Das Vermächtnis des Captain Kidd Band 1 - Romina Bunk - E-Book
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Das Vermächtnis des Captain Kidd Band 1 E-Book

Romina Bunk

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Beschreibung

Die Karibik 1715 - Gewalt, Machtspiele und Plünderei geben den Takt an im dunklen Piratenzeitalter. In einer Welt, gefüllt von gnadenlosen, arglistigen Seeräubern, muss der junge Londoner Arzt Colin Dewane selbst zum Piraten werden, um zu überleben. Vierzehn Jahre nach der Hinrichtung des verurteilten Piratencaptains William Kidd konkurrieren die karibischen Piraten auf der gefährlichen Suche nach dessen Vermächtnis - der vergrabene Schatz der Quedagh Merchant. Als der gefürchtete Captain Henry Austen das Handelsschiff überfällt, auf dem Colin als Wundarzt dient, bewahren ihn allein seine chirurgischen Fähigkeiten davor, wie der Rest der Mannschaft nach einem nervenaufreibenden Kampf niedergestreckt zu werden. Die Crew der Ocean Duke nimmt Colin gefangen und entführt ihn auf das gefahrenreichste Abenteuer seines Lebens. Auf seiner Reise lernt Colin, was wahre Freiheit, Liebe und Kameradschaft bedeuten, aber auch wie sich Verlust, Verrat und Hilflosigkeit anfühlen. Die Crew der Ocean Duke bekommt es nicht nur mit den schlimmsten Gegnerischen Piraten zu tun, sondern ebenfalls mit korrupten Matrosen der Royal Navy, die sich den Schatz selber unter den Nagel reißen wollen. Vor Colin liegt eine ereignisreiche Zeit, in der er zum Mann wächst - und zum Piraten.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Ähnliche


Table of Contents

Das Vermächtnis des Captain Kidd

Impressum

Trigger Warnung

Vorwort der Autorin

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Danksagung

Weitere Werke der Autorin

Das Vermächtnis des Captain Kidd

Band 1

Impressum

 

Romina Bunk

Das Vermächtnis des Captain Kidd – Band 1

 

Deutsche Erstausgabe September 2024

© 2024 Romina Bunk

© Covergestaltung: János Weyhknecht

 

Romina Bunk

Bielefelder Str. 2

32130 Enger

[email protected]

 

Trigger Warnung

A hoi, du Landratte! Komm und setz dich her, ich spinne dir ein bisschen Seemannsgarn. Hast du schon einmal von Captain Henry Austen gehört, dem grausamsten aller Piraten? Oh, ich sage dir, du tust gut daran, draußen auf offenem Meer die weiße Flagge zu hissen, wenn du seine Jolly Rodger am Horizont erblickst. Ich kann dir so einiges über ihn erzählen, glaube mir. Aber vorher muss ich wissen, ob du nicht zu zart besaitet bist. Was ich dir zu berichten habe, handelt von Gewalt, Schlachten, Nahkämpfen, Blut, schweren Verletzungen, Tod und Kindstod, Selbstmord, derbe Sprache und sexuellen Handlungen. Wenn dir jetzt schon schlecht wird, dann geh lieber hinüber zu den Kindern und hol dir einen Becher voll Milch, ha ha ha. Nein, wahrlich: es ist keine Schande, wenn du weiche Knie bekommst, also entscheide dich rasch. Wenn ich erstmal zu erzählen beginne, dann höre ich so schnell nicht wieder auf. Denn über Henry Austen … gibt es eine Menge zu berichten.« - Albert Carter

 

Vorwort der Autorin

 

Liebe * r Leser * in,

der alte Carter hat mit seiner Warnung nicht übertrieben. Dieser Roman besitzt Inhalte, die für sensible und empfindliche Menschen erschreckend und verstörend sein könnten. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um und wende dich an Freunde, deine Familie oder professionelle Hilfestellen, falls du während des Lesens auf Probleme stößt oder betroffen von ähnlichen Situationen bist, die in diesem Roman vorkommen. Bleib damit nicht allein!

 

Ich wünsche allen Leser*innen genauso viel Spaß beim Lesen meines Romans, wie ich beim Schreiben hatte, und bedanke mich, dass ihr meine Figuren auf ihrem Abenteuer begleitet.

 

Eure Romina

 

 

Hinweis: Dieser Roman ist rein fiktiv und dient der Unterhaltung.

Die meisten Figuren sind frei erfunden und die Handlungen und Dialoge der vorkommenden historischen Personen haben so nicht existiert bzw stattgefunden. Die Zeitangaben und die Beschreibungen von realen Orten und der Piratenschiffe sind historisch größtenteils nicht korrekt.

Widmung

Für all jene, deren Herzen mit der nächsten

Flut in See stechen wollen

Prolog

22. Mai 1701 – London

 

Völlige Finsternis. Bei geschlossenen Augen blieb ihm selbst das Licht der Nachtsonne verwehrt und es vermochte nicht, seine trüben Gedanken zu erhellen.

Um ihn herum legte sich eine alleinherrschende Stille; nicht einmal eine Katze streunte draußen auf dem Hof herum. Ausschließlich die leicht verschnupfte Nase machte beim Atmen leise Geräusche wie ein verstopfter Blasebalg. So lag Colin da, in seinem Bett, gerade ausgestreckt auf dem Rücken und die Hände ruhend ineinander gefaltet auf der Brust. Seit Einbruch der Nacht grübelte er darüber nach, ob es sich wohl so anfühlen mochte, tot zu sein. Wenn die ganze Welt um einen herum verstummte und man sie nicht mehr sehen konnte, ihre wunderschönen Farben. Das saftige Grün, das die Bäume bald wieder tragen würden und derzeit mit unzählbaren Knospen ankündeten. Die vielen kleinen bunten Blumen, die zu dieser Jahreszeit an jedem Wegesrand aus dem Boden sprossen. Angespannt legte er die Stirn in Falten. Bei den Gedanken an den morgigen Tag zogen sich seine Gedärme schmerzhaft zusammen.

Wie es wohl dem Mann ergehen mochte, für den die Finsternis morgen endgültig werden würde? Gewiss lag auch er jetzt wach. Colin konnte sich kaum ausmalen, welch Ängste er durchleben musste, wo er selbst doch bereits vor Furcht schauderte, morgen einfach nur anwesend zu sein. Doch er durfte sich nicht fürchten. »Der Tod ist der ewige Begleiter eines Arztes.«, hatte Vater gesagt. Colin musste sich also an den Anblick gewöhnen. Er atmete schwer aus und öffnete die Augen. Ob Mutter wohl noch böse war? Sie hieß diese Lehrmethoden nicht gut. Nun, Vater würde es besser wissen. Schließlich war er einer der angesehensten Ärzte hier zu Lande und Mutter war nur eine Frau. Unruhig drehte sich Colin auf die Seite.

Er hatte Mutter doch lieb. Er wollte sie genauso sehr glücklich wissen, wie er seinen Vater stolz machen wollte. Aber er hatte es Vater versprochen. Und Versprechen musste man halten.

Colin zuckte bitterlich zusammen, so plötzlich holte ihn ein Klopfen unten an der Haustür aus seinen Gedanken. Wer mochte das nur sein zu dieser Stunde? Sicher hatte die Turmuhr bereits zur Mitternacht geschlagen. Seine Neugierde überbot die Furcht und so sprang er aus dem Bett und tapste auf nackter Sohle zur Zimmertür.

Er öffnete sie einen Spalt weit und spähte vorsichtig hindurch. Auf dem kleinen Flur war alles finster. Noch einmal ertönte das Klopfen, dann öffnete sich die Tür des Schlafgemachs seiner Eltern und Vater erhellte den Flur mit Kerzenlicht.

Colin hörte, wie er die Treppen hinunterschlurfte und dem späten Besuch auftat. Nun gab es für ihn kein Halten mehr.

 

Auf Zehenspitzen folgte er Vater nach unten. Die Stube des Pubs wirkte in der Nacht recht unheimlich, mit den vielen leeren Tischen und Hockern. Deren hölzerne Beine warfen im Mondlicht Schatten, die für Colins Augen wie die von blutrünstigen wilden Tieren wirkten. Er traute sich nicht an ihnen vorbei und blieb auf der letzten Treppenstufe stehen.

Vater war so groß und breit, dass Colin den Besuch nicht sehen konnte. An der Stimme erkannte er aber, dass es ein Junge sein musste. Der weinte und schniefte laut. Nicht verwunderlich, dachte Colin im Stillen. Wenn man so spät durch die Gassen wanderte, musste etwas geschehen sein.

»So«, hörte er Vater verärgert flüstern. »Das wird ihnen Linderung verschaffen, nimm. Aber wenn du irgendjemandem erzählst, dass du das von mir hast, dann-«

»Werde ich bestimmt nicht«, sagte der Junge eilig. »Danke, Doctor Dewane!«

Colin versuchte, einen Blick auf den Jungen zu erhaschen, da hatte Vater die Tür bereits wieder geschlossen.

In sich hineingrummelnd stapfte er auf die Treppe zu, auf dessen letzten Stufe noch immer sein Sohn stand.

»Dieser Bengel hetzt mir noch die Kirche auf den Hals …«

Colin sah ihn fragend an.

»Wer war das, Vater?«

»Niemand von Belangen.«

Er wuschelte ihm durchs Haar und stieg ohne ein weiteres Wort die Treppe hinauf. Colin warf einen letzten Blick auf die Tür, dann ließ er sich von dem warmen Kerzenlicht zurück in sein Zimmer geleiten.

 

Der nächste Morgen begann früh. Ehe Colin sich versah, stieg er mit seinen Eltern in die Kutsche, die sie nach Wapping an der Themse bringen sollte.

Onkel Albert saß bereits darin und machte große Augen, als Colin einstieg.

»Robert? Bist du dir sicher?«, fragte er Vater. Bestimmend schloss der die Kutschtür. Das Gehäuse wackelte leicht, als er sich in den Sitz neben Mutter fallen ließ.

»Er soll sehen, was mit bösen Menschen geschieht.«

»Soso … Und was genau eine Hinrichtung ist, weiß er auch?«

»Mühe dich nicht, Albert«, mischte sich Mutter ein und schaute verbissen aus dem Fenster. »Deine Worte werden abprallen, wie an einem Felsen.«

»Er ist alt genug«, sagte Vater, und jetzt konnte sich Colin sicher sein, dass sie über ihn sprachen.

»Hat man dich mit zwölf auch mitansehen lassen, wie sie einen Piraten hängen?«

Fragend schaute Colin links zu Onkel Albert hoch. Seine lieben, gütigen Gesichtszüge waren ihm so vertraut, wie sein eigenes Spiegelbild. Daher konnte Colin deuten, dass sein Onkel ein wenig in Sorge zu sein schien.

»Was ist ein Pirat?« Offenbar war sein Onkel noch nicht fertig, mit Vater zu sprechen, aber der schaute genauso stur aus dem anderen Fenster, wie Mutter es auf ihrer Seite der Kutsche tat, und antwortete ihm nicht. Stattdessen schlug er einmal kräftig an die Decke und die Kutsche fuhr los. Onkel Albert seufzte und schaute zu Colin herunter.

»Piraten sind sehr, sehr böse Menschen, Colin. Alles, was du heute sehen wirst, hat er verdient. Das Hängen ist ein unehrenhafter Tod, mein Junge. Aber bei den Taten, die der böse Mann verbrochen hat, ist das nur gerecht.«

 

Sogleich, als sie aus der Kutsche stiegen, nahm Mutter Colin fest bei der Hand, dass es schon beinahe wehtat. Dabei verstand er gar nicht, warum sie ihn schützen wollte.

Ja, es waren unzählbar viele Menschen hier versammelt, doch sie schienen allesamt freudig gestimmt, wie bei einem Fest. Sie lachten, sie jubelten, zwei Frauen tanzten sogar zu gespielter Musik. Ein Lächeln huschte über Colins Gesicht und schnell vergaß er, was hier eigentlich geschehen sollte. Einen Moment sah er sich um und hielt nach Gauklern und Scharlatanen Ausschau, wie jene, die Vorführungen auf Straßenfesten gaben. Plötzlich klatschten die Leute, wie bei eben solchen Vorführungen, und Colin schaute vorfreudig in die Richtung, aus der das herannahte, was eifrig bejubelt wurde.

Er machte ganz große Augen und wischte sich immer wieder die rabenschwarzen Strähnen aus dem Gesicht, die der Wind in sein Blickfeld pustete. Eine Kutsche, so vornehm wie Colin sie noch nie zuvor gesehen hatte, fuhr an ihnen vorbei. Gezogen wurde sie von Pferden, deren Fell in der Sonne glänzte wie Speck.

Es folgten Reiter auf ebenso edlen Pferden. Anmutig saßen sie in den Sätteln und das Hufgetrappel ihrer treuen Tiere betäubte beinahe das Jubeln der Menschen. Hinter den Reitern liefen Männer im strammen Marsch in Reih und Glied, allesamt gekleidet in leuchtend blauen Uniformen. Viele junge Frauen riefen ihnen etwas zu, das Colin nicht verstehen konnte, weil Mutter ihm grimmig die Ohren zuhielt. Er wunderte sich, warum er es nicht hören durfte, wo sich doch einige der Uniformierten darüber zu freuen schienen und den Frauen flüchtig ein Augenzwinkern zuwarfen, bevor ihr Blick wie aus Stein gemeißelt zurück nach vorn wanderte. Dann beugte sich Onkel Albert zu ihm herunter und Mutter ließ seine Ohren wieder frei.

»Na, Junge«, lächelte er. »Gefallen dir die Uniformen?«

Eifrig nickte Colin.

»Unterstehe dich, Albert«, sagte Vater streng, aber mit einem Schmunzeln. »Er wird Arzt, hörst du?«

Onkel Albert lachte und richtete sich unter wild durcheinander wehenden braunen Haaren wieder auf. Fröhlich entfernte Colin seinen Blick von ihm und schaute wieder nach vorn. Wie durch einen Schlag verlor er sein Lächeln. Nun war er es, der Mutters Hand fest drückte. Ein Karren klapperte holprig an ihnen vorbei. Auf dem erbauten Podest saß ein in Ketten gelegter Mann, der in Lumpen gekleidet und mit Unrat übersäht war. Sein Haar wirkte zerfetzt, überall fehlten Strähnen, als wären sie von seinem Kopf gepickt worden.

Bei seinem Anblick erschauerte Colin und erinnerte sich, warum sie heute hier waren. Dieser Mann würde sterben. Und das vor den Augen aller hier.

Die Stimmung der Leute kippte. Wütend verzogen sie die Gesichter, spuckten aus, schlugen vor sich in die Luft oder warfen fauliges Gemüse nach dem Mann.

Doch auch, als ihn ein dicker Kohlkopf an die Stirn traf, duckte der sich nicht. Er hielt sein Kinn erhoben, so stolz, wie ein Adelsmann. Hatte er denn keine Angst? Er musste doch wissen, was gleich mit ihm geschehen würde, oder etwa nicht?

Es war nur ein flüchtiger Augenblick und in Windeseile wieder vorüber, aber als der Karren bei ihnen angekommen war, schaute der Mann zu Colin herunter und ihre Blicke trafen sich. Colin erstarrte und hielt die Luft an. Nun konnte er ihn sehen, all den Schmerz, der in den Augen des Mannes lag, und all die Pein, durch die er gegangen sein musste. Kurz bevor der Wagen sie passiert hatte, lächelte der Mann schwach, ehe er den Blick wieder nach vorn richtete und stolz seinem Schicksal entgegensah. Mutter hatte es anscheinend bemerkt. Kräftig zog sie Colin an sich heran. »Robert, ich werde ihn hier wegbringen. Hör doch, er soll das nicht mitansehen.«

Vater ergriff seine freie Hand und zog ihn ein Stück von Mutter weg. »Es ist Zeit, Brittany. Wenn er es jetzt nicht mitansieht, wird er zum Mann wachsen, ohne, dass ihn so etwas noch beeindruckt. Er muss lernen, was ihm widerfährt, sollte er vom rechten Wege abkommen. Wenn du und Albert keinen anständigen Menschen aus mir gemacht hättet, würde ich hier und heute gleich neben Kidd aufgeknüpft werden. Ich sorge dafür, dass Colin gar nicht erst errettet werden muss.«

Mit einem Ruck setzte Vater sich in Bewegung und Colin wurde unsanft von ihm hinterhergezogen. Colin schaute über die Schulter nach hinten. Onkel Albert hatte einen Arm um Mutter gelegt, als wollte er sie trösten. Sicher war sie traurig, weil Vater so streng zu ihr gesprochen hatte. Am liebsten wollte Colin sich losreißen und zu den beiden zurücklaufen, aber dann wäre Vater auch auf ihn böse. Außerdem kamen Mutter und Onkel Albert ihnen bereits hinterher, um mit ihnen hinter der Karawane herzulaufen.

Als sie vor dem Execution Dock angekommen waren, war der böse Mann auf dem Podest aufgerichtet worden. Links und rechts wurde er von zwei Marinesoldaten gehalten, als fürchteten sie, er könnte fliehen.

Die Ketten an seinen Händen und Füßen klirrten bei jeder seiner Bewegungen und machten Colin ein wenig Angst. Zum Glück stand Mutter nun wieder dicht neben ihm. Sofort griff er nach ihrer Hand.

Ein Uniformierter mit langer weißer Perücke unter seinem anmutigen Hut trat vor und zog in einer flüssigen Bewegung eine Schriftrolle auseinander, die dabei ein zischendes Geräusch von sich gab.

»So verkünde ich nun die Anklage!«, rief er so laut, dass alle Menschen auf dem Platz ihn hören konnten.

»Captain William Kidd, Ihr werdet bezichtigt des Mordes an Eurem Geschützoffizier Mister William Moore, und der Piraterie, zu der Ihr Eure Mannschaft habt hinreißen lassen! Das Urteil lautet: Schuldig!«

Die Menschen auf dem Platz jubelten boshaft, riefen böse Wünsche aus und wollten den Mann endlich hängen sehen.

»Ihr werdet hiermit verurteilt, zu hängen, bis zum Tode! Die Vollstreckung erfolgt unverzüglich.«

Die Meute wurde bei seinem Angesicht immer zorniger und wollte wohl, dass er in die Knie ging; dass er Reue zeigte und um Gnade flehte.

Aber das tat er nicht. Stolz und erhobenen Hauptes blieb er auf dem Podest stehen. Der Mann mit Perücke rollte das Pergament wieder zusammen und hob einen Mundwinkel in die Höhe.

»Das hier ist Eure letzte Gelegenheit, Reue zu zeigen, Captain Kidd.«

Erst, als besagter Mann tief einatmete, wurde der Tumult ruhiger, bis er schließlich ganz verstummte.

»Ich werde keine Reue zeigen«, sagte der Verurteilte laut. »Reuevoll sind die Schuldigen, und das trifft auf mich wohl kaum zu.« Der Marinesoldat verschränkte die Arme. »Eure Lügen stoßen hier nicht auf Gehör, Captain Kidd. Ihr stelltet Euch aus freiem Willen. Wer würde so etwas tun, wenn nicht ein reuevoller Schuldiger?«

»Ein Mann, der sich seine Ehre bewahrt und nun genau dort steht, wo er stehen will. Lügen sind genauso fehl am Platz, wie Reue, und beides spreche ich hier nicht aus. Wenn es Euch aber Freude bringt, so bekenne ich mich schuldig des Mordes an William Moore. Obgleich ich ihn nicht tötete, sondern gegen ihn kämpfte, im Zuge dessen er tödlich verunglückte.«

Wieder entfachte unter den Leuten lauter Protest, aber der Verurteilte ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Doch Pirat bin ich nicht!« Der Protest wurde immer lauter und Colin klammerte sich eingeschüchtert an den Rock von Mutter.

Der Mann richtete sich an das Volk. »Seht in mir, was Ihr sehen wollt! Seht einen Mörder; seht einen Piraten! Seht ein herzloses Monster, oder gar den Teufel selbst! Schauet und ergötzt Euch an meinem Tod so lange, wie Euch beliebt – es ist mir gleich!

Aber höret meine Worte: Ich bin keiner der Verbrecher, die wahrhaft an den Galgen gehören! Da draußen auf dem Meer gibt es Männer und Frauen, so grausam, wie es sich niemand von Euch vorstellen könnte! Lachen würden sie über Euren geliebten Galgen, und lachen tue auch ich! Der Tod macht mir keine Angst! Ich will in keiner Welt leben, die den Piraten nicht Herr werden kann und nun auch noch selbst dafür sorgt, dass sie immer mächtiger werden! Ohne mich ist der Schatz der Quedagh Merchant nicht vor der Gier der Piraten sicher und für die Krone verloren. Aber nachdem diese mich tot sehen will … ist das nur gerecht.« Plötzlich wurde alles still. Verschwörerisches Gemurmel breitete sich unter den Schaulustigen aus. Der Uniformierte wirkte leicht amüsiert.

»Ihr behauptet also weiterhin, einen unermesslichen Schatz an Land vergraben zu haben? Die gesamte Fracht der Quedagh Merchant, dessen Frachtraum mehrere Tonnen an Kostbarkeiten beherbergen konnte?«

»Da draußen gibt es Inseln, zu denen noch niemand von Euch vorgedrungen ist«, erklärte William Kidd. Colin wurde allmählich unruhig; er verstand nicht viel von den Worten, die hier gesprochen wurden. Fragend schaute er zu Onkel Albert auf, der sich verstohlen zu Vater herüberlehnte.

»Hältst du das für möglich, Robert?«

Vater blieb nüchtern. »Wie soll er das denn angestellt haben, hm? Verbann es aus deinem Kopf, oder wirst du auf deine alten Tage noch ein Abenteurer, Albert?«

»Nicht doch. Auf mich wartet der Ruhestand, mein Freund.«

»Es wird der Tag kommen, an dem Euer aller Lachen verstummt«, machte der Verurteilte weiter. »Und dank Menschen wie Euch, wird es England nicht sein, dem mein Vermächtnis zu Teil wird. Doch der Name Kidd wird wieder reingewaschen werden.«

William Kidd schaute entschlossen in die Menge.

»Ich glaube an dich, Henry!«

Colin stolperte nach links; ein fremder Mann schob sich nach vorn und drängte ihn sowie Mutter unsanft beiseite. Er war in dunkle Kleidung gehüllt und sein halbes Gesicht wurde von einer Kapuze verdeckt.

»Könnt Ihr nicht Acht geben?«, beschwerte Vater sich, doch der Fremde beachtete ihn gar nicht.

Colin bemerkte, dass er wie erstarrt auf den Verurteilten blickte und dieser auch auf ihn. Colins Blick wanderte von einem zum anderen. Die Männer schienen sich zu kennen. Die Erwachsenen um Colin herum bemerkten es nicht, aber er sah ganz genau, dass der Fremde ihm zu Hilfe eilen wollte. War er auch ein böser Mann? Ein Pirat?

»Schön«, verkündete der Uniformierte und zog Colins Blick wieder auf sich. »Ihr seid ein Lügner und Märchenerzähler, und obendrein schuldig Eurer Verbrechen. Ihr habt selbst dafür gesorgt, dass Euch ein christliches Begräbnis verwehrt bleibt. Nach Eintritt Eures Todes wird Euer sündhaftes Fleisch geteert und anschließend über der Themse gibbetiert. Möge Euer Leichnam noch lange zur Abschreckung Eurer Mitsünder dienen.«

Wie von diesen herzlosen Worten ausgelöst, verschleierte die Sonne hinter den Wolken und der Himmel verdunkelte sich.

Der Marinesoldat gab ein Handzeichen und die Männer neben dem Verurteilten führten ihn von dem Podest herunter.

Der Fremde neben Colin wurde unruhig. Plötzlich sah er etwas in der Hand des Fremden aufblitzen. Seine Augen weiteten sich. War das ein Messer?! Panisch japste er ein und erwartete furchtvoll etwas Schlimmes, doch widererwartend blieb der Fremde inmitten der Menge stehen. Colin folgte seiner Blickrichtung und fand schließlich das Gesicht von Captain William Kidd, der an ihnen entlanggeführt wurde und den Fremden im Vorbeigehen anschaute.

Seine Haltung versprühte pure Akzeptanz und er schüttelte den Kopf. Colin starrte zurück auf das Messer, das sich direkt vor seiner Nase befand. Es war so scharf, dass es das Licht einfing und als flüchtiges Glitzern wiedergab.

Der Fremde rührte sich nicht. Mit zitternder Hand schob er das Messer unter den Ärmel seines Mantels. Colin klammerte sich an Mutter und versuchte zu vergessen, was er gerade gesehen hatte.

Der Mann mit Perücke, der das Urteil verkündet hatte, schaute den Verurteilten spottend an.

»Na, na, Captain Kidd, Ihr zittert ja. Habt wohl doch Angst, was?« Besagter Mann beugte sich ganz dicht zu ihm und entgegnete gelassen: »Mir ist kalt. Sputet Euch, sonst erfriere ich noch, bevor es Euch gelingt, mich zu hängen.«

Der Fremde neben Colin ließ ein Zischen zwischen seinen Zähnen entweichen. Das spottende Grinsen auf dem Gesicht des Uniformierten verschwand und er gab das Zeichen, Captain Kidd abzuführen. Trommelschläge ertönten und der Pirat wurde über die Themse zum Execution Dock geführt, wo ihm auf dem Schafott anschließend eine Schlinge um den Hals gelegt wurde.

»Schweine«, hörte Colin Vater fluchen.

»Was ist?«, fragte Mutter ihn.

»Das Seil«, erklärte Onkel Albert, der Vaters Ansicht zu teilen schien. »Es ist eine kurze Schlinge.«

»Sein Genick wird nicht brechen. Er soll elendig ersticken«, vollendete Vater.

»Na prima«, zischte Mutter. »Und das lässt du Colin mitanschauen!«

Die Trommelschläge ertönten in kleineren Abständen und Colin konnte sie in seiner Brust spüren. Tack Tack Tack, Tack Tack Tack. Immerzu tippelten die Stäbe in den Händen der Matrosen auf und ab und schienen Colins Herzschläge zu steuern. Dann ganz plötzlich verstummten sie und Mutter hielt ihm mit den Händen die Augen zu.

Um ihn herum ertönte entsetztes Einatmen und auch Mutter erschrak. Er befreite sich von ihren Händen und schaute furchtvoll zum Schafott. William Kidd saß auf dem Hintern mit einer durchtrennten Schlinge um den Hals. Colin blickte zur Seite und vernahm die Abwesenheit des Fremden. Hatte er den Piraten doch noch gerettet?

»Das Seil ist gerissen«, ertönte es überall als erschrockenes Flüstern. Auf dem Schafott kam es zu Handgreiflichkeiten und schließlich wurde der Henker ergriffen.

»Ah«, grummelte Onkel Albert zu Mutter. »Riven Brawley … Offenbar war das sein letzter Patzer als Henker …«

»Was meinst du?«, fragte Mutter ihn. Onkel Albert zuckte die Achseln. »Er ist bekannt für seinen Sanftmut. Keine passende Eigenschaft für solch einen Beruf.«

»Du meinst, er hat das Seil absichtlich reißen lassen?«

»Damit sie ein längeres nehmen, ja. Dumm nur, dass sie noch so eines haben. Und wahrscheinlich wird hiernach eine weitere Hinrichtung folgen.«

»Du glaubst, sie hängen den Henker?«

»Das werden sie. Er hat sich zu viel erlaubt.«

Und wie Onkel Albert es gesagt hatte, holte man einen weiteren kurzen Strick, legte ihn Kidd um den Hals, die Trommeln ertönten erneut, verstummten, und kurz darauf hing der Mann am Galgen. Colin erschrak bei diesem Anblick. Die Beine des Mannes zappelten wie die der Figuren eines Puppenspiels, und trotz der Entfernung konnte Colin sehen, dass er gequält die Zunge herausstreckte.

Colins Blut sackte ihm in die Zehen, und als reichte ihm dieses Schauspiel noch nicht, beugte sich Onkel Albert zu ihm herunter und sagte: »Weißt du, wie die Piraten das nennen, Junge? Einen Tanz mit Jack Ketch halten.«

Erbost ließ Mutter ihre flache Hand auf Onkel Alberts Schulter niederfallen, ehe dieser sich wieder aufrecht hinstellte.

»Du bist unmöglich, Albert!«

Colin wollte gerade sein Gesicht in Mutters Rock vergraben, da hockte sich Vater zu ihm hinunter und ergriff mit Daumen und Zeigefinger sein Kinn, was ihn das Gesicht wieder zum Geschehen drehen ließ. »Sieh genau hin, Sohn«, sagte er mahnend. »Präg es dir gut ein. Das geschieht mit bösen Menschen. Davor können sie nicht davonlaufen; früher oder später nimmt ihr Sein an diesem Ort ein Ende. Ich will, dass du es niemals vergisst, Colin, niemals! Ich habe dich hergebracht, weil ich dich liebe und nicht will, dass deine Mutter und ich dich eines Tages dort hängen sehen müssen, verstehst du?«

Mit Tränen in den Augen nickte Colin.

»Gut. Ich bin stolz auf dich.« Vaters große Hände ergriffen sanft seinen Kopf und er drückte ihm einen Kuss auf die Schläfe.

»Nun geh mit deiner Mutter. Iss Kuchen mit ihr daheim und trink einen Becher voll Milch.«

Er richtete sich wieder auf und Mutter ließ es sich nicht zwei Mal sagen, Colin hier wegbringen zu dürfen. Augenblicklich nahm sie ihn bei der Hand und kämpfte sich mit ihm durch die Menschenmenge, die noch lange bleiben würde, um Captain William Kidd hängen zu sehen.

Und dieses Bild … prägte sich Colin wahrhaftig ein.

 

Kapitel 1

In dem ratternden Kutschgehäuse flog Colin beinahe sein Lederkoffer um die Ohren. Er war überfordert mit der Entscheidung ihn stärker festzuhalten oder weiterhin den besten Freund seines Vaters zu stützen, der neben ihm bei jedem Huckel schmerzhaft auf sein hageres Gesäß plumpste.

Albert Carters alte Knochen hatten mit dieser Höllenfahrt deutlich zu kämpfen. Wieder machten sie alle drei einen Satz auf ihren Sitzen. Colin schloss angespannt die Augen und betete, sie mochten diese Fahrt lebend überstehen. Währenddessen rutschte sein engster Freund vor ihm von links nach rechts, da er keinen Sitznachbarn hatte, dessen Körper ihn in der Kurve stoppte.

»Um Himmels Willen!«, stieß Colin aufgebracht aus. »Ist der Kutscher betrunken?«

»Nein, ist er nicht, und genau das ist das Problem!« Grimmig klopfte der junge Kaufmann gegen die Wand. »Geht das nicht schneller, Kutscher?!«

Fassungslos starrte Colin in das Gesicht vor ihm, dessen kindlich wirkenden Hamsterbacken vor Aufregung rot angelaufen waren. »James, bist du von Sinnen?! Die Pferde werden ausrutschen; wir kommen noch um, deinetwegen!«

»Wenn Darcy Jr. stirbt, ist es aus mit meiner Karriere, Colin! Dann zahlt sein Vater nicht einen Groschen mehr für Reparaturen meines Schiffes!«

»Dann solltest du lernen, besser zu segeln«, polterte Alberts Stimme wie die Kutschräder über das Pflaster. Noch einmal schlug James gegen die Wand, die so sehr klapperte, dass das ganze Gehäuse in sich zusammenzubrechen drohte.

»Schneller, sage ich!«

 

Kaum hatte die Kutsche das Gehöft der Darcys passiert, stieß James die Tür auf, packte seinen besten Freund am Kragen und sprang mit ihm hinaus, noch ehe die Pferde zum Halten kamen.

Colin blieb sein Protest im Halse stecken, denn sogleich rannten ihnen etliche Bedienstete über den Hof entgegen und riefen außer sich vor Besorgnis seinen Namen. James neigte ohnehin nicht zu Übertreibungen; der Unfall, den Elliot Darcy auf dem Handelsschiff seines Vaters gehabt hatte, musste wirklich schwerwiegend gewesen sein. Die beiden verloren keine Zeit, auf Albert Carter zu warten, und liefen den Bediensteten hinterher, die ihnen eilig den Weg in das Herrenhaus wiesen. Etliche Pfützen und aufgeweichte, nasse Erde platschten unter ihren Füßen. In Windeseile war ihre Kleidung mit erdigen Spritzern übersäht, was Colin nicht weniger verärgerte als James. Der Sommer 1715 kehrte bloß ganz gemächlich ein und wollte die dichten Regenwolken der so sehr herbeigesehnten Sonne nicht recht weichen lassen.

Etwas, worüber sich Darcy Senior nun am allerwenigsten scherte.

Zerfressen von Sorge und Furcht stürmte er auf Colin los, da hatte dieser noch keinen einzigen Schritt über die Türschwelle getan. Der beleibte Handelsmann war schweißdurchnässt, was die Altersflecken auf seinem fülligen Gesicht zum Glänzen brachte. Sein Mantel und das lichte Haar wehten noch einen Moment nach, als er vor Colin zum Halten kam und seine fleischigen Hände in dessen schmale Brust grub.

»Oh, Doctor Dewane, dem Himmel sei Dank! Ihr seid da! Bitte eilt Euch, mein Junge stirbt! Er stirbt! Bitte rettet ihn, Doctor!«

Nun hatte Colin keine Zweifel mehr, dass es wahrhaftig schlecht um den Erben dieses Hauses stand. Er verschwendete keine Worte; es war höchste Eile geboten. »Bringt mich zu ihm, Sir!«

Die etlichen Treppenstufen zu den Gemächern der Familie erklommen, musste Mister Emmet Darcy sich erst einmal sammeln. Seine Knie hatten Höchstarbeit leisten müssen, sein Gewicht in dieser Geschwindigkeit die unzähligen Stufen hinaufzubefördern, und so ließ er sein wabbelndes Gesäß auf der letzten Treppenstufe niederfallen. Seine Nasenlöcher waren so geweitet, wie die Nüstern eines Pferdes nach einer längeren Galoppstrecke. In einer Mischung aus Schnaufen und Keuchen gab er ihnen zu verstehen, dass er ihnen sogleich folgen würde, also übernahm James unaufgefordert die Führung. Er kannte dieses Herrenhaus, als wäre es sein eigenes.

Doch auch ohne James’ Führung hätte Colin sich zurechtgefunden. Je näher sie dem richtigen Zimmer kamen, so lauter konnte er Aufruhr im Flur vernehmen. Ein Stimmgewirr und das klagende Weinen einer Frau erfüllten die prächtigen vier Wände. Zimmermädchen und Butler debattierten lauthals darüber, was nun das Beste für ihren jungen Herren wäre, und versperrten Colin die Sicht auf seinen Patienten.

»Aus dem Weg! Macht Platz!«, schallte James kräftig über alle Stimmen hinweg und schob sich unsanft zwischen den Bediensteten hindurch. Colin war dankbar, dass sein bester Freund dies für ihn übernahm und blieb dicht hinter ihm.

»Der Arzt ist da, lasst ihn durch! Nun los doch!«, ließ sich die Stimme vernehmen, die eben noch der tiefen Trauer verfallen gewesen war. Gehorsam drängten sich die Bediensteten hinaus, bis auch der letzte Butler das Zimmer verlassen hatte.

Ein wahres Schreckensbild empfing den jungen Arzt. Elliot Darcy lag in seiner Schlafstätte, die von hochpreisigem Holze war, alle Viere von sich gestreckt und das gesamte helle Gesicht mit Blut benetzt. Die weinende Frau entpuppte sich als Mutter des Patienten und Gattin des Hausherren. Ihre schlammbraunen Augen waren vom Weinen gerötet, was ihrem strengen Äußeren jedoch keinen Hauch von Schwäche verlieh. Die große, grazile Frau stand am Bett und hielt sich kerzengerade. Tiefe Falten untermauerten ihr verhärmtes Gesicht, das in ihrer Jugendzeit von makelloser Schönheit gewesen sein musste. Colin war leicht gewillt, seinen Blick zu senken, so sehr wurde ihre nun eher karge Schönheit von ihrer übermächtigen Strenge überboten. Sollte er ihren Sohn nicht retten können, hatte er wohl keinerlei Güte von ihr zu erwarten.

Er stellte seinen Lederkoffer am Fuße des Bettes ab und wartete darauf, dass die Dame das Zimmer verließ. Er wollte ihr Gemüt mit dem Anblick seiner Instrumente nicht unnötig aufwühlen, obwohl es schien, dass Mistress Darcy eher nicht zu der schreckhaften weiblichen Bevölkerung gehörte.

»Nun, ich mache mir keine sonderlich großen Hoffnungen«, sagte sie gefasst. »Aber bitte tut für meinen Sohn, was Ihr könnt.«

Er nickte entschlossen. »Dazu bin ich hier, Mistress.«

Sie entgegnete einen Laut, dem Colin weder Zustimmung entnehmen, noch ihn ihrer Trauer zuordnen konnte. Wie es von einer so stolzen Frau zu erwarten war, lehnte sie ab, als James ihr seinen Arm anbot, um sie hinaus zu begleiten. Colins bester Freund duldete diese Abweisung mit bravouröser Haltung und öffnete ihr stattdessen die Tür einen Spalt mehr, durch welche ihr Gatte im gleichen Atemzug hineinhastete. Mittlerweile hatte es auch Albert zu ihnen geschafft, jedoch machte er bei dem Anblick des verletzten jungen Mannes augenblicklich kehrt und folgte der Hausherrin hinaus. Offenbar vermochten selbst seine beinahe vollständig erblindeten Augen nicht, dieses schreckliche Bild zu verbergen.

Mit schweißnassen Händen stellte sich Darcy Senior an die rechte Seite des Bettes, Colin gegenüber. Er versuchte mit dauerndem Schlucken seinen staubtrockenen Mund zu befeuchten, während er beobachtete, wie sich der junge Arzt ein erstes Bild machte. Äußerlich war dieser in völlige Ruhe gehüllt. In seinem Inneren jedoch tobte ein Wirbelsturm der Gefühle. Eine solche Kopfverletzung hatte er schon einmal gesehen. Damals hatte er seinem Vater bei der Behandlung assistiert. Nun stand er ganz alleine da und es gab niemanden anderes, der seine Handlungen leiten würde. Er hoffte inständig, die Verletzung von Elliot Darcy wäre nicht so schwerwiegend, wie die, des ehemaligen Patienten. Doch leider deutete alles auf das Gegenteil hin. Der junge Mann war nicht bei Bewusstsein und belebte sich nicht, als Colin ihm einen leichten Klaps gegen die Wangen gab und seinen Namen rief. Dieser bewegte den mit kurzgeschorenen, dunkelblonden Haarstoppeln besetzten Kopf seines Patienten mit äußerster Vorsicht und beäugte die Wunde, die er sich James’ Erzählung nach bei einem durch hohen Seegang verschuldeten kräftigen Stoß gegen einen Balken zugezogen hatte. Mit den Daumen zog Colin die geschlossenen Augenlider hoch. Die Pupillen der hellbraunen Augen waren geweitet, wie er es vermutet hatte. Nicht gut.

»S-so viel Blut«, winselte der Hausherr. Colin schnellte zu seinem Koffer und warf James einen verstohlenen Blick zu, mit dem er ihn auf den Vater des Patienten ansetzte. Augenblicklich trat James an die Seite seines finanziellen Gönners und versuchte ihn zu überzeugen, lieber den Raum zu verlassen.

Mit einem Satz öffnete Colin seinen Koffer und breitete seine medizinischen Utensilien aus, die mit ihrem Aussehen eher Folterinstrumenten glichen.

Entsetzt drückte sich Darcy Senior die Hand auf den Mund.

»Sir, es ist keine Schande, dass Ihr so fühlt. Warum geht Ihr nicht lieber an die frische Luft?«, sagte Colin konzentriert und begann, die Wunde mit feuchten Tüchern zu reinigen. Er musste sich in Frieden darauf vorbereiten, welch ein gefährlicher Eingriff vor ihm lag. Da konnte er niemanden gebrauchen, der ihn jede Sekunde daran erinnerte, wie fürchterlich das alles war.

»N-nein, das ist mein Sohn, ich-«

»Damit er es auch bleibt, muss ich mich konzentrieren können.«

James ergriff seinen Arm. »Kommt, Emmet. Ihr könnt Doctor Dewane vertrauen.«

»Nur eines noch, Sir«, lenkte Colin ein. »Könntet Ihr eine Silbermünze dalassen?«

Verblüfft schaute dieser zu James. »Nanu? Will er jetzt schon eine Bezahlung?«

»Keinen Lohn, Mister Darcy«, beschwichtigte Colin schnell und tupfte die Wunde trocken. »Ich benötige sie für die Behandlung.«

»Na sowas …« Er kramte in seiner Hosentasche, holte einen winzigen Lederbeutel hervor und fummelte eine Silbermünze heraus. Mit einer Kopfbewegung wies Colin ihm die Richtung. »Legt sie in das Essigbehältnis.« Nachdem der Handelsmann Colins Anweisung Folge geleistet hatte, ließ er sich von James hinausführen. Die Tür fiel ins Schloss. Endlich breitete sich Stille im Raum aus, in der sich angebrachte Konzentration entfalten ließ.

Colin atmete tief durch und hielt seine Hand griffbereit über das Instrument, das er stets gehofft hatte, niemals selbst einsetzen zu müssen. Die Trephine. Voll Ehrfurcht ließ er seine Fingerspitzen drübergleiten. Wenn er nur einen Millimeter zu tief bohrte …

Trotz Bewusstlosigkeit und geschlossenen Augen seines Patienten meinte Colin, einen prüfenden Blick zu spüren.

»Gemach, mein Herr. Ich werde gleich beginnen«, flüsterte er. Was das Wetter derzeit an Sonne verweigerte, ließ es jedoch nicht an Wärme mangeln. Mit einem Tuch tupfte Colin sich den Schweiß von Gesicht und Nacken.

»Ein Königreich für eine Brise Wind …«, seufzte er.

Nacheinander schob er die Ärmel seines Hemdes bis über die Ellenbogen. Er schüttelte seine feuchten Hände aus, als könnte er so seine Nervosität vertreiben. Doch je länger er sich auf den Eingriff vorbereitete, so angespannter wurde er. Beinahe schon furchtsam glitt sein Blick zu der Trephine zurück. Mit schlaffem Griff nahm er sie in seine Hände und hielt sie vor sich. Diese Operation war Elliot Darcys einzige Chance auf Überleben. Colin musste das Blut befreien, das sich im Kopf seines Patienten sammelte, oder dieser würde sterben. Doch wenn er einen Fehler machte … war Elliot ebenfalls tot.

Er schloss die Augen. Heute war einer dieser Tage, an denen er sich wünschte, er wäre nie aus dem Bett gestiegen …

 

Ganze zwei Stunden später war der Spuk endlich vorüber. Sobald Colin die Zimmertür öffnete, richteten sich alle Augen auf ihn.

Die Hausherrin machte sich bereit für die Verkündung, wie ein tapferer Soldat seinem Schicksal ins Auge blickte. Ihr Gatte hingegen wurde bei dem Anblick von den blutverschmierten Händen des jungen Arztes beinahe ohnmächtig. James sprang von einem kleinen Hocker auf und trat hoffnungsvoll einen Schritt auf Colin zu, während Albert Carter seinen Blick bangend senkte. Der junge Arzt schaute von einem zum anderen. Der Moment, bevor er Angehörigen eine gute Nachricht verkündete, war jedes Mal wie ein Rausch für ihn. Etwas, das er nur sehr dürftig auskosten durfte, um besagte Angehörige nicht unangemessen auf die Folter zu spannen. Erschöpft lächelte er den Menschen an, der jene gute Nachricht nun am dringendsten benötigte.

»Sagt Eurem Sohn, Mister Darcy, dass er bei zukünftigen Schiffsreisen stets den Kopf einziehen soll.«

Noch bevor die Vier Colins Worte aufgenommen hatten, erhellte ohrenbetäubendes Jubeln der Bediensteten die Flure des Herrenhauses. Lächelnd kniff Colin ein Auge zusammen, um die plötzliche Lautstärke besser ertragen zu können.

Die Erleichterung des Hausherren war nicht in Worte zu fassen. Erst brach er in Tränen aus, dann verdrehte er die Augen und fiel schlussendlich doch noch ohnmächtig in sich zusammen. Colin blinzelte überrascht, doch bevor er ins Überlegen kam, ob er ihm helfen könnte, stieg dessen Gattin einfach über ihn hinweg und nahm Colins Hände in die ihren. Sie drückte sie fest und schaute ihn mit Tränen in den Augen an. »Er lebt, sagt Ihr?«

Sanft nickte er. »Er lebt und er überlebt, Mistress.«

 

Das Gehöft voll von Bediensteten, und doch musste sich der Retter des Erben höchst selbst Wasser aus dem Brunnen im Hinterhof schöpfen.

Bei seinem Vater war das anders gewesen. Hatte der eine erfolgreiche Versorgung hinter sich, oder gar ein Menschenleben gerettet, erfuhr dies in Windeseile die ganze Stadt. Manchmal war der Jubel so gewaltig gewesen, dass es Colin nicht verwundert hätte, ganz England hätte davon erfahren, wie sein Vater siegreich einen Pickel von der Nase eines Patienten entfernt hatte.

Es war nicht etwa Neid, den Colin bei diesen Gedanken verspürte, sondern viel eher eine giftige Leere durch die Erinnerungen an seinen Vater.

Der Brunnen war sehr tief, was das Hinaufziehen des Eimers nervtötend und mühselig machte, dafür aber wurde der junge Arzt mit äußerst kühlem Wasser belohnt.

Er war gewillt, sich den Eimer einfach über den Kopf zu kippen, wollte aber niemanden sehen lassen, wie sehr ihm diese Operation wirklich zu schaffen gemacht hatte. Also wusch er sich sittlich Hände und Arme, und schöpfte sich lediglich eine Handvoll über den Nacken.

Das Blut an seinen Händen löste sich beinahe von allein, und mit ihm auch Colins Anspannung. Umso wohler fühlte er sich bei dem plötzlichen, beherzten Händedruck auf seiner rechten Schulter.

»Gut gemacht, Junge. Du machst deinem Vater alle Ehre.«

Er richtete sich auf und schaute über seine Schulter nach hinten.

»Danke, dass du das sagst, Albert.«

»Ich werde in der Kutsche auf dich warten. Sie bringt uns Heim, allerdings deutlich entspannter, als auf dem Hinweg.«

Der junge Arzt nickte schmunzelnd und ließ den Senioren zunächst allein zur Kutsche zurückkehren, um sich einen weiteren Eimer Wasser zu schöpfen.

 

Nach der ausgiebigen Wäsche blieb Colin mitten in einer Pfütze stehen, als Darcy Senior wohlauf aus dem Haupteingang des Herrenhauses fegte.

Mit lauter Stimme machte dieser sich bemerkbar und im nächsten Augenblick musste Colin eine schweißnasse Umarmung über sich ergehen lassen.

»Oh Dank sei dem Allmächtigen, dass er meine geschätzten Kaufmannskollegen vorbeigeschickt hat, damit sie Euch holen konnten. Wären sie nicht in der Nähe gewesen-«

»Dann hättet Ihr nach einem anderen Arzt geschickt«, unterbrach er atemlos und befreite sich höflich aus der Umarmung.

»Um Himmels Willen, dann wäre mein Junge jetzt tot. Ihr seid wahrlich der beste Arzt Londons!«

»Oh bitte sagt das nicht«, entgegnete er bescheiden und strich seine Ärmel glatt. »Dieser Titel gebührte meinem Vater.«

»Natürlich«, sagte Mister Darcy und trat für James zur Seite, der in der Schnelligkeit eines verschreckten Eichhörnchens zu ihnen lief. Mistress Darcy trat ebenfalls aus der Haustür, jedoch deutlich manierlicher.

»Aber Gott habe ihn selig, ist er nicht mehr bei uns. Es wird Zeit, dass Ihr Euch mit diesem Titel rühmt.«

Colin senkte den Blick und sagte nichts dazu.

»Dann können wir ja jetzt über Euren Lohn sprechen, nicht wahr?« Diese Worte ließen den jungen Arzt wieder aufschauen. »W-wie wäre es, wenn Ihr mir die Silbermünze zurückgebt, und ich sehe mal, was ich Gutes für Euch tun kann. Mein Koch wird heute zur Feier des Tages reich auftischen. Ihr dürft gerne mein Gast sein, Doctor Dewane.«

»Er hat das Leben deines Sohnes gerettet, Emmet«, ließ sich seine Gattin hartherzig vernehmen.

Nervös ließ der seine Daumen umeinander rollen und suchte verzweifelt nach Worten. Colin schmunzelte.

Vielleicht sollte er doch anfangen, seinen Lohn im Voraus zu verlangen, wie es eigentlich üblich war. Schwebten die Lieben in Lebensgefahr, könnte er die Welt zu seinen Füßen für ihre Rettung verlangen - er würde sie bekommen. War die Gefahr jedoch erst einmal gebannt, wurden die Geldbeutel wieder schärfer bewacht als die Jungfräulichkeit heiratsfähiger Töchter. Nun denn … In diesem Falle machte es Colin nichts aus. Es genügte ihm, mit dieser waghalsigen Methode ein Menschenleben gerettet zu haben. Obgleich er die Trephine wieder ganz tief in seinen Lederkoffer verstaut hatte und inständig betete, sie für eine Ewigkeit nicht wieder gebrauchen zu müssen.

»Schon gut, Mister Darcy. Ich schuldete James noch einen Gefallen.«

Viel zu erleichtert atmete der Hausherr auf und erntete dafür einen gnadenlos strafenden Blick seiner Frau.

»Die Münze aber kann ich Euch dennoch nicht zurückgeben.«

In Windeseile richteten sich alle Augen auf ihn.

»Was? Sagt nicht, Ihr habt damit Euren Kutscher bezahlt!«

Nun brach Colin leicht in Lachen aus. War sich James wirklich sicher, dass dieser Mann jemals auch nur einen Penni für ihn bezahlt hatte?

»Nein, Sir. Ich bin sicher, das werdet Ihr übernehmen, da er den Arzt Eures Sohnes so rasch hergebracht hat, nicht?«

Darcy Senior zog eine nervöse Grimasse. Das war es wohl, was er tun sollte, doch wenn er schon bei besagtem Arzt knauserte …

»Die Silbermünze ist nun ein Teil seines Kopfes, Mister Darcy.« Der Hausherr öffnete den Mund vor Erstaunen so weit, wie die Tür der Kutsche offenstand, in der Albert Carter bereits auf Colin wartete. Auch die restlichen Anwesenden hielten sich mit dem Staunen nicht zurück.

»Diese eine Silbermünze muss Euch das Leben Eures Sohnes schon wert sein.«

Emmet stotterte eine Weile, bis er schließlich wieder Worte formen konnte. »J-ja, ja … gewiss doch …«

Colin nickte. »Lasst die Verbände alle zwei Tage wechseln und reinigt den Bereich am Kopf mit Essig.«

Mit diesen Worten wollte sich der junge Arzt verabschieden, doch der Vater des Geretteten blinzelte sich plötzlich wieder wach und hielt ihn am Arm zurück.

»Ich gebe heute Abend eine herrschaftliche Runde aus, in dem Pub Eurer Mutter. Seid mein Ehrengast, Doctor.«

Mit einem Lächeln bedankte sich besagter Doctor und verabschiedete sich endgültig.

James begleitete ihn noch auf den wenigen Schritten bis zur Kutsche und atmete überglücklich aus.

»Ich danke dir von Herzen, mein Freund.«

»Schon gut.«

James klopfte ihm einmal kräftig auf das Kreuz. »Du sagst das, als hättest du mir geholfen, mein Schiff zu beladen. Du hast ein Leben gerettet, Colin!«

Das hatte er wohl. Für einen kleinen Augenblick hüllte er sich in Zufriedenheit. Sie hielten vor der Kutsche.

»Sag, kann ich dich sprechen, heute Abend im Pub?«

»Im Pub? Du bist doch gar nicht eingeladen«, stichelte er.

James machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Das fällt doch gar nicht auf.«

Colin lachte laut, dann fragte er: »Warum sprechen wir nicht gleich hier?« Sein bester Freund zeigte mit einem Daumen hinter sich.

»Nein, ich werde dort drinnen noch gebraucht. Außerdem ist das hier nicht der richtige Ort dafür.«

Er zog fragend die Brauen in die Höhe. »Und das Pub ist es?«

»Ja. Da gibt es Alkohol.«

Die beiden verabschiedeten sich lachend und noch bevor der junge Arzt die Kutschtür hinter sich geschlossen hatte, war James bereits wieder im Herrenhaus verschwunden.

Ohne Umschweife fuhr die Kutsche los und langsam zog das Gehöft an Colins Augen vorbei.

Albert saß ihm gegenüber und schaute ihn überlegend an.

»Sag mal, diese Methode, die du da angewandt hast … Dein Vater hatte auch mal solch einen Patienten, richtig?«

Er nickte. Albert räusperte sich. »Und wie ist es dem Mann danach ergangen?«

Colin drehte den Kopf und schaute aus seinem Fenster.

»Er ist noch während der Operation gestorben, Albert.«

 

Kapitel 2

Guten Morgen«, ließ Colin seine sanfte Stimme in der Stube ertönen. Seine Augen brauchten einen kleinen Moment, bis sie ihm das Heiligtum aller Trunkenbolde Londons in seinem vollen Ausmaß darstellen konnten.

Da nur wenige Fenster Licht hineinließen, war es für gewöhnlich immer recht finster im Pub seiner Mutter, weshalb die Stube auch tagsüber mit Kerzenlicht erhellt werden musste. Aber genau das vermittelte zu jeder Jahreszeit eine einladende Geborgenheit.

Brittany Dewane und Mureen hielten die Stube immer so reinlich, wie es ihnen möglich war, sodass den jungen Arzt auch heute Morgen ein wohliger Geruch von sauberem Holz empfing. Dazu mischten sich appetitanregende Gerüche von backendem Brot und kochendem Eintopf.

Dem Duft von Frühstück mit den Augen gefolgt, entdeckte Colin seine Mutter, die eifrig Becher, Gläser und Krüge an der Theke polierte, wo die alkoholischen Getränke, wie Ale, Rum und der gute, importierte Whisky aus einer der Schwarzbrennereien in Schottland, für die Gäste gelagert waren.

Colin kam nicht umhin, seine Mutter mit Mistress Darcy zu vergleichen. Im Gegensatz zu der Gattin des reichen Kaufmannes wurde sie mit zunehmendem Alter schöner. Es mochte bloß eine schlichte Schönheit sein, wie eine Frühlingsblume sie besaß - aber sie blühte. Darüber war Colin sehr froh, denn dieses Blühen hatte sie nach dem Tod seines Vaters erst mühselig wiedererlangen müssen. Nun aber strahlten die enzianblauen Augen wieder, dessen Farbe sie an die Augen ihres Sohnes weitergegeben hatte.

Wie immer war sie in Eile und warf sich das Tuch über die Schulter. Im Vorbeigehen schenkte sie ihm einen stolzen Blick.

»Das brauche ich dir nicht zu wünschen, Sohn. Es war bereits ein sehr erfolgreicher Morgen für dich, wie ich hörte.«

»Wie willst du das denn gehört haben?«, fragte er und trat gelassen auf seine Verlobte zu.

»Morgen, mein Herz.«

Unverhofft flüchtete ihr Mund vor seinen Lippen und Colin erwischte bloß verwundert ihre Wange, die wie der Rest ihres sinnlichen Gesichts mit roten Sommersprossen geschmückt war. Sie lächelte nur sehr dürftig und drehte ihm gleich darauf den Rücken zu. Er blickte auf ihre samtig weiche, glänzende Wallemähne mit der Farbe eines blassen Sonnenaufgangs. Sie trug ihr Haar noch immer offen, als wäre sie völlig ungebunden. Dabei sollte sie doch Ende dieser Woche eine verheiratete Frau werden. Seine Frau.

Er setzte sich an einen der zahlreichen Tische, an denen nachmittags und abends Gäste saßen, um zu trinken, um zu essen, um Karten zu spielen und ab und an auch die Musik eines Barden zu genießen, wenn ein solcher für Kost und Logis hier auftrat. Unsicher beobachtete er Mureen, bis sich seine Mutter in sein Blickfeld mogelte.

»Gute Nachrichten verbreiten sich rasch«, meinte sie zu seiner eben gestellten Frage. »Nun, nicht so rasch, wie die Schlechten, aber noch immer schnell genug, dass ich meinem Sohn als erstes gratulieren kann.«

Sie tischte ihm ein kleines hölzernes Brett auf, auf das sie zwei dicke Scheiben Brot, ein Stück Käse und ein Stück fette Wurst niederlegte.

»Du hast doch bloß an meinem Gemüt erkannt, dass alles gut verlaufen ist«, lächelte er. »So schnell verbreiten sich keine Nachrichten über mich; nicht in London.«

»Was macht das schon?«, lachte sie ertappt. Dann schenkte sie ihm Tee ein, während sie seine Verlobte mit einem vorwurfsvollen Blick strafte. Das hier war ihre Aufgabe. Etwas, an das sie sich schon lange hätte gewöhnen sollen als Colins zukünftige Ehefrau. Nun würden sie Ende der Woche heiraten und es war noch immer Brittany, die ihm den Tisch deckte. Colin aber sah das nicht so streng. Er wusste seine Frau lieber ihm gegenüber, gemeinsam das Frühstück vertilgend, als dass sie ihn bediente. Auch von seiner Mutter verlangte er diesen Dienst nicht, doch sie kannte es nicht anders. So war es immer schon zugegangen, im Hause der Dewanes, und so trug es sich in etlichen Haushalten zu, wenn man sich keine Bediensteten leistete.

Colin winkte Mureen heran und sie nahm ihm gegenüber platz. Brittany entfuhr ein Laut der Verärgerung.

»Setz dich doch bitte zu uns, Mutter«, griff er in einer Tonlage ein, die sie auf ihr fehlerhaftes Verhalten aufmerksam machen sollte. Wie erwartet stapfte sie in die Küche zurück. Er seufzte innerlich. Sicher erging es jeder Mutter so, wenn sie ihren Sohn an eine andere Frau verlor. Da mochte es wohl kaum zu ertragen sein, wenn diese Frau nicht so für ihren Goldjungen sorgte, wie der mütterliche Instinkt es für richtig befand, und besagter Junge das obendrein auch noch billigte.

Alle Gedanken daran verflüchtigten sich, als er in das strahlende Hellblau der leicht aufsteigenden Augen seiner Verlobten blickte. Ihre sonst rosige Haut wirkte leicht blass, doch ihr Blick war so wach, wie gewöhnlich.

Mit einem Finger rückte er sein Frühstücksbrett so, dass sie freien Zugriff darauf hatte. Wie ein Spatz pickte sie mit Daumen und Zeigefinger am Käse herum, während sie ihren Kopf mit der anderen Hand an ihrer Wange stützte. Colin wusste, dass sie wahrscheinlich bereits etwas gegessen hatte, aber er genoss jegliches Mahl lieber in ihrer Gesellschaft.

»Wie geht es dir?«, fragte er sanft.

»Es ist nicht sonderlich viel geschehen, als dass ich dir anders antworten könnte als gestern. Gut.«

In ihrem Ton schwang leichte Ermüdung mit, aber ihr anschließendes flüchtiges Lächeln verriet ihm, dass sie sich über diese allmorgendliche Frage freute. Freude verspürte auch Colin darüber, dass es ihr nach letzter Nacht gutging. Das ließ ihn hoffen, alles richtig gemacht zu haben.

Nicht fähig, sich bei den Erinnerungen an besagte Nacht ein Grinsen zu verkneifen, trank er einen Schluck Tee.

Leider legte sich kein solches Grinsen über Mureens Gesicht. Sie senkte den Blick und knabberte das Krümelchen Käse unter ihrem Fingernagel weg.

Traurig stellte er die Teetasse ab. Da war er wieder, der bittere Beigeschmack des heutigen Erwachens.

Arm in Arm waren sie zusammen eingeschlafen, doch heute früh war es die Bettdecke gewesen, die er an seiner Verlobten statt in seinen Armen gehalten hatte.

Es erfüllte ihn mit Verunsicherung, dass sie sich so von ihm abwandte, wo er doch beinahe nicht die Hände von ihr lassen konnte. Geschah dies, weil er um ihre Hand angehalten hatte? Je näher die Hochzeit rückte, so weiter schien sich Mureen von ihm zu entfernen. Dabei hatte sie ihm vor nicht allzu langer Zeit das Gefühl gegeben, sich nichts sehnlicher als eine Vermählung zu wünschen. Die sie quälenden Feindseligkeiten und Beschimpfungen der Gemeinde ihrer Herkunft wegen konnten nur enden, wenn sie seine Frau werden würde. Daran aber, ob sie genau das werden wollte, schien sie Zweifel bekommen zu haben, jetzt, da er sie für immer sein machen wollte.

Für ihn würde es wohl noch eine aufrüttelnde Woche werden.

Liebevoll nahm er ihre Hand in der Mitte des Tisches. Sie duldete diese Berührung, erwiderte sein zärtliches Daumenstreichen über ihre Fingerknöchel aber nicht bei ihm. Mit folgenden Worten versuchte er sich vorsichtig an ihre Gedanken heranzutasten; durch ihre Reaktion darauf herauszufinden, wie es um ihr Gemüt stand.

»Meine wunderschöne Schottin … Diese Woche noch werden wir dich zu einer Engländerin machen.«

Ihr Gesicht fror leicht ein, was Colin mit den Augen nur so studierte. »Zu einer Sassenach«, sagte sie mit ihrer hellen, weichen Stimme leicht getrübt. Er seufzte und seine Zärtlichkeiten erkalteten. »Engländerin, Mureen. Und somit in dieser Gesellschaft anerkannt.«

»Wenn du das sagst …«

Er hatte nicht erwartet, dass ihn ihre Gleichgültigkeit derart verstimmen würde, ihre Hand loszulassen.

»Also schön. Ein Wort von dir und ich mache alles ungeschehen«, sagte er mit leichtem Groll in der Stimme. »Die Verlobung und die geplante Vermählung. Aber erwarte nicht, dass ich das ganze letzte Jahr ohne eine Erklärung von dir einfach so vergesse.«

»Colin, ich will dich doch bloß necken. Natürlich will ich deine Frau werden.« Plötzlich schaute sie zu ihm auf und verzog ihre Miene zu einem fröhlichen Lächeln. Das konnte Mureen gut, wie Colin nach einem Jahr des engen Zusammenlebens allmählich feststellte. Ihre Laune wechselte von nachdenklicher Trübseligkeit zu verspielter Fröhlichkeit, wie der Ebbe die Flut folgte. Spielerisch streifte sie sich das dicke Haar hinter das linke Ohr.

»Aber nun, wo es soweit ist, muss ich mich wahrhaft damit auseinandersetzen, das zu werden, was meine Familie abgrundtief hasst. Was sie mich lehrte, zu hassen.«

Ja, das stimmte. Es mochte kein Geheimnis sein, welch tiefe Kluften zwischen England und Schottland bestanden, nicht zu Letzt durch den Jakobitenaufstand von vor zwei Jahren. Noch viel tiefer aber dürften die Kluften zwischen Mureen und ihrer Familie sein. Man konnte sicherlich nicht einfach all das ablegen, zu dem man erzogen wurde; es war ganz natürlich, dass sie zögerte. Aber die Menschen, die sie zu dem erzogen hatten, hatten nicht im Geringsten gezögert, die Türen ihrer Heimat ihr für immer zu verschließen.

»Es ist erstaunlich, wie häufig du dich auf die Gebote deiner Familie beziehst, wo dich diese kaltblütig vor die Tür gesetzt hat.« Mureen zog eine genervte Grimasse. »Wie lieb von dir, dass du mich daran erinnern musst.«

Colin schloss kurz die Augen. Das hätte er nicht sagen dürfen, ganz gleich, wie sehr ihn ihre Unentschlossenheit grämte.

»Bitte entschuldige, ich habe es nicht böse gemeint.«

Sie zog ihre Hand weg, als er erneut danach greifen wollte. Ganz langsam holte er auch die seine wieder zurück und platzierte sie an der Teetasse.

»Ich dachte nur … du würdest dich ein wenig mehr freuen. Du erscheinst mir gar traurig.«

Stur wich sie seinem Blick aus und senkte ihren schließlich wieder.

Verständnisvoll sah er sie an. »Du wärest lieber wieder in deiner Heimat, habe ich recht? Ist es das, was dich so traurig macht?«

Ihr Haar zerstreute, wie eine Kerzenflamme bei einem Windstoß, so plötzlich sprang sie auf und fuhr Colin an: »Ich vermisse meine Familie, kannst du das nicht verstehen?«

Mit fliegendem Rocksaum hob sie ein Bein nach dem anderen über die Bank und lief die Treppen hinauf, die zu den beiden Gemächern des Pubs führte.

Beinahe hätte sie Brittany auf ihrem Weg umgeworfen, die aus der Küche trat und ihr verwundert hinterherschaute.

Nur wenige Sekunden danach hielt sie ihren Sohn am Arm zurück, der besorgt ihrer angehenden Schwiegertochter nachlaufen wollte.

»Colin, sorge dich nicht so viel. Wollte sie dir davonlaufen, wäre sie schon fort.«

»Danke, Mutter«, sagte er unruhig. Brittany Dewane war stets frohen Mutes und Zuversicht; eine Eigenschaft, die Colin sehr an ihr schätzte. Nun aber konnte er nicht auf ihren Rat hören. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und erklomm wider ihrer Worte die zehn Treppenstufen.

 

Colin knallte die Tür hinter sich zu und holte gerade wütend Luft, da zuckte Mureen bitterlich zusammen und fuhr so hastig zu ihm herum, als hätte er sie bei einer unrechten Tat erwischt.

Ihr furchtsamer Blick nahm ihm augenblicklich den Wind aus den Segeln. Leicht entsetzt schaute er sie an.

»Mureen, hast du etwa Angst vor mir?«

Sie schluckte und wandte den Blick zu Boden. Er mäßigte seinen Ton und blieb an der Tür stehen, um ihr genug Raum zu lassen.

»Verzeih, ich vergaß, wie leicht du zu erschrecken bist.«

Sie erwiderte nichts, doch Colin erblickte zufällig sein Angesicht, das ihm vom Spiegeltisch am Fenster dargeboten wurde. Bei diesem Anblick war es nicht sehr verwunderlich, dass er diese Wirkung auf seine Verlobte hatte. Im Grunde genommen war er niemand, den man rein äußerlich betrachtet fürchten musste. Lediglich die eine dünne Haarsträhne, die sich niemals bändigen ließ und sich selbst im nassen Zustand stets schräg über seinen Nasenrücken legte, verlieh ihm einen Hauch Verwegenheit.

Doch das heutige Erscheinungsbild, das ein Resultat des viel zu abrupten Endes seiner Nachtruhe war, genügte offenbar, um Mureen das Fürchten zu lehren.

Die ohnehin sehr helle Haut wirkte heute beinahe weiß und ließ violette Augenringe hervorstechen wie bei einem Kranken. Seine recht femininen Züge, die gewöhnlich eher Freundlichkeit und Sanftmut ausstrahlten, waren von Unzufriedenheit zerfressen. Das leicht lockige rabenschwarze Haar hatte seit einiger Zeit seinen gesunden Glanz verloren und wirkte eher drahtig. Ein Bild zum Schaudern, wenn man ihn nicht kannte. Mureen aber kannte ihn doch … oder nicht?

Bei diesem Gedanken streifte er mit der flachen Hand über die feuchte Stirn. Wie immer sprang die Haarsträhne zurück über seine Nase.

Mureen ging hinüber zum Bett und stützte sich an einem der vier Pfeiler, als suchte sie Halt. Noch einmal entschuldigte Colin sich und endlich sah sie ihn wieder an. Sein Zorn wich Verletzlichkeit.

»Mureen, ich … ich dachte, ich sei deine Familie.« Diese Worte hatte sie gerade letzte Nacht erst zu ihm gesprochen und ihm damit das wohl größte Geschenk gemacht.

Plötzlich legte sich der gleiche Ausdruck von Besorgnis auf ihr Gesicht, als täte auch ihr das nicht sehr gelungene, morgige Gespräch leid.

»Du hast mir geglaubt?«, fragte sie leise.

»Ja, natürlich. Waren deine Worte nicht aufrichtig?«

»Aufrichtige Worte, die Mister Chester Livsey in einem Wimpernschlag wieder zerstören kann. Was macht das also schon?«

Chester Livsey … Damit hatte sie ein wahres Wort gesprochen. Den Teufel beim Namen genannt, hatte Colin diesen zänkischen alten Kautz bereits vor Augen. Er war zäher als altes Schuhleder und seine Tage als Greis verbrachte er nach seinen jahrelangen Diensten als Soldat der britischen Armee mit Zankerei und Groll gegenüber jeglichen Lebensformen, die nicht er selbst waren. Dabei steuerte er genau diesen Groll bevorzugt auf Menschen, die der Krone seiner Ansicht nach nicht treu ergeben waren; kaum verwunderlich also, dass Chester Mureen als gebürtige Schottin stets aufs allerböseste beschimpfte. Dennoch war er ebenfalls einer der besten Freunde seines Vaters zu dessen Lebzeiten gewesen und sparzierte im Pub ein und aus, als würde Robert noch leben. Brittany vermochte dies nicht zu unterbinden, denn sie war eng befreundet mit Chesters Gattin Dena, und aus Respekt zu ihrem verstorbenen Ehemann ließ sie Chester gewähren. Sie beteuerte immer zu wissen, dass der alte Streithahn ein weiches Herz hätte, doch niemandem mochte es gelingen, einen Blick unter seine dafür umso härtere Schale zu werfen.

Colin respektierte Chester Livsey ebenfalls, nicht allein für seine geleisteten Dienste für die Krone, jedoch hatte er sich den Ratschlägen seiner Mutter zuwider in einer Sache durchgesetzt: Er würde nicht zur Hochzeit kommen.

»Es ist ganz gleich, was ich tue, für ihn bleibe ich immer die Schottische Hu-«

Colin unterbrach sie mitten im Satz. »Ich habe ihn nicht zur Hochzeit eingeladen, Mureen. Und was er sagt oder denkt, schert hier niemanden mehr, wenn du meine Frau bist. Am allerwenigsten mich.«

Ihr Blick blieb getrübt und am heutigen Morgen würde es wohl rein gar nichts geben, das er sagen könnte, um ihre Heiterkeit herbeizuführen.

Plötzlich kehrte er in sich und horchte. Gedämpft durch das Holz der Tür ertönte eine Männerstimme unten im Pub.

»Wo ist er?«, waren die Worte, die wie ein böser Wunsch ausgespuckt wurden. Mureen legte sich bestürzt eine Hand auf ihr festes Dekolleté und atmete angespannt ein. Colin knirschte mit den Zähnen. Waren die gesprochenen Worte über ihn noch so wenige gewesen, hatten sie diesen Streithahn wohl dennoch herbeibeschworen.

»Bitte warte hier und komm nicht heraus, bevor er gegangen ist«, wies der junge Arzt seine Verlobte an.

 

Mit wütenden Schritten trappelte er die Treppen hinunter.

Er hatte es eigentlich vermeiden wollen, diesem verbitterten, dürren, alten Mann vor der Hochzeit noch zu begegnen. Aber allem Anschein nach musste er sich ihm stellen.

Das würde er auch. Respekt hin oder her, Colin war jetzt der Mann im Haus, und als solcher oblag es ihm auch, Chester vor die Tür zu setzen.

Er stutzte und blieb nach der letzten Stufe abrupt stehen. Wie das Kerzenlicht nachts im Pub erlosch seine Selbstsicherheit, als er unvermutet in das Gesicht von Dena Livsey blickte, die ihn traurig ansah. Dieses gütige, runde Gesicht, mit den fülligen Bäckchen und den etwas zu kleinen haselnussbraunen Augen verband Colin mit Geborgenheit und Trost. Chesters stark übergewichtige Ehefrau war wie eine zweite Mutter für ihn. Wann immer er als Kind Kummer gehabt hatte, weil er den hohen Erwartungen seines Vaters nicht hatte gerecht werden können, war er in Denas Arme geflüchtet. Bei ihr hatte es immer Kuchen gegeben mit warmer Milch, ganz gleich zu welcher Tageszeit. Stets hatte sie ein offenes Ohr gehabt für Dinge, die er nicht einmal Brittany hatte anvertrauen können.

Es beschämte Colin, dass er ihr das Recht genommen hatte, zu seiner Hochzeit zu kommen. Denn wenn er es Chester verwehrte, ihrem Mann, dann würde auch sie folglich nicht erscheinen. Das war nicht richtig. Doch Chester durfte einfach nicht da sein. Es schien Colin weit ungerechter, Mureen an ihrer Vermählung seinen Feindseligkeiten auszusetzen, die an diesem Tag wohl ihren Höhepunkt erzielen würden.

Beinahe noch beschämter als er sich fühlte, schaute Dena zu ihm auf. »Colin, bitte entschuldige. Ich konnte ihn nicht hiervon abhalten.«

Er war gewillt, ihre Hände zu nehmen, doch im nächsten Augenblick schob sich dessen Ehemann an ihr vorbei. Seine spitzen Wangenknochen unterstrichen seine tiefe Verärgerung und seine schrumpeligen Lippen waren zu einem wütenden Strich verzogen. Die Zornesfalten an seiner Stirn ließen seine buschigen Augenbrauen optisch zu einer einzigen zusammenwachsen.

»Uns wurde soeben zugetragen, dass du in drei Tagen heiraten wirst. Aus fremden Mündern haben wir es erfahren.«

»Chester …«, begann Colin schlichtend, doch der Alte ließ sich nicht darauf ein. »Spar es dir. Du hast es also nicht für nötig gehalten, uns einzuladen.«

Der junge Arzt nahm allen Mut zusammen und versuchte so anständig zu sein, wie nur möglich.

»Verzeih mir bitte, aber das ist leider notwendig für eine harmonische Zeremonie.«

»Du willst das also wirklich tun?«, verengte er feindselig die Augen. »Du willst diese schottische Hure zur Frau nehmen?«

Colin ballte die Hände zu Fäusten, doch eilig schob sich Dena wieder zwischen sie beide, was verhinderte, dass er sich vergaß.

Er nahm ihren wortlosen Rat an, Chester jedoch beliebte nicht, dasselbe zu tun. Er drängte seine Frau unsanft beiseite und trat noch einen Schritt näher an Colin heran.