Herr Palisander.
Drei Mäuse, von Kater Munk verfolgt, huschten über den Kellerboden.
»Vielleicht ist das Gespenst eine Maus oder der Kater. Es kann sich in alles Mögliche verwandeln!«
Carola griff in die Luft.
»Jetzt ist das Gespenst Luft. Ich habe es in der Hand.«
Plötzlich krümmte sich Carola und kicherte.
»Was ist mit dir? Bist du krank?«, fragte Frau Prohaska besorgt.
»Nein, nein«, rief Carola kichernd. »Ich habe nur einen Lachkrampf, weil das Ding in meiner Hand so kitzelt.«
»Steck doch das Gespenst lieber in die Hosentasche!«, sagte Herr Palisander.
Das tat Carola, und sie fühlte sich gleich wohler.
»Vergiss nicht den Stuhl.«
Carola befreite einen der neuen Stühle aus seiner Verpackung.
»Du nimmst einen alten!«, sagte Frau Prohaska.