Das Spiel des Highlanders - Susan King - E-Book
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Das Spiel des Highlanders E-Book

Susan King

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Beschreibung

Ist er ihre Rettung – oder ihr Verderben? Der historische Liebesroman »Das Spiel des Highlanders« von Susan King jetzt als eBook bei venusbooks. Schottland, im Jahre 1305. Die Heimat der schönen Isobel wird von den Engländern belagert. Unbemerkt von ihrem gemeinsamen Feind verschafft der schottische Ritter James Lindsay sich Zugang in den Familienstammsitz Aberlady Castle und bietet der wehrlosen Isobel seine Hilfe an. Doch der vermeintliche Retter verfolgt seine eigenen Zwecke – und erweist sich schon bald als skrupelloser Entführer: Nur die zarte Isobel kann dem rauen Krieger dabei helfen, seine Feinde zu besiegen und seine Ehre wiederherzustellen. Doch gegen seinen Willen spürt James schon bald, dass er in Leidenschaft zu seiner hinreißenden Geisel entbrennt – und auch Isobel fühlt sich zu dem ebenso undurchschaubaren wie attraktiven Ritter hingezogen … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das Historical-Romance-Highlight »Das Spiel des Highlanders« von Romance-Queen Susan King. Lesen ist sexy! venusbooks – der erotische eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 585

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Über dieses Buch:

Schottland, im Jahre 1305. Die Heimat der schönen Isobel wird von den Engländern belagert. Unbemerkt von ihrem gemeinsamen Feind verschafft der schottische Ritter James Lindsay sich Zugang in den Familienstammsitz Aberlady Castle und bietet der wehrlosen Isobel seine Hilfe an. Doch der vermeintliche Retter verfolgt seine eigenen Zwecke – und erweist sich schon bald als skrupelloser Entführer: Nur die zarte Isobel kann dem rauen Krieger dabei helfen, seine Feinde zu besiegen und seine Ehre wiederherzustellen. Doch gegen seinen Willen spürt James schon bald, dass er in Leidenschaft zu seiner hinreißenden Geisel entbrennt – und auch Isobel fühlt sich zu dem ebenso undurchschaubaren wie attraktiven Ritter hingezogen …

Über die Autorin:

Susan King wurde 1951 in New York geboren. Sie studierte und promovierte in Kunstgeschichte. Während ihrer Promotion schrieb sie ihren ersten Roman, der sofort zum internationalen Überraschungserfolg wurde. Seitdem begeistert die Bestseller-Autorin regelmäßig mit ihren historischen Liebesromanen.

Susan King veröffentlichte bei venusbooks bereits folgende Highland-Romane:

»Der Schatz des Highlanders«»Sturm über dem Hochland«»Der Fluch des Highlanders«»Die Ehre des Highlanders«»Der Kampf des Highlanders«»Das Verlangen des Highlanders«»In den Armen des Outlaws«»Der Ritter und die Highlanderin«

***

eBook-Neuausgabe August 2019

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2003 unter dem Titel »Träume der Sehnsucht« bei Heyne

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1998 by Susan King

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »Laird of the Wind« bei Topaz, an imprint of Dutton NAL, a member of Penguin Putnam Inc..

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2003 by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der eBook-Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2019 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

By arrangement with Spencerhill Associates

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur, Hamburg/Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Gabi Secareanu und adobe Stock/Photographee.eu

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-95885-699-8

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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***

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Susan King

Das Spiel des Highlanders

Roman

Aus dem Amerikanischen von Traudi Perlinger

venusbooks

Für Josh,der als Erster das Nest verlassen hat

Danksagung

Ich danke George Bittroff, der mich die Grundkenntnisse der Falknerei lehrte und mir die Gelegenheit gab, seinen prächtigen Habicht Sammy zu beobachten.

Julie Booth danke ich für ihren Rückhalt und so manche geopferte nächtliche Stunde.

Mein Dank geht auch an Jill Jachowski, der mich auf Greifvögel aufmerksam machte, und an die schottische Historikerin Mary Furgol, die mir half, mich in komplizierten geschichtlichen Zusammenhängen zurechtzufinden.

Und ich danke meiner Cousine Jolie Chamberlain, die meine drei Jungen betreute und meinem Ehemann und mir damit eine Reise nach Schottland ermöglichte.

»Und sei dein Fußriem mir ums Herzgeschlungen;Los geh ich dich, Aug hin in alle LüfteAuf gutes Glück!«

WILLIAM SHAKESPEARE, OthelloIII. Akt, 3. Szene.

Prolog

Schottland, in den LowlandsFebruar 1305

Aufblitzende Lichter in samtiger Dunkelheit ließen sie erstarren, als die Vision Formen annahm. Isobel krallte die Finger um die Armlehnen des Stuhls und schloss die Augen.

Ein Mann tauchte aus dem Schatten auf und kam näher: eine hoch gewachsene, breitschultrige Gestalt in einem Pilgergewand. Er bewegte sich mit der sehnigen Geschmeidigkeit eines Kriegers, und seine Haltung bezeugte den Anführer. Auf seinem Falknerhandschuh trug er einen Habicht.

Nebelschwaden umwaberten die Silhouette, und dann war sie verschwunden.

Isobel zog verwirrt die Stirn in Falten. Kein Wort, kein Name erklärte die Vision – sie sah nur das eindrucksvolle Bild eines Mannes, der in den Nebel eintauchte.

»Isobel?« Die tiefe, gebieterische Stimme ihres Vaters klang gedämpft. John Seton sprach ehrfurchtsvoll, als befände er sich in einer Kirche und nicht in seinem Schlafgemach, wo er Zeuge der Weissagungen seiner einzigen Tochter und künftigen Erbin der Ländereien von Aberlady war. »Was siehst du?«

Sie schüttelte bedächtig den Kopf und hielt die Augen geschlossen.

Selbst wenn sie die Lider aufgeschlagen hätte, hätte sie die flache Schale mit Wasser auf dem Tisch nicht sehen können, auch nicht die gleißende Oberfläche, die ihre Vision ausgelöst hatte. Sie hätte die Steinmauern des Gemachs nicht gesehen und auch nicht die Glut in der Feuerstelle oder die drei Männer, die sie aufmerksam beobachteten.

Sie war blind.

Die Dunkelheit ihrer prophetischen Visionen nahm ihr jedes Mal das Augenlicht, für eine Stunde, mehrere Stunden, manchmal für einen ganzen Tag oder länger. Und jedes Mal vertraute sie darauf, dass ihr Augenlicht wiederkehrte, und verdrängte die Angst, für immer zu erblinden.

Sie holte tief Atem, während die Bilder hinter ihren geschlossenen Lidern auftauchten. In schneller Folge flogen Gesichter und Szenen vor ihrem inneren Auge vorbei, als schaute sie in geschliffenen Kristall. Worte formten sich, drangen über ihre Lippen.

»Verrat«, flüsterte sie. »Mord.«

Sie hörte das Murmeln der anwesenden Männer– ihr Vater, ihr Priester, ihr Verlobter. Die Szene entfaltete sich und sie wartete.

»Welcher Verrat, Isobel?«, fragte ihr Vater.

»Was siehst du, Isobel?« Sir Ralph Leslie – den der Vater ihr zum Gemahl bestimmte – hatte eine tiefe, melodische Stimme. An den schweren Schritten hörte sie, wie der untersetzte, kraftvoll gebaute Mann näher trat. Und sie hörte den Habicht schreien, den Ralph mitgebracht hatte.

»Bleib zurück, Ralph«, murmelte John Seton. »Vater Hugh sitzt bei ihr und schreibt auf, was sie sagt. Stell ihr keine Fragen. Und sorge dafür, dass dein Habicht still ist. Der Vogel ist zu unruhig.«

Isobel hörte Sir Ralphs brummende Zustimmung. Am Pfingstsonntag vor einem Jahr war sie auf Wunsch ihres Vaters und des Priesters mit Ralph Leslie verlobt worden. Heute nahm Sir Ralph zum ersten Mal an einer Weissagung Isobels teil. Am Rande ihres Bewusstseins registrierte sie, dass er sich während der Sitzung nicht zu benehmen wusste.

Seine Gegenwart war ihr unerwünscht – ebenso die Verlobung mit ihm –, aber ihr Vater und der Priester hatten, wie so oft, die Entscheidung für sie getroffen. Sir Ralph durfte an der Sitzung teilnehmen, sollte aber nicht stören.

Isobel furchte die Stirn und hatte die Augen fest geschlossen, um sich auf die rasch wechselnden, farbigen Bilder konzentrieren zu können, die sich auf dem dunklen Hintergrund ihrer Vision zeigten. Stille senkte sich über den Raum, nur das Knistern des Feuers war zu hören.

»Ich sehe einen Adler über die schottischen Hügel fliegen«, sagte sie und ließ die Bilder auf sich einwirken, wie stets, wenn sie sich auf Wunsch ihres Vaters hinsetzte und die Zukunft weissagte.

»Der Adler wird von Habichten verfolgt«, fuhr sie fort. Ihre Visionen zeigten häufig eine Mischung aus Wirklichkeit und Symbolik. Diesmal schien ihre übersinnliche Gabe Greifvögel als Metapher zu wählen. Sie beobachtete den Flug der Vögel, und allmählich klärten sich Zusammenhänge.

»Es sind Männer«, sagte sie leise. »Der Habicht vom Turm, der Habicht vom Wald und andere. Engländer und Schotten nehmen einen Mann, den Adler, in verräterischer Weise gefangen. Er ist ein Rebellenführer, den sie fürchten und vernichten wollen.«

John Seton, Ralph Leslie und der Priester schwiegen. Sie hörte einen Habicht schreien – kie-kie-kie-ier. Doch die Laute kamen nicht von Ralphs Beizvogel.

»Ich sehe einen grauen Habicht auf einem Falknerhandschuh«, fuhr sie fort, während ein neues Bild vor ihrem inneren Auge auftauchte. »Sein Herr hat die anderen hierher gelockt. Der Habicht vom Turm und der Habicht vom Wald locken den Adler – den Anführer – nachts in eine Falle. Er wehrt sich, da er tapfer und stark ist von Wuchs und im Herzen.«

Sie beobachtete, wie der hünenhafte Mann sich mit aller Kraft gegen seine Häscher wehrte, die ihn schließlich überwältigten. »Die Männer klagen ihn an, Verbrechen begangen zu haben. Sie werden ihn töten. Aber er ist das Opfer einer heimtückischen, mörderischen Verschwörung zum Nutzen der Häscher.« Schweigend verfolgte sie, wie der Mann inmitten hagelnder Pfeile mit weißen Federn abgeführt wurde.

»Der Habicht vom Wald wird die weiße Feder verlieren«, sagte sie. »Er wird durch Heideland und dichten Wald fliehen.«

»Und der Adler?«, fragte ihr Vater.

Isobel stockte der Atem, als sie die Schreckensbilder sah. »Sein tapferes Herz wird ihm aus der Brust gerissen«, sagte sie und schwieg, ballte verzweifelt die Fäuste, bis die grausige Szene verschwand.

»Der englische Löwe wird triumphieren. Der Habicht, der den Adler – seinen Freund – verriet, wird im Wald verschwinden.«

»Der englische Löwe ist König Edward«, murmelte Vater Hugh. Isobel hörte, wie die spitze Feder auf Pergament kratzte. »Aber der Adler, der Habicht vom Turm, der Habicht vom Wald – wer sind sie? Was siehst du noch, Isobel?«, hakte der betagte Priester mit krächzender Stimme nach.

Weitere Visionen flogen an ihrem inneren Auge vorbei, bunt und klar wie Glasmalereien, jedoch zu schnell, um sie zu beschreiben oder sich die Eindrücke einzuprägen.

Tiefe Traurigkeit und das überwältigende Gefühl von Verrat schnürten ihr die Kehle zu. Tränen stiegen in ihr auf. Plötzlich wusste sie, dass der starke, tapfere Mann – der Adler – sterben würde, noch bevor der Herbst ins Land zog.

Und sie wusste mit erschreckender Klarheit, wer er war.

Lieber Gott,dachte sie, lass mich ihn warnen. Lass mich dieses eine Mal helfen und nicht nur sehen, was geschehen wird. Aber sie erhielt keine Antwort auf ihr Stoßgebet.

Lass zu, dass ich mich daran erinnere,fügte sie verzweifelt hinzu. Bitte lass mich diesmal mich erinnern.

Gewöhnlich wurden ihre Visionen aus ihrem Gedächtnis wieder gelöscht, sobald sie erwachte. Oft fragte sie ihren Vater oder den Priester hinterher, was sie gesagt hatte und was die Bilder bedeuteten. Die Männer aber schwiegen beharrlich oder redeten ihr gut zu, sich keine Sorgen zu machen. Die Weissagungen seien jetzt nicht mehr ihre Sache, erklärten sie ihr, sie seien in die Obhut von Männern gelegt, die ihre Worte deuten konnten.

Aber diesmal wollte sie daran teilhaben. Als kleines Mädchen hatte sie zum ersten Mal Weissagungen gemacht. Zwölf Jahre waren seither vergangen, und seit damals hatte ihr Vater sich um alle Belange in ihrem Leben gekümmert, auch um diese bemerkenswerte Gabe. Doch nun war sie zur Frau herangereift und stellte ihrem Vater und dem Priester bohrende Fragen, deren Antworten sie nicht zufrieden stellten.

Sie wusste, dass der Priester ihre Visionen bei seinen Predigten von der Kanzel verkündete und auf diese Weise in der Pfarrgemeinde verbreitete. Sie wusste, dass er Abschriften ihrer Weissagungen an John Balliol schickte, den im Exil lebenden König von Schottland, sowie an die Hüter des Reiches, die in seiner Abwesenheit die Regierungsgeschäfte des Landes führten. Sie wusste auch, dass die Engländer von ihren Prophezeiungen erfuhren.

Ihr Vater versicherte ihr, sie sei ein Segen für die Sache Schottlands, und darüber freute sie sich. Die enorme Anstrengung, die diese Visionen sie jedes Mal kosteten, lohnten den Preis, wenn das schottische Volk Nutzen daraus zog.

Isobels Augäpfel rollten hinter den flatternden Lidern. Neue Bilder stürmten auf sie ein, bunt, faszinierend und grausam.

»Wer ist der Adler, der Mann, der gefangen genommen wird?«, fragte Vater Hugh.

»Der Rebellenführer William Wallace.« Ihre Stimme klang belegt vor Trauer. Sie wollte nicht über sein grausiges Schicksal sprechen, und dennoch kamen die Worte über ihre Lippen; sie konnte sich der Macht der Wahrheit nicht entziehen.

»Der englische König wird den Freiheitskämpfer grausam foltern lassen, um seine Genugtuung zu befriedigen«, fuhr sie fort. »Er wird sein Tun Gerechtigkeit nennen. Wallace ist der Adler. Er wird von einem Habicht verraten.«

Sie hörte die gedämpften Schreckensrufe ihres Vaters und ihres Verlobten, hörte, wie sie miteinander flüsterten. »Fahre fort, Isobel«, drängte der Vater sie.

Die grässliche, Furcht einflößende Szene war verschwunden. Nun entfaltete sich eine friedliche Szene. Ein Habicht schwang sich hoch in die Lüfte und schwebte über grünen Baumwipfeln eines dichten Waldes.

»Der Herr des Windes.« Sie sprach die Gedanken aus, die sich in ihrem Verstand formten. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen, sie fühlte sich ebenso unbeschwert wie der Vogel hoch in den Lüften. »Er ist der Habicht des Waldes.«

»Wer ist er?«, fragten ihr Vater und der Priester wie aus einem Munde.

»Er hat keine Heimat. Er lebt im Wald in völliger Freiheit.« Sie beobachtete den schwebenden Flug des Habichts. Doch beim nächsten Bild furchte sie wieder die Stirn. »Andere Habichte – andere Männer – jagen ihn. Er flieht um sein Leben.« Sie faltete die Hände und schlang die Finger ineinander. »Er hat einen Verrat begangen, und nun wird er verraten. Oh, diese Qual, dieser Verrat!« Sie drehte den Kopf von einer Seite zur anderen, um den Schmerz zu vertreiben, der sie zu übermannen drohte.

»Welcher Verrat? Wer hat ihn verraten? Wen hat er verraten?«, fragte Vater Hugh, dessen Feder kratzend über das Pergament flog.

»Isobel, sag uns, was du weißt«, drängte der Vater.

Die einstürmenden Gefühle überwältigten sie. Sie war unfähig zu sprechen und kämpfte gegen die Tränen an. Es geschah nicht oft, dass sie in einen solchen Strudel der Empfindungen gerissen wurde. Tiefe Trauer erfüllte sie.

Zu ihrer Erleichterung erschienen neue Bilder auf dem dunklen Hintergrund ihrer Visionen. Nebelschwaden stiegen auf.

Der Mann im Pilgergewand mit dem Habicht auf der Faust trat aus einem Nebelschleier. Ihr Herz machte einen Satz.

»Ich sehe einen Pilger.« Sie beschrieb die Erscheinung, und dann verstand sie mehr. »Er will Buße tun und sehnt sich nach Frieden.«

»Wer ist der Mann?«, fragte Ralph.

Die Antwort kam aus ihrem Innern. »Er ist der Herr des Windes.«

»Isobel, sprich vernünftig«, tadelte Ralph sie ungeduldig.

Isobel hörte ihn kaum. Gebannt beobachtete sie den hoch gewachsenen Mann im Pilgergewand, der im Regen auf den Stufen einer Kirche stand. Auf dem Handschuh trug er einen grauen Habicht. Unter der Kapuze sah sie ein schönes, ernsthaftes Gesicht: dunkelblaue Augen, kantige Kinnpartie, geschwungene, weiche Lippen, braunes Haar mit goldenen Strähnen.

Seine Augen wirkten schwer vor Trauer und Schmerz. Und sie spürte mehr – Bitterkeit und verhaltenen Zorn. Er erschien ihr vertraut, als kennte sie ihn, ohne zu wissen, wer er war.

Er stieg die Steinstufen vor dem Kirchenportal herab und durchquerte im strömenden Regen den Hof. Vor einem Weißdornbaum ließ er den Vogel los, der aufflog und sich auf einem Ast niederließ.

»Der Habicht hütet das Geheimnis des Weißdornbaums«, sagte sie, ohne nachzudenken.

»Welches Geheimnis?«, verlangte Ralph zu wissen. »Wer ist der Mann? Wo steht der Baum? John, wovon redet das Mädchen?«

»Ralph, schweig endlich«, knurrte ihr Vater.

»Wahrscheinlich sind das Symbole«, sagte Vater Hugh ruhig. »Habichte, Bäume, Pilger – das alles sind Sinnbilder mit einer tieferen Bedeutung. Ich werde die Notizen später sorgfältig studieren. Ihre Augäpfel bewegen sich wieder – sie sieht mehr. Isobel, sag uns, was du siehst.«

Isobel konnte nicht antworten. Zum ersten Mal in den zwölf Jahren ihrer Prophezeiungen sah sie ihr eigenes Bild in einer Vision.

Eine Frau schwebte über regennasses Gras: hoch gewachsen und sehr schlank, in einem blauen Kleid. Das offene Haar fiel ihr schwarz wie die Nacht über den Rücken. Verblüfft beobachtete Isobel die Gestalt, die sich dem Weißdornbaum näherte, wo der Habicht saß. Die goldbraunen Augen des Vogels blickten sie unverwandt an.

Der Mann im Pilgergewand drehte sich um. Isobel spürte, wie sein Blick sie durchbohrte. Er hob die Hand und winkte ihr zu.

Sie hatte den innigen Wunsch, zu ihm zu gehen. Doch ein ebenso starker Widerstand hielt sie zurück. Während sie zögerte, verschwand der verregnete Kirchhof vor ihrem inneren Auge.

Nun sah sie hohe Steinmauern, die in der Sonne glänzten. Isobel erkannte die Zwischenmauern von Aberlady Castle, ihrem Elternhaus.

Pfeile schwirrten über die Burgzinnen. Sie hörte Männer rufen, schreien. Beißender Rauchgeruch stieg ihr in die Nase, sie spürte kalten, schmerzhaften Hunger.

»Belagerung«, flüsterte sie. »Belagerung.«

Sie schrie auf, versuchte die Bilder festzuhalten, doch sie lösten sich in Dunkelheit auf. Gütiger Gott, lass zu, dass ich mich daran erinnere,dachte sie.

Als sie die Augen öffnete, umfing sie Dunkelheit.

3. August 1305

Er lief durch den Wald. Seine Schritte und der keuchende Atem vereinten sich mit dem Rauschen des Nachtwinds. Zügig, unbeirrt huschte er wie ein Schatten unter den Bäumen dahin, sprang mit langen, sehnigen Beinen federnd über Farndickicht.

Gebe Gott, dass er nicht zu spät kam.

Er rannte durch den Wald und übers Heideland und wieder durch den Wald; sein Atem ging schwer, Lunge und Kehle brannten, die kraftvollen Beine schmerzten. Aber er gönnte sich keine Rast, näherte er sich doch mit jedem Schritt seinem Ziel. Es galt, ein Unglück zu verhüten.

Endlich sah er Licht durch die Bäume schimmern. Er rannte schneller, heller Fackelschein flackerte an Mauern hinter den Bäumen empor. Dann sah er Pferde und Männer in Rüstungen, hörte undeutliche Schreie, wütend und barsch.

Gütiger Gott. Sie hatten das Haus vor ihm erreicht.

Er suchte Schutz hinter einer Eiche. Sein Atem ging stoßweise, das Herz schlug wie ein Hammer gegen die Rippen, die Tunika war schweißnass. Männer in Kettenhemden, manche zu Pferd, andere zu Fuß, bevölkerten den mondhellen Hof des Hauses. Zwanzig – nein, eher dreißig.

Auf der Erde lag ein Toter. Einer stieß den Leichnam mit einem Tritt zur Seite. Ein anderer führte ein Pferd am Zügel, in dessen Sattel ein hünenhafter Mann gefesselt und geknebelt vornüber gebeugt saß. Blut strömte ihm übers Gesicht, das im Mondlicht schwarz glänzte.

Ein Soldat schlug den Gefangenen; der Zuschauer hinter der Eiche fluchte bitter, nahm den Bogen von der Schulter, holte einen Pfeil aus dem Köcher an seinem Gürtel, kerbte ihn ein, spannte den Bogen und zielte.

Der Soldat, der wieder ausholte, um auf den breitschultrigen Gefangenen einzuschlagen, stürzte aus dem Sattel. In seiner Brust steckte ein Pfeil.

Aus dem Schutz der Bäume wurde ein zweiter Pfeil in die Kerbe gelegt, der Bogen gespannt und abgeschossen. Ein Soldat hatte die Armbrust angelegt und blickte sich suchend um. Dann ging er zu Boden wie eine gefällte Eiche.

Die Männer, die den Gefangenen umringten, fuhren fluchend herum, zogen Schwerter, luden Armbrüste. Die weißen Federn an den Schaftenden der abgeschossenen Pfeile waren im Mondlicht gut sichtbar, und jeder wusste, dass sie von einem Rebellen stammten, dem gefürchteten ›Habicht des Grenzlandes‹. Einer schrie seinen Namen.

Von seinem Versteck aus glaubte der Rebell zu sehen, wie der Gefangene sich über die Schulter drehte und in seine Richtung nickte, als wollte er sich bei seinem unsichtbaren Verbündeten bedanken, den er früher seinen Freund genannt hatte.

Der Schütze sah einen kleinen, flachen Gegenstand zu Boden flattern, den der Gefangene heimlich hatte fallen lassen. Er nahm sich vor, ihn zu holen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.

Ein Bolzen schlug krachend in einen Baumstamm in seiner Nähe. Er verließ das Versteck, rannte wie ein dunkler Schatten näher ans Haus und schoss den nächsten Pfeil ab. Ein Schrei zerschnitt die nächtliche Stille.

Drei Soldaten weniger. Einlegen, spannen, zielen, schießen. Vier. Immer noch zu viele, um es mit ihnen aufzunehmen. Er hatte nur noch wenige Pfeile im Köcher, um die Zahl der Gefallenen zu erhöhen. Aber ohne Pferd und ohne Verstärkung bestand keine Hoffnung, den Freund zu befreien, der einem gemeinen Verrat zum Opfer gefallen war.

Ein Verrat, an dem er beteiligt war. Der Gedanke schnitt ihm wie ein Dolch ins Herz. Er spannte den Bogen und schoss.

Fünf Männer lagen nun auf der Erde, manche stöhnend, manche für immer verstummt. Die Soldaten saßen hastig auf, kümmerten sich nicht um die Verletzten und führten den Gefangenen vom Hof. Bolzen aus ihren Armbrüsten fuhren splitternd in Baumstämme und in den Boden in der Nähe des Angreifers, bevor die berittene Schar sich im donnernden Galopp entfernte.

Wie eine Wildkatze rannte er mit langen Sätzen hinter den Reitern her, sprang über Farne und durchs Unterholz, den Bogen in der Hand. Sie hatten englische Pferde, kraftvoll und hochbeinig. Bald vergrößerte sich der Abstand zum Läufer, der im Schutz der Bäume neben dem Weg her rannte.

Er hörte Schreie und rannte weiter durchs Unterholz. Die Pferde waren nun beinahe außer Reichweite. Hastig rannte er eine Abkürzung über einen Hügel hinauf.

Aus schmalen Augen – sein Späherblick hatte ihm den Namen Habicht eingebracht – verfolgte er die schimmernden Rüstungen im Mondlicht.

Er hatte noch zwei Pfeile im Köcher. Die Entfernung beeinträchtigte seine Treffsicherheit, dennoch spannte er den Bogen, zielte und schoss. Der Pfeil traf einen Soldaten im Arm, ohne wirklichen Schaden anzurichten. Der Verletzte ritt mit der Schar weiter.

Der Schütze wusste, dass die Soldaten seinen Freund einem grausamen Tod zuführen würden. Der Mann, den sie in dieser Nacht gefangen hatten, war ein berüchtigter Rebellenanführer, der den englischen König zur Raserei gebracht hatte und weder Gnade noch Gerechtigkeit zu erwarten hatte.

Der letzte Pfeil. Er kerbte ein, spannte den Bogen, zielte.

Und ließ den Bogen sinken.

In einem Anflug glühender Leidenschaft wollte er dem Leben seines Freundes mit einem schnellen, ehrenvollen Pfeil ein Ende setzen, bevor die Engländer ihn durch grausame Folter und Demütigungen zu Tode quälen würden.

Wieder hob der den Bogen, mit klarem Blick und harten Gesichtszügen. Das Herz lag ihm wie ein kalter Stein in der Brust. Er schoss.

Der Pfeil verfehlte sein Ziel.

Kapitel 1

September 1305

Regen prasselte auf Moos und Stein, während der Pilger die flachen Steinstufen der Abteikirche hinaufstieg und das schwere Eichenportal aufzog. Gebündeltes Licht, silbrig schimmernd im Regen,, durchdrang das Halbdunkel des hohen Gewölbes des Kirchenschiffs, in das der Gesang der Mönche im Chorgestühl zu beiden Seiten des Altars aufstieg.

Die Gefahr belauerte ihn auch hier wie ein unsichtbarer Dämon. Er durfte nicht verweilen, blieb aber dennoch stehen und schloss die Augen. Friede senkte sich über ihn, greifbar und wohltuend wie der Abendnebel, der aus den nahen Bergen aufstieg. Doch diese Ruhe war ebenso flüchtig wie der Nebel.

Er zog den Umhang enger um die breiten Schultern, tauchte die Finger in das Weihwasserbecken an der Wand und bekreuzigte sich mit der geübten Geste eines Mönchs. Sein Blick flog hastig durch das Kirchenschiff, ehe er den dämmrigen Seitengang hinter mächtigen, gemeißelten Steinsäulen nach vorne ging.

Engländer und Schotten waren hinter ihm her. Er war dem Ruf eines Freundes nach Dunfermline Abbey gefolgt, wollte aber so schnell wie möglich wieder in den Schutz der Wälder zurückkehren. Wenn man ihn hier aufspürte, würde seine Gefangennahme – oder seine Flucht – den hart erkämpften Frieden der Abtei gefährden.

Ein Jahr zuvor war der englische König nach Dunfermline Abbey gereist, hatte den schottischen Adel um sich versammelt und den Treueid verlangt, mit dem sich die Edlen seinen Vorstellungen von Gerechtigkeit unterwarfen. Bei seiner Abreise hatte König Edward befohlen, die heilige schottische Stätte niederzubrennen, obwohl seine eigene Schwester in einer Gruft in der Abtei begraben lag. Die geschwärzten Ruinen des Refektoriums und des Dormitoriums lagen nur einen Steinwurf von der Kirche entfernt, die den Brand unversehrt überstanden hatte.

Der Pilger machte einen Kniefall vor einem Seitenaltar und ging weiter. In all den Jahren, in denen er sich auf der Flucht befand, hatte er sich König Edward niemals unterworfen wie die meisten schottischen Adeligen. Er hatte der Freiheit Treue geschworen – für sich und für Schottland.

Vor Monaten war er im Kampf verwundet und mit zwei Verwandten in einen englischen Kerker geworfen worden. Sein Vetter war neben ihm gestorben und seine Cousine verschleppt worden, er aber war standhaft geblieben und hatte dem König den Treueid verweigert.

Doch das, was er schließlich unterzeichnet hatte, hatte weit schlimmere Folgen gehabt. Mit zusammengekniffenen Lippen setzte der Pilger seinen Weg durch den Seitenflügel fort.

Er ging mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf, um nicht aufzufallen, da seine mächtige Gestalt allerorten Aufsehen erregte. Die an der Brust seines Kapuzenumhangs befestigte Jakobsmuschel und die Messingspange mit dem Heiligenbild wiesen ihn als Büßer aus, den nur ein paar neugierige Blicke streiften.

Dunfermline Abbey wurde häufig von Pilgern auf ihrem Weg von Saint Andrews im Nordosten bis nach Compostela in Spanien aufgesucht.

Er hielt Ausschau nach dem Mann, der sich mit ihm nach dem Vespergottesdienst hier treffen wollte. In den Kirchenbänken knieten noch einige Gläubige, tief im Gebet versunken. Weihrauch durchzog das Kirchenschiff und Choralgesänge stiegen in das hohe Gewölbe auf.

Er kannte die Melodie des Kyrie,hatte es ungezählte Male gesungen, vor langer Zeit, in einem anderen Leben. Doch der heilige Gesang vermochte seine verhärtete Seele nicht zu erweichen. Er hatte sich unwiderruflich verändert.

Seine weichen Stiefel aus Rehleder machten kein Geräusch auf den Steinfliesen, als er die kleine Kapelle der heiligen Margaret im Ostflügel der Kirche betrat. Im flackernden, goldenen Kerzenschein trat er an die Marmorgruft der heiliggesprochenen schottischen Königin.

Er entzündete eine Kerze am Wachsstock zu Ehren Margarets, der Beschützerin aller Pilger und Notleidenden, kniete am Sockel des Marmorsarges nieder, faltete die Hände zum Gebet und wartete.

Nach einer Weile hörte er Schritte. Ein Mönch in der schwarzen Kutte des Benediktinerordens betrat die Kapelle, kniete neben ihm nieder und murmelte ein lateinisches Gebet. Der Mönch neigte den Kopf, und das Rund seiner rasierten Tonsur leuchtete hell im dichten braunen Haarkranz.

»Pilger, du bist weit gereist an diesem trüben Regentag«, raunte der Benediktiner, nachdem er sein Gebet beendet hatte.

»Weit genug, in der Hoffnung auf gute Nachricht.«

»Ich wünschte, ich hätte eine gute Nachricht für dich, James Lindsay.«

James bedachte den Freund mit einem scharfen Seitenblick. Sein Herz verkrampfte sich. Er wartete – und wusste, was er sogleich hören würde.

»Er ist tot, Jamie«, raunte der Mönch. »Wallace lebt nicht mehr.«

James nickte bedächtig, während Trauer und Bitterkeit ihn wie ein Blitz durchfuhren. Er biss die Zähne aufeinander, ballte die Fäuste und stählte sich mit Willenskraft gegen den Gefühlsaufruhr.

»William Wallace wurde das Opfer eines feigen Verrats. Der Herr sei seiner Seele gnädig«, murmelte der Benediktiner kopfschüttelnd. »Sie ergriffen ihn vor einem Monat, Jamie.«

»Ich weiß.« Seine Stimme klang hohl. Er wusste nur zu gut, wann Wallace ergriffen worden war. Diesen Tag würde er nie vergessen.

»Wir erfuhren erst vor zwei Tagen von seinem Tod. Er wurde nach London gebracht, des Hochverrats für schuldig befunden und am dreiundzwanzigsten August hingerichtet.«

»Welcher Verrat? Er hat König Edward nie den Lehnseid geschworen«, murmelte James. »Er wurde wegen falscher Anklagen verurteilt, John.«

John Blair nickte. »Er wurde für Verbrechen verurteilt, die er nie begangen hat – gewiss hat er sich einiger Vergehen schuldig gemacht, aber nichts, womit er dieses furchtbare Ende verdient hätte. Er wurde zum Galgen geschleppt und aufgehängt. Als man ihn abnahm, lebte er noch und bat, ihm die Psalmen vorzulesen, während sie ihm ...« Blair konnte nicht weitersprechen. »Nein, nicht an diesem heiligen Ort.«

»Sag es mir«, knurrte James. »Ich muss es wissen.«

Blair senkte den Kopf und berichtete heiser murmelnd vom grausamen Tod des Freundes, von seinen Schmerzen und seiner unglaublichen Tapferkeit. James hörte ausdruckslos zu, doch das Blut rauschte ihm vor Zorn und Trauer wie ein Orkan in den Ohren. Er atmete tief und verdrängte das Brennen in seinen Augen.

Ein gezielter Pfeil, dachte er erbittert, hätte ihm all die Erniedrigung und Qualen erspart. Doch wäre ihm dieser Gnadenschuss vor Wochen gelungen, hätte er nur noch größere Schuld auf sich geladen, die er nie begleichen könnte.

James senkte den Blick auf seine Fäuste, deren Knöchel weiß schimmerten. Sein Geist verhärtete sich, sein Herz verwandelte sich endgültig zu Stein und lag kalt und schwer in der Brust.

»Sie haben ihn zum Märtyrer gemacht«, sagte er schließlich, als er seine Stimme wieder fand.

»Du hast Recht. Sein Tod ist wie ein Funke auf die ersterbende Glut des schottischen Freiheitskampfes – und das in einer Zeit; da König Edward glaubte, das Feuer endgültig erstickt zu haben.«

»Ja. John, komm zu uns in den Wald von Ettrick.«

»Das Leben eines Geächteten passt nicht mehr zu mir«, antwortete John. »Ich bin nach Dunfermline gekommen, um den Bericht über Wallaces Leben niederzuschreiben. Seine Heldentaten dürfen nicht vergessen werden.«

»Schreib deine Chronik im Wald. Die Vita contemplativa hat nie zu dir gepasst.«

»Das beschauliche Leben passt zu uns beiden nicht, Bruder James«, erinnerte John ihn. »Du hast deinen Orden vor Jahren verlassen, um der Sache Schottlands zu dienen. Du wurdest auf einem blutgetränkten schottischen Schlachtfeld zum Ritter geschlagen, während ich die Priesterweihen empfing.«

»Und dennoch endeten wir beide als Gesetzlose. John, wir brauchen deine ruhige Hand an der Waffe und deinen kühlen Kopf im Kampf.«

»Ihr habt andere, die genauso gut sind wie ich.«

»Nicht mehr viele. Du kennst die Gerüchte.«

»Ich weiß, dass man wieder hinter dir her ist, erbitterter denn je.« John Blair furchte die Stirn. »Gerüchten zufolge wurde Wallace von Schotten verraten – Lord von Menteith schickte seine Gefolgsleute aus, um Will festzunehmen. Wer die anderen waren, weiß man nicht.«

»Einige von ihnen kennst du«, meinte James bedächtig.

»Sprichst du vom Grafen von Carrick? Ich bezweifle, dass er etwas damit zu tun hat. Obwohl er Edward von England seine Ehrerbietung erweist, ist Robert Bruce im Herzen den Schotten zugetan.«

»Ich spreche nicht von Robert Bruce«, antwortete James. »Ich habe Beweise, dass er der schottischen Seite sehr zugeneigt ist.«

»Gottlob«, murmelte Blair. »Ich habe darum gebetet, dass Schottland einen starken Anführer bekommt. Bruce ist der Einzige, der diese Aufgabe erfüllen kann, Jamie.«

James nickte und sammelte sich in der nun folgenden Stille. »John«, murmelte er schließlich. »Es geht das Gerücht, dass William Wallace von Sir James Lindsay von Wildshaw verraten wurde.«

»Barmherziger Himmel«, entfuhr es John. »Davon wusste ich nichts. Man gibt dir die Schuld?«

James nickte grimmig. »Schotten, die dem Habicht des Grenzlandes einst Rückendeckung gaben, wenden sich heute von mir ab oder jagen mich gemeinsam mit den Engländern.«

»Aber du hast Will nicht verraten. Das würdest du niemals tun.«

James starrte blicklos auf den Marmorsarg. Er wollte es John sagen – und damit Beichte bei einem Priester ablegen was er in englischer Gefangenschaft getan hatte und welche Tragödie daraus entstanden war. Er brachte es nicht über sich. Noch nicht.

Später, wenn er und John Blair den Schock über Wills Tod überwunden hatten, würde er alles erklären. Aber vorher musste er eine Sache zu Ende bringen. Und wenn er die überlebte, würde er nach Dunfermline zurückkehren und die Last von seiner Seele nehmen.

»Es muss einen Weg geben, um diese Schmach von deinen Schultern zu nehmen«, sagte der Mönch.

»Das ist meine Sache. Ich kümmere mich darum.«

»Was wirst du tun?«

»Ich finde den Mann, der für Williams Festnahme verantwortlich ist«, antwortete James. »Derselbe Mann, der mir die Schuld an seinem Tod gibt und nun versucht, über meine Familie Druck auf mich auszuüben.«

»Menteith?«

»Er ist einer der Verräter. Aber ich suche einen anderen, der bei der Truppe war, die mich vor Monaten festnahm. Er verschuldete den Tod meines Vetters und hält noch immer eine Cousine von mir als Geisel fest. Sir Ralph Leslie.«

»Weißt du, wo du ihn findest?«

»Er ist Kommandant einer Garnisonsfestung. Mir sind nur vier Kampfgefährten geblieben, zu wenige, um an ihn heranzukommen oder seine Gefangene zu befreien.«

»Nur vier?«

»Mehr sind mir von fünfzig Gefolgsleuten nicht geblieben. Nur diese vier glauben, dass ich noch einen Funken Ehre im Leib habe.«

»Ich gehöre dazu«, sagte John leise.

Aber ich glaube selbst nicht mehr an mich,dachte James, warf John ein flüchtiges, wehmütiges Lächeln zu und schwieg.

John seufzte. »Selbst wenn ich mich dir anschließen würde, so könnte eine Hand voll Geächteter keine Garnison stürmen. Wo ist er?«

»König Edward hat ihn kürzlich zum Befehlshaber einer Festung ernannt, die den Schotten vor Jahren weggenommen wurde und sich immer noch in den Händen der Engländer befindet. Wildshaw Castle.«

»Gütiger Gott«, entfuhr es John. »Mit diesem Mann hast du wahrlich eine Rechnung zu begleichen.«

»Das kann man so sagen«, knurrte James.

»Ich schlage vor, du lauerst ihm im Wald auf, wenn er die Burg verlässt, überfällst ihn und hältst ihm die Klinge an die Kehle. Mal sehen ... Vielleicht entschuldigt er sich und gibt dir zurück, was dir gehört.«

»Ha, Priester«, entgegnete James, und ein Lächeln flog über seine Lippen. »Das könnte ich tun. Aber er hat nicht nur eine Burg, die rechtmäßig mein Besitz ist. Er hält Margaret Crawford gefangen.«

»Margaret! Deine Cousine?«

»Ja. Sie war in unserer Begleitung, als die Engländer uns aus dem Hinterhalt überfielen.«

»Ich erinnere mich, dass sie dich gelegentlich begleitet hat. Sie ist eine sehr gute Bogenschützin. Aber das ...«

»Ja. Ein guter Schütze war uns stets von Nutzen, und ich konnte ihr nie eine Bitte abschlagen. Aber nun hält Leslie sie auf Wildshaw gefangen und hofft, mich mit dem Köder anzulocken.«

»Wenn du versuchst, sie gewaltsam zu befreien, riskierst du ihr Leben und das Leben anderer.«

»Deshalb will ich ihm einen Tausch anbieten. Erst wenn Margaret frei ist, übe ich Vergeltung.«

John betrachtete den Freund im flackernden Schein der Votivkerzen, die das Grabmal der Heiligen schmückten. »Was kannst du diesem Mann im Tausch für deine Cousine anbieten?«

»Die Prophetin von Aberlady«, antwortete James.

»Hast du sie in deiner Gewalt?«

»Bald«, entgegnete James seelenruhig.

»Willst du damit sagen, du nimmst die Schwarze Isobel von Aberlady als Geisel?«, flüsterte John bang.

»Wenn Margaret als Lockvogel für mich dienen soll, kann ich meinerseits die Prophetin als Druckmittel einsetzen«, knurrte James.

»Aber die Schwarze Isobel! Wie ich hörte, gibt der englische König viel auf ihre Weissagungen. Wenn ihr etwas zustößt, gerät er außer sich vor Zorn.«

»Er hasst mich ohnehin – den engen Kampfgefährten von Wallace. Allem Anschein nach hat König Edward den Wunsch geäußert, man möge ihm die Prophetin bringen, damit sie ihre Prophezeiungen ausschließlich für den englischen Thron macht.«

»Aha. Ich verstehe. Ihr Preis ist demnach sehr hoch.«

»Genau. Eine wertvolle Geisel – aus mancherlei Gründen.«

»Gewiss«, bemerkte John bitter. »Sie prophezeite die Niederlage von Stirling, die Gefangennahme von Wallace, den Verrat des Habichts des Grenzlandes. König Edward wünscht natürlich, dass diese Nachrichtenflut anhält.«

»Sie kann dem König später etwas vorsingen«, meinte James ungerührt. »Mich interessiert diese Lerche jedenfalls nicht, da sie mir den Henkersstrick beinahe um den Hals gelegt hat mit ihrem Gezwitscher. Wenn Leslie den Preis bezahlt, den ich verlange, kann er seine Hellseherin gern wieder haben und sie dem englischen König aushändigen zum Beweis seiner Treue und Untertänigkeit.«

»Aber welches Interesse könnte Leslie an der Prophetin haben?«

»Sie ist seine Verlobte.« Die Worte hingen lange und unheilvoll in der Stille der Gruft.

John Blair betrachtete den Freund in einer Mischung aus Verwunderung und Zweifel. Dann schüttelte er den Kopf. »Der Plan ist riskant, um nicht zu sagen tollkühn. Dein Herz und dein Bauch regieren deinen Verstand. Sei vorsichtig.«

»Töricht oder klug, Herz oder Bauch, es wird geschehen. Oder rätst du mir, an den Toren von Wildshaw anzuklopfen und zu fordern, meine Cousine aus der Haft zu entlassen?«

John Blair schüttelte den Kopf. »Du wärst ein toter Mann, bevor du den Mund aufmachtest.«

»Ich reise noch heute nach Aberlady Castle und erbitte eine Audienz bei der Prophetin als Pilger, der ihren weisen Rat sucht.« James verzog die Lippen zu einem schiefen Lächeln. »Wenngleich ich an ihrer Gabe zweifle.«

»Du brauchst die Erlaubnis ihres Vaters und ihres Priesters, wenn du sie sehen willst«, sagte John Blair stirnrunzelnd. »Aber soweit ich unterrichtet bin, geriet ihr rebellischer Vater Sir John Seton nach einem Aufstand in englische Gefangenschaft.«

»Seine Tochter scheint anderer Gesinnung zu sein«, entgegnete James. »Und Leslie, ihr Verlobter, ist zwar Schotte, hat sich aber auf die Seite der Engländer geschlagen.«

»Sei vorsichtig, Jamie«, warnte John erneut. »Vermutlich wird sie bewacht. Ihr Priester ist Vater Hugh von der Gemeinde Stobo. Wenn du ihn aufsuchst, verschafft er einem demütigen Pilger möglicherweise eine Unterredung mit der Seherin.«

»Deren Rat ich dringend benötige«, vervollständigte James den Gedankengang.

John seufzte. »Jedem anderen würde ich diesen Plan ausreden. Es ist ehrlos, eine Frau als Geisel zu nehmen.«

»Sag das Leslie, der Margaret gefangen hält. Die Schwarze Isobel wird in meinem Gewahrsam nicht misshandelt werden. Ich behalte sie nur bei mir, bis meine Forderungen erfüllt sind.«

»Wenn du sie nur halb so gut behandelst wie die Jagdfalken, die du in früheren Tagen abgerichtet hast, so ist sie bei dir in guten Händen.«

»Ich habe viel von der Falknerei gelernt«, sagte James. »Geduld bringt mich ans Ziel. Margaret wird unversehrt entlassen, und ich gebe die Seherin an Leslie und die Engländer zurück.«

»Und was wird aus Leslie? Du hast von Rache gesprochen.«

»Die Prophetin wird sich bald nach einem neuen Gemahl umsehen müssen«, entgegnete James grimmig. »König Edward wird gewiss einen passenden für sie finden.«

»Sie lebt ziemlich zurückgezogen«, sagte John. »Das wird vielleicht nicht so einfach wie du denkst.« Er seufzte. »Und es ist nicht ehrenhaft.«

»Dann haben Leslie und ich etwas gemeinsam«, knurrte James. »Das Leben liebt die Ironie. Ich muss mich ehrlos verhalten, um eine ehrenvolle Aufgabe zu erfüllen.«

»Was meinst du damit?«

»Ich musste tatenlos zusehen, wie man Wallace festnahm«, sagte James leise und neigte den Kopf in Büßerhaltung. »Ich war dort in jener Nacht. Zu spät, aber ich war dort. Ich sah, wie man ihn abführte.«

»Ja. Gerüchten zufolge hast du die Hälfte der Ritter getötet, die ihn abführten.«

»Aber ich konnte ihn nicht retten.« Er ballte die Fäuste und öffnete sie wieder. »Genau wie damals, als ich zusehen musste, wie meine Gefolgsleute von Engländern getötet wurden. Ich kann meinen besudelten Namen nicht reinwaschen. Aber eines kann ich tun.« Er hob den Blick. »Ich kann Margaret vor dem Schweinehund retten, der Wallace zu Fall gebracht hat. Und wenn ich dafür mit meiner ewigen Verdammnis bezahlen muss, so soll es so sein.«

»Ehre und Vergeltung, mein Freund«, sagte John, »widersprechen einander meist. Nimm dich in Acht.«

»Wie immer.« James stand auf.

»Was ist mit den Weissagungen der Schwarzen Isobel?« Auch John erhob sich.

»Sie verurteilte mich lange vor Wills Tod mit diesem Unsinn über Habichte und Adler. Sie trug dazu bei, dass mein Name in den Schmutz gezogen wurde. Ich frage mich, ob sie eine Rolle in einer hinterhältigen Intrige spielt, um Schottland mit Gerüchten über Niederlagen zu vergiften – mit ihren Weissagungen, die stets zu Gunsten der Engländer ausfallen.«

»Ja. Man denke nur an die Ehe, die sie eingeht.« John furchte die Stirn. »Wenn sie aber tatsächlich eine Seherin ist?«

»Tja, dann nutze ich ihre übersinnliche Gabe und lasse mir von ihr weissagen, was ich wissen will«, entgegnete James bitter. »Wie dem auch sei, als Geisel ist sie mir wertvoll. Sie übernimmt eine wichtige Rolle in dem Spiel, das ich plane.« Er trat einen Schritt zurück. »Ich muss gehen.«

John nickte und segnete den Freund. James schüttelte ihm die Hand und verließ die Kapelle durch eine schmale Seitentür. Er zog die Kapuze tief ins Gesicht, um sich vor dem Regen zu schützen, und ging an den Ruinen des Refektoriums vorbei, wo zwischen bemoosten, rußgeschwärzten Steinen Nebelschwaden aufstiegen.

Er hob den Kopf. Das Flechtwerk eines zerbrochenen Kirchenfensters umrahmte die blauen Berge in der Ferne. Wallace hatte diese wogende Hügellandschaft geliebt, erinnerte James sich. Er war bereit gewesen, sein Leben zu lassen, um sein Land zu schützen.

James seufzte. Er stand tief in der Schuld seines Freundes, die er nicht mehr begleichen konnte, nun da Wallace tot und sein eigener Name beschmutzt war. Kein Mann würde ihm nach all den unheilvollen Ereignissen folgen, um für Schottland zu kämpfen.

Die Prophezeiung der Schwarzen Isobel und das verworrene Netz der Gerüchte, das durch sie verbreitet worden war, aber auch seine eigene Unbesonnenheit hatten ihn zum Verräter gemacht.

Mit gesenktem Haupt ging er an der Abtei vorbei und dachte an die Prophetin, die so viel Unheil mit ihrer verfluchten Weissagung mit dem Habicht und dem Adler angerichtet hatte. Wenn er sie erst in seinem Gewahrsam hatte und auf Leslies Antwort wartete, würde er die Wahrheit über diese Weissagungen herausfinden. Er zweifelte nicht daran, dass sie Ralph Leslie und seinen Schurken als Komplizin oder Marionette diente.

Er würde die Wahrheit herausfinden, die ihm allerdings nicht mehr viel nützte. Der Schaden war bereits angerichtet.

Er stapfte durch den Nieselregen zum kleinen Friedhof neben der Abtei, in dessen Mitte ein Weißdornbaum stand, an dem er stehen blieb.

Unter diesem Baum lag Wallaces Mutter begraben. Er erinnerte sich deutlich an jenen Morgen, an dem er, John Blair und Wallace sie hier bestattet hatten: in einem Grab ohne Namen und ohne Kreuz, damit niemand erfuhr, wo Lady Wallace ihre letzte Ruhe gefunden hatte. Will hatte es so gewollt, da er eine Grabschändung und Zerstörung der sterblichen Überreste seiner Mutter befürchtete, falls sich das Schicksal einmal gegen ihn wenden sollte. James würde dieses Geheimnis für immer bewahren.

Das war der letzte Gefallen, den er dem Freund erweisen konnte.

Er ging an dem Weißdornbaum vorüber und schlug einen steilen Pfad ein, der den Hügel hinab in den Wald unterhalb des Klosters führte.

Einen Augenblick drängte es ihn, in die Abteikirche zurückzukehren, um Ruhe und Frieden für sein Herz und seine Seele zu finden. Doch er setzte seinen Weg durch den Regen fort. So sehr er sich auch danach sehnte – wahrer Frieden war nicht für ihn bestimmt. Das Schicksal hatte ihn dazu verdammt, Gefahr und Kampf zu trotzen; Harmonie und Geborgenheit waren ihm verwehrt.

Er beschleunigte die Schritte und bewegte sich im Laufschritt auf den Waldrand zu.

Kapitel 2

Die Sandsteinmauern von Aberlady Castle leuchteten rosig im Schein der untergehenden Sonne, als Isobel Seton die Stufen zum Wehrgang hinaufstieg, gemessenen Schrittes und hoch erhobenen Hauptes, energisch und resolut, den Blick auf die gezackten Auskerbungen in der Mauer über ihr gerichtet.

Sie nahm den weißen Seidenschleier ab, steckte ihn in den Ärmel, löste im Gehen den dicken, schwarzen Zopf mit ruhigen Fingern; nur die Knie zitterten ihr unter den Falten des grauen Kleides und Überwurfs.

Hunger und Erschöpfung schwächten sie, redete sie sich ein. Nicht Angst. Niemals Angst. Angst würde sie keinem Menschen zeigen. Seit Beginn der Belagerung vor zehn Wochen stieg sie jeden Abend bei Sonnenuntergang die Stufen zu den Burgzinnen hinauf, um sich den Engländern zu zeigen, unverletzt und ungebrochen.

Isobel ging den Wehrgang entlang zum Turm über dem Torhaus, beugte sich aus einer Schießscharte und ließ sich den frischen Abendwind ins Gesicht wehen.

Der einzige Zugang zu Aberlady war in den rötlich goldenen Schein der Abendsonne getaucht. Die Burg lag auf einem zerfurchten Felsgrat, umgeben von einem tiefen Burggraben. Auf dem flachen Gelände hinter dem Burggraben lagerten an die hundert englische Soldaten um die Feuer vor ihren Zelten oder kauerten hinter den Holzpalisaden, dem äußeren Schutzzaun der Festung. Die täglichen Gefechte waren zwar bereits eingestellt, doch die Waffen der Belagerer lagen stets griffbereit.

Die Soldaten ihres Vaters – vielmehr ihre Soldaten, da Sir John Seton vor Monaten festgenommen worden war und sich in englischer Gefangenschaft befand – lauerten hinter den Schießscharten des Wehrgangs, um die Angreifer unter Beschuss zu nehmen. Elf Schotten waren von Aberladys Garnison übrig geblieben; noch vor zehn Wochen hatten sechzig Soldaten die Burg verteidigt.

Sie warf einen Blick über die Schulter. Der innere Burghof mit dem mächtigen Bergfried in der Mitte war menschenleer. Auch die niedrigen, strohgedeckten Nebengebäude der Vorburg, wo Gesinde, Stallungen und Getreidespeicher untergebracht sein sollten, waren verlassen. Die Pferde hatten sie mit dem Priester ziehen lassen an jenem Tag der Waffenruhe, der den Burgbewohnern gegönnt war. Auch ein paar Habichte hatte man fliegen lassen, die anderen Greifvögel waren längst gebraten und verzehrt.

Die entlegene Ecke des Burghofs diente als Friedhof für Soldaten und Gesinde – Menschen, die in den letzten Wochen an ihren Verletzungen, Krankheiten oder vor Hunger gestorben waren.

Bald werden auch die restlichen Bewohner in dieser dunklen Ecke begraben liegen, dachte Isobel düster.

Die Soldaten hielten die Bogen halb gespannt und nickten ihrer Burgherrin im Vorbeigehen zu, die Gesichter bleich, hohlwangig und abgezehrt. Keiner erhob einen Einwand, weil sie sich auf dem Wehrgang zeigte. Sie wussten ebenso wie Isobel, dass ihr kein Leid geschah, solange die englischen Belagerer sie deutlich sehen konnten. Die Feinde aus dem Süden würden sich hüten, auf die Schwarze Isobel zu schießen, die Prophetin von Aberlady.

Ihr Wert schützte sie mehr als das Geheimnis, das sie umgab. Immer wieder hatte der Kommandant der Belagerer heraufgerufen, König Edward wünsche sie unversehrt in seinem Palast zu sehen.

Der englische König, hatte er gerufen, finde Gefallen an den Weissagungen der Schwarzen Isobel, mit denen sie die Niederlage der Schotten bei Falkirk, den Fall von Stirling Castle an die Engländer und die Festnahme und Hinrichtung des Freiheitskämpfers William Wallace vorhergesagt hatte. König Edward erwarte von der schottischen Prophetin weitere Triumphe für die Engländer zu hören.

Die Nachricht vom Tod Wallace' – dem Isobel versucht hatte, eine Warnung zukommen zu lassen – hatte ihr Übelkeit bereitet. Aber sie war auf den Zinnen des Wehrgangs stehen geblieben, ohne sich ihren Aufruhr anmerken zu lassen. Der Kommandant hatte weiter heraufgerufen, die Schwarze Isobel werde für ihre Dienste vom englischen König reich belohnt werden.

Sie hatte eine höfliche Ablehnung geschrieben, das Pergament um den Schaft eines Pfeils gewickelt und die Nachricht von einem Schützen überbringen lassen, der den Pfeil gezielt in den Oberschenkel des Kommandanten geschossen hatte.

Nach diesem Vorfall hatte sich der Belagerungszustand verschärft. Die Engländer hatten Vorrichtungen angebracht, mit deren Hilfe sie Baumstämme gegen die äußeren Tore und Mauern rammten. Und ihre Bogenschützen schickten brennende Pfeile über die Schutzmauern von Aberlady.

Eine kühle Brise umwehte Isobel, die stolz im hohen Wehrgang stand und ihr langes Haar wie ein glänzendes, schwarzes Banner wehen ließ. Den Schleier hatte sie nur zu diesem Zweck abgenommen. Sie hob das Kinn und ließ ihr Haar in einer dramatischen Geste der Unbeugsamkeit im Wind flattern. Aber das Herz hämmerte wild in ihrer Brust.

Im Lager unten in der Ebene blickten die meisten der englischen Soldaten zu ihr herauf. Nur ein paar reinigten konzentriert ihre Waffen, andere schaufelten Kies und Gestrüpp in den Burggraben unter der Zugbrücke. Wieder andere besserten den Holzrahmen einer der beiden Rammböcke aus, mit denen die Tore zum Einsturz gebracht werden sollten.

Der verführerische Duft von gebratenem Fleisch, das an Spießen über den Lagerfeuern gedreht wurde, stieg Isobel in die Nase und ließ ihren Magen schmerzhaft knurren. Die Kettenhemden blitzten im letzten Abendlicht auf, als die Engländer ihr Mahl verzehrten und sich anschließend zur Nacht niederließen.

Der nächste Tag würde weitere Gefechte bringen, vielleicht die letzten. Die verbliebenen Verteidiger von Aberlady waren von Hunger geschwächt und würden nicht mehr vielen Angriffen der Engländer standhalten können.

Isobel ließ den Blick über die Ringmauern schweifen. Die Burg stand trutzig auf einem dunklen, hohen Felsen, der aus der Ebene aufragte. An drei Seiten von senkrecht abfallendem Stein umgeben und an der vierten von einem steilen Hang, an dessen Fuß die Engländer ihr Lager aufgeschlagen hatten, galt die Festung als unbesiegbar. Nie zuvor war es einem Feind gelungen, Aberlady Castle einzunehmen.

Isobel seufzte und ließ die Finger über den rauen Sandstein gleiten. Gegen den Hunger waren sie freilich nicht gefeit. Sie war hier geboren und hatte gehofft, hier zu sterben. Aber nicht schon jetzt, lieber Gott, nicht schon jetzt.

»Tretet von der Mauer zurück, Isobel.« Sie drehte sich um und sah den Burgvogt Eustace Gibson aus dem Schatten auftauchen. Er streckte ihr die Hand entgegen, während der Ärmel seines Kettenhemds rötlich in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne blitzte.

»Bleibt zurück, Eustace«, warnte sie. »Auf Euch schießen die Engländer.«

Ein grimmiges Lächeln flog über seine wettergegerbten Gesichtszüge. »Das versuchen die Hunde nun seit Wochen, und ich bin immer noch da. Kommt, Ihr solltet längst im Bergfried sein.« Er führte sie zu den schmalen Stufen, und während sie in den Burghof hinunterstieg, hörte Isobel das längst vertraute Surren und den dumpfen Aufschlag eines Armbrustbolzens in der Befestigungsmauer, dort wo Eustace gerade gestanden hatte.

»Beim Gekreuzigten«, murmelte er. »Die gaben Euch nicht viel Zeit zu verschwinden, bevor sie auf mich zielten.«

Isobel presste die Lippen aufeinander, machte kehrt und stieg die Stufen zum Wehrgang wieder hinauf. Ohne auf die Warnung des Burgvogts zu achten, zog sie den Seidenschleier aus dem Ärmel und beugte sich weit aus der Schießscharte.

Mit übertrieben ausholenden Bewegungen wischte sie die Stelle an der Mauer ab, wo der Bolzen eingeschlagen hatte, schüttelte das Tuch aus und trat zurück. Der Wind ließ ihr schwarzes Haar flattern.

Von den englischen Soldaten drangen Rufe und Pfiffe herauf, gemischt mit Hohngelächter. Isobel neigte majestätisch den Kopf, wandte sich ab und stieg die Stufen wieder hinunter. Eustace schüttelte den Kopf.

»Ihr habt Euch in diesen Wochen sehr verändert, Isobel«, sagte er. »Es gab eine Zeit, in der ich Euch für sanft hielt und nicht fähig, solche Mutproben zu zeigen. John Seton wäre stolz zu wissen, mit welch tapferer Haltung seine Tochter Aberlady verteidigt.«

»Mein Vater würde niemals aufgeben. Und ich gebe auch nicht auf.« Sie stieg scheinbar gelassen die Stufen hinunter, doch ihr Herz schlug wie ein Hammer, und die Hände zitterten nach der trotzigen Zurschaustellung ihrer Unbeugsamkeit. Mit ihrer Haltung mochte er Recht haben, doch ihre Unbeugsamkeit war nur gespielt. Sie hatte gelernt, ihre Ängste zu verbergen und einen Mut zur Schau zu stellen, den sie nicht besaß.

Wieder schlug ein Armbrustbolzen gegen die Mauer über ihren Köpfen, gefolgt von Hohngelächter aus dem englischen Lager. Eustace hob die Hand gebieterisch, um die Schotten hinter den Schießscharten im Wehrgang daran zu hindern, den Schuss zu erwidern. Gleichzeitig warf er Isobel einen strengen Blick zu.

Sie seufzte und schüttelte müde den Kopf. »Ach, wenn das nur endlich vorüber wäre«, murmelte sie. »Heute Nacht träumte ich, dass uns geholfen werde und wir als freie Menschen abziehen dürften.«

»Ist das eine Weissagung?«, fragte Eustace.

»Nur eine Hoffnung«, antwortete sie leise. »Nur eine unbegründete Hoffnung.«

Sie hob den Blick gen Himmel. Das Abendrot der untergehenden Sonne verblasste zu einem bläulichen Grau. Es war kein prophetischer Traum gewesen, sonst könnte sie den Abendhimmel nicht sehen. Die Blindheit, die sie nach einer Weissagung befiel, war nicht eingetreten – schon lange nicht mehr.

Während sie in den Himmel blickte, durchrieselte sie ein prickelnder Schauer. Sie spürte eine seltsame Wärme an ihrer Schulter, als berührte sie eine große, sanfte Hand.

Sie drehte sich nach Eustace um, doch der hatte sich abgewandt und spähte über eine Zinne.

Isobel glaubte einen eindringlichen Blick auf sich ruhen zu spüren, und fühlte eine machtvolle Präsenz. Unruhig wanderte ihr Blick über den menschenleeren Burghof, in den sich die Schatten der Dämmerung senkten. Das ist nur die Erschöpfung, gepaart mit meiner Furcht, schalt sie sich.

»In der Küche gibt es Suppe«, meldete Eustace. »Ihr müsst etwas essen.«

»Ja, das werde ich.« Sie wollte ein paar Löffel heiße Brühe zu sich nehmen wie in den letzten drei Tagen. Sie selbst bereitete die dünne Suppe aus Brunnenwasser und ein paar Hand voll Gerste zu, die für alle Bewohner reichen musste. Bald wäre das letzte Gerstenkorn gegessen, und danach würden sie von einem Feind vernichtet werden, der furchtbarer war als das stärkste, vor Waffen strotzende Heer. Sie spürte die Auswirkungen des Hungers an ihren zitternden Gliedern, ihrem Schwindelgefühl und dem dumpfen Kopfschmerz, der sie seit Tagen quälte.

»Ich fürchte, die Gerste reicht gerade noch für einen Topf Suppe morgen«, meinte Eustace.

»Ich weiß.«

»Isobel.« Sie hörte die Bitterkeit in seiner Stimme. »Ihr seid nun Herrin auf Aberlady und müsst den Befehl zur Kapitulation geben. Ich bin dazu nicht berechtigt.«

»Mein Vater will nicht, dass wir uns ergeben«, antwortete sie eigensinnig.

»Mädchen«, widersprach Eustace eindringlich, »Lord Seton möchte aber auch nicht, dass wir verhungern.«

Isobel sah zu ihm auf. Eustace Gibson lebte auf der Burg, seit sie ein kleines Mädchen war. Seine Tüchtigkeit, seine Erfahrung und seine Klugheit waren ihr in den schrecklichen Wochen der Belagerung eine große Hilfe gewesen. Auf seine Standfestigkeit war absoluter Verlass, und sie hatte viel von ihm gelernt.

Sie seufzte, zerrissen zwischen ihrer Treue zu Aberlady und der Liebe zu ihrem fernen Vater.

»Ich dachte, wir könnten die Feinde mit unserer Ausdauer und Hartnäckigkeit besiegen. Und ich dachte, unsere Vorräte hielten länger.«

»Isobel, wir müssen uns ergeben.«

»Sir Ralph wird uns Hilfe bringen. Noch vor der Belagerung brach er auf, da er wusste, wo mein Vater von den Engländern gefangen gehalten wird. Er wird meinen Vater befreien und mit ihm zurückkehren.« Isobel bemerkte den schrillen Ton in ihrer Stimme, aber sie wollte nicht eingestehen, dass sie im Begriff war, die Hoffnung aufzugeben.

»Ich bezweifle, dass Sir Ralph uns Hilfe bringt«, knurrte Eustace. »Wir müssen uns ergeben, Mädchen. Euer Wohlergehen ist mir wichtiger als alles andere. Die Engländer werden Euch kein Leid antun, da der König Euch sehen will.«

»Aber Euch und den anderen werden sie etwas antun«, entgegnete sie. »Wir werden festgenommen oder getötet werden, sobald wir das Tor öffnen. Aus Aberlady würde eine englische Festung werden. Das kann ich nicht zulassen. Die Burg ist für Schottland zu wichtig. Mein Vater erwartet, dass wir sie verteidigen, bis er zurückkehrt.«

Eustace seufzte. »Wir werden Aberlady niederbrennen, bevor wir die Burg verlassen. Wir überlassen den Engländern die Festung nicht unversehrt.«

»Aberlady niederbrennen?« Sie starrte ihn entgeistert

»Wollt Ihr lieber, dass die Engländer sich hier einnisten?«

»Aber wir können sie doch nicht zerstören.« Der Gedanke an die brennende Burg – ihr Heim, ihre Zuflucht und ihr Schutz – versetzte sie in Grauen. »Und wenn wir uns weiterhin widersetzen?«

»Dann verhungern wir.«

»Sir Ralph wird uns retten. Er wird von der Belagerung erfahren.«

Eustace bedachte sie mit einem langen, wehmütigen Blick. »Wir können nicht bleiben, Isobel.«

Sie verstummte und starrte in den dunkler werdenden Himmel. Auch Eustace blickte in dumpfem Schweigen in die hereinbrechende Nacht. Isobel hörte, wie er den Atem scharf einzog. »Möglicherweise bekommen wir noch eine Chance.« Seine leise Stimme klang angespannt. Isobel hob den Kopf, sah, wie seine Mundwinkel sich nach unten verzogen und seine Hand sich um das Heft des Schwertes legte.

»Eustace, was gibt es?«

»Seht, dort unten«, murmelte er. »In der entfernten Ecke hinter den Stallungen.« Isobel folgte seinem Blick, und ein Schreckenslaut entfuhr ihr. Eine Schar Männer, vier, nein fünf, zählte sie hastig, löste sich aus dem Schatten der hinteren Befestigungsmauer. Unerschrocken überquerten die Fremden den Burghof und näherten sich den Stufen, wo Isobel und Eustace standen. Auf dem Wehrgang hoben die Soldaten die halb gespannten Bogen. Isobel warf Eustace einen bangen Blick zu. Er gebot den Schützen mit einer stummen Handbewegung Einhalt. Isobel blickte den fünf Fremden entgegen. Ihr Herz schlug wild, und ein seltsames Schwindelgefühl bemächtigte sich ihrer.

»Lieber Gott«, flüsterte sie heiser, »wer sind diese Männer?«

Zerzauste, wilde Gestalten in schmutzigen Tuniken und Lederwämsern unter zerrissenen Umhängen, die allerdings edle Breitschwerter und fein geschnitzte Bogen und Pfeile trugen wie Ritter. Einer der Fremden trat vor und schob die Kapuze seines langen braunen Umhangs in den Nacken, an dem eine Pilgermuschel befestigt war.

Er war größer als seine Gefährten, hatte breite Schultern und sehnige Beine. Seine Kleidung war ebenso abgetragen und schmutzig wie die der anderen, das wirre goldbraune Haar und der dunklere Bart waren zerzaust und ungepflegt. Isobel bemerkte aber auch seine anziehenden Gesichtszüge.

Er näherte sich ihr mit energischen, federnden Schritten. Seine Gegenwart schien die Luft zum Knistern zu bringen – wie beim Einschlag eines Blitzes. Eine lähmende Wirkung ging von ihm aus. Erschrocken wurde Isobel gewahr, dass sie seine Gegenwart vor wenigen Minuten gespürt hatte, als hätten sein Blick und seine Hand sie berührt.

Er hielt den Langbogen wie eine Lanze und blieb an der untersten Stufe stehen. Das Heft des Breitschwerts, das er auf dem Rücken trug, glänzte im letzten Tageslicht. Er nickte Eustace zu, ehe er den Blick auf Isobel richtete.

»Lady Isobel Seton?«, fragte er mit melodischer, weit tragender Stimme. »Die Prophetin von Aberlady?«

Sie nickte. »Wer seid Ihr?«, fragte sie und verschränkte ihre zitternden Hände.

Er neigte den Kopf. »Wir kommen, um Euch zu retten.«

Sie starrte ihn in fassungsloser Faszination an. Der Fremde war von wilder Schönheit und strahlte eine Schwindel erregende Aura der Macht aus, die sich durch sein mysteriöses Auftauchen noch verstärkte. Seine Augen glänzten tiefblau wie das Licht der Dämmerung, seine Hände, die den Bogen umfangen hielten, waren langgliedrig und stark. Er schien aus einer anderen Welt zu stammen, ein Mann aus den Nebeln, einer Legende des alten Volkes, der Feenwelt entstiegen.

Isobel hatte es die Sprache verschlagen. Sie war völlig in seinem Bann. Sein unverwandter Blick schien bis in die tiefsten Winkel ihrer Seele zu dringen.

Sie las aber auch Wagemut und unbeirrbare Zielstrebigkeit in seinen dunkelblauen Augen und spürte die starke Strömung der Gefahr, die von ihm ausging.

Sie holte tief Luft und hob das Kinn. »Ihr kennt meinen Namen, aber ich kenne den Euren nicht«, entgegnete sie ruhig, trotz ihrer Angst. Ein seltsam erregendes Kribbeln durchströmte sie. »Wie kommt Ihr in unsere Burgmauern?«

»Durch die hintere Tür in der Nordmauer«, antwortete er.

Isobel starrte ihn verständnislos an. »Aber der Eingang ist hinter Gestrüpp und Felsen verborgen und liegt mehr als hundert Fuß hoch in der Felswand. Wie konntet Ihr ihn erreichen?«

»Es hat eine Weile gedauert«, antwortete er achselzuckend.

»Wer seid Ihr?«, wiederholte sie ihre Frage.

»Ich bin James Lindsay«, antwortete er in seiner dunklen, Achtung gebietenden Stimme, aber der Name sagte ihr nichts. »Gelegentlich nennt man mich auch den Habicht des Grenzlandes.«

»Heiliger Herr Jesus Christ«, entfuhr es Eustace. »Das habe ich mir beinahe gedacht.«

Isobel stockte der Atem. Den Namen kannte sie. Der Habicht des Grenzlandes war ein abtrünniger Schotte, der sich neuerdings vor Engländern und Schotten in den undurchdringlichen Wäldern von Ettrick versteckt hielt. Sein Auftauchen auf Aberlady Castle konnte die Rettung oder den Untergang für alle Bewohner bedeuten. Niemand wusste, wem seine Treue in letzter Zeit galt.

Gerüchten zufolge floh der Habicht nach Norden, Westen und Süden, ja sogar bis aufs Meer hinaus. Man munkelte, er sei ein Magier, der jede erdenkliche Gestalt annehmen konnte. Manche meinten, er sei längst tot, andere behaupteten, er sei unsterblich und entstamme dem uralten Volk der Feen. Und Isobel entsann sich, dass man ihm nachsagte, er habe ein furchtbares Verbrechen gegen Schottland begangen.

Sie wusste, dass er ihr in einer Vision erschienen war, ohne sich an den Inhalt zu erinnern. Vater Hugh hatte die Weissagungen als unbedeutend abgetan und ihr geraten, sie solle sich nicht weiter darum kümmern. Nun wünschte sie, mehr über den Fremden zu wissen.

»James Lindsay«, sagte Eustace. »Den Namen kenne ich gut, Sir. Seid uns willkommen, wenn Ihr in wohlmeinender Absicht da seid. Falls nicht – wir sind Euch zahlenmäßig überlegen.« Er wies mit dem Arm zum Wehrgang, wo die Soldaten nun ihre gespannten Bogen auf die Fremden richteten.

»Aus welchem Grund seid Ihr gekommen?«, fragte Isobel. »Ihr seid gewiss nicht unseretwegen hier heraufgeklettert, um uns zu retten. Ihr kennt uns nicht.«

»Ich komme in eigener Sache«, antwortete Lindsay. »Wir wussten nichts von der Belagerung; erst als wir uns näherten, sahen wir das Lager der Engländer. Wir bieten den Verteidigern von Aberlady unsere Hilfe an – und bringen Euch etwas zu essen.« Auf seinen Wink trat einer seiner Gefährten vor und zog drei erlegte Feldhasen aus seinem Lederbeutel am Gürtel. »Eine kräftige Mahlzeit könnte Euch nicht schaden.«

»Ja«, sagte Eustace. »Habt Dank. Ein paar Männer sind in der Küche und können die Tiere zubereiten.« Lindsays junger Gefährte nickte und rannte zum gemauerten Bergfried, der sich in der Mitte des Burghofes erhob.

»Ich hörte, der Habicht des Grenzlandes befehligt ein Heer von fähigen Kriegern, die sich im Wald von Ettrick verbergen«, sagte Isobel. »Liegen Eure Männer im Hinterhalt, um die Engländer anzugreifen und in die Flucht zu schlagen?«

»Wir sind nur noch fünf, antwortete Lindsay.

»Vor unseren Toren lagern mehr als hundert englische Soldaten!«, entrüstete sich Isobel. »Und Ihr kommt mit fünf Männern?«

Er zog die dichten Brauen zusammen. »Wir bringen Euch in Sicherheit«, erwiderte er in gelassener Überzeugung.

Sie starrte ihn entgeistert an, dann wandte sie sich an Eustace.

»Es heißt, ein schottischer Ritter habe seine Bewährungsprobe nur bestanden, wenn er mit dem Habicht des Grenzlandes fliegt«, erklärte der Burgvogt. »Auch wenn sie nur fünf sind, zweifle ich nicht am Kampfgeist und Mut dieser Männer.«

»So hat man jedenfalls über mich gesprochen«, bemerkte Lindsay. »Wir bringen Euch von hier fort, und zwar auf dem gleichen Weg, über den wir gekommen sind.«

»Über die senkrechte Nordwand?«, fragte Isobel ungläubig.

Er nickte. »Nachdem Ihr gesättigt seid und es Nacht geworden ist, brechen wir auf.«

»Aber die Engländer nehmen die Burg ein, wenn wir sie verlassen!«, rief Isobel entrüstet.