Das Tagebuch der Schlossherrin - Irene von Velden - E-Book

Das Tagebuch der Schlossherrin E-Book

Irene von Velden

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Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkrone" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Romane aus dem Hochadel, die die Herzen der Leserinnen höherschlagen lassen. Wer möchte nicht wissen, welche geheimen Wünsche die Adelswelt bewegen? Die Leserschaft ist fasziniert und genießt "diese" Wirklichkeit. "Fürstenkrone" ist vom heutigen Romanmarkt nicht mehr wegzudenken. Es war ein lauer Sommerabend. Julia kam gerade über die breite Terrasse von ihrem Spaziergang durch den Park zurück. Sie war noch nicht müde und nahm sich vor, in der Bibliothek ein Buch zu suchen und sich damit auf ihr Zimmer zurückzuziehen. Behutsam öffnete sie die Tür und atmete heimlich auf, als sie sah, dass sich niemand in dem hohen Raum aufhielt, in dem die Bücherregale vom Boden bis zur hohen Decke reichten. Neugierig trat Julia näher und nahm hier und dort ein Buch hervor und blätterte darin. Es dauerte nicht lange, da hatte sie alles um sich her vergessen. Wieder reckte sie sich auf die Zehenspitzen, um nach einem besonders alten Exemplar zu greifen, als sie merkte, dass es sich ein klein wenig verklemmt hatte. Behutsam zog sie das Buch hervor und erkannte, dass es nur eine Attrappe war, aber sonst viele handbeschriebene Blätter enthielt. Und dann entdeckte sie noch mehrere solcher Bücher in dem Regal. Neugierig schlug sie das, was sie zuerst hervorgezogen hatte, auf und sah, dass es sich um das Tagebuch der verstorbenen Gräfin Irmgard von Eulenberg handeln musste. Ob Graf Wilfred ihr wohl böse sein würde, wenn sie die Tagebücher der alten Dame mit auf ihr Zimmer nehmen würde, um sie dort zu lesen? Ach was, wer viel fragt, erhält viel Antwort, beruhigte sie sich gleich darauf. Entschlossen packte sie die ersten beiden Bände zusammen und verließ die Bibliothek wieder, neugierig, zu erfahren, was diese Tagebücher, die alle mit einer zierlichen, fein leserlichen Schrift geschrieben waren, enthalten mochten. In ihrem Zimmer angekommen, zog sie sich aus, schlüpfte in einen bequemen leichten Hausmantel und machte es sich in dem Sessel am Fenster gemütlich. Sie brauchte noch kein Licht zu machen, denn draußen war es noch hell genug. Außerdem liebte Julia die Stunde zwischen Tag und Abend ganz besonders, weil sie fand, dass sie unendlich friedlich war. Langsam schlug sie das erste Buch auf. Es war schon sehr alt. Gräfin Eulenberg musste damit angefangen haben, als sie als junge glückliche Frau auf Eulenberg ihren Einzug gehalten hatte. Man spürte ordentlich die Begeisterung der damals noch jungen Frau über alles, was sie auf Schloss Eulenberg vorfand.

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Fürstenkrone – 245 –

Das Tagebuch der Schlossherrin

Lüftet Julia das Geheimnis des lächelnden Engels?

Irene von Velden

Es war ein lauer Sommerabend. Julia kam gerade über die breite Terrasse von ihrem Spaziergang durch den Park zurück. Sie war noch nicht müde und nahm sich vor, in der Bibliothek ein Buch zu suchen und sich damit auf ihr Zimmer zurückzuziehen.

Behutsam öffnete sie die Tür und atmete heimlich auf, als sie sah, dass sich niemand in dem hohen Raum aufhielt, in dem die Bücherregale vom Boden bis zur hohen Decke reichten. Neugierig trat Julia näher und nahm hier und dort ein Buch hervor und blätterte darin. Es dauerte nicht lange, da hatte sie alles um sich her vergessen.

Wieder reckte sie sich auf die Zehenspitzen, um nach einem besonders alten Exemplar zu greifen, als sie merkte, dass es sich ein klein wenig verklemmt hatte. Behutsam zog sie das Buch hervor und erkannte, dass es nur eine Attrappe war, aber sonst viele handbeschriebene Blätter enthielt. Und dann entdeckte sie noch mehrere solcher Bücher in dem Regal. Neugierig schlug sie das, was sie zuerst hervorgezogen hatte, auf und sah, dass es sich um das Tagebuch der verstorbenen Gräfin Irmgard von Eulenberg handeln musste. Ob Graf Wilfred ihr wohl böse sein würde, wenn sie die Tagebücher der alten Dame mit auf ihr Zimmer nehmen würde, um sie dort zu lesen?

Ach was, wer viel fragt, erhält viel Antwort, beruhigte sie sich gleich darauf. Entschlossen packte sie die ersten beiden Bände zusammen und verließ die Bibliothek wieder, neugierig, zu erfahren, was diese Tagebücher, die alle mit einer zierlichen, fein leserlichen Schrift geschrieben waren, enthalten mochten.

In ihrem Zimmer angekommen, zog sie sich aus, schlüpfte in einen bequemen leichten Hausmantel und machte es sich in dem Sessel am Fenster gemütlich. Sie brauchte noch kein Licht zu machen, denn draußen war es noch hell genug. Außerdem liebte Julia die Stunde zwischen Tag und Abend ganz besonders, weil sie fand, dass sie unendlich friedlich war.

Langsam schlug sie das erste Buch auf. Es war schon sehr alt. Gräfin Eulenberg musste damit angefangen haben, als sie als junge glückliche Frau auf Eulenberg ihren Einzug gehalten hatte. Man spürte ordentlich die Begeisterung der damals noch jungen Frau über alles, was sie auf Schloss Eulenberg vorfand. Und sie fühlte mit ihr die Liebe, die sie zu ihrem Mann erfüllt hatte, denn sie schrieb geradezu schwärmerisch von ihm.

Aber dann, nach einem guten Teil eng beschriebener Seiten, tauchte etwas in dem Buch auf, was sie stutzig machte. – Der lächelnde Engel!

Julia konnte sich ganz und gar keine Vorstellung von ihm machen. Aber sie ahnte, dass dieser lächelnde Engel im Leben der alten Gräfin eine große Rolle gespielt haben musste.

Julia hätte nicht sagen können, aus welchem Grunde sie das annahm, aber es schien, als habe die Gräfin diesen lächelnden Engel gleichermaßen geliebt und auch gefürchtet.

Heute habe ich hinten im Park den lächelnden Engel entdeckt, schrieb Gräfin Eulenberg. Ich war bestürzt und begeistert zugleich. Er muss schon sehr alt sein, denn er ist schon ein bisschen beschädigt. Ich habe in sein Gesicht geschaut und das Gefühl gehabt, als durchdringe er mich mit seinen toten Blicken, denn immerhin ist er doch aus einfachem Stein gemeißelt. Noch nicht einmal aus Marmor, wie man es eigentlich hätte erwarten können, nachdem doch alles auf Schloss Eulenberg gediegen und fast schon kostbar ist. Ich weiß nicht, woher es kommt, aber mir ist, als müsste ich nun, da ich ihn einmal entdeckt habe, ihn öfter aufsuchen, obwohl mir eigentlich ein klein wenig bange vor ihm ist.

Julia ließ das Buch sinken und schaute nachdenklich in die beginnende Dämmerung hinaus.

Der lächelnde Engel!

Sie wusste, dass sie nicht eher Ruhe geben würde, als bis sie auch die Bekanntschaft eben dieses Engels gemacht haben würde. Und dabei überlegte sie, ob sie sich wohl auch vor ihm fürchten würde.

Nein, ich werde bestimmt vor einer einfachen Steinfigur keine Angst empfinden können, dachte sie. Wahrscheinlich war Gräfin Eulenberg eine sehr empfindsame junge Frau gewesen und hatte sicher auch viel mehr Zeit für sich selbst gehabt als andere Frauen in ihrem Alter. Deshalb hatte sie sich bestimmt in etwas hineingesteigert, was es in Wirklichkeit gar nicht gab, wenigstens nicht in dieser Form.

Ich werde diesen lächelnden Engel suchen gehen, nahm sie sich vor und erhob sich. Sie spürte, wie müde sie war und beschloss, noch ein wenig im Bett weiterzulesen. Eigentlich fand sie es sehr schön, dass die Tagebücher aus fünf dicken Bänden bestanden. Sie würde eine lange Zeit daran zu lesen haben. Bestimmt würde sie sich dann auch noch viel besser in Schloss Eulenberg zurechtfinden können, denn Gräfin Eulenberg hatte fein säuberlich alles festgehalten, was sie interessierte. Und es schien sie sehr vieles interessiert zu haben!

Es war schon recht spät, als Julia endlich das Licht auf dem Nachttisch löschte. Nachdenklich dehnte sie sich ein wenig unter der Decke und dachte über das Gelesene nach. Komisch, dass immer wieder der lächelnde Engel auftauchte! Was hatte es mit ihm für eine Bewandtnis? Warum fühlte sich die Gräfin von ihm gleichermaßen abgestoßen und angezogen?

Ich muss ihn finden, dachte sie. Und ich werde ihn auch finden. Bestimmt weiß Graf Rinkerod, wo er steht. Und dann werde ich ja sehen, ob ich mich auch vor ihm fürchten muss. Aber das kann ich mir absolut nicht vorstellen.

In dieser Nacht träumte Julia von dem lächelnden Engel. Und in ihren Träumen war er einmal groß und drohend und rachsüchtig – ein anderes Mal sanft und zart, fast zärtlich.

Gleich am nächsten Morgen fiel er ihr wieder ein. Sie war fest entschlossen, Wilfred nach der Figur zu fragen. Vielleicht würde er sogar mit ihr kommen, um ihn ihr zu zeigen! Julia mochte vor sich selbst nicht zugeben, dass sie sich unsterblich in den gutaussehenden Schlossherrn verliebt hatte.

Sie saßen einander am Frühstückstisch gegenüber. Da hob Julia ihm das Gesicht entgegen und sah ihn fragend an.

»Kennen Sie den lächelnden Engel, Graf Rinkerod? Ich habe mir gestern Abend ein Buch aus der Bibliothek mitgenommen, in dem immer wieder die Rede von diesem lächelnden Engel ist. Er muss irgendwo an einer versteckten Stelle im Park stehen.«

Sein Blick war verständnislos, als er den Kopf schüttelte.

»Tut mir leid, Julia. Ich weiß nichts über diesen lächelnden Engel. Bisher hatte ich gar keine Ahnung, dass eine solche Figur überhaupt existiert. Fragen wir doch einmal Josef. Wenn einer sich auf Eulenberg auskennt, dann ist er es.«

Aber auch Josef konnte ihnen keine erschöpfende Auskunft geben. Er wusste nur, dass Gräfin Eulenberg oft in den Park hinausgegangen war, um diesen lächelnden Engel zu besuchen. Sie musste sich sehr von ihm angezogen gefühlt haben. Aber wo er stand, konnte er auch nicht sagen. Er selbst hatte ihn niemals zu Gesicht bekommen.

Julia war enttäuscht, aber sie meinte entschlossen:

»Nun reizt es mich natürlich ganz besonders, nach ihm zu forschen. Dass es ihn wirklich gibt, steht fest, denn auch Josef weiß von ihm. Ich werde ihn schon finden!«

»Sagen Sie mir Bescheid, Julia, wenn Sie ihn aufgetrieben haben. Es würde mich auch interessieren, seine Bekanntschaft zu machen.«

Wilfred nickte ihr freundlich zu, ehe er sich erhob, um seinen täglichen Arbeiten nachzugehen. Auch Julia zog sich ins Arbeitszimmer zurück, um noch einige Briefe zu schreiben und die Zeichnungen, die der Architekt geschickt hatte, auf Wilfreds Schreibtisch auszubreiten, damit er sie nachher, wenn er von seinem Ausritt zurückkam, in Augenschein nehmen konnte, um sich zu entscheiden, ob nun endlich mit dem Bau begonnen werden konnte oder nicht.

Julia war hellauf begeistert von den Plänen und Zeichnungen des neuen Ferienzentrums. Sie vertiefte sich darin und sah vor dem geistigen Auge das elegante hochgezogene Hotel mit dem großen Schwimmbad davor. Sie konnte sich die kleineren Gästehäuser sehr gut vorstellen und auch den Kinderspielplatz mit Klettergerüsten, Sandkästen und Schaukeln. Sogar ein richtiges kleines Kinderkarussell war vorgesehen. O ja, man konnte sich sehr gut ausmalen, wie fröhlich die Kinder dort waren und wie wohl sie sich dort fühlen mussten. So etwas waren sie ganz bestimmt von daheim her nicht gewohnt.

Als Graf Wilfred zurückkehrte und das Arbeitszimmer betrat, lächelte er, denn Julia sah ihn aus glänzenden Augen an und meinte lebhaft:

»Sie werden ebenso begeistert von den Zeichnungen und Plänen sein wie ich, Graf Rinkerod. Schauen Sie nur – es wird, besonders für Kinder, ein richtiges Urlaubsparadies werden.«

»Lassen Sie sehen!«

Gemeinsam mit ihm beugte sie sich wieder über die Zeichnungen. Und nun spürte sie wieder die erregende Gegenwart dieses Mannes, der ihr, wie sie rein instinktiv fühlte, sehr gefährlich werden konnte.

*

Einige Tage später saß Julia an ihrem Schreibtisch im Arbeitszimmer und rechnete die Löhne für die Landarbeiter aus, was immer mit sehr viel Mühe verbunden war. Aber sie verrichtete ihre Arbeiten sehr gern und mit einer gewissen Begeisterung. Vielleicht gingen sie ihr deshalb so schnell und gut von der Hand. Wilfred sparte auch nicht mit seinem Lob, was für Julia dann immer wieder ein ganz besonderer Ansporn war, noch mehr zu leisten und noch mehr Arbeiten zu übernehmen, um ihm selbst ein klein wenig Erleichterung zu verschaffen.

Wilfred saß ihr gegenüber und hatte wieder einige Zeichnungen vor sich ausgebreitet. Aber immer wieder wanderte sein Blick von ihnen fort zu Julia, die den Kopf eifrig gebeugt hielt und rechnete und schrieb. Manchmal schob sie die rosige Zungenspitze zwischen die kleinen weißen Zähne, was ihrem zarten Gesicht einen regelrecht kindlichen Ausdruck verlieh. Fast war er versucht, ein klein wenig darüber zu lächeln. Sie war doch noch sehr, sehr jung, die kleine Julia Brinker, fand er wieder einmal. Wie ihr Haar in der Sonne glänzte!

Gerade eben wollte er sie fragen, ob sie nicht einmal eine kleine Atempause einlegen wolle, als sie beide erstaunt und aufhorchend die Köpfe hoben.

»Wer kann denn das sein?«, fragte er und schob schon seinen Stuhl zurück, erhob sich und trat ans Fenster, von dem man aus über den weiten Schlosshof sehen konnte.

Ein schnittiger, eleganter und bestimmt auch sehr teurer Sportwagen fuhr soeben vor. Am Lenkrad saß eine schmale Frauengestalt, von der man nur eine Mähne rostroten Haares erkennen konnte, das nachlässig mit einem giftgrünen Tuch nach hinten gebunden war.

»Erwarten Sie Besuch, Julia?«, erkundigte er sich und wandte sich zu ihr um. Kopfschüttelnd trat sie neben ihn und beobachtete, wie diese junge und sehr elegant gekleidete Dame aus dem Wagen stieg und dann mit geschmeidigen Bewegungen auf das Portal zukam.

»Nein, ich kenne diese Dame nicht«, murmelte sie. Sie fühlte sich plötzlich unsicher, ja, fast schon ein wenig unglücklich. Irgendwie hatte sie das Gefühl, als wenn mit dieser Unbekannten auch etwas Fremdes und Störendes seinen Einzug auf Eulenberg halten würde.

»Merkwürdig«, sagte er nachdenklich, »ich kenne sie auch nicht. Nun, wir werden ja sehen, was sie hier will. Wahrscheinlich hat sie sich nur verfahren und will sich nach dem richtigen Weg erkundigen.«

Julia wünschte sich sehnlichst, dass es so und nicht anders sein mochte, aber sie ahnte, dass sie die Fremde bestimmt nicht so schnell wieder loswerden würden, wie sie es sich insgeheim wohl wünschte.

Nun ertönte das melodische Glockenspiel am Portal. Man hörte, wie gleich darauf die schwere Tür geöffnet wurde. Man konnte auch Josefs Stimme vernehmen, aber nicht verstehen, was er sagte. Dazwischen klang eine helle Stimme auf, wahrscheinlich die der Fremden. Und Julia spürte sofort so etwas wie Abwehr in sich emporsteigen. Sie mochte die Dame ganz und gar nicht und hatte nur noch den einen Wunsch, dass sie so schnell wie möglich wieder zurück in ihren Wagen steigen und davonfahren möge.

Nun kam Josef und sah den Grafen aufmerksam an.

»Eine Dame namens Donata von Reinders möchte Ihnen ihre Aufwartung machen, Graf Wilfred. Sie sagt, sie sei mit Ihnen verwandt.«

»Donata Reinders? Ich kenne sie gar nicht. Nein, ich glaube nicht, dass sie mit mir verwandt ist. Führen Sie sie herein, Josef. Dann sieht sie wenigstens, dass ich stark beschäftigt bin und gar keine Zeit habe, mich mit ihr zu unterhalten.«

Josef verbeugte sich und verschwand. Dann hörte man das Klappern von hohen Absätzen, und wenig später stand diese schöne Fremde vor ihnen. Sie sah Julia kurz an, wandte sich aber dann gleich Wilfred zu und hing lachend an seinem Hals.

»Wie lange hast du mich nun schon nicht mehr gesehen? Ich wette, du hast überlegen müssen, wer ich eigentlich bin, nicht wahr? Gib es ruhig zu.«

»Warum sollte ich nicht? Ich habe tatsächlich keine Ahnung!« Wilfred machte sich vorsichtig, aber doch auch recht energisch, wie Julia mit geheimer Schadenfreude feststellte, aus der Umarmung frei.

»Ich bin doch Donata Reinders, mit der du früher gespielt hast. Allerdings warst du nicht besonders begeistert, wenn man mich dir aufgehalst hat, aber du hast dich deiner Aufgabe immer sehr gut unterzogen. Erinnerst du dich jetzt? Ich bin sehr oft bei Tante Irmgard hiergewesen, aber da warst du schon ein erfolgreicher und bekannter Finanzmakler, der vergessen hatte, dass er einmal Kindermädchen bei einem rothaarigen, mageren und eigensinnigen Mädchen hatte spielen müssen.«

»Jetzt beginnt es bei mir zu dämmern! Natürlich, Donata! Ich freue mich, dass du hergekommen bist. Aber warum hast du dich nicht angemeldet?«

»Ach, das pflege ich niemals zu tun. Wenn ich merke, dass ich nicht willkommen bin, fahre ich einfach wieder los. Aber als ich hörte, dass Tante Irmgard gestorben war, bin ich sofort hergekommen. Leider hat es ein Weilchen gedauert, weil ich gerade auf einer Fotosafari in Kenia war. Da erreichte einen die Post nicht so schnell.«

»Das kann ich mir denken. Darf ich dich mit meiner Mitarbeiterin, Fräulein Julia Brinker, bekannt machen? Julia, das ist Donata von Reinders, die, ich weiß nicht wie, mit mir verwandt ist.«

»Bist du nun sehr enttäuscht?«, fragte Donata lebhaft, nachdem sie Julia uninteressiert zugenickt hatte. Julia war für sie nichts weiter als eine bezahlte Arbeitskraft, die man nicht länger als unbedingt nötig zu beachten hatte. Und Julia fand die schöne Donata richtig unsympathisch und war schrecklich enttäuscht, dass Wilfred sie so herzlich willkommen geheißen hatte.

»Enttäuscht?«, gab er erstaunt zurück. »Aus welchem Grunde sollte ich enttäuscht sein?«

»Nun, weil sich doch noch eine Verwandte gefunden hat, mit der du das Erbe wirst teilen müssen.«

Sofort verschloss sich sein Gesicht. Donata wusste sofort, dass sie einen Fehler begangen hatte, als sie so mit der Tür ins Haus fiel und ihm gleich klipp und klar zu verstehen gegeben hatte, dass auch sie ein gutes Stück von dem süßen Kuchen für sich abhaben wollte.

»Es existiert ein Testament, meine liebe Donata, aus dem hervorgeht, dass ich der Universalerbe Tante Irmgards bin!«

»Ach, streiten wir uns nicht gleich um des Kaisers Bart«, lächelte sie honigsüß zu ihm empor. »Ich mache meine Erbansprüche eben an dich geltend.«

»Ich wünsche dir viel Erfolg bei dieser Aktion. Inzwischen darf ich dich wohl einladen, auf Eulenberg zu bleiben, wenn ich auch gleich betonen muss, dass ich leider nicht sehr viel Zeit haben werde, mich dir zu widmen.«

Julia, die sich wieder hinter ihren Schreibtisch gesetzt hatte, frohlockte innerlich bei diesen Worten.

Aber Donata lachte nur und meinte:

»Oh, was das anbetrifft, so bin ich nicht bange, dass ich dich schon zu einer anderen Ansicht bekehren werde. Für Arbeiten hat man seine Angestellten. Da braucht man nicht alles selbst zu erledigen. Aber ich werde dir das sicherlich noch erklären können, warte es nur ab.«

Sie ist ein Biest, dachte Julia und beugte sich noch tiefer über ihre Zahlenkolonnen. Ein richtiges Biest, das uns sehr viel Unruhe ins Haus bringen wird. Ich werde erst dann wieder aufatmen können, wenn sie Eulenberg verlassen hat. Im Augenblick jedoch scheint sie nicht daran zu denken. Hoffentlich nistet sie sich nicht auf unbestimmte Zeit bei uns ein!

Aber das waren Gedanken, die sie nicht laut werden lassen durfte.

*