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June Drummond (* 15. November 1923; † 3. Juni 2011) wurde in Durban/Südafrika geboren, besuchte das dortige Mädchen-College und später die Universität von Kapstadt, die sie mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Arts verließ. Bereits als Kind begann sie mit schriftstellerischen Versuchen, später schrieb sie Kriegsgeschichten und Lyrik. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr lebte sie mit Unterbrechungen in Natal und der Kap-Provinz, dann verließ sie Afrika und lebte und arbeitete seit 1954 in England.
Der Kriminalroman Das schwarze Einhorn (erstmals im Jahre 1959 erschienen; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1963) ist das brillante Debut der südafrikanischen Autorin. Vor einem romantischen und ganz ungewöhnlichen Hintergrund führt eine rätselvolle und fesselnde Geschichte durch ungewöhnliche und immer erregendere Szenen. Eine Besitzung in der Nähe von Kapstadt, die Städte Durban und Johannesburg und die schmutzigen, gärenden, von Bantus bewohnten Slums sind die wichtigsten Schauplätze dieser faszinierenden Geschichte aus dem Süden des Schwarzen Kontinents...
Der Apex-Verlag veröffentlicht Das schwarze Einhorn in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2021
JUNE DRUMMOND
Das schwarze Einhorn
Roman
Apex Noir, Band 16
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
DAS SCHWARZE EINHORN
ERSTER TEIL
ZWEITER TEIL
DRITTER TEIL
June Drummond (* 15. November 1923; † 3. Juni 2011) wurde in Durban/Südafrika geboren, besuchte das dortige Mädchen-College und später die Universität von Kapstadt, die sie mit dem akademischen Grad eines Bachelor of Arts verließ. Bereits als Kind begann sie mit schriftstellerischen Versuchen, später schrieb sie Kriegsgeschichten und Lyrik. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr lebte sie mit Unterbrechungen in Natal und der Kap-Provinz, dann verließ sie Afrika und lebte und arbeitete seit 1954 in England.
Der Kriminalroman Das schwarze Einhorn (erstmals im Jahre 1959 erschienen; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1963) ist das brillante Debut der südafrikanischen Autorin. Vor einem romantischen und ganz ungewöhnlichen Hintergrund führt eine rätselvolle und fesselnde Geschichte durch ungewöhnliche und immer erregendere Szenen. Eine Besitzung in der Nähe von Kapstadt, die Städte Durban und Johannesburg und die schmutzigen, gärenden, von Bantus bewohnten Slums sind die wichtigsten Schauplätze dieser faszinierenden Geschichte aus dem Süden des Schwarzen Kontinents...
Der Apex-Verlag veröffentlicht Das schwarze Einhorn in seiner Reihe APEX NOIR, in welcher Klassiker des Hard-boiled- und Noir-Krimis als durchgesehene Neuausgaben wiederveröffentlicht werden.
Erstes Kapitel
In der Woche vor Max St. Cyrs Tod stieg das Thermometer auf nahezu vierzig Grad im Schatten. In den Weingärten rührte sich kein Windhauch. Extra Feuerwachen patrouillierten durch die Pinienwälder oberhalb des Hauses. Das Fell der Stallkatze knisterte vor Elektrizität. Dieses für das Frühjahr gänzlich ungewöhnliche Wetter endete mit einem Sturm, der wie ein wildgewordenes Pferd mit glänzenden Hufen und triefender Mähne das Constantine Valley entlangtobte. Aus den Feldern stieg, wie ein Seufzer der Erleichterung, Dampf empor.
Manchmal kommt es mir vor, als habe diese Woche unerträglicher Hitze zu Max’ Tod beigetragen, indem sie die seit Monaten unterdrückt brodelnden Gemütserregungen vollends zum Kochen brachte. Während der letzten zwei Jahre habe ich viel über die Vergangenheit nachgedacht und mich gefragt, wo ich wohl Fehler gemacht habe. Ich zog Max auf und half seinen Charakter formen. Ich bin alt. Meine Erinnerung reicht weit zurück.
Als Sechzehnjährige betrat ich vor sechzig Jahren zum ersten Mal Arcenciel - den harten runden Hut in die Stirn gedrückt und in den Schuhen meiner Schwester, die eine Nummer zu klein waren und jeden Schritt zur Qual machten. Ich erinnere mich, wie mein Vater mich bei der Hand nahm und sagte: »Sieh, Emma, dort über der Tür.« Und ich blickte auf und las über den geschnitzten Früchten und Göttinnen den Spruch: à corps perdu - mit ganzer Kraft.
Mein Vater war ein ruhiger Mann - ein Gelehrter, der in der Schule für farbige Kinder auf dem St. Cyr'schen Besitz unterrichtete. Er hatte den kühlen skandinavischen Kopf seiner Großmutter geerbt, aber ich schlug nach der Familie meiner Mutter, und ich glaube, er befürchtete, mein leichter Hang zu Aufsässigkeit würde meine Erfolgschancen zunichtemachen.
Er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen. Arcenciel war Ende des siebzehnten Jahrhunderts von einem Rebellen erbaut worden, und der Spruch über der Tür war gut gewählt. Ich kam in ein Haus, in dem man es als völlig normal empfand, à corps perdu zu leben, in dem man sieh unter Einsatz aller Kräfte Kenntnisse aneignete, herrschte, liebte, kämpfte und lachte. Meine kleinen Anfälle von Aufsässigkeit wären nur kleine Trauben in diesen Weingärten gewesen.
Ich begann als Hilfshausmädchen. Aber ich verliebte mich in die St. Cyrs, arbeitete schwer, um ihnen zu gefallen und erhielt auch meine Belohnung, denn als Max’ Mutter ihr erstes Kind erwartete, bestimmte sie mich dazu, seine Pflegerin zu sein. Damals war ich neunzehn Jahre alt.
Max wurde geboren, und er wurde mein Kind - wenn schon nicht mein leibliches, dann zumindest meinem Gefühl nach. Er war zehn Jahre alt, als Mrs. St. Cyr starb.
Von Anfang an entwickelte Max eine bewundernswerte Sprachbegabung. Er sprach Englisch und Afrikaans mit Selbstverständlichkeit und unterhielt sich mit seinem Vater auf Französisch. Er schnappte das taal der Weinbergarbeiter und die Dialekte der Bantu-Hausangestellten auf, die zumeist Zulus aus Natal oder Basutos aus dem gebirgigen Norden waren. Max war ein ausgezeichneter Schütze und ritt gern, so dass Mr. Cyr ihn oft auf Geschäftsreisen ins Hinterland mitnahm und ihm erlaubte, gelegentlich eine Woche lang auf Jagd zu gehen. Bei einer dieser Safaris kam Max in Berührung mit den Afrikanern der Velds, die noch immer streng nach ihren Stammesgesetzen leben. Max begann, sich für die Sitten und das Leben der Eingeborenen zu interessieren, und als er mit der Schule fertig war, ging er zur Universität, um Bantusprachen zu studieren. Er promovierte, aber es drängte ihn dazu, die akademische Welt zu verlassen und mehr von dem lebendigen Afrika kennenzulernen, das so anregend auf seine Phantasie wirkte.
Wenn Max in den späteren Jahren die Schranke zwischen Schwarz und Weiß missachtete, so geschah das nicht aus dem Wunsch heraus, die Ansicht anderer Leute geringzuschätzen, sondern deshalb, weil er sich ganz einfach keine Rechenschaft der vorherrschenden öffentlichen Meinung ablegte.
Sein Vater starb, als Max zwanzig war, und hinterließ ihn in sehr guten Verhältnissen und als Eigentümer von Arcenciel, was an sich eine schwere Verantwortung bedeutete. Als er dreißig war, hatte sein Name in Südafrika Gewicht, und er hatte viele Freunde und ausreichend Feinde, um ihn in gewisser Weise als Mann von Bedeutung erscheinen zu lassen.
Er war ein Liberaler. Er sah die zur Erhaltung der alten Ordnung entschlossene Regierung im Süden und die Infiltration des Kommunismus im Norden. Als Gegner sowohl der Apartheid als auch des Kommunismus stand er zwischen zwei Feuern.
Die Gefahr zu erkennen, nachdem alles vorüber ist, ist immer einfach. Früher, als Max jung war, hatte er so viel Temperament, Mut und Humor, dass es schien, nichts könne ihm etwas anhaben. Er war ein kleiner Mann mit gebogener Nase und Augen, die die Farbe von blassem Topas hatten; er hatte breite Schultern - alles in allem: ein vitaler und zäher Bursche. Die Eingeborenen nannten ihn den Königsreiher. Er war kraftvoll und erfinderisch und erfüllte Arcenciel mit Leben und Heiterkeit.
Nie erinnere ich mich an das alte, wirkliche Arcenciel, ohne Stimmen zu hören. Männer kamen ins Haus, um zu qualmen, sich aufzuspielen oder um loszudonnern - aber immer, um sich zu unterhalten. Während der langen Sommernächte unterhielten sie sich auf der Veranda. Sie unterhielten sich im Wohnzimmer. Sie kamen in die Küche und in den Garten - Männer aus Westafrika, deren Haut die Farbe roter Trauben hatte, Araber aus Sansibar und Mashonas aus Rhodesien; manchmal auch Weiße, die aus diesem oder jenem Grunde an den Hintertüren der Welt Gefallen gefunden hatten - Heilige, Bösewichte und Verrückte, die alle Städte, Häuser und Türen mieden und auch Arcenciel gemieden hätten, wäre Max nicht gewesen.
Manchmal brachten sie Geschenke, manchmal Neuigkeiten, die Max dazu brachten, eine seiner Reisen ins Hinterland anzutreten. Einer dieser Besucher, ein Mann aus dem Norden, war es auch, der an die Küchentür kam und Max zu sprechen wünschte - vier Tage, bevor er ermordet wurde.
Zweites Kapitel
Der Sturm war vorüber. Die angeschwollenen Flüsse unseres Tales standen so hoch, dass sie ihre grasigen Ufer überschwemmten, aber das Land atmete ruhig und gleichmäßig, wie ein afrikanisches Kind, das mit Tränen auf den Wangen schläft.
Die Familie saß draußen auf der vorderen Veranda, trank Kaffee und unterhielt sich über Politik. Ich warf einen Blick auf die Veranda, um nachzusehen, ob sie etwas brauchten, und um einen Schal um Roses Schultern zu legen, denn die Luft war frisch. Und ich blieb einen Augenblick stehen, um das Gefühl zu genießen, sie alle beisammen zu haben: Max, Rose in ihrem Korbliegestuhl, Conrad, Paul und Pieter, die auf dem Verandageländer saßen, und Caroline, die sich sachte auf der Hollywoodschaukel wiegte.
Einen Augenblick lang empfand ich Frieden. Dann ging der Augenblick vorüber, und ich verfiel in bittere Betrachtungen über die beiden Fremden in unserer Mitte, Oliver Pratt und Gervase Hughes-Whyte, unseren nächsten Nachbarn. Gervase konnte ich von jeher nicht ausstehen. Er erzählte gerade eine Geschichte, wobei er in dem Versuch, gleichzeitig zu reden und zu trinken, in seine Kaffeetasse prustete. Er hatte zu viel Cognac getrunken.
»Vierundfünfzigtausend«, sagte er, »vierundfünfzigtausend und ungeschliffene Diamanten, wohlgemerkt. Hunde vergiftet, Safe aufgebrochen. Ich sag’ Ihnen, die sind schnell bei der Hand, diese Nigger aus Johannesburg. Lasst sie ruhig von der Polizei zusammenschlagen, sag’ ich. Nur ein Afrikaner weiß, wie man mit einem Eingeborenen umgehen muss.«
Gervase war kein Afrikaner. Er redete immer auf diese Weise über Johannesburg. Er betrachtete es als Brutstätte für Verbrecher, die eines Tages auch nach Kapstadt kommen und ihn überfallen und ausrauben würden. Sein Haus war ein Paradies für Diebe. Jade, Teppiche aus Aubusson und Porzellan, das aussah wie das Fleisch der Honigtrauben - Gervase hatte alles gesammelt, wie ein Schwein Trüffeln findet, einfach durch Herumschnüffeln.
Vielleicht spürte er meinen Blick, denn er sah zu mir auf. Sein Ausdruck verriet in wohlerzogener Weise die Frage, wieso es hier einem Dienstboten erlaubt war, hereinzukommen, solange Gäste da waren. Ich ging ruhig auf den Hintergrund der Veranda zu. Max und die Jungen unterhielten sich noch immer über die Welle von Verbrechen in Johannesburg und hatten Gervases Blick nicht bemerkt, aber als ich an Caroline vorbeiging, sah sie mich an und blinzelte mir zu. Es versetzte mir einen Stich, als ich sah, dass Oliver Pratt neben ihr saß und ihre Hand streichelte. Ich hatte nicht bemerkt, dass er sich zu ihr hingeschlängelt hatte. Oliver war so - wie eine Schlange, ein Chamäleon oder eine Stechmücke. Manchmal stand er schon eine ganze Weile neben einem, bevor man ihn sah.
So war es zum Beispiel gewesen, als er vor drei Monaten zum ersten Mal nach Arcenciel gekommen war. Es war spät am Nachmittag, und ich hörte, wie Conrads Wagen auf den Hof fuhr und ging ans Fenster meines Zimmers, um Con zu bitten, mir eine Melone im Küchengarten abzuschneiden. Erst als ich mich schon ein paar Minuten mit ihm unterhalten hatte, bemerkte ich diesen anderen Mann, der dastand und mich beobachtete. Er erweckte Interesse. Sein Kopf war seltsam geformt, mit breiter Stirn und sehr schmalem Kinn, seine Anzüge waren tadellos geschnitten und seine Augen dunkel, glänzend und kalt. Er erinnerte mich an eine Kobra.
Mit dem wird’s noch was geben, hatte ich gedacht. Dann kamen Paul und Caroline aus dem Haus, und ich sah, was passieren würde. Als ich sah, wie Oliver sich schnell und ruhig, mit der Grazie eines Leoparden, auf sie zubewegte - als ich sah, wie er lächelte und Carolines Hand nahm, wusste ich, dass er Charme hatte und ihn anzuwenden beabsichtigte.
Er bezauberte sie alle. Caroline war fasziniert von ihm. Paul bewunderte und pries ihn ganz offen. Pieter imponierten seine Kriegserlebnisse. Ich zweifle nicht daran, dass Oliver Mut hatte. Ich glaube, er war der Typ Mann, der keinen Sinn für persönliche Gefahr hat, ein Mangel, der so oft mit einem Mangel an Mitleid oder Barmherzigkeit Hand in Hand geht. Wie dem auch war - er war verwegen und hatte ein gutes Mundwerk, obwohl ich glaube, dass ihm sein Beruf als Vertreter zuwider war.
Einzig Conrad war gegen ihn immun. Max fand ihn amüsant. »Er ist ein Halunke«, sagte er einmal zu mir, »ein aalglatter Wortverdreher, und ich werde es ihm noch mal eintränken, aber zum Kuckuck, Emmie, ich muss über ihn lachen.«
Oliver kam, um ein paar Tage zu bleiben. Damit schob ei den Fuß in die Tür, und drei Monate später war er ein regelmäßiger Besucher und wohnte immer, wenn sein Job ihn nach Kapstadt führte, bei uns. Bald benahm er sich beinahe so, als gehörte er zur Familie. Er stärkte seine Position dadurch, dass er Carolines Zuneigung gewann, die, was die Raschheit ihrer Entscheidungen und ihre Treue anbetraf, viel von Max hatte. Nachdem er einmal Caroline für sich gewonnen hatte, verschwand jeglicher Widerstand gegen ihn.
Das also war Oliver - ein Glücksritter, inoffiziell mit der Erbin eines großen Vermögens verlobt, mit berechnenden Augen auf Arcenciel blickend und jederzeit bereit, seine eigene Großmutter für einen Pappenstiel zu verkaufen.
An diesem Frühlingsabend, als ich an der Hollywoodschaukel vorüberging, sah ich, halb in der Erwartung, seinem Blick zu begegnen, auf ihn hinunter. Aber Oliver schien mich nicht zu sehen. Er hörte Gervase Hughes-Whyte zu, der noch immer gegen das Johannesburger Übel donnerte. Während ich Oliver beobachtete, beugte er sich vor. Ein Lichtschein aus der offenen Tür fiel auf sein Gesicht, und ich sah, dass seine volle Aufmerksamkeit Gervase galt, der gerade die Cognacflasche am Hals hielt und sie gegen Max schwang.
»Hör, Max«, sagte er, sich Cognac ins Glas gießend, »gerade Burschen wie du sind daran schuld, wenn wir alle abgemurkst oder hier rausgeschmissen werden. Siehe Indien, siehe Ghana. Wart nur, bis es soweit ist.«
Max verschränkte die Hände hinter dem Nacken und sagte träge: »Gervase, du bist ein Spießer. Du betrachtest Afrika als eine Art wildgewordenes Rhinozeros, als etwas Grausames, Einfältiges und Bösartiges. Afrika ist ein Einhorn, Mann - ein schwarzes Einhorn.«
»Ich fürchte, ich glaube nicht an Fabelungeheuer.«
Conrad lachte. »Gentlemen, es gibt ja auch kein solches Tier.«
»Natürlich gibt es keine Einhörner«, sagte Gervase. »Aber selbst, wenn es welche gäbe, wie würdet ihr sie behandeln?«
»Mit Lächeln und Seife«, sagte Conrad.
Max brummte. »Die Frage lautet, wie würde das Einhorn mich behandeln? Sieh, Gervase, es gibt Millionen von Schwarzen auf diesem Kontinent. Bis vor kurzem haben sie nach ihren Stammesgesetzen gelebt und an allen möglichen Stammeszauber geglaubt. Wir haben ihr System zu leben, zerstört, aber wir haben keine Zeit gehabt, ihren Glauben zu ändern. Wie können wir den Kodex der Weißen einfach auf sie anwenden? Unsere Gesellschaft ist nicht in Stämme, sondern sozusagen horizontal in Klassen eingeteilt. Wir versuchen, alle Schwarzen in die unterste Klasse zu zwängen, weil uns nichts Besseres einfällt. Wir machen aus Prinzen Arbeiter, aus Kriegern Zuhälter, aus Propheten Taschendiebe. Dann sind wir erstaunt, wenn wir nicht mit ihnen fertig werden.«
»Du redest wie ein Kommunist«, sagte Gervase. Er wusste, dass er Max damit treffen würde. Max hasste den Kommunismus. Er lehnte sich auf Gervases Worte hin zurück und sah vor sich hin, und ich wusste, dass er seine Erregung unterdrückte. Rose kicherte boshaft, und Gervase, vergnügt, Max einen Nadelstich verabreicht zu haben, lachte. Du Dummkopf, dachte ich, du versuchst, Max’ Frau zu verführen und ihn gleichzeitig zu quälen. Ich drängte mich durch die Veranda auf Max zu, um ihn irgendwie abzulenken. Zu meiner Überraschung enthob mich Oliver der Mühe. Er stand auf, trat auf Gervase zu, nahm ihm, ohne ein Wort zu sagen, das Cognacglas aus der Hand, klopfte ihm sanft auf die Schulter und ging über die Veranda davon. Gervase blickte ergeben, beinahe verängstigt drein.
Die Spannung löste sich. Paul stand auf, trat auf Roses Liegestuhl zu und fragte sie, ob ihr warm genug sei. Mit ihrer weichen Stimme murmelte sie irgendwas. Ihr Ausbruch von Bosheit war völlig vergessen. So konnte ich ins Haus zurückschlüpfen.
Ich hatte allerhand zu nähen, und ich arbeitete emsig, in der Hoffnung, dadurch auf angenehmere Gedanken zu kommen. Aber alles, was mir dieser Abend bescherte, war die Erkenntnis, dass ich mich unglücklich fühlte. Die Familie - mein Zuhause - schien von der Auflösung bedroht zu werden. Max war in Arcenciel, weil ich ihm geschrieben und ihn gebeten hatte, früher als geplant aus Transvaal zurückzukehren. Als Grund gab ich die Tatsache an, dass Carolines Verlobung mit Oliver unmittelbar bevorzustehen schien.
In Wahrheit war es Rose, derentwegen ich in größter Sorge war. Ich dachte, dass Max, wenn er nur eine kleine Weile in Arcenciel bleiben würde, merken musste, was für uns alle offensichtlich war - dass Rose drauf und dran war, Gervases Geliebte zu werden.
Drittes Kapitel
Als er dreiundzwanzig war, heiratete Max Rose Cameron, die Tochter eines Fabrikbesitzers. Sie war das einzige Kind, verwöhnt, hübsch und ziemlich zart. Sie war erpicht darauf, zu vergessen, dass ihr Vater Stiefel und Schuhe fabriziert hatte, aber die Heirat mit Max gab ihr Selbstvertrauen, und sie genoss das Leben auf Arcenciel. Ich glaube, sie träumte davon, aus Max einen Politiker zu machen. Vielleicht sah sie ihn sogar als High Commissioner in London. Was sie nicht sah, war Max’ andere Seite - den schlauen, wachsamen, gerissenen Burschen, der den Herzen seiner farbigen Freunde so nahestand. Max war eine ungewöhnliche Mischung - eine Mischung aus hohen Idealen und niederen Begierden, aus zuverlässigem Bemühen und wilden Kapricen. Und doch war er ein wirklicher Mann, tiefer Liebe fähig und in jeder Hinsicht der Loyalität wert, die ihm seine Freunde bezeugten.
In den ersten Jahren ihrer Ehe waren die beiden glücklich. Die Kinder kamen gesund zur Welt und gediehen hervorragend. Pieter war der Älteste, dann kam Conrad, dann Paul und nach fünf Jahren, Caroline. Die St.-Cyr-Kinder sahen gut aus, besaßen Intelligenz, Geld und ein prächtiges Zuhause.
Und doch, irgendwann begannen Rose und Max nicht mehr glücklich miteinander zu sein. Ich glaube, es lag mehr an Max als an Rose. Wenn er sich mehr Mühe gegeben hätte, hätte er sie vielleicht besser verstanden. Sie war auf seine Interessen, die ihn so oft von zu Hause fernhielten, eifersüchtig. Sie empfand die Komitees, die Reisen und die politischen Kampagnen als Konkurrenz ihrer eigenen Liebe zu Max, und immer öfter musste es ihr scheinen, als siege die Konkurrenz. Sie begann zu kränkeln.
Dann kam der Krieg. Max war kaum jemals zu Hause, und die drei Jungen waren bei der Armee. Caroline war noch ein Schulmädchen. Rose fühlte sich zu Recht einsam. Hin und wieder warnte ich Max, sie nicht so viel allein zu lassen.
Er reagierte mit Ungeduld und sagte, er habe zu arbeiten, was vermutlich auch stimmte.
Als Conrad verwundet wurde, hielt sich Max gerade in Pretoria auf. Ich rief ihn dort an und sagte ihm, dass Rose entsetzlich litte. Er sagte - und wieder hatte er recht -, dass von seiner Arbeit die Gesundheit von vielen Tausenden von Soldaten abhinge und dass er erst in zwei Tagen kommen könne. Die Tatsache blieb bestehen, dass er nicht bei Rose war, als sie ihn brauchte.
Als Max zu Hause ankam, hatte er inzwischen Näheres erfahren. Conrad war mit einem Jeep in ein Minenfeld gefahren. Er hatte den rechten Ann direkt am Ellbogen verloren, und beide Beine waren schwer mitgenommen. Es war uns allen klar, dass Conrad nie mehr auf Felsen klettern oder Rugby spielen könnte. Rose litt entsetzlich seinetwegen. Sie wartete verzweifelt auf seine Heimkehr. Max warf ihr vor, sie dramatisiere das Ganze. Sie beschuldigte ihn, herzlos zu sein. Und als Conrad schließlich nach Hause kam, geschah das auf eine ganz eigene Weise, die weder sein Vater noch seine Mutter verstanden.
Conrad machte unter sein altes Leben einen absoluten Schlussstrich. In physischer Hinsicht war er ein harter junger Mann gewesen, jemand, der zuverlässig war und es genoss, aktiv zu sein. Nun begann er mit offenbarer Freude ein Leben in äußerster Faulheit, verbrämt mit Alkohol und halbgaren Blondinen, zu führen. Er wurde fett.
Conrad wurde das Objekt bitterer Streitereien, die Max und Rose das Dasein vergifteten. Max verbrachte immer weniger Zeit zu Hause. Rose, deren Gesundheit immer zart gewesen war, wurde wirklich krank. Dr. Klette, unser Hausarzt, bezeichnete sie als neurasthenisch.
Der Krieg ging zu Ende, die Jungen kamen nach Hause, aber die Kluft zwischen Max und Rose blieb. Die goldenen Tage, als die Kinder klein waren, schienen vorüber. Pieter, Paul und Conrad kamen, wie die meisten der jungen Leute, die bei der Armee gewesen waren, als Fremde zurück. Sie mussten wieder Boden unter die Füße bekommen, und seltsamerweise fand Conrad das leichter als die anderen. Er spekulierte an der Börse, kam zu Geld und legte es gut an. Er lebte, wie es schien, in völliger Harmonie mit seiner Umwelt. Pieter andrerseits nahm Max übel, dass er Arcenciel so vernachlässigte. Er liebte Arcenciel, und ich nehme an, es fiel ihm schwer, in Max’ Abwesenheit den Betrieb zu leiten, ohne wirkliche Besitzerfreuden genießen zu können.
Paul, der Rose sehr verehrte, nahm Max übel, dass er die Mutter vernachlässigte. Die heranwachsende Caroline hingegen vermisste Max. Sie hätte ihn gebraucht und vermisste ihn um seiner selbst willen.
Mir wäre lieber gewesen, Max hätte aufgehört, sich Sorgen um die weltbewegenden Probleme zu machen, und angefangen, sich um seine eigene Familie zu kümmern. Aber nun, da er da war, wusste ich nicht, was ich mit ihm anfangen sollte. Zumindest konnte ich ihn bitten, mit Caroline über ihre Heirat mit Pratt zu sprechen. Ich hegte den Verdacht, dass Pratt sich sofort daranmachen würde, eine neue, ergiebigere Quelle anzusteuern, falls er auf den Gedanken kam, aus einer Ehe mit Carry sei kein Geld zu holen.
Um elf Uhr räumte ich mein Nähzeug weg. Mitten in der Stille begann die alte Sklavenglocke im Hof, laut und heftig zu läuten. Ich stand auf und ging zur Küchentür, um nachzusehen, wer da kam. Nur Fremde benutzten diese Glocke.
Ein Licht hängt über dem in den Hof führenden Torweg, und die Glocke hängt dicht daneben. Ich sah einen großen Afrikaner, mit gesenktem Kopf und noch immer mit den Händen den Strick der Glocke festhaltend, an der Wand lehnen, so, als wäre er zu erschöpft, um sich zu bewegen. Ich eilte auf ihn zu.
Er hatte die hohen Backenknochen und die schmale Nase der Basutos. Sein Gesicht war von Staub wie gepudert, und nur wo der herablaufende Schweiß Streifen hinterlassen hatte, schimmerte die braune Haut durch. Er hob den Kopf und sah mich an; seine schrägstehenden und beinahe schwarzen Augen sahen sehr müde, aber wachsam und ruhig aus - die Augen eines tapferen und intelligenten Mannes. Er hielt zwei schwere Stöcke lose in einer Hand und trug einen sehr abgetragenen und geflickten Uniformrock und einen altertümlichen Filzhut mit einem ölfleckigen Band. Als ich mich ihm näherte, nahm er den Hut ab und presste ihn gegen seine Brust, hob die Hand mit den Stöcken zu einem halbmilitärischen Gruß und sagte in der Kaffernsprache:
»Sei gegrüßt, Inkosisaan.«
»Ich sehe dich.«
»Ich habe eine Botschaft für den Königsreiher.«
»Komm. Du bist gewiss müde. Du kannst essen und dann sprechen.«
»Das sind gütige Worte, aber wer kann essen, wenn das Stroh auf dem Dache brennt?«
»Dann komm herein, und ich will deine Botschaft entgegennehmen und dir dann zu essen geben.«
Er zögerte noch immer, und an dem schnellen Blick, den er zum Haus hinüberwarf, sah ich, dass er sich fürchtete. Seine Augen glitten prüfend über den Hof und hellten sich bei dem Anblick des Stalls, wo Inyazi, Max’ Reitpferd, sein abendliches Futter mampfte.
»Ist es erlaubt, dass ich dort warte?«
»Wie du willst. Was ist deine Botschaft?«
»Teile ihm mit«, sagte er, mich scharf ansehend, »dass ich ein Freund der Grille bin. Und dass die Grille - nicht mehr singt.« Er sah mir nach, wie ich über die Steinfliesen ging und ins Haus trat Noch immer unterhielten sie sich draußen auf der Veranda. Ich berührte Max an der Schulter, er sah auf, erhob sich wortlos und folgte mir. In der Küche sagte ich ihm die Botschaft. Er starrte mich an, stöhnte wie ein Mann, der Schmerzen hat, riss die hintere Tür auf und rannte hinaus. Ich sah, wie er die Hände auf die Schultern des Basutos legte und wie sie sich beide um wandten und im Dunkel von Inyazis Stall verschwanden.
Ich begann, eine Mahlzeit aus Fleisch und Hülsenfrüchten und starkem, süßem Tee zurechtzumachen. Ich tat es ganz ruhig, denn ich wusste nicht, dass der Basuto und der Tod gemeinsam nach dem Süden gekommen waren.
Viertes Kapitel
Der Basuto musste früh am nächsten Morgen weggegangen sein. Um halb sieben, als ich eine neue Zuckerration zu den Häusern der Arbeiter und Hausangestellten hinüberbrachte, erzählte mir Jacob, der Hausboy, dass er den Mann vor Tagesanbruch hatte weggehen hören.
Die Sonne ging rot auf, und zwischen den Kämmen der Berge hingen noch immer Fetzen rötlichen Nebels. Max trat aus dem Haus und kam im Hof auf mich zu. Er schlug die Arme übereinander und stampfte auf den Boden, denn es war kalt. Seine Augen hatten einen hellen Glanz, wie immer, wenn er erregt war.
»Es kommt Wind auf«, sagte er. »Emmie, ich muss in die Stadt, um mich mit jemandem zu treffen. Ich werde ein oder zwei Tage weg sein.«
»Weg?«, sagte ich. »Was meinst du mit weg? Max, du hast mir versprochen, hierzubleiben.«
»Lieber Himmel«, sagte er, »Das habe ich glattweg vergessen.«
»Vergessen? Du vergisst das Glück deiner eigenen Tochter.«
»Tut mir leid, Emmichen. Komm, beruhige dich. Richte ihr was von mir aus, ja? Sag ihr, sie soll sich noch ein bisschen gedulden - sag ihr, ich möchte bei ihrer Verlobung dabei sein - sag ihr irgendwas. Vielleicht richtest du am besten ein besonderes Dinner für morgen Abend. Ich werde zurück sein, ich verspreche es.«
»Bekommt ihr vielleicht nicht immer ein gutes Dinner von mir? Es gibt Wild, Krebse in saurer Rahmsauce und den besten Wein, und ich hoffe, du erstickst daran. Warum um Himmels willen, musst du denn ausgerechnet jetzt fort?«
Er schnitt eine Grimasse wie ein Affe, der in eine Zitrone gebissen hat, äußerte sich aber nicht weiter über seine Reise. Gegen acht warf er seinen Handkoffer in den alten Lancia.
»Winke-winke«, sagte er.
»Ich rede nicht mit dir.«
Er lachte und kletterte in den Wagen. Das letzte, was ich sah, als der Lancia heulend aus dem Hof schoss, war Max’ grüßend erhobene Hand. Eine Stunde später rief er aus Kapstadt an, um mir mitzuteilen, dass er nach Durban müsse, dort über Nacht bliebe und Samstagnachmittag zurückflöge.
Die Familie war völlig außer sich bei dieser Nachricht. Pieter wollte wissen, was zum Teufel er tun sollte, den Traktor repariert zu bekommen. Caroline sah tief verletzt aus, Rose zog sich mit einer Nerven-Attaché auf das Wohnzimmersofa zurück, und Paul weigerte sich, in sein Reedereibüro zu gehen, bevor er wusste, dass sie sich beruhigt hatte.
Rose presste einen mit Lavendel durchtränkten Wattebausch gegen ihre Stirn, öffnete die Augen und streckte Paul eine Hand hin. »Lauf zu, Liebling. Es geht mir schon viel besser. Gleich wird alles wieder gut sein.«
Paul blieb stehen und blickte sie besorgt an. Er sah seiner Mutter sehr ähnlich - beide hatten gutgeschnittene, zartknochige Gesichter mit dunkelblauen Augen. Aber es beunruhigte mich, dass Paul seine Mutter viel zu ernst nahm, während Rose ihre kleine Szene genoss. Sobald wir ihn endlich aus dem Haus hatten, legte ich Rose draußen auf die Veranda und versorgte sie mit Büchern, Zigaretten und einer neuen Zeitschrift.
»Wissen Sie«, sagte ich, »Sie sollten versuchen, in Pauls Gegenwart nicht so unglücklich zu erscheinen. Er spürt es.«
»Paul ist wie ich. Meine ganze Familie war so sensibel. Ich müsste vermutlich dankbar dafür sein, dass er nicht meine miserable Gesundheit geerbt hat. Mein Magen brennt schrecklich, Nanny. Als ob lauter rote Ameisen darin herumwimmeln würden. Ich hätte gern etwas geeisten Tee.«
»Bestimmt nicht, wenn in Ihrem Magen rote Ameisen herumwimmeln. Ich bringe Ihnen etwas Zitronensirup. Nun lesen Sie Ihr Buch, und ruhen Sie sich aus.«
In der Diele draußen traf ich auf Caroline, die, einen Zettel in der Hand, neben dem Telefon stand. Sie streckte ihn mir hin. »Vermutlich kann ich das hier nun nicht durchgeben?« Es war ein getippter Entwurf ihrer Verlobungsanzeige. »Ich wollte, dass es in die Samstagausgabe käme.«
»Max möchte, dass du wartest.«
»Warum?«
»Er hat gesagt, er möchte mit dabei sein. Caroline, diese Shorts sind viel zu kurz, man sieht alles.«
»Oliver mag sie.« Ihr Mund, breit und geschwungen wie der einer gutgelaunten Katze, wurde schmal, und sie starrte mich düster an. »Arme alte Nan«, sagte sie und umarmte mich rasch. »Verdammter Max.« Und mit der Miene einer Frau, die wichtige Dinge im Kopf hat, schritt sie von dannen. Ich machte mich wieder zur Küche auf, wo ich Conrad vorfand, der heftig eine Keksbüchse schüttelte. Ich nahm sie ihm weg und öffnete sie.
»Picknick?«, sagte ich.
»Du bist ebenso klug wie schön.«
»Ich dachte, du kannst Picknicks nicht ausstehen?«
»Kommt darauf an.«
»Wohin willst du?«
»Zur Hütte, oh, meine Geliebte.«
Max besaß draußen am Hout Bay eine Fischerhütte, die man in ungefähr zwanzig Minuten rascher Fahrt über die Berge von Arcenciel aus erreichen konnte.
»Wer ist sie?«
»Sarah McLeod. Wenn du nachher rausschaust, wirst du sie sehen.« Sarah erschien um halb zehn in einem roten Sportwagen, der ihren Vater eine Stange Geld gekostet haben musste. Da ich wusste, dass McLeod das größte Juweliergeschäft der Halbinsel hatte, wunderte es mich nicht weiter. Das Mädchen trug eine dunkle Sonnenbrille, hatte das blasse grünlichgoldene Haar von der Farbe heranreifenden Korns und einen vollen korallenroten Mund. Sie gefiel mir. Weder anmaßend noch hochgestochen, dachte ich, sondern ein vernünftiges Mädchen mit schmaler Taille und viel Busen. Ich fragte mich, hinter welchem unserer Jungen sie wohl her sei, und beschloss, ein Auge auf sie zu haben für den Fall, dass sie einmal nützlich sein könnte.
Ich sah ihnen nach, wie die beiden in Sarahs Wagen davonfuhren. Dann brachte ich Rose einen Krug mit Zitronensirup hinaus. Zu meiner Verblüffung hatte sie ihr Buch auf die Fliesen neben der Hollywoodschaukel geworfen und war völlig in Tränen aufgelöst.
Das ist das Aufregende bei Leuten, die an Hysterie leiden. Man wird bis zur Weißglut gereizt durch das, was reines Theater erscheint. Diese und jene Pose löst keinerlei Mitleid aus. Man ist sogar geneigt, irgendetwas Grausames zu sagen. Dann, plötzlich, merkt man, dass aus dem Theater Wirklichkeit geworden ist, dass die Tränen echt sind, dass die Hände wirklich zittern und in den Augen tatsächlich der Ausdruck von Schmerz und Entsetzen liegt.
Ich eilte davon, um ihr ein Beruhigungsmittel zu holen. Klette hatte einmal gesagt, das Mittel an sich helfe nichts, aber das Einnehmen. Ich setzte mich neben sie, während sie es trank. »Alle gehen einfach fort und lassen mich zurück«, sagte sie. »Ich fühle mich so krank.«
»Wollen Sie, dass ich Klette hole?«
»Ach, Klette. Alles, was Klette sagt, ist Ruhe. Wie soll ich zur Ruhe kommen? Und wie dem auch sei, ich will keinesfalls ins Bett.« Einen Augenblick blieb sie still liegen. Dann richtete sie sich in ihren Kissen auf und betupfte ihr Gesicht mit dem Taschentuch. »Ich werde mit Gervase zusammen essen«, sagte sie.
Ich sah an ihrem Mund, dass es nicht geraten war, über Gervase zu sprechen.
»Was wollen Sie anziehen?«, sagte ich. »Ich werde es Ihnen bügeln.«
»Das Weißseidene.« Ich wusste, dass sie das Kleid für eine besondere Gelegenheit reserviert hatte. Der Gedanke, dass nun alles für Gervase sein sollte, war mir zuwider. Ich fluchte innerlich auf Max.
»Aber Sie sollten sich doch ausruhen. Sie sind müde.«
»Ist das erstaunlich, wie?« Ihr Gesicht rötete sich. Sie stützte sich auf ihren Ellbogen, um mich anzusehen. »Nanny, wissen Sie, warum Max nach Durban geflogen ist? Ich weiß es. Er hat eine Geliebte dort. Gervase hat es herausgefunden.«
»Reizend von ihm, Ihnen das zu erzählen.«
»Warum sollte er das nicht tun? Jeder weiß es. Es ist allgemein bekannt. Sie haben es auch gewusst, nicht?«
Ich wusste wirklich, dass es in Durban eine Frau gab, die mit ihm in Verbindung gebracht wurde, aber ich war davon überzeugt, dass Max niemals eine Reise von einigen tausend Kilometern unternehmen würde, nur um eine Nacht mit ihr zu verbringen. Rose warf sich in die Kissen zurück.
»Sehen Sie, Sie wissen es. Es ist die Wahrheit, und die ganze Welt weiß es. Ich habe es natürlich zuletzt erfahren. Ich werde von jetzt an mein eigenes Glück zu finden wissen.«
»Mrs. Rose«, sagte ich, »diese Geschichte hat nichts mit Liebe zu tun. Er liebt nur eine - Sie!«
Sie starrte mich an und schüttelte langsam den Kopf. »Wenn er sie lieben würde, könnte ich es noch ertragen.«
Mir fiel nichts Tröstliches ein. Ich streichelte ihre Stirn ein wenig. Sie schloss die Augen.
Nach einer Weile sagte ich so beiläufig wie möglich: »Ich würde an Ihrer Stelle mit niemandem darüber reden, Rose.«