Das Vaterland und seine Mörder - Thomas Napp - E-Book

Das Vaterland und seine Mörder E-Book

Thomas Napp

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Beschreibung

Es ist das Jahr 1922. Seit einigen Jahren ist das Rheinland von den Franzosen, US-Amerikanern, Engländern und Belgiern besetzt. Vom Rhein aus Richtung Berlin besteht eine mehrere kilometerlange entmilitarisierte Zone. In den Großstädten Köln, Koblenz und Mainz sind Besatzungssoldaten stationiert. Lediglich ein schmaler Landstreifen zwischen Königswinter und Bad Hönningen ist unbesetzt. In dieser neutralen Zone, die vom Reste Deutschlands so gut wie abgeschnitten ist, herrscht große wirtschaftliche Not. Es fehlt an Lebensmitteln. Zahlreiche Menschen schmuggeln daher Waren und Lebensmittel von der US-Armee. Das Geschäft läuft gut, was den Besatzungsmächten jedoch missfällt. Sie fordern eine Unterbindung dieser Aktivitäten. Im Oktober 1922 spitzt sich das Thema zu. Ein Mord an dem Bahnwärter Mühlenbein in Rheinbreitbach zwingt die Landgendarmerie etwas dagegen zu unternehmen. Die Vermutung liegt nahe, dass Mühlenbein von dem Schmuggler Küpper umgebracht wurde. Das Motiv soll ein Streit um Schmuggelware aus einem Zug gewesen sein. Küpper steht unter Mordverdacht. Doch der vom 1. Weltkrieg gezeichnete junge Landpolizist Karl Abendroth wird misstrauisch als er einen silbernen Totenkopfring am Tatort findet. Entgegen dem Willen seines Vorgesetzten macht er sich daran mehr über den Ring herauszufinden und stößt hierbei auf ein dunkles Geheimnis.

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Seitenzahl: 97

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Kapitel 1: Der Beutezug

Kapitel 2: Der Flugzeugmotor

Kapitel 3: Der Gehängte

Kapitel 4: Das Geständnis

Kapitel 5: Ein Besuch im Gasthaus

Kapitel 6: Das Verhör

Kapitel 7: Eine unerwartete Überraschung

Kapitel 8: Der Unkeler Bahnhof

Kapitel 9: Die Verfolgungsjagd

Kapitel 10.: Eine unliebsame Entdeckung

Vorwort

Es war Anfang der 1920er Jahre, als in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg große Not und großer Hunger herrschten. Der Aufstand der Matrosen im November 1918 in Kiel hatte das Kaiserreich und die Monarchie zu Fall gebracht, um den seit 1914 menschenverzehrenden „Großen Krieg“ zu beenden. Die erste Republik auf gesamtdeutschen Boden entstand.

Im Waffenstillstand von Compiègne sowie dem Frieden von Versailles wurde dann die Besetzung des Rheinlandes durch Engländer, Franzosen, Belgier und US-Amerikaner beschlossen. Rund um die Städte Koblenz, Köln und Mainz wurden rechtsrheinisch Brückenköpfe gebildet, die unter Verwaltung der Engländer, Franzosen und US-Amerikaner standen. Sie dienten als Sicherung, um einen potenziellen Angriff der neugegründeten deutschen Republik gen Westen zu verhindern. Das Rheinland diente zudem als Faustpfand für die von Deutschland zu zahlenden Reparationen an die Siegermächte.

In dieser politischen Gemengelage unterlief den Siegermächten des 1. Weltkrieges jedoch ein fundamentaler Fehler. Zwischen den rechtsrheinischen Brückenköpfen entstanden sogenannte neutrale Zonen, die zwar offiziell zur neugegründeten deutschen Republik gehörten, doch weitgehend von der Infrastruktur vom Rest Deutschlands abgeschnitten waren.

So eine neutrale Zone entstand auch zwischen Königswinter und Bad Hönningen. Die Menschen dort hungerten. Es fehlte an Nahrungsmitteln, Arbeitsplätzen, Kohlen und Wohnraum. Das Geld war nichts mehr wert. Die Grenzen der Zone von französischen und englischen Soldaten bewacht.

In dieser Situation gab es für viele nur eine Möglichkeit, um zu überleben: den Schmuggel und den Diebstahl von Waren aus den besetzten Städten.

Die hier dargestellten Ereignisse, Personen und Zusammenhänge sind rein fiktiv, basieren aber teilweise auf Begebenheiten, die wirklich stattgefunden haben.

1. Kapitel: Der Beutezug

Es war der 23. Oktober 1922. Über den Feldern des kleinen Dörfchens Rheinbreitbach lag tiefe Dunkelheit. Der Mond war hinter einer dicken Wolkendecke verschwunden. In der Ferne konnte man die dunklen Umrisse des Siebengebirges sowie des Rolandsbogens erahnen. Nur das leise Rauschen des Rheins war einwandfrei zu hören.

Doch die völlige Dunkelheit trügte nur in ihrer Weite. Bei genauerem Hinsehen war inmitten der Felder ein kleines Licht zu sehen. Es schien aus dem Fensterchen eines kleinen Holzhäuschens. Der flackernde Schein einer Öllampe erhellte hierbei den am Haus vorbeiführenden Gleisstrang. Das Licht tanzte elegant auf den blank gefahrenen Gleisen der schweren Dampflokomotiven.

Zwei aufrechtstehende Bahnschranken sowie ein hölzerner Gleisüberweg gaben sich ebenfalls im Schein der Lampe aus der Dunkelheit zu erkennen.

Offenbar handelte es sich um einen Bahnübergang für die Kleinbauern von Rheinbreitbach für ihre Felder am Rhein.

Im Inneren des kleinen Holzhäuschens saß an einem kleinen Schreibtisch ein Bahnwärter. In seiner blauen Eisenbahneruniform hatte er auf der Tischplatte ein Tuch ausgebreitet. Auf diesem lagen ein Stück Speck sowie ein Stück Brot. In einer weißen emaillierten Tasse hatte er sich einen Schluck Breitbacher Wein eingegossen. Ein schmackhaftes Überbleibsel aus den Tagen des vergangenen Kaiserreichs vor dem Großen Krieg. In Zeiten der aktuellen Not ein wahres Festmahl. Der Bahnwärter rieb sich freudig die Hände. Mit einem kleinen Messer schnitt er sich ein Stück Speck ab und steckte es sich mit der Messerspitze vorsichtig in den Mund. Vor Entzücken schloss er die Augen und ließ sich den Geschmack des Specks beim Kauen auf der Zunge zergehen. Einige Sekunden kaute er so genüsslich auf dem Stück Speck herum, bevor er es hinunterschluckte.

Doch seine schmackhafte Mahlzeit wurde abrupt unterbrochen. Er nahm aus weiter Entfernung ein immer näherkommendes Geräusch wahr. Mit zunehmender Nähe und Lautstärke konnte er ein Zischen und Schnaufen erkennen. Ein Dampfzug näherte sich. Schnell zog der Bahnwärter seine Taschenuhr heraus und schaute auf die Zeiger. Es war kurz vor zwölf.

Zügig stand er auf, nahm eine Signallampe von einem kleinen Regal und wechselte dort die farbige Glasscheibe von Grün in Rot. Dann zündete er die Signallampe an und löschte die andere Lampe auf seinem Schreibtisch.

Der Zug war mittlerweile immer nähergekommen. Die Gleise vibrierten schon unter den Kolbenschlägen der ankommenden Dampflok. Nun musste es schnell gehen.

Mit großen Schritten verließ der Bahnwärter das hölzerne Schrankenhäuschen. Den Gleisen folgend ging er mit der roten Signallampe in der Hand dem sich nähernden Dampfzug entgegen. In einiger Entfernung konnte er schon die drei weißen Zugleuchten erkennen, die der Dampflok die Gleisstrecke erhellten. Zügig kamen diese immer näher. Gleichzeitig wurde das Stampfen, Zischen und Fauchen der Dampfmaschine immer lauter. Sie wirkte in der Dunkelheit wie ein schnaubender Drache, der sich von Unkel kommend den Weg in Richtung Bad Honnef und dem Drachenfels bahnte.

Mittlerweile hatte der Bahnwärter begonnen mit seiner roten Signallampe hin- und herzuschwenken. Nun wartete er darauf, dass die Lokomotivführer auf sein Signal reagierten.

Zuerst schien es, als ob der Dampfzug ungebremst weiterfahren wollte, doch dann setzte mit einem quietschenden Geräusch das Bremsmanöver ein. Immer weiter verlor die Dampflok an Geschwindigkeit, bis diese kurz vor dem Bahnwärter mit seiner roten Signallampe stehen blieb.

In der Dunkelheit konnte man die Länge des Zuges in Umrissen erahnen. Mehrere hölzerne Güterwaggons der preußischen Eisenbahn waren an eine preußische P8 Lokomotive gehängt. Die Schiebetüren der Waggons waren mit einfachen Eisenriegeln und einem Schloss gesichert.

Mit wenigen Schritten war der Bahnwärter am Führerstand der Lok angelangt. Dort standen schweißgebadet und verrußt ein Heizer und der Lokführer. Auf dem Kopf eine schwarze Eisenbahnermütze. Mit fragenden Blicken schauten sie von der Dampflok auf den Bahnwärter hinab: „Was ist los? Warum hältst du den Zug an?“

Der Bahnwärter setzte eine ernste Miene auf und antwortete mit hochgezogenen Augenbrauen: „Einem Bauern ist seine Kuh aus dem Stall abgehauen. Das blöde Vieh steht nun auf den Gleisen, und er versucht sie von den Gleisen herunterzubekommen.“

Der Heizer und der Lokführer schauten sich mit einem müden Lächeln an. „Na hoffentlich dauert es nicht zu lange. Wir dürfen keine Verspätung haben. Die Engländer warten in Beuel auf den Zug.“

„Das wird nicht lange dauern. Aber ihr wisst ja, wie stur Kühe sein können“, antwortete der Bahnwärter und begann zu lachen, welches der Heizer und der Lokführer erwiderten.

Nun kletterte der Lokführer vom Führerstand herunter. „Na gut. Wenn wir hier schon stehen, kann ich auch die Zugwagen kontrollieren gehen. Bei dem schlechten Zustand der Wagen kann ab und an immer etwas kaputt gehen.“

Doch bevor der Lokführer seinen Kontrollgang zum Ende des Zuges beginnen konnte, hielt ihn der Bahnwärter auf.

„Lass mich das erledigen. Ich sitze sowieso die meiste Zeit an meinem Schreibtisch im Schrankenhäuschen. Da tut mir ein wenig Bewegung ganz gut. Ihr hingegen habt den Rest der Fahrt noch vor euch und müsst die Dampfmaschine bedienen.“

Der Lokführer hielt kurz inne und tauschte einen Blick mit seinem Heizer aus. Er merkte, wie ihnen beiden die Schweißperlen als Ergebnis ihrer körperlich schweren Arbeit von der Stirn rannen. Eine Pause täte ihm tatsächlich ganz gut.

Er nickte dem Bahnwärter zu. „Ja. Du hast Recht.“

Mit diesen Worten schwang er sich wieder auf den Führerstand und nahm sich einen Flachmann mit Schnaps, den er nach einem tiefen Schluck seinem Heizer weiterreichte.

Währenddessen begann der Bahnwärter mit seiner Signallampe den Kontrollgang die Güterwagen entlang. Um besser sehen zu können, hatte er das rote Glas nun gegen ein weißes ausgetauscht. Mit dem Schein der Lampe leuchtete er die Güterwaggons ab. Weiße Wagennummern zeigten an, woher der Wagen kam und was er geladen hatte. Lediglich mit einer entsprechenden Liste konnte man sie entziffern. Die Schlösser an den Schiebetüren schienen alle in Ordnung. Alles war ruhig. Nur das regelmäßige leise Schnaufen der Dampflokomotive war in einiger Entfernung immer wieder zu hören.

Doch auf der Hälfte seines Kontrollgangs nahm er plötzlich ein Rascheln im Dickicht neben den Bahngleisen wahr. Erschrocken leuchtete er mit seiner Signallampe einen großen Strauch aus und versuchte zu erkennen, was sich dort befand.

„Nimm die Lampe runter, Willi!“, raunte eine Stimme. Mit den Händen vor den Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln kam nun ein Mann aus dem Dickicht zum Vorschein. Erleichtert nahm der Bahnwärter die Lampe herunter. Offenbar kannte er den Überraschungsgast. Dieser konnte nun seine Hände wieder von den Augen nehmen. Im trüben Schein der Lampe kam nun ein pechschwarz gefärbtes Gesicht zum Vorschein. Trotz der Bemalung konnte man auf seiner Wange eine Narbe erkennen.

„Seid ihr bereit, Fritz?“, fragte Willi nun nach. Fritz grinste nur und ließ einen kurzen Pfiff durch die Zähne zischen.

Kurzerhand erschienen aus dem Dickicht am Bahndamm vier weitere Personen. Es waren drei Männer und eine junge Frau. Alle waren dunkel gekleidet und hatten sich das Gesicht dunkel gefärbt.

„Welcher Waggon ist es denn?“, fragte Fritz nun den Bahnwärter.

„Es ist die 18“, kam sofort die Antwort.

Mit einer Handbewegung wies Fritz die anderen an zum Waggon 18 zu gehen. Hierbei versuchten sie so wenig wie möglich Geräusche zu machen. Auf dem rutschigen Gleisschotter war dies jedoch nicht immer möglich.

Wenige Augenblicke später hatten sie den Waggon 18 gefunden. Mit einem mitgebrachten Bolzenschneider knackten sie das Vorhängeschloss und schoben leise die Waggontüre zur Seite.

Der Bahnwärter leuchtete mit seiner Laterne in den dunklen Bauch des Waggons. Der Laternenschein fiel dabei auf eine große Holzkiste sowie mehrere kleinere Stückgutpaletten mit Schachteln. Darauf stand in schwarzen Buchstaben geschrieben BAHLSEN Kekse oder Corned Beef US.

Sofort kletterten die schwarz vermummten Gestalten in den Waggon hinein und begannen einzelne Schachteln in mitgebrachte Jutesäcke zu verstauen. So schnell es sich machen ließ, packten sie so viel sie tragen konnten ein. Währenddessen stand der Bahnwärter Schmiere und leuchtete immer wieder mit der Laterne auf und ab.

Nach wenigen Minuten hatten Fritz und seine Kumpane so viel eingepackt, wie es nur ging. Zwei von ihnen, darunter die junge Frau, machten sich sofort mit der Beute auf und verschwanden im Dickicht an den Bahngleisen.

Die beiden anderen Männer sowie Fritz begannen nun die große Kiste in der Mitte des Waggons an den Seitenausgang zu schieben. Alle drei Männer bemerkten hierbei das ansehnliche Gewicht der Kiste.

Erschrocken über die Arbeit der drei Männer in dem Waggon, fuhr der Bahnwärter Willi Fritz an. „Seid ihr wahnsinnig?! Die Kiste bekommt ihr niemals da raus! Das fällt doch sofort auf, wenn die weg ist!“

Doch Willi beruhigte ihn: „Die Kiste hat eine spezielle Fracht für uns geladen.“ Mit einem leichten Grinsen deutete er auf das Adressschild, auf dem Friedrich Münchhausen geschrieben stand.

„Den Empfänger gibt es in Wirklichkeit gar nicht. Die Kiste haben unsere Freunde in Koblenz speziell für uns hier hinein verfrachtet.“

Doch diese Aussage beruhigte den Bahnwärter keineswegs. Aufgebracht wandte er sich an Fritz: „Das fällt doch in den Ladepapieren auf. Wenn einzelne Kisten von Zwieback und Dosenfleisch fehlen, ist das noch irgendwo am Empfangsbahnhof zu vertuschen. Aber ihr wollt, dass eine ganze Kiste aus dem Laderegister verschwindet.“

„Lass das mal unsere Sorge sein, Willi“, versuchte Fritz ihn zu beruhigen. Doch der sah seine Anstellung als Bahnwärter in Gefahr und fuhr Willi an.

„Das mache ich nicht mit. Wenn ihr anfangt, solche großen Dinger zu drehen, will ich einen größeren Anteil von der Beute. Letztlich trage ich das größte Risiko bei den ganzen krummen Raubzügen!“

Kurz schaute Fritz die beiden anderen Männer in dem Eisenbahnwaggon an, die nur still dastanden. Dann fuhr er sich kurz übers Gesicht. Er dachte an den Inhalt der Kiste, mit welchem er einen guten Gewinn einfahren könnte. Gleichzeitig wollte er diesen sich nicht durch Willi schmälern lassen.

Letztlich nickte er dem Bahnwärter zu.

„Dann hilf jetzt aber auch beim Abladen“, raunte ihn Fritz an.