Das Tal der Feuergeister - Franziska Hartmann - E-Book

Das Tal der Feuergeister E-Book

Franziska Hartmann

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Beschreibung

Plötzlich steht er verwundet in Katjas Wohnzimmer: Cuinn Lasair aus Glenbláth. Als Katja beim Versuch, Cuinn dabei zu helfen, wieder in seine Heimat zurückzukehren, selbst in Glenbláth landet, zählt für sie nur eines: So schnell wie möglich einen Weg zu finden, wieder nach Hause zu kommen. Das ist jedoch gar nicht so einfach. Denn dieser Weg führt sie durch einen magischen Wald voller Gefahren zum Tal der Feuergeister und den einzigen Wesen, die sie zurückbringen können: Drachen. Ein Glück, dass sie Cuinn an ihrer Seite hat, der sich als Magier entpuppt und ihr nicht nur einmal das Leben retten muss. Womit Katja nicht gerechnet hat: Der Wald, das Tal und deren Bewohner wachsen ihr trotz aller Widrigkeiten zunehmend ans Herz und als sie erfährt, dass die Menschen Glenbláths Jagd auf die magischen Wesen des Waldes und damit auch auf Cuinn machen, rückt ihr ursprüngliches Ziel der Heimkehr immer weiter in den Hintergrund…

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Seitenzahl: 613

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Franziska Hartmann

DAS TAL DER FEUERGEISTER

Copyright © 2021 by Franziska Hartmann

Herausgeber: Franziska Hartmann

c/o AutorenServices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

E-Mail: [email protected]

www.talderfeuergeister.wordpress.com

Covergestaltung, Illustration: Franziska Hartmann

Fotos: pexels.com | Lum3n, Francesco Ungaro

Für alle Träumer und Kämpfer, für alle Freigeister und all jene, die an das Magische in dieser Welt glauben. Hört niemals auf zu tanzen.

EINS

Ich schloss die Augen, während das ruhige Intro meines Lieblingssongs aus meinen Kopfhörern schallte. Mit jedem Atemzug sog ich die sanften Klänge tiefer in mich auf und wartete in angespannter Stille, als die Musik für einen kurzen Augenblick verstummte. Vier Schläge auf ein Becken des Schlagzeugs kündigten das Einsetzen der anderen Instrumente an. Im selben Moment, in dem die Musiker die Kraft ihrer Instrumente entfesselten, begann ich durch mein Zimmer zu hüpfen, als wäre die Musik nicht nur auf meinen Ohren, sondern als würde sie den gesamten Raum erfüllen. Als wäre mein kleines Zimmer ein Konzertsaal. Oder ein Festival.

Leider wurde ich dieser Illusion beraubt, als mein MP3-Player aus meiner Hosentasche rutschte, zu Boden fiel und meine Kopfhörer unsanft mit sich riss. Musik weg. Mit einem Seufzer bückte ich mich, um beides wieder aufzuheben und stieß mir dabei natürlich den Kopf an meinem Kleiderschrank.

„Au!“ Mit einer Hand am Kopf setzte ich mich auf mein Bett und rieb mir genervt über die schmerzende Stelle am Kopf. Ich glaubte bereits zu spüren, wie die Beule unter meinen langen braunen Haaren wuchs. Vermutlich war das die Rache dafür, dass ich gerade lieber Musik hörte, als fürs Abitur zu lernen, obwohl ich das dringend nötig gehabt hätte.

Während mir noch Gedanken wie: Du bist so ein doofer Tollpatsch, Katja. Du kannst nicht mal alleine in deinem Zimmer feiern, ohne dich zu verletzen, durch den Kopf gingen, ertönte plötzlich von unten ein lauter Schrei.

„Mama?“, schrie ich zurück. Keine gute Idee. Mir wurde schwindelig. Anscheinend hatte ich mir den Kopf doch stärker angestoßen, als zunächst vermutet. Als ich immer noch laute Stimmen vernahm, die ich jedoch nicht verstehen konnte, stand ich vorsichtig auf, wartete, bis die Punkte vor meinen Augen verschwanden und verließ mein Zimmer.

„Ein Einbrecher!“, hörte ich meine Mutter kreischen.

Bei dem Wort Einbrecher breitete sich ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend aus. Ich flitzte die Treppe hinunter, obwohl es in meinem Kopf pochte, als würde von innen jemand mit einem Hammer gegen meine Stirn klopfen.

„Katja, ruf die Polizei!“

Meine Mutter stand in der Wohnzimmertür, den Rücken zu mir gewandt. Ein Blick an ihr vorbei offenbarte mir, dass ein junger Mann in unserem Wohnzimmer stand. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Was allerdings nichts heißen musste, da ich wahnsinnig schlecht darin war, das Alter von Personen zu schätzen. Beschwichtigend erhob er die Hände. „Bitte, beruhigt Euch. Ich bin kein Einbrecher. Ich möchte wirklich einfach gerne wieder gehen. Wenn Ihr so freundlich wäret, mir den Ausgang zu zeigen?“

Was war das denn für ein komischer Vogel? Ich drückte mich an meiner Mutter vorbei, um ihn besser erkennen zu können. Da griff meine Mutter nach der Blumenvase, die neben ihr auf der Kommode stand und warf nach dem Fremden. Der duckte sich erschrocken darunter hinweg, sodass die Vase an der Wand hinter ihm zerschellte. „Bitte, ich möchte wirklich keine Umstände bereiten. Das ist alles ein Unfall.“

Ein Unfall. Ja, klar. Ich landete auch täglich zufällig in dem Wohnzimmer fremder Leute. Was mich allerdings wirklich irritierte, war, dass der junge Mann mindestens genauso schockiert und verstört aussah wie meine Mutter. „Wer zur Hölle bist du?“, entfuhr es mir da, um endlich Klarheit in das Chaos zu bringen. „Und wie bist du hier hereingekommen?“

„Er ist plötzlich vor mir aufgetaucht!“, erklärte meine Mutter, noch immer in einem lauten, hysterischen Ton. „Einfach so! Was wollen Sie hier?“

Ich runzelte die Stirn und musterte den Unbekannten von oben bis unten. Er sah aus, wie einer anderen Zeit entsprungen, trug Hemd und Hose aus Leinen. Um seine Hüfte trug er einen Gürtel, an dem mehrere Ledertaschen hingen. Ein langer, schwer aussehender Umhang umhüllte seine Gestalt.

„Einfach so aufgetaucht?“ Der Fremde oder meine Mutter – wer war hier wirklich der komische Vogel?

„Ich bitte Euch nochmals“, setzte der Fremde wieder an. „Zeigt mir Eure Tür und ich werde Euch nicht weiter belästigen. Ich verstehe, dass Ihr aufgebracht seid, aber ich bin wirklich mit keiner bösen Absicht hier.“

„Hör auf, dich so aufgesetzt höflich auszudrücken. Das hält ja niemand aus!“, pflaumte ich ihn an.

„Ist seine Weise, uns anzureden, deine größte Sorge?“, fragte meine Mutter mich, offenbar kurz davor, den Verstand zu verlieren. „Er ist hier eingebrochen!“

„Aufgetaucht“, korrigierte ich.

„Was?“ Meine Mutter blickte mich verdattert an.

„Du meintest, er sei hier aufgetaucht“, erinnerte ich sie und hoffte, sie würde selbst merken, wie schräg das klang.

„Ja! Genau!“ Sie merkte es nicht.

Der Fremde stand noch immer wie angewurzelt da und sah uns flehend an. Für einen Einbrecher war er ziemlich regungslos. Er versuchte nicht einmal zu fliehen. Sondern er bat uns höflichst darum, fliehen zu dürfen. Dabei glaubte ich kaum, dass meine Mutter und ich, die wir beide eher von der gemütlichen als von der kräftigen Sorte waren, ihn hätten aufhalten können. Irgendetwas war an der ganzen Sache faul. Ich seufzte. „Okay. Da von dir anscheinend keine Gefahr ausgeht, so lange, wie du da jetzt schon tatenlos herumstehst“, sagte ich mit einem Blick zum Fremden, „schlage ich vor, dass wir die Sache nun mal ganz in Ruhe klären.“ Manchmal bewunderte ich mich selbst für meine Gelassenheit. Meine Mutter sah mich angsterfüllt an, woraufhin ich versuchte, sie mit einem Lächeln zu beruhigen. Es schien nicht zu wirken. Aber immerhin widersprach sie mir auch nicht.

Ich wandte mich wieder an den komischen Vogel. „Wie ist dein Name, wo kommst du her, wie kommst du hier her und was willst du hier?“

Der junge Mann richtete sich mit einem Räuspern auf. „Mein Name ist Cuinn Lasair und ich komme aus Glenbláth. Und ich möchte nur wieder nach Hause.“

„Du hast die Frage, wie du hergekommen bist, noch nicht beantwortet, Cuinn Lasair“, entgegnete ich kühl. Ich fühlte mich wie ein Richter, der einen Angeklagten ausquetscht. Die Rolle gefiel mir.

„Er ist einfach erschienen! Katja, wir müssen die Polizei rufen! Das ist ein Irrer! Er gehört eingesperrt!“, mischte sich meine Mutter wieder ein.

„Nein, nein, bitte! Ich kann das erklären!“

Diese Aussage brachte meine Mutter wieder zum Schweigen. Erwartungsvoll sah sie Cuinn an. Ich tat es ihr nach. Verlegen fuhr er sich mit der rechten Hand durch die dunklen Locken. „Also… Nein, ich kann es nicht erklären. Ehrlich gesagt habe ich selbst keine Ahnung. Vorhin war ich noch in Glenbláth.“

Als er seine Hand wieder sinken ließ, stellte ich erschrocken fest, dass sie rot beschmiert war.

„Du blutest“, sagte ich, nur um das Offensichtliche noch einmal zu erwähnen.

Kaum hatte ich die Worte ausgesprochen, brach Cuinn Lasair aus Glenbláth vor uns zusammen.

ZWEI

„Cuinn Lasair. Glenbláth. Kein Wunder, dass er bei solch einer Kopfverletzung diesen Unsinn redet.

Ich saß neben meiner Mutter im Auto auf dem Weg ins Krankenhaus. Nach Cuinns Zusammenbruch hatten wir sofort den Krankenwagen gerufen, der wenige Minuten später angekommen war und den Verletzten mit ins Krankenhaus genommen hatte. Wir hatten uns als Freunde ausgegeben und folgten dem Krankenwagen nun. So schnell wurde aus einem Einbrecher ein Sorgenkind.

„Cuinn Lasair“, wiederholte ich noch einmal. „Das ist doch kein Name! Genauso wenig, wie Glenbláth ein Ort ist.“

Meine Mutter reagierte nicht. Sie starrte nur geradeaus auf die Straße, die Hände ums Lenkrad gekrallt. Jetzt erst fiel mir auf, wie blass sie im Gesicht war.

„Alles in Ordnung, Mama?“

„Klar, alles in Ordnung“, gab sie zurück und ich hörte wieder einen leichten Anfall von Hysterie aus ihrer Stimme heraus. „Vor nicht mal einer Stunde ist ein wildfremder Mann in meinem Wohnzimmer aufgeploppt. Einfach so. Aus dem Nichts. Das ist ja ganz normal. Natürlich ist alles in Ordnung.“

Okay, die Ironie war nicht zu überhören. „Das musst du mir sowieso noch mal genauer erklären. Was heißt hier aufgeploppt?“

„Ich wollte gerade ins Wohnzimmer gehen, als dort plötzlich mitten im Raum ein grünes Licht aufgetaucht ist und immer heller wurde. Ich habe nur kurz die Augen geschlossen, weil es mich so geblendet hat und als ich sie wieder öffnete – schwupps, da stand er.“

Meine Mutter bremste scharf, da sie beinahe eine rote Ampel übersehen hätte. Sie war wirklich völlig durch den Wind.

„Du weißt, dass das unmöglich ist?“

Mama schlug mit beiden Händen auf das Lenkrad und richtete ihren starren Blick nun auf mich. „Ja doch! Aber das ist das, was ich gesehen habe!“ Sie sah mich weiter eindringlich ein, bis hinter uns die Autos anfingen zu hupen. Die Ampel hatte längst wieder auf grün umgeschaltet.

Sie meinte es wirklich ernst, keine Frage. So durcheinander hatte ich meine Mutter noch nie erlebt. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als sie mit quietschenden Reifen anfuhr.

In der Klinik angekommen, überließ ich meiner Mutter den Kampf mit einer Angestellten am Empfang: Cuinn hatte weder Ausweis noch einen Krankenkassenkarte bei sich gehabt. Alles, was ich mitbekam, war die Rede von einer saftigen Anzahlung für Cuinns Behandlung. Meine Mutter beschwerte sich natürlich lauthals. Der Rest der Auseinandersetzung ging an mir vorbei, denn mein Kopf versuchte die jüngsten Ereignisse zu sortieren. Aufgeploppt. Ich schüttelte den Kopf.

Letzten Endes saß ich mit meiner Mutter im Flur.

„Wenn der Kerl wieder fit ist, wird er mir die Krankenhauskosten zurückzahlen“, zischte sie immer und immer wieder. Offensichtlich hatte die Diskussion nicht zu ihrem Vorteil geendet.

Jetzt hieß es warten. Auf irgendjemanden, der uns sagen würde, wie es Cuinn ging. Während dieser Wartezeit wagte ich es nicht, meine Mutter anzusprechen. Ich verstand immer noch nicht, was passiert war. Doch meine Mutter in dieser nervlich instabilen Verfassung weiter auszuquetschen, erschien mir eine schlechte Idee. Den Ärzten hatten wir erzählt, dass Cuinn so nach Hause gekommen wäre und das Bewusstsein verloren hätte, bevor er uns hatte erzählen können, was passiert war. Stimmte ja auch so ungefähr. Nur, dass er nicht nach Hause gekommen war, sondern sich in unserem Haus materialisiert hatte. Und dass er nicht ein Freund von mir, sondern ein völlig Fremder war.

Ich wusste nicht, wie lange es dauerte, bis ein Arzt zu uns kam und uns über Cuinns Zustand informierte. Er habe bereits im Krankenwagen das Bewusstsein wiedererlangt. Die Wunde an seinem Kopf sei nicht so tief, dass sie genäht werden musste und der Verdacht einer Gehirnerschütterung habe sich nicht bestätigt. Er mache jedoch einen recht verwirrten Eindruck, weshalb es empfehlenswert sei, ihn zur Beobachtung eine Nacht im Krankenhaus zu lassen.

„Sie können ihn nun gern besuchen. Vielleicht beruhigt es ihn, ein paar bekannte Gesichter zu sehen“, schloss der Arzt seinen Bericht ab.

Ich musste mich beherrschen, um nicht laut aufzulachen. Uns zu sehen, würde Cuinn wahrscheinlich alles andere als beruhigen. Aber als offizielle enge Freunde des Patienten konnten wir schlecht sagen: „Nein, wir wollen ihn bloß nicht sehen!“

Der Arzt führte uns zu Cuinns Zimmer, öffnete die Tür und ließ uns dann allein.

Cuinn hatte das Privileg, ein Zimmer für sich ganz allein zu haben. Er saß auf seinem Bett direkt neben dem Fenster und beobachtete uns misstrauisch, als wir den Raum betraten.

„Ihr seid mir gefolgt? Was wollt Ihr von mir?“, fragte er uns.

„Wir wollen schauen, wie es dir geht, Blödmann“, antwortete ich plump. Ich nahm einen der Stühle, die gegenüber von seinem Bett an einem quadratischen weißen Tisch standen, stellte diesen neben seine Bettkante und setzte mich. Meine Handtasche stellte ich neben mir auf dem Fußboden ab. Meine Mutter setzte sich auch, ließ ihren Stuhl, über dessen Lehne Cuinns dunkelbrauner Umhang lag, aber zwecks Sicherheitsabstands am Tisch stehen.

Cuinns Kopf zierte nun ein weißer Verband. Argwöhnisch beobachtete er jede meiner Bewegungen.

„Wir haben dich hierhergebracht und dafür gesorgt, dass du ärztlich versorgt wirst. Mittlerweile sollte dir eigentlich klar sein, dass wir auf deiner Seite sind“, sagte ich.

„Ihr wolltet mich gefangen nehmen lassen!“, protestierte Cuinn.

Na gut, da hatte er recht. Das klang doch nicht ganz so freundschaftlich.

„Weil du plötzlich aus dem Nichts in unserem Wohnzimmer aufgetaucht bist!“, konterte ich.

„Ist es normal, dass man sich hier einfach so duzt?“

„Ist es normal, dass man sich in Gendat ihrzt und euchzt?“

„Glenbláth“, korrigierte Cuinn.

„Mir doch egal. Der Ort existiert eh nicht. Wo kommst du her?“

Cuinn presste die Lippen aufeinander und schwieg.

„Lass gut sein, Katja“, ließ meine Mutter nach einer Weile von sich hören. „Er sollte sich erst einmal ausruhen. Sollen wir jemanden benachrichtigen? Verwandte? Freunde?“

Scheinbar hatte sie sich allmählich wieder gefangen.

Doch Cuinn antwortete immer noch nicht.

„Na gut. Dann kommen wir morgen wieder und holen dich ab“, schlug meine Mutter vor.

Ich fand diese Idee mehr als unbefriedigend, wollte ich doch jetzt endlich wissen, was genau passiert war. Es musste für die heutigen Ereignisse eine plausible, mit dem menschlichen Verstand erfassbare Erklärung geben. Und Cuinn war der Einzige, der diese liefern konnte. Ich fixierte Cuinn mit zusammengekniffenen Augen, als könne ich so Antworten auf ihm herausquetschen. Doch er rührte sich nicht. Als meine Mutter aufstand und sich Richtung Tür bewegte, musste ich mich geschlagen geben. Ich schob den Stuhl an seine ursprüngliche Position zurück und schlenderte meiner Mutter hinterher, die den Raum bereits verlassen hatte. Als ich die Tür heranzog, warf ich noch einen letzten Blick zu Cuinn. Er starrte mir giftig hinterher. Die Tür fiel ins Schloss. Mit einem Seufzen drehte ich mich zu meiner Mutter.

„Du willst ihn morgen wirklich abholen?“, fragte ich sie. „Bist du nicht schon verstört genug?“

Ich meinte das todernst, aber sie lachte nur. „Mir scheint, als könne er nirgendwo anders hin. Aber irgendwo muss er ja unterkommen.“

„Hast du plötzlich Mitleid mit deinem Einbrecher?“

Sie zog die Schultern hoch. „Scheint so. Vielleicht.“

Wir tappten eine Treppe hinunter und gingen an der Rezeption vorbei. Die Schiebetür öffnete sich automatisch und ein frischer Wind wehte uns entgegen. In diesem Moment bemerkte ich, dass eine gewisse Last auf meiner linken Schulter fehlte.

„Ich habe meine Handtasche oben liegen lassen“, stöhnte ich. Noch mal musste ich dem komischen Vogel einen Besuch abstatten. „Ich komme gleich nach“, rief ich meiner Mutter noch hinterher, während ich auf dem Absatz umdrehte und zurück zur Treppe eilte. Ich nahm zwei Stufen auf einmal. Musste ich jetzt rechts oder links abbiegen? Ich hasste Krankenhäuser. Kahl und weiß und alles sah gleich aus.

„Kann ich dir weiterhelfen?“ Eine junge Krankenschwester kam mir mit einem freundlichen Lächeln entgegen.

„Ähm, ja. Ich wollte zu Cuinn Lasair. Er wurde heute eingeliefert. Ich habe meine Handtasche auf dem Zimmer vergessen“, erklärte ich.

„Bist du seine Freundin?“

Ich nickte eifrig. Kaum zu glauben, wie gut ich lügen konnte. Ohne zu zögern. Ohne mit der Wimper zu zucken.

„Du musst nur den Gang ein Stück weiter runter gehen und dann links abbiegen. Das zweite Zimmer auf der linken Seite ist seines.“

„Vielen Dank.“ Und schon zischte ich ab. Der Weg war wirklich nicht so schwer gewesen. Wie peinlich, dass ich danach hatte fragen müssen.

Bevor ich die Tür zu Cuinns Zimmer öffnete, überlegte ich mir, wie ich reagieren sollte. Ihn einfach ignorieren, die Tasche schnappen und wieder gehen. Das klang gut. Ich drückte die Tür auf, warf einen flüchtigen Blick zu Cuinns Bett und… Sein Bett war leer. Fassungslos betrat ich den Raum und ließ meinen Blick umherschweifen. Cuinns Umhang war weg. Und dann erst fiel mir auf, dass eines der Fenster sperrangelweit offen stand. Mit drei riesigen Schritten stand ich am Fenster und starrte hinunter. Da stand er direkt unter mir. Anscheinend war er gerade erst auf dem Boden angekommen. Aber wie zur Hölle war er da runter gelangt?

„Cuinn!“, brüllte ich ihm zu.

Erschrocken sah er zu mir auf. Dann begann er zu rennen, quer durch den Park, der an das Krankenhaus grenzte.

Ich machte Anstalten, auf die Fensterbank zu klettern. Jedoch ermahnte mein Verstand mich schnell, dass das eine vollkommen hirnrissige Idee war. Ich würde dort nie hinunterklettern können. Eher würde ich mir dabei das Genick brechen.

„Scheiße“, fluchte ich und stieg wieder hinab auf den Zimmerboden. Ich drehte mich um, griff nach meiner Tasche und rannte auf den Flur.

„Cuinn ist weggelaufen!“, rief ich über die ganze Station und bezweckte damit den geplanten Aufruhr.

Eigentlich konnte es mir ja egal sein, dass Cuinn sich davonmachte. Schließlich kannte ich ihn nicht und er war seltsam. Aber er schuldete mir verdammt noch mal Antworten! Zum Beispiel auf die Fragen: Wer bist du wirklich?, Woher kommst du wirklich? und Wie bist du in unser Wohnzimmer gekommen?

Ich beobachtete, wie eine Krankenschwester zum Telefon griff und einen anderen Angestellten kontaktierte, während ein weiterer Mitarbeiter ins Treppenhaus verschwand und vermutlich die Stufen hinunterhechtete. Ich beschloss, ihm zu folgen.

Im Erdgeschoss angekommen, rannte ich zum hinteren Ausgang, der zum Park führte. In meiner Eile rempelte ich eine Krankenschwester an, die gerade mit einem Essenstablett aus einem Zimmer kam. Das Tablett fiel samt Geschirr und Essensresten scheppernd zu Boden.

„He!“, rief sie mir erbost hinterher.

Ich warf ihr nur ein halbherziges Sorry über die Schulter hinweg zu und lief unbeirrt weiter. Ich durfte keine Zeit verlieren. Cuinn war bestimmt schon über alle Berge. Wo war überhaupt der Krankenpfleger hin, dem ich gerade noch gefolgt war? Ich hatte keine Ahnung und eigentlich konnte es mir auch egal sein.

Ich erreichte den Hinterausgang, überquerte die Terrasse, die dahinter lag und schon war ich im Park.

„Cuinn!“, schrie ich, so laut ich konnte. Ich suchte mit meinem Blick die Umgebung ab, aber Cuinn war wie vom Erdboden verschluckt. „Cuinn!“ Meine Stimme versagte. Und mir ging allmählich die Puste aus. Trotzdem gab ich noch einmal Vollgas und preschte an mich mit verwunderten Blicken musternden Patienten und Angehörigen vorbei, die gerade gemütlich durch den Park spazierten. Ich jagte durch den gesamten Park, bis ich einen Wald erreichte, der das Krankenhausgelände begrenzte. Dort blieb ich stehen und japste nach Luft. War er wirklich schon so weit gekommen? Er hatte doch eine Kopfverletzung! Oder hatte der Krankenpfleger ihn schon aufgelesen und wieder ins Zimmer manövriert?

„Cuinn?“, rief ich nun etwas zaghafter in den Wald hinein. Vor Schreck zuckte ich zusammen, als ich plötzlich ein Vibrieren durch meine Handtasche und meine Jeans hindurch verspürte. Ach verdammt, Mama musste sich schon wundern, wo ich blieb. Ich fischte mein Handy aus der Handtasche.

„Hi Mama.“

„Katja, wo bleibst du?“

„Ähm, ich bleibe noch eine Weile. Ich komme später mit dem Bus nach Hause.“

„Spricht er endlich?“, fragte meine Mutter.

„Ähm… also… ja, tut er“, schwindelte ich.

„Und was sagt er?“

Bitte nicht jetzt, Mama. Mit jedem Wort, das ich hier mit dir wechsle, entfernt sich Cuinn vermutlich weiter. „Ich erzähle es dir später. Es ist jetzt wirklich unpassend. Bis später.“

„Du kannst mich auch anrufen, wenn du abgeholt…“

Da legte ich eiskalt auf. Ich ließ mein Handy wieder in meine Tasche gleiten.

„Cuinn?“, rief ich erneut und ging dann in den Wald.

Die Bäume standen dicht an dicht und wo kein Baum stand, machte sich üppiges Gestrüpp breit. Den Wald zu durchqueren, war eine echte Tortur. Ich konnte kaum länger als fünf Minuten unterwegs gewesen sein, als ich aufgab und mich auf einen umgekippten Baumstamm setzte. Er war weg. Und hatte mich mit einem Haufen ungeklärter Fragen zurückgelassen.

„Ihr müsst mir helfen.“

Die Stimme aus dem Nichts erschreckte mich so sehr, dass ich vom Baumstamm fiel und ins Gras plumpste. Sofort rappelte ich mich wieder auf. Auf der anderen Seite des Stammes stand Cuinn.

„Bist du des Wahnsinns, mit dieser Verletzung einfach aus dem Krankenhaus abzuhauen? Aus dem Fenster!“, herrschte ich ihn an.

„Aber es geht mir schon viel besser“, entgegnete er.

„Du warst ohnmächtig!“ In diesem Moment fiel mir ein, mit welchen Worten er mich auf sich aufmerksam gemacht hatte. „Wobei brauchst du Hilfe?“, fragte ich.

„Wenn Ihr mir…“

„Solange du mich nicht vernünftig ansprichst, werde ich gar nichts!“, stellte ich klar.

Einen Moment lang sah er mich irritiert an, dann räusperte er sich. „Wenn du mir sagen könntest, wie ich zum Meer komme, wäre ich dir sehr dankbar.“

Ich spürte, wie mir meine Gesichtszüge entgleisten. „Du willst zum Meer? Warum das denn?“

„Weil ich so nach Hause komme“, erklärte er.

„Du wohnst am Meer?“

„Nein, aber dort gibt es jemanden, der mich nach Hause bringen könnte.“

Ungläubig blinzelte ich ein paarmal. „Du weißt schon, dass das Meer ziemlich groß ist und es sehr unwahrscheinlich ist, dass du diese Person finden wirst, wenn du mir keine genauere Angabe als am Meer lieferst?“

„Lass das meine Sorge sein. Ich brauche nur das Meer.“

„Aber du hast eine Kopfverletzung!“, beharrte ich. „So nehme ich dich doch nicht mit ans Meer!“

„Das ist schon in Ordnung. Meine Wunden heilen wesentlich schneller als bei…“ Er stockte.

„Als bei was?“, fragte ich.

„Nein, vergiss es einfach.“

Ich war mir ziemlich sicher, er hatte so etwas wie bei euch Erdlingen oder, noch schlimmer, bei Menschen sagen wollen. Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Oh mein Gott, wahrscheinlich war er wirklich ein Zeitreisender. Und ein Außerirdischer. Und aus irgendeinem Grund hatte er sich in unsere Wohnung gebeamt. Offensichtlich aus Versehen. War das irgendwie schädlich, wenn er hier blieb? Würde dann das Universum kollabieren oder etwas in der Art? Verwandelte sich mein Leben gerade in einen schlechten Science-Fiction-Film?

„Okay, ich bringe dich zum Meer“, sagte ich, um meinen Gedankenstrom zu unterbrechen.

Ein freudiges Lächeln breitete sich auf Cuinns Gesicht aus.

„Aber erst mal klären wir das ganz brav mit dem Krankenhaus. Und dann fahren wir zu mir nach Hause und morgen früh können wir gleich aufbrechen.“ Und dann bin ich dich wieder los, fügte ich in Gedanken hinzu.

Das Lächeln war bereits nach meinem ersten Satz wieder aus Cuinns Gesicht gewichen. „Aber… ich kann nicht bis morgen warten!“, sagte er.

„Wir brauchen mit der Bahn fast drei Stunden bis zum Meer. Wir würden heute vor Mitternacht nicht mehr ankommen.“ Ich trat den Weg zurück zum Krankenhaus an und versuchte so, einer Diskussion aus dem Weg zu gehen. Was nicht ganz funktionierte.

„Mitternacht! Mitternacht ist perfekt. Lass uns gleich losgehen!“, rief er mir nach, während er mir hinterherstapfte.

„Vergiss es. Ich habe Kopfschmerzen und bin müde. Wir fahren gleich nach Hause und ich lege mich schlafen.“

„Bitte!“, flehte er. „Ich muss so schnell wie möglich zurück. Es ist wirklich wichtig. Und außerdem bist du mich dann umso schneller für immer los.“

Das Argument gefiel mir. Allerdings hatte ich wirklich Kopfschmerzen und wenig Lust, heute noch drei Stunden allein mit diesem seltsamen Typen Bahn zu fahren. Doch ich hatte das ungute Gefühl, dass er nicht locker lassen würde, bis ich ihn zum Meer brachte. Also gab ich nach.

„Na gut, wir fahren heute noch los.“

„Vielen, vielen Dank! Ihr… Du weißt gar nicht, welch großen Gefallen du mir damit tust.“

„Hast du überhaupt Geld bei dir?“, fragte ich ihn.

„Ein bisschen. Brauche ich das?“

„Bahnfahren ist teuer.“

Wir gingen eine Weile schweigend durch den Wald. Als wir am Park hinter dem Krankenhaus ankamen, machte Cuinn mit einem unsicheren „Ähm…“ wieder auf sich aufmerksam.

„Ja?“

„Also… Wahrscheinlich ist das eine ungewöhnliche Frage“, druckste er herum, „aber… was ist eine Bahn?“

Vielleicht war er doch kein Zeitreisender. Dann hätte er schon längst eine Bahn gesehen. Oder? Ich konnte mir einen tiefen Seufzer nicht verkneifen und beschrieb ihm die großen, sich auf Gleisen bewegenden Gefährte, während wir den Park durchquerten.

DREI

Nachdem wir eine halbe Stunde mit einem Arzt der Station darüber diskutiert hatten, ob es besser für Cuinn wäre, die Nacht im Krankenhaus zu bleiben oder nicht und hinterher noch zwanzig Minuten auf den Bus gewartet hatten, der zur Nacht hin immer seltener fuhr, befanden wir uns endlich auf dem Weg zum Bahnhof.

Es war der Hauptbahnhof, um genau zu sein. Viele Menschen, viele Gleise, viele Bahnen. Ich entschied mich dazu, Cuinn an die Hand zu nehmen, um ihn nicht zu verlieren. Nicht, dass das bei dieser Menschenmenge eh schon leicht hätte passieren können. Cuinn neigte auch noch dazu, bei jeder Kleinigkeit stehen zu bleiben und diese entweder argwöhnisch zu inspizieren oder zu bestaunen, sei es der Snackautomat, der Fahrkartenschalter, das große Uhrwerk am Bahnhofseingang oder der Reinemachemann auf seiner Reinigungsmaschine. Von den unzähligen Zügen ganz zu schweigen. Ich ignorierte Fragen wie: Was ist das?, Kann man das überhaupt essen?, Wie funktioniert das? und Bist du dir sicher, dass wir hier zum Meer kommen?

Da ich einen Mordshunger und Durst hatte, machten wir an einem Backshop Halt und kauften zwei Brezeln mit Käse sowie zwei Wasserflaschen. Dann schleifte ich Cuinn zum nächsten Fahrkartenschalter und suchte nach dem nächstbesten Ort am Meer, der mir einfiel. Ich spürte die ganze Zeit die verwunderten Blicke der anderen Passanten an mir und Cuinn haften. Ich versuchte, mir einzureden, dass Cuinn nur in diesem mittelalterlichen Aufzug herumlief, weil wir zu einer LARP-Veranstaltung fuhren. Genau das würde ich sagen, wenn uns jemand danach fragen würde.

„Das sind dreißig Tacken pro Person“, stöhnte ich. „Hast du so viel dabei?“

Cuinn fing an, in einer Geldkatze an seinem Gürtel zu kramen. Er zog seine zur Faust geballte Hand wieder heraus und streckte sie mir mit dem Handrücken zum Boden gedreht entgegen. Als er sie öffnete und mir den Inhalt offenbarte, stöhnte ich erneut. Natürlich! Was hatte ich erwartet! Andere Kleidung, anderer Sprachstil – und eine andere Währung.

„Ist das dein Ernst?“, fragte ich und stemmte die Hände in die Hüften. Ich fischte eine Ein-Euro-Münze aus meiner Hosentasche und hielt sie ihm direkt vor die Nase. „Das hier, das ist Geld! Damit kann ich etwas anfangen. Nicht mit deinen verbeulten Silbertalern. Glaubst du, ich kann mal eben sechzig Euro hinblechen, nur um dich zu diesem verdammten Meer zu bringen?“

Sein Adamsapfel hüpfte auf und ab, als er schwer schluckte. Als er geknickt von dem Ein-Euro-Stück zu mir, auf seine Silbergroschen und wieder zurück blickte, bereute ich meine harschen Worte. Schließlich hatte er es nur gut gemeint. Er hatte mir Geld geben wollen. Nur nicht das richtige. Und wenn er tatsächlich nicht von hier stammte – was ziemlich abgefahren gewesen wäre –, konnte er es auch nicht besser wissen. Also zwang ich mich selbst zur Ruhe, indem ich einmal tief ein- und wieder ausatmete.

„Okay“, seufzte ich und wandte mich wieder dem Fahrkartenautomaten zu. Nachdem ich gecheckt hatte, ob eine Gruppenkarte für uns günstiger wäre und ob es sich für mich lohnen würde, eine Tageskarte zu kaufen, da ich ja auch wieder zurückfahren musste, entschied ich mich für eine Gruppenkarte, die meinen Geldbeutel bedeutsam schonen würde. Trotzdem seufzte ich noch einmal, als ich meine EC-Karte aus dem Portemonnaie zückte, da ich nicht genug Bargeld dabei hatte.

„Du bist mir echt was schuldig“, grummelte ich, während ich die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz im Automaten steckte und meine PIN eingab.

„Du wirst mich danach nie wieder erdulden müssen. Ich bin dir zu tiefstem Dank verpflichtet“, sagte er und deutete eine Verbeugung an.

„Ja, ja, sei einfach still!“, warf ich schnell ein, entnahm die Fahrkarte und nahm Cuinn wieder bei der Hand, um ihn zu unserer Bahn zu ziehen.

Ich betätigte den Knopf, der die Zugtür öffnete und zerrte Cuinn zu einer freien Sitzgruppe, möglichst weit weg von sämtlichen anderen Fahrgästen. Sollte Cuinn auf die Idee kommen, mir noch mehr seltsame Fragen zu stellen – wovon ich stark ausging –, sollte es niemand mitbekommen können. Allein sein Aussehen war schon peinlich genug.

Nachdem ich Cuinn in einen Sitz gedrückt hatte, setzte ich mich ihm gegenüber ans Fenster. Ich öffnete die Brötchentüte und reichte ihm seine Brezel und seine Wasserflasche. Endlich hatte ich Zeit, etwas zu essen und zu trinken! Im schien es ähnlich zu gehen, denn er begann sofort, seine Brezel hinunterzuschlingen. Nachdem die Hälfte davon in seinem Magen verschwunden war, beäugte er die Wasserflasche genauer. Er versuchte, den Deckel abzuziehen, drehte und wendete die Flasche, bis er mir schließlich einen hilfesuchenden Blick zuwarf.

Mal wieder entfuhr mir ein Seufzer. Ich nahm seine Wasserflasche, drehte den Schraubverschluss auf und gab sie ihm zurück.

„Danke“, sagte er und trank gierig sein Wasser.

„Gibt es so etwas in Glenbláth etwa nicht?“, fragte ich ihn.

So dumm er sich auch bisher angestellt hatte, mein leicht abfälliger Unterton entging ihm nicht. „Du glaubst mir immer noch nicht, oder?“ Er blickte hinaus auf den Bahnsteig, wo die letzten Passagiere, teilweise bepackt mit großen Koffern, darauf warteten, einsteigen zu können, während er einen weiteren Bissen von seiner Brezel nahm.

„Tut mir leid“, sagte ich. „So etwas wie Glenbláth gibt es einfach nicht. Ich glaube immer noch, du hast dir einfach gewaltig den Kopf gestoßen.“

Die Bahntüren schlossen sich und Cuinn sah etwas erschrocken aus, als sich der Zug in Bewegung setzte. Plötzlich schien er sehr nachdenklich und vielleicht sogar etwas traurig.

Eine Weile saßen wir uns schweigend, Brot kauend gegenüber, während der Zug aus der Stadt rollte. In der Dunkelheit des späten Abends ließen die Lichter der Straßenlaternen und Häuser die sonst so chaotische Stadt beinahe friedlich wirken. Ich beschloss, Cuinn eine Chance zu geben.

„Wie ist es denn dort so? In Glenbláth?“, fragte ich und versuchte dabei möglichst interessiert zu klingen.

Sein Blick wanderte vom Fenster zu mir und er musterte mich einige Sekunden, bevor er antwortete: „Du kannst mich nicht mit deiner falschen Neugier täuschen. Was auch immer ich dir erzähle, du wirst mir doch keinen Glauben schenken.“ Dann starrte er wieder hinaus.

Plötzlich war er so ernst. So weit weg. Was war wirklich mit ihm geschehen? Wie war er hierhergekommen? Ich fand dafür immer noch keine plausible Erklärung.

„Glenbláth ist die Hauptstadt von Draaksfera“, sagte er plötzlich in die Stille hinein. „Aber es ist kein besonderer Ort. Ich hege keine Sympathie für die Menschen dort.“

„Und trotzdem willst du unbedingt zurück?“

„Ich muss“, war seine knappe Antwort.

„Darf ich fragen warum?“

„Es gibt dort… Leute, die ich beschützen muss.“

„Beschützen? Vor wem? Bist du irgendwie in einer Gang, die in Schwierigkeiten steckt? Ist das so ein Cliquenkrieg oder so?“

„Ein was? Nein. Ein Art Krieg vielleicht schon, ein Konflikt, aber kein… Wasauchimmer.“

Das musste ich erst mal sacken lassen. „Was für ein Konflikt ist das?“

Seine Lippen verschmälerten sich zu einem dünnen Strich. Sein Griff um die Wasserflasche verstärkte sich, sodass sie knisterte und er nahm einen großen Schluck. „Ich sollte dir nicht davon erzählen, denn ich bin hier nur ein Fremder und meine Welt ist fern von der deinen. Freue dich an der heilen Welt, in der du lebst.“

Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Bisher hatte ich ihn einfach nur für einen Freak gehalten. Aber niedergeschlagen, wie er plötzlich war, weckte er allmählich mein Vertrauen. Ich wollte ihm glauben, so abgefahren das alles auch zu sein schien.

„Wie genau bist du hierhergekommen?“, wollte ich wissen.

„Ich werde dir nicht mehr erzählen. Bald bin ich fort und dann vergisst du besser, dass ich je da gewesen bin.“

„Bitte! Wir haben noch mehr als zwei Stunden Zugfahrt vor uns. Da können wir uns doch nicht nur schweigend gegenüber sitzen. Und ich denke, du hast wesentlich spannendere Geschichten zu erzählen als ich.“

„Sicher? Mir scheint deine Welt wesentlich spannender. Wie funktioniert das hier?“, fragte er und machte eine ausladende Handbewegung, mit der er quasi den ganzen Zug einfasste. „Es ist keine Magie. Wie macht ihr eure Maschinen? Und warum gibt es bei euch so viel Nahrung? Alle zwei Meter kann man etwas zu Essen erwerben. Könnt ihr das alles überhaupt essen? Haben die Menschen hier größere Mägen? Oder einfach einen anderen Energiebedarf?“

Ich lachte. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. „Schön wär’s“, prustete ich. „Dann könnte ich alle Leckereien auf einmal essen, ohne dick zu werden. Aber ich befürchte, wir sind hier einfach nur verwöhnt. Und von Maschinenbau habe ich leider keine Ahnung.“ Ich atmete ein paarmal tief durch, um mich von meinem Lachanfall zu erholen. Dann sprach ich etwas an, was mich hellhörig gemacht hatte. „Was meinst du mit: Es ist keine Magie? Gibt es so etwas bei dir? Magie?“

Unwillkürlich zuckte er zusammen und biss sich auf die Unterlippe, als würde er sich innerlich selbst für seine Worte schelten. „Hier etwa nicht?“, fragte er mit einem wachsamen, grummelnden Unterton.

Aufgeregt hüpfte ich auf meinem Sitz auf und ab. „Nur in Märchen und Fantasybüchern. Also gibt es bei euch wirklich Magie? Das ist ja total abgefahren!“

Er kniff die Augen zusammen und schüttelte verständnislos den Kopf. „Abgefahren… Ich schätze, das ist gut? Macht dir Magie keine Angst?“

„Ja, das ist gut und nein, warum sollte sie mir Angst machen? Wenn Magie das ist, was ich aus Büchern und Filmen kenne, ist das doch total spannend und wundervoll! Kannst du zaubern?“

„Nein“, antwortete er. „Aber durch Magie bin ich hierhergekommen.“ Das Thema schien ihm nicht zu behagen und ich fragte mich warum. Meine Begeisterung dafür, dass es so etwas wie Magie wirklich gab, ebbte ein wenig ab.

„Habt ihr hier allgemein keine Angst vor Magie oder bist du eine Ausnahme?“

Ich überlegte. „Nun, viele stempeln Magie als Hokuspokus ab, den es eh nicht gibt. Also warum sollten sie Angst davor haben? Dann gibt es noch welche, die an übernatürliche Kräfte glauben und schon Angst davor haben. Für die ist es gefährliche Hexerei oder so. Und dann gibt es noch die Leute, so wie mich, die Geschichten über Magie lieben und faszinierend finden und hoffen, dass es sie wirklich gibt. Ich denke, das ist grade bei den jüngeren Generationen der Fall. Also wenn du zaubern könntest, würde dir wahrscheinlich jedes Mädchen zu Füßen liegen.“

Endlich brachte ich ihn zum Schmunzeln. Ein kleines Lächeln im Gesicht stand ihm viel besser als die ernste, verbitterte Miene.

„Haben die Menschen bei dir etwa Angst vor Magie?“

Er nickte. „Ausnahmslos.“

Den Rest der Fahrt verbrachten wir wortlos. Ich war mir unsicher, ob ich ihn weiter über sein Leben ausfragen sollte, ob er darüber reden wollte und ob ich wirklich mehr von dem Leid in seiner Heimat wissen wollte. Zudem war ich mittlerweile müde und fühlte mich immer weniger aufnahmefähig.

Nach über zwei Stunden Fahrt erreichten wir unsere Haltestelle. Auch Cuinn war mittlerweile vor Müdigkeit eingenickt. Ich rüttelte leicht an seiner Schulter, damit er aufwachte. Er gähnte, drückte sich aus dem Sitz und folgte mir träge durch den Gang nach draußen auf den Bahnsteig. Von der See wehte ein frischer Wind zu uns herüber. Ich zog meine Jacke etwas fester um meinen Körper.

„Nun dann. Ein kleiner Fußweg ist es noch.“ Ich hielt mich an die Straßenschilder, die den Weg zum Strand auswiesen. „Ist es völlig egal, wo wir am Meer sind?“, hakte ich vorsichtshalber noch einmal nach. Schließlich hatte ich immer noch keinen blassen Schimmer, wie er gedachte, nach Hause zu kommen.

„Ja“, bestätigte er. „Es sollte nur…“ In diesem Moment bekamen wir endlich Blick auf das Meer. Zumindest auf das, was der Nebel nicht verhüllte. „Perfekt!“

Mit einem Mal beschleunigte sich sein müder Schritt. Er überholte mich und begann zu laufen.

„He, warte!“ Ich zwang meinen Körper, ebenfalls zu laufen, obwohl ich eigentlich nur noch schlafen wollte.

Cuinn schlitterte den Abhang hinunter, der den Strand von der Kleinstadt trennte und ich stolperte ihm hinterher, bemüht, auf dem unebenen Grund nicht hinzufallen und mir an einem spitzen Stein ein Loch in den Kopf zu schlagen.

Vor dem in kleinen Wellen an den Strand schwappenden Wasser blieb er stehen. Keuchend kam ich bei ihm an. Ich ließ meine Handtasche zu Boden sinken. Jede noch so kleine Last auf meinen Schultern erschien mir zu viel. Ich war einfach nur noch kaputt.

„Chloe? Kannst du mich hören? Ich brauche deine Hilfe“, rief Cuinn in den Nebel hinein.

Ich blickte mich nach rechts und links um. Keine Menschenseele weit und breit, die beobachten konnte, wie Cuinn wie ein Geistesgestörter mit dem Nebel redete.

„Chloe, du kannst dich zeigen. Es ist sicher“, fügte Cuinn hinzu.

„Wer ist Chloe?“, raunte ich Cuinn zu, doch er hob zur Antwort nur eine Hand, die mir bedeutete zu schweigen und abzuwarten.

Ein erleichtertes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als sich der Nebel vor uns verdichtete, als würde im Zentrum ein Magnet schweben, der alle Nebelschwaden rundherum anzog. Ich schluckte und blinzelte ein paarmal. Doch der Nebel hörte nicht auf, sich zu bewegen. Allmählich nahm er die Form eines Menschen an. Ich rieb mir die Augen. Das konnte nicht sein. Das konnte verdammt noch mal nicht wahr sein. Ich musste träumen oder halluzinieren. Aber es brachte nichts, mir das einzureden. Die Konturen der Gestalt wurden immer filigraner. Schon bald erkannte ich die Figur einer zierlichen Frau, der trotz ihrer Schmächtigkeit nicht an Kurven fehlte, als wäre sie einem der mit Photoshop modifizierten Modelbilder aus einem Magazin entsprungen. Ihre langen glatten Haare wehten in der kühlen Meeresbrise und sie schien ein langes, eng anliegendes Kleid zu tragen, das blasser wurde, je näher es dem Meer kam und dort mit dem umliegenden Nebel verschmolz. Ich konnte ihren Mund, ihre Nase, ihre Augen, sogar jede einzelne Wimper ausmachen, obwohl sie von oben bis unten komplett weiß war. Schneeweiß.

„Nebelweiß wohl eher“, ertönte ihre glockenklare helle Stimme.

„Bitte was?“

„Ich bin nicht aus Schnee. Nebelweiß trifft es besser“, korrigierte sie mich.

Hatte ich etwa laut gesprochen?

„Nein, ich lese deine Gedanken.“ Damit wandte sie sich von mir ab und schenkte Cuinn ihre Aufmerksamkeit. „Der große Magier braucht also meine Hilfe? Dass ich das noch mal erleben darf.“

Mein Gehirn war noch dabei, die Tatsache zu verarbeiten, dass diese Nebelfrau meine Gedanken lesen konnte, als mich schon der nächste Schlag traf. „Magier? Moment mal, du kannst wirklich zaubern?“, fuhr ich Cuinn an, als hätte er damit ein schweres Verbrechen begangen.

Cuinn schien mit der Situation überfordert. Zunächst sah es so aus, als wolle er Chloe etwas sagen, dann wandte er sich stattdessen an mich und begann zu erklären: „Hör zu, das klingt vermutlich alles unglaublich für dich, aber ja, ich kann zaubern. Aber bitte, bitte stell nun keine weiteren Fragen! Je weniger du darüber weißt, desto besser und es dauert nicht mehr lange, dann bin ich fort.“

Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Ich wollte Fragen stellen. Und obwohl er mich gebeten hatte, keine zu stellen, hätte ich es gemacht, wenn ich in diesem Moment nicht zu perplex gewesen wäre, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Ein Magier. Ein richtiger Magier!

„Chloe“, sagte Cuinn zur Nebelfrau, „bring mich bitte nach Hause. Du bist die Einzige, die das kann.“

„Was bekomme ich dafür?“, fragte Chloe und legte sich nachdenklich einen Finger auf die Lippen.

„Chloe, bitte. Ich habe keine Zeit für sowas. Ich muss zu Lou, unbedingt.“

Enttäuscht verzog Chloe das Gesicht. „Lou. Immer nur Lou. Lou hier, Lou da. Dabei bin ich immer diejenige, die dir aus der Patsche hilft.“

„Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dich jetzt gerade zum ersten Mal darum bitte“, unterbrach Cuinn sie.

„Aber ich würde dir jederzeit aus der Patsche helfen, wenn du mich nur mal darum bitten würdest. Aber nein, alles dreht sich immer nur um Lou.“

Oha, da war aber jemand eifersüchtig. Ich bereute diesen Gedanken sofort, als Chloe mich wütend anfunkelte. Blöde Gedankenleserei.

„Ich bitte dich jetzt“, warf Cuinn ein. „Es ist wirklich wichtig. Bitte hilf mir, auch wenn es für Lou ist. Sie wurde schwer verletzt, bevor Feargal mich hierhergebracht hat. Ich muss wissen, wie es ihr geht.“

Lou war anscheinend eine Freundin von Cuinn, wenn nicht sogar seine feste Freundin. Aber wer war Feargal?

„Feargal ist der Magier des Königshauses“, antwortete Chloe. „Wie zum Henker hat er es geschafft, dich in eine andere Welt zu zaubern?“

Cuinn schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Wir haben gekämpft, es gab eine Explosion und dann war ich hier.“

„Verstehe. Zwei starke Magier, eine gewaltige Menge an Magie, die aufeinander trifft und – ruuums – wird einer von ihnen in eine andere Welt katapultiert. Interessant. Ihr wisst schon, dass sonst nur Drachen so starke Magie besitzen, oder? Würdet ihr euch zusammen tun…“

„Wir werden uns nie zusammen tun.“ Cuinns Stimme klang dunkel und kühl. „Bring mich nach Hause, Chloe! Jetzt.“

Chloe seufzte. „Ich mag es nicht, wenn du sauer wirst.“ Dann nickte sie zu mir herüber. „Was ist mit ihr?“

„Eine Freundin“, antwortete Cuinn. „Sie hat mich hergebracht.“ Daraufhin richtete er seine Worte an mich. „Vielen Dank.“

Ich brauchte eine Weile, bis ich meine Stimme wiederfand. „D… da nicht für“, stammelte ich.

„Na gut, wenn ich dich nach Hause bringe, bekomme ich einen romantischen Abend mit dir allein, abgemacht?“, trällerte Chloe.

„Chloe!“, knirschte Cuinn.

Chloe lachte.

Dann breitete sie die Arme aus und wie auf Knopfdruck wurde der Nebel dichter. Ich wich ein paar Schritte zurück, wollte mich vorsichtig zurück zum Bahnhof begeben, doch ehe ich es auch nur bis zum Hang geschafft hatte, hatte sich der Nebel um mich herum zu einer undurchsichtigen weißen Wand verwandeln. Wie ein Blinder taperte ich noch ein paar Meter Richtung Stadt, bis ich stolperte – über was, wusste ich nicht – und mit dem Po im Sand landete. Okay, jetzt reichte es mir.

„Cuinn?“, rief ich in den Nebel hinein. Keine Antwort. „Cuinn!“ Mühsam rappelte ich mich wieder hoch und klopfte mir den Sand von der Hose. Die nasse Kälte kroch mir in den Nacken und von dort den Rücken hinunter. Ich schüttelte mich. „Chloe…“ Meine Zähne begannen zu klappern. „D-d-das ist n-n-nicht lustig“, stotterte ich und schlang die Arme um meinen Leib. Ich beschloss, einfach so lange wie angewurzelt auf diesem Fleck stehen zu bleiben, bis der Nebel sich wieder auflöste – wenn er das denn tun würde – und bis dahin nicht zu erfrieren. Letzteres würde in Anbetracht meines von oben bis unten zitternden Körpers eine Herausforderung werden. Undurchschaubarer Nebel war ja eine Sache, aber musste Chloe es dazu auch noch unbedingt eiskalt werden lassen?

Meine Finger und Zehen wurden taub. „Verdammt, Cuinn!“, schrie ich noch einmal. War er überhaupt noch da? Oder hatte die Nebelfrau ihn schon in ihrem Zaubernebel wegteleportiert? Funktionierte das überhaupt so?

„Katja? Du bist noch da?“, vernahm ich Cuinns Stimme. Na endlich!

„O-o-ob ich noch da bin? Offensichtlich schon! D-d-d-dasselbe k-könnte ich dich fragen!“ Ich beobachtete, wie der Nebel endlich wieder etwas schwächer wurde. Erleichtert stellte ich fest, dass ich meine Hände wieder sehen konnte, wenn ich sie mir vor die Augen hielt. Und wurde es tatsächlich wärmer? Meine Muskeln entkrampften sich allmählich. Ich nahm das Glitzern des Wassers vor mir wahr. Funkelte das Meer im Sonnenlicht? Wie lange war ich in diesem Nebel gefangen gewesen? Es war mir nur wie Minuten vorgekommen. Zugegeben, es waren viel zu lange Minuten gewesen, aber war es wirklich schon Morgen?

Die letzten Schleier verzogen sich und plötzlich wurde mir ganz flau im Magen. Das vor mir war nicht das Meer. Es war ein gigantischer See, umrandet von grünen Wiesen und nichts als grünen Wiesen.

VIER

Ich blickte zu meinen Schuhen herab. Kein Strandsand, nur saftig grünes Gras.

„Was…?“ Ich drehte mich zu Cuinn, der links von mir stand und mich erschrocken mit weit aufgerissenen Augen ansah. „Wo sind wir?“ Meine Stimme bebte unkontrolliert.

Cuinn schluckte. „Wir sind in Glenbláth.“

Ich versuchte, ein paarmal tief durchzuatmen, stattdessen schnappte ich panisch nach Luft. „Warum sind wir in Glenbláth? Das war nicht die Abmachung. Bring mich auf der Stelle zurück!“ So sehr ich mich auch bemühte, ich konnte meinen Atem nicht zur Ruhe bringen. Ich wusste nicht, was mich mehr aufwühlte: Dass ich weit weg von zu Hause war und keine Ahnung hatte, wie ich wieder zurückkam, oder dass dieses Glenbláth tatsächlich existierte.

„Ich kann nicht.“

„Wie, du kannst nicht?“ Meine Stimme sprang ein paar Töne höher. „Dann Chloe!“ Ich wandte mich zum Gewässer und schrie Chloes Namen aus Leibeskräften. Auf der Stelle presste Cuinn mir eine Hand auf den Mund, um mich zum Schweigen zu bringen.

„Lass mich los!“, befahl ich, wovon allerdings nur ein „Mmh-hm-hmm!“ zu hören war. Trotzdem ließ Cuinn von mir ab.

„Schrei nicht so laut, wenn wir in der Nähe der Stadt sind!“, raunte Cuinn mir zu und deutete mit der linken Hand hinter sich.

Ich folgte seinem Wink mit meinem Blick, wobei ich mich einmal um hundertachtzig Grad drehte. Zu meiner Rechten entdeckte ich in etwas Ferne eine Gruppierung kleiner Häuser. Wie diese dort friedlich zwischen grünen Hügeln lag, von goldenem Sonnenlicht berührt, sah sie nahezu märchenhaft aus. Aus der Stadt heraus führte ein schmaler, sandiger Pfad. Er bahnte sich seinen Weg in Schlangenlinien durch das Gras und verband die Stadt mit einem riesigen Wald, der zu meiner Linken lag. Laub- und Nadelbäume standen dicht an dicht und türmten sich zu einem hohen Hügel auf, der nahezu alle anderen in der Landschaft überragte – nur ein einziger Berg, dessen Kuppe hinter den Bäumen hervorlugte, konnte den Wald noch übertrumpfen. Es war, als würde der Wald über seine Umgebung wachen, als sei er eine Festung und gleichzeitig dessen Bewohner, ein Thron und gleichzeitig König. Ich hatte noch nie einen so atemberaubend schönen, majestätisch wirkenden Wald gesehen und im selben Moment wurde mir klar, wie bescheuert dieser Gedanke klang, denn wie konnte eine Ansammlung von Bäumen majestätisch wirken? Doch der Wald übte eine Faszination auf mich aus, der ich mich nicht entziehen konnte. Es fiel mir nicht leicht, mich von ihm abzuwenden, um mich wieder an Cuinn zu richten.

„Wo ist Chloe?“, fragte ich nun leiser. „Sie soll mich wieder nach Hause bringen.“

Cuinn schüttelte den Kopf. „Das geht nicht.“

„Warum nicht?“

„Es funktioniert nicht in die andere Richtung.“ Er sah mich mit einem Blick voller Bedauern an.

„Na großartig!“, stöhnte ich. „Aber du bist doch auch von hier zu mir gekommen.“

„Das war ein Unfall. An welchem ich zudem nicht alleine beteiligt war.“

„Und wie komme ich jetzt nach Hause?“, wollte ich wissen.

Cuinn zog die Augenbrauen zusammen und überlegte eine Weile. „Es gibt nur eine Art von Wesen, die genug magische Kraft besitzen könnte, dich nach Hause zu bringen.“

„Die da wäre?“

„Drachen.“

Mein Gesicht musste nur noch aus Augen bestehen, so wie ich Cuinn anstarrte. „Gibt es die hier?“

Cuinn nickte und sein Mund verzog sich zu einem sanften Lächeln. „Einen einzigen gibt es noch. Ich weiß aber nicht, ob sie im Moment in der Lage dazu ist, dich nach Hause zu bringen. Aber schauen wir nach, ich möchte so oder so zu ihr.“

„Zu ihr? Also eine Drachin?“

„Ja, Lou“, antwortete Cuinn. „Folg mir.“ Er begann, Richtung Wald zu marschieren.

Mein Kopf kam nicht mehr mit. Verwirrt stolperte ich ihm hinterher. „Moment, ich dachte, Lou wäre so etwas wie deine Freundin, so eifersüchtig wie Chloe war. Und Lou ist ein Drache?“

„Lou ist meine Freundin, ja.“ Cuinn schien nicht in der Stimmung für Erklärungen zu sein.

„Aber sie ist ein Drache!“, wandte ich ein. Wie konnte er, ein Mensch, meinetwegen auch ein Magier, aber ein ziemlich menschlicher Magier, mit einem Drachen zusammen sein?

„Drachen sind Gestaltwandler“, erzählte Cuinn. „Als ich sie kennenlernte, hatte sie menschliche Gestalt angenommen. Und ich war damals noch nicht geübt genug, um zu erspüren, dass es sich bei ihr um einen Drachen handelte. Und hinterher war es mir egal, was sie ist. Sie ist Lou und ich liebe sie, egal, ob Mensch, Drache oder eine ganz andere Gestalt.“

Ich zwang mich, mich mit dieser Erklärung zufrieden zu geben. Doch ein Teil von mir war drauf und dran, wahnsinnig zu werden, das spürte ich. Ich war an einem Ort, der eigentlich gar nicht existieren dürfte und lief einem Typen hinterher, der magische Kräfte besaß, einen Drachen zur Freundin hatte – und zwar wortwörtlich – und dessen Freundeskreis allgemein größtenteils aus magischen Wesen zu bestehen schien. Das war zu verrückt, um wahr zu sein.

Ich hatte Mühe, mit Cuinn Schritt zu halten. Offenbar war er wesentlich längere und häufigere Fußmärsche gewohnt als ich und hatte sich einen beachtlich schnellen Gang angeeignet. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er fast einen Kopf größer war als ich, was bei meinen mickrigen einen Meter fünfundsechzig nicht allzu schwer war, und dementsprechend längere Beine hatte. Ich lag auf dem gesamten Weg zum Wald mindestens fünf Meter hinter ihm. Erst, als er den Schatten der Bäume erreicht hatte, blieb er stehen und drehte sich zu mir um.

„Weich mir von jetzt an nicht von der Seite. Hier kann man sich leicht verirren“, warnte er mich.

„Alles klar…“, schnaufte ich. „Wenn du dir die Mühe machen würdest, einen Schritt langsamer zu gehen, bekomme ich das vielleicht auch hin.“

Ich erntete nur einen verständnislosen Blick und als er wieder losmarschierte, wusste ich, dass er keine Rücksicht auf mich nehmen würde. Warum hatte ich ihm noch mal geholfen, nach Hause zu kommen? War das seine Dankbarkeit? Mich gnadenlos durch einen dunklen, unheimlichen Zauberwald zu scheuchen? Mühsam schleppte ich mich hinter ihm her, immer wieder schlugen mir Zweige ins Gesicht und ich stolperte über die Wurzeln der mächtigen Bäume. Ich achtete schon gar nicht mehr darauf, wo wir hingingen, sondern nur darauf, mir nicht noch mehr Schürfwunden zuzuziehen. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass ich nicht mitbekam, als Cuinn Halt machte, und blind in ihn hineinlief.

„Oh, sorry“, sagte ich und versuchte mich wieder zu sammeln.

„Alles in Ordnung bei dir?“

Ich zog eine Grimasse. „Klar, alles bestens. Ich laufe mit einem Magier durch ein fremdes Land, das vermutlich nicht mal auf meinem Planeten liegt, warum sollte nicht alles in Ordnung sein?“

„Wir finden einen Weg, dich wieder nach Hause zu bringen“, versuchte Cuinn mich aufzumuntern. „Wir sind da.“

Jetzt erst bemerkte ich die hohe Felsfront vor uns. Sie war Teil eines großen steinernen Hügels inmitten des Waldes, der hier und da von dunkelgrünem Moos benetzt war. Mir war noch nicht ganz klar, was es mit diesem Steinriesen auf sich hatte, bis Cuinn die rechte Hand hob und sich daraufhin das Gestein von links nach rechts ineinander schob und einen Eingang eröffnete. Ohne zu zögern, trat Cuinn ein, während ich draußen stehen blieb und versuchte herauszufinden, wo die Masse des Gesteins geblieben war.

„Kommst du?“, fragte Cuinn und winkte mich hinein.

Ich löste meinen Blick von der Stelle, an der sich Stein in Stein geschoben hatte und folgte Cuinn unsicher.

Sobald ich den ersten Fuß in die Höhle setzte, umfing mich die Dunkelheit, die nur von einer wohlig warm flackernden Fackel durchbrochen wurde, die am anderen Ende der Höhle in einer Halterung am Fels befestigt war. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Erst dann erkannte ich, was in der Höhle auf uns wartete.

Anfangs dachte ich, es sei ein großer Stein, der an der hinteren Höhlenwand lag. Doch nun konnte ich die Schuppen erkennen, die im Licht der Fackel in einem dunklen Violett glänzten. Die Flügel dicht am Rumpf und den langen Hals und Schwanz um den Körper gelegt, lag der Drache da. Ich versuchte, mir auszumalen, wie riesig dieses Wesen sein musste, wenn es seine Flügel entfaltete und nicht zu einem Päckchen zusammengerollt in einer Höhle kauerte, doch das überstieg in diesem Moment noch meine Vorstellungskraft. Ich schloss meinen Mund, als ich bemerkte, dass mir die Kinnlade heruntergeklappt war. Ein Drache. Ein richtiger Drache!

Der Eingang schloss sich wieder hinter mir. Während Cuinn sich dem Drachen langsam näherte, blieb ich wie angewurzelt stehen. Obwohl es aussah, als würde der Drache schlafen und dieser sehr friedlich wirkte, erweckte der Anblick der Kreatur genug Respekt, um mich auf Abstand zu halten.

„Lou?“, flüsterte Cuinn.

Ein großes, faltiges Lid hob sich und entblößte ein wachsames Auge, dessen Iris in einem noch dunkleren Violett schimmerte als die Schuppen des Drachen. Angestrengt hob Lou den Kopf und versuchte, ihn zu Cuinn zu bewegen, doch auf halbem Weg ließ sie den Kopf wieder zu Boden sinken. Cuinn kniete sich neben sie, hob ihren Kopf an und bettete ihn auf seinem Schoß. Dann streichelte er ihr liebevoll über die Schnauze. Ihr schwerer Atem ließ ihre Nüstern beben.

„Was haben sie dir angetan?“ Cuinn gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Ich bemerkte, dass Lou die ganze Zeit ihren Blick auf mich gerichtet hielt.

„Das ist Katja“, stellte Cuinn mich vor. „Keine Sorge, sie ist auf unserer Seite.“ Er erzählte ihr von seiner unfreiwilligen Reise in mein Wohnzimmer und wie ich ihm von dort wieder nach Glenbláth geholfen hatte.

Willkommen, Menschenkind.

Ich zuckte zusammen, als die helle, weibliche Stimme in meinem Kopf ertönte. War sie das? War das Lou?

Komm ruhig näher. Du brauchst dich nicht zu fürchten.

Ich zögerte immer noch. Cuinn drehte sich zu mir um und winkte mich heran. Ich überlegte tatsächlich, näher zu treten, aber mein Körper hörte nicht auf mich. Wie angewurzelt blieb ich weiterhin stehen.

Nun gut… Vielleicht hast du so weniger Angst…

„Nicht, Lou. Das kostet dich zu viel Energie“, wandte Cuinn ein, doch Lou hörte nicht auf ihn.

Mit einem vermutlich noch verstörteren Blick als vorher beobachtete ich, wie sich die Flügel und der Schwanz des Drachen langsam zurückbildeten. Gleichzeitig verkürzte sich der Hals. Kopf, Rumpf und Beine verloren ihre Form, die Schuppen flachten zu einer ebenmäßigen Haut ab und veränderten ihre Farbe. Ehe ich mich versah, saß vor Cuinn auf dem Boden eine zierliche junge Frau. Seidenglatte, violette Haare umrahmten ihr blasses Gesicht und sie trug ein schlichtes, farbloses Kleid, welches ihre Schönheit jedoch nicht minderte. Sie war wahrscheinlich die schönste Frau, die ich je gesehen hatte.

Jetzt erst fiel mir auf, dass sie ihre Hand auf ihre linke Seite presste und der Stoff darunter sich dunkelrot verfärbte. Sie lächelte mir freundlich zu, doch ich sah den Schmerz in ihren violetten Augen.

Ich wagte mich nun doch ein paar Schritte näher.

Cuinn ließ seine Hand über Lous gegen die Wunde gedrückte schweben. „Du hättest das nicht tun sollen. Warte, ich heile das.“

Sie wandte ihr lächelndes Gesicht nun Cuinn zu. „Nein, heb deine Kräfte auf. Du wirst sie noch brauchen.“

„Aber…“

„Es ist hier vorbei. Deine Kräfte reichen nicht, um mich zu heilen“, unterbrach Lou Cuinn.

Er wich zurück. Ich konnte von der Seite sein schockiertes Gesicht sehen. „Was redest du da?“

„Ich habe es gesehen.“

Cuinn schüttelte den Kopf. „Du weißt, das muss nichts bedeuten.“

„Ich habe so viele verschiedene Versionen unserer Zukunft gesehen. Aber alle enden hier.“

Ich schluckte. Wieder war mein Gehirn damit überfordert, die neuen Informationen zu verarbeiten. Zum einen registrierte ich gerade, dass Lou offenbar in die Zukunft schauen konnte. Zum anderen wollte Lou uns gerade mitteilen, dass sie hier sterben würde.

Ein langes, kaum erträgliches Schweigen erfüllte die Höhle. Ich wagte kaum, in Cuinns Richtung zu schauen. Sogar im schwachen Licht der Fackel konnte ich deutlich erkennen, dass er kreidebleich geworden war und er schien in eine Art Schockstarre verfallen zu sein.

Lou legte eine Hand an seine Wange. „Es ist in Ordnung. Ich habe dieses Schicksal schon längst akzeptiert.“

„Ich will es aber nicht akzeptieren“, presste Cuinn hervor und hob erneut die Hand, um einen Zauber zu wirken. Doch Lou legte ihre Hand sofort in seine und drückte sie sanft zu Boden.

„Ich habe sie auf den Feuerberg gebracht. Dort sind sie sicher“, sagte Lou.

„Auf den Feuerberg?“, fragte Cuinn entsetzt.

Lou stöhnte auf unter einer Welle von Schmerz und legte sich hin. „Es war der einzige sichere Ort. Sie werden dort gut beschützt. Und für dich ist es eine Chance, dich mit den Feuergeistern zu versöhnen.“

„Lou, du weißt, ich kann dort nicht…“

„Du kannst. Und du wirst. Und sie wird etwas ganz Besonderes. Sie wird uns retten.“ Bei dem letzten Satz schlich sich ein Lächeln auf Lous Lippen. Sie schloss die Augen.

„Lou?“ Cuinn strich ihr eine violette Strähne aus dem Gesicht. Im nächsten Moment verwandelte sich der zerbrechliche Menschenkörper wieder in den eines großen Drachens. Cuinn ließ die Hände schlaf zu Boden fallen. Sein ganzer Körper sackte zusammen, als wäre mit einem Mal die gesamte Energie aus ihm gewichen.

„Ist sie…?“ Noch bevor ich die Frage ausgesprochen hatte, wusste ich die Antwort und mir blieben die letzten Worte im Halse stecken. Mein Mund fühlte sich plötzlich unangenehm trocken an und die Temperatur in der Höhle schien um einige Grade zu sinken. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich war mit der gesamten Situation überfordert. Ich war immer noch nicht darüber hinweg, dass ich mich in einem fremden Land befand, in dem es Magie gab, da war plötzlich die Freundin eines neugewonnenen Freundes gestorben, der nun wortwörtlich am Boden zerstört neben mir kniete und ich wollte ihn trösten, aber ich konnte mich nicht rühren. Anscheinend war seine Schockstarre auf mich übergegangen.

„Cuinn?“, brachte ich hervor.

Da stand er mit einem Ruck auf und drehte sich zu mir. Sein Blick war erfüllt von furchterregender Wut und einer wilden Entschlossenheit, die mich beunruhigte.

„Wir haben einen weiten Weg vor uns und müssen uns beeilen“, sagte er, packte mich am Handgelenk und zog mich hinter sich her, aus der Höhle hinaus, tiefer in den Wald hinein.

FÜNF

„Mo… Moment!“, rief ich erschrocken. „Wo gehen wir hin? Was hast du vor? Was hast du mit mir vor?“

„Wir gehen zum Feuerberg“, antwortete Cuinn.

Ich versuchte immer wieder, mein Handgelenk zu befreien, doch Cuinn hielt es so fest umklammert, dass es schon wehtat. Als er den Feuerberg erwähnte, rief ich mir Lous letzte Worte in Erinnerung. „Was ist der Feuerberg? Und wen hat Lou dort hingebracht?“

Ich hatte das Gefühl, Cuinns Griff wurde noch ein Stück fester und ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht vor Schmerz aufzuquieken.

„Du hast gesagt, du würdest mich wieder nach Hause bringen. Da kannst du mich jetzt nicht einfach quer durch den Wald schleifen. Ich will nach Hause! Sofort!“, jammerte ich.

Endlich blieb Cuinn stehen und schenkte mir Beachtung. „Kannst du mir bitte sagen, wie das gehen soll?“

„Sag du es mir! Du bist doch der Magier!“, keifte ich zurück.

„Ich habe dir gesagt, dass Lou die einzige…“ Mehr brachte er nicht hervor. Und plötzlich wirkte er weniger wütend. Und stattdessen traurig.

„Tut mir leid“, sagte ich. Er hatte gerade seine Freundin verloren und ich dachte nur daran, wieder nach Hause zu kommen. Aus irgendeinem Grund fehlte mir gerade jegliche Empathie. Vermutlich weil ich mir immer noch völlig unwirklich vorkam, weil mir ganz Glenbláth unwirklich vorkam. Und damit auch der Tod von Lou und die gesamte Situation.

„Vielleicht können die Feuergeister dir helfen“, murmelte Cuinn.

„Feuergeister? Leben die auf dem Feuerberg?“

Er setzte seine Wanderung fort, ließ mich jedoch los. Ich rieb mir das Handgelenk und stapfte ihm hinterher.

„Sie leben unmittelbar um den Feuerberg herum. Der Feuerberg ist die felsige Spitze dieses Hügels, auf dem der Wald liegt. Er wird lediglich von der Riesenechse Créla bewohnt, ein so seltenes Geschöpf wie die Drachen“, erklärte Cuinn ruhig. Er machte eine Pause und ich hatte das Gefühl, dass er überlegte, wie er die nächsten Worte formulierte. „Lou hat Dracheneier zu Créla geschickt. Lou war von Anfang an davon überzeugt, dass Créla sich im Notfall am besten um sie kümmern könnte.“

Ich nickte und lief Cuinn weiter nach. Es dauerte eine Weile, bis die neuen Informationen durch mein Gehirn sickerten. Dann verlor ich mal wieder die Fassung und beschleunigte meinen Schritt, um Cuinn einzuholen und besser mit ihm reden zu können. „Warte. Dracheneier? Lou hat Eier gelegt? Aber ich dachte, sie sei der letzte Drache gewesen?“ Er öffnete den Mund zur Antwort, doch ich kam ihm zuvor. „Sag mir jetzt bitte nicht, dass du der Vater bist.“

Als er den Mund wieder schloss, wusste ich, dass genau das der Fall war.

„Okay, können wir kurz stehen bleiben? Bitte?“

Cuinn kam meiner Bitte nach und wandte sich mir zu. „Sie ist Gestaltenwandler.“

„Ja, ich weiß. Hast du bereits erwähnt und ich habe es bereits gesehen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Wie viele Eier?“

„Drei.“

„Und werden das Drachen?“

Er runzelte die Stirn. „Natürlich werden das Drachen. Was soll die Frage?“

„Na ja, ich dachte nur… Weil sie ein Drache ist und du ein Mensch…“ In meinem Kopf formten sich die seltsamsten Geschöpfe. Drachen mit Menschenhänden oder Menschen mit Drachenkopf. Ich versuchte die grotesken Bilder zu verscheuchen.

Cuinns Stirn legte sich in noch tiefere Falten. „Du bist eigenartig.“

Das musste er gerade sagen.