Das Sternenkind - Oscar Wilde - E-Book

Das Sternenkind E-Book

Oscar Wilde

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Beschreibung

Im Winterwald entdecken zwei Holzfäller ein kleines Kind, das in einen goldenen Mantel gewickelt ist. Der eine nimmt Das Sternenkind bei sich auf, es wächst zu einem schönen, aber eitlen und grausamen jungen Mann heran. Erst als ihm eines Tages seine Mutter als Bettlerin begegnet, lernt er Mitgefühl und Liebe …

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Seitenzahl: 68

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Oscar Wilde

Das Sternenkind

und andere Märchen

Übersetzt von Hans-Christian Oeser

Reclam

2023 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2023

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962189-0

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014422-0

www.reclam.de

Inhalt

Das Sternenkind

Der Glückliche Prinz

Der selbstsüchtige Riese

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Nachbemerkung

Das Sternenkind

Es waren einmal zwei arme Holzfäller, die bahnten sich ihren Heimweg durch einen großen Tannenwald. Es war Winter und eine bitterkalte Nacht. Auf dem Erdboden und auf den Ästen der Bäume lag dichter Schnee: Der Frost knickte zu beiden Seiten immer wieder kleine Zweige ab, als sie vorübergingen; und als sie zum Wasserfall kamen, hing dieser reglos in der Luft, denn der Eiskönig hatte ihn geküsst.

So kalt war es, dass selbst die Tiere und die Vögel nicht wussten, was sie davon halten sollten.

»Huh!«, knurrte der Wolf, als er, den Schwanz zwischen den Beinen, durchs Unterholz hinkte, »dies ist ein wahrhaft scheußliches Wetter. Warum kümmert sich die Regierung nicht darum?«

»Twit! Twit! Twit!«, zwitscherten die Grünfinken. »Die alte Erde ist tot, und man hat sie aufgebahrt in ihrem weißen Leichentuch.«

»Die Erde will sich vermählen, und dies ist ihr Brautkleid«, gurrten die Turteltauben einander zu. Ihre kleinen rosafarbenen Füßchen waren schon fast ganz erfroren, aber sie hielten es für ihre Pflicht, die Lage in romantischem Licht zu betrachten.

»Unfug!«, grollte der Wolf. »Ich sage euch, allein die Regierung hat daran schuld, und wenn ihr mir nicht glaubt, so fresse ich euch auf.« Der Wolf hatte einen gänzlich praktischen Verstand und war nie um ein treffendes Argument verlegen.

»Nun, ich für mein Teil«, sagte der Specht, der ein geborener Philosoph war, »ich gebe keine Atomtheorie auf eine Erklärung. Ein Ding ist so, wie es ist, und zur Zeit ist es furchtbar kalt.«

Furchtbar kalt war es gewiss. Die kleinen Eichkätzchen, die im Innern der hohen Tanne wohnten, rieben einander immerzu die Näschen, um sich warm zu halten, und die Kaninchen rollten sich in ihren Löchern zusammen und wagten sich nicht einmal ins Freie, um sich umzuschauen. Die einzigen Geschöpfe, die sich zu vergnügen schienen, waren die großen Horneulen. Ihre Federn waren ganz starr vor Reif, aber sie scherten sich nicht darum, und sie rollten ihre großen gelben Augen und schrien einander durch den Wald zu: »Uhuh! Schuhuh! Uhuh! Schuhuh! was für ein herrliches Wetterchen!«

Weiter und weiter gingen die beiden Holzfäller, bliesen sich kräftig auf die Finger und stapften mit ihren großen eisenbeschlagenen Stiefeln durch den verkrusteten Schnee. Einmal versanken sie in einer tiefen Schneewehe, und als sie wieder hervorkamen, waren sie weiß wie die Müller, wenn die Mühlsteine mahlen; und einmal rutschten sie auf dem harten, glatten Eis aus, zu dem das Sumpfwasser gefroren war, und ihr Reisig fiel ihnen aus den Bündeln, und sie mussten es aufklauben und wieder zusammenbinden; und einmal glaubten sie, sich verirrt zu haben, und großer Schrecken befiel sie, denn sie wussten, dass die Schneefrau grausam ist zu denen, die in ihren Armen schlafen. Aber sie setzten ihr Vertrauen in den guten heiligen Martin, der über alle Reisenden wacht, und folgten ihren eigenen Fußstapfen und gingen vorsichtig weiter, und zuletzt erreichten sie den Saum des Waldes und sahen, weit unten im Tal vor ihnen, die Lichter des Dorfes, in dem sie wohnten.

So überglücklich waren sie über ihre Rettung, dass sie laut auflachten, und die Erde erschien ihnen wie eine Blume aus Silber und der Mond wie eine Blume aus Gold.

Doch nachdem sie gelacht hatten, wurden sie traurig, denn sie entsannen sich ihrer Armut, und der eine von ihnen sagte zum anderen: »Warum waren wir lustig, da doch das Leben für die Reichen ist und nicht für solche, wie wir es sind? Besser, wir wären im Wald vor Kälte umgekommen, oder ein wildes Tier hätte uns angefallen und zerrissen.«

»Wahrhaftig«, antwortete sein Gefährte, »einigen wird viel gegeben, und anderen wird wenig gegeben. Das Unrecht hat die Welt gespalten, und nichts ist gleich verteilt als wie der Kummer.«

Doch wie sie einander so ihr Elend klagten, geschah etwas Sonderbares. Vom Firmament fiel ein sehr heller und schöner Stern. Er glitt seitlich am Himmel herab, flog auf seiner Bahn an den anderen Sternen vorbei, und als sie ihn staunend beobachteten, schien er hinter einer Gruppe von Weidenbäumen herniederzusinken, die dicht bei einer kleinen Schafhürde standen, nicht weiter als einen Steinwurf entfernt.

»Nanu! da liegt ein Topf Gold für den, der ihn findet«, riefen sie, und sie liefen los und rannten, so begierig waren sie auf das Gold.

Und der eine von ihnen rannte schneller als sein Genosse und überflügelte ihn und bahnte sich einen Weg durch die Weiden und kam auf der anderen Seite heraus, und siehe!, da lag wirklich etwas Goldenes im weißen Schnee. So eilte er darauf zu, beugte sich nieder und legte die Hände darauf, und es war ein Mantel aus Goldgespinst, wundersam mit Sternen durchwirkt und in viele Falten geschlagen. Und er rief seinem Kameraden zu, er habe den Schatz gefunden, der vom Himmel gefallen sei, und als sein Kamerad herbeigekommen war, setzten sie sich in den Schnee und schlugen die Falten des Mantels auseinander, um die Goldstücke aufzuteilen. Aber ach!, weder Gold noch Silber war darin noch überhaupt irgendein Schatz, sondern nur ein kleines Kind, das schlief.

Und der eine von ihnen sagte zum anderen: »Das ist ein bitteres Ende unserer Hoffnung, und wir haben kein Glück, denn was nützt einem Mann ein Kind? Wir wollen es hier liegen lassen und unseres Weges gehen, da wir doch arme Männer sind und eigene Kinder haben, deren Brot wir keinem anderen geben dürfen.«

Sein Gefährte aber antwortete ihm: »Nein, es wäre von Übel, das Kind hier im Schnee umkommen zu lassen, und bin ich auch so arm wie du und habe viele Mäuler zu stopfen und nur wenig im Topf, so will ich es doch mit mir nach Hause tragen, und mein Weib soll sich seiner annehmen.«

So hob er das Kind ganz zärtlich auf und umhüllte es mit dem Mantel, um es vor der strengen Kälte zu schützen, und machte sich auf den Weg den Hügel hinab zum Dorf, und sein Kamerad staunte sehr über seine Torheit und Weichherzigkeit.

Und als sie zum Dorf kamen, sagte sein Kamerad zu ihm: »Du hast das Kind, darum gib mir den Mantel, denn es schickt sich, dass wir sollen teilen.«

Der andere aber antwortete ihm: »Nein, denn der Mantel gehört weder mir noch dir, sondern dem Kind allein«, und er wünschte ihm viel Glück, ging zu seinem Haus und klopfte an.

Und als sein Weib die Tür öffnete und sah, dass ihr Mann unversehrt zu ihr zurückgekehrt war, schlang sie die Arme um seinen Hals und küsste ihn und nahm ihm das Reisigbündel vom Rücken und bürstete den Schnee von seinen Stiefeln und hieß ihn eintreten.

Er aber sagte zu ihr: »Ich habe im Wald etwas gefunden, und ich habe es dir mitgebracht, dass du dich seiner annimmst«, und rührte sich nicht von der Schwelle.

»Was ist es?«, rief sie. »Zeige es mir, denn das Haus ist nackt, und wir brauchen viele Dinge.« Und er schlug den Mantel zurück und zeigte ihr das schlummernde Kind.

»O weh, Ehemann!«, murrte sie. »Haben wir nicht genug eigene Kinder, dass du unbedingt einen Wechselbalg mitbringen musst, der mit uns am Herd sitzt? Und wer weiß, ob er uns nicht Unglück bringt? Und wie sollen wir ihn versorgen?« Und sie zürnte ihm.

»Es ist doch ein Sternenkind«, antwortete er; und er erzählte ihr von dem seltsamen Fund.

Sie aber ließ sich nicht besänftigen, sondern verhöhnte ihn und sprach im Zorn und rief: »Unseren Kindern mangelt es an Brot, und wir sollen das Kind eines anderen nähren? Wer kümmert sich um uns? Und wer gibt uns Nahrung?«

»Unser himmlischer Vater sorgt für die Sperlinge sogar und nährt sie doch«, antwortete er.

»Müssen nicht die Sperlinge im Winter des Hungers sterben?«, fragte sie. »Und ist jetzt nicht Winter?« Und der Mann erwiderte nichts und rührte sich nicht von der Schwelle.