Das Schwert des Julius Caeser - Eva Steins - E-Book

Das Schwert des Julius Caeser E-Book

Eva Steins

0,0

Beschreibung

Die Geschwister Lukas und Alina wohnen in der obersten Etage ihres Hauses an der Hohe Straße. Im Erdgeschoss betreiben die Eltern ein Geschäft, im Keller ist das Warenlager, und unter diesem liegt das Familiengeheimnis: ein zugemauerter zweiter Keller aus der Römerzeit. Niemand darf davon erfahren, denn der Vater fürchtet die Störung des Geschäftsablaufs durch die Archäologen ('. diese Gehirnakrobaten!'). Als die Eltern für drei Tage verreist sind, wagen Alina, Lukas und sein Freund Ben den Durchbruch in die Vergangenheit. Aus dem 'Nur-mal-gucken-wollen' wird nicht nur ein großes Loch in der Wand, sondern auch ein großes Abenteuer. Die Kinder stehen vor einem Rätsel, ihnen und dem Leser öffnet sich der Blick ins römische Köln des Jahres 69. Die Ernennung eines Kaisers, seine Flucht vor Verrätern, sogar ein Mord.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 260

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Eva Steins lebte viele Jahre in der Kölner Hohe Straße. Heute wohnt sie in Hürth, ohne den Blick auf den Kölner Dom verloren zu haben– ubi bene, ibi Colonia. Sie arbeitet als freie Autorin. Im Emons Verlag erschienen ihre Köln Krimis für Pänz »Das Schwert des Julius Caesar«, »Der Ring des Anno« und »Billes Geheimnis« sowie das Erstlesebuch »Drei Wörter für Mama«.

Dieses Buch ist ein Roman. Die darin geschilderten Ereignisse sind erfunden. In besonderem Maße gilt das für Handlungen und Äußerungen der auftretenden oder erwähnten Personen, auch wenn einige von ihnen nicht der Phantasie der Autorin entsprungen sind. Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.

© 2014 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagzeichnung: Heribert Stragholz eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-723-9 Köln Krimi für Pänz 7 Originalausgabe

Unser Newsletter informiert Sie regelmäßig über Neues von emons: Kostenlos bestellen unter www.emons-verlag.de

Eine Erläuterung der Namen und Begriffe findet sich im Wörterverzeichnis

Für Marco, Kiki, Hildegard, »Apollonius«

…und den bunten Hund

Das römische Köln im 3. und 4.Jahrhundertn.Chr.

Aquarellierte Zeichnung (Ausschnitt) von Roderic Stokes

Et si verum non est–

tamen bene inventum.

Und wenn es auch nicht wahr ist–

1. Kapitel

Lukas verlässt das Haus seiner Eltern an der Hohe Straße und rennt, so schnell ihn seine Füße tragen, in Richtung Dom.

Er läuft so dicht an Ritas Obstwagen vorbei, dass Enzo, Ritas Hund, aufschreckt und wütend versucht, nach Lukas’ Beinen zu schnappen. Er nimmt die Abkürzung durch die Passage, rennt am Heinzelmännchenbrunnen vorbei, dann quer über den Roncalliplatz, zwischen Dom und dem Römisch-Germanischen Museum hindurch, springt die Treppenstufen zum Rhein hinunter und rast nach links.

Unter der Hohenzollernbrücke muss er plötzlich einem entgegenkommenden Radfahrer ausweichen und rutscht dabei fast aus.

»Pass doch op!«, ruft der Mann hinter ihm her, aber Lukas hat keine Zeit zum Aufpassen.

Er muss zu seinem Freund Ben.

Ben wohnt gleich neben Sankt Kunibert, und bis dahin sind es noch rund fünfhundert Meter. Lukas hastet keuchend weiter, um Ben die tolle Neuigkeit zu erzählen.

Ach was, Neuigkeit, es ist eine Sensation!

So was kann man auf keinen Fall am Telefon weitergeben, zumal wenn man eine jüngere Schwester hat, die ihre Nase in alles, aber auch wirklich alles steckt– Lukas’ Gedanken tanzen wild durcheinander.

Zum Glück ist die Fußgängerampel an der Rheinuferstraße gerade grün, und er kann ohne anzuhalten zur Machabäerstraße hinüberrennen. Noch ein paar Schritte nach rechts durch die Kunibertsgasse, dann hat er endlich den Spielplatz neben der Kirche erreicht, auf dem Ben schon auf ihn wartet.

Lukas wirft sich über die Palisaden aus Waschbeton und keucht. Sein Hals brennt, und es wummert in den Ohren.

Ben hängt cool auf der Schaukel. »Was is’n los? Was machst du für ’n Stress am Telefon?«

Lukas schiebt sich über die rauen Steine und plumpst auf der anderen Seite in den Sand.

»Ich hab ihn gefunden«, japst er.

»Wen gefunden?« Ben drückt die Beine durch, die Schaukel schwingt leicht nach hinten.

»Den Keller«, keucht Lukas.

Ben zieht eine Augenbraue hoch. »Hast du ’n Rad ab? Das konntest du mir am Telefon nicht sagen?«

»Mensch, kapier doch endlich. Den Keller.« Lukas stemmt sich aus dem Sand und setzt sich auf die Schaukel neben Ben. »Den Keller«, wiederholt er und sieht sich nach allen Seiten um.

»Keinen Schimmer.« Ben zieht Augenbrauen und Schultern hoch.

»Den Römerkeller, über den meine Mutter gestern gesprochen hat. Ich hab ihn gefunden«, sagt er.

»Ach so. Der unter eurem Haus sein soll?« Ben scheint nicht wirklich interessiert.

»Ich glaube schon, dass er es ist. Jedenfalls hab ich vorhin mit einem Besenstiel das ganze Lager im Keller abgeklopft und dabei eine Stelle entdeckt, die total dumpf klingt. Ganz anders als der übrige Betonboden. Es muss ein Hohlraum drunter sein.«

»Und die Leute aus eurem Laden? Haben die nix gemerkt?«

»Quatsch, denkst du, ich bin doof? Ich war allein. Meine Eltern sind nicht da, und ich bin erst runter, als der Laden schon dicht war. Die Verkäufer waren weg, der Lagerverwalter hat alles abgeschlossen und sich dann in die Kneipe verdrückt.« Lukas kramt in seiner Hosentasche, zieht grinsend einen Sicherungsschlüssel heraus und hält ihn Ben vor die Nase. »Und den hat mein Vater in der Wohnung liegen gelassen. Alle waren weg, außer Alli und mir war keiner im Haus.«

»Hast du etwa deine Schwester mitgenommen?«

Lukas verdreht die Augen.

»Wenn ich sage, ich war allein im Lager, dann war ich allein im Lager, klar?«

Sicher – erinnert sich Lukas– Alina hatte zuerst komisch geguckt, als er mit Papas Schlüssel in der Hand gesagt hatte, er ginge noch mal eben runter ins Geschäft, weil er neue Batterien für seinen CD-Player brauche. Aber dann hatte sie nur genickt und sich weiter mit ihrem Computerspiel beschäftigt.

»Ich habe jedenfalls im Lager auf dem Fußboden rumgeklopft, und unter dem Schreibtisch vom Hansen hat’s ›bummbumm‹ gemacht und nicht ›tacktack‹ wie sonst überall. An dieser Stelle muss der Einstieg sein.«

»Ach, Lukas, das heißt noch lange nicht, dass da unten der Römerkeller ist«, winkt Ben ab. »Das kann alles Mögliche sein, ein Kanal vielleicht.«

»Genau. Und deshalb müssen wir da rein.«

»Wir? Ich höre immer wir. Du willst da rein. Du bist hier der Römer- und Ritterfan. Mir ist der ganze Uraltkram völlig piepe. Und wer weiß, ob’s überhaupt stimmt. Vielleicht hat deine Mutter auch nur totalen Quatsch erzählt.«

»Wenn meine Mutter sagt, dass da Römermauern sind, dann sind da Römermauern!«

»Und woher will sie das so genau wissen? War sie schon mal unten?«

»Nein, war sie nicht. Aber mein Opa. Der hat die Mauern selbst gesehen.«

»Na, und wenn schon. So ’n paar alte Mauern, wen interessieren die?« Ben lehnt sich gelangweilt zurück.

»Mich!«, sagt Lukas. Für die alten Römer hat er sich seit er denken kann interessiert. Einmal, als er noch klein war, musste seine Mutter mit ihm zum Heumarkt gehen, weil er sich da unbedingt Mauerreste ansehen wollte, die man bei Ausschachtungen gefunden hatte. Er war schon x-mal allein im Römisch-Germanischen Museum, um sich Schwerter, Gläser, Schmuck und Hausgeräte der alten Römer anzusehen. Lukas muss grinsen, als er daran denkt, wie er einmal mit Ben zusammen einen Sommerferien-Kurs dort mitgemacht hat. Ben hatte sich mit der Kursleiterin gezankt, weil er kein Öllämpchen aus Ton formen wollte, sondern ein Schwert.

Ganze Bücher hat er verschlungen über das antike Rom, die Römer am Rhein, römische Sagen, Helden- und Göttergeschichten und was sonst noch alles– und jetzt diese Gelegenheit. Lukas seufzt. Ben ist zwar ein sturer Esel, denkt er, aber auch der beste Freund, den man sich wünschen kann.

»Ben, lass mich nicht hängen, bitte!«

Ben schließt die Augen, scheint nachzudenken. »Und wieso hat deine Mutter dir überhaupt was von den Mauern im Keller erzählt?«

»Na ja, ich habe mich schon immer gefragt, warum unsere Nachbarhäuser zwei Keller untereinander haben, wir aber nur einen. Vermutet habe ich so was ja schon lange, aber gestern habe ich meine Mutter damit so genervt, dass sie endlich mit der Geschichte rausgerückt ist.«

»Und?«

»Das war so. Mein Opa war schon ziemlich alt und krank, und ein paar Tage, bevor er starb, hat er meiner Mutter erzählt, wie es damals gewesen ist, nach dem Krieg, als er das Haus gekauft hat, und wie er dann im Keller unter dem Keller die Mauern entdeckte. Damals musste ihm sofort klar gewesen sein, dass sie aus der Römerzeit stammen, aber er wollte auf keinen Fall, dass die Archäologen im Keller rumbuddeln, weil er doch so schnell wie möglich sein Geschäft eröffnen wollte. All die fremden Leute in seinem Keller– er hatte Angst, dass die seine Ware klauen. Deshalb hat mein Opa den Kellereinstieg einfach zugemauert.«

Lukas sieht Ben erwartungsvoll an. »Kapiert?«

»Und?«, fragt Ben. »Weiter?«

»Und als nach seinem Tod mein Vater, also sein Sohn, das Geschäft übernahm, hat der auch nichts gemeldet. Der wollte nämlich auch nicht, dass irgendwelche Leute unter dem Haus graben. Und außerdem…, na ja, meinen Vater interessieren die alten Römer nicht die Bohne. Er meint, in Köln gäbe es schon genug alten Krempel, da müsste unserer nicht auch noch ausgegraben werden.«

»Kann er recht haben«, brummt Ben.

»Mensch, Ben! Kapier doch endlich! Ich will da rein. Ich will die Mauern unbedingt sehen. Ich will sie anfassen. Du weißt doch, wie toll ich die Römer finde. Ben, ich brauche aber deine Hilfe, allein schaffe ich’s nicht. Wir beide zusammen…, wir kriegen das hin.«

Ben lehnt sich auf der Schaukel so weit zurück, dass er kopfüber die Spitze des dicken Westturms von Sankt Kunibert sehen kann und seine roten Haare den Sand berühren. Er schweigt und überlegt.

»Ben, bitte, wir könnten erst mal nur ein kleines Loch bohren. Zum Reinsehen. Wie ein Schlüsselloch. Wenn was anderes da unten ist, okay, dann machen wir das Loch wieder zu, und nix ist passiert. Wenn es aber der Römerkeller ist…«

Ben fixiert noch immer die Turmspitze. Sein Gesicht ist jetzt so rot wie seine Haare. »Na gut. Ich mach mit. Aber nur, weil du’s bist. Wie soll denn die Bohrung überhaupt abgehen?«, fragt er. »Und womit? Hast du ’nen Presslufthammer?«

»Hab mir auch schon Gedanken drüber gemacht«, nickt Lukas. »Fürs Erste könnten wir die Bohrmaschine von meinem Vater nehmen, und dann…, sag mal, arbeitet dein Vater nicht auf dem Bau? Der hat doch bestimmt Werkzeug.«

Ben richtet sich wieder auf. »Hat er. Ich kann ihn ja mal fragen, was man so braucht. Keine Sorge, Lukas, ich verrate nix. Ich gehe mal davon aus, dass dein Vater von dem Bohrloch nix wissen darf, oder? Also, wenn wir die Aktion starten, dürfen deine Eltern auf keinen Fall im Haus sein. Und die Zicke von Schwester erst recht nicht«, fügt Ben hinzu. »Und der Typ, der neben euch wohnt, auch nicht. Tote Hose im Haus, klaro?«

»Der Hansen geht sowieso nach Feierabend direkt vom Lager in seine Stammkneipe am Heinzelmännchenbrunnen, und wenn er abends heimkommt, ist er froh, dass er die Stufen nach oben schafft. Der sieht und hört nix mehr außer seinem eigenen Schnarchen.«

»Gefährlich ist es aber doch. Ist der Typ nicht auch euer Hausmeister und hat ’nen Schlüssel fürs Lager? Er kann also theoretisch jederzeit da rein. Stimmt doch, oder?«

»Hm…«, Lukas kratzt sich hinterm Ohr. »Stimmt. Aber morgen könnte es gehen. Morgen ist Samstag. Der Laden ist am Nachmittag zu, der Hansen geht dann immer einen trinken und ist stundenlang weg, und meine Eltern sind zu einer Hochzeit eingeladen. Alli will mit.«

»Und du?«, fragt Ben. »Musst du nicht mit zu der Hochzeit?«

»Nee, nee«, Lukas schüttelt den Kopf. »Ich bin nicht scharf auf Familienfeste. Außerdem muss ich büffeln. Wenn der Nemann am Montag in der zweiten Stunde die Lateinarbeit schreibt, will ich das drauf haben. Wir sagen eben, dass wir beide morgen den ganzen Nachmittag lang zusammen lernen wollen. Und irgendwie stimmt das sogar, ich meine, wenn wir doch sozusagen für die Römer arbeiten.«

»Cool. Meine Eltern werden sich tierisch freuen, wenn sie hören, dass ich mit dir lernen will«, grinst Ben. »Erst wird echt gepaukt, und dann machen wir ’nen Ausflug in die Römerzeit. Passt wirklich optimal.«

Lukas klopft mit beiden Händen den Sand aus seinen Klamotten. »Dann ist ja alles klar. Morgen wird gebohrt. Ich muss mal wieder. Tschüss dann, bis morgen.«

2. Kapitel

»Du hast mir gar nix zu sagen!«, kreischt Alina und wirft mit einem Kissen nach Lukas, trifft aber nur seine Zimmertür, weil er sie gerade noch vor dem Geschoss zuschlagen kann. »Ich kann machen, was ich will!«

»Blöde Kuh!«, brüllt Lukas zurück. »Zickenschwester!«

Er ist sauer auf Alina. Sie hat heute Morgen ihren Eltern erklärt, sie könne leider nicht mitfahren zu der Hochzeit. Es täte ihr »schrecklich« Leid, aber auch sie müsse lernen– für die Mathearbeit. Division natürlicher Zahlen– da sei sie noch nicht richtig fit.

Ob Alli vielleicht doch irgendetwas mitbekommen hat, fragt sich Lukas. Wie machen Mädchen das nur? Haben die einen sechsten Sinn eingebaut?

»Jetzt hört mal zu, ihr beiden!« Die Stimme der Mutter dröhnt aus dem Wohnzimmer. »Ich kann auch anders. Wenn jetzt das Gezanke wieder losgeht, bleibt ihr auf keinen Fall allein im Haus. Dann kommt ihr beide mit. Lukas im Anzug und Alina im Kleid.«

»Mist!«, murmelt Lukas.

Auch Alina gibt augenblicklich Ruhe. Jedenfalls hört Lukas, dass sie die Tür zu ihrem Zimmer leise, wirklich sehr leise, schließt. Die muss echt was spitzgekriegt haben, die gibt doch sonst nicht so schnell auf, denkt er.

»Luki! Alli!«

Lukas hasst es wie die Pest, wenn seine Mutter ihn Luki ruft. Er ist zwölfeinhalb!

»Tschüss, ihr beiden. Wir fahren jetzt los.«

Lukas öffnet seine Tür, Alina gegenüber auch. Sie sehen sich für eine Viertelsekunde an. War da ein Grinsen in Allis Gesicht?

»Versprecht mir, fleißig zu arbeiten und euch nicht zu streiten. Und wenn irgendwas ist, ruft ihr uns auf dem Handy an, ja?«

Lukas und Alina nicken, ihre Mutter winkt zum Abschied und verlässt die Wohnung.

»So, Kinder, dann macht’s mal gut.« Der Vater steht noch im Flur, das Geschenk in der einen Hand, den Schlüssel in der anderen. »Es kann ein bisschen später werden, also amüsiert euch gut beim Fernsehen… äh… beim Lernen.«

Einer von Papas Witzen, denkt Alina und verdreht die Augen.

»Ja, machen wir. Und gute Fahrt und schöne Grüße und kommt gut heim und so weiter.« Lukas setzt das Lächeln der Marke »höflicher Junge« auf.

Halt! Im letzten Augenblick sieht er den Schlüssel in der Hand seines Vaters.

Der General! Der Schlüssel für alle Türen. Ohne den kommt er weder ins Geschäft noch ins Lager. Jetzt cool bleiben.

»Papa? Ich glaub, ich hab mein Kickboard im Laden stehen lassen. Damit wollten Ben und ich eigentlich nach dem Lernen eine Runde auf dem Roncalliplatz drehen. Kann ich den Ladenschlüssel…?« Er hält die Hand auf.

Lukas bemerkt, dass Alina Glotzaugen macht und rüberstarrt, weil das Kickboard in seinem Zimmer, gut sichtbar für Papa, direkt neben der Tür parkt.

Auweia, denkt Lukas, das war wirklich eine blöde Ausrede. Wenn er es jetzt sieht, oder sagt, bis vier Uhr seien sowieso die Verkäufer im Laden, bin ich aufgeschmissen.

Der Vater drückt Lukas den Schlüssel in die Hand und mahnt: »Verlier ihn nicht! Das wird sonst ein teurer Spaß.«

Glück gehabt, denkt Lukas und hält noch immer die Luft an, Papa hat nix gemerkt.

Schnell schiebt er den General auf seinen eigenen Schlüsselring. Der Vater scheint zufrieden und macht sich auf den Weg.

»Puhhh…«, schnauft Lukas, als die Wohnungstür ins Schloss fällt. Das wäre beinahe schief gegangen.

*

Um vier Uhr klingelt es endlich. Zweimal kurz, einmal lang: Ben – ja– miiin. Ben klingelt immer seinen Namen.

»Ist für mich«, ruft Lukas in Alinas Richtung und springt mit einem Satz zur Türsprechanlage. »Ben?«

»Nee, Mister Bean«, antwortet Ben. Lukas drückt auf.

»Ihr solltet euch wirklich mal einen Aufzug zulegen«, schnauft Ben, als er oben ankommt.

Lukas ist sauer. »Warum kommst du so spät? Wir wollten doch vorher noch zusammen lernen.«

»Hatte keine Zeit«, nuschelt Ben. »Ich schreibe dann morgen von dir ab.«

»Pfff…«, macht Lukas. »Das wird sich noch zeigen.« Er zieht Ben in sein Zimmer, damit Alina ihn nicht zu fassen kriegt.

Komisch, die hat sich gar nicht gerührt, nicht mal durch den Türspalt gelinst. Auch egal.

»Hast du eigentlich was mitgebracht? Werkzeug oder so?«

»Nee, ging nicht. Mein Vater war die ganze Zeit zu Hause und sowieso schon komisch drauf, weil ich immer um seine Sachen rumgeschlichen bin. Ich konnte nur den hier auf die Schnelle einpacken.« Ben zieht aus seinem Rucksack einen extra langen Bohraufsatz und grinst. »XXL, für Beton.«

»Wahnsinn!«, sagt Lukas und nimmt die Bohrmaschine, die er vorsorglich in einen Stoffbeutel gewickelt und ganz unten in seinem Kleiderschrank versteckt hat.

»Boah! Achthundertfünfzig Watt!«, nickt Ben anerkennend. »Das is ja ’n Hammerteil. Na dann los, oder ist er da?« Ben zeigt mit dem Daumen hinter sich in Richtung Treppenhaus.

»Hansen? Nö, der ist weg. Aber…«, Lukas deutet auf Alinas Zimmertür.

»Deine Schwester?«, fragt Ben genervt.

Lukas nickt und flüstert: »Die muss Mathe pauken. Ich glaube, es wäre besser, sofort in den Keller runterzugehen. Wenn wir jetzt noch lange Latein pauken, ist Alli vielleicht mit Mathe fertig und will womöglich mit.«

»Dann mach mal hinne! Auf die Zicke kann ich prima verzichten«, sagt Ben. »Ich hab jetzt sowieso keine Antenne für Latein.«

»Alli?«, ruft Lukas durch die geschlossene Tür. »Ich muss mit Ben mal kurz runter. Wir sind bald wieder zurück.«

»Alles klar! Viel Spaß beim Kickboard fahren!«, antwortet Alina mit zuckersüßer Stimme. Ben und Lukas sehen sich an und zucken die Schultern. »Weiber!«

*

In der ersten Etage des Treppenhauses hängt vor der Stahltür, die zum Geschäft führt, ein kleiner Kasten an der Wand, kaum größer als eine Zigarettenschachtel, mit Tasten darauf wie auf einem Telefon. An der Oberseite leuchten fünf kleine rote Lichter. Das bedeutet: Die Alarmanlage ist scharf.

Lukas hört Ben neben sich aufstöhnen: »Scheibenkleister! Was jetzt?«

Lässig tippt Lukas fünf Zahlen ein, und ein rotes Licht nach dem anderen wird grün.

»Voll abgefahren, Mann!« Ben staunt.

Der Weg ist frei– beinahe jedenfalls. Moment! War da nicht ein Geräusch oben im Treppenhaus? Sie lauschen, aber es ist nichts mehr zu hören. Dann schließt Lukas mit dem General die Stahltür auf. Sie betreten einen Vorraum, gehen am Büro vorbei zu der Treppe, die erst in den Verkaufsraum und dann ins Lager hinunterführt.

»Wo ist denn jetzt die Stelle?«, drängelt Ben.

»Warte. Ich muss erst noch aufschließen.«

Widerwillig quietschend lässt sich die schwere Lagertür zur Seite schieben.

»Boah…!« Ben ist ziemlich überrascht. Er hatte keine Ahnung, dass in diesem Lager so viele Regale voller Kartons herumstehen. Radios, CD-Player, Computerspiele, Videorecorder, Kameras, Computerzubehör und noch viel mehr. »Kein Wunder, dass ihr alles so verrammeln müsst. Steht ja ’ne Menge Zeugs bei euch rum.«

»In dem Raum da um die Ecke ist die Stelle. Direkt vor Hansens Schreibtisch. Pass mal auf.« Lukas rollt den alten klapprigen Bürostuhl zur Seite, langt nach dem Besenstiel, den er gestern in der Lücke zwischen zwei Regalen versteckt hat, schwenkt ihn kopfüber und beginnt, mit dem Stielende gegen den Fußboden zu stoßen.

Lukas sieht Ben erwartungsvoll an.

Tack-tack-tack… tack-tack-tack… bumm-bumm-bumm…

»Na?«, fragt er.

Ben klappt den Mund auf und legt den Kopf schräg.

Das macht er auch, wenn Herr Nemann lateinische Grammatikregeln und ihre Ausnahmen erklärt. Also immer dann, wenn er nix kapiert.

Lukas legt nach:

Tack-tack-tack… bumm-bumm-bumm…

»Super!« Ben macht große Augen, denn plötzlich hat er Spaß an der Aktion. Und wie immer will er auch jetzt sofort alles. Das ganze Programm. »Los, her mit der Bohrmaschine, ’n Zwölfer Betonbohrer dran und wie durch Butter in ’n Keller.«

»Moooment!«, bremst Lukas. »Erst denken, dann handeln! Fass mal hier an!«

Mit Bens Hilfe zieht Lukas den Schreibtisch des Lagerverwalters von der Wand weg mitten in den Raum hinein.

Neue Probe mit dem Besenstiel: bumm-bumm-bumm…

Dreißig Zentimeter vor der Wand markiert Lukas mit Filzstift die Stelle auf dem Boden. Dann zieht er aus dem mitgebrachten Einkaufsbeutel nicht nur die Bohrmaschine, sondern auch eine schmale Stabtaschenlampe, wie die Cops in New York sie benutzen, ein dünnes Nylonseil und eine Webcam samt Kabel.

»Cool, Mann! Du hast ja echt an alles gedacht«, sagt Ben.

Grinsend nimmt Lukas jetzt den Karton mit der Bohrmaschine und schiebt ihn zu Ben rüber. »Ich denke, das kannst du besser.«

Ben steckt genüsslich den dicken Bohraufsatz in das Futter, schraubt ihn fest, drückt den Stecker in die Steckdose und gibt der Bohrmaschine probeweise Saft. Sie jault bereitwillig auf, und dann setzt Ben den Zwölfer mitten auf Lukas’ Markierung.

Seine Augen fragen erwartungsvoll: Okay?

Lukas lässt den ausgestreckten Zeigefinger nach unten schnellen: Okay!

Achthundertfünfzig Watt jagen den Zwölfer in den Beton und machen dabei eine Menge Lärm.

Erschrocken lässt Ben den Knopf los und sieht Lukas an. Der spitzt die Lippen, hebt die Augenbrauen und späht besorgt zur Treppe.

»Egal«, entscheidet er. »No risk, no fun!«

Ben legt wieder los.

Es jault, es kreischt, es knurrt, es dröhnt und hämmert. Und es staubt. Es staubt sogar mächtig. Feinster Betonpuder schwebt durch den Raum und legt sich gleichmäßig über alles. Lukas hat plötzlich Zweifel: Ob das hier so richtig ist? Vielleicht hätte er wenigstens Mama einweihen sollen. Würde sein Vater von dieser Aktion Wind bekommen, wäre was gebacken, das weiß Lukas. Megastress gäbe das. Und dann fällt ihm plötzlich ein, was sein Vater früher mal über Grabungen in Köln gesagt hat: Die Hauseigentümer könnten einem wirklich Leid tun. Monatelang müssten sie die buddelnden Archäologen im Haus ertragen. Er hatte Archäologen dabei mit »sch« ausgesprochen. Lukas erinnert sich genau, und er muss schlucken.

Dann kämen die Kulturheinis vom Museum, um den alten Kram rauszureißen, oder sie machten den Keller gleich zu einem öffentlichen Ausstellungsraum. Jedermann dürfe ins Haus, und der Umsatz sei im Eimer. Kein Mensch könne ein Geschäft normal führen, wenn sich im Keller diese Gehirnakrobaten austoben. So was würde er niemals dulden.

Damals hatte Lukas nicht mal geahnt, dass unter dem eigenen Haus Römermauern sein könnten. Jetzt kann er sich denken, warum sein Vater sich so aufgeregt hat. Seine Mutter hat ihn gestern gebeten, dieses Thema lieber nicht anzusprechen. »Besser, er weiß nicht, dass du es weißt«, hat sie gesagt. »Er geht sonst in die Luft.«

»Mist!«, denkt Lukas laut und stampft mit dem Fuß auf.

»Hä?«, Ben brüllt durch den Lärm. »Was is’n los?«

Lukas schüttelt den Kopf und zeigt Ben an: Weitermachen!

Nach einer ganzen Weile gibt es endlich einen Ruck, und der dicke Bohraufsatz verschwindet komplett im Boden.

»Wir sind durch!«, brüllt Ben und schaltet die Bohrmaschine ab. »Ist aber dicker, als ich gedacht hab.« Sein Gesicht leuchtet vor Anstrengung verkehrsampelrot.

»Wo seid ihr durch?«, fragt der alte Hansen, und eine leichte Bierfahne weht über die Köpfe der Jungen hinweg.

Lukas hat das Gefühl, auf der Stelle zu einem Eisblock zu gefrieren. Er glotzt den alten Mann, der plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht ist, sprachlos an. Seine Hände werden glitschig, und sein Herz hämmert in der Brust, im Hals, im Kopf. Er kann sich einfach nicht aus seiner Erstarrung lösen.

Auch Ben steht steif wie eine Säule.

Dann reagiert Lukas. Wie ein computergesteuerter Schutzschild springt er auf und stellt sich breitbeinig vor die Bohrstelle, die von Hansens Schreibtisch ohnehin halb verdeckt ist. Seine Nackenhaare richten sich auf, und seine Schweißdrüsen arbeiten mit Hochdruck.

Kurz darauf hat er sich wieder voll im Griff. Er weiß, dass er ein sehr schnelles Reaktionsvermögen hat und dass er in Krisensituationen stark ist.

»Hallo, Herr Hansen«, lächelt er. »Sie haben uns ganz schön erschreckt. Papa hat gar nicht gesagt, dass Sie uns helfen sollen.«

Hansen hat den Sinn des Satzes offenbar nicht verstanden. »Wo seid ihr durch?«, wiederholt er seine Frage. »Was ist denn hier für ein Lärm? Wo ist eigentlich dein Vater?«

Lukas gibt sich Mühe, gelassen zu wirken. Es gelingt ihm sogar weiterzulächeln, obwohl Bens Keuchen in seinem Rücken jeden Trottel darauf bringen muss, dass hier etwas nicht stimmt.

»Papa wollte noch etwas hierfür besorgen.« Lukas macht eine vage Handbewegung zur Wand hin.

Misstrauisch versucht Hansen um seinen Schreibtisch herumzuschielen. »Und was wird das?«

»Also, hinter Ihrem Schreibtisch wäre der ideale Platz für ein Regal mit Katalogen und Bestelllisten.«

Lukas lässt jetzt bewusst seinen Vater aus dem Spiel. So kann er später dem Vater gegenüber behaupten, er habe sich das als Überraschung für ihn ausgedacht und mit Bens Hilfe gleich in die Tat umgesetzt. Schließlich weiß er, wie sehr sein Vater sich wünscht, Lukas interessiere sich mehr für das Geschäft.

»Wir bohren jetzt erst einmal die Löcher für die Verankerungsdübel in den Boden.« Lukas lächelt tapfer weiter. »Hier soll später ja schließlich nichts umfallen.«

Das versteht der auf Sicherheit bedachte Herr Hansen. »Ach so«, sagt er. »Dann ist ja alles in Ordnung.«

Er will schon gehen, da fällt ihm ein: »Und wo ist nun dein Vater? Lässt er euch«, er deutet auf Ben, »lässt er euch beide einfach so allein?«

»Die sind nicht allein«, meldet sich plötzlich Alina von der Treppe her zu Wort. Dann schlängelt sie sich lächelnd am alten Hansen vorbei durch den Türrahmen. »Ich bin ja bei ihnen.«

Sie drückt Ben eine Flasche kalte Limo in die Hand. »Hier, für euch! Von Papa. Gegen den Staub im Hals. Er sucht oben noch nach den passenden Halterungen. Ihr sollt schon mal weitermachen. Es kann noch eine Weile dauern, bis er wieder runterkommt.«

Lukas und Ben schlucken. Sie glotzen von Hansen zu Alina und von Alina zu Hansen.

»Cool«, sagt Ben, als er nach der kalten Flasche greift, und diesmal stimmt es sogar.

»Eh… ja… dann geh ich mal wieder«, sagt Hansen und wendet sich zur Treppe.

»Ich hoffe, der Bohrlärm stört Sie nicht zu sehr«, säuselt Alina, und ihre Stimme klingt wie Honig, süß und ein bisschen klebrig.

»Nö, stört mich nicht. Ich gehe sowieso nicht in die Wohnung rauf. Macht also ruhig weiter.«

Bevor die Jungs in Jubelgeheul ausbrechen können, legt Alina den Zeigefinger auf ihren Mund. Sie späht über ihre Schulter Richtung Treppe und sagt laut: »Papa hat gesagt, dass ihr den Dreck wegschaffen sollt. Wenn er zurückkommt, soll es hier wieder sauber sein.« Alina stemmt die Fäuste in die Hüften und strahlt die Jungen an.

Oben fällt die schwere Stahltür ins Schloss.

Hansen ist weg.

»Woher hast du gewusst, dass wir hier sind?« Lukas flüstert, aus Sorge, Hansen könnte doch noch lauschen.

Über so viel brüderliche Ahnungslosigkeit kann Alina nur schmunzeln. »Euer Baustellenlärm war ja nun wirklich nicht zu überhören. Und da Papas Bohrmaschine seit gestern nicht mehr beim Werkzeug im Regal liegt– na, was glaubst du wohl, was ich mir da zusammenreimen konnte.«

Ben ist fassungslos über Alinas Kombinationsgabe.

»Weißt du überhaupt, um was es hier geht?« Lukas kneift die Augen zusammen.

Alina grinst. »Ich denke, dass wir mal nachsehen wollen, ob es die Römermauern unter unserem Keller wirklich gibt.«

»Du hast… du weißt… wieso…«, stammelt Lukas.

»Mensch, Lukilein, du benimmst dich wirklich duzi.«

»Hä?«

»Doof und ziemlich idiotisch. Glaubst du echt, ich krieg so was nicht mit?«

Es muss Schicksal sein, denkt Lukas. »Dann sind wir jetzt ja wohl zu dritt.«

Ben nickt ergeben.

»Also, Jungs, dann wollen wir mal weiterbohren. Und denkt ja nicht, dass ich euch hier den Dreck wegmache.«

Lukas hat es schon geahnt. Er reicht Alina das ziemlich verworrene Nylonseil und die Webcam. »Dann mach das mal klar zum Absenken. Das«, er zeigt auf das Seil, »sauber entwirren, und das«, er zeigt auf die Webcam, »absturzsicher dranbinden. Und fest verknoten.«

»Du hast das Zauberwort vergessen«, säuselt Alina.

»Bitte!«, knurrt Lukas.

Ben setzt die Bohrmaschine erneut an, und während er mühsam das Guckloch vergrößert, entwirrt Alina das Seil und verbindet es mit dem Webcam-Kabel zu einem Strang. Sie klebt die Taschenlampe mit braunem Paketklebeband huckepack auf die Webcam und steckt den Kabelstecker ein. »Fertig. Es kann losgehen.«

Das Loch ist mittlerweile handtellergroß. Sie verbindet das andere Kabelende mit dem Computer auf Hansens Schreibtisch und schaltet den Monitor ein. Augenblicklich erscheint das Bild, das die Webcam aufnimmt, auf dem Bildschirm.

»Wahnsinn!« Ben starrt auf den Monitor. »Das klappt hundertpro.«

Dann nimmt er die kleine Kamera in die Hand und schwenkt sie langsam durch den Lagerraum. Auf dem Monitor erkennen sie die Regalwand mit Kartons, eine andere voller Aktenordner, die Tür zur Treppe, eine Tür zum Nebenraum und schließlich sich selbst.

»Hoffentlich passt das Doppelpack da durch.« Alina betrachtet kritisch die kleine Öffnung im Boden.

»Soll ich?«, Ben hält die Kamera über das Loch.

Alina und Lukas nicken schweigend. Sie atmen vor Aufregung schneller als sonst, und Ben zittert, wie man am Monitorbild deutlich sehen kann, als er mit der freien Hand die Kamera samt Taschenlampe durch die Öffnung steckt, während er mit der anderen das Kabelseil nachschiebt. Lukas dreht den Monitor auf dem Schreibtisch herum, sodass auch Ben dem Blick der Kamera folgen kann.

Auf dem dunklen Bildschirm erscheint der Lichtkegel der Taschenlampe wie ein verschwommenes Dreieck. Ben lässt mehr Seil nach und dreht ein wenig daran, damit sich die Kamera ebenfalls um die eigene Achse dreht.

Lukas und Alina beugen sich vor, beobachten konzentriert den Bildschirm, als ginge es um ihr Leben. Alina kneift die Augen ein bisschen zu, kann aber trotzdem nichts erkennen. Jedenfalls nichts, was auch nur im Entferntesten nach einer Römermauer aussieht. Plötzlich geht es nicht weiter. Die Webcam hat irgendwo aufgesetzt.

»Einmeterfuffzich!«, stellt Ben erstaunt fest. »Der Boden muss nur einsfuffzich unter der Decke liegen. Waren die Römer denn so klein?«

»Versuch es noch mal!«, fordert Lukas, und Ben lässt das Kabelseil wieder durch die Hand gleiten.

Die Webcam stoppt auch diesmal wieder an dem Hindernis.

»Da! Jetzt sehe ich was!« Alina hat den Monitor beobachtet. »Das sieht wie eine Treppe aus, oder eine Leiter. Ich kann es nicht genau erkennen.«

Ben bringt die Webcam wieder in eine leichte Drehung.

»Da! Ja, genau!«, sagt Lukas. »Da ist eine Holztreppe. Mama hatte recht. Es gibt ihn also wirklich, den Keller unterm Keller.«

»Voll abgefahren!« Ben freut sich, obwohl er auf dem Bildschirm nichts Brauchbares erkennen kann. »Megacool!«

»Zieh das Teil noch mal rauf. Vielleicht können wir jetzt mehr entdecken«, bittet Alina.

Ihre Augen kleben förmlich am Monitor. »Wahnsinn! Da ist wirklich eine Treppe, die von hier aus in den zweiten Keller runterführt. Das Loch ist genau drüber.«

Lukas hat es auch erkannt. »Wir könnten also, wenn wir wollten, über die Stufen nach unten in den Römerkeller steigen.«

»Fein! Vielleicht liegen da noch ein paar alte Römer rum.« Ben grinst und erntet dafür einen schrägen Blick von Alina.

»Wie viel hast du dem Riesenbaby hier eigentlich erzählt?«, fragt sie ihren Bruder.

»Na ja, er ist mein bester Freund.« Lukas kratzt sich verlegen hinterm Ohr.

»Aha! Er weiß also Bescheid«, sagt Alina. »Dann weiß er sicher auch, dass die Mauern hier unten besonders dick sind. Hier war nämlich mal der Tresorraum einer Bank.«

Lukas staunt: »Woher willst du das denn wissen?«

»Auch von Mama. Ich hab nämlich mitbekommen, dass du mit ihr über den Keller gesprochen hast.«

»Du hast gelauscht?!«

»Pah! Das mit den Römermauern hatte ich mir schon gedacht, weil die hier in der Innenstadt praktisch überall sind. Ich habe Mama dann später gefragt, wer vor uns in dem Haus gelebt hat. Viel wusste sie nicht. Aber sie konnte mir sagen, dass das Haus damals einer Bank gehört hat. Der Opa, also Papas Vater, hat es denen nach dem Krieg abgekauft. Die Bank zog aus, und unser Opa mit seinem Laden ein. Und hier, wo wir jetzt stehen, hatte die Bank ihren Tresorraum.« Alina zeigt auf den wirklich sehr dicken Türrahmen und hält dann ihre Hände genauso breit auseinander. »Seht mal da rüber: extra dicke Mauern.«

»Hm…!«, nicken Ben und Lukas.

»Hier unten wurde damals eine Menge Geld aufbewahrt. Und Schmuck und Aktien und so. Und weil der Tresorraum nun mal da war, hat Opa ihn genutzt, um seine Ware einbruchsicher zu lagern. Praktisch, nicht?«

Ben sieht auf das Loch im Boden. »Römermauern hin oder her, ist aber doch blöd gewesen, den zweiten Keller zuzumauern. Euer Opa hätte da drin für seinen ganzen Krempel noch viel mehr Platz gehabt.«