Das Schwert der Vorsehung - Andrzej Sapkowski - E-Book

Das Schwert der Vorsehung E-Book

Andrzej Sapkowski

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Beschreibung

Untiere, Dämonen, Spannung und Witz  »Was soll man von dir halten - ein Hexer, der jeden zweiten Tag ein einträgliches Angebot ausschlägt? Die Hirikka tötest du nicht, weil die am Aussterben sind, den Streitling nicht, weil er unschädlich ist, die Nächtin nicht, weil sie nett ist, den Drachen nicht, weil's der Kodex verbietet ...« Der Hexer Geralt von Riva verdient seinen Lebensunterhalt recht und schlecht mit dem Beseitigen von allerlei Ungeheuern. Nicht selten begegnen ihm die Leute, die ihn anheuern, mit tiefem Argwohn. Doch damit kann er leben. Obwohl es sein Ehrenkodex eigentlich verbietet, schließt er sich einer Gruppe von Drachenjägern an - denn die Zauberin Yennefer, seine verlorengeglaubte Geliebte, ist unter ihnen. Aber die Interessen der Jäger sind zu unterschiedlich: Es beginnt ein Kampf jeder gegen jeden. Und ganz allmählich wird eine Bedrohung der festgefügten Ordnung spürbar … Das gleichnamige Hörbuch erscheint bei JUMBO. Weitere Informationen finden Sie hier.

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Andrzej Sapkowski

Das Schwert der Vorsehung

Aus dem Polnischen von Erik Simon

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

DIEGRENZEDESMÖGLICHEN

I

Der kommt da nicht mehr raus, sag ich euch«, erklärte der Picklige mit überzeugtem Kopfnicken. »Es ist schon ein und eine Viertelstunde her, dass er hineingestiegen ist. Mit dem ist es aus.«

Die Bürger, die sich um die Ruinen drängten, schwiegen, den Blick auf die im Schutt klaffende Öffnung geheftet, auf den halb verschütteten Eingang in das Gewölbe. Ein dicker Mann im goldenen Wams trat von einem Fuß auf den anderen, räusperte sich, nahm das zerknitterte Barett vom Kopf.

»Wir wollen noch etwas warten«, sagte er und wischte sich den Schweiß aus den dünnen Brauen.

»Worauf?«, schnaubte der Picklige. »In dem Verlies sitzt ein Basilisk, habt Ihr das vergessen, Schulze? Wer da reingeht, ist schon verloren. Sind doch genug Leute da umgekommen. Worauf also warten?«

»Wir haben es ja vorher so abgemacht«, murmelte der Dicke unsicher. »Haben wir doch?«

»Abgemacht habt Ihr’s, als er noch lebte, Schulze«, ließ sich der Gefährte des Pickligen vernehmen, ein Riese mit lederner Fleischerschürze. »Aber jetzt ist er tot, das ist sonnenklar. Es stand von vornherein fest, dass er ins Verderben geht, wie die anderen. Er ist ja sogar ohne Spiegel gegangen, nur mit dem Schwert. Aber ohne Spiegel kriegt man keinen Basilisken tot, das weiß jeder.«

»Das Geld habt Ihr gespart, Schulze«, setzte der Picklige hinzu. »Denn für den Basilisken zu bezahlen braucht Ihr auch niemanden. Also geht alle ruhig nach Hause. Aber das Pferd und die Habe des Zauberers nehmen wir uns, wär ja schade drum.«

»Ja«, sagte der Fleischer. »’ne stattliche Stute, und auch die Satteltaschen sind nicht schlecht gefüllt. Lasst uns nachschauen, was drin ist.«

»Wieso? Was soll das?«

»Seid still, Schulze, und mischt Euch nicht ein, sonst kriegt Ihr Scherereien«, warnte ihn der Picklige.

»’ne stattliche Stute«, wiederholte der Fleischer.

»Lass das Pferd in Ruhe, mein Lieber.«

Der Fleischer wandte sich langsam zu dem Fremden um, der aus einer Mauerlücke hervorkam, hinter den Leuten hervor, die vor dem Eingang ins Verlies standen.

Der Fremde hatte lockiges, dichtes kastanienfarbenes Haar, er trug einen braunen Umhang über dem gefütterten Rock und hohe Reiterstiefel. Und keine Waffen.

»Geh von dem Pferd weg«, wiederholte er mit giftigem Lächeln. »Was soll denn das? Ein fremdes Pferd, fremde Satteltaschen, fremdes Eigentum, und du beäugst es mit deinen Triefaugen, streckst deine räudige Hand danach aus? Gehört sich das?«

Der Picklige schob langsam die Hand unter sein Wams und schaute den Fleischer an. Der Fleischer nickt erst ihm zu, dann der Gruppe, aus der noch zwei kräftige, kurz geschorene Kerle traten. Beide trugen Knüppel, wie man sie im Schlachthaus zum Betäuben des Viehs benutzt.

»Wer seid Ihr denn«, fragte der Picklige, ohne die Hand aus dem Wams zu nehmen, »dass Ihr uns lehren wollt, was sich gehört und was nicht?«

»Das geht dich nichts an, mein Lieber.«

»Ihr tragt keine Waffen.«

»Stimmt.« Der Fremde lächelte noch giftiger. »Ich trage keine.«

»Das ist nicht gut.« Der Picklige zog die Hand mit einem langen Messer darin aus dem Wams. »Das ist gar nicht gut, dass Ihr keine tragt.«

Auch der Fleischer zog ein Messer hervor, lang wie ein Hirschfänger. Die beiden anderen traten vor, die Knüppel erhoben.

»Ich brauche keine zu tragen«, sagte der Fremde, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Meine Waffen folgen mir nach.«

Hinter den Ruinen kamen mit leichtem, sicherem Schritt zwei junge Mädchen hervor. Augenblicklich wich die Menge zurück, zerstreute sich.

Die beiden Mädchen lächelten, ließen die Zähne blitzen und die Augen funkeln, von deren Winkeln die breiten blauen Streifen einer Tätowierung zu den Ohren liefen. Auf den kräftigen Schenkeln, die unter den um die Hüften geschlungenen Luchsfellen zu sehen waren, und den bloßen runden Armen oberhalb der Kettenhandschuhe spielten die Muskeln. Über den ebenfalls von Kettenhemden bedeckten Schultern ragten die Griffe von Säbeln empor.

Langsam, schön langsam beugte der Picklige die Knie, ließ das Messer fallen.

Aus dem Loch im Schutt ertönte das Poltern von Steinen, worauf aus der Finsternis Hände auftauchten und den schartigen Mauerrand packten. Nach den Händen erschienen nach und nach: ein Kopf mit weißen, von Ziegelstaub bedeckten Haaren, ein bleiches Gesicht, das Heft eines Schwertes, das hinter den Schultern emporragte. Die Menge begann zu murmeln.

Der Weißhaarige bückte sich und zog aus dem Loch eine sonderbare Gestalt, einen wunderlichen Körper, in blutverschmierten Staub gehüllt. Er hielt das Geschöpf am langen, echsenartigen Schwanz gepackt und warf es wortlos dem dicken Schulzen vor die Füße. Der Schulze sprang zurück und stolperte über einen Mauerbrocken, den Blick auf den gebogenen Vogelschnabel gerichtet, die ledrigen Flügel und die schuppenbedeckten Pfoten. Auf den aufgedunsenen Kropf, einst karminrot, jetzt schmutzig rötlich. Auf die glasigen, eingesunkenen Augen.

»Da ist der Basilisk«, sagte der Weißhaarige und klopfte sich den Staub von der Hose. »Wie vereinbart. Meine zweihundert Lintar, wenn’s beliebt. Gute Lintar, wenig beschnitten. Ich prüf nach, ich sag’s gleich.«

Der Schulze kramte mit zitternden Händen einen Geldbeutel hervor. Der Weißhaarige sah sich um, ließ den Blick einen Moment lang auf dem Knienden verharren, auf dem zu seinen Füßen liegenden Messer. Er schaute den Mann im braunen Umhang an, die Mädchen in den Luchsfellen.

»Wie üblich«, sagte er und nahm die Geldkatze aus den bebenden Händen des Schulzen. »Ich riskier euretwegen für ein paar Pfifferlinge den Hals, und ihr macht euch inzwischen über meine Sachen her. Ihr ändert euch nie, hol euch der Teufel.«

»Wir haben nichts angerührt«, murmelte der Fleischer und wich zurück. Die beiden mit den Knüppeln waren längst in der Menge untergetaucht. »Wir haben Eure Sachen nicht angerührt, Herr.«

»Sehr erfreut.« Der Weißhaarige lächelte. Angesichts dieses Lächelns, das auf dem bleichen Gesicht erblühte wie eine aufbrechende Wunde, begann sich die Menge rasch zu zerstreuen. »Und darum, Brüderchen, werde ich dich auch nicht anrühren. Geh in Frieden. Aber geh schnell.«

Der Picklige wollte sich ebenfalls zurückziehen, rückwärts. Die Pickel auf seinem bleich gewordenen Gesicht traten plötzlich hässlich hervor.

»He, warte«, sagte der Mann im braunen Umhang zu ihm. »Du hast etwas vergessen.«

»Was … Herr?«

»Du hast das Messer gegen mich gezückt.«

Das größere der beiden Mädchen, das breitbeinig dastand, bewegte sich plötzlich, drehte sich in der Hüfte. Ohne dass jemand gesehen hätte, wie sie den Säbel zog, pfiff dieser scharf durch die Luft. Der Kopf des Pickligen flog in hohem Bogen in die dunkle Öffnung des Verlieses. Der Körper fiel steif und schwer wie ein gefällter Baumstamm zwischen den Ziegelschutt. Die Menge schrie auf wie mit einer Stimme. Das andere Mädchen, die Hand am Heft, drehte sich behende um und gab Rückendeckung. Es war nicht nötig. Über die Trümmer stolpernd und sich drängend, lief die Menge zur Stadt, so schnell sie nur konnte. An der Spitze rannte mit beeindruckenden Sätzen der Schulze, der den riesenhaften Fleischer um etliche Klafter überholt hatte.

»Ein hübscher Hieb«, bemerkte der Weißhaarige kalt und schirmte mit der Hand im schwarzen Handschuh die Augen gegen die Sonne ab. »Ein hübscher Hieb mit einem serrikanischen Säbel. Ich verneige mich vor der Tüchtigkeit und der Schönheit der freien Kriegerinnen. Ich bin Geralt von Riva.«

»Und ich«, der Unbekannte im braunen Umhang zeigte auf ein verschossenes Wappen auf der Vorderseite seiner Kleidung, das drei schwarze Vögel darstellte, die in einer Reihe in einem ungeteilten goldenen Feld saßen, »ich bin Borch, genannt Drei Dohlen. Und das sind meine Mädchen, Tea und Vea. So nenne ich sie, denn bei ihren richtigen Namen kann man sich die Zunge brechen. Sie sind beide, wie du richtig erraten hast, Serrikanerinnen.«

»Ihnen habe ich es anscheinend zu verdanken, dass mir Pferd und Habe geblieben sind. Ich danke euch, Kriegerinnen. Ich danke auch Euch, Herr Borch.«

»Drei Dohlen. Und schenk dir den ›Herrn‹. Hält dich etwas an diesem Ort, Geralt von Riva?«

»Ganz im Gegenteil.«

»Hervorragend. Ich habe einen Vorschlag – hier in der Nähe, bei der Weggabelung an der Straße zum Flusshafen, gibt es eine Herberge. Sie heißt ›Zum Nachdenklichen Drachen‹. Die Küche dort hat in der ganzen Gegend nicht ihresgleichen. Dorthin bin ich eigentlich unterwegs, um was zu essen und ein Nachtlager zu bekommen. Es wäre mir lieb, wenn du mir Gesellschaft leisten wolltest.«

»Borch« – der Weißhaarige wandte sich vom Pferd ab, schaute dem Unbekannten in die hellen Augen –, »ich möchte nicht, dass es zwischen uns Unklarheiten gibt. Ich bin Hexer.«

»Das hab ich mir gedacht. Aber du sagst es in einem Ton, als würdest du sagen: ›Ich bin aussätzig.‹«

»Es gibt Leute«, sagte Geralt langsam, »die die Gesellschaft von Aussätzigen der eines Hexers vorziehen würden.«

»Es gibt auch Leute« – Drei Dohlen lächelte –, »die ein Schaf einem Mädchen vorziehen. Nun ja, sie können mir nur leidtun, die einen wie die anderen. Ich bleibe bei meinem Angebot.«

Geralt zog den Handschuh aus, drückte die ihm dargebotene Hand. »Ich nehme an und freue mich über unsere Bekanntschaft.«

»Also dann, auf den Weg; ich habe nämlich Hunger.«

II

Der Herbergswirt wischte mit einem Lappen über die rauen Tischbretter, verneigte sich und lächelte. Ihm fehlten zwei Vorderzähne.

»Soo …« Drei Dohlen ließ den Blick kurz auf der rußigen Zimmerdecke und den darunter hausenden Spinnen verweilen. »Für den Anfang … Für den Anfang Bier. Damit du nicht zweimal zu gehen brauchst, gleich ein ganzes Fässchen. Und dazu … Was kannst du zum Bier empfehlen, mein Lieber?«

»Käse?«, schlug der Wirt unsicher vor.

»Nein.« Borch verzog das Gesicht. »Käse gibt’s zum Nachtisch. Zum Bier wollen wir was Saftiges und Scharfes.«

»Sehr wohl.« Der Wirt lächelte noch breiter. Die beiden Vorderzähne waren nicht die einzigen, die ihm fehlten. »Aale mit Knoblauch in Olivenöl und Essig oder marinierte grüne Paprikaschoten …«

»In Ordnung. Sowohl als auch. Und dann Suppe, so eine, wie ich sie hier mal gegessen habe, da schwammen verschiedene Muscheln, Fischchen und anderes schmackhaftes Viehzeug drin.«

»Flößersuppe?«

»Genau. Und dann Lammbraten mit Zwiebeln. Und dann ein Schock Krebse. Tu so viel Dill in die Töpfe, wie reinpasst. Und dann Schafskäse und Salat. Und dann sehen wir weiter.«

»Sehr wohl. Für alle, also viermal?«

Die größere der Serrikanerinnen schüttelte den Kopf, klopfte sich vielsagend auf die Taille in dem engen Leinenhemd.

»Ach ja.« Drei Dohlen zwinkerte Geralt zu. »Die Mädchen achten auf die Figur. Herr Wirt, den Hammelbraten nur für uns beide. Das Bier bring gleich, zusammen mit den Aalen. Mit dem Rest wart ein Weilchen, dass es nicht kalt wird. Wir sind nicht zum Fressen gekommen, sondern einfach, um die Zeit zu verplaudern.«

»Verstehe.« Der Wirt verneigte sich nochmals.

»Umsicht ist wichtig in deinem Beruf. Komm, streck die Hand aus, mein Lieber.«

Goldmünzen klimperten. Der Schankwirt zog den Mund bis an die Grenze des Möglichen breit.

»Das ist keine Anzahlung«, ließ Drei Dohlen wissen. »Das ist ein Draufgeld. Und jetzt geschwind in die Küche, guter Mann.«

In dem Alkoven war es warm. Geralt öffnete den Gürtel, zog den Kittel aus und krempelte die Hemdsärmel hoch.

»Wie ich sehe«, sagte er, »leidest du nicht unter Mangel an Barem. Du lebst von den Vorrechten des Ritterstandes?«

»Zum Teil.« Drei Dohlen lächelte und vermied Einzelheiten.

Mit den Aalen und einem Viertel des Fässchens waren sie bald fertig. Auch die beiden Serrikanerinnen verschmähten das Bier nicht, und beide wurden alsbald sichtlich fröhlicher. Sie tuschelten etwas miteinander. Vea, die größere, brach plötzlich in kehliges Lachen aus.

»Reden die Mädchen die Gemeinsprache?«, fragte Geralt leise und betrachtete sie aus den Augenwinkeln.

»Wenig. Und sie sind nicht gesprächig. Was zu loben ist. Wie findest du die Suppe, Geralt?«

»Hmm.«

»Lass uns trinken.«

»Hmm.«

»Geralt.« Drei Dohlen legte den Löffel hin und stieß würdevoll auf. »Lass uns für einen Moment auf unser Gespräch von unterwegs zurückkommen. Soweit ich verstanden habe, ziehst du als Hexer überall in der Welt umher, und wenn du unterwegs auf ein Ungeheuer triffst, tötest du es. Und verdienst damit dein Geld. Darin besteht der Hexerberuf?«

»Mehr oder weniger.«

»Und es kommt vor, dass du eigens gerufen wirst? Sagen wir, ein Spezialauftrag. Was dann – reitest du hin und führst ihn aus?«

»Kommt drauf an, wer da ruft und wozu.«

»Und für wie viel?«

»Das auch.« Der Hexer zuckte mit den Achseln. »Es wird alles teurer, und das Leben muss weitergehen, wie eine mir bekannte Zauberin zu sagen pflegte.«

»Eine ziemlich wählerische Betrachtungsweise, sehr praktisch, würde ich sagen. Aber die Grundlage bildet ja eine bestimmte Idee, Geralt. Der Konflikt der Mächte der Ordnung mit den Mächten des Chaos, wie ein mir bekannter Zauberer zu sagen pflegte. Ich habe mir vorgestellt, dass du eine Mission erfüllst, die Menschen vor dem Bösen beschützt, immer und überall. Ohne Wenn und Aber. Dass du auf einer deutlich festgelegten Seite der Palisade stehst.«

»Die Mächte der Ordnung, die Mächte des Chaos. Schrecklich große Worte, Borch. Natürlich willst du mich auf einer bestimmten Seite der Palisade sehen, und das in einem Konflikt, der, wie allgemein angenommen wird, lange vor uns begonnen hat und noch andauern wird, wenn es uns längst nicht mehr gibt. Auf welcher Seite steht der Schmied, der ein Pferd beschlägt? Unser Wirt, der da gerade den Topf mit dem Hammelbraten bringt? Was, meinst du, bestimmt die Grenze zwischen dem Chaos und der Ordnung?«

»Sehr einfach.« Drei Dohlen blickte ihm direkt in die Augen. »Das, was das Chaos vertritt, ist die Bedrohung, die angreifende Seite. Die Ordnung dagegen ist die bedrohte Seite, die der Verteidigung bedarf. Die Verteidiger braucht. Ach, lass uns trinken. Und uns an den Braten machen.«

»Richtig.«

Die auf ihre Figur bedachten Serrikanerinnen legten eine Essenspause ein, die sie mit beschleunigtem Trinken füllten. Vea, über die Schulter ihrer Gefährtin gebeugt, flüsterte wieder etwas, wobei sie mit dem Zopf über die Tischplatte fegte. Tea, die Kleinere, lachte laut auf und blinzelte fröhlich mit den tätowierten Lidern.

»So«, sagte Borch, während er einen Knochen abnagte. »Fahren wir mit unserem Gespräch fort, wenn du erlaubst. Ich habe verstanden, dass du keinen besonderen Wert darauf legst, dich auf eine der beiden Mächte festzulegen. Du machst deine Arbeit.«

»Mach ich.«

»Aber dem Konflikt zwischen Chaos und Ordnung kannst du nicht ausweichen. Obwohl du diesen Vergleich benutzt hast, bist du kein Schmied. Ich habe gesehen, wie du arbeitest. Du gehst in einen Keller in den Ruinen und kommst mit einem erschlagenen Basilisken heraus. Es gibt da, mein Lieber, einen Unterschied zwischen dem Beschlagen eines Pferdes und dem Töten von Basilisken. Du hast gesagt, wenn der Lohn stimmt, eilst du bis ans Ende der Welt und erledigst das Geschöpf, das man dir bezeichnet. Sagen wir, ein wütender Drache verwüstet …«

»Ein schlechtes Beispiel«, unterbrach ihn Geralt. »Siehst du, schon kommst du mit deinem Chaos und deiner Ordnung durcheinander. Denn Drachen, die zweifellos das Chaos vertreten, töte ich nicht.«

»Wie das?« Drei Dohlen leckte sich die Finger ab. »Ausgerechnet! Schließlich ist unter allen Ungeheuern der Drache wohl das schädlichste, grausamste und gefräßigste. Das widerwärtigste Scheusal. Er fällt Menschen an, speit Feuer und raubt diese … na, Jungfrauen. Solche Geschichten hört man doch oft genug. Es kann nicht sein, dass du als Hexer nicht ein paar Drachen auf dem Konto hast.«

»Ich mache keine Jagd auf Drachen«, erklärte Geralt trocken. »Auf Gabelschwänze schon. Auf Flugschlangen. Auf Flatterer. Aber nicht auf echte Drachen, grüne, schwarze und rote. Nimm das einfach zur Kenntnis.«

»Du überraschst mich. Aber schön, ich hab’s zur Kenntnis genommen. Genug übrigens von den Drachen, ich seh am Horizont etwas Rotes, das werden wohl unsere Krebse sein. Lass uns trinken!«

Knackend zerbissen sie die roten Panzer, schlürften das weiße Fleisch heraus. Das Salzwasser spritzte und lief ihnen über die Handgelenke. Borch schenkte Bier nach, das er mit der Kelle vom Boden des Fässchens holte. Die Serrikanerinnen waren noch lustiger geworden, beide ließen mit anzüglichem Lächeln den Blick durch die Schenke schweifen, der Hexer war sich sicher, dass sie Gelegenheit zu einem Abenteuer suchten. Drei Dohlen musste das auch bemerkt haben, denn plötzlich drohte er ihnen mit einem am Schwanz gehaltenen Krebs. Die Mädchen begannen zu kichern, und Tea spitzte die Lippen wie zum Kuss und kniff ein Auge zusammen – bei ihrem tatöwierten Gesicht sah das makaber aus.

»Die sind wild wie der Teufel.« Drei Dohlen zwinkerte Geralt zu. »Man muss ein Auge auf sie haben. Bei ihnen, mein Lieber, geht’s ruckzuck, und ehe man sich’s versieht, fliegen ringsum die Fetzen. Aber sie sind ihr Geld allemal wert. Wenn du wüsstest, was sie können …«

»Ich weiß.« Geralt nickte. »Eine bessere Eskorte findet man schwerlich. Serrikanerinnen sind die geborenen Kriegerinnen, von Kindesbeinen an im Kampfe ausgebildet.«

»Das meine ich nicht.« Borch spuckte einen Krebsfuß auf den Tisch. »Ich meinte, wie sie im Bett sind.«

Geralt warf einen beunruhigten Blick auf die Mädchen. Beide lächelten. Vea langte mit einer blitzschnellen, fast unsichtbaren Bewegung nach der Schüssel. Während sie den Hexer aus zusammengekniffenen Augen ansah, zerbiss sie krachend die Schale. Aus ihrem Mund troff das Salzwasser. Drei Dohlen rülpste vernehmlich.

»Also machst du, Geralt«, sagte er, »keine Jagd auf Drachen, grüne und andersfarbige. Zur Kenntnis genommen. Aber warum, wenn man fragen darf, nur auf diese drei Farben nicht?«

»Vier, wenn man es genau nimmt.«

»Du hast von dreien gesprochen.«

»Du interessierst dich sehr für Drachen. Aus einem bestimmten Grunde?«

»Nein. Reine Neugier.«

»Aha. Was diese Farben betrifft, so beschreibt man damit üblicherweise die echten Drachen. Obwohl die Beschreibung nicht exakt ist. Die grünen Drachen, die bekanntesten, sind eher grau, wie gewöhnliche Flugschlangen. Die roten sind praktisch rötlich oder ziegelrot. Für die großen Drachen von dunkelbrauner Farbe hat sich die Bezeichnung ›schwarz‹ eingebürgert. Am seltensten sind die weißen Drachen, so einen hab ich nie gesehen. Sie leben weit im Norden. Heißt es.«

»Interessant. Und weißt du, von was für Drachen ich außerdem gehört habe?«

»Ich weiß.« Geralt nahm einen Schluck Bier. »Von denselben, von denen ich auch gehört habe. Goldenen. Die gibt es nicht.«

»Aus welchem Grunde behauptest du das? Weil du nie einen gesehen hast? Einen weißen hast du anscheinend auch nie gesehen.«

»Darum geht es nicht. Jenseits des Meeres, in Ophir und Sangwebar, gibt es weiße Pferde mit schwarzen Streifen. Die hab ich auch nie gesehen, aber ich weiß, dass es sie gibt. Aber der goldene Drache ist eine Mythenschöpfung. Eine Legende. Wie der Phönix zum Beispiel. Phönixe und goldene Drachen gibt es nicht.«

Vea, die Ellenbogen aufgestützt, schaute ihn interessiert an.

»Du weißt sicherlich, wovon du redest, du bist der Hexer.« Borch schöpfte Bier aus dem Fässchen. »Ich denke aber, dass jeder Mythos, jede Legende einen Ursprung haben muss. Und in diesem Ursprung liegt etwas.«

»Stimmt«, bestätigte Geralt. »Meistens ein Traum, ein Wunsch, eine Sehnsucht. Der Glaube, dass es keine Grenzen des Möglichen gibt. Und manchmal der Zufall.«

»Eben, der Zufall. Vielleicht gab es einmal einen goldenen Drachen, eine einmalige Mutation?«

»Wenn es so war, dann hat ihn das Los aller Mutanten ereilt.« Der Hexer wandte den Kopf ab. »Er war zu verschieden, um überdauern zu können.«

»Ha«, sagte Drei Dohlen, »jetzt widersprichst du den Naturgesetzen, Geralt. Mein Bekannter, der Zauberer, pflegte zu sagen, dass in der Natur jedes Wesen seine Fortsetzung hat und fortdauert, auf die eine oder andere Weise. Das Ende des einen ist der Beginn von etwas anderem, es gibt keine Grenzen des Möglichen, zumindest kennt die Natur keine.«

»Ein großer Optimist war dein Zauberer. Nur eins hat er nicht berücksichtigt: einen Irrtum der Natur. Oder derjenigen, die mit ihr gespielt haben. Der goldene Drache und dergleichen Mutanten, soweit es sie gegeben hat, konnten nicht überdauern. Dem stand wohl eine sehr natürliche Grenze des Möglichen entgegen.«

»Was ist das für eine Grenze?«

»Mutanten« – die Muskeln in Geralts Gesicht zuckten heftig –, »Mutanten sind unfruchtbar, Borch. Nur in Legenden kann überdauern, was in der Natur nicht zu überdauern vermag. Nur Legende und Mythos kennen keine Grenzen des Möglichen.«

Drei Dohlen schwieg. Geralt betrachtete die Mädchen, ihre plötzlich ernst gewordenen Gesichter. Vea neigte sich unerwartet zu ihm herüber, legte einen harten, muskulösen Arm um seinen Hals. Er spürte ihre vom Bier feuchten Lippen auf der Wange.

»Sie lieben dich«, sagte Drei Dohlen langsam. »Verdammt will ich sein, sie lieben dich.«

»Was ist daran ungewöhnlich?« Der Hexer lächelte traurig.

»Nichts. Aber das müssen wir begießen! Wirt! Noch ein Fässchen!«

»Übertreib nicht. Höchstens einen Krug.«

»Zwei Krüge!«, blaffte Drei Dohlen. »Tea, ich muss mal eben raus.«

Die Serrikanerin stand auf, nahm den Säbel von der Tischplatte, ließ einen scharfen Blick durch den Saal schweifen. Obwohl zuvor etliche Augenpaare, wie der Hexer bemerkt hatte, angesichts des prallen Geldbeutels ungut aufgeleuchtet hatten, machte niemand Anstalten, Borch zu folgen, der leicht wankend auf den Ausgang zum Hof hin zuging. Tea zuckte mit den Schultern und folgte ihrem Dienstherrn.

»Wie heißt du wirklich?«, fragte Geralt die am Tisch Zurückgebliebene. Vea ließ die weißen Zähne blitzen. Ihr Wams hatte sie weit aufgeschnürt, fast bis an die Grenze des Möglichen. Der Hexer zweifelte nicht daran, dass das die nächste Attacke auf den Saal war.

»Alveaenerle.«

»Schön.« Der Hexer war sich sicher, dass die Serrikanerin das Mündchen spitzen und ihm zuzwinkern würde. Er täuschte sich nicht.

»Vea?«

»Hm?«

»Warum reitet ihr mit Borch? Ihr, die freien Kriegerinnen? Kannst du antworten?«

»Hm.«

»Hm, was?«

»Er ist …« Mit gerunzelter Stirn suchte die Serrikanerin nach Worten. »Er ist … der … Schönste.«

Der Hexer nickte. Die Maßstäbe, nach denen Frauen männliche Attraktivität beurteilten, waren ihm nicht zum ersten Mal ein Rätsel.

Drei Dohlen kam polternd in den Alkoven zurück, wobei er sich noch die Hosen zuknöpfte, und gab dem Wirt laut Bestellungen auf. Tea, die sich zwei Schritte hinter ihm hielt und sich gelangweilt gab, schaute sich in der Schenke um, aber die Kaufleute und Flößer wichen ihrem Blick sorgsam aus. Vea schlürfte den nächsten Krebs aus, wobei sie dem Hexer alle naselang vielsagende Blicke zuwarf.

»Ich hab noch für jeden einen Braten bestellt, diesmal gebacken.« Drei Dohlen setzte sich schwer, und sein offener Gürtel klirrte. »Ich hab mich mit diesen Krebsen abgequält und irgendwie Hunger gekriegt. Und ich hab dir hier ein Nachtlager besorgt, Geralt. Es hat keinen Sinn, dass du dich nachts auf den Weg machst. Wir werden noch Spaß haben. Euer Wohl, Mädchen!«

»Vessekhea!«, sagte Vea und trank ihm zu. Tea blinzelte und reckte sich, wobei ihr attraktiver Busen entgegen Geralts Erwartung das Hemd nicht aufriss.

»Wir werden Spaß haben.« Drei Dohlen lehnte sich über den Tisch und kniff Tea in den Hintern. »Wir werden Spaß haben, Hexer! He, Wirt! Komm her!«

Der Wirt eilte herbei, wobei er sich die Hände an der Schürze abwischte.

»Findet sich bei dir ein Zuber? So für die Wäsche, solide und groß?«

»Wie groß, Herr?«

»Für vier Personen.«

»Für … vier …« Dem Wirt blieb der Mund offen stehen.

»Für vier«, bestätigte Drei Dohlen und holte aus der Tasche einen prallen Beutel.

»Findet sich.« Der Wirt leckte sich die Lippen.

»Sehr gut.« Borch lachte. »Lass ihn nach oben tragen, in mein Zimmer, und mit heißem Wasser füllen. Hurtig, mein Lieber. Und lass auch Bier hinauftragen, so drei Krüge.«

Die Serrikanerinnen begannen zu kichern und zu blinzeln.

»Welche möchtest du?«, fragte Drei Dohlen. »Na? Geralt?«

Der Hexer kratzte sich den Nacken.

»Ich weiß, die Wahl fällt schwer«, sagte Drei Dohlen verständnisvoll. »Ich hab selber manchmal Schwierigkeiten. Gut, wir entscheiden uns im Bad. He, Mädchen! Helft mir die Treppe hinauf!«

III

Die Brücke war zu. Den Weg versperrte ein langer, solider Balken auf Holzböcken. Vor ihm und hinter ihm standen Hellebardenträger in nietenbesetzten Lederwämsen und Kapuzen aus Ringgeflecht. Über der Sperre wehte träge eine purpurne Fahne mit dem Zeichen eines silbernen Greifen.

»Was zum Teufel soll das?«, wunderte sich Drei Dohlen, während er im Schritt näher ritt. »Geht’s hier nicht weiter?«

»Habt Ihr einen Geleitbrief?«, fragte der am nächsten Stehende der Soldaten, ohne den Zweig aus dem Mund zu nehmen, auf dem er kaute, sei es vor Hunger oder zum Zeitvertreib.

»Was für einen Geleitbrief? Was gibt es, die Pest? Oder vielleicht Krieg? Auf wessen Befehl sperrt ihr die Straße?«

»König Niedamirs, des Herrn von Caingorn.« Der Wächter schob den Zweig in den anderen Mundwinkel und zeigte auf die Fahne. »Ohne Geleitbrief darf keiner ins Gebirge.«

»So ein Blödsinn«, sagte Geralt mit müder Stimme. »Hier ist schließlich nicht Caingorn, sondern Barfelder Land. Barfeld, nicht Caingorn erhebt den Zoll an den Brücken über die Braa. Was hat Niedamir damit zu schaffen?«

»Was fragt Ihr mich das.« Der Wächter spuckte den Zweig aus. »Geht mich doch nichts an. Ich hab bloß den Geleitbrief zu prüfen. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mit unserem Truppführer sprechen.«

»Und wo ist er?«

»Dort, hinter dem Zollhäuschen, sonnt er sich«, erklärte der Hellebardenträger, wobei er nicht Geralt ansah, sondern die bloßen Schenkel der Serrikanerinnen, die sich lässig über die Sättel streckten.

Hinterm Häuschen des Zöllners saß auf einem Stapel getrockneter Bretter ein Wächter und malte mit dem Schaft der Hellebarde ein Mädchen in den Sand, genauer gesagt, einen Teil von ihr, aus ungewöhnlicher Perspektive gesehen. Neben ihm saß zurückgelehnt, zurückhaltend auf der Laute klimpernd, ein dürrer Mann mit einem über die Augen gezogenen fantastischen Hütchen von pflaumenblauer Farbe mit silberner Borte und einer langen, nervösen Reiherfeder.

Geralt kannte dieses Hütchen und diese Feder, die berühmt waren von der Buina bis zur Jaruga, wohlbekannt in Schlössern, Burgen, Gasthäusern, Schenken und Bordellen. Besonders in Bordellen.

»Rittersporn!«

»Der Hexer Geralt!« Unter dem herabgezogenen Hütchen spähten fröhliche blaue Augen hervor. »Na, so was! Du willst auch dorthin? Hast du vielleicht einen Geleitbrief?«

»Was habt ihr denn alle mit diesem Geleitbrief?« Der Hexer sprang aus dem Sattel. »Was geht hier vor, Rittersporn? Wir wollten ans andere Ufer der Braa, ich und dieser Ritter, Borch Drei Dohlen, und unsere Eskorte. Und wir können’s nicht, wie sich zeigt.«

»Ich auch nicht.« Rittersporn stand auf, nahm das Hütchen ab, verneigte sich mit erlesener Höflichkeit vor den Serrikanerinnen. »Mich wollen sie auch nicht ans andere Ufer lassen. Mich, Rittersporn, den berühmtesten Sänger und Poeten im Umkreis von tausend Meilen, lässt dieser Truppführer hier nicht durch, obwohl er selber ein Künstler ist, wie ihr seht.«

»Ohne Geleitbrief lasse ich keinen durch«, sagte der Truppführer mürrisch, worauf er seiner Zeichnung das abschließende Detail hinzufügte, indem er das hölzerne Ende der Hellebarde in den Sand stieß.

»Dann eben nicht«, sagte der Hexer. »Nehmen wir das linke Ufer. Der Weg nach Hengfors ist da länger, aber was sein muss, muss sein.«

»Nach Hengfors?«, wunderte sich der Barde. »Heißt das, Geralt, du reitest nicht Niedamir nach? Dem Drachen?«

»Welchem Drachen?«, wollte Drei Dohlen wissen.

»Das wisst ihr nicht? Ihr wisst es wirklich nicht? Na, dann muss ich euch alles erzählen, meine Herren. Ich warte sowieso hier, vielleicht kommt jemand mit einem Geleitbrief, der mich kennt und mir erlaubt, mich ihm anzuschließen. Setzt euch.«

»Gleich«, sagte Drei Dohlen. »Die Sonne steht fast drei Viertel zum Zenit, und mir ist verdammt trocken zumute. Wir werden nicht mit trockener Kehle reden. Tea, Vea, im Galopp zurück ins Städtchen, ein Fässchen kaufen.«

»Ihr gefallt mir, Herr …«

»Borch, genannt Drei Dohlen.«

»Rittersporn, genannt der Unvergleichliche. Von einigen Mädchen.«

»Erzähl, Rittersporn«, sagte der Hexer ungeduldig. »Wir wollen nicht bis zum Abend hier hängenbleiben.«

Der Barde umfasste mit den Fingern den Griff der Laute, schlug hart über die Saiten.

»Wie wollt ihr es, in gebundener Rede oder normal?«

»Normal.«

»Bitte sehr.« Rittersporn legte die Laute nicht weg. »So hört denn, edle Herren, was sich vor einem Tag unweit der freien Stadt begab, die Barfeld heißt. Alsdann, im fahlen Morgenlicht, kaum dass die aufgehende Sonne der Wolken Bahrtuch gerötet, das über die Wiesen gebreitet lag …«

»Es sollte normal sein«, brachte ihm Geralt in Erinnerung.

»Ist es doch, oder? Schon gut. Ich verstehe. Kurz und ohne Metaphern. Auf die Weidegründe bei Barfeld ist ein Drache geflogen gekommen.«

»Na, na«, sagte der Hexer. »Irgendwie kommt mir das ziemlich unwahrscheinlich vor. Seit Jahren hat niemand in dieser Gegend Drachen gesehen. Ob das nicht eine gewöhnliche Flugschlange war? Manchmal werden sie fast so groß …«

»Kränk mich nicht, Hexer. Ich weiß, was ich sage. Ich hab ihn gesehen. Es traf sich, dass ich gerade in Barfeld auf dem Jahrmarkt war und alles mit eigenen Augen gesehen habe. Die Ballade ist schon fertig, aber ihr wolltet ja nicht …«

»Erzähl. War er groß?«

»Drei Pferdelängen. Im Widerrist nicht höher als ein Pferd, aber viel breiter. Sandgrau.«

»Also ein grüner.«

»Ja. Er kam unverhofft angeflogen, stieß mitten in eine Schafherde, verjagte die Hirten, zerriss rund ein Dutzend Schafe, fraß vier auf und flog weg.«

»Flog weg …« Geralt wiegte den Kopf. »Und Schluss?«

»Nein. Denn am Morgen darauf kam er wieder, diesmal näher bei der Stadt. Er stieß auf eine Schar Weiber herab, die am Ufer der Braa Wäsche wuschen. Die stoben vielleicht davon, Mann! Ich hab im Leben noch nicht so gelacht. Der Drache aber drehte ein, zwei Runden über der Stadt und flog zu den Weiden, wo er sich wieder die Schafe vornahm. Erst da begann das Geschrei und die Hektik, denn zuvor hatte kaum jemand den Hirten geglaubt. Der Bürgermeister mobilisierte die Bürgerwehr und die Zünfte, aber ehe die sich formiert hatten, hatte das einfache Volk die Sache in die Hand genommen und erledigt.«

»Wie?«

»Auf interessante, volkstümliche Weise. Ein Schustermeister am Ort, ein gewisser Zigenfras, hatte sich ein Mittel gegen das Scheusal ausgedacht. Man tötete ein Schaf und stopfte es voll Nieswurz, Wolfsmilch, Tollkraut, Schwefel und Schusterpech. Sicherheitshalber schüttete der Stadtapotheker noch zwei Quart von seiner Mixtur gegen Furunkel dazu, und ein Priester aus dem Kreve-Heiligtum betete über dem Kadaver. Dann ließen sie das präparierte Schaf inmitten der Herde zurück, von einem kurzen Pfahl gestützt. Niemand glaubte im Ernst, dass sich das Drachenvieh mit diesem eine Meile gegen den Wind stinkenden Kadaver ködern lassen würde, aber die Wirklichkeit übertraf unsere Erwartungen. Der Drache ignorierte die lebenden und blökenden Schafe und verschlang das präparierte mitsamt dem Pfahl.«

»Und? Nun red schon, Rittersporn.«

»Was tu ich denn anderes? Ich rede doch. Hört, was weiter geschah. Es verging weniger Zeit, als ein geschickter Mann braucht, um ein Damenkorsett aufzuknüpfen, da begann der Drache plötzlich zu brüllen und Rauch auszustoßen, vorn und hinten. Er schlug Purzelbäume, versuchte aufzufliegen, dann wurde er schlaff und regte sich nicht mehr. Zwei Freiwillige gingen los, um nachzuschauen, ob das vergiftete Vieh noch lebte. Es waren der städtische Totengräber und der Stadttrottel, gezeugt von der schwachsinnigen Tochter eines Holzfällers und einer halben Einheit Pikeniere, die seinerzeit beim Aufstand des Barons Tauchbiber durch Barfeld zog.«

»Jetzt lügst du aber, Rittersporn.«

»Ich lüge nicht, sondern schmücke nur aus, und das ist ein Unterschied.«

»Kein großer. Erzähl, schade um die Zeit.«

»Also wie gesagt, der Totengräber und der tapfere Idiot zogen als Späher los. Wir haben ihnen später einen kleinen, aber dem Auge wohlgefälligen Grabhügel aufgeschüttet.«

»Aha«, sagte Borch. »Der Drache lebte also noch.«

»Und ob«, erklärte Rittersporn fröhlich. »Er lebte. Aber er war so schwach, dass er weder den Totengräber noch den Trottel auffraß, nur das Blut leckte er auf. Und dann flog er zur allgemeinen Verwunderung weg, wobei er beim Start große Mühe hatte. Alle anderthalb Ellen krachte er runter, kam dann wieder hoch. Manchmal lief er und zog die Hinterbeine nach. Die Mutigeren folgten ihm in Sichtweite. Und wisst ihr was?«

»Red schon, Rittersporn.«

»Der Drache verzog sich in die Schluchten des Falkengebirges, in der Gegend der Braa-Quellen, und versteckte sich in den Höhlen dort.«

»Jetzt ist alles klar«, sagte Geralt. »Der Drache ist wahrscheinlich seit Jahrhunderten in diesen Höhlen gewesen, in Starre verfallen. Ich habe von solchen Fällen gehört. Und dort muss auch sein Schatz liegen. Jetzt weiß ich, warum sie die Brücke sperren. Jemand möchte die Hand auf diesen Schatz legen. Und dieser Jemand ist Niedamir von Caingorn.«

»Genau«, bestätigte der Troubadour. »Ganz Barfeld kocht übrigens deswegen, denn dort sind sie der Ansicht, der Drache und der Schatz gehörten ihnen. Aber sie zögern, sich mit Niedamir anzulegen. Niedamir ist ein grüner Junge, der sich noch nicht einmal rasiert, aber er hat schon bewiesen, dass es nicht ratsam ist, sich mit ihm anzulegen. Und an diesem Drachen liegt ihm verdammt viel, deshalb hat er so rasch reagiert.«

»Ihm liegt an dem Schatz, wolltest du sagen.«

»Eben nicht, ihm liegt an dem Drachen mehr als am Schatz. Denn seht ihr, Niedamir ist auf das benachbarte Fürstentum Malleore scharf. Dort ist nach dem plötzlichen und sonderbaren Ableben des Fürsten eine Prinzessin im, wie es heißt, mannbaren Alter übrig geblieben. Die Magnaten von Malleore blicken scheel auf Niedamir und die anderen Bewerber, denn sie wissen, dass ein neuer Herrscher ihnen wieder die Zügel straff zieht, nicht wie die rotznasige Prinzessin. Also haben sie irgendwo eine alte und verstaubte Prophezeiung ausgegraben, wonach der Fürstenhut und die Hand der Prinzessin dem gehören, der einen Drachen erlegt. Da man hier seit Jahrhunderten keinen Drachen gesehen hat, dachten sie, sie hätten Ruhe. Niedamir lachte natürlich über die Legende, er hätte Malleore mit Waffengewalt genommen, und basta. Aber als die Kunde von dem Barfelder Drachen zu ihm drang, begriff er, dass er den malleorischen Adel mit seinen eigenen Waffen schlagen kann. Wenn er dort mit dem Kopf des Drachen erschiene, würde ihn das Volk als gottgesandten Herrscher begrüßen, und die Magnaten würden sich nicht zu mucksen wagen. Wundert ihr euch also, dass er hinter dem Drachen her ist wie die Katze hinterm Baldrian? Zumal hinter einem Drachen, der kaum die Beine bewegen kann? Für ihn ist das ein Geschenk des Himmels, verdammich.«

»Und die Straßen hat er für die Konkurrenz gesperrt.«

»Na klar. Und vor den Barfeldern. Wobei er in der ganzen Gegend berittene Boten mit Geleitbriefen ausgeschickt hat. Für diejenigen, die den Drachen töten sollen, denn Niedamir brennt nicht darauf, höchstpersönlich mit dem Schwert in der Hand in die Höhle zu gehen. Er hat im Handumdrehen die berühmtesten Drachentöter zusammengeholt. Die meisten wirst du kennen, Geralt.«

»Kann sein. Wer ist gekommen?«

»Eyck von Denesle, zum Ersten.«

»Oho …« Der Hexer stieß einen leisen Pfiff aus. »Der gottesfürchtige und tugendsame Eyck, der Ritter ohne Furcht und Tadel, in eigener Person.«

»Du kennst ihn, Geralt?«, fragte Borch. »Ist er wirklich so ein großer Drachenjäger?«

»Ja, und nicht nur Drachen. Eyck wird mit jedem Ungeheuer fertig. Er hat sogar Mantikoras und Greifen erlegt. Ein paar Drachen hat er auch erledigt, ich hab davon gehört. Er ist gut. Aber er verdirbt mir das Geschäft, der Lump, denn er nimmt kein Geld. Wer noch, Rittersporn?«

»Die Haudegen von Cinfrid.«

»Na, dann ist der Drache hinüber. Sogar, wenn er genesen sein sollte. Diese drei sind eine eingespielte Truppe, sie kämpfen nicht besonders sauber, aber wirksam. Sie haben sämtliche Flugschlangen und Gabelschwänze in Redanien ausgerottet, und bei der Gelegenheit sind drei rote Drachen und ein schwarzer gefallen, und das ist schon was. Sind das alle?«

»Nein. Es haben sich noch sechs Zwerge unter dem Kommando von Yarpen Zigrin angeschlossen.«

»Den kenne ich nicht.«

»Aber vom Drachen Ocvist vom Quarzberg hast du gehört?«

»Hab ich. Und ich habe Steine gesehen, die aus seinem Schatz stammen. Da waren Saphire von unvergleichlicher Farbe und Diamanten, groß wie Kirschen.«

»Nun, dann sollst du wissen, dass es Yarpen Zigrin und seine Zwerge waren, die Ocvist erledigt haben. Es gibt eine Ballade darüber, die ist aber langweilig, weil nicht von mir. Wenn du sie nicht gehört hast, hast du nichts verpasst.«

»Das sind alle?«

»Ja. Dich nicht eingerechnet. Du behauptest, du wüsstest nichts von dem Drachen, wer weiß, das war vielleicht sogar wahr. Aber jetzt weißt du’s. Und?«

»Und nichts. Dieser Drache kümmert mich nicht.«

»Ha! Schlau, Geralt. Du hast ja sowieso keinen Geleitbrief.«

»Dieser Drache kümmert mich nicht, ich sag’s noch mal. Aber was ist mit dir, Rittersporn? Was zieht dich so sehr dort hinüber?«

»Ist doch klar.« Der Troubadour zuckte mit den Achseln. »Ich muss in der Nähe sein, wenn etwas passiert. Vom Kampf mit diesem Drachen wird man viel hören. Gewiss, ich könnte eine Ballade nach Berichten dichten, aber es klingt anders, wenn der Sänger den Kampf mit eigenen Augen gesehen hat.«

»Den Kampf?« Drei Dohlen lachte auf. »Eher etwas in der Art des Schweineschlachtens oder dem Zerreißen von Aas. Ich höre zu und muss mich mehr und mehr wundern. Edle Kämpen, die drauflosgaloppieren, was das Zeug hält, um einem halb toten Drachen den Rest zu geben, den irgend so ein Kerl vergiftet hat. Mir ist zum Lachen und zum Kotzen.«

»Du irrst dich«, sagte Geralt. »Wenn der Drache dem Gift nicht an Ort und Stelle erlegen ist, dann ist sein Organismus inzwischen sicherlich damit fertig geworden und er selbst wieder vollends bei Kräften. Das hat übrigens nicht viel zu bedeuten. Die Haudegen von Cinfrid werden ihn auch so töten; aber ohne Kampf, wenn du’s wissen willst, wird es nicht abgehen.«

»Du setzt also auf die Haudegen, Geralt?«

»Klar.«

»Genau«, ließ sich der bis dahin schweigsame Wächter mit dem Hang zur Kunst vernehmen. »So ein Drach’ ist ein Zauberwesen, und man kann es nicht anders töten, als wie mit Zauber. Wenn jemand mit ihm fertig wird, dann die Zauberin, die gestern hier durchgeritten ist.«

»Wer?« Geralt legte den Kopf schief.

»Eine Zauberin«, wiederholte der Wächter. »Sag ich doch.«

»Hat sie ihren Namen genannt?«

»Ja, aber ich hab ihn vergessen. Sie hatte einen Geleitbrief. So eine junge, auf ihre Art hübsch, aber diese Augen … Ihr wisst selber, ihr Herren. Es wird einem kalt, wenn so eine einen anschaut.«

»Weißt du etwas davon, Rittersporn? Wer kann das sein?«

»Nein.« Der Barde verzog das Gesicht. »Jung, hübsch und diese Augen. Das sind mir vielleicht Merkmale. So sind sie alle. Keine, die ich kenne – und ich kenne eine Menge –, sieht älter als fünfundzwanzig, dreißig aus, dabei erinnern sich manche, wie ich gehört habe, an die Zeiten, als noch der Urwald rauschte, wo heute Nowigrad steht. Wozu gibt es schließlich die Mandragora-Elixiere? In die Augen tropfen sie sich auch Mandragora, damit sie blitzen. Eben Weiber.«

»Rothaarig war sie nicht?«, fragte der Hexer.

»Nein, Herr«, antwortete der Truppführer. »Schwarz.«

»Und das Pferd, welche Farbe hatte es? Ein Fuchs mit einem weißen Sternchen?«

»Nein. Ein Rappe, schwarz wie sie selber. Ja, ihr Herren, ich sag Euch, sie wird den Drachen töten. Ein Drache ist etwas für einen Zauberer. Menschenkraft ist ihm nicht gewachsen.«

»Was dazu wohl der Schuster Zigenfras sagen würde?« Rittersporn lachte. »Wenn er etwas Kräftigeres als Nieswurz und Tollkraut zur Hand gehabt hätte, würde die Drachenhaut jetzt auf den Palisaden von Barfeld trocknen, die Ballade wäre fertig, und ich würde hier nicht in der Sonne bleichen …«

»Wieso hat Niedamir dich nicht mitgenommen?« Geralt warf dem Dichter einen schiefen Blick zu. »Du warst doch in Barfeld, als er aufgebrochen ist. Mag der König etwa keine Künstler? Wie kommt es, dass du hier bleichst, anstatt an des Königs Steigbügel aufzuspielen?«

»Das lag an einer jungen Witwe«, erklärte Rittersporn missmutig. »Hol’s der Teufel. Ich hab mich verbummelt, und am nächsten Tag waren Niedamir und die anderen schon übern Fluss. Sie haben sogar diesen Zigenfras und Kundschafter von der Barfelder Bürgerwehr mitgenommen, bloß mich haben sie vergessen. Ich erkläre das dem Truppführer, aber der antwortet stur …«

»Wer einen Geleitbrief hat, den lass ich rüber«, sprach der Hellebardenträger ungerührt, an die Wand des Zollhäuschens gelehnt. »Wer keinen hat, den nicht. So lautet der Befehl …«

»Oh«, unterbrach ihn Drei Dohlen. »Die Mädchen kommen mit dem Bier.«

»Und nicht allein«, fügte Rittersporn hinzu und stand auf. »Seht nur, was für ein Pferd. Wie ein Drache.«

Vom Birkenwäldchen her kamen die Serrikanerinnen, zwischen ihnen ein Reiter auf einem großen, unruhigen Schlachtross.

Auch der Hexer stand auf.

Der Reiter trug einen violetten Samtrock mit silbernem Besatz und einen kurzen Mantel mit Zobelfutter. Hoch aufgerichtet im Sattel, schaute er sie stolz an. Geralt kannte solche Blicke. Und mochte sie nicht besonders.

»Meinen Gruß den Herren. Ich bin Dorregaray«, stellte sich der Reiter vor, während er langsam und würdevoll absaß. »Meister Dorregaray. Schwarzkünstler.«

»Meister Geralt. Hexer.«

»Meister Rittersporn. Poet.«

»Borch, genannt Drei Dohlen. Und meine Mädchen, die da gerade den Spunt aus dem Fässchen schlagen, hast du schon kennengelernt, Herr Dorregaray.«

»So ist es in der Tat«, sagte der Zauberer ohne ein Lächeln. »Wir haben einander unsere Reverenz erwiesen, ich und die schönen Kriegerinnen aus Serrikanien.«

»Na, dann zum Wohl.« Rittersporn teilte die ledernen Becher aus, die Vea gebracht hatte. »Trinkt mit uns, Herr Zauberer. Herr Borch, soll der Truppführer auch was kriegen?«

»Klar. Komm her zu uns, Soldat.«

»Ich vermute«, sagte der Schwarzkünstler, nachdem er würdevoll einen kleinen Schluck genommen hatte, »dass die Herren dasselbe Ziel vor die Brückensperre geführt hat wie auch mich?«

»Wenn Ihr den Drachen meint, Herr Dorregaray«, antwortete Rittersporn, »dann ist dem in der Tat so. Ich will dort sein und eine Ballade verfassen. Leider will mich dieser Truppführer, anscheinend ein Mensch ohne Schliff, nicht durchlassen. Einen Geleitbrief verlangt er.«

»Ich bitte um Nachsicht.« Der Hellebardenträger trank sein Bier aus und begann zu schmatzen. »Mir ist bei Todesstrafe befohlen, niemanden ohne Geleitbrief durchzulassen. Und inzwischen scheint schon ganz Barfeld mit Pferd und Wagen losgezogen zu sein und will nach dem Drachen ins Gebirge ziehen. Ich habe den Befehl …«

»Dein Befehl, Soldat« – Dorregaray zog die Brauen zusammen –, »betrifft diesen Mob, der womöglich Händel anzettelt, Dirnen, die womöglich Unzucht und widerwärtige Krankheiten verbreiten, Verbrecher, Unruhestifter und Gesindel. Aber nicht mich.«

»Ohne Geleitbrief lasse ich niemanden durch«, erwiderte der Truppführer stur. »Ich schwöre …«

»Schwör nicht«, unterbrach ihn Drei Dohlen. »Trink lieber noch. Tea, schenk unserem tapferen Krieger nach. Und wir wollen uns setzen, ihr Herren. Im Stehen zu trinken, hastig und ohne Andacht, ziemt sich nicht für den Adel.«

Sie setzten sich auf Bohlen rund um das Fässchen. Der Hellebardenträger, soeben geadelt, lief vor Zufriedenheit rot an.

»Trink, wackerer Leutnant«, ermunterte ihn Drei Dohlen.

»Truppführer bin ich bloß, kein Leutnant.« Der Hellebardenträger errötete noch mehr.

»Aber du wirst Leutnant, zwangsläufig.« Borch bleckte die Zähne. »Bist doch ein heller Bursche, da wirst du im Handumdrehen befördert.«

Dorregaray lehnte das Nachschenken ab und wandte sich Geralt zu.

»Im Städtchen ist der Basilisk noch in aller Munde, Herr Hexer, und du hältst schon nach dem Drachen Ausschau, wie ich sehe«, sagte er leise. »Ich frage mich, brauchst du das Geld so dringend oder ermordest du zum schieren Vergnügen Geschöpfe, die vom Aussterben bedroht sind?«

»Eine sonderbare Frage«, erwiderte Geralt, »von jemandem, der Hals über Kopf einherprescht, um zum Schlachten des Drachens zurechtzukommen, um ihm die Zähne auszubrechen, die ja für die Anfertigung von Zaubertränken und Elixieren so wertvoll sind. Ist es wahr, Herr Zauberer, dass die Zähne am besten sind, wenn sie einem lebenden Drachen herausgerissen werden?«

»Bist du sicher, dass ich deswegen dorthinreite?«

»Ja. Aber es ist dir schon jemand zuvorgekommen, Dorregaray. Vor dir ist schon eine deiner Kolleginnen durchgekommen, mit einem Geleitbrief, wie er dir fehlt. Eine Schwarzhaarige, falls es dich interessiert.«

»Auf einem Rappen?«

»Scheint so.«

»Yennefer«, sagte Dorregaray verdrießlich. Der Hexer zuckte zusammen, ohne dass jemand es bemerkt hätte.

Es trat Stille ein, unterbrochen vom Rülpsen des künftigen Leutnants.

»Niemand … ohne Geleitbrief …«

»Genügen zweihundert Lintar?« Geralt zog ruhig den Beutel aus der Tasche, den er von dem dicken Schulzen erhalten hatte.

»Geralt« – Drei Dohlen lächelte geheimnisvoll –, »also dich …«

»Entschuldige, Borch. Es tut mir leid, ich werde nicht mit euch nach Hengfors reiten. Vielleicht ein andermal. Vielleicht begegnen wir uns wieder.«

»Nichts zieht mich nach Hengfors«, sprach Drei Dohlen langsam. »Überhaupt nichts, Geralt.«

»Steckt diesen Beutel weg, Herr«, sagte der künftige Leutnant drohend. »Das ist gewöhnliche Bestechung. Ich lass Euch auch für dreihundert nicht durch.«

»Und für fünfhundert?« Borch holte seine Geldkatze hervor. »Steck den Beutel weg, Geralt. Ich zahle den Zoll. Es fängt an, mich zu amüsieren. Fünfhundert, Herr Soldat. Hundert pro Stück, wenn wir meine Mädchen als ein schönes Stück rechnen. Also?«

»Oje, oje, oje«, jammerte der ehemalige Leutnant, während er sich Borchs Geldbeutel unters Wams stopfte. »Was soll ich dem König sagen?«

»Du sagst ihm«, erklärte Dorregaray, während er sich aufrichtete und einen verzierten Stab von Elfenbein hervorholte, »dass dich die Angst packte, als du es gesehen hast.«

»Was, Herr?«

Der Zauberer winkte mit dem Stab, rief einen Spruch. Die Fichte, die auf der Flussböschung wuchs, flammte auf, vollständig, in einem einzigen Augenblick, und brannte lodernd vom Erdboden bis zum Wipfel.

»Aufs Pferd!« Rittersporn sprang auf, warf sich die Laute auf den Rücken. »Aufs Pferd, ihr Herren! Und Damen!«

»Die Sperre weg!«, herrschte der reiche Truppführer mit guten Aussichten, Leutnant zu werden, die Soldaten an.

Auf der Brücke, jenseits der Sperre, zog Vea die Zügel an, das Pferd begann zu tänzeln, dass die Hufe auf den Bohlen dröhnten. Das Mädchen schüttelte die Locken und stieß einen durchdringenden Schrei aus.

»Richtig, Vea!«, rief Drei Dohlen. »Weiter, ihr Herrschaften, im Galopp! Lasst uns auf serrikanische Art reiten, mit Getöse und Pfiffen!«

IV

»Sieh einer an«, sagte der älteste der Haudegen, Boholt, riesig und massig wie ein alter Eichenstamm. »Niedamir hat euch nicht zum Teufel gejagt, meine Herrschaften, obwohl ich sicher war, dass er genau das tun würde. Je nun, wir gemeinen Leute haben an den Entscheidungen des Königs nicht zu deuteln. Wir bitten euch ans Feuer. Richtet euch ein Lager, Jungs. Und unter uns gesagt, Hexer, worüber hast du mit dem König geredet?«

»Über nichts«, sagte Geralt und stützte die Schultern bequemer auf den ans Feuer gezogenen Sattel. »Er ist nicht einmal aus dem Zelt zu uns herausgekommen. Er hat nur sein Faktotum zu uns herausgeschickt, wie hieß der doch gleich …«

»Gyllenstiern«, sagte Yarpen Zigrin, ein stämmiger, bärtiger Zwerg, während er einen riesigen harzigen Stubben ins Feuer stieß, den er aus dem Unterholz herbeigezogen hatte. »Ein aufgeblasener Laffe. Ein Masteber. Als wir uns angeschlossen haben, kam er, die Nase himmelhoch gereckt, so und so, sagte er, merkt euch, Zwerge, wer hier das Sagen hat, wem ihr zu gehorchen habt, hier befiehlt König Niedamir, und dessen Wort ist Gesetz und so weiter. Ich stand da und hörte zu, und ich dachte bei mir, dass ich meinen Jungs sage, sie sollen ihn zu Boden werfen und ihm auf den Mantel pissen. Aber ich habe es mir anders überlegt, wisst ihr, es würde nur wieder heißen, die Zwerge sind bösartig, aggressiv, Mistkerle, und es gibt mit ihnen keine … verdammt, wie heißt das noch … Kuh-Ochsistenz oder so. Und gleich gibt es wieder irgendwo einen Pogrom, in irgendeinem Städtchen. Also hab ich brav zugehört und genickt.«

»Sieht so aus, als ob Herr Gyllenstiern weiter nichts kann«, sagte Geralt. »Denn uns hat er dasselbe gesagt, und wir mussten auch zuhören und nicken.«

»Also ich denke«, ließ sich der zweite der Haudegen vernehmen, während er eine Pferdedecke über einen Reisighaufen legte, »es ist schlecht, dass euch Niedamir nicht fortgejagt hat. Gegen diesen Drachen zieht so eine Unmenge Leute, dass einem angst wird. Der reinste Ameisenhaufen. Das ist schon keine Expedition mehr, sondern ein Leichenbegängnis. Ich jedenfalls schlag mich nicht gern im Gedränge.«

»Gib Ruhe, Neuntöter«, sagte Boholt. »Wenn man in Gesellschaft reist, hat man mehr Abwechslung. Als ob du noch nie Drachen gejagt hättest. Gegen einen Drachen zieht immer ein Haufen Leute, der reinste Jahrmarkt, ein Bordell auf Rädern. Aber wenn sich das Vieh zeigt, dann weißt du, wer an Ort und Stelle bleibt. Wir, niemand sonst.«

Boholt schwieg einen Augenblick, nahm einen kräftigen Schluck aus einer großen, bauchigen, mit Weidenruten umflochtenen Flasche, schmatzte geräuschvoll, räusperte sich.

»Etwas anderes ist es«, fuhr er fort, »wie die Praxis zeigt, dass oft erst dann, wenn der Drache tot ist, das Schlachtfest beginnt und die Köpfe wie die Erbsen rollen.

Erst wenn der Schatz geteilt wird, gehen sich die Jäger gegenseitig an die Kehle. Was, Geralt? He? Hab ich recht? Hexer, ich red mit dir.«

»Mir sind solche Fälle bekannt«, bestätigte Geralt trocken.

»Bekannt, sagst du. Sicherlich vom Hörensagen, denn mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass du jemals Jagd auf Drachen gemacht hättest. Mein Lebtag hab ich noch nicht gehört, dass ein Hexer einem Drachen nachgestellt hätte. Umso erstaunlicher, dass du hier aufgetaucht bist.«

»Stimmt«, zischte Kennet, genannt der Häcksler, der jüngste der Haudegen. »Das ist sonderbar. Aber wir …«

»Warte, Häcksler. Jetzt rede ich«, fiel ihm Boholt ins Wort. »Lange gedenke ich übrigens nicht zu reden. Der Hexer weiß sowieso schon, worauf ich hinauswill. Ich kenne ihn und er kennt mich, bisher sind wir einander nicht ins Gehege gekommen und werden es wohl auch in Zukunft nicht tun. Denn bedenkt, Jungs, wenn zum Beispiel ich den Hexer bei der Arbeit stören oder ihm einen Happen vor der Nase wegschnappen wollte, dann würde mich der Hexer schnurstracks mit seiner Hexerklinge erledigen, und er wäre im Recht. Stimmt’s?«

Niemand bestätigte es oder widersprach. Es sah nicht so aus, als wäre Boholt sonderlich am einen oder anderen gelegen.

»Aber«, fuhr er fort, »in Gesellschaft reist es sich besser, wie gesagt. Und der Hexer kann sich als nützlich erweisen. Die Gegend ist wild und menschenleer, lasst nur eine Greule oder einen Steinbeißer uns anfallen oder eine Striege – die können uns Scherereien machen. Wenn aber Geralt in der Nähe ist, gibt es keine Scherereien, denn das ist sein Metier. Stimmt’s?«

Abermals gab es weder Bestätigung noch Widerspruch.

»Herr Drei Dohlen«, fuhr Boholt fort, während er die Korbflasche dem Zwerg weiterreichte, »ist zusammen mit Geralt gekommen, und das genügt mir als Bürgschaft. Wer also stört euch, Neuntöter, Häcksler? Etwa Rittersporn?«

»Rittersporn«, erklärte Yarpen Zigrin und gab Rittersporn die Flasche, »stellt sich immer ein, wenn etwas Interessantes passiert, und alle wissen, dass er nicht stört, nicht hilft und den Marsch nicht verzögert. Wie ein Floh auf dem Hundeschwanz. Oder, Jungs?«

Die »Jungs«, bärtige und untersetzte Zwerge, brachen in lautes Gelächter aus, dass die Bärte wackelten. Rittersporn schob sein Hütchen zurück und nahm einen Schluck aus der Flasche.

»Oooch, verdammt«, stöhnte er und schnappte nach Luft. »Das verschlägt einem ja die Sprache. Woraus wird das gebrannt, aus Skorpionen?«

»Eins gefällt mir nicht, Geralt«, sagte der Häcksler, während er dem Troubadour die Flasche abnahm. »Dass du diesen Zauberer hergebracht hast. Hier wimmelt es bald von Zauberern.«

»Stimmt«, fiel ihm der Zwerg ins Wort. »Der Häcksler sagt’s, wie’s ist. Diesen Dorregaray haben wir nötig wie ein Schwein einen Sattel. Wir haben neuerdings schon unsere eigene Hexe, die edle Yennefer, toi-toi-toi.«

»Tja«, sagte Boholt und rieb sich den Stiernacken, nachdem er ein ledernes, mit Stahlnieten besetztes Halsband abgenommen hatte. »Zauberer hat’s hier zu viel, meine Herrschaften. Genau zwei zu viel. Und sie haben sich zu sehr an unseren Niedamir rangemacht. Seht doch, wir sitzen hier unter freiem Himmel am Feuer, die aber, meine Herrschaften, schmieden schon im Warmen, im königlichen Zelt, ihre Ränke, die Schlaufüchse, Niedamir, die Hexe, der Zauberer und Gyllenstiern. Aber Yennefer ist die Schlimmste. Und wollt ihr wissen, was für Ränke sie schmieden? Wie sie uns übers Ohr hauen können, das ist es.«

»Und Rehbraten futtern sie«, warf der Häcksler mürrisch ein. »Und was haben wir gegessen? Einen Pfeifhasen! Und was, frag ich, ist ein Pfeifhase? Eine Ratte ist das. Was haben wir also gegessen? Eine Ratte!«

»Lass gut sein«, sagte Neuntöter. »Bald kriegen wir einen Drachenschwanz. Es geht nichts über Drachenschwanz, auf Kohlen gebraten.«

»Yennefer«, fuhr Boholt fort, »ist ein garstiges, boshaftes und großmäuliges Weib. Ganz anders als deine Mädchen, Herr Borch. Die sind still und lieb, sitzen da bei den Pferden, schärfen die Säbel, und wie ich vorbeikomme und ’nen Witz mache, lächeln sie, zeigen die Zähnchen. Ja, die gefallen mir, nicht so wie Yennefer, die andauernd Ränke schmiedet. Ich sag euch, wir müssen aufpassen, sonst ist es Essig mit unserem Abkommen.«

»Welchem Abkommen, Boholt?«

»Also, Yarpen, sagen wir’s dem Hexer?«

»Ich wüsste nicht, was dagegenspricht«, erklärte der Zwerg.

»Der Stoff ist alle«, warf der Häcksler ein und drehte die Flasche um.

»Dann hol neuen. Du bist der Jüngste. Und das Abkommen, Geralt, haben wir uns ausgedacht, weil wir keine Söldner oder irgendwelche Lohnknechte sind, und Niedamir wird uns nicht gegen den Drachen schicken, um uns dann ein paar Goldstücke hinzuwerfen. Die Wahrheit ist, dass wir ohne Niedamir mit dem Drachen fertig werden, aber Niedamir kommt nicht ohne uns aus. Daraus folgt klar, wer mehr wert ist und wessen Anteil größer sein muss. Und wir haben einen ehrlichen Handel ausgemacht – die, die selbst in den Kampf ziehen und den Drachen erlegen, kriegen die Hälfte des Schatzes. Niedamir bekommt in Anbetracht seiner Herkunft und Stellung ein Viertel. Und die Übrigen, soweit sie helfen, teilen das restliche Viertel unter sich auf, zu gleichen Teilen. Was hältst du davon?«

»Was hält denn Niedamir davon?«

»Er hat weder Ja noch Nein gesagt. Aber er sollte sich lieber nicht sperren, der Grünschnabel. Wie gesagt, allein wird er den Drachen nicht jagen, er muss sich auf die Fachleute verlassen, also auf uns, die Haudegen, und auf Yarpen und seine Jungs. Wir und sonst niemand werden dem Drachen auf Schwertlänge gegenübertreten. Und die Übrigen, darunter auch die Zauberer, wenn sie sich nützlich machen, werden ein Viertel des Schatzes unter sich aufteilen.«

»Wen außer den Zauberern zählt ihr zu den Übrigen?«, wollte Rittersporn wissen.

»Jedenfalls keine Spielleute und Verseschmiede.« Yarpen Zigrin lachte auf. »Wir zählen die dazu, die mit der Axt arbeiten, nicht mit der Laute.«

»Aha«, sagte Drei Dohlen, den Blick zum gestirnten Himmel gewandt. »Und womit arbeiten der Schuster Zigenfras und sein Gesindel?«

Yarpen Zigrin spuckte ins Feuer und murmelte etwas in der Zwergensprache.

»Die Barfelder Bürgerwehr kennt diese beschissenen Berge und dient als Führer«, sagte Boholt leise, »also wird es gerecht sein, sie bei der Verteilung auch zu bedenken. Bei dem Schuster liegt der Fall indes etwas anders. Wisst ihr, es wäre nicht gut, wenn das Lumpenpack zu der Überzeugung käme, wenn sich ein Drache in der Gegend zeigt, könnte man, statt nach den Fachleuten zu schicken, ihm einfach nebenbei einen Giftköder verpassen und weiter mit den Mädels im Korn rummachen. Wenn sich das einbürgert, müssen wir wohl unter die Bettler gehen. Was?«

»Stimmt«, setzte Yarpen hinzu. »Deshalb, sag ich euch, muss diesem Schuster rein zufällig etwas Betrübliches zustoßen, ehe der Hundsfott in die Legenden eingeht.«

»Muss es, und wird es auch«, erklärte Neuntöter überzeugt. »Überlasst das mir.«

»Und Rittersporn«, griff der Zwerg den Gedanken auf, »wird ihm in der Ballade den Arsch versohlen, ihn dem Gelächter preisgeben. Dass ihm nichts als Schimpf und Schande bleibt, für alle Zeit.«

»Einen habt ihr vergessen«, sagte Geralt. »Es ist einer dabei, der euch die Suppe versalzen kann. Der sich auf keine Aufteilung und Abmachung einlassen wird. Ich rede von Eyck von Denesle. Habt ihr mit ihm gesprochen?«

»Worüber?«, fragte Boholt, während er mit einer Stange die Scheite im Feuer zurechtrückte. »Mit Eyck, Geralt, kann man nicht reden. Er versteht nichts von Geschäften.«

»Als wir zu eurem Lager kamen«, sagte Drei Dohlen, »haben wir ihn getroffen. Er kniete auf den Steinen, in voller Rüstung, und starrte zum Himmel.«

»Das macht er andauernd«, sagte der Häcksler. »Er meditiert oder betet. Er sagt, das muss so sein, weil er von den Göttern den Auftrag erhalten hat, die Menschen vor dem Bösen zu beschützen.«

»Bei uns in Cinfrid«, murmelte Boholt, »hält man solche im Stall, an einer Kette, und gibt ihnen ein Stück Kohle, dann malen sie seltsames Zeug an die Wände. Aber genug von den Mitmenschen geschwätzt, lasst uns vom Geschäft reden.«

In den Lichtkreis trat geräuschlos eine nicht besonders große junge Frau, die schwarzen Haare von einem goldenen Netz zusammengehalten, in einen Wollmantel gehüllt.

»Was stinkt hier so?«, fragte Yarpen Zigrin und tat so, als sähe er sie nicht. »Etwa Schwefel?«

»Nein.« Boholt schaute zur Seite und zog demonstrativ die Luft durch die Nase. »Das ist Moschus oder ein anderer Riechstoff.«

»Nein, es ist wohl …« Der Zwerg verzog das Gesicht. »Ach! Das ist ja die edle Frau Yennefer! Willkommen, willkommen.«

Die Zauberin ließ den Blick langsam über die Versammelten schweifen, die blitzenden Augen verweilten einen Moment lang bei dem Hexer. Geralt lächelte leicht.

»Darf ich mich zu euch setzen?«

»Aber natürlich, unsere Wohltäterin«, sagte Boholt und schnippte. »Setzt Euch dorthin, auf den Sattel. Beweg den Hintern, Kennet, und gib der Dame den Sattel.«

»Die Herren sprechen hier vom Geschäft, wie ich höre.« Yennefer setzte sich und streckte die wohlgeformten Beine in schwarzen Strümpfen aus. »Ohne mich?«

»Wir haben es nicht gewagt«, erklärte Yarpen Zigrin, »eine solch wichtige Persönlichkeit zu stören.«

»Du, Yarpen« – Yennefer blinzelte und wandte den Kopf zu dem Zwerg hin –, »sei lieber still. Vom ersten Tag an behandelst du mich ostentativ, als wäre ich Luft, also tu das weiterhin, mach dir keine Umstände. Denn mir macht das auch keine Umstände.«

»Wo denkt Ihr hin, meine Dame.« Yarpen zeigte lächelnd seine unregelmäßigen Zähne. »Die Zecken sollen mich befallen, wenn ich Euch nicht besser als Luft behandle. Die Luft beispielsweise verderbe ich mitunter, was ich mir Euch gegenüber unter keinen Umständen erlauben würde.«

Die bärtigen »Jungs« brachen in brüllendes Gelächter aus, verstummten aber augenblicklich angesichts des Lichtscheins, der die Zauberin plötzlich umgab.

»Noch ein Wort, und von dir bleibt verdorbene Luft übrig, Yarpen«, sagte Yennefer mit einer Stimme, in der Metall klang. »Und ein schwarzer Fleck im Gras.«

»Also wirklich.« Boholt räusperte sich und entschärfte die eingetretene Stille. »Sei still, Zigrin. Lasst uns hören, was uns Frau Yennefer zu sagen hat. Gerade hat sie sich beklagt, dass wir ohne sie vom Geschäft reden. Daraus schließe ich, dass sie einen Vorschlag für uns hat. Lasst uns hören, meine Herrschaften, was das für ein Vorschlag ist. Wenn sie uns nur nicht vorschlägt, dass sie selber mit Zaubersprüchen den Drachen ins Jenseits befördert.«

»Ja und?« Yennefer hob den Kopf. »Glaubst du, das sei unmöglich, Boholt?«

»Mag sein, dass es möglich ist. Aber für uns rentiert sich das nicht, denn dann würdet Ihr sicherlich den halben Drachenschatz verlangen.«

»Mindestens«, sagte die Zauberin kalt.

»Na, Ihr seht selber, dass das kein Geschäft für uns ist. Wir, meine Dame, sind arme Krieger; wenn uns eine Beute entgeht, sehen wir dem Hunger in die Augen. Wir nähren uns von Sauerampfer und Melde …«

»Es ist schon ein Fest, wenn wir manchmal ein paar Hasenfüße kriegen«, warf Yarpen Zigrin traurigen Tones ein.

»… und trinken Quellwasser.« Boholt nahm einen Schluck aus der Flasche und schüttelte sich ein bisschen. »Für uns, Frau Yennefer, gibt’s keinen Ausweg. Entweder eine Beute oder im Winter unter der Hecke erfrieren. Die Gasthäuser kosten Geld.«

»Und das Bier«, fügte Neuntöter hinzu.

»Und unzüchtige Weiber«, sagte der Häcksler träumerisch.

»Darum« – Boholt blickte zum Himmel – »werden wir selbst, ohne Zauberei und ohne Eure Hilfe, den Drachen erlegen.«

»Bist du dir so sicher? Bedenke, es gibt Grenzen des Möglichen, Boholt.«

»Mag sein, mir sind sie nie begegnet. Nein, meine Dame. Ich wiederhole, wir werden den Drachen selbst erlegen, ganz ohne Zauberei.«

»Zumal«, fügte Yarpen Zigrin hinzu, »Zauberei gewiss auch ihre Grenzen des Möglichen hat.«

»Bist du selber darauf gekommen«, fragte Yennefer langsam, »oder hat es dir jemand geflüstert? Ist es vielleicht die Anwesenheit eines Hexers in dieser werten Gesellschaft, die euch derlei große Töne erlaubt?«

»Nein«, antwortete Boholt und schaute zu Geralt hin, der scheinbar vor sich hin döste, faul auf der Pferdedecke ausgestreckt, den Sattel unterm Kopf. »Der Hexer hat damit nichts zu tun. Hört zu, edle Yennefer. Wir haben dem König einen Vorschlag gemacht, er hat uns keiner Antwort gewürdigt. Wir haben Geduld, bis zum Morgen werden wir warten. Wenn der König unser Angebot annimmt, reiten wir weiter zusammen. Wenn nicht, kehren wir um.«

»Wir auch«, knurrte der Zwerg.

»Wir lassen nicht mit uns handeln«, fuhr Boholt fort. »Entweder – oder. Überbringt Niedamir unsere Worte, Frau Yennefer. Und Euch sage ich – das Abkommen ist auch für Euch günstig, und für Dorregaray, falls Ihr Euch mit ihm einigt. Wir, wohlgemerkt, brauchen den Kadaver des Drachen nicht, nur den Schwanz nehmen wir uns. Der Rest gehört Euch, nehmt, was Euch beliebt. Wir machen Euch weder die Zähne noch das Hirn streitig, nichts, was Ihr für die Zauberei braucht.«

»Klar«, fügte Yarpen Zigrin hinzu. »Das Aas gehört euch Zauberern, niemand macht es euch streitig. Höchstens die anderen Geier.«

Yennefer stand auf, zog sich dabei den Mantel um die Schultern.

»Niedamir wird nicht bis zum Morgen warten«, sagte sie scharf. »Er ist schon jetzt mit euren Bedingungen einverstanden. Gegen meinen und Dorregarays Rat, sollt ihr wissen.«

»Niedamir«, entgegnete Boholt langsam, »zeigt eine Weisheit, die bei solch einem jungen König erstaunlich ist. Denn für mich, Frau Yennefer, bedeutet Weisheit unter anderem die Fähigkeit, dumme oder unaufrichtige Ratschläge zu überhören.«

Yarpen Zigrin lachte in seinen Bart.

»Ihr werdet anders singen« – die Zauberin stemmte die Hände in die Hüften –, »wenn euch morgen der Drache zusammenhaut, euch durchlöchert und eure Schienbeine zerknickt. Ihr werdet mir die Stiefel lecken und um Hilfe winseln. Wie üblich. Wie gut ich euch kenne, wie gut ich solche wie euch kenne. Zum Erbrechen.«

Sie drehte sich um, ging in die Dunkelheit, ohne ein Wort des Abschieds.