Das übernatürliche Grauen in der Literatur - H. P. Lovecraft - E-Book

Das übernatürliche Grauen in der Literatur E-Book

H. P. Lovecraft

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Beschreibung

In seinem erstmals 1927 erschienenen Großessay Supernatural Horror in Literature erzählt H. P. Lovecraft seine persönliche Geschichte der Horror-Literatur − von den Anfängen in der Antike bis zu den Autoren, die er noch selbst kannte. Dabei legt er einen deutlichen Schwerpunkt auf die unheimliche Phantastik, eine Tradition, der er sich ganz verschrieben hatte. Bei aller Subjektivität ist diese Genreeinführung in ihrer Prägnanz und in ihrem kritischen Urteil bis heute unübertroffen. Die vorliegende Neuübersetzung legt großen Wert auf Lesbarkeit und Textnähe. Eine ausführliche Einleitung von S. T. Joshi, dem Verfasser der maßgeblichen Lovecraft-Biographie und Herausgeber seines Gesamtwerkes, informiert über Entstehung und Wirkungsgeschichte. Ein dichtes Netz von Anmerkungen beleuchtet in Zitaten aus Essays und Briefen Lovecrafts weitreichende Beschäftigung mit den behandelten Autoren und Texten. Eine umfassende, um deutsche Ausgaben ergänzte Bibliographie bietet einen Überblick über die relevante Primär- und Sekundärliteratur. Die definitve Ausgabe eines Sachbuch-Klassikers!

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Seitenzahl: 376

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H. P. Lovecraft

Das übernatürliche Grauen in der Literatur

Kommentierte Ausgabe

Herausgegeben, mit einer Einleitung & Anmerkungen versehen von

S. T. Joshi

Aus dem Amerikanischen übersetzt von

Alexander Pechmann

Mit einer Bibliographie von

S. T. Joshi & Robert N. Bloch

| Golkonda |

Impressum

The Annotated Supernatural Horror in Literature

Die Originalausgabe erschien 2000 bei Hippocampus Press

in New York; die Übersetzung folgt der 2., durchgesehenen Auflage (2012)

Die Einleitung erschien erstmals auf Deutsch in

Pandora 2 (Berlin: Shayol, 2007).

© 2000, 2012 by Hippocampus Press

Einleitung, Kommentar etc. © 2000, 2012 by S. T. Joshi

Mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor

© der bibliographischen Ergänzungen 2014 by Robert N. Bloch

© dieser Ausgabe 2014 by Golkonda Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Hannes Riffel

Redaktion: Andreas Fliedner

Korrektur: Heide Franck

Gestaltung: s.BENeš [www.benswerk.de]

E-Book-Herstellung: Hardy Kettlitz

Golkonda Verlag

Charlottenstraße 36

12683 Berlin

[email protected]

www.golkonda-verlag.de

ISBN: 978-3-944720-21-0 (Buchausgabe)

ISBN: 978-3-944720-22-7 (E-Book)

Inhalt

Titel

Impressum

Vorbemerkung

Abkürzungen in den Anmerkungen

Einleitung

Das übernatürliche Grauen in der Literatur

I. Einführung

II. Die ersten Horrorgeschichten

III. Der frühe Schauerroman

IV. Der Höhepunkt des Schauerromans

V. Die Erben der Schauerliteratur

VI. Gespenstergeschichten aus Frankreich und Deutschland

VII. Edgar Allan Poe

VIII. Die Tradition der unheimlichen Literatur in Amerika

IX. Die Tradition der unheimlichen Literatur in Großbritannien

X. Die modernen Meister

Anhang

H. P. Lovecrafts liebste unheimliche Erzählungen

Bibliographie der Autoren und ihrer Werke

Weitere Bücher aus dem Golkonda Verlag

Vorbemerkung

H. P. Lovecrafts »Das übernatürliche Grauen in der Literatur« hat als beste historische Abhandlung über das Genre in weiten Kreisen Anerkennung gefunden, und doch haben meines Erachtens weder Lovecraft-Spezialisten noch Experten für unheimliche Literatur dieses Dokument so gründlich genutzt, wie sie es hätten tun können. Diese Ausgabe ist ein Versuch, beiden Gruppen von Literaturwissenschaftlern – und ebenso gewöhnlichen Lesern – zu zeigen, wie viel wir von Lovecraft lernen können.

Als ich den Text aufarbeitete, bin ich ein wenig von den Prinzipien abgewichen, denen ich bei der Herausgabe des erzählerischen Werkes von Lovecraft folgte (Arkham House, 1984–89, 4 Bände). Obwohl ich alle relevanten Textausgaben verglichen habe – den Recluse (1927), den Seriendruck in Fantasy Fan (1933–35), die erste Buchausgabe (The Outsider and Others, 1939) –, habe ich Lovecrafts Titelangaben berichtigt, um sie den heutigen Standards anzupassen. So sind alle Bücher, langen Gedichte und Theaterstücke (gleich welcher Länge) kursiv, alle Kurzgeschichten, kurzen Gedichte und Artikel in doppelten Anführungszeichen gedruckt, Zeitschriften- und Serientitel in Kapitälchen. Lovecrafts beträchtliche Ergänzungen des Essays nach der ersten Veröffentlichung werden durch eckige Klammern gekennzeichnet.

Die Bibliographie am Ende des Bandes gibt detaillierte Informationen über alle Autoren (außer den nur am Rande erwähnten) und Werke, die in Lovecrafts Abhandlung genannt werden. Ich habe in fast allen Fällen versucht, folgende Punkte zu klären: 1. Die Erstveröffentlichung des fraglichen Werks. 2. Wohlfeile moderne oder wissenschaftliche Editionen. 3. Literaturwissenschaftliche Texte über das Werk oder (falls vorhanden) über den Autor. Nur bei Lovecrafts »modernen Meistern« (Arthur Machen,Algernon Blackwood,Lord Dunsany undM. R. James) sowieClark Ashton Smith habe ich mir erlaubt, bibliographische Informationen zu Werken hinzuzufügen, die von Lovecraft nicht erwähnt werden. Weitere unheimliche Werke der anderen Autoren finden sich in den Anmerkungen. Bei fremdsprachigen Werken habe ich sowohl die Erstveröffentlichung des Originaltexts als auch der englischen Übersetzung angeführt. [In der vorliegenden Übersetzung werden deutsche und französische Werke stets mit dem Originaltitel, nicht mit dem Titel der englischen Übersetzung zitiert. – AdÜ] Das Kürzel »LL« am Ende einer Anmerkung bedeutet, dass Lovecraft eine Fassung des Textes in seiner eigenen Bibliothek besaß.

Ich schulde verschiedenen Personen und Institutionen Dank für ihre Unterstützung bei der Zusammenstellung dieses Buches. Ich habe meistens in der John Hay and John D. Rockefeller Library der Brown University gearbeitet und ebenso folgende Bibliotheken genutzt: Providence Public Library, Muncie Public Library in Indiana, Bracken Library der Ball State University, New York University Library und New York Public Library. Folgende Personen haben Informationen beigesteuert: Berry L. Bender, Ronald R. Burleson, Peter Cannon, Jason C. Eckhardt, Steve Eng, William Fulwiler, Jeffrey Greenbaum, T. E. D. Klein, Robert M. Price und David E. Schultz.

[Bei den Erweiterungen und Ergänzungen der Bibliographie um deutsche Übersetzungen werden vorwiegend die deutschen Erstausgaben genannt sowie, soweit vorhanden, eine aktuelle Ausgabe. Es werden nicht sämtliche deutsche Ausgaben oder Übersetzungen angeführt. Einige Ungenauigkeiten im Original wurden stillschweigend berichtigt — Robert N. Bloch]

Abkürzungen in den Anmerkungen

AdÜ — Anmerkung des Übersetzers

CE — Collected Essays(Hippocampus Press, 2004–06, 5 Bände)

D — Dagon and Other Macabre Tales(überarbeitete Ausgabe, Arkham House, 1986)

DH — The Dunwich Horror and Others(überarbeitete Ausgabe, Arkham House, 1984)

ES — Essential Solitude: The Letters of H. P. Lovecraft and August Derleth(Hippocampus Press, 2008, 2 Bände)

FDOC — S. T. Joshi, Hrsg.,H. P. Lovecraft: Four Decades of Criticism(Ohio University Press, 1980)

JHL — John Hay Library, Brown University (Providence, RI)

LAL — Lovecraft at Lastvon Lovecraft und Willis Conover (1975)

LL — S. T. Joshi,Lovecraft’s Library: A Catalogue, überarbeitete Ausgabe (Hippocampus Press, 2012)

MM — At the Mountains of Madness and Other Novels(überarbeitete Ausgabe, Arkham House, 1985)

MW — Miscellaneous Writings (Arkham House, 1995)

OFF — O Fortunate Floridian: H. P. Lovecraft’s Letters to R. H. Barlow(University of Tampa Press, 2007)

SHL — »Supernatural Horror in Literature«

SL — Selected Letters(Arkham House, 1965–76, 5 Bände)

Einleitung

Im November 1925, als Lovecraft allein in der Clinton Street 169 in Brooklyn wohnte, erhielt er von seinem Freund W. Paul Cook ein Angebot, für dessen legendäres Amateurmagazin The Recluse einen Artikel über »das Element des Schreckens & des Phantastischen in der Literatur«[1] zu schreiben. Auf diese harmlose und fast beiläufige Weise entstand einer der wohl bedeutendsten – mit Sicherheit einer der längsten – Essays, die Lovecraft verfasst hat; ein literaturwissenschaftliches Werk, das hinsichtlich des Scharfsinns der historischen Analyse und der prägnanten und gründlichen Untersuchung von modernen Meistern der Phantastik wie Arthur Machen, Algernon Blackwood, Lord Dunsany, M. R. James, William Hope Hodgson, Ambrose Bierce und vielen anderen bis heute unübertroffen ist. Es ist eine traurige Tatsache, dass sich die meisten der besseren Untersuchungen der unheimlichen Phantastik – Edith Birkheads The Tale of Terror (1921), Eino Railos The Haunted Castle (1927), Maurice Lévys Le roman »gothique« anglais (1968) – gänzlich oder zum Großteil mit dem Schauerroman des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts beschäftigen. Mit der Erforschung der ungeheuren Menge hervorragender unheimlicher Phantastik, die von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute geschrieben wurde, tut sich die moderne Literaturwissenschaft hingegen ungewöhnlich schwer. Doch Lovecrafts Abhandlung gewinnt ihre Bedeutung nicht allein, weil sie das ganze Spektrum der Horrorliteratur von der Antike bis in die 1930er Jahre behandelt, sondern gewährt zudem einen Einblick in Lovecrafts eigene Theorie und Praxis des Schreibens unheimlicher Erzählungen.

»Ich werde mir für die Vorbereitung Zeit lassen«[2], bekundete Lovecraft, und genauso geschah es auch. Bis 1925 hatte er natürlich viele der bis dahin erschienenen bedeutenden Werke der unheimlichen Phantastik gelesen, doch er wusste, dass er die Lektüre in großem Umfang würde wiederholen müssen, um seiner Aufgabe gerecht zu werden. Tatsächlich stieß Lovecraft anscheinend erst im Dezember 1925 auf die Werke von M. R. James,[3] und Blackwoods »The Willows« – eine unheimliche Erzählung, die er letztlich als die beste in der gesamten Literatur bezeichnete – hatte er erst im Jahr zuvor gelesen.[4] Machen hatte er 1923 entdeckt (vgl. SL I.228, 233f.), Bierce und Dunsany 1919.[5]

Nachdem er Cooks Anfrage erhalten hatte, gab Lovecraft sofort seine planlose Lektüre unheimlicher Phantastik auf und beschäftigte sich gründlicher und systematischer mit den Klassikern des Genres, wobei er intensiv die New York Public Library und die Brooklyn Public Library nutzte. Anscheinend begann er den Essay Ende 1925 zu schreiben. Bis Januar 1926 hatte er bereits die ersten vier Kapitel verfasst (über den Schauerroman, bis einschließlich Maturins Melmoth the Wanderer) und las Emily Brontës Wuthering Heights, um am Ende des fünften Kapitels darüber zu schreiben;[6] bis März vervollständigte er Kapitel VII über Poe,[7] und bis Mitte April hatte er »den halben Arthur Machen« (Kapitel X) durchgearbeitet.[8] Der Essay wurde wahrscheinlich im Großen und Ganzen bis Mai fertiggestellt, denn zu dieser Zeit erwähnt Lovecraft, er habe das Werk Walter de la Mares noch nicht gelesen – den er letztlich knapp unter den noch lebenden »modernen Meistern« der Phantastik (Machen, Blackwood, Dunsany und James) einstufte –, doch er müsse ihn »unbedingt noch lesen, um dem Artikel den letzten Schliff zu geben«. Angesichts von Lovecrafts Abneigung, eine Schreibmaschine zu benutzen, bedeutet dies wohl, dass der Aufsatz immer noch nur handschriftlich vorlag und er lediglich hin und wieder etwas einarbeitete. Anfang Juni, nachdem er de la Mare gelesen hatte, räumte er ihm dann tatsächlich nicht nur »einen Platz« (SL II.57) in dem Essay ein, sondern fügte »hier & da Absätze hinzu« (SL II.57–58) und setzte auch die beiläufige Lektüre fort. Bis Mitte Oktober 1926 notiert Lovecraft, er habe »das Abtippen des nun vollendeten Aufsatzes über unheimliche Phantastik wegen einiger neu entdeckter Quellenmaterialien in der Providence Public Library aufgeschoben« (SL II.77). (Lovecraft war im April 1926 von New York nach Providence zurückgekehrt.) Worum es sich bei diesem neuen Material handelte, wissen wir nicht, doch scheint Lovecraft das Typoskript bis Ende des Jahres fertiggestellt und an Cook geschickt zu haben. Allerdings ist die Geschichte der Erstveröffentlichung von »Supernatural Horror in Literature« damit noch nicht beendet: Sogar im Mai 1927, als der Essay schon gesetzt worden war, machte Lovecraft weiterhin letzte Ergänzungen auf den Druckfahnen – hauptsächlich, um auf die Werke von F. Marion Crawford (von dem er zuvor nur »The Upper Berth« angeführt hatte) und Robert W. Chambers (SL II.122, 127) hinzuweisen. The Recluse – nur eine einzige Ausgabe ist je erschienen – kam im August 1927 heraus,[9] wobei beinahe die Hälfte Lovecrafts Essay gewidmet war.

Doch Lovecraft machte weiterhin Notizen zu seinem Essay, um ihn später neu zu veröffentlichen. Eine Liste von »Büchern, die in der Neuausgabe des Phantastik-Artikels erwähnt werden sollten«, ist am Ende seines Commonplace Book[10] erhalten, und die meisten Werke aus dieser Liste – John Buchans Witch Wood (1927), Leonard Clines TheDark Chamber (1927), H. B. Drakes The Shadowy Thing (1928) usw. – werden tatsächlich in der überarbeiteten Version des Essays besprochen. Einige der dort notierten Texte wurden jedoch nicht aufgenommen; dabei handelt es sich um (Klammern im Text stammen von Lovecraft):

R. E. Spencer – TheLady Who Came to Stay (1931)

[Hogg – Memoirs of a Justified Sinner?] und weitere

Blackwood – »Chemical« <aus Asquiths Ghost Book [1927]>

»The Undying Thing« von Barry Pain (in Stories in the Dark, 1901)

Lovecraft schrieb in Briefen häufig darüber, ob verschiedene Autoren unheimlicher Phantastik es wert seien oder nicht, in seine Abhandlung aufgenommen zu werden. Die Möglichkeit einer Neuausgabe ergab sich jedoch erst Ende 1933, als Charles D. Hornig den Essay als Serie in seinem Fanzine The Fantasy Fan abdrucken wollte. Offenbar überarbeitete Lovecraft den Essay am Stück und nicht abschnittsweise im Lauf der Veröffentlichung der einzelnen Teile (Oktober 1933 – Februar 1935); tatsächlich scheint er Hornig lediglich eine Kopie von The Recluse mit Randbemerkungen und einigen Schreibmaschinenseiten mit wichtigen Ergänzungen geschickt zu haben.[11] Dies wird durch die Art der Überarbeitungen bestätigt: Neben unbedeutenden Änderungen des Satzbaus gibt es kaum Neuerungen im Text, außer folgenden Ergänzungen:

Kapitel VI: der kleine Absatz über H. H. Ewers und ein Teil des letzten Absatzes (über Meyrinks DerGolem);

Kapitel VIII: der Abschnitt, der mit der Diskussion von Crams »The Dead Valley« beginnt, bis hin zu jenem, der die Geschichten von Edward Lucas White behandelt; der letzte Absatz über Clark Ashton Smith wurde erweitert;

Kapitel IX: der Absatz über Buchan, ein Großteil des langen Abschnitts über die »unheimliche Kurzgeschichte« sowie ein langer Abschnitt über Hodgson.

Von diesen Abschnitten wurde jener über Hodgson separat im August 1934 hinzugefügt[12] (es handelt sich um eine ältere Fassung des Essays, der später als »The Weird Works of William Hope Hodgson«[13] veröffentlicht wurde), während der Text über den Golem ab Mai 1935 überarbeitet wurde, nachdem Lovecraft (dessen ursprüngliche Notiz zum Golem auf der Filmversion basierte) den eigentlichen Roman gelesen und die großen Unterschiede zum Film beunruhigt zur Kenntnis genommen hatte.

Die Artikelserie in TheFantasy Fan endete jedoch mitten in Kapitel VIII, da das Magazin im Februar 1935 einging. Im Spätsommer 1936 plante Willis Conover, den Text in seinem Science-Fantasy Correspondent an der Stelle fortzusetzen, wo er in TheFantasy Fan abgebrochen worden war; das Projekt wurde nie verwirklicht, obwohl Lovecraft Conover im Voraus das kommentierte Exemplar von TheRecluse schickte, das Hornig an ihn zurückgesandt hatte (LAL 86, 97), und zudem noch eine Zusammenfassung der ersten acht Kapitel des Textes verfasste, damit Conover sie als Einleitung zur Fortsetzung drucken konnte.[14]

Die Erstveröffentlichung des vollständigen, überarbeiteten Textes von »Supernatural Horror in Literature« erschien in TheOutsider and Others (1939), herausgegeben von August Derleth. Welche Textfassung Derleth für seine Ausgabe verwendet hat, bleibt ein Rätsel: Die abgebrochene Serie in TheFantasy Fan kann es nicht gewesen sein, da er einige kleine Änderungen im Wortlaut unterschlägt, die Lovecraft darin vorgenommen hatte. Conovers Exemplar von TheRecluse kann er auch nicht genutzt haben, da dieses noch 1975 (vgl. LAL 110 und 259) in Conovers Besitz war. Conover tippte jedoch »ungefähr die Hälfte« des ganzen Essays ab, arbeitete sämtliche Änderungen ein und schickte das Typoskript an Lovecraft. Lovecraft bestätigte den Eingang des Textes und machte einige letzte Korrekturen (LAL 219). Seine tödliche Erkrankung hinderte ihn jedoch daran, das Typoskript an Conover zurückzusenden. Möglicherweise entdeckte Derleth dieses Typoskript in Lovecrafts Papieren, nachdem R. H. Barlow sie der John Hay Library gestiftet hatte, und legte es zusammen mit dem Text aus The Recluse seiner Ausgabe zugrunde. Falls dies zutrifft, hat er das Typoskript nie an die Bibliothek zurückgegeben, da unbekannt ist, wo es sich heute befindet.

Wenn wir davon ausgehen, dass Derleth Lovecrafts Ergänzungen so druckte, wie dieser sie gedruckt haben wollte (und es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, auch wenn uns Derleths Revision des Textes fragwürdig erscheinen mag), müssen wir feststellen, dass Lovecraft bei der Überarbeitung nicht sonderlich sorgfältig vorging. Seine Ergänzungen sind sporadisch, ohne wirkliches Bemühen, das neue Material in die Entwicklungsgeschichte der unheimlichen Phantastik einzufügen, und zweifellos ohne eine systematische oder umfassende Durchsicht des Gesamttextes auch nur in Betracht zu ziehen (eine Arbeit, die für Lovecraft wohl die schrecklichste aller Aufgaben nach sich gezogen hätte – das Abtippen). Besonders erstaunlich ist, dass das letzte Kapitel die phantastischen Spätwerke von Blackwood, Machen (mit Ausnahme von TheGreen Round [1933], das von Lovecraft kurz nach Erscheinen gelesen wurde [SL IV.397]) und Dunsany (insbesondere TheKing of Elfland’s Daughter, TheBlessing of Pan und TheCurse of the Wise Woman, die er alle gelesen hatte [SL I.356; II.277; IV.390; V.268, 353–54) nicht berücksichtigt. Tatsächlich mochte Lovecraft Dunsanys Spätwerk nicht besonders, doch wäre zumindest eine knappe Zusammenfassung dieser und anderer Werke angemessen gewesen.

An dieser Stelle ist es vielleicht sinnvoll, die Frage aufzuwerfen, wie vollständig Lovecrafts Abhandlung überhaupt ist. Die Kritiker waren wenig geneigt, sich Fred Lewis Pattees Urteil anzuschließen, der Essay habe »nichts Wichtiges ausgelassen«[15]: Peter Penzoldt tadelte Lovecraft, weil dieser Oliver Onions und Robert Hitchens nicht einmal erwähnt,[16] während Jack Sullivan Lovecraft nicht zu Unrecht wegen seiner überaus knappen Erwähnung von Le Fanu ins Gebet nahm.[17] E. F. Bleiler schrieb:

Lovecraft verfügte über vorzügliche Kenntnisse der Phantastik zur Zeit König Edwards VII. und der Gegenwart, doch sein Wissen über älteres Material war begrenzt. Was er über den Schauerroman wusste, hatte er bei Edith Birkhead und Montague Summers aufgeschnappt, und darüber ist er kaum hinausgegangen. Von viktorianischer Literatur hatte er nur wenig Ahnung. Le Fanu übergeht er mit einem knappen Kommentar, und die Werke der Mrs J. H. Riddell, Mrs Henry Wood, Mary Braddon, Rhoda Broughton und anderen scheint er nicht gekannt zu haben.[18]

Diese Bemerkung enthält viel Wahres, einige Fehler – Lovecraft lernte Montague Summers’ Untersuchung erst relativ spät in seinem Leben kennen – und einiges ohne Belang. Tatsächlich beweist Lovecraft seine Kenntnis der besten viktorianischen Phantasten mit der Bemerkung, »die Viktorianer begeisterten sich sehr für unheimliche Phantastik – Bulwer-Lytton, Dickens, Wilkie Collins, Harrison Ainsworth, Mrs Oliphant, George W. M. Reynolds, H. Rider Haggard, R. L. Stevenson füllten damit unzählige Seiten«, und dass er die von Bleiler genannten Autoren überging – von denen keiner den geringsten Einfluss in der Geschichte der unheimlichen Phantastik hatte –, kann man nicht bedeutsam nennen. Richtig ist, dass Lovecrafts Lektüre der Schauerliteratur nicht wirklich umfassend war, aber es trifft ebenfalls zu, dass die meisten der paar Hundert Schauerromane, die im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert geschrieben wurden, seine Bezeichnung als »langweiliger Haufen Schund« vollauf verdienen. Für seine kurzen Beispiele der Phantastik in der antiken Literatur hat Lovecraft (obwohl er einige davon aus Sekundärquellen bezog)[19] gewiss Lob verdient, doch wundert es mich ein wenig, dass er die griechischen Epen nicht erwähnt (die verschiedenen Unterweltsreisen bei Homer[20], Vergil[21], Ovid[22] und anderen), die griechischen und römischen Tragödien übergeht (insbesondere Texte wie den grausigen Schluss der Medea[23] von Euripides und die blutrünstigen Dramen Senecas, welche die direkten Vorläufer der von Lovecraft angeführten elisabethanischen Tragödien sind) sowie einzelne Werke wie Lukians Wahre Geschichte oder Catulls Attis-Gedicht 63, die er gelesen haben muss, weglässt.[24] Vielleicht wollte er diesem sehr frühen Material nicht zu viel Bedeutung beimessen, da er vollkommen zurecht behauptete, »die typische Erzählung unheimlicher Phantastik in der Literatur im Allgemeinen« sei »ein Kind des 18. Jahrhunderts«.

Eine der bemerkenswertesten Eigenheiten des Textes ist, zieht man unser Wissen über Lovecraft in Betracht, das Ausmaß, in dem er anderen Autoren Qualitäten zuschreibt, die im Grunde eher in seinen eigenen Arbeiten zu finden sind. Insbesondere hebt er das »Kosmische« – das zentrale Prinzip seines Werks, das auf der Vorstellung von ungeheuren Abgründen aus Zeit und Raum sowie der relativen Bedeutungslosigkeit der Menschheit beruht – bei vielen Autoren hervor, deren wirkliches Verständnis für das kosmische Prinzip wahrscheinlich sehr gering war. So wird von Melmoth the Wanderer behauptet, der Roman offenbare »eine Kenntnis der wichtigsten Quellen echten kosmischen Grauens«, und Machen wird als der beste »lebende Schöpfer kosmischen Grauens« gepriesen. Das Wort »kosmisch« könnte hier lediglich eine rhetorische Ausschmückung sein, denn bereits 1930 glaubte Lovecraft, »das Kosmische bei Bierce, [M. R.] James & sogar Machen« zu finden (SL III.196), während er 1932 geradeheraus anmerkte, dass Machens Vorstellungskraft »nicht kosmisch« sei (SL IV.4). Über Dunsany erfahren wir: »Seine Sichtweise ist wahrhaftig die kosmischste in der gesamten Literaturgeschichte.« Doch 1936 überdachte Lovecraft seine Bewertung: »Was ich bei Machen, James, de la Mare, Shiel & sogar bei Blackwood und Poe vermisse, ist ein Gespür für das Kosmische. Dunsany ... ist der Kosmischste von allen, doch kommt er dabei nicht besonders weit« (SL V.341). Am bemerkenswertesten ist jedoch sein Urteil über Poe:

Poe ... erkannte die wesentliche Unpersönlichkeit des wahren Künstlers; und wusste, dass die Funktion literarischer Fiktion nur darin besteht, Ereignisse und Gefühle so zum Ausdruck zu bringen und zu interpretieren wie sie sind, unabhängig davon, in welche Richtung sie streben oder was sie bekunden – gut oder böse, anziehend oder abstoßend, anregend oder deprimierend – wobei der Autor stets als lebhafter und distanzierter Chronist fungiert und weniger als Lehrmeister, Sympathisant oder Meinungsverkäufer.

Poe-Experten mögen bei der Behauptung, Poe sei »unpersönlich« und »distanziert«, die Stirn runzeln, obwohl es gewiss der Wahrheit entspricht, dass Poe die schulmeisterliche Moral der vorherrschenden viktorianischen Gesinnung verachtete; doch erinnern wir uns an Lovecrafts Darlegung seiner eigenen Ästhetik der unheimlichen Phantastik von 1927:

Alle meine Erzählungen basieren im Wesentlichen auf dem Grundsatz, dass gewöhnliche menschliche Gesetze & Interessen im ungeheuren Gesamtkosmos weder Gültigkeit noch Bedeutung haben ... Um zum Wesen des wahrhaftigen Kosmos [d. h. zum Kosmischen] vorzudringen, ob zeitlich, räumlich oder dimensional, muss man vergessen, dass solche Dinge wie organisches Leben, Gut & Böse, Liebe & Hass & alle hiesigen Eigenschaften einer unbedeutenden & vergänglichen Rasse namens Menschheit überhaupt existieren. (SL II.150)

Es wäre jedoch ungerecht anzunehmen, dass Lovecrafts Analysen auf diese Weise widerlegt würden. Sowohl seine Einschätzungen einzelner Schriftsteller als auch die allgemeinen Bemerkungen über die ästhetischen Grundlagen unheimlicher Phantastik in seinem Essay – die Wichtigkeit von »Atmosphäre«, die kosmische Perspektive, die Bevorzugung von Eindrücken und Bildern gegenüber »bloßen Handlungsstrukturen« – haben sich als gültig erwiesen und wurden von nachfolgenden Studien kaum übertroffen.

Es ist also leicht, Lovecraft im Nachhinein zu kritisieren und sich über das jeweilige Lob für diesen oder jenen Autor zu beschweren;[25] doch kann niemand leugnen (noch hat es irgendwer bislang getan), dass Lovecrafts Werk in den Worten Bleilers »die beste historische Untersuchung unheimlicher Phantastik«[26] bleibt. Auch Jack Sullivan meint, dass »Lovecrafts Essay bis heute die einfühlsamste und originellste Studie des Genres ist«.[27] Und Bleiler unterstreicht zu Recht den Wert der Arbeit Lovecrafts als historische Untersuchung; denn trotz aller Auslassungen bestimmter Autoren und Werke – ob sie nun wichtig sind oder nicht –, verliert Lovecraft nie die historische Entwicklung des Genres aus den Augen, und genau darauf – ebenso wie auf der Analyse bestimmter Autoren, die er »einfühlsam« und genau las – beruht der hauptsächliche Wert des Essays. Poe in den Mittelpunkt zu stellen – sowohl als Resümee der Schauerromantik (erinnern wir uns daran, dass »MS. Found in a Bottle« [1831] nur elf Jahre nach der Veröffentlichung von Melmoth geschrieben wurde) als auch als Schöpfer einer ganz neuen Tradition der Phantastik und der Kurzgeschichte im Allgemeinen – ist sicher eine vernünftige historische Entscheidung, trotz aller Verherrlichung Poes durch Lovecraft. Die nachfolgende Geschichte der unheimlichen Phantastik war, wie Lovecraft wusste, sowohl in Europa als auch Amerika entweder ein Versuch, Poes psychologischen Realismus nachzuahmen oder seinem Einfluss zu entkommen, um weiterhin der nun geschwächten schauerromantischen Tradition zu folgen. Besonders scharfsinnig war es von Lovecraft, aus der ungeheuren Flut unheimlicher Phantastik, die vom späten 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert geschrieben wurde, die vier »modernen Meister« auszuwählen, die, wie wir heute deutlich erkennen, gemeinsam mit Lovecraft selbst die zeitgenössische Phantastik geprägt haben. Dies erscheint umso bemerkenswerter, wenn wir uns bewusst machen, dass drei dieser vier »modernen Meister« (Machen, Blackwood und Dunsany) Lovecraft um rund zehn bis zwanzig Jahre überlebten. M. R. James’ letzter Erzählband, AWarning to the Curious, wurde in dem Jahr veröffentlicht, in dem Lovecraft mit seiner Abhandlung begann, sodass seine Untersuchung von James’ Werk angesichts des Erscheinungsdatums schon beinahe als Rezension betrachtet werden kann.

Bleiler hat bereits auf eine der wichtigsten Quellen des Essays hingewiesen; und das Werk stützt sich – entgegen Derleths anderslautender Behauptung[28] – in den ersten fünf Kapiteln auf fast peinliche Weise auf Edith Birkheads TheTale of Terror (1921). Die Tatsache, dass Lovecraft zu jener Zeit noch nicht einmal Melmoth the Wanderer ganz gelesen hatte, sondern nur die Auszüge in George Saintsburys Tales of Mystery (1891) und Julian Hawthornes Lock and Key Library (1912) (vgl. SL II.36), belegt seine Abhängigkeit von anderen Literaturwissenschaftlern in Bezug auf den Schauerroman. Lovecraft verheimlicht keineswegs, was er Birkhead schuldig ist – er zitiert sie zusammen mit Saintsbury am Ende von Kapitel IV –, aber er übertreibt es auch nicht mit seiner Dankbarkeit.[29] Das Kapitel über kontinentaleuropäische unheimliche Phantastik scheint ziemlich eigenständig zu sein und ist umso wertvoller, da angloamerikanische Literaturwissenschaftler diesen Bereich im Allgemeinen immer noch ignorieren. Auch das Poe-Kapitel war ein früher Durchbruch in der Literaturwissenschaft, obwohl die Informationen über Poes Leben und Hintergrund wahrscheinlich aus George E. Woodberrys Biographie von 1885 stammen.[30] Doch es sind die letzten drei Kapitel – insbesondere Kapitel X –, auf die sich der wissenschaftliche Wert des Essays vor allem gründet. Hier lagen Lovecraft – mit Ausnahme jener über Nathaniel Hawthorne und Ambrose Bierce – so gut wie keine älteren Sekundärwerke vor, die er hätte nutzen können, und es ist interessant, dass sich diese Kapitel fast gänzlich der kritischen Analyse und nicht den biographischen und historischen Zusammenhängen widmen. Wenn man unbedingt etwas aussetzen möchte, könnte man sagen, dass Lovecraft paradoxerweise zu viele Werke zitiert und nicht zu wenige – Werke, die, unabhängig von ihren vielleicht anderweitigen Verdiensten, kaum einen Einfluss auf die Entwicklung des Genres hatten: Die unangemessen lange Analyse von Clines zugegebenermaßen brillantem Roman Dark Chamber (1927) ist ein Beispiel, genauso wie die Erwähnungen von solch vollkommen obskuren Werken wie Gormans ThePlace Called Dagon, Leland Halls Sinister House, die Erzählungen von Mrs H. D. Everett (TheDeath Mask [1920]), Drakes TheShadowy Thing und dergleichen mehr.

Den allgemeinen Wert von Lovecrafts Bemerkungen über Wesen und Funktion der unheimlichen Phantastik – oder eher über seine Art von unheimlicher Phantastik – zu beurteilen, würde wohl den Rahmen dieses Vorworts sprengen, doch lassen sich vielleicht ein paar Hinweise anfügen, insbesondere hinsichtlich der Bedeutung von Lovecrafts Überlegungen für die zeitgenössische Horrorliteratur. Neben vielen beiläufigen, aber überaus scharfsinnigen Bemerkungen in den Briefen waren die In Defence of Dagon betitelten Essays einer der ersten Anlässe, bei denen Lovecraft seine Theorie des Unheimlichen verteidigte. Sie wurden 1921 verfasst, als Teil einer Diskussion mit dem ›Transatlantic Circulator‹, einer angloamerikanischen Gruppe von Amateurjournalisten, die ihre Manuskripte austauschten und wechselseitig kommentierten. Lovecraft schickte einige seiner Geschichten – »Dagon«, »The White Ship«, »The Nameless City« – an die Mitglieder des Circulator, deren im Allgemeinen negative Urteile ihn dazu brachten, seine Theorie der unheimlichen Phantastik in Worten auszudrücken, die jenen in der Einleitung zu »Supernatural Horror in Literature« bemerkenswert ähnlich sind. Betrachten wir die ersten beiden Absätze:

Um auf die negativen Kritiken meiner unheimlichen Erzählung »Dagon« einzugehen, muss ich zunächst einräumen, dass sich alle Werke dieser Art notwendigerweise an einen sehr begrenzten Teil des Publikums richten. In der Literatur unterscheidet man für gewöhnlich drei wichtige Gruppen; Romantik, Realismus und Phantastik. Die erste ist etwas für jene, die Handlung und Gefühle um ihrer selbst willen schätzen; die sich für überraschende Ereignisse interessieren, die einem vorgegebenen künstlichen Muster folgen ...

Die zweite literarische Bewegung – der Realismus, der dem Publikum heute am wichtigsten ist – ist etwas für jene, die eher intellektuell und analytisch als poetisch oder emotional veranlagt sind. Sie ist wissenschaftlich und nüchtern und spottet über Romantiker und Mythenschöpfer gleichermaßen. Sie hat die Tugend, lebensnah zu sein, aber den Nachteil, zuweilen ins Gewöhnliche und Unerfreuliche abzusinken. Sowohl Romantik als auch Realismus haben den allgemeinen Vorzug, fast vollständig von der objektiven Wirklichkeit zu handeln – von Dingen, weniger von dem, was Dinge andeuten. Es fehlt das poetische Element. Romantik spricht das Gefühl an, Realismus den reinen Verstand; beide ignorieren die Phantasie, die einzelne Eindrücke zu prachtvollen Mustern gruppiert und merkwürdige Zusammenhänge und Assoziationen zwischen den Objekten der sichtbaren und unsichtbaren Natur herstellt. (CE V.47)

Diese recht ungewöhnliche Unterteilung der Literatur in drei Kategorien – Romantik, Realismus und Phantastik – erlaubt es Lovecraft, die Bedeutung der letzteren hervorzuheben, indem er behauptet, sie enthalte die besten Eigenschaften der anderen beiden Gruppen: Wie bei der Romantik basiere der Reiz der Phantastik auf Gefühlen (den Gefühlen der Angst, des Staunens und des Schreckens); aus dem Realismus stamme das wichtige Prinzip der Wahrhaftigkeit – nicht die faktische Wahrhaftigkeit, sondern die wahrheitsgetreue Schilderung menschlicher Gefühle. So kommt Lovecraft zu dem etwas überraschenden Schluss, der Phantastik-Autor widme sich »der Kunst in ihrer grundlegendsten Bedeutung«.

Um sich und sein Werk gegen die Vorwürfe der »Krankhaftigkeit« und Unmoral zu verteidigen (Vorwürfe, die immer noch gegen die unheimliche Phantastik erhoben werden), stellt Lovecraft fest, dass das Unheimliche, das Phantastische und sogar das Grauenerregende für eine künstlerische Umsetzung ebenso lohnend sind wie das Erbauliche und Alltägliche. Kein Bereich des menschlichen Erlebens darf dem Künstler verweigert werden; alles hängt von der Gestaltung ab, nicht davon, was man gestaltet. Lovecraft zitiert Oscar Wildes schönes Paradoxon [aus »Die Seele des Menschen unter dem Sozialismus«; AdÜ]:

Ein gesundes Kunstwerk ist eines, dessen Themenwahl auf dem Temperament des Künstlers basiert und diesem direkt entspringt ... Ein krankhaftes Kunstwerk ist hingegen ein Werk ..., dessen Thema vom Künstler bewusst gewählt wurde, nicht weil er daran Vergnügen hätte, sondern weil er denkt, das Publikum würde ihn dafür bezahlen. Tatsächlich ist der populäre Roman, den die Öffentlichkeit für erbaulich hält, stets ein vollkommen krankhaftes Machwerk; und das, was die Öffentlichkeit für krankhaft hält, ist stets ein schönes und gesundes Kunstwerk. (Zitiert in CE. V.62/63)

Auf diese Weise rechtfertigt Lovecraft geschickt seine ungewöhnliche Themenwahl, während er gleichzeitig den populären Bestseller als Produkt verlogener Zeilenschinderei verdammt. Doch weil Lovecraft begreift, dass unheimliche Phantastik unbedingt eines verfeinerten Geschmacks bedarf, sieht er sich gezwungen, immer wieder darauf hinzuweisen, dass er nur für die »Empfindsamen« schreibt – für die wenigen Auserwählten, deren Vorstellungskraft von den prosaischen Zumutungen des Alltags hinreichend befreit ist, um Bilder, Stimmungen und Ereignisse würdigen zu können, die in der Welt, wie wir sie kennen und erleben, nicht existieren. Dies führt zu der folgenden amüsanten Erklärung, als Erwiderung auf die Vermutung eines Circulator-Mitglieds, Lovecrafts Geschichten könnten ein größeres Publikum erreichen, wenn er über »normale Leute« schriebe:

Ich könnte nicht über ›normale Leute‹ schreiben, weil sie mich nicht im Geringsten interessieren. Ohne Interesse gibt es keine Kunst. Zwischenmenschliche Beziehungen fesseln meine Vorstellungskraft nicht. Es ist allein die Beziehung des Menschen zum Kosmos – zum Unbekannten –, die in mir den Funken schöpferischer Phantasie entfacht. Eine homozentrische Haltung einzunehmen, ist mir nicht möglich, da ich mir nicht die primitive Kurzsichtigkeit aneignen kann, durch welche die Erde groß erscheint und der Hintergrund unbedeutend.

Was Lovecraft tatsächlich meint, ist nicht, dass seine Abneigung, über »normale Leute« zu schreiben, auf seinem mangelnden »Interesse« an ihnen basiert, sondern auf der Tatsache, dass solche Leute ihrerseits kein besonderes Interesse an seinen phantastischen Werken haben.

Lovecrafts Verteidigung der unheimlichen Phantastik als Literatur der reinen Vorstellungskraft und als Reservat für einige Auserwählte ist verlockend, und man versteht, wie gut sie die Werke seiner Zeitgenossen und Nachfolger wie Lord Dunsany, E. R. Eddison, Arthur Machen, Clark Ashton Smith, Ramsey Campbell, T. E. D. Klein und Thomas Ligotti rechtfertigt. Andererseits scheint der Bestsellerstatus von Stephen King, Clive Barker und Anne Rice genau von jener »Krankhaftigkeit« motiviert zu sein, die Oscar Wilde im populären Roman ausmachte, und man muss nicht lange überlegen, welche Schriftsteller als Exponenten feinsinniger Literatur überleben und welche als oberflächliche, wenn auch finanziell erfolgreiche Zeilenschinder der Vergessenheit anheimfallen werden.

Ein weiterer Bereich, in dem Lovecrafts Theorie des Unheimlichen für eine aktuelle Diskussion fruchtbar gemacht werden kann, findet sich in seinen Bemerkungen über den ästhetischen Rang des nicht-übernatürlichen Grauens – ein Subgenre, das unter verschiedenen Bezeichnungen wie »Psychothriller«, »Horrorthriller« oder »Dark Mystery« in letzter Zeit sehr populär geworden ist. Ist diese Art Literatur – von Robert Blochs Psycho bis Thomas Harris’ TheSilence of the Lambs – wirklich ein Zweig der unheimlichen Phantastik? Lovecraft äußert sich etwas zweideutig zu diesem Thema, doch entscheidet er sich letztlich dagegen. Seine Analyse solcher Werke wie Poes »The Man of the Crowd« und verschiedener nicht-phantastischer Erzählungen von Bierce in »Supernatural Horror in Literature« könnte so verstanden werden, dass er die Vorstellung einer unheimlichen Erzählung, die auf »abnormer Psychologie und Monomanie« basiert (seine Bezeichnung für eine Gruppe von Poes Erzählungen), nicht grundsätzlich zurückweist; doch der allgemeine Ton seiner Bemerkungen lässt darauf schließen, dass sehr wenige solcher Werke seine Billigung fanden. Ein analytischer Abschnitt in »Supernatural Horror in Literature« versucht, das Unheimliche von dem lediglich Grauenvollen zu trennen: »Diese Art von Literatur des Grauens darf nicht mit jener verwechselt werden, die oberflächlich betrachtet ähnlich erscheint, doch in psychologischer Hinsicht völlig verschieden ist – die Literatur der lediglich physischen Angst und des alltäglichen Grauens.« Diese Unterscheidung klingt im Wortlaut gut, scheint aber kaum auf wirkliche Beispiele anwendbar. Gibt es einen Punkt, an dem das »alltägliche Grauen« so extrem wird, dass es sich in etwas ganz anderes verwandelt?

Lovecraft gründet seine Meinung auf eine etwas komplizierte Argumentation hinsichtlich der Wirkung des Unheimlichen auf unsere Gefühle. Seine kanonische Erklärung des Unheimlichen erscheint am Anfang von »Supernatural Horror in Literature«:

Die echte unheimliche Erzählung bietet etwas mehr als heimtückischen Mord, blutige Knochen oder eine von Bettlaken umhüllte Gestalt, die der Regel entsprechend mit den Ketten rasselt. Eine bestimmte Atmosphäre atemloser und unerklärlicher Furcht vor äußeren, unbekannten Mächten muss vorhanden sein, und es muss eine Andeutung jener schrecklichsten Vorstellung des menschlichen Verstandes geben, welche mit einem dem Thema gebührenden Ernst und auf ahnungsvolle Weise zum Ausdruck gebracht wird – eine bösartige und besondere Aufhebung oder Überwindung jener feststehenden Naturgesetze, die unseren einzigen Schutzwall gegen die Angriffe des Chaos und der Dämonen des unergründlichen Weltalls darstellen.

Diese Ansicht – insbesondere die Idee der Verletzung von Naturgesetzen – hat sich bei Lovecraft über Jahre entwickelt und gründet auf der entscheidenden Feststellung, die unheimliche Phantastik müsse Phänomene schildern, die mit den Mitteln gegenwärtiger Wissenschaft nicht erklärt werden können. Bereits 1921 bemerkte er in einer Untersuchung von »Erzählungen über Psychoanalyse, Telepathie und Hypnose«: »Die Telepathie, das einzige mythische Mitglied dieses Trios, könnte mich eines Tages zu einer Geschichte inspirieren; die anderen beiden werden jedoch wahrscheinlich im Lauf der nächsten Jahrzehnte durch die Wissenschaft systematisiert, sodass sie aus dem Bereich des Phantastischen in den des Realismus übergehen.« Diese Formulierung nutzte er später in seiner berühmten Abhandlung über William Faulkners »A Rose for Emily«. Die Erzählung war in Dashiell Hammetts Creeps by Night (1931) enthalten, einer der vielseitigsten Anthologien unheimlicher Spannungsliteratur, die je zusammengestellt wurde, und in der man alles finden konnte – vom kosmischen Grauen in Donald Wandreis »The Red Brain« bis zu John Colliers conte cruel [frz. »grausame Geschichte«, d. h. Horrorgeschichte ohne phantastische Elemente; AdÜ] »Green Thoughts«. Dieser Band führte zu einer erhellenden Diskussion zwischen Lovecraft und August Derleth, ob Faulkners Erzählung der unheimlichen Phantastik zuzuordnen sei, wobei Derleth dies offenbar bejahte (sein Teil des Briefwechsels ist nicht erhalten), während Lovecraft leidenschaftlich das Gegenteil behauptete. Zunächst beurteilt Lovecraft die Erzählung selbst:

... Ich bestreite keineswegs, dass die Faulkner-Geschichte eine realistische Erzählung von hohem Rang ist. Sie ist ein hervorragendes Werk – aber sie ist nichtunheimlich. Diese Art Grauen verweist nicht im Geringsten auf irgendetwas, das jenseits des alltäglichen physischen Lebens & der gewöhnlichen Natur liegt. Nekrophilie ist entsetzlich genug – doch ist sie es nur physisch, so wie alle abstoßenden Abnormitäten. Sie erregt Abscheu – sie beschwört aber nichts herauf, das jenseits der Natur läge. Uns graut vor Emily als Kannibalin – oder als Adeptin namenloser Sabbat-Rituale –, doch spüren wir nicht die dunkle Ahnung oder den monströsen Zweifel, der auf die Verletzung grundlegender Naturgesetze verweist.[31]

Derleth schien hiervon nicht überzeugt zu sein, also fuhr Lovecraft ausführlicher fort:

Offenkundig schildert [»A Rose for Emily«] etwas Finsteres und Entsetzliches, das geschehen könnte, während der springende Punkt in einer Erzählung unheimlicher Phantastik etwas ist, das unmöglich geschehen kann. Wenn ein unerwarteter Fortschritt in der Physik, Chemie oder Biologie die Möglichkeit eines Phänomens anzeigen würde, das in einer Erzählung unheimlicher Phantastik geschildert wird, dann würde die entsprechende Gruppe von Phänomenen aufhören, im wahrsten Sinne des Wortes unheimlich und phantastisch zu sein, weil sie mit anderen Empfindungen verknüpft sein würde. Sie würde nicht länger eine Befreiung der Phantasie darstellen, weil sie nicht länger eine Aufhebung oder Verletzung der Naturgesetze andeuten würde, gegen deren universelle Vorherrschaft unsere Phantasie rebelliert. (SL III.434)

Lovecrafts Argumentation – von grundlegender Bedeutung für seine Vorstellung von unheimlicher Phantastik – ist überzeugend, doch enthält sie meines Erachtens einige Irrtümer, die uns zumindest dazu zwingen, sie zu modifizieren. Es stimmt wirklich, dass das Schreckliche oder Grauenerregende nicht von sich aus Unheimliches erzeugt; es stimmt auch, dass Nekrophilie entsetzlich ist, doch ist sie nicht nur »physisch« entsetzlich: Die Wirkung von Faulkners Geschichte basiert auf unserer Wahrnehmung der erstaunlichen Geistesverwirrung Emilys, die sie dazu zwingt, ihren Liebhaber zu ermorden, dessen Leiche in ihrem Schlafzimmer aufzubewahren und jahrzehntelang neben ihm zu liegen, bis sie selbst stirbt. Ich denke, dass Lovecraft aufgrund seiner Vorliebe für fremdartigen, kosmischen Horror und seinem allgemeinen Mangel an Interesse für menschliche Wesen (das ist nicht abschätzig gemeint, da ich an einem Desinteresse an Menschen nichts auszusetzen habe) das Ausmaß unterschätzte, in dem die Geheimnisse des Verstandes fast ebenso machtvoll und bizarr sein können wie die Rätsel des Universums. Man muss jedoch zugeben, dass es in Faulkners Erzählung keine »Aufhebung der grundlegenden Naturgesetze« gibt – zu behaupten, sie verletze irgendwie unsere Normen »menschlicher Natur«, wäre sinnlos –, und wenn »A Rose for Emily« letztlich im Grenzland des Unheimlichen bleibt, so steht sie diesem Bereich doch näher, als Lovecraft dies zugeben wollte. Aber widerspricht Lovecraft nicht seiner eigenen späteren Ästhetik der unheimlichen Phantastik, wenn er sozusagen die nicht-phantastische Horrorgeschichte aus der Domäne des Unheimlichen vertreibt, indem er behauptet, dass nur jene Geschichten dazugehören, die irgendwelche abnormen Ereignisse schildern, die »unmöglich geschehen können«? Die Antwort liegt in folgendem Briefzitat von 1931:

Die Zeit ist gekommen, da die natürliche Rebellion gegen Zeit, Raum und Materie eine Kunstform hervorbringt, die nicht gänzlich mit dem unvereinbar ist, was wir als Realität bezeichnen – da sie sich in Bildern ausdrückt, die eher Ergänzungen denn Widersprüche zum sichtbaren und messbaren Universum darstellen. Und wäre es nicht denkbar, dass eine Form nicht-phantastischer kosmischer Kunst dieses Gefühl der Rebellion befriedet – und gleichzeitig das verwandte Gefühl der Neugier befriedigt? (SL III.295–96)

Möglicherweise gehört diese Bemerkung eher zur Technik als zur Metaphysik der unheimlichen Phantastik; anders ausgedrückt, Lovecraft skizziert eine Methodik unheimlicher Literatur, in der ein wissenschaftlich-realistischer Hintergrund gewahrt bleibt, während solche Szenarien und Phänomene vermieden werden, die die moderne Wissenschaft nachweislich verworfen hat (z. B. Geister, Werwölfe, Vampire etc.). Folgendes schreibt er in seinen »Notes on Writing Weird Fiction«:

Unvorstellbare Ereignisse und Umstände müssen ein besonderes Hindernis überwinden, und dies kann nur erreicht werden, indem man in allen Phasen der Erzählung einen sorgsamen Realismus aufrechterhält, außer in jenen, die sich auf das eine, singuläre phantastische Element beziehen. Dieses phantastische Element muss besonders eindrucksvoll und gründlich gestaltet werden – mit sorgfältigem emotionalen »Spannungsaufbau« –, sonst wirkt es platt und nicht überzeugend. (CE II.177)

Selbst wenn man diese Äußerung metaphysisch interpretiert, sollte man sie nicht so verstehen, als akzeptiere Lovecraft jene Gruppe nicht-phantastischer Phänomene – Nekrophilie, Kannibalismus, grauenhafte Morde –, die er zuvor verworfen hatte: diese würden keine »nicht-phantastische kosmische Kunst« repräsentieren. In Lovecrafts eigenen späteren Erzählungen finden wir vielmehr eine Umsetzung dieses Konzepts in Gestalt von etwas, das Matthew H. Onderdonk auf Englisch »supernormal«, d. h. »außergewöhnlich« genannt hat: »Mit wissenschaftlichen Mitteln ersonnene Götter und zugehörige Sagen übernehmen den Platz des einfältig-kindlichen Aberglaubens und der im engeren Sinne poetischen Götter unserer Vergangenheit.«[32] Dies bedeutet, dass die verschiedenen »übernatürlichen« oder phantastischen Phänomene in Lovecrafts Erzählungen nicht die Naturgesetze als solche sprengen, sondern nur unsere Vorstellungen von den Naturgesetzen. Dies wird in einem sehr sorgsam formulierten Abschnitt in »Notes on Writing Weird Fiction« deutlich:

Ich ziehe unheimliche Erzählungen vor, weil sie meinen Neigungen am besten entsprechen – einer meiner größten und hartnäckigsten Wünsche ist es, die flüchtige Illusion [Hervorhebung durch Joshi] einer seltsamen Aufhebung oder Verletzung der ärgerlichen Grenzen von Zeit, Raum und Naturgesetzen hervorzurufen, die uns auf ewig einkerkern und unsere Neugier auf den unendlichen Kosmos jenseits unseres Horizonts und unseres Verstandes stets unbefriedigt lassen. (CE II, 175–76)

Lovecrafts literarisches Spätwerk ist eine systematische Ausarbeitung dieser Idee.

Es scheint, als hätten wir uns von »Supernatural Horror in Literature« weit entfernt, aber in Wirklichkeit kann man Lovecrafts vollständige Theorie der unheimlichen Phantastik in Grundzügen in diesem Essay finden. Dieser spielt im Wortsinne eine zentrale Rolle in seinem Werk: Er wurde ungefähr in der Mitte seiner schriftstellerischen Laufbahn verfasst, ein Jahrzehnt nach dem Beginn seiner ernsthaften literarischen Tätigkeit (»The Tomb«, 1917) und ein Jahrzehnt vor seinem Tod 1937. Noch wichtiger war, dass diese Abhandlung ihm nicht nur ermöglichte, seine Ansichten über die unheimliche Phantastik in Worte zu fassen, sondern offenbar auch seine Kreativität beflügelte: Es ist sicher kein Zufall, dass Lovecraft, kurz nach dem Abschluss des Großteils seiner Arbeit an dem Essay im Sommer 1926, eine Flut literarischer Texte hervorbrachte, darunter »The Call of Cthulhu« (1926), »Pickman’s Model« (1926), »The Silver Key« (1926), The Dream-Quest of Unknown Kadath (1926–27), The Case of Charles Dexter Ward (1927) und »The Colour out of Space« (1927).

»Supernatural Horror in Literature« enthält zudem wichtige Hinweise auf literarische Vorbilder von Lovecrafts eigenem Werk. Eine sorgfältige Lektüre sowohl der bekannten als auch der obskuren Werke, die in dem Essay erwähnt werden, kann einiges über die Quellen von Lovecrafts Geschichten ans Licht bringen: Drakes TheShadowy Thing hat eindeutig »The Thing on the Doorstep« beeinflusst; Gormans ThePlace Called Dagon könnte »The Shadow over Innsmouth« und »The Dreams in the Witch House« inspiriert haben; »The Haunter of the Dark« greift auf »Die Spinne« von Hanns Heinz Ewers zurück. Viele weitere dieser Einflüsse könnten durch eine weitere Auseinandersetzung mit dem Text aufgespürt werden. Man muss wohl nicht darauf hinweisen, dass diese rein literarischen Quellen die grundlegende Originalität von Lovecrafts Werk nicht infrage stellen, denn er wandelte in seinen späteren Arbeiten alles um, was er sich bei anderen ausborgte, und machte etwas vollkommen Eigenständiges daraus: Die Tage, als er Dunsany oder Machen sklavisch imitierte, waren längst vorbei.

Lovecraft steht es zweifellos frei, seinen Essay mit der für ihn typischen übertriebenen Bescheidenheit als »einen überaus oberflächlich skizzierten Querschnitt – basierend auf einer verbrecherisch planlosen Lektüre & mitsamt einiger kläglich bedauernswerter Lücken – & Einschübe« (SL II.209) abzutun. Jeder, der sich mit Lovecrafts Werk beschäftigt, wird darin jedoch eine unerschöpfliche Informationsquelle zu seinem Leben, seiner Arbeit und seiner Denkweise entdecken, während es für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der unheimlichen Phantastik wertvolle Erkenntnisse über Theorie und Praxis dieses Genres bietet. Anstatt anzunehmen, Lovecraft habe mit dem Schreiben und Überarbeiten dieses Essays irgendwie seine Zeit vergeudet, sollte man lieber für solch eine glückliche Vereinigung kreativer und analytischer Genialität dankbar sein.

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[1]Lovecraft an Lillian D. Clark, 11. bis 14. Nov. 1925 (Manuskript, JHL).

[2]Ebendort.

[3]Lovecraft an Lillian D. Clark, 13. Dez. 1925;Letters from New York(San Francisco: Night Shade, 2005), S. 253.

[4]Lovecraft an Lillian D. Clark, 29./30. Sept. 1924;Letters from New York, S. 63.

[5]Zu Dunsany sieheSLI.91f.; zu BierceSLII.222.

[6]SieheSLII.36 (5. Jan. 1926).

[7]Lovecraft an Lillian D. Clark, 5. März 1926 und 6. März 1926 (JHL).

[8]Lovecraft an Lillian D. Clark, 12./13. April 1926;Letters from New York,S. 301.

[9]SLII.60. In denSList dieser Brief auf Juli 1926 datiert, aber das ist sicher ein Fehler. Stattdessen muss es Juli 1927 heißen, denn in dem Brief wird erwähnt, die beiden RomaneThe Dream-Quest of Unknown KadathundThe Case of Charles Dexter Wardseien bereits abgeschlossen, und diese wurden zwischen Ende 1926 und Anfang 1927 verfasst.

[10]Abgedruckt in David E. Schultz’ Ausgabe desCommonplace Book(West Warwick, RI: Necronomicon Press, 1987), I.14/15.

[11]Vgl.:LaL, S. 86 und 97. Außerdem diese Bemerkung in einem Brief an J. V. Shea vom 8. bis 22. Nov. 1933 (JHL): »[Etidorphavon John Uri Lloyd] hat es nur ganz knapp nicht mehr in meine Abhandlung geschafft«, was darauf hinweist, dass die ganze Überarbeitung (oder zumindest die Überarbeitung von Kapitel VIII, wo dieser Text vermutlich zur Sprache gekommen wäre) bereits abgeschlossen war. Es ist unwahrscheinlich, dass Lovecrafts Bemerkung ein Urteil überEtidorphabeinhaltet, z. B. dass der Roman es nicht verdient hätte, in seine Abhandlung aufgenommen zu werden.

[12]»Ich habe einen Abschnitt [über Hodgson] vorbereitet, um ihn meiner Abhandlung an passender Stelle einzufügen (gegen Ende von Kapitel IX), & habe ihn an Hornig geschickt.« Lovecraft an R. H. Barlow, 22. Aug. 1934 (OFFS. 168). Offenbar war bereits eine vollständig revidierte Fassung an Hornig geschickt worden.

[13]»Inzwischen habe ich auf [Herman C.] Koenigs Bitte hin einen kurzen Artikel über Hodgsons Geschichten verfasst – er wird Ihnen zusammen mit einem biographischen Artikel von ihm selbst zugehen.« Lovecraft an Wilson Shepherd, 29. Mai 1936 (JHL).

[14]Diese Zusammenfassung, erstmals inWeird Tales 2(47. Jg., Herbst 1973), S. 52–56 abgedruckt, ist von Conover separat unter dem TitelSupernatural Horror in Literature as Revised in 1936(Arlington, VA: Carrollton-Clark, 1974) herausgegeben worden und findet sich darüber hinaus inLaL, S. 147–153.

[15]Rezension vonSupernatural Horror in Literature(Ben Abramson, 1945),American Literature18 (1946), S. 175.

[16]Vgl.The Supernatural in Fiction(1952); teilweise nachgedruckt inFDOC, S. 63f. (aber vgl. auch meine Anmerkung dort).

[17]Vgl.Elegant Nightmares: The English Ghost Story from LeFanu to Blackwood(Athens: Ohio University Press, 1978), S. 32.

[18]Brief an die Redaktion,Times Literary Supplement, 17. Juli 1981, S. 814. Der Brief war eine Reaktion auf S. S. Prawers Lob von »Supernatural Horror in Literature« in seiner Besprechung vonFDOCimTimes Literary Supplement(19. Juni 1981), S. 687.

[19]Lovecrafts Zitat aus dem Brief von Plinius dem Jüngeren an Sura (Dagon, S. 371) stammt aus denMasterpieces of Mystery(1920) von Joseph Lewis French. Lovecrafts Bezugnahme auf »Philinnion und Machates« von Phlegon (dto.) stammt wahrscheinlich aus denGreek and Roman Ghost Stories(1912) von Lacy Collison-Morley.

[20]Odyssee, 11. Buch (Odysseus).

[21]Georgica, 4. Buch (Orpheus);Aeneis, 6. Buch (Aeneas).

[22]Metamorphosen, 10. Buch (Orpheus) – wahrscheinlich eine Parodie auf Vergil.

[23]»Der entsetzliche Tod von Glauke und Kreon wird in aller Breite in dem fürchterlichen Stil beschrieben, den Euripides so meisterlich beherrschte – reiner Grand Gignol.« H. D. F. Kitto,Greek Tragedy(1939), Kapitel 8.

[24]Lukians Werk hat wahrscheinlichThe Dream-Quest of Unknown Kadathbeeinflusst, denn in beiden Texten findet sich eine fast identische Szene, in der sich eine Galeere plötzlich in die Luft erhebt. Zu Catull vgl. »The Rats in the Walls« (1923): »Als Atys erwähnt wurde, erfasste mich ein Schauder, denn ich hatte Catull gelesen und wusste einigermaßen über die entsetzlichen Rituale der Götter des Ostens Bescheid, die anscheinend ohne Unterschied zusammen mit Kybele verehrt wurden« (DH37).

[25]T. O. Mabott bemerkt in seiner Rezension vonThe Outsider and Others(American Literature12, 1940), dass Lovecraft dazu neigt, »Stevenson zu unterschätzen«, während sowohl er als auch Edmond Wilson (»Tales of the Marvellous and the Ridiculous« [1945], nachgedruckt inFDOC, S. 46f.) den Eindruck haben, Lovecraft würde Dunsany in übertriebenem Maße loben. (Wilson war auch der Meinung, dass Lovecraft Machen zu hoch einschätzte.) Keins dieser Urteile ist von der späteren Kritik erhärtet worden.

[26]Einleitung zur Dover-Ausgabe vonSupernatural Horror in Literature