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Schon seit langer Zeit stand tief im Schwarzwald eine riesige Tanne. So hoch war sie gewachsen, dass sie alle anderen Bäume überragte. Sie war etwas Besonderes. Das spürten nicht nur die Tiere, die Schutz unter und in der Tanne suchten, sondern auch die Kinder, die zur Tanne kamen, um bei ihr zu spielen. Eines Abends braute sich ein heftiger Sturm über dem Schwarzwald zusammen. Bisher hatte noch kein Unwetter der Tanne etwas anhaben können. Doch diesmal rüttelte der Wind heftiger als je zuvor an ihr, und plötzlich schlug ein gewaltiger Blitz in die Krone ein. In diesem Moment ging im Tannenwipfel eine Veränderung vor sich. Die abenteuerliche Geschichte vom Tannenmoggele begann.
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Seitenzahl: 50
Veröffentlichungsjahr: 2013
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Sturm
Der böse Hund
Bachüberquerung
Arthur der Spatz
Auf dem Bauernhof
Die Hütte am Waldrand
Ein Zauberbogen
Hoch in der Luft
Winterschlaf
Vor langer Zeit stand auf einem Felsen hoch über den Tälern und Wäldern des Schwarzwaldes eine riesige geheimnisvolle Tanne. Sie überragte alle anderen Bäume ringsherum, so dass sie auf ihrem Felsen thronend aussah wie die Königin aller Täler und Bäume. Die dichten Zweige hingen voll mit den schönsten Tannenzapfen. Ihre Wurzeln waren so dick, dass kein Kind sie mit den Armen hätte umfassen können, und sie wanden sich den Felsen entlang in die kleinsten Ritzen hinein, so dass kein Sturm die Tanne umzureißen vermochte. Manchmal kamen die Kinder aus den nahe gelegenen Bauernhöfen, um unter der großen Tanne zu spielen. Sie kletterten am Stamm empor und legten sich auf die dicken Äste. Wenn es regnete, suchten Tiere unter den riesigen Ästen Schutz. Schien die Sonne, hüpften die Eichhörnchen fröhlich im Baum umher und spielten Fangen, während die Vögel vergnügt ihre Lieder um die Wette zwitscherten.
Ließ man den Blick in die Ferne schweifen, sah man, wie Täler und Berge am Horizont ineinanderflossen und im Dunst der Ferne verblassten. Schloss man die Augen und lauschte, konnte man das Säuseln des Windes hören, der sachte über die Baumwipfel strich und sie hin- und herwiegte. Gedämpft war auch das Rauschen eines Baches zu vernehmen, der irgendwo zu Tale stürzte und die großen Steine, die sein Bachbett verengten, mit ins Tal zu schieben versuchte. Das Wasser gurgelte mal lustig, mal lag es still und ruhig wie ein See, in dem sich die Wolken am Himmel spiegeln. Manchmal flitzte ein Fischlein vorbei, und ein kleiner Vogel saß auf einem Stein und stillte seinen Durst am klaren kalten Wasser, bevor er weiterflog.
Abends, wenn die Sonne hinter den Bergen unterging und die Täler und Wälder schon in der Dämmerung lagen, leuchteten die letzten Sonnenstrahlen auf die riesige Tanne, und es sah aus, als hätte sie eine goldene Krone auf. Wer auch immer zur Tanne auf dem Felsen kam, spürte, dass dies ein besonderer Ort war.
Eines Abends zogen dicke schwarze Wolken auf, und der Himmel verdunkelte sich bedrohlich. Die Waldtiere wurden ganz still; kein Vogel wagte es mehr, ein Lied zu singen. Nur der Wind brauste plötzlich laut und lauter, und am Horizont zuckten die ersten Blitze. Der Wind wurde stärker, und die Blitze kamen immer näher. Die Bäume bogen sich und kämpften gegen den nun wild brüllenden Wind an. Auch die riesige Tanne schaukelte hin und her. Bis jetzt hatte ihr noch kein Sturm etwas anhaben können, und sei er noch so stark gewesen.
Doch da geschah es. Ein riesiger Blitz schoss aus den dunklen Wolken, erhellte den ganzen Himmel und schlug im nächsten Augenblick mit ohrenbetäubendem Lärm in die Spitze der hohen Tanne. Grell leuchtete sie auf, der Fels und die Bäume ringsherum standen im Licht. Starr vor Schreck verfolgten die Tiere das außergewöhnliche Schauspiel.
So plötzlich, wie alles begonnen hatte, so schnell war es auch wieder vorbei. Der Sturm legte sich, die schwarzen Wolken verzogen sich, und bald konnte man die Sterne am klaren Nachthimmel funkeln sehen. Der Mond tauchte den dunklen Schwarzwald in ein sanftes Licht, das auch die Umrisse der Berge erkennen ließ. Die riesige Tanne schimmerte im Mondlicht, als wäre nichts geschehen. Alles schien wieder wie zuvor, nur eine unheimliche Stille war eingekehrt.
Doch was war das? Hätte jemand aufmerksam die Spitze der riesigen Tanne betrachtet, so hätte er dort kleine Funken umhersprühen sehen. Und obwohl es windstill war, bewegten sich in der Baumspitze einige Zweige. Der Blitz, der in die riesige Tanne einschlug, übertrug einen Teil seiner gewaltigen Kraft auf einen kleinen Tannenzapfen.
Nun begann sich der Tannenzapfen zu verwandeln. Er wurde runder, ja beinahe pummelig. Zwei seiner Schuppen öffneten sich, und darunter lugten zwei große neugierige Augen hervor. Seitlich kamen zwei Ärmchen zum Vorschein, die aussahen wie von Rinde umhüllte Zweiglein. Etwas krumme Beinchen zeigten sich, die aber kräftig waren wie Wurzeln. Und auf dem Kopf standen in alle Richtungen feine grüne Zweiglein ab.
Langsam erlosch der Funkenregen, Dunkelheit kehrte ein. Alles war wieder wie zuvor – außer dass an einem Zweig hoch oben im Baumwipfel der riesigen Tanne ein Tannenzapfenmännchen hin und her baumelte. Seine Äuglein wanderten nach allen Richtungen, die Arme und Beine hingen nach unten, als wüsste es nichts damit anzufangen. Nach einer Weile richtete das Tannenzapfenmännchen seinen Blick zu jenem Zweig hoch, an dem es festgewachsen war. Es begann seine krummen Beinchen vor und zurück zu bewegen und schaukelte hin und her, immer stärker, bis es ihm gelang, sich mit seinen noch etwas steifen Ärmchen am Zweig über seinem Kopf festzuhalten. Ein kräftiger Ruck – und »Autsch, das hat wehgetan«, jammerte das Tannenzapfenmännchen, als es sich von dem Zweig gelöst hatte, an dem es angewachsen gewesen war. Jetzt war es frei. Seltsam fühlte sich das an …
Das Tannenzapfenmännchen saß auf dem Zweig und rieb die Stelle an seinem Kopf, an der es bis vor kurzem noch gehangen hatte. Sein bisheriges Leben hatte es in der Obhut der riesigen Tanne verbracht. Einsam und ein bisschen ängstlich war es ihm nun schon zumute. Ein Tropfen klebriges Harz trat aus der wunden Stelle zwischen den Zweiglein am Kopf. Erschöpft lehnte es sich an den mächtigen Stamm und schlief ein. Ruhig verging die klare Nacht, und die Sterne strahlten über dem riesigen Baum.
Als die Nacht langsam der Morgendämmerung wich, strich frische klare Luft um das Gesicht des Tannenzapfenmännchens. Aus der Ferne drang das Gezwitscher der ersten Vögel, die den neugeborenen Tag begrüßten. Zaghaft blinzelte das Tannenzapfenmännchen aus seinen Äuglein. Es reckte und streckte seine Ärmchen und Beinchen und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Nachdem es aufgestanden war, lief es den dicken Ast entlang, auf dem es geschlafen hatte, bis es zwischen den Zweigen hindurchschauen konnte. Es sah sich nach allen Seiten um und war überwältigt von der Aussicht, die es vom Wipfel der riesigen Tanne hatte.