Das Schweigen der Leber - Ansgar W. Lohse - E-Book + Hörbuch

Das Schweigen der Leber Hörbuch

Ansgar W. Lohse

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  • Herausgeber: TRIAS
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Sorgen Sie gut für Ihre Leber!

Die Leber rettet uns mit ihren unglaublichen Fähigkeiten täglich das Leben. Doch – was wissen Sie über dieses Organ? Vermutlich wenig, denn die Leber schweigt. Auch dann, wenn ihr zu viel zugemutet wird. Selbst bei Fettleber, Hepatitis oder Leberzirrhose peinigt sie uns nicht mit Schmerzen. Warum?

 

Lernen wir dieses wichtige Organ kennen: Die Leber ist DIE Schaltzentrale unseres Stoffwechsels: Hormonproduktion, Energiegewinnung, Entgiftung – selbst beim Sex spielt sie eine wichtige Rolle.

Warum können Alkoholpausen gefährlich sein? Wie können Sie sich vor der Zivilisations-Krankheit

Nummer eins schützen: Fettleber? Ist Corona eine Bedrohung für die Leber – oder welche anderen Viren sind wirklich gefährlich für sie? Und warum gehören Gummibärchen in einen Käfig statt in eine Tüte?

 

Die Antworten auf diese – und viele andere Fragen – beantwortet Prof. Dr. med Ansgar W. Lohse. Er ist einer der renommiertesten Leber-Spezialisten Europas. Sein Co-Autor Ulf C. Goettges bringt seine Erfahrungen als Patient und Journalist ein. Gemeinsam enthüllen sie so die Geheimnisse eines stillen Organs.

 

Dieses Buch wird Sie zum Staunen bringen und Ihnen helfen, Ihre Leber sorgsam zu behandeln. Denn Wissen ist die beste Medizin.

Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

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Zeit:8 Std. 46 min

Sprecher:Alexander Gamnitzer

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Das Schweigen der Leber

Die lebenswichtigen Geheimnisse eines stillen Organs

Prof. Dr. med. Ansgar W. Lohse, Ulf C. Goettges

2., überarbeitete Auflage 2023

Wagen Sie einen Selbstversuch

Wenn Sie diese 15 Fragen beantworten, werden Sie am Ende über die Leber staunen.

Bevor Sie mit der Lektüre dieses Buches beginnen, möchten wir Sie zu einem Selbstversuch einladen. Dazu stellen wir Ihnen einige Fragen. Bitte notieren Sie Ihre Antworten und bewahren Sie diese auf, bis Sie das Buch gelesen haben. Dann prüfen Sie Ihre Ergebnisse anhand der Fakten, die Sie in der Zwischenzeit erfahren haben. Sie werden sehen, dass Sie die Leber nun viel besser verstehen und so auch fit und gesund halten können. Die Antworten des Leberspezialisten finden Sie dann am Ende des Buches.

Also – starten wir:

Wie viel Obst essen Sie am Tag?

Wie viel Obst wäre Ihrer Meinung nach für Ihre Leber gut?

Wenn Sie sich schon mal etwas Süßes gönnen, naschen Sie dann vorsichtshalber lieber zuckerfrei?

Trinken Sie gerne und öfter mal Smoothies?

Was ist für Ihre Leber gefährlicher: gegrillte Thüringer Bratwurst oder Schweinemett vom Bio-Bauernhof?

Was bevorzugen Sie als Aufschnitt: Wildschweinsalami, Mortadella oder lieber Camembert?

Apropos Camembert: Kennen Sie die Technik, die messen sollte, wann guter Camembert richtig reif ist, und die Ärzte jetzt anwenden, um zu sehen, wie gesund Ihre Leber ist?

Legen Sie manchmal längeres Alkoholfasten ein – und beginnen dann wieder, so viel (oder so wenig) wie zuvor zu trinken?

Haben Sie schon mal überlegt, zur Erholung Ihrer Leber nicht nur Alkoholfasten, sondern richtiges (Heil-)Fasten durchzuführen?

Fühlen Sie sich oft müde und abgespannt?

Sollte man Medikamente zwischendurch auch mal absetzen, damit die Leber sich erholen kann?

Nehmen Sie sicherheitshalber lieber naturheilkundliche Medikamente, um die Leber nicht zu gefährden?

Hat Ihre Ärztin oder Ihr Arzt Ihnen schon mal empfohlen, ein Medikament lieber als Pflaster oder Creme statt als Tablette anzuwenden, damit es nicht über die Leber geht? Hormone zum Beispiel?

Haben Sie schon einmal ein verschriebenes Medikament nicht genommen, weil im Beipackzettel vor Leberschäden gewarnt wird?

Kennen Sie Ihre Leberwerte?

Haben Sie Ihre Antworten notiert? Dann lassen Sie sich ▶ nach der Lektüre des Buches überraschen.

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Wagen Sie einen Selbstversuch

Warum die Leber das wichtigste Organ unseres Körpers ist

Die Mutter des Lebens

Kannten die Griechen der Antike die Geheimnisse der Leber?

Was die Leber alles kann

Es gibt nicht die eine Ursache für Lebererkrankungen

Erfindung im Käsekeller

Der genialste Bauplan der Welt

Wenn es eng wird, greift die Leber in die Trickkiste

Ein Meisterstück der Evolution

Was Schiffe und die Leber gemeinsam haben

Ohne die Leber gäbe es unsere menschliche Zivilisation nicht

Toleranz kann Leben retten

Bekämpfen oder tolerieren?

Die Aufgabe des Immunsystems

Die Leber stellt selbst Chemikalien her

Richtig essen und trinken: So schonen Sie Ihre Leber

From your lips to your hips – wie eine Fettleber entstehen kann

Die Fettleber – Volkskrankheit Nummer eins

Unsere Zuckerspeicher quellen über

Fett wird zuerst in der Leber gespeichert

Eine Fettleber kann auch schlanke Menschen treffen

Was können wir tun?

Ein Apfel ist gesund – zwei machen die Leber fett

Warum zu viele Vitamine ungesund sein können

Unser Körper braucht keine Fruktose

Fruktose in Pizza

Achterbahnfahrt für die Leber: Warum Fasten ungesund ist

Kann ich durch eine Diät die Leber entgiften?

»Studien« und »Erfolgsgeschichten«

Warum stehen wir dem Leberfasten so kritisch gegenüber?

Reizthema Alkohol: Ab wann hört der Spaß auf?

Alkoholische Lebererkrankungen gibt es quer durch die Gesellschaft

Warum Alkoholpausen gefährlich sein können

Mögen Sie »Leber Berliner Art«?

Leberspezialitäten: Es gibt mehr, als Sie denken

Leber lieber vom Biobauern

Warnung vor »Hypervitaminose«

Umweltgifte und die Leber

Wie Umweltgifte die Leber schädigen können

Was Sie bei einem Verdacht tun können

Wenn die Leber schweigend leidet: Häufige Lebererkrankungen

Auch mit einer Zirrhose ist ein gutes Leben möglich

Eine Leberzirrhose birgt Risiken

Pfortaderhochdruck: Stau im »Förderband«

Welche Therapie hilft?

Achten Sie auf die Symptome

Wenn die Eiweißsynthese gestört ist

Was wir dagegen tun können

Die Entgiftung funktioniert nicht mehr richtig

Welche Maßnahmen helfen

Die Folgen für die Galle und den Hormonstoffwechsel

Eine Zirrhose kann auch Menschen treffen, die gesund leben

Die Fortschritte im Kampf gegen Leberkrebs sind rasant

Gibt es bestimmte Ursachen für Leberkrebs?

Zusätzliche Risikofaktoren

Der Weg wird kein leichter sein

Das ABC der Hepatitis

Viren, die sich auf die Leber spezialisiert haben

Die wohl häufigste Infektionskrankheit: Hepatitis B

Hepatitis bei Kindern

Kinder werden in Ruhe gelassen – bei Jugendlichen gibt es Krawall

Das Hepatitis-D-Virus braucht seinen großen Bruder

Die Jagd auf das Hepatitis-C-Virus

Kriminalistischer Spürsinn

Wettlauf um das beste Medikament

Ein Wunder der neuen Forschung

Hepatitis E: Die Gefahr in der Maurermarmelade

Endlich Kontrollen bei Blutkonserven

Hepatitis A – und was es mit F und G auf sich hat

Hepatitis F

Hepatitis G

Macht Stress die Leber krank?

Wie reagiert unser Körper auf Stress?

Die Kampf-oder-Flucht-Reaktion

Wie die Leber bei Stress reagiert

Gefahrenabwehr im Krankheitsfall

Ein gesunder Umgang mit Stress hilft Ihrer Leber

Sex and the liver

Wenn er im Bett keine Lust mehr hat

Zu viel Eisen ist ein Lustkiller

Diagnose »Eisenspeicherkrankheit«

Toller Body – aber sonst nichts mehr los

Testosteronpräparate boomen

Zu viel Testosteron zerstört die Libido

Wann das Liebesleben ohne Pille besser ist

Ob Pille oder Hormonpflaster: Alles landet in der Leber

Die Leber-Patenkinder

Krankheiten, die sich vor oder während der Schwangerschaft entwickelt haben

Krankheiten, die nur infolge einer Schwangerschaft auftreten

Die Schwangerschaftsübelkeit – meist harmlos

Das HELLP-Syndrom

Ist eine Salbe gesünder für die Leber als eine Tablette?

Unsere kleine Chemiefabrik

Die Leber kann neben Abbau auch Herstellung

Schon eine einzige Tablette kann eine Allergie auslösen

Vorsicht bei »rein pflanzlichen« Präparaten

Zu Risiken und Nebenwirkungen …

Beipackzettel sind oft gefährlicher als das Medikament

Warum Beipackzettel eingeführt wurden

Gefährliche Beipackzettel – was ist zu tun?

Spannender als im TV: So retten Leberchirurgen Leben

Die Zukunft im OP hat begonnen

Wichtig für den Erfolg: Gute Teamarbeit und moderne Medizin

Wie eine Transplantation verläuft

Die häufigsten OPs: Die Entfernung von Lebertumoren

Da Vinci operiert mit

Lebertransplantation. Der Beginn eines besseren Lebens

Kathrins Geschichte macht Mut

Was ist eine »Lebendspende«?

Zweimal am Limit – doch Aufgeben ist keine Option

Heikle Frage: Spenderleber für Alkoholkranke?

Alkoholsucht ist eine Erkrankung

Sechs Monate Alkoholabstinenz vor einer Transplantation

Die Fortschritte in der Transplantationsmedizin sind enorm

Bekommen manche schneller eine Spenderleber als andere?

Eine Formel entscheidet, wer zuerst eine Spenderleber bekommt

Transplantation nach Dringlichkeit und Erfolgsaussichten

Wann findet keine Transplantation statt?

Eine Spenderleber für zwei Patienten

Leber und Stoffwechsel – das kann auch mal schiefgehen

Stoffwechsel: Wenn Prozesse aus dem Ruder laufen

Stoffwechselerkrankungen sind ganz unterschiedlich

Drei Stoffwechselerkrankungen, die die Leber angreifen

Kupfer, Eisen und das »Wikinger-Gen«

Wie ist das Wikinger-Gen entstanden?

Das Leibwächter-Eiweiß

Die »homozygote« Variante des Wikinger-Gens

Die geniale Genschere

Die »heterozygote« Variante

Bei zu viel Eisen hilft – der Aderlass

Wie die Eisenaufnahme reguliert wird

Diagnose

Die Therapie: Aderlass

Morbus Wilson: Die Kupferspeicherkrankheit

Wie wirkt sich die Erkrankung aus?

Die Symptome sind ähnlich wie bei der Multiplen Sklerose

Verblüffend: Der Kupfergehalt in der Leber bei Morbus Wilson

Wie wird die Krankheit behandelt?

Autoimmunerkrankungen: Die größten Rätsel der Lebermedizin

Was ist eigentlich Autoimmunität?

Das Immunsystem

Große Herausforderungen für die tolerante Leber

Zwischenprodukte werden umgewandelt

Zu viel Toleranz kann riskant sein

Staatsstreich in der Leber: AIH, PBC und PSC

Die Autoimmune Hepatitis (AIH)

Die vielfältigste aller Leberkrankheiten

PBC: Der Ärger mit dem C

Der fatale falsche Name

Sheila Sherlock – die Mutter der Hepatologie

Die Symptome: Müdigkeit und Mattigkeit

Fehldiagnose »Alkohol« bei vielen Männern

PSC – das größte Rätsel der Lebermedizin

Ein Mikrobiom gibt es nicht nur im Darm, sondern auch in der Galle

Könnte das Gallemikrobiom das Geheimnis von PSC enthüllen?

Spätfolgen der Erkrankung

Angeborene oder erworbene Zysten: Die »Leberbeutelchen«

Mythos Fuchsbandwurm

Wie der Fuchsbandwurm entsteht

Was passiert bei einer Infektion?

Wie wird man die Parasiten wieder los?

Leberzysten – und ein kleiner medizinischer Sprachkurs

Wie machen sich die Zysten bemerkbar?

Wenn die kleine Schwester der Leber Probleme macht

Der kleine Tank für den Zaubertrank

Warum wir auch ohne Gallenblase leben können

Was passiert, nachdem die Gallenblase entfernt wurde?

Was sind eigentlich Gallensteine?

Äußerst schmerzhaft: Die Gallenkolik

»Happytologie« – was vielleicht bald möglich sein wird

Ein Blick in die Zukunft der Lebermedizin

Die Bekämpfung von Krankheiten mit den Fähigkeiten der Leber

Krebs mit der Genschere bekämpfen

Wissen ist die beste Medizin

Die wichtigsten Leberwerte – und was sie verraten

Virusdiagnostik

Diagnoseverfahren

Ultraschall

Computertomographie (CT)

Magnetresonanztomographie (MRT)

Magnetresonanz-Cholangiopankreatikographie (MRCP)

Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP)

Fibroscan

(Mini-)Laparoskopie

Alarmsignale für eine mögliche Lebererkrankung

Der Selbstversuch: Die Antworten

Danke!

Autorenvorstellung

Sachverzeichnis

Impressum/Access Code

Warum die Leber das wichtigste Organ unseres Körpers ist

Ihre einmaligen Fähigkeiten, ihre Tricks, ihr Bauplan und ihre erstaunliche Toleranz machen sie unersetzlich.

Die Mutter des Lebens

Die Leber leitet uns unbemerkt durchs Leben. Mit welchen Raffinessen sie das schafft, erfahren Sie hier.

Wir befinden uns im Jahr 50 v. Chr. In ganz Gallien und den umliegenden Provinzen ist eine Krankheit noch völlig unbekannt. In ganz Gallien? Nein! In einem von unbeugsamen Galliern bevölkerten Dorf wird sie längst richtig diagnostiziert und behandelt …

Häuptling Majestix leidet theatralisch. Druide Miraculix weiß sofort, was los ist: kranke Leber infolge von zu viel Wildschweinbraten. Also schickt er Majestix zur Abmagerungskur in die Auvergne.

»Asterix und der Arvernerschild«, in dem diese Geschichte erzählt wird, erschien 1967. Erst 12 Jahre nach Miraculix entdeckten Leberforscher, dass die Diagnose der Gallier zwar der Phantasie der Asterix-Autoren René Goscinny und Albert Uderzo entsprungen war, aber dennoch zu Teilen ein reales, bis dahin aber unerkanntes Krankheitsbild der Leber zeichnete. Wie dieses Krankheitsbild aussieht, erfahren Sie im ▶ zweiten Kapitel unseres Buches.

Wie konnten die Comicautoren Goscinny und Uderzo der leberheilkundlichen Diagnostik so weit voraus sein? Beide waren keine Mediziner. Goscinny arbeitete vor seiner Zeit als Autor in der Landwirtschaft, Uderzo zeitlebens als Zeichner. Also hatten sie nur eine lustige Idee für eine Story, die aber zumindest in einem Punkt zufällig der medizinischen Erkenntnis voraus war. Sie sehen: Leberforschung ist alles andere als eine trockene Wissenschaft. Sie ist voller bunter, spannender und überraschender Geschichten, von denen wir Ihnen erzählen werden.

Die Leber. Ein einzigartiges Organ. Logisch, sonst hätten wir zwei. Wir haben aber nur eine – und die ist unersetzlich. Denn die Evolution hat die Leber mit erstaunlichen und überraschenden Fähigkeiten ausgestattet. Wie etwa jener, von der eine weitere, sehr alte Geschichte erzählt:

Zeus war sauer. Prometheus, der Titan, hatte ihm und den Göttern das Feuer gestohlen, um es den Menschen zu schenken. Zornig ließ ihn der Göttervater dafür foltern. Im kargen Kaukasusgebirge an einen Felsen gekettet, musste Prometheus Nacht für Nacht erdulden, dass ein Adler herbeiflog und einen Teil seiner Leber fraß. War der Vogel satt, wuchs die Leber wieder nach.

Die Sage von Prometheus – dem »Vorausdenker«, wie sein Name übersetzt lautet – wird in der Literatur in allen möglichen Facetten betrachtet: philosophisch, psychologisch, historisch, kulturell …

Doch ein Aspekt fehlt überraschenderweise überall beinahe völlig. Es ist der medizinische.

Kannten die Griechen der Antike die Geheimnisse der Leber?

Warum frisst der Adler in der griechischen Sage die Leber und nicht das Herz des Titanen? Oder seine Lunge? Weil der listige Autor Hesiodos seine Geschichte glaubhaft erzählen wollte. Denn die »unsterbliche Leber« des Prometheus ist kein Produkt mythologischer Phantasie, sondern eine biologische Tatsache.

Hesiodos verfasste sein Epos im 8. Jahrhundert vor Christus. Die Mediziner des antiken Griechenlands galten zu dieser Zeit als die besten der bekannten Welt. Es ist also wahrscheinlich, dass Hesiodos und seine klugen Zeitgenossen, zu denen auch Homer, der Verfasser der »Odyssee«, gehörte, bereits gewusst haben, dass die Leber eine einzigartige Fähigkeit besitzt: Sie kann sich immer wieder selbst erneuern, wenn sie dazu gezwungen wird. Sie kann als einziges Organ des Körpers nachwachsen.

Heute macht sich das die moderne Transplantationsmedizin zunutze. Wer zwei Drittel seiner gesunden Leber einem Kranken spendet, hat nach drei Monaten eine komplett erneuerte im Körper. Kein anderes unserer Organe ist auch nur annähernd zu einer solchen Regeneration in der Lage. Wie das möglich ist, erfahren Sie im Kapitel ▶ »Lebertransplantation – der Beginn eines besseren Lebens«. Sie werden staunen.

Sich selbst zu erneuern – ein Traum der Menschheit. Die Leber hat ihn wahr gemacht. Dass die Evolution sie mit dieser einmaligen Fähigkeit ausgestattet hat, ist ein schlagender Beweis dafür, dass sie das wichtigste Organ unseres Körpers ist. Wenn der Ausdruck nicht geschichtlich belastet wäre, könnten wir sagen, sie ist das »Zentralorgan«.

Was die Leber alles kann

Die Liste der einzigartigen Fähigkeiten der Leber ist beeindruckend: Sie kann eigene Medikamente produzieren. Sie steuert die Blutgerinnung. Sie kann uns auch dann mit Energie versorgen, wenn wir nichts mehr zu essen haben. Sie ist das duldsamste Organ unseres Körpers. Darum hält sie selbst härtesten Beanspruchungen stand – und heilt wieder, wenn man sie danach in Ruhe lässt. Ohne sie würde unser Rechenzentrum, das Gehirn, nicht funktionieren, weil es von der Leber mit der nötigen Energie beliefert wird. Die Leber ist ein Arbeitstier. Unablässig entfernt sie Gift, liefert Brennstoff für die Muskeln und lässt dabei ihre komplexe kleine »Chemiefabrik« für uns arbeiten.

Es gibt zahlreiche Fachbücher über die Leber. Aber erstaunlicherweise ist dies das erste Leberbuch nur für Laien – also für jeden, der sich fragt, wie dieses zentrale Organ eigentlich genau funktioniert. Das ist schon deshalb verwunderlich, weil in Deutschland rund fünf Millionen Leberpatienten leben. Und etwa ein Viertel aller Deutschen, das sind circa 20 Millionen Menschen, trägt, meistens unerkannt, eine Fettleber mit sich herum. Auch davon später mehr.

Warum diese Scheu vor der Leber? Die Antwort ist einfach: Wir alle haben Laster, und häufig solche, die zu Lasten der Leber gehen. Das wissen wir insgeheim genau. Aber der Missbrauch von Alkohol und Drogen (auch von Medikamenten) oder Sexprobleme sind klassische Verdrängungsthemen, die in unserer Gesellschaft tabuisiert werden.

Die Leber und ihre Erkrankungen kommen als Mitwisser und Beweis unserer Laster unverdient in Sippenhaft. Denn die Leber, dieses Luder, war schließlich Komplizin der Ausschweifungen. Geschieht ihr recht, dass sie wie ihr sündiger Eigentümer unter den Folgeschäden leidet – denkt so mancher. Aber sind die Erkrankten wirklich selber schuld?

Es gibt nicht die eine Ursache für Lebererkrankungen

In England wurden Menschen danach befragt, ob jemand, der seine Leber durch Alkohol ruiniert hat, ein Spenderorgan bekommen solle. Ergebnis: Die Sympathiewerte für diese lebensrettende Operation für Alkoholkranke waren erschreckend niedrig – und rangierten noch hinter der Sympathie für die Entfernung von Hämorrhoiden.

Und das in einem Land, dessen Sterblichkeitsrate infolge von Alkoholmissbrauch so hoch ist, dass eine gesetzliche Mindestpreisverordnung eingeführt wurde, um wenigstens den massenhaften Verkauf von Billigfusel zu unterbinden. Übrigens mit Erfolg.

Dabei sind die Konzentration auf das ausschweifende Leben und die völlig unsinnige Schuldfrage absolut irreführend. Denn viele Lebererkrankungen entstehen nicht allein durch den ständigen Missbrauch, sondern sind auch genetisch bedingt. Oder ein Virus löst die Erkrankung aus. Oder eine ungeahnte Ansteckung. Also alles Ursachen, die absolut nichts mit der persönlichen Lebensführung zu tun haben, mit denen die Leber aber oft genug bravourös fertigwird.

Die Leber hat es darum verdient, endlich in einem ganz anderen, hellen Licht gesehen zu werden. Denn in vielen Fällen verhilft sie uns zu einer völlig neuen und erfrischenden Lebensperspektive, wenn wir uns um sie kümmern. Oder besser Leberperspektive?

Eine Transplantation zum Beispiel ist mehr als nur die (dramatische) letzte Rettung. Vielen Patientinnen und Patienten ermöglicht sie den Beginn eines neuen, hoffungsvollen Lebens, in dem sie endlich befreit von ihrem Leiden wirkliches Glück mit ihrer Familie, Freunden und Kollegen erleben können. Wir schildern einen solch bewegenden Fall.

Die Diagnose »Fettleber«, übrigens inzwischen die häufigste Lebererkrankung weltweit, ist nicht die Quittung für eine verkorkste Lebensführung. Vielmehr kann sie das Startsignal für ein Leben voller neuer, belebender Erfahrungen sein – wenn man klug auf die Diagnose reagiert. Endlich schaffen Sie sich einen Hund an, damit Sie mehr spazieren gehen. Das tut der Leber und der Seele gut. Sie entdecken den kleinen Gemüseladen um die Ecke und seine humorvollen Besitzer, weil Sie sich nun die Zeit nehmen, frische Zutaten zu kaufen, statt Fertigprodukte in den Ofen zu schieben. Sie lernen im Fitnessstudio neue Leute kennen. Auch solche Fälle begegnen Ihnen in unserem Buch.

Erfindung im Käsekeller

Wir haben Ihnen unterhaltsame Lebergeschichten versprochen. Also lassen Sie uns an dieser Stelle ein kleines Quiz spielen:

»Fibroscan« ist ein wichtiges Ultraschallgerät zur Messung der Lebersteifigkeit. Denn je härter das Organ attackiert (und dabei geschädigt) wird, desto unflexibler wird sein Gewebe. Also ein wichtiger Indikator für die Schwere einer Leberschädigung. Frage: Wo wurde dieses Gerät erfunden?

Die Antwort: In einem Käsekeller. Französische Käsemeister suchten nach einer Möglichkeit, den Reifegrad, also die innere Festigkeit, oder besser Weichheit, von Camembert zu bestimmen, ohne die guten Stücke anschneiden zu müssen. Denn ein guter reifer Camembert ist innen ganz weich. Auf der Suche nach einer geeigneten Messmethode entdeckten sie ein nagelneues Ultraschallgerät, das der französische Naturwissenschaftler Laurent Sandrin für seine Doktorarbeit entwickelt hatte. Doch wie schon zuvor bei Versuchen mit Joghurt ging der Versuch schief: Denn Fett leitet keine Ultraschallwellen weiter. Und guter Camembert enthält nun einmal sehr viel Fett, denn Fett ist ein wichtiger und leckerer Geschmacksträger.

(Die Abb. links basieren auf Daten aus: HEPAHEALTH Project Report; European Associa-tion for the Study of the Liver (EASL), Genf 2018)

Sandrin glaubte trotzdem an seine Erfindung und gründete 2001 eine Firma zur Vermarktung des Geräts. Glücklicherweise erkannte ein Pariser Radiologe im Jahr 2003 die Chancen für den Einsatz in der Leberdiagnostik. Statt aufwendig Gewebeproben aus der Leber entnehmen zu müssen, kann der Arzt die Lebersteifigkeit nun schmerzlos in Sekunden bestimmen.

Wenn Ihr Arzt Humor hat, fragen Sie ihn doch mal bei der nächsten Untersuchung der Leber: »Na, bin ich reif für die Käsetheke?«

Apropos Arzt: Sollten Sie im Netz explizit nach einem »Facharzt für Hepatologie« (Leberheilkunde) suchen, werden Sie keinen finden. Leberheilkunde ist ein Schwerpunkt innerhalb der Gastroenterologie, ein Doppelwort, zusammengesetzt aus den griechischen Begriffen gastēr (Magen) und énteron (Darm). Ein Facharzt für Gastroenterologie ist also auch Hepatologe.

Hildegard von Bingen (1098–1179), Äbtissin der Benediktinerinnen, Universalgelehrte und Dichterin, schrieb in ihrem Werk »Die Schöpfung Adams«: »Das Herz hat die Eigenschaft des Wissens, die Leber des Gefühls …« Die weise Frau hatte Recht. Denn die Leber hat unbestreitbar alle Charaktereigenschaften einer bis zur Selbstaufgabe fürsorglichen Mutter. Sie ist die Mutter des Lebens.

Einen Menschen, der über Schmerzen klagt, behandelt man nicht schlecht. Aber die Leber klagt nicht, sondern sie schweigt. Das hat gute Gründe. Denn wenn sie bei allem, was sie durchmacht, klagen würde, wären wir bald mit den Nerven am Ende. Darum hat die weise Evolution die Leber nicht mit Schmerzsensoren ausgestattet.

Doch das Schweigen der Leber birgt die große Gefahr, dass man ihr schadet, ohne es zu merken. Das kann sich rächen. Umgekehrt, sie nett und fürsorglich zu behandeln, kann sich sehr lohnen. Der Titel unseres Buches, »Das Schweigen der Leber«, soll genau diese wichtige Botschaft vermitteln.

Am Ende dieses Buches werden Sie Ihre Leber lieben. Und Sie werden gelernt haben, nett mit ihr umzugehen und sie gut zu behandeln. Jedenfalls hoffen wir das. Darum möchten wir Ihnen jenes Wissen vermitteln, das es Ihnen ermöglicht, die faszinierenden Fähigkeiten der Leber zu verstehen und zu bewundern. Denn Wissen ist die beste Medizin.

Es ist keine Übertreibung: Dieses Buch kann Ihr Leben verlängern. Darum schreiben wir es.

Der genialste Bauplan der Welt

Wie die Leber mit ihren phantastischen Fähigkeiten die Welt rettet.

Wann waren Sie zuletzt auf Mammutjagd? Natürlich ist das eine überflüssige Frage, denn Mammuts sind seit 4000 Jahren ausgestorben. Und ihre Nachfahren, die Elefanten, dürfen glücklicherweise nicht geschossen werden. Auf der Suche nach Nahrung jagen wir heute nur noch Schnäppchen im Supermarkt. Die einzigen Extremsituationen, die wir dabei erleben, sind die Momente, in denen sich jemand mit einem vollbepackten Einkaufswagen frech an der Kasse vordrängelt. Oder wenn wir bemerken, dass wir zwar 15 Kilo Einkäufe nach Hause geschleppt, aber die Milch vergessen haben.

Ganz anders, als wir noch in unseren Eigentumshöhlen lebten und der nächste Supermarkt rund 1,5 Millionen Jahre entfernt lag. Da ging es sprichwörtlich um Leben und Tod, wenn das Essen ausging. Damit wir im Kampf ums Überleben eine Chance hatten, entwickelte die Evolution eine phantastische Fähigkeit der Leber, deren existentielle Bedeutung uns erst richtig verständlich wird, wenn wir uns jetzt mit Speeren und Faustkeilen auf die imaginäre, oben erwähnte Mammutjagd begeben.

Die Urelefanten sind größer als vier Meter, wiegen bis zu 15 Tonnen und können, wenn sie in den Flucht- oder Angriffsmodus schalten, schneller als 40 km/h rennen. Trainierte Jäger schaffen nur 38 km/h. Es dauert also Tage, einen der Dickhäuter zur Strecke zu bringen.

Sie werden sich zu Recht fragen, warum die Jäger das Mammut überhaupt erlegen konnten, obwohl es doch schneller läuft als sie. Die Erklärung: Ein Mensch auf zwei Beinen verbrennt weniger Energie als ein Mammut, das vier Beine bewegen muss. Die Folge: Das Mammut ermüdet schneller als die Menschen. Darum siegen am Ende die Zweibeiner.

Pirschen, rennen, Speere werfen, Fell abziehen, das Fleisch zerteilen. Dann alles kilometerweit nach Hause schleppen … Eine unglaubliche physische Anstrengung ist notwendig, bis das erste Mammutsteak über dem Feuer brutzelt. Letzteres wurde übrigens erst just im »Altpaläolithikum«, der Altsteinzeit, entdeckt. Also glücklicherweise genau zu der Zeit, in der wir jetzt auf Jagd gehen.

Welches unserer Organe ist für den Jagderfolg essenziell? Das Herz? Die Lunge? Das Gehirn? Nein! Sie können es sich bereits denken: die Leber. Ohne sie läuft im wahrsten Sinn des Wortes nichts. Denn nur sie kann den Treibstoff für die tagelange Tour de Force durch Wälder, Gebüsch und Savanne produzieren. Vor allem aber weiß sie weiter, wenn die Jagdpartie zu scheitern droht, weil wir mit leerem Magen schlappmachen.

Damit wir denken und rennen können, benötigen alle unsere Organe und Muskeln beständig den Nährstoff Glukose. Deren Hauptproduzent ist die Leber. Sie lagert die Energiereserven als »Glykogene«. Deren Herstellungsprozess, die »Glykolyse«, ist einer der frühesten Glanzpunkte der Schöpfung. Denn von Anbeginn des Lebens lief ohne sie nichts. Forscher vermuten, dass die Natur – oder wer immer uns erschuf – diesen Stoffwechselprozess schon vor etwa 3,5 Milliarden Jahren erfand.

Glukose entsteht zum Beispiel aus der Verarbeitung von Kohlenhydraten, wie Nudeln oder Reis. Darum futtern Marathonläufer oder Fußballer tellerweise Spaghetti, um so ihre Nährstoffbatterie voll aufzuladen. Auch Fett wird in Glukose umgewandelt. Bei uns bekommt die Leber ▶ ihr Fett aber erst später weg – seien Sie schon mal gespannt!

Wenn es eng wird, greift die Leber in die Trickkiste

Während wir mit einem kohlenhydratreichen Frühstück im Magen dem Mammut hinterherhetzen, zehren unsere Organe von der Batterie. Aufgeladen durch die Leber, die wie ein Generator Nährstoffe in Glukose umwandelt. Der Bedarf ist nicht zu knapp: Allein das Gehirn benötigt in 24 Stunden rund 200 Gramm und damit den Löwenanteil an Glukose.

In fester Form sieht Glukose aus wie Puderzucker. Machen Sie mal den Test und wiegen Sie diese Menge ab. Eine hübsche Portion! Apropos Zucker: Der Name »Glukose« hat seine Wurzeln im altgriechischen »glykós« – übersetzt: »süß«.

Der Abend kommt – und wir rennen immer noch dem Mammut hinterher. Aber langsam laufen wir auf Reserve. Was jetzt geschieht, ist phantastisch – und beweist die Genialität des Schöpfungsplans: Die Leber greift in ihre Trickkiste. Wenn Nahrung ausbleibt und kein Nachschub an Kohlenhydraten kommt, wird über ein physiologisches Nachrichtensystem in der Leber Alarm ausgelöst. Es laufen sofort zwei parallele Prozesse an, die Treibstoff liefern, obwohl der Jäger keine neue Nahrung zu sich nimmt.

Erstens: Die Leber beginnt, aus anderen Lagerbeständen, z. B. aus Eiweißen, ganz neu Glukose zu produzieren. In der Fachsprache heißt dieser faszinierende Prozess »Glukoneogenese« – übersetzt »Glukose-Neuherstellung«.

Zweitens – und dieser Trick ist noch frappierender – stellt die Leber quasi »Biodiesel« her, Glukoseersatz für den Notfall. Sie benutzt hierfür Rückstände aus der Fettverbrennung. Mit ihnen baut die Leber jetzt »Ketonkörper«, Ketten von Kohlenwasserstoffmolekülen, die so ähnlich aussehen wie Glukose. Diesen Biodiesel schickt die Leber dann vor allem zu Muskeln und in das Gehirn, wo er als Ersatztreibstoff genutzt wird. So kann unser Körper auf Betriebstemperatur gehalten werden, auch wenn Mund und Magen keinen Nachschub mehr liefern.

Nicht nur diese Reaktion ist genial durchdacht, sondern auch die Logistik: Die Ketonkörper sind wasserlöslich und damit perfekt für den schnellen Transport in der Blutbahn. Wenn es eng wird, können sie also blitzartig wirksam werden. Kein anderes Organ hat solch pfiffige Tricks in petto. Wirklich: keines!

Ein Meisterstück der Evolution

Wie schafft die Leber das alles? Ist sie womöglich das verborgene Denk- und Lenkzentrum unseres Körpers, durchzogen von neuronalen Schaltkreisen, die geheime Signale senden?

Nein. Die Evolution hat mit der Schaffung der Leber ihr Meisterstück hingelegt – und dafür den vermutlich genialsten Bauplan der Welt geschaffen. Verfeinert über 3,5 Millionen Jahre, doch schon in den Grundzügen grandios durchdacht.

Schauen wir ihn uns einmal gemeinsam an: Die Leber ist weich, dunkelrot, mit glatter Haut. Ihr Gewicht liegt zwischen 1,5 und zwei Kilogramm. Sie sieht aus wie ein sanfter breiter Keil und liegt unter dem Zwerchfell im rechten Oberbauch. Auffällig ist die Aufteilung in zwei Teile, einen großen und einen kleinen – die Leberlappen. Um die Leber herum legt sich schützend hauchdünnes Bindegewebe, die Leberkapsel. So zart ist diese Außenhülle natürlich ein Sensibelchen. Bei bestimmten Erkrankungen schwillt die Leber an und dehnt dabei ihre Kapsel. Und anders als die Leber selbst kann dieses Häutchen Schmerzsignale senden. Das tut es prompt, wenn es der Leber zu eng wird. Die Folge ist ein unangenehmer Druck oder auch stechender Schmerz unter den Rippen auf der rechten Körperseite – ein wichtiges Alarmsignal für eine Lebererkrankung.

An der Unterseite der Leber liegt die sogenannte Leberpforte mit dem Gallengang und der »Pfortader«. Ersterer, der Name »Gallengang« verrät es, transportiert die in der Leber gebildete Gallenflüssigkeit in die Gallenblase und weiter in den Darm, wo sie zur (Fett-)Verdauung gebraucht wird.

Die Pfortader ist die verbindende Leitung zu Dünn- und Dickdarm. Von dort transportiert sie mit dem Blut Nährstoffe in die Leber. Auch aus der Bauchspeicheldrüse und der Milz fließt Blut über diese Ader in die Leber. Dieses zentrale »Nährstoffförderband« werden wir im ▶ Kapitel »Wenn die Leber schweigend leidet« noch wesentlich genauer erklären und dort auch schildern, was passiert, wenn es blockiert wird.

Doch zur Beruhigung hier vorab nochmals das tröstliche Mantra unseres Buches: Es gibt kein Organ, das eine solch einzigartige Leidensfähigkeit hat wie die Leber. Sie braucht zum Beispiel höchstens 24 Stunden, um nach Silvesterpartys, Karneval oder Junggesellenabschieden wieder fit zu sein. Doch auch diese Leidensfähigkeit hat natürliche Grenzen. Wenn Sie jedoch das Wissen aus diesem Buch klug anwenden, werden Sie solche Krisen vermutlich nie erleben.

Was Schiffe und die Leber gemeinsam haben

Und nun enthüllen wir ein weiteres Geheimnis des Bauplans der Leber: die acht Segmente.

Um ihre Funktion besser verständlich zu machen, unternehmen wir einen kurzen Exkurs in eine völlig andere Welt: Schiffswerften. Schon seit Jahrhunderten wenden Schiffsbauer eine aus bitterer seemännischer Erfahrung entstandene Konstruktionstechnik an. Anstatt einen durchgehenden Schiffskörper zu bauen, unterteilen sie ihn in Segmente. Schlägt einer der Abschnitte durch eine Havarie leck, werden die übrigen abgeschottet. So verhindern sie, dass sofort der gesamte Rumpf voll Wasser läuft und das Boot somit unweigerlich samt Mann und Maus verloren ist.

Genau dieses Konstruktionsprinzip wandte die Evolution bei der Leber an. Sie ist in acht Segmente unterteilt, die, auf die Leberlappen verteilt, alle weitgehend unabhängig voneinander arbeiten. Jeder dieser Abschnitte besteht aus winzigen, sechseckigen »Leberläppchen«. Wenn es beispielsweise aufgrund eines Tumors notwendig ist, Teile der Segmente operativ zu entfernen, übernehmen die übrigen deren Aufgabe – die Leber bleibt arbeitsfähig. Und – wir erwähnten es bereits – wunderbarerweise wachsen die entfernten Segmente in nur drei Monaten nach; die Leber ist dann wieder genauso groß wie zuvor.

Kein anderes Organ hat derartige Fähigkeiten. Auch nicht die Sympathieträger in unserem Körper, wie das Herz, das Gehirn oder die Nieren.

Ohne die Leber gäbe es unsere menschliche Zivilisation nicht

Zurück zum Beginn unseres Kapitels, denn nun beweisen wir: Die Leber war für unsere Entwicklung zum zivilisierten Menschen wichtiger als das Gehirn.

Unsere virtuelle Mammutjagd könnte vor rund 1,3 Millionen Jahren stattgefunden haben. Zu dieser Zeit hatte die Leber – wie bewiesen – bereits seit zwei Millionen Jahren geniale Fähigkeiten. Damit war sie ihrer Chefin, dem Gehirn, um einiges voraus. Denn dem fehlte noch die wichtigste Fähigkeit, ohne die es vermutlich nie eine Zivilisation gegeben hätte: die Erzeugung und Strukturierung von Sprache. Forscher gehen davon aus, dass unsere Urahnen erst zu dieser Zeit begannen, miteinander über die Sprache zu kommunizieren, d. h. zu reden.(1) reden. Und zwar, um sich gegenseitig bei der Herstellung von Faustkeilen Tipps zu geben.

Wer liefert dem Gehirn für diese Leistung den nötigen Treibstoff, nämlich die bereits beschriebene Glukose, oder – wenn Nahrung ausbleibt – auch den Notbetriebsstoff in Form der Ketonkörper?

Die Leber. Sie rettet die Welt – wieder einmal.

Leber-Wissen

Der geniale Bauplan …

Die Leber ist in der Lage, Nahrung zu erzeugen, auch wenn wir nichts zu essen haben. Diese Fähigkeit ist einer der frühesten Clous der Schöpfung.

Die Leber kann keine Schmerzsignale senden – wohl aber das sie umgebende, hauchdünne Bindegewebe, die Leberkapsel. Warnsignal: Schmerzen unter den Rippen auf der rechten Körperseite.

Kein anderes Organ ist so leidensfähig wie die Leber.

Die Leber ist in acht Segmente unterteilt. Jedes von ihnen kann ohne das andere funktionieren. Darum können Teile der Leber entfernt werden (zum Beispiel bei Krebsoperationen), ohne die Leber als Ganzes zu zerstören.

Die Leber versorgt vor allem das Gehirn mit Nahrung. Nur so konnten wir uns über Millionen Jahre zum Homo sapiens, zum vernunftbegabten Menschen, entwickeln.

Toleranz kann Leben retten

Die Leber erduldet viel mehr als andere Organe – eine Chance für revolutionäre neue Heilungsmethoden.

Wenn Patienten auf ihrem Klinikbett liegend in den zentralen OP-Saal des Addenbrooke’s Hospital der Universität Cambridge geschoben werden, sehen sie zu ihrer Rechten an der Wand eine seltsame Bronzeplastik unter Glas: das Relief eines verschmitzt lächelnden Mannes, gestützt auf seine rechte Hand. Darunter die linke Hand – die einen seltsam geformten Gegenstand hält. Vermutlich befinden sich die Patienten bereits im präoperativen Dämmerschlaf und erkennen deshalb nicht, dass dieser Gegenstand eine menschliche Leber ist.

Mit diesem kleinen Denkmal wird Professor Sir Roy Yorke Calne geehrt. Er ist ein Pionier der Transplantationschirurgie. Seine Forschungen und Experimente haben wesentlich dazu beigetragen, dass Patienten, die eine neue Niere oder Leber benötigen, diesen Eingriff langfristig überleben.

Hält seine Linke deshalb die Leber in Händen? Wohl auch. Aber vor allem auch deshalb, weil Sir Roy Calne eine weitere unglaubliche Fähigkeit der Leber entdeckte und sehr geschickt nutzte: die Toleranz.

Nirgendwo sonst im Körper ist das Immunsystem so tolerant wie in der Leber. Calne hat das in einem aufsehenerregenden Experiment bereits vor mehreren Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen: Er transplantierte Ratten die Lebern oder die Haut von Tieren eines anderen Rattenstammes. Die Haut wurde binnen weniger Tage als Fremdkörper abgestoßen. Die Lebern hingegen arbeiteten, ohne abgestoßen zu werden, viele Wochen, teilweise sogar dauerhaft. Und zwar, ohne dass er den Ratten Medikamente verabreichte, die eine Abstoßungsreaktion unterdrückten. Er selbst war mit seinen Forschungen und Tests maßgeblich an der Entwicklung dieser »Immunsuppressiva« beteiligt und revolutionierte so die Erfolgsaussichten bei Organtransplantationen. Calnes Versuche bewiesen also, dass die Leber viel duldungsfähiger ist als unsere anderen Organe.

Bekämpfen oder tolerieren?

Doch Calne machte noch eine weitere faszinierende Entdeckung: Wenn die Ratte gleichzeitig Leber und Haut eines anderen Stammes transplantiert bekam, bewirkte die tolerante Leber auch, dass diese Haut nicht wie zuvor abgestoßen wurde. Sehr vereinfacht gesagt: Die fremde Leber schützte die transplantierte Haut, weil diese von ihr als zugehörig erkannt und toleriert wurde. Haut fremder Rattenstämme hingegen wurde schnell wieder abgestoßen.

Calne zog daraus einen logischen Schluss: Wenn einem Patienten nicht nur beispielsweise eine fremde Niere, sondern auch zugleich die Leber des Spenders transplantiert wird, senkt dies die Gefahr einer Abstoßungsreaktion erheblich und erhöht so die Überlebenschancen der transplantierten Niere. Die Leber ist also nicht nur das Organ der Toleranz, sie ist auch die Lehrmeisterin der Toleranz.

Diese Toleranz (lat. »tolerare«: erdulden) der Leber ist überlebenswichtig. Denn alles, was wir unserem Körper über den Magen, die Haut oder das Blut zuführen, geht durch die Leber. Dabei muss sie mit einer hochbrisanten Melange fertigwerden, in der ihr so ziemlich alles zugemutet wird – von wertvollen Nährstoffen bis zu »Giftmüll«. Ohne die Toleranz der Leber wäre unser Immunsystem lahmgelegt.

Die Aufgabe des Immunsystems

Unser Immunsystem ist ständig und überall damit beschäftigt, Frieden zu erhalten. Wie eine wachsame Polizei muss es Gefahren frühzeitig erkennen und, je nach Einschätzung der Lage, über kleinere Verfehlungen auch mal hinwegsehen, aber bei echter Gefahr auch schnell entschlossen reagieren.

Bakterien, die normalerweise auf unserer Haut, in unserem Mund, in unserem Darm leben, sind freundlich zu behandeln. Bakterien, die in Gewebe eindringen, müssen hingegen schnell und entschlossen bekämpft werden. Diese Aufgabe ist unendlich schwer, denn gefährliche Bakterien sind von harmlosen kaum zu unterscheiden. Was die Aufgabe noch schwieriger macht: An einem Ort sind sie harmlos, an einem anderen hingegen gefährlich.

Auch sehen Bakterien den körpereigenen Zellen durchaus ähnlich, weil sie zum Teil aus ähnlichen Bausteinen aufgebaut sind – denn was sich in der Evolution als ein nützliches Enzym oder als ein flexibler Bestandteil einer Zellmembran bewährt hat, wird kopiert und in anderen Zellen baugleich angewandt. Weil die Aufgabe, Bakterien von körpereigenen Zellen zu unterscheiden, so unendlich schwierig ist, gibt es keinen kompletten Schutz vor Infektionen. Angesichts der Komplexität der Herausforderungen verwundert es nicht, dass es in unserem Immunsystem manchmal zu Überreaktionen kommt. Harmlose Dinge (wie zum Beispiel Pollen) und körpereigene Strukturen werden angegriffen. So entstehen Allergien und Autoimmunerkrankungen.

Die Leber stellt selbst Chemikalien her

Für die Leber ist die Immunabwehr noch ein gutes Stück schwieriger, denn nirgendwo sonst im Körper hat das Immunsystem es mit so vielen unbekannten Molekülen zu tun, bei denen es tagtäglich entscheiden muss, ob diese zu bekämpfen oder zu tolerieren sind. Und wie im wirklichen Leben ist es besser, die meisten zu tolerieren, um ein friedliches Leben führen zu können.

Das hat drei wesentliche Gründe:

Alles Blut aus unseren Verdauungsorganen sammelt sich in dem bereits erwähnten großen Blutgefäß, der Pfortader. Von dort strömt es in die Leber, wo es verarbeitet wird. Mit diesem Blut werden aus dem Darm unendlich viele Nahrungsbestandteile aufgenommen, die für das Immunsystem eigentlich erst einmal fremd sind. Vieles ist zwar durch die Verdauung so zerkleinert worden, dass es den körpereigenen Substanzen weitgehend gleicht. Vieles aber ist auch von unendlicher Vielfalt und dem Körper eigentlich fremd – hierzu gehören genauso Vitamine (die ja so heißen, weil wir sie zwingend zum Überleben brauchen und nicht selber herstellen können, sondern in den Körper aufnehmen müssen) wie die unendliche Vielfalt chemischer Substanzen.

Und keine chemische Industrie kann so viele chemische Substanzen herstellen wie die Natur. Ob Menthol aus Pfefferminz, ob Ascorbinsäure aus Zitrusfrüchten, Bitterstoffe im Fencheltee oder die Asparagusinsäure des Spargels. Wer je nach einem guten Spargelessen beim Gang zur Toilette einen ungewohnt strengen Geruch wahrgenommen hat, wurde live Zeuge eines Verarbeitungsprozesses der Leber. Denn die Asparagusinsäure wird dort in den stark riechenden Stoff umgewandelt, der mit dem Urin ausgeschieden wird. All dies sind neue Chemikalien für unser Immunsystem, auf die wir nicht allergisch reagieren wollen.

Das Blut aus dem Darm bringt aber auch Bestandteile von Bakterien und anderen Mikroben mit, denn der Darm ist mit einer unendlichen Anzahl dieser kleinsten Lebewesen besiedelt. Durch die Darmwand dringen immer mal wieder Teile davon durch. Diese müssen einerseits effektiv abgefangen werden, sofern es sich noch um lebensfähige Mikroben handelt, damit sie keine Blutvergiftung verursachen. Andererseits soll nicht jedes mikrobielle Partikel gleich aggressiv bekämpft werden, sonst hätten wir dauernd unnötige Entzündungen im Körper. Wenn ein Partikel nicht mehr lebensfähig ist, kann es ja eigentlich keinen Schaden mehr anrichten. Hier wären Überreaktionen besonders schädlich.

Die Leber hat uns ja bereits mit zahlreichen einmaligen Fähigkeiten überrascht. Jetzt kommt noch eine hinzu: Sie kann nicht nur mit fremden Chemikalien fertigwerden – sie stellt sogar selbst Chemikalien her!

Als das zentrale Organ des Stoffwechsels, aber auch der Entgiftung hat die Leber die Aufgabe, die Tausende von Chemikalien, die der Körper aufnimmt, in Einzelbestandteile zu zerlegen, die dann über die Galle oder über den Urin (zum Beispiel die umgewandelte Asparagusinsäure nach dem Spargelessen) ausgeschieden werden können. Oder aber sie wandelt einzelne Teile so um, dass daraus etwas Neues, Nützliches gebaut werden kann. Dass die Leber diese Aufgabe exzellent bewältigt, erläutern wir andernorts am Beispiel von Medikamenten, die wir als sogenannte »Vorformen« zu uns nehmen und die erst in der Leber in ▶ wirksame Medikamente umgewandelt werden. All diese neu hergestellten Chemikalien und auch die Zwischenstufen sollen möglichst vom Immunsystem toleriert werden, damit es nicht dauernd Aufruhr in der Leber gibt.

Wir sehen also, dass die Leber mit diesen großen Herausforderungen tolerant umgeht. Wie wichtig und hilfreich diese Toleranz sein kann, bewies Sir Roy Calne mit seinen zu Beginn dieses Kapitels beschriebenen Transplantationen.

Unser Immunsystem ist ständig und überall damit beschäftigt, Frieden zu erhalten.

Doch wir wissen alle: Nur tolerant zu sein kann auf Dauer nicht gut gehen. Oder, wie der kantige und für seine messerscharfen Kommentare im Bundestag legendär gewordene Politiker und langjährige SPD-Fraktionschef Herbert Wehner (1906–1990) einst sagte: »Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein.«

Richtig essen und trinken: So schonen Sie Ihre Leber