Das Vermächtnis des Captain Kidd - Band 2 - Romina Bunk - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Vermächtnis des Captain Kidd - Band 2 E-Book

Romina Bunk

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vom Regen in die Traufe – so scheint es um Colin Dewane geschehen zu sein. Mit schmerzlicher Macht muss der junge Arzt erfahren, dass Captain Nasir Keenan in Wahrheit niemals vorhatte, ihn wie versprochen zurück nach England zu geleiten. Seelisch wie körperlich wird Colin von Keenan geknechtet, und plötzlich erscheint ihm die Ocean Duke wie der Himmel auf Erden. Der Wunsch, wieder heimzukehren, wird durch sein Streben, überhaupt am Leben zu bleiben, in den Schatten gestellt. Als es Henry Austen gelingt, Colin aus den Fängen von Captain Keenan zu befreien, schwört der junge Arzt ihm bald darauf die Treue und folgt seiner Bestimmung, Pirat zu werden. Doch während die Suche nach dem vergrabenen Schatz des Captain William Kidd voranschreitet, rücken weitere Gegenspieler in den Vordergrund, und Colin wird gezwungen, sich inmitten einer Seeschlacht Captain Keenan zu stellen und dem seelischen Kampf, den sie beide gegeneinander führen, ein Ende zu bereiten. Nach ihrem Aufbruch ins Nirgendwo verschenkt Mureen McLaughlin ihr Herz an den Kopfgeldjäger Jim Owen, doch bevor sie herausfinden kann, wie eine Zukunft an seiner Seite aussehen mag, wird er ihr entrissen, und sie findet sich in Gefangenschaft an Bord eines Piratenschiffes wieder: der Black Duchess. Plötzlich steht sie einem Mann gegenüber, von dem sie dachte, ihn niemals wiederzusehen – Colin Dewane.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Table of Contents

Das Vermächtnis des Captain Kidd

Impressum

Trigger Warnung

Hinweis

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Weitere Werke der Autorin

Das Vermächtnis des Captain Kidd

Band 2

Impressum

 

Romina Bunk

Das Vermächtnis des Captain Kidd – Band 2

 

Deutsche Erstausgabe Februar 2025

© 2025 Romina Bunk

© Covergestaltung: János Weyhknecht

 

Romina Bunk

Bielefelder Str. 2

32130 Enger

[email protected]

 

Trigger Warnung

Liebe * r Leser * in,

dieser Roman besitzt Inhalte, die für sensible und empfindliche Menschen erschreckend und verstörend sein könnten. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um und wende dich an Freunde, deine Familie oder professionelle Hilfestellen, falls du während des Lesens auf Probleme stößt oder betroffen von ähnlichen Situationen bist, die in diesem Roman vorkommen. Bleib damit nicht allein!

 

Ich wünsche allen Leser*innen genauso viel Spaß beim Lesen meines Romans, wie ich beim Schreiben hatte, und bedanke mich, dass ihr meine Figuren auf ihrem Abenteuer begleitet.

 

Eure Romina

 

Hinweis

 

 

Dieser Roman ist rein fiktiv und dient der Unterhaltung. Die meisten Figuren sind frei erfunden und die Handlungen und Dialoge der vorkommenden historischen Personen haben so nicht existiert bzw. stattgefunden. Die Zeitangaben und die Beschreibungen von realen Orten und der Piratenschiffe sind historisch größtenteils nicht korrekt.

 

Widmung

 

Für all jene, deren Herzen die wunderschöne See befahren.

Schließt die Augen, seid ganz leise und lauscht.

Dann könnt ihr den Wind flüstern hören.

 

Prolog

 

24. Mai 1701 - London

 

Duncan?«, rief Henry Austen durch das kleine unaufgeräumte Zimmer, das von etlichen Kerzen in ein angenehmes Licht gehüllt wurde. Warmer Wasserdampf legte sich auf sein Gesicht und verriet ihm, dass sein junger Kamerad in dem von einem schmutzigen Vorhang abgetrennten Nebenraum ein Bad genommen hatte. Doch es war nicht Duncan, der seinem Ruf folgend durch den Vorhang in das Zimmer trat.

Es war eine braun gebrannte Frau mit nassen, kurzen, dunkelbraunen Haaren. Henry machte große Augen bei ihrem Anblick, denn sie war nackt, wie Gott sie geschaffen hatte.

»Hallo, Henry«, sagte sie gleichgültig und mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme für eine Frau. Er griff nach dem Nachthemd, das über dem Stuhl neben ihm hing, und warf es ihr zu. »Bedeckt Euch gefälligst«, brummte er und schaute ihr bemüht in die dunklen Augen. Sie fing das Nachthemd zielsicher auf, hielt es aber zunächst einen Moment vor sich, bevor sie provozierend langsam hineinschlüpfte. Dabei grinste sie ihn höhnisch an. Henry knirschte mit den Zähnen. Frauen, die ihn auslachten, konnte er nicht ausstehen.

»Ich hatte dich nicht für so prüde gehalten«, spottete sie.

»Kennen wir uns?«

»Jeden Tag ein wenig mehr, würde ich sagen.«

Henry schnaufte genervt. Er hatte keine Lust auf Spielchen; viel zu sehr war er erfüllt von zermürbenden Gefühlen und Empfindungen. Er wurde schier erstickt von Zorn, von Wut, von unermesslicher Trauer; allein, dass er die Kraft zum Atmen fand, war ein schieres Wunder. Vor zwei Tagen hatte er mitansehen müssen, wie sein Mentor und Ziehvater unehrenhaft am Galgen hingerichtet worden war. Noch immer war er derart rastlos, dass jeder Millimeter seines Körpers danach schrie, zurück zum Execution Dock zu rennen, um William Kidd zu befreien. Und jedes Mal peinigte ihn die Erkenntnis mehr, dass es nichts mehr gab, was er tun konnte. Dass er versagt hatte …

Nun schulterte er das Schicksal von Elisabeth, von Sarah und von Lady Kidd; er allein war ihre letzte Hoffnung. Alles hing davon ab, dass er das Vermächtnis seines Mentors fand, und ihm lief jetzt schon die Zeit davon. Er würde es nicht dulden, dass dieses Weibsbild hier weitere kostbare Minuten vergeudete.

»Wo ist Duncan?«, knurrte er sie ungeduldig an.

Langsam kam sie einen Schritt näher. »Näher als du denkst.«

»Nun sag schon! Ist er nebenan? Ich höre dort doch jemanden.«

Wie aufs Stichwort kam eine weitere Frau aus dem Nebenzimmer, ebenfalls nur spärlich bekleidet, und trat an die Seite der anderen. Sie hatte lange blonde Haare und war deutlich kurviger.

Henry schnaufte verächtlich. »Gleich zwei auf einmal? Kidd ist noch nicht ganz kalt und der Bursche lässt es sich richtig gutgehen.«

»Caroline, wer ist das?«, fragte die Langhaarige.

Henry antwortete für sie. Vielleicht war die Blondine ja gesprächiger als ihre Kumpanin. »Ich bin auf der Suche nach dem jungen Mann, dem dieses Zimmer gehört.«

Entsetzt schaute sie die Frau an, die auf den Namen Caroline hörte. »Dem jungen Mann?! Du sagtest doch, das Zimmer gehört dir! Du hast gesagt, du hast einen Haufen Geld und kaufst mir alles, was ich will.« Blitzschnell grabschte Caroline ihr in die lange blonde Mähne und zog sie ganz nah an ihr Gesicht heran.

»Verzieh dich!«, zischte sie dann bedrohlich. Als sie sie losließ, eilte die Langhaarige hinaus.

Es lag weder in Henrys Wesen noch in seiner Erziehung, Frauen auf eine ungebührende oder gar gewaltsame Weise anzurühren, doch wenn diese hier nicht endlich begriff, dass er nicht einmal mehr wusste, wie man das Wort Geduldaussprach, dann würde er andere Methoden anwenden, um aus ihr herauszubekommen, was er wissen wollte.

Er ballte die Hände zu Fäusten. »Ich gebe dir jetzt die letzte Chance, mir zu sagen, wo-«

Caroline knallte die Tür zu, die ihre Kumpanin bei ihrer Flucht offengelassen hatte, und wirbelte zu ihm herum. »Herr Gott noch mal, Henry, erkennst du mich wirklich nicht?!«

Er runzelte die Stirn und betrachtete sie eindringlicher, doch … nein. Er hatte keinen blassen Schimmer, wer sie war. Sie ging hinüber zum Bett, auf dem zusammengeknüllte Kleidungsstücke seines Kameraden Duncan lagen. In einer flüssigen Bewegung befreite sie sich aus dem Nachthemd und las ein Tuch vom Bett auf, das sie sich anschließend stramm um die kleine Brust band, während sie Henry den Rücken zukehrte. Dann schlüpfte sie nach und nach in Duncans Hose, seine Stiefel und in sein weites Leinenhemd. Henry sah ihr dabei zu, doch auch, als sie sich das rote Kopftuch auf die Weise aufsetzte, wie es sein Kamerad immer zu tun pflegte, wollte er nicht glauben, was sein Verstand schon längst begriffen hatte. Sie drehte sich wieder zu ihm um und plötzlich stand wahrhaftig der Knabe Duncan Cormac vor ihm, auch wenn seine Gesichtszüge durch das Bad, das den ganzen Dreck einer langen Seereise und die schwarze Kohlfarbe, die er an seinen unteren Lidern aufzutragen pflegte, entfernt hatte, weicher wirkten. Dieser schaute ihm enttäuscht in die Augen und sagte mit noch tiefer verstellter, vertrauter Stimme, die Henry daraufhin als Duncans Stimme erkannte: »Ihr Männer seid so dämlich.«

»Das soll doch wohl ein Scherz sein«, sagte er heiser. »Wie kann das … du bist …«

»Eine Frau, aye. Und niemand von Euch Dämlacks hat es je bemerkt. Ihr seid so leicht zum Narren zu halten.«

Henrys Gesicht strahlte noch immer Uneinsichtigkeit aus.

»Ich hielt dich immer-«

»Für einen Knaben, ich weiß«, schnitt sie ihm das Wort ab.

»Wie allen anderen auch, ist dir nie in den Sinn gekommen, dass dieser Halbstarke doch ziemlich lange braucht, um zu einem Mann heranzuwachsen, wenn man bedenkt, dass wir uns jetzt fünf Jahre lang kennen. Ich bin älter, als du denkst und mir lieb ist.« Duncan ging an Henry vorbei und rempelte ihn dabei absichtlich an, um ihn aus seiner Verblüfftheit zu holen.Sie nahm sich die Karaffe, die auf dem Tisch stand, und goss sich einen Becher voll Rum ein.

»Du warst die ganze Zeit eine Frau«, sagte er vorwurfsvoll.

Gelangweilt schaute diese ihn an. »So wurde ich geboren, Henry. Sein Geschlecht kann man nicht ändern, sehr wohl aber, werman ist. Und ich wollte ein Seemann sein.«

»Du bist ja verrückt!«, fuhr er ungewollt aus der Haut.

»Bin ich das?«, gab Duncan in selbiger Tonlage zurück.

»Ich lasse mir bloß von keinem Mann mein Leben bestimmen! Bälger in die Welt setzten, Kochen, einen Haushalt führen - das ist bei Gott nicht mein Leben. Aber da ich als Caroline Brennan niemals zur See hätte fahren können, wurde ich eben zu Duncan Cormac. Keiner von euch hat es je bemerkt. Und ich stand euch in nichts nach, oder doch?«

»Darum geht es nicht! Du warst die gesamte Zeit auf dem Schiff und hast Unheil über uns gebracht! Du könntest Schuld an dem ganzen Unglück tragen, das über uns gekommen ist!«

»Ach bitte, Henry! Du glaubst doch nicht wahrlich an dieses Seemannsgarn! Kidd selbst ist an allem schuld, und dass er nicht Manns genug war, von Anfang an richtigen Kurs einzuschlagen.«

Henry ließ sich völlig entrüstet auf den Stuhl niederfallen. »Richtigen Kurs, ja? Dieser Kurs hat ihn ins Verderben gelenkt.«

»Nein, dass er sich so lange dagegen gewehrt hat, hat ihn ins Verderben gelenkt. Wenn er früher den Wünschen seiner Mannschaft entsprochen hätte – und das als ihr Captain, nicht als ihr Gefangener – dann hätten sie zu ihm gehalten.«

Henry seufzte. »Duncan oder Caroline, ganz egal. Der Mensch, der hier vor mir steht, war Kidds Freund und ist auch der meine. Kidd hat dir und Joseph diese Schlüssel anvertraut und ich hatte erwartet, dass du mich aufsuchst.«

»Was soll ich sagen? Joseph war nicht fähig, die Schmuckstücke zu verteidigen, und ich wollte nicht mein Leben dafür geben. Jennings, Angers und Simpson wollten ihr Stück vom Kuchen abhaben, also habe ich sie gelassen. Nachdem ich mir meinen Anteil gesichert habe.«

»Du hättest Joseph unterstützen sollen, anstatt ihm in den Rücken zu fallen! Wo ist er jetzt?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Hat sich aus dem Staub gemacht.«

Henry schnaufte wütend. »Joseph Monroe? Abgehauen, ohne ein Wort?« Das konnte er bei bestem Willen nicht glauben. Andererseits … Hätte man ihn einige Minuten zuvor gefragt, ob er sich vorstellen könnte, Duncan Cormac wäre eine Frau, den hätte er ebenso für verrückt erklärt.

»Mistkerl …«, knurrte er also.

Sie sagte nichts dazu und schaute ihn anteilslos an. Er atmete einmal tief durch. »Der Schatz, den Kidd vergraben hat, das ist unser Erbe, also lass uns die Bastarde finden, ihnen die Schlüssel abnehmen und nach dem Schatz suchen.«

Verstohlen schaute Caroline zu der Schublade eines Nachtschrankes neben dem Bett. »Weißt du, Henry, so egal mit den Namen ist das gar nicht. Denn mit ihnen ändert sich auch der Mensch in mir. Duncan Cormac war dein Freund. Doch hinter ihm werde ich mich nicht länger verstecken. Ich bin nun Caroline Brennan und als solche habe ich etwas anderes vor.«

»Wovon redest du?«

Sie schaute ihn wieder an. »Ich bin die erste Frau, die ein Piratenschiff befehligen wird. Ich habe schon eines. Es trägt den Namen Ghost, denn als Geist hat sich die Frau vor dir fünf Jahre lang gefühlt. Und weißt du, was das Beste ist? Es haben bereits fünfzig Männer angeheuert.«

Er erhob sich. »Und bei wem? Bei Duncan oder bei Caroline?«

Sie trank einen Schluck Rum. »Ich werde mich ihnen noch offenbaren.«

»Du bist ja nicht bei Sinnen! Sie werden dich töten, wenn du ihnen sagst, dass du eine Frau bist.« »Nein, werden sie nicht. Nicht bei Aussicht, zu welchem Reichtum ich ihnen verhelfen werde.«

Seine Augen weiteten sich. »Hast du jetzt völlig den Verstand verloren?! Kidd hat seinen Schatz uns hinterlassen! Nicht einer Horde hirnloser Piraten!«

»Wir sind bereits selbst Piraten, Henry! Du magst noch kein Schiff und keine Mannschaft besitzen, aber all das wirst du dir noch besorgen. Denn ohne ausreichende Unterstützung werden wir den Schatz nie finden. Und wer würde uns schon helfen, wenn nicht Gesetzeslose?«

Beide beruhigten sich ein wenig. Dann sagte Caroline: »Außerdem … Was glaubst du eigentlich, hat William noch hinterlassen, außer Gold, Silber und Gewürze, weswegen du hier so herumzeterst?«

»Letzte Worte, Dun- Caroline.«

Sie rollte mit den Augen, drehte sich nebenbei um und ging zum Nachtschrank. »Ist das dein Ernst? Geliebter Henry, hier ist ein bisschen Gold, kauf dir etwas Schönes«, spottete sie.

Er schaute zu Boden und versuchte, seinen Zorn über ihren Spott im Zaume zu halten. »Hör auf damit. Es gab zwischen ihm und mir Dinge, die nur wir beide geteilt haben.«

»Oh ja, das glaube ich gern«, schnaubte sie belustigt und er hörte, wie sie eine Schublade öffnete.

»Du hast keine Ahnung, wovon ich spreche, also halt den Mund!« Er hob den Blick wieder an und stutzte. Sie stand nicht mehr am Nachtschrank. Er schaute nach links und entdeckte sie am offenen Fenster stehen, ein funkelndes Schmuckstück in der Hand.

Erschrocken sah er sie an. »Du wirst doch nicht-«

»Doch, werde ich. Und ich werde die Schlüssel vor dir finden, ihre Besitzer töten und den Schatz an mich nehmen. Kidds Liebesbrief werde ich dir bringen, keine Sorge. Aber das Gold gehört mir.«

Sie wollte gerade springen, da ließ Henry blitzschnell seine Hände hervorschießen und warf zwei Messer in ihre Richtung. Ihre Flugrichtung war so präzise, dass sie beide mit der stumpfen Seite genau dort trafen, wo Henry es beabsichtigt hatte. Eines schlug Caroline gegen die linke Hand, sodass sie das Schmuckstück fallen ließ, das andere schlug ihr direkt gegen die Stirn und brachte sie zum Fall aus dem Fenster. Die Vorhänge wehten einen Moment wild hinaus, mitgerissen von dem Windstoß, den Carolines fallender Körper erzeugt hatte. Dann wurde es still im Zimmer.

Henry schüttelte fassungslos den Kopf. Duncan Cormac war neben Joseph Monroe einer der wenigen Menschen gewesen, denen Henry blind vertraut hatte. Dabei hatte jene Person Kidd bereits betrogen, bevor der seinen Prozess hingenommen hatte; ganz zu schweigen davon, dass sie in Wirklichkeit jemand anderes war.

Henry sammelte seine Messer wieder ein und nahm auch das Schmuckstück an sich, woraus William Kidd ihm gegenüber solch ein Geheimnis gemacht hatte. Er bettete es in seine Handfläche und betrachtete es. Ein runder, goldener, mit Edelsteinen verzierter Kranz schwang sich um einen elfenbeinernen Hirsch, der ebenfalls mit funkelnden Steinchen und Perlen verziert war. Kidds Ziehsohn runzelte die Stirn. Dieses Schmuckstück war ihm höchstbekannt. Es war eines der Medaillons, die William Kidd seiner Frau, Lady Sarah Kidd, zur Hochzeit geschenkt hatte und die sie nur zu ganz besonderen Anlässen getragen hatte. Kidd hatte unmissverständlich von Schlüsseln gesprochen, doch hiermit … ließe sich rein gar nichts aufschließen.

Er rätselte, was es damit auf sich haben mochte, aber er vertraute seinem Mentor. Wenn er es jetzt auch noch nicht verstehen konnte, würde sich ihm schon offenbaren, was William Kidd ihm hiermit hatte sagen wollen.

Während er das Schmuckstück in einer eingenähten Innentasche seiner ledernen Jacke verstaute, drang lauter Krach von draußen durch das Fenster und holte ihn aus seinen Grübeleien. Vorsichtig linste er zwischen den Vorhängen aus dem Fenster hinaus. Caroline erhob sich taumelnd und benommen vom feuchten Pflasterstein, während die Frau herangelaufen kam, die Caroline vorhin fortgejagt hatte.

»Das ist sie!«, zeterte sie und zeigte mit dem Finger auf Henrys einstigen Kamerad - zwei Stadtwachen im Schlepptau. »Das ist die Betrügerin!«

Die beiden Wachen stürmten auf Caroline los.

»Das ist ja Duncan Cormac!«, erkannte einer von ihnen aufgeregt. »Einer von William Kidds ehemaligen Männern! Die werden uns als Helden feiern; los, schnappen wir ihn uns!«

Ohne Zeit zu verschwenden ergriffen sie Caroline, die sich kaum gegen sie wehren konnte, unbewaffnet und so benommen, wie sie im Augenblick war. Dennoch hatten es die beiden Männer sichtlich schwer, sie festzuhalten. Auch in diesem Zustand war sie eine gute Kämpferin und wehrte sich nach Leibeskräften. Kein Wunder, dass Henry nie durchschaut hatte, dass sie gar kein Mann war.

Schlussendlich jedoch gelang es den Wachen, sie von den Beinen zu reißen und zu Boden zu werfen. Sie drückten Carolines Arme auf dessen Rücken und knieten sich beide auf sie, sodass sie sich gar nicht mehr bewegen konnte. Caroline knurrte und brüllte wie ein wildes, tollwütiges Tier. Leichter Schaum quoll ihr aus dem rechten Mundwinkel und ihr Gesicht lief tiefrot an, so sehr strengte sie sich an, ihnen doch noch zu entwischen. Überall in unmittelbarer Nähe wurden Fensterläden geöffnet und mit Kerzenlicht ermöglichten sich Besitzer neugieriger Augenpaare, zu verfolgen, was hier mitten in der Nacht geschah.

Henry schaute derweil von oben auf Caroline herab und ihre Blicke trafen sich. Sie konzentrierte ihren Zorn nun voll und ganz auf ihn. Er konnte sehen, wie sie ihn innerlich verfluchte, wie sie alle möglichen bösen Wünsche mit ihren Augen zu ihm emporschickte, doch nichts davon traf Henry ins Herz. Er stierte sie einfach weiterhin unbarmherzig nieder und sah tatenlos dabei zu, wie ihr von den Stadtwachen die Eisen angelegt wurden. Sie hatte jedes Recht verspielt, an sein Gewissen zu appellieren. Sie war eine Schwindlerin und obendrein des Verrates an seinem hochgeschätzten Mentor schuldig.

Als die eisernen Handschellen fest um ihre Handgelenke geschlossen waren, schien sie allmählich zu begreifen, dass ihr eine Exekution bevorstand. Ihr Hass wandelte sich in Verzweiflung. Die Wachen zeigten sich von ihren restlichen Fluchtversuchen immer unbeeindruckter und schwelgten bereits in ihrem Erfolg. Caroline zeterte, schrie und klagte, doch das war alles, was sie tun konnte. Vier weitere Wachen kamen die bepflasterte Straße hinuntergelaufen und machten unter dem Fenster Halt, aus dem Henrys Kopf hinauslugte.

»Wen haben wir hier, Männer?«, fragte einer von ihnen.

»Einen Kidd-Piraten«, antwortete die Wache, die sich noch immer mit ihrem ganzen Gewicht auf Carolines Rücken kniete.

»Das ist doch kein Pirat«, sagte die Blondine, die mit etwas Abstand tatenlos danebenstand. »Sie ist eine Frau, eine Betrügerin, sie-«

Einer der neu dazugestoßenen Wachmänner drehte sich zu ihr herum und bot ihr seinen Arm an. »Schon gut, Miss. Ihr seid ein wenig aufgewühlt, das verstehe ich. Kommt, ich bringe Euch heim; Ihr solltet ohnehin nicht mehr draußen sein zu dieser Stunde.«

Überraschenderweise ließ sie sich protestlos von dem Wachmann wegführen. Einer der anderen stemmte die Hände in die Hüften und schaute sich um.

»Nun, Männer, wo ein Kidd-Pirat herumlungert, dürften die anderen nicht weit s-«

Bevor er seinen Satz zu Ende gesprochen hatte, entdeckte er Henry oben am Fenster.

»Verdammt soll ich sein! Hab ich’s nicht gesagt? Das da ist Henry Austen, Kidds Quartiermeister!«

Sofort setzten sie sich in Bewegung und stürmten in das mehrstöckige Haus.

Henry warf Caroline einen letzten Blick zu, dann wandte er sich ab, um zu fliehen.

»AUSTEN!«, hörte er Caroline mit heiserer Stimme schreien. Er stoppte und schaute über die Schulter nach hinten aus dem Fenster, hinunter zu ihr. Tränen liefen ihr die roten Wangen hinunter und sie schaute ihn flehend an. »Austen!«, rief sie erneut verzweifelt, wenn auch nicht so lautstark wie zuvor.

Der Tumult im Flur wurde lauter. Zu dem Stiefelgepolter gesellte sich das bedrohliche Klirren von Waffen; die Wachen kamen immer näher. Er wandte den Kopf nach vorn auf das gegenüberliegende Fenster, welches sein einziger Fluchtweg war. In weniger als zehn Sekunden würden die Wachen in das Zimmer stürmen und ihn höchstwahrscheinlich überwältigen. Sie würden ihn festnehmen und am gleichen Galgen hinrichten, an dem schon sein Mentor gehängt worden war.

Wenn er jetzt nicht die Flucht ergriff …

Er schaute zurück aus dem Fenster hinter sich. Noch immer hielt Caroline starren Blickkontakt.

Bitte, formten ihre Lippen lautlos. Er knirschte mit den Zähnen. Eigentlich verdiente sie es, hier zurückgelassen zu werden. Jahrelang hatte sie ihn glauben lassen, jemand anderes zu sein; hatte die erstbeste Gelegenheit dazu genutzt, sich an Kidds Misere zu bereichern und ihn zu hintergehen. Doch … waren die Umstände, in denen sie sich die vergangenen Wochen befunden hatten, alles andere als gewöhnlich gewesen. Er atmete tief durch die Nase aus und gab sich einen Ruck. Er würde ihr das alles nicht vergeben können, aber die Freundschaft überwog schließlich doch.

Inmitten von Sekunden zielte er mit beiden seiner Messer, ohne auf jegliche Gnade aus zu sein. Die Waffen peilten nach seinen galanten Handbewegungen treffsicher die beiden Männer an, die sich bereits ihren unermesslichen Ruhm auf der Zunge zergehen ließen. Der eine wurde in den Nacken getroffen, der andere mitten ins Herz. Beide sackten leblos in sich zusammen.

Die Zimmertür hinter Henry sprang so ruckartig auf, dass sie sich beinahe aus ihren Angeln hob. Gerade noch rechtzeitig sprang er aus dem Fenster und ließ nichts als wirbelnden Staub zurück. Alle Hände, die gewaltsam nach ihm griffen, bekamen nur noch die wehenden Vorhänge zu greifen.

Gekonnt rollte Henry Austen sich am gepflasterten Boden ab und landete neben Caroline wieder auf den Füßen. Jegliche Fensterläden der Gebäude in der Straße wurden spätestens jetzt lautstark wieder geschlossen und hervorlugende Köpfe verschwanden furchtsam dahinter.

»Anlegen!«, ertönte eine Stimme von oben, und der Ziehsohn William Kidds musste nicht erst aufschauen, um zu wissen, dass damit die ausgerüsteten Musketen der Wachen gemeint waren.

In Windeseile grabschte Henry den Schlüsselbund vom Gürtel eines der Toten und zog Caroline auf die Beine. Schon schallten Schüsse durch die Luft und ließen Sandkörner neben ihren Füßen emporpeitschen. Die Geschütze prallten am Pflaster ab, schleuderten gegen Hauswände und sprengten Laternen und Töpfergut. Mit dem Arm vor seinem Gesicht und Caroline mit eingezogenem Kopf, schützten sie sich vor herabrieselnden Scherben. Wie vom Hafer gestochene Pferde rannten sie los. Die Zeit, die die ungeübte Stadtwache zum Nachladen benötigte, verschaffte ihnen einen lächerlich großen Vorsprung. Rasant waren sie der gefährlichen Reichweite entkommen und würden bereits über alle Berge sein, wenn die Rotröcke die Treppen wieder heruntergelangt waren.

 

In Hafennähe bogen sie in eine dunkle Seitengasse und quetschten sich zwischen Fässern und Frachtgut. Nur ganz langsam kamen sie wieder zu Atem.

Sie lauschten. Das Wasser plätscherte friedlich gegen die Docks, eine Laterne quietschte dem Wind ergeben, und in der Ferne bellte ein Hund. Sonst war nichts zu hören. Kein Stiefelgepolter, keine Schüsse, keine aufgebrachten Rufe. Alles war ruhig. Dieser Teil der Stadt war seinem tiefen, nächtlichen Schlaf verfallen.

Erleichtert atmete Henry aus.

Er hätte niemals gedacht, einst als gesuchter Verbrecher auf der Flucht zu sein …

Streng schaute er Caroline an, die schuldbewusst ihren Blick senkte. »Du hättest mich dort zurücklassen können«, sagte sie leise.

»Das hättest du auch verdient gehabt«, entgegnete er, ebenfalls wispernd, um nirgends Aufmerksamkeit zu erregen. Ihr Blick hob sich zu seinen Augen. »Danke.«

Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich will deinen Dank nicht. Du bist jetzt Captain einer Piratencrew, Brennan, also verhalte dich auch so.«

»Und was willst du stattdessen?«

Er griff in die Innentasche seiner ledernen Jacke und hielt ihr das Schmuckstück vor die Nase.

»Was hat dir Joseph hierrüber erzählt?«

»Nicht viel. Sie sollen den Weg zum Schatz weisen. Ich glaube, die Zahlen auf der Rückseite sind Koordinaten. Ich habe erst hinterher herausgefunden, dass sie nur Sinn ergeben, wenn man alle beisammenhat.«

Auf der Rückseite? Henry drehte sein Handgelenk und betrachtete den Nacken des Hirsches. Tatsächlich. Neben dem ins Elfenbein geschnitzte Fellmuster erkannte er eingeritzte Zahlen. Das war es also, was Kidd mit den Schlüsseln gemeint hatte. Sie waren die Wegweiser zu seinem Vermächtnis. Seinen Erinnerungen zufolge hatten sich fünf solcher Medaillons im Besitz von Lady Sarah Kidd befunden. Ein Hirsch, ein geflügeltes Pferd, ein Delfin, ein Adler und ein Löwe. Eines von ihnen war für ihn bestimmt gewesen und hatte um den Hals seines Mentors hängen sollen. Doch als Henry gestern seinen Leichnam aus dem eisernen Käfig befreit hatte, hatte er nichts an Habseligkeiten bei ihm finden können.

»Wie viele von den Medallions waren in der Truhe?«

Caroline zuckte nervös mit den Schultern.

»Keine Ahnung, ich erinnere mich nicht …«

»Dann denk nach!«

Stoßartig ließ sie Atem entweichen und rollte mit den Augen, aber Henry ließ sie mit seinem Blick spüren, dass er sie nicht eher gehen ließe, ehe er eine Antwort erhielt.

Nach einer nervtötend langen Weile des Überlegens, sagte sie schließlich: »Verdammt, vielleicht vier, ich sage doch, ich weiß es nicht mehr.«

»Scheiße«, knurrte er. Das breitete den Kreis der potentiellen Besitzer viel weiter aus, als er ohnehin befürchtet hatte. Die drei Mistkerle ausfindig zu machen, die zu Kidds ehemaliger Mannschaft gehörten, dürfte nicht allzu schwer werden. Mit etwas Glück hatten sie die Schmuckstücke noch nicht vertickt oder in sinnlosen Karten- oder Würfelspielen eingesetzt. Doch was den letzten Schlüssel anging, so könnte vermutlich sowohl jeder Navy-Soldat infrage kommen, der seinen Mentor in den letzten Stunden vor dessen Hinrichtung bewacht hatte, als auch Leichenfledderer, die des Nachts aus ihren Löchern krochen. Verdammt, sogar der Henker könnte der Dieb sein.

»Was ist?«, fragte Caroline.

Nun denn, es brachte nichts, sich jetzt schon den Kopf darüber zu zerbrechen. Henry durfte keine Zeit verlieren; er musste rasch mit der Suche beginnen, oder die Schlüssel würden sich in alle Himmelsrichtungen verstreuen.

»Würdest du vielleicht mit mir reden?«

Ohne eine Antwort darauf schloss er ihre eisernen Handschellen auf, die anschließend zusammen mit dem Schlüsselbund klirrend zu Boden fielen. Er gab ihr das Schmuckstück in eine Hand und schaute sie entschlossen an. »Du schuldest mir dein Leben, Caroline Brennan. Du wirst diesen Schlüssel für mich aufbewahren, bis ich die anderen gefunden habe.«

Sie runzelte die Stirn. »Das ist alles?«

»Das, und ein Gefallen.«

Augenblicklich war ihr Misstrauen geweckt. Sie kniff die Augen zusammen. »Was für ein Gefallen?«

»Das überlasse ich dir. Du wirst es wissen, wenn es soweit ist. Bis dahin … verwahre einfach den Schlüssel.«

Er wandte sich zum Gehen, doch sie hielt ihn am Arm zurück.

»Schließ dich meiner Crew an, Henry.«

Er warf ihr einen nüchternen Blick zu. »Ich segele nicht unter der Flagge einer Frau.«

Sie rollte mit den Augen. »Dann eben unter Duncan Cormac.«

»Nein. Du bist Captain Brennan, die erste Frau, die ein Piratenschiff befehligen wird. Zerstör dir das nicht und beweise dich.« Als sie seinen Arm losgelassen hatte, schaute er leicht geheimnisvoll. »Ich wollte niemals ein Pirat sein … Aber wenn ich schon zu einem werden muss, dann werde ich Captain.«

Sie lächelte leicht. »Captain Austen … Hört sich gut an. Wie wirst du denn dein Schiff nennen?«

»Das weiß ich noch nicht. Aber es wird ein Name sein, der die erbarmungslose See dazu bringt, mir zu gestatten, sie zu befahren.«

Er verließ die Gasse mit den Worten: »Wir werden uns wiedersehen, Captain Brennan.«

Sie sah ihm nach. »Aye, aye, Captain Austen.«

 

Kapitel 1

 

Die Bahamas 1715, New Providence

 

Licht und Dunkel; Umrisse und Schatten, verschwommene Silhouetten und Laternenlicht führten einen Walzer vor seinen halb geschlossenen Augen vor. Leises Gemurmel und Raunen drang an sein Gehör, so sacht, als erzählte ihm jemand eine Gutenachtgeschichte.

Es wäre leicht gewesen, sich der Benommenheit hinzugeben und in einen tiefen Schlaf zu fallen. All seine Probleme hinter sich zu lassen. Das gesamte Gewicht abzuwerfen, das er auf seinen Schultern tragen musste, seit so vielen, vielen Jahren schon. Die Schatten vor seinen Augen verschwanden Stück für Stück und ließen eine wohltuende, friedliche Stille zurück. Er müsste sich nur von ihr mitreißen lassen. Sich vor ihr niederwerfen und ihr gestatten, alles um ihn herum zum Verstummen zu bringen, so lange es ihr beliebte. Selbst … wenn es für immer war.

Doch er konnte nicht. Es war, als hielte ihn jemand am Arm zurück und hinderte ihn daran, weiter voran in die Dunkelheit zu schreiten. Es schien ihm nicht gestattet zu sein, aufzugeben.

Der Captain der Ocean Duke sog einen tiefen Atemzug ein und musste ertragen, wie der Frieden seine feste Umarmung von ihm löste. Einige Male kniff er die Augen zusammen und öffnete sie wieder, so oft, bis sich die verschwommenen Umrisse seiner Sicht zu klaren Bildern formten. Sein Verstand arbeitete gestochen scharf. Er musste nicht erst an sich herunterschauen; er spürte gleich, dass er an einen Stuhl gefesselt war. Er wartete einen Moment, bis sein Gedächtnis ihm darlegte, was das Letzte war, an das er sich erinnerte. Sand … eine Schaufel in seinen Händen … Fanny Winter, die sie aus der Gewalt von drei Männern befreit hatten. Jack Leechs Männer. Aye, richtig, er befand sich auf New Providence. Zusammen mit Steel hatte er die Leichen von Jack Leechs Männern im Sand vergraben. Danach erinnerte er sich nur noch an ein dumpfes Gefühl, bevor er von der Dunkelheit umgeben worden war, nach der er sich nun sehnte. Offenbar hatte er einen schweren Schlag auf den Kopf bekommen. Bloß von wem? Mit den Jahren hatte er sich in Nassau einen Ruf erarbeitet; hatte Dinge getan, für die Blackbeard selbst ihm Respekt zollte. Kurz gesagt: er hatte sich einen Namen gemacht. Wer würde es wagen, ihn ohne Vorwarnung anzugreifen, und dann auch noch hinterrücks wie ein Feigling? Nasir Keenan etwa? Nein, dieser schwarze Satan stellte jegliche Auseinandersetzung mit ihm lieber öffentlich zur Schau, als wären sie beide rivalisierte Geschwister, die um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern buhlten. Wer könnte es sonst noch sein? Waren vielleicht noch mehr von Jack Leechs Söldnern aufgetaucht? Das wäre naheliegender als jeder andere Feind. Nun, nachzugrübeln, wer es war, diente ihm im Augenblick nicht; er musste beginnen, seine Situation einzuschätzen. Wer auch immer es gewagt hatte, Hand an ihn zu legen, würde sich ihm schon bald offenbaren, und dann musste er bereit sein, um diesen Jemand loszuwerden.

Die Benommenheit war das Einzige, was ihm verriet, dass es unklug wäre, seinen Kopf zu schnell oder überhaupt zu bewegen, also schaute er sich lediglich mit den Augen um.

Die Hütte, in der sie sich befanden, war ihm nicht fremd. Sie war das private Alkohollager der Mannschaft der Ocean Duke, welche sein Bootsmann, Benjamin Hodson, des Öfteren für seine Würfelspielchen nutzte. In Austen begann es leicht zu brodeln. Wenn das alles hier mit wütenden, betrogenen Spielern zu tun hatte, würde er bei seinem Bootsmann fürwahr Gebrauch einer Peitsche machen!

Sein Blick glitt nach rechts. Dort saß sein Quartiermeister, ebenfalls gefesselt an einem Stuhl. Er schien deutlich mitgenommener zu sein. Nicht verwunderlich; Steel musste wohl die Schmerzen spüren, die auch Austen haben würde.

Sein Kopf hing müde nach unten und seitlich an seinem Hals klebte getrocknetes Blut. Seines, keine Frage. Durchhalten, alter Freund, dachte Henry.

Und als hätte Steel das gehört, richtete er sich auf. Aber sicher verleitete ihn nicht der Gedanke seines Captains dazu, sondern die sich öffnende Tür, die auch Austens Aufmerksamkeit sofort auf sich zog. Die Person, die anschließend dort hindurchstiefelte, war ein recht kleiner Mann; vielleicht einen Meter sechzig groß.

Sein unangenehm milchfarbiges Gesicht war glattrasiert und entblößte ein leichtes Doppelkinn, das an einem etwas schiefstehenden Kiefer hing. Seine abfallenden Augen hatten ein Blau als Farbe, kälter noch als Eis. Austen kannte sicherlich nicht jedes einzelne Gesicht von Besatzungsmitgliedern anderer Crews hier auf New Providence, doch sofern er einmal in ein Gesicht geblickt hatte, kam es ihm bei jedem weiteren Aufeinandertreffen zumindest ein wenig bekannt vor. Bei diesem Mann hier tat sich in seinem Gedächtnis nichts. Zwar nahm er gerade eine Haltung ein, die vor Arroganz nur so strotzte und ihn ein wenig größer erscheinen ließ als er es war, doch Austen konnte sich bei bestem Willen nicht vorstellen, dass er zu Jack Leech gehören sollte. Wie ein rachesüchtiger, betrogener Spieler wirkte er auf ihn jedoch ebenfalls nicht, sondern eher wie jemand, der den Betrüger umgehend selbst erschoss und die Sache damit als erledigt betrachtete. Nein, sein hochnäsiges Auftreten, sein hochmütiger Gang und die Ansätze von Völlerei an seinem Körper, die Henry Austen nur aus gehobenen Kreisen kannte, verrieten ihm, dass es sich bei ihrem Entführer keinesfalls um einen Piraten handelte. Da konnte dieser ruhig von Kopf bis Fuß in der Kleidung eines gewöhnlichen Landstreichers stecken – er machte dem Captain der Ocean Duke nichts vor. Ob er jedoch froh über diese Erkenntnis sein konnte, war ungewiss. Denn wenn dieser Mann kein Pirat war … dann konnte dies nur eines bedeuten …

Ihr Entführer blieb direkt vor dem Captain stehen und sah auf ihn herab – gerade so eben; nur ein paar Zentimeter weniger, und sie wären sich auf Augenhöhe begegnet.

Weitere Männer betraten die Hütte und verriegelten die Tür hinter sich. Sie waren allesamt in der gleichen dunkelbraunen Landstreicherrobe gekleidet wie ihr offensichtlicher Anführer. In ihren sonstigen Erscheinungsbildern waren sie sich alle recht ähnlich und zu unscheinbar, als dass Austen ihnen vermehrt Beachtung schenkte.

»Guten Abend, Captain Austen«, wisperte der kleine Mann vor ihm. »Ist diese Hütte als Zelle zu Eurer Zufriedenheit? Dieser … penetrante Geruch nach Alkohol … die feuchten, moosigen Wände …« Er streifte die Finger seiner rechten Hand der Wand neben ihm und rieb sie anschließend an seinem Daumen.

»Genau die richtige Feuchtigkeit, um sich abkühlen zu können in dieser warmen Sommernacht, nicht wahr?«

Austen spürte Schweißtropfen seinen Rücken hinunterkullern und schnaufte genervt. Abkühlung war etwas, wonach man in dieser fensterlosen Holzhütte, die sich tagein tagaus in praller Sonne unerträglich aufheizte, vergeblich suchte.

»Was soll dieses Geschwätz? Wird mir nun der Prozess gemacht oder wollt Ihr vorher noch um meine Hand anhalten?«

Der Mann kicherte amüsiert. »Prozess? Für wen haltet Ihr mich?«

Austen hob nüchtern eine Braue. »Wollt Ihr das wirklich wissen?«

Ihr Entführer grinste, was bei seiner schiefen Kieferpartie schräge Lippen verursachte, und entfernte sich ein wenig von ihm, um mit auf dem Rücken verschränkten Armen vor den beiden Gefangenen hin und her zu gehen.

»Schön, ich formuliere die Frage anders: Für wen haltet Ihr Euch? Denkt Ihr, ich durchsuche den gesamten Atlantik und schleiche verkleidet in Nassau herum, um einen einzigen Piraten zur Strecke zu bringen? Ihr seid berühmt, Captain Austen, aber so berühmt nun auch wieder nicht. Davon abgesehen überlasse ich die Piratenjagd den Marionetten des Königs.«

»Ihr seid also keine davon?«

»Oh nein, ganz bestimmt nicht.«

Er blieb stehen, räusperte sich mit auf den Mund gedrückter Faust und straffte den Rücken, bevor er sagte: »Mein Name ist Commodore Randle Naughton, und auch wenn ich mich noch immer als stolzes Mitglied der Royal Navy sehe, verfolge ich eher größere Ziele.«

»Also seid Ihr hier, um die Piratenrepublik zu stürzen?«, fragte Steel mit rauer Stimme. Naughton schüttelte den Kopf.

»Nein, dazu fühlen sich andere berufen, mein vernarbter Freund. Aber seid gewiss, dass der Untergang der Piraten auch ohne mein Zutun schon bald bevorsteht.«

Austen stöhnte innerlich. Nerviges Navy-Geschwätz.

»Was verdammt wollt Ihr dann?«, knurrte er.

»Lassen wir doch am besten Taten sprechen, dann erklärt sich der Rest von allein.« Mit diesen Worten fasste er mit einem selbstgefälligen Lächeln unter seinen Mantel und holte ein Medaillon hervor, was er anschließend direkt vor Austens Nase hin und herpendeln ließ.

Seit einer gefühlten Ewigkeit stockte diesem der Atem. Er bemühte sich, seine Emotionen im Zaume zu halten, doch wie sollte ihm das bei diesem sagenhaften Anblick nur gelingen? Die Suche nach diesem Schmuckstück hatte ihn so viel gekostet; so viel abverlangt. Nicht enden wollende Jahre … etliche Fahrten auf See … Blut, Schweiß, Tränen und tote Kameraden … das alles hatte er ertragen; hatte Meere befahren, ganze Strände der abgelegensten karibischen Inseln schier umgegraben und sich nächtelang in den zwielichtigsten Gegenden britischen Bodens herumgetrieben. All dies, um den Aufenthaltsort des letzten Schlüssels zu William Kidds Vermächtnis ausfindig zu machen – und nun befand sich dieser buchstäblich direkt vor seiner Nase.

»Hast du gewusst, dass Delfine miteinander sprechen können?«,hörte er Lady Sarah Kidd in seinen Gedanken fragen und sah ein Bild der Vergangenheit vor sich, in dem sie auf der Bank unter der großen Linde im Rosengarten des Anwesens seiner Zieheltern saß und ihr liebstes Medaillon betrachtete, welches zu einem Arsenal an Hochzeitsgeschenken gehörte.

»Nein, das wusste ich nicht, Lady Kidd.«

Die Stimme der Vergangenheit, die er da hörte, war unbestreitbar seine eigene. Doch sie war so viel weicher und unschuldiger als die harte und erfahrene Stimme, mit der er heutzutage sprach. Sie erinnerte ihn an deutlich bessere Zeiten …

»Ein Seemann erzählte mir davon. Er sagt, sie leben in Gruppen, aber mir gefällt der Gedanke, es seien Familien.«

»Wenn wir Delfinen auf unserer Seefahrt begegnen, werde ich das für Euch überprüfen, mylady.«

Auf diese Worte hin hatte sie schwer geseufzt. Er erinnerte sich noch genau, wie sehr sie unter dem bevorstehenden waghalsigen Aufbruch der Adventure Galley gelitten hatte. Vermutlich hatte sie das Unheil bereits spüren können, bevor es eingetreten war. Diese Fähigkeit hatten Frauen den Männern aus seiner Sicht unbestreitbar voraus.

»Lass uns nun nicht darüber sprechen, Henry.«

»Natürlich, mylady. Verzeiht mir.«

Er erinnerte sich, dass er nach einer kurzen Weile des Schweigens gesagt hatte: »Ihr seid wahrlich vernarrt in dieses Medaillon. Ich sehe Euch immer bloß dieses Stück tragen. Gefallen Euch die anderen nicht?«

»Ich trug die Delfine bei unserer Vermählung. Sie gefielen William am besten von allen. Wegen seiner Passion zur See.«

»Ich verstehe.«

»Ich werde Sarah und Elizabeth jeweils eines von ihnen zu ihren Vermählungen schenken. Und wenn du einmal heiratest … soll deine Braut die Delfine bekommen.«

Das Schnippen von Naughtons Fingern holte ihn aus seiner Starre.

»Was ist los, Captain? Sehe ich da etwa Tränen in Euren Augen? Schwelgt Ihr in Erinnerungen um den großen Abenteurer William Kidd?«

Austen konnte es nicht verhindern, dass sich seine Gesichtszüge vor Wut verkrampften. Doch so lange er an den Stuhl gefesselt war, würde er diesen Marineabschaum nicht zum Schweigen bringen können. Er musste ertragen, wie der Commodore weiter mit den Füßen nach seinem verstorbenen Mentor trat.

»Ich werde ihn nie vergessen, den guten William Kidd. Wie sie ihn vorführten, im Jahre 1701 … Ihr wart bei ihm in der Nacht davor, nicht wahr? Herzzerreißend, wie Ihr ihn retten wolltet.«

Die Lehnen des Stuhls knarzten laut, als Austen seine Arme unter den dicken Fesseln anspannte.

»Ihr habt ihm das Medaillon gestohlen.« Der Captain der Ocean Duke presste diese Worte so zornesvoll zwischen den Zähnen hindurch, dass sich Speicheltropfen in seinem rotbraunen Barth verfingen. Damit erntete er das nächste selbstgefällige Lächeln des Commodores.

»Er hat es nicht einmal mitbekommen.« Naughton legte sich das Medaillon um den Hals, verschränkte die Arme wieder hinter dem Rücken und lief wieder genüsslich vor den Gefangenen hin und her.

»Der Arzt, der vor Euch bei ihm gewesen war, hat dem kleinen Feigling nämlich ein Mittelchen zur Beruhigung verabreicht. Oh, was hielt die Welt William Kidd doch für tapfer. Dabei war er die ganze Nacht weggetreten und die Nachwehen hielten so lange an, dass er bei der Exekution keine Angst verspürte.«

»Ihr habt einen totgeweihten, betäubten Mann bestohlen! Ihr seid ebenso ein Feigling, wie Ihr Kidd schimpft!«

»Ihr nennt es feige, ich nenne es eine Gelegenheit beim Schopfe packen.« Er blieb wieder vor Austen stehen, der seine Fingernägel so sehr in die Lehnen des Stuhls grub, dass sie tiefe Abdrücke hinterließen.

»Erst wollte ich Euch festnehmen, damals. Die beiden toten Wachen vor dem Verließ hätten mehr als genügt, um Euch direkt neben Kidd aufzuknüpfen; da hätten wir Euch gar nicht erst als Pirat anklagen müssen«, sagte der Commodore dann.

»Aber eure Unterhaltung war mehr als interessant. Nicht der Teil, in dem Ihr rumheultet wie ein kleines Mädchen, oder Kidd über seine so ehrenhaften Absichten faselte. Nein, ich meine die Unterhaltung über den Schatz … über die Schlüssel. Diesen hier Kidd abzunehmen, bevor Ihr ihn seinem Leichnam entnehmen konntet, war ein Kinderspiel. Das Beobachten und Verfolgen von Euch neben meinen Pflichten gegenüber der Royal Navy war der eigentliche schwierige Teil. Aber Geduld zahlt sich bekanntlich aus. Ich fand ein kleines Vögelchen, das mir regelmäßig Bericht erstattete. Neuerdings zählt Ihr zwei Schlüssel zu Eurem Besitz, habe ich recht? Einer soll verloren gegangen sein, aber das glaube ich nicht. Ihr habt ihn Eurem toten Smutje abgeluchst, ist es nicht so?«

Dieser Navy-Mistkerl konnte nur froh sein, dass er die Fesseln so festgezurrt hatte. Hätte der Captain der Ocean Duke auch nur eine Hand frei, dann -

»Hat das Vögelchen auch einen Namen?«, stocherte Steel.

Naughton hatte dafür nur ein müdes Lächeln übrig.

»Bedaure. Es soll mir auch künftig noch ein wenig vorsingen können.« Dann beugte er sich wieder leicht nach vorn.

»Ich will Eure Schlüssel, Austen. Alle beide!«

Trotz des Gefühlssturmes, der in Austens Innerem wütete, gelang es ihm, hinter die bröckelnde Fassade des Commodores zu blicken. Dieser Randle Naughton war angespannt und verdammt ungeduldig. Er täuschte die triumphierende Oberhand lediglich vor. Er mochte den Schlüssel besitzen, dessen Aufenthaltsort Austen jahrelang ein nicht enden wollendes Rätsel gewesen war, doch ansonsten hatte er nichts. Er war kein ernstzunehmender Gegner, was das Spiel des Wortwechsels belang. So wie der Captain ihn einschätzte, würde er schon bald die Geduld verlieren und einen Fehler machen.

Er schluckte seinen Zorn vorerst herunter und übte sich in Gelassenheit. »Ich nehme an, Ihr habt mich bereits durchsucht und festgestellt, dass ich sie nicht bei mir trage.«

»Für so dämlich habe ich Euch ohnehin nicht gehalten, aber ja, das habe ich.«

»Und mein Schiff habt Ihr ebenfalls durchsucht?«

»Ich hatte nicht die Absicht, die armen Schweine zu töten, die Ihr als bewachende Bemannung des Schiffes während Eurer Abwesenheit an Deck zurückgelassen habt.«

»Töten, aye?«

»Denkt Ihr, dazu wäre ich nicht in der Lage?«

»Dazu nicht, und ebenfalls nicht dazu, sich unbemerkt an ihnen vorbei zu schleichen. Aber wenn ich Euch so betrachte, wundert mich das nicht. Die Hose sitzt ein wenig eng, nicht wahr? Wenn man auf Deck aufkommt wie ein Sack Mehl, bleibt einem nur die Offensive. Schlecht, wenn man dann auch noch zu feige zum Kämpfen ist.«

Er hörte Steel von der Seite leicht lachen, und sogar einem von Naughtons Männern entwich ein leises Prusten, was sofort verstummte, als dessen Kamerad ihm mit dem Ellenbogen in die Rippen buffte. Der Commodore schnappte erst empört nach Luft, dann liefen seine milchigen Wangen in einem fleckigen Rot an.

»Ihr werdet mir auf der Stelle verraten, wo Ihr sie versteckt habt!«

»Ist das so, aye?«

Der Commodore holte zwei kurze, spitze Messer hervor, in jeder Hand eines.

»Ihr verschwendet Eure Zeit«, sagte Austen genervt.

»Tue ich das?!«, fragte Randle Naughton wütend, holte mit der rechten Hand Schwung und stach ihm eines der Messer kräftig in den linken Oberschenkel. Einen kurzen Moment wartete er blutdürstig auf einen Schmerzensschrei, doch Austen verzog keine Miene. Nach einer flüchtigen Weile seufzte der Captain genervt und ließ den Kopf leicht sinken. Verblüffung zuckte über das Gesicht des Commodores. Mit der anderen Hand hob er das zweite Messer an und stach es ihm in den rechten Oberschenkel. Austen schaute ihm gelangweilt in die Augen.

»Was zum …«, flüsterte der Commodore.

»Henry Austen ist nicht fähig, Schmerzen zu spüren, Ihr Narr«, ließ sich Steel mit hinterhältigem Grinsen vernehmen. Wütend schaute Naughton dem Captain in die Augen, dann zog er die Messer mit einem Satz wieder heraus. Mit grollendem Schnaufen schaute er auf ihn herab. »Beeindruckend. Ich bin nicht sicher, ob ich solch einem Menschen schon einmal begegnet bin.«

»Mhm. Diese Gabe ist Fluch und Segen zu gleich«, murmelte Austen und schaute auf seine blutenden Oberschenkel. Er fühlte nicht, ob Naughton sie gefährlich verletzt hatte oder ob sie schnell heilen würden … Dewane würde sie sich ansehen müssen. Der Commodore wandte sich an Steel.

»Und wie steht es um Euch?« Bedrohlich näherte er sich seinem zweiten Gefangenen.

»Na dann strengt Euch mal an«, sagte Steel herausfordernd.

Der Commodore schüttelte nüchtern den Kopf.

»Nein. Ihr habt recht, das ist alles Zeitverschwendung. Mir schwebt etwas Anderes vor.« Er schritt um Steel herum und stoppte hinter ihm.

»Euer Captain mag keine körperlichen Schmerzen spüren können. Doch wie steht es mit seelischem Schmerz, hm?« Noch während er die letzten Worte sprach, umfasste er Steels Stirn und zog seinen mit grauen Stoppeln besetzten Kopf nach hinten, mit der anderen Hand setzte er eines der Messer an seiner Kehle an.

»Ich möchte den Schatz des Captain Kidd darauf verwetten, dass es Euch sehr wohl unermessliche Schmerzen bereiten würde, einen Freund sterben zu sehen!« Diese Aussage, und dass er über Louies Tod Bescheid wusste, bestätigten dem Captain der OceanDuke, dass es wahrhaftig einen weiteren Verräter in seiner Crew gab. Der Commodore hätte sonst nicht das Wort Freund gebraucht, sondern bestenfalls Kamerad, ohne zu wissen, wie Steel und er zueinanderstanden. Bloß hatte er niemals damit gerechnet, dass dieser Verräter mit der Royal Navy zusammenarbeitete. Wenn er auch nur die Ratte dieses skrupellosen Hampelmannes war, gehörte der trotzdem zur Royal Navy. Das verschlimmerte den Verrat ums Unermessliche.

Leider konnte Austen nicht verbergen, dass der Commodore mit seiner Vermutung mehr als recht hatte. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit war er nicht mächtig, eine Entscheidung darüber zu treffen, was er nun tun sollte. War es ihm nach all den Jahren wirklich noch immer so wichtig, den Schatz seines Mentors zu finden? War es ihm mehr wert als das Leben seines besten Freundes? Er kannte Steel nun eine Ewigkeit und genauso lange hatten sie Tag für Tag die Segel desselben Schiffes zusammen gehisst. Hatte die Suche nach den Schlüsseln nicht schon genügend Opfer gefordert? Piraten segelten auf dem Meer, kaperten Schiffe, trieben Handel an Land und vertrieben sich ihre freie Zeit mit den sündhaften Versuchungen dieser Welt.

All jene, die bei ihm angeheuert hatten, hatten genau dieses Leben führen wollen. Welche familiäre Situation, finanzielle Lage oder närrische Abenteuerlust sie dazu auch getrieben haben mochte – gab es ihm wirklich das Recht dazu, sie für sein Hirngespinst zu missbrauchen, den Schatz seines Mentors und ehemaligen Captains zu bergen? Bedeutete es ihm wirklich so viel, dass er diesen Mistkerl der Royal Navy den Mann töten ließ, der ihm in der vergangenen Zeit ein mindestens genauso guter Freund geworden war wie William Kidd?

»Henry«, röchelte Steel, und dieser blinzelte sich aus seinen Gedanken. »Sei kein Narr. Denk nicht einmal daran, es ihm zu verraten!«

»Schnauze!«, bellte Naughton.

»Steel …«, flüsterte Austen, beinahe überwältigt von der Loyalität seines Quartiermeisters.

»Besinne dich verdammt noch mal, was dir das bedeutet! Was es dich alles schon gekostet hat! Ist dir das so wenig wert, dass du für mich elenden Hund dieser Kakerlake deine Schlüssel überlassen willst?«

Der Commodore ruckelte einmal kräftig an Steels Kopf, um ihn zum Schweigen zu bringen.

Austen und Steel sahen sich tief in die Augen, dann nickte Steel seinem Captain entschlossen zu.

Dieser senkte sein Haupt deutlich in Steels Richtung – eine Verbeugung tiefsten Respekts – dann hob er den Kopf wieder an und fing den Blick von Naughton ein. Der Commodore wurde immer ungeduldiger. »Ich schwöre bei allem, was ich besitze, ich werde ihn töten, Austen!«

Der Captain stierte ihn unerschütterlich nieder und schaffte es mit seinem Blick, auf den Commodore herabzusehen, obwohl dieser sie beide in seiner Gewalt hatte und er sitzend an einem Stuhl gefesselt war.

Der Commodore war so verärgert, dass die Hand, mit der er das Messer hielt, zu zittern begann.

Steel schloss die Augen. »Argh, verdammt. Wie gern hätte ich Nasir Keenan noch den Arsch versohlt.«

Austen schmunzelte schwach und schaute voller Akzeptanz zu Boden. Er konnte Randle Naughton so sehr mit den Zähnen mahlen hören, dass er sich nur zu leicht vorstellen konnte, wie sehr er vor Wut kochen musste. Er besaß keine Macht über Captain Henry Austen; nichts und niemand könnte ihn dazu bewegen, Elizabeth Kidd aufzugeben. Er war seinem besten Freund zu tiefstem Dank verpflichtet, dafür, dass er ihn daran erinnert hatte. Umso mehr spannte sich sein Körper vor Widerwillen und Bedauern dabei an, auf Steels schmerzerfülltes Gurgeln und Röcheln zu warten. Doch anstatt der Laute, die ein klaffendes Loch in seiner Seele zurücklassen würden, ertönte das laute Grollen einer Explosion, und plötzlich flogen den Männern die Balken der Hütte buchstäblich um die Ohren.

 

Kapitel 2

 

Am Strand von Nassau, einige Stunden zuvor

 

Alice und Shawn sparzierten in aller Seelenruhe den Strand entlang, nachdem Alice sich im Wasser gewaschen und wieder angekleidet hatte. Nicht nur hatte das erfrischende Bad im Meer sie nach dem erfolgreich ausgeführten Auftrag für ihren Captain entspannt, sondern sie hatte ebenfalls jeglichen Dreck des Mannes davongewaschen, den sie an ihren Körper haften geglaubt hatte. Während des Gehens wrang sie sich die nassen, goldblonden, langen Haare aus und schüttelte sie, wie ein nasser Hund sein Fell. Dann seufzte sie inbrünstig und hakte sich bei Shawn ein.

»Geht es dir besser?«, fragte er.

»Aye. Ich fühle mich so rein, als hätte ich in Weihwasser gebadet.«

»War er so schlimm?«, stichelte er.

»Du hast ja keine Ahnung.«

Er lächelte verschmitzt.

»Das hat sich vorhin aber ganz anders angehört.«

Alice schnaufte und schaute verbissen zur Seite. Für gewöhnlich war sie nicht empfindsam Shawns Sticheleien gegenüber, was ihren Nutzen für Henry Austen und ihr Aufgabengebiet in der Crew betraf – schon gar nicht, wenn sie dadurch erfolgreich wichtige Informationen für ihren Captain ergatterte – doch wenn es ein Auftrag erforderte, dass sie wahrhaft bis zum äußersten gehen musste, fühlte sie sich schmutzig. Ganz gleich, wie oft sie schon gekämpft, Männer getötet oder verängstigt hatte; ganz gleich, welch eine gefährliche Piratin sie war – ihre Weiblichkeit zu benutzen, um an ihr Ziel zu gelangen, beschämte sie. Sie wäre Shawn, dem Mann, den sie begehrte und dem sie am liebsten ganz allein gehören wollte, äußerst dankbar, wenn er mit seinen Scherzen zumindest einen Tag warten würde. Doch mitnichten. Schon hörte sie ihn wieder prusten.

Verärgert atmete sie aus. »Komm schon, lass das.«

»Was denn? Er war bestimmt gut, so laut wie du warst.«Genervt schaute sie ihn an.

»Du weißt ganz genau, dass das gespielt war.«

»Ich glaube dir nicht«, witzelte er.

Unbemerkt atmete sie einmal tief durch und schluckte ihre Missgunst hinunter. Eigentlich könnte ja alles viel schlimmer sein. Es waren nur Witze, die sie von Shawn ertragen musste. Er akzeptierte die Befehle des Captains und sie wurde nicht von ihm verachtet, dafür, dass sie dasselbe tat. Er lief mit ihr Arm in Arm, in einer Weise, als hätte sie niemals bei jemand anderem gelegen. Er hielt es ihr nicht vor. Verstieß sie nicht. Da sollte sie es doch eigentlich ertragen können, dass er seiner versteckten Verärgerung auf diese harmlose Weise Luft machte. Sie funkelte ihn an und überwand sich, in seine Scherze mit einzustimmen.

Theatralisch machte sie einen Laut des Bedauerns und sagte:

»Was willst du denn hören? Dass keiner so gut ist wie du? Da muss ich dich leider enttäuschen.«

Mit gespielter Empörung atmete er ein, packte sie unter lautem Lachen ihrerseits an den Hüften, hob sie hoch und schleuderte sie einmal herum, ehe sie rücklings in den Sand stolperte und er sich auf sie warf.

»Das glaube ich dir noch viel weniger«, grinste er.

Ihre Atmung wurde langsamer und tiefer und sie schauten sich leidenschaftlich in die Augen. Mit einem Finger kitzelte sie über das tiefe Grübchen seines Kinns, das mit pechschwarzen Bartstoppeln versehen war.

»Also schön, du hast mich ertappt, großer, starker Mann. Keiner ist so gut wie du, und ich bin dir unsterblich verfallen.«

Shawn kam ihr mit seinem Gesicht entgegen und sie küssten sich intensiv und verlangend, bis sie plötzlich Stimmen von links herannahen hörten. Er entfernte seinen Mund von ihrem.

»Mierda, da kommt jemand«, nörgelte er.

»Ist mir egal«, hauchte sie ihn an. Beinahe wäre er darauf eingegangen, hätte er nicht im letzten Moment einen Blick nach links gewagt. Hastig sprang er auf und zog Alice mit einem Satz nach oben.

»Shawn, was ist denn?!«

»Sei still!«, befahl er ihr, packte ihre Hand und zog sie im Laufschritt Richtung Düne, wo sie sich anschließend verschanzten. Von dieser Deckung aus lugten sie vorsichtig ihre Köpfe vor und beobachteten eine Gruppe dunkel gekleideter Männer, die mit Bajonetten besetzten Gewehren bewaffnet waren, wie sie zwei bewusstlose Seeräuber jeweils an Armen und Beinen den Strand entlang trugen.

Shawn und Alice erkannten sofort, um welche Seeräuber es sich da handelte. Der Spanier zog seinen Degen und wollte aus dem Schutz der Düne hervorspringen, wurde aber von seiner Gefährtin gehindert, die ihn energisch am Ärmel zurückzog.

»Nicht, Shawn!«, flüsterte sie scharf.

»Das sind Steel und der Capitàn!«

»Die von zehn bewaffneten Männern entführt werden, aye!

Ich habe keinerlei Waffen, um dir zu helfen. Willst du ganz allein auf sie los? Du würdest sterben!«

Sie nahm sein Gesicht in beide Hände und lenkte seine Blickrichtung von den Männern weg. »Sie sind weit genug ab vom Wasser gelaufen, mi amor. Ihre Fußspuren sind auch in zehn Minuten noch da.«

Widerstrebend steckte er seinen Degen zurück. Die Gruppe entfernte sich immer weiter von ihnen und Shawn sah ihnen angespannt nach.

»Das sind die Marineleute«, erkannte Alice. Die Beschreibung, die sie heute Nacht von dem Seemann erhalten hatte, den sie auf ihre Art verhört hatte, stimmte genau.

Erschrocken schaute er sie an.

»Dann wurden Steel und der Capitán von der Marine entführt?! Wir sollten Thatch informieren!«

»Bist du von Sinnen?! Der schickt seine Männer und die erschießen jeden Einzelnen, ohne zu fragen; Austen und Steel also gleich mit. Nein, wir müssen uns da alleine drum kümmern.«

 

Alice und Shawn rissen die Tür des Heimes ihres Captains auf und stürmten hinein, was Samuel Winter von dem Sofa vor dem Kamin aufschrecken ließ. Vermutlich der Gewohnheit geschuldet, zog dieser eine Pistole und richtete sie auf die beiden, nahm sie aber sogleich wieder herunter, als er sie erkannte.

»Lass den Blödsinn, Winter!«, zickte Alice.

Samuel legte die Waffe auf das Sofa und trat hervor.

»Was soll ich denn denken, wenn ihr wie tollwütige Tiere reingestürmt kommt?« Er musterte Alice, die mit durchnässten Haaren und sandbeschmutztem Kleid im Wohnraum stand.

»Bist du ins Wasser gefallen?«

»Weißt du, wo Paddignton steckt?«, fragte sie, ohne Antwort auf seine Frage.

»Wieso sollte es mich interessieren, wo der Lockenkopf rumlungert?«

»Weil wir ihn brauchen«, sagte Shawn.

»Dann klappert einfach jedes Freudenhaus in Nassau ab. Ich bin sicher, so findet ihr ihn.«

Mit diesen Worten wollte Samuel sich wieder auf das Sofa setzen, als er in der Bewegung innehielt, sich wieder zu ihnen umdrehte und fragte: »Wo ist eigentlich der Arzt?«

»Qué?«, fragte Shawn etwas verwirrt.

»Der Arzt. Wo ist er?«

Die beiden verloren jegliche Regung im Gesicht.

»Der ist doch hier bei euch«, entgegnete der Spanier, allerdings war er von seinen eigenen Worten nicht recht überzeugt.

Eine kurze Weile ward Stille, in der Samuels Blick seiner apfelgrünen Augen von einem zum anderen wanderte, ehe er mit einem verwirrten Schulterzucken sagte: »Nein.«

»Was?!«, entfuhr es Alice. »Wir haben ihn doch bereits vor einer halben Stunde hierher zurückgeschickt!«

Ganz gelassen schnaubte Samuel.

»Zurückgeschickt. Allein. Und ihr gabt euch der Annahme hin, er würde dieser Anweisung Folge leisten.«

Weitaus weniger gelassen fügte er dann hinzu:

»Der hat sich aus dem Staub gemacht, ihr Narren! Austen wird euch den Hals umdrehen!«

Plötzlich sprang die Tür auf und zwei Personen traten ein, die eine auf die andere gestützt, als könne sie nicht alleine laufen.

Augenblicklich fuhren Shawn und Alice herum, Shawn zog seinen Degen und Alice nahm eine kämpferische Position ein. Die beiden Personen stoppten ab.

»Hey, macht mal halblang«, protestierte George Paddington, der den jungen Bootsmann Benjamin Hodson stützte. Shawn steckte seinen Degen zurück und Alice entspannte sich wieder.

»Was sollen wir denn denken, wenn ihr wie tollwütige Tiere hereingestürmt kommt?!«, stießen die beiden wie aus einem Mund aus, und Samuel verschränkte bei diesen Worten belustigt die Arme.

»Wo ist Steel hingegangen, wisst ihr das?«, fragte George aufgeregt. »Hodson braucht den Arzt!«

Samuel stellte sich zwischen Alice und Shawn und ließ seine Arme um deren Schultern fallen.

»Die beiden klugen Geschöpfe hier sollten auf ihn aufpassen, sind dabei aber kläglich gescheitert. Mit anderen Worten: Er ist geflohen.«

»Was!?«, stieß George aus. »Seid ihr überhaupt zu irgendetwas nütze?«

»Musst du ja gerade sagen«, entgegnete Shawn.

»Was hat Hodson denn?«, fragte Alice und trat auf die beiden zu. Benjamin löste sich aus Georges Stütze und drückte seine linke Hand, die in ein blutiges Tuch gehüllt war, an seine Brust. Ohne jegliches Mitgefühl grabschte Alice das Tuch und riss es Benjamin aus der Hand, welche blutüberströmt und zweier Finger beraubt war. Samuel trat ebenfalls zu ihnen und beäugte die Hand mit großen Augen.

»Wer hat das getan?!«

»Vergiss es, Winter«, gab George zurück und wischte sich ein paar wilde blonde Locken aus dem rosigen Gesicht.

»Ich habe schon alles versucht, um es ihm zu entlocken. Er will es nicht sagen.«

Kalt sah Alice Benjamin an, dem nasse Strähnen seines karamellfarbenen Haares an seinen Wangen klebten, die für gewöhnlich dieselbe Farbe hatten, nun jedoch kreidebleich wirkten.

»Dafür brauchen wir keinen Arzt«, sagte sie, packte ihn unterm Arm und zog ihn zum Kamin. Dann nahm sie seine linke Hand und hielt die Wunde ins Feuer. Benjamin schrie laut auf, kämpfte einen Moment mit Alices kräftigen Griff, ehe er es schaffte, sie zur Seite zu stoßen und auf die Knie zu fallen. Verkrampft und zitternd hielt er die linke Hand in die Luft und sein bleiches Gesicht lief in Windeseile tiefrot an.

»Alice!«, protestierte Shawn und alle drei Männer stürmten zu Benjamin, der vor Schmerzen zu weinen begann.

»Was hast du getan?!«, klagte George sie an. Alice verschränkte trotzig die Arme.

»Ich habe die Wunden ausgebrannt. Jetzt werden sie nicht mehr bluten.«

»Aye«, sagte Shawn. »Aber jetzt braucht er ganz gewiss einen Arzt.«

»Wie konntet ihr nur zulassen, dass Dewane abhaut?«, fragte George gereizt.

»Sie haben ihn alleine losgeschickt und gedacht, er würde wie ein treuer Hund zurückkehren«, lachte Samuel freudlos, während er Benjamin eine Schale mit kellerkaltem Wasser hinstellte, seine verbrannte Hand griff und sie hineintauchte.

»Austen wird euch auspeitschen dafür«, sagte Benjamin mit zittriger Stimme.

»Aye. Aber damit er das tun kann, müssen wir ihn erst befreien«, entgegnete Alice.

Samuel, George, Benjamin und Piet, welcher durch den Schrei des Bootsmanns die Treppe heruntergetrampelt gekommen war, schauten die Piratenbraut fragend an. Diese erklärte daraufhin, was geschehen war.

Alle blickten bedrückt drein. Benjamin, der sich auf das Sofa gesetzt hatte, fand als erster seine Stimme wieder.

»Ich weiß, wo sie sind.« Seine Kameraden schauten ihn gleichzeitig verwundert an, woraufhin er vor Unbehagen den Blick senkte.

»A-also ... w-wo sie sein könnten, jedenfalls«, fügte er eilig hinzu. »Die Männer, so wie ihr sie beschrieben habt, haben heute den ganzen Tag vor meiner Glücksspielhütte herumgelungert. Ich wette, sie haben sie sich in meiner Abwesenheit unter den Nagel gerissen.«

»Haben die dir das angetan?«

»Nein, George, haben sie nicht! Es war jemand, den ich im Würfelspiel betrogen habe, in Ordnung?«

»Nichts ist in Ordnung! Ben, der hat dir zwei Finger abgeschnitten, verdammt! Ich würde den Typen tot sehen wollen!«

»Lass endlich gut sein, Paddington«, bestimmte Alice und wehte an ihnen vorbei, ihre übliche Männerkleidung vom Sessel auflesend.

»Wenn die Prinzessin nicht will, ist das ihr Problem. Steel und Austen haben jetzt absoluten Vorrang.«

Mit diesen Worten begann sie scharmlos, ihr Kleid auszuziehen. Piet drehte sich erschrocken um, Samuel wandte den Blick ab und schaute aus dem Fenster, und Benjamin starrte ohnehin schon auf den Boden. George jedoch verfolgte dieses Geschehen mit begeistertem Blick, ehe das wütende Gesicht des Spaniers vor dem seinem erschien und ihm die freie Sicht auf Alices wundervollen Körper nahm.

»Hijo de puta! Wag es nicht, sie auf diese Weise anzusehen!« George lächelte provozierend.

»Weshalb? Ist sie etwa plötzlich eine Lady?«

»Sie gehört mir!«

»So? Wissen das ihre Freier auch?«

Wütend grub Shawn beide Hände in den Stoff von Georges Kragen und wollte gerade eine Rauferei beginnen, da trat Alice in ihrer vollständigen, üblichen Kleidung zu ihnen und drückte die beiden auseinander.

»Hört auf damit! Wir müssen zusammenhalten, jedenfalls so lange, bis wir Austen und Steel da rausgeholt haben!«

Die beiden Männer schauten sich noch so lange herausfordernd in die Augen, bis Samuel den ersten Schritt machte, zur Tür hinauszugehen.

»Piet, du bleibst hier und kümmerst dich um Ben«, befahl George noch, ehe er, Shawn und Alice dem Geschützoffizier folgten.

 

><><><><><

 

Samuel, George, Alice und Shawn hockten flach im Gras einer Düne, einige Meter von Benjamins Hütte entfernt, in der Dunkelheit, ein kleines und ein großes Fass Schießpulver neben sich liegend, und beobachteten die vier Männer, welche in Paaren Wache hielten. Zwei standen direkt vor der Eingangstür, die anderen beiden zogen als Patrouille in einem großen Umkreis um die Hütte herum.

»Und?«, flüsterte George ungeduldig. »Aye«, entgegnete Alice, die links neben ihm kauerte, im selben Ton. »Das sind die Männer, nach denen wir suchen.«

»Worauf warten wir dann noch?«, fragte George und machte Anstalten, sich zu erheben, wurde aber sogleich von Alice zurück nach unten gezogen. »Hierbleiben, verdammt! Wir haben besprochen, wie wir das machen!«, flüsterte sie scharf.

»Was soll das denn?«, zickte er. »Lasst uns einfach losstürmen und ihnen die Schädel wegpusten!«

»Was stimmt denn mit dir nicht, Himmel noch mal!«, konnte Alice es nicht fassen.

»Kannst du etwa riechen, wie viele Männer sich in dem Haus befinden?«, flüsterte Samuel, welcher sich zu Alices Linken befand, an George gerichtet.

»Unser Traumpaar hat doch gesagt, es waren zehn, die sie am Strand gesehen haben.«