Das Vermächtnis des Hackers - K. W. Robek - E-Book

Das Vermächtnis des Hackers E-Book

K. W. Robek

4,9

Beschreibung

Lars Kinsley ist ein harmloser Spanner. Er hackt die Computer anderer Leute, um sie über die Webcam beobachten zu können. Insbesondere Frauen erregen seine volle Aufmerksamkeit. Bis ein Toter auf dem Bürostuhl vor dem Rechner sitzt. Der Tote, ebenfalls ein Hacker, will ihm Geld, Beziehungen und die Zugänge auf die Computer von Industrie, Politik und schönen Frauen hinterlassen und verspricht ein Leben mit Sex, Drugs & Rock´n Roll. Lars geht auf das ungewöhnliche Angebot ein und startet unter anderer Identität ein Leben in Saus und Braus. Er wird zum skrupellosen und schamlosen Hacker.

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Seitenzahl: 476

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Ähnliche


Die Handlung der Geschichte ist frei erfunden. Ähnlichkeiten mit Firmen, lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und unbeabsichtigt.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 1

»Das war mal wieder eine geile Show.«

Zufrieden schaltet Lars Kinsley die Webcam aus und verlässt den Computer der schönen Unbekannten, welche er die letzte halbe Stunde beim Ausziehen und Zubettgehen beobachten konnte.

Das ist eine Tätigkeit, der Lars schon seit vielen Monaten nachgeht. Er verbringt den größten Teil des Abends damit, sich bei anderen Menschen im Computer aufzuhalten, um dort nach für ihn interessanten Informationen zu suchen.

Am liebsten schnüffelt er nach erotischen Fantasien, niedergeschrieben in E-Mails von hübschen Frauen an ihren Liebsten. Auch wird jede Bibliothek von Fotos und Videos ausführlich begutachtet, so erhalten die in den E-Mails geschriebenen Worte für ihn sogar ein Gesicht.

Der absolute Höhepunkt ist jedoch, wenn er durch die von ihm eingeschaltete Webcam nicht nur einen leeren Bürostuhl sieht.

So wie heute.

Lars ist ein Hacker.

Keiner, der große Ambitionen hat, die Welt mit seinen Fähigkeiten verändern zu wollen. Auch hat er nicht die Absicht, anderen Menschen oder Firmen materiellen Schaden zuzufügen.

Zumindest bis heute nicht.

Nein, eigentlich ist Lars nur ein Spanner.

Keiner, der nachts mit einem Fernglas in die Bäume klettert, um in andere Schlafzimmer blicken zu können.

Nein, das ist er nicht. Er ist sicher ein bisschen moderner und auch effektiver.

Lars arbeitet bei einem weltweit tätigen Industrieunternehmen als Systemanalytiker, mit anderen Worten, er kann programmieren.

In seiner Freizeit, und da hat er als Junggeselle eigentlich viel zu viel von, entwickelt er selbst kleine Computerspiele und stellt sie kostenfrei zur Nutzung ins Internet.

Aber dabei bleibt es nicht.

Um sich selbst zu beweisen, dass er mindestens genauso gut ist, wie seine berühmten Kollegen, entwickelt er einen eigenen Internet-Browser. Dieser sieht einem bestimmten Original zum verwechseln ähnlich, und nach Lars seinen eigenen Angaben ist er natürlich viel besser.

Und was macht man nun mit so einem Prachtstück, welches niemand haben möchte?

Richtig, man zwingt die Benutzer seiner Computerspielchen, auch seinen Browser kostenfrei zu benutzen.

Das ist relativ einfach, zumindest für ihn.

Ohne Wissen des Benutzers wird bei der Installation der Spiele automatisch sein Browser mit installiert. Der übernimmt dann ab sofort alle Funktionen des bisherigen Browsers auf dem Computer.

Und Lars sein Browser ist ja besser, er kann viel mehr. Zum Beispiel liefert er an Lars alle Computeradressen, Passwörter, Pin-Codes, Login-Daten und Surfgewohnheiten dieser Benutzer.

Daraus ergeben sich jetzt für Lars alle nur erdenklichen Möglichkeiten. So könnte er zum Beispiel Bankkonten plündern oder sich andere Vorteile verschaffen. Es reicht ihm aber, seiner geheimen Leidenschaft nachgehen zu können, nämlich andere Menschen zu belauschen, zu beobachten, auszuspionieren, sich ihrer Geheimnisse zu bemächtigen, um sich daran zu erfreuen und sich in Erregung zu versetzen.

»Das war wirklich eine heiße Show, hübsche Erscheinung, tolle Figur und geschmeidige Bewegungen. Schade, dass sie so früh das Licht ausgemacht hat.«

Aber Lars ist jetzt auf den Geschmack gekommen, seine Erwartungshaltung gestiegen.

»Heute scheint mal wieder einer dieser Glückstage zu sein. Am besten ist, ich probiere es gleich noch einmal.«

Routiniert hackt er einen weiteren Computer und tippt die Zugangsdaten ein, die ihm sein Browser vor langer Zeit einmal geliefert hat. Aber bereits nach wenigen Klicks wird er stutzig.

»Das ist ja eigenartig. Der Rechner ist online, aber seit vierzehn Tagen ist niemand mehr aktiv gewesen. Werden wohl im Urlaub sein und ihn nicht ausgeschaltet haben«, denkt sich Lars und will sich eigentlich schon abmelden.

»Ach, was soll's. Ich kann ja mal nachsehen, was da los ist«, wird er doch neugierig.

Da Lars niemanden vor dem Computer erwartet, schaltet er die im Bildschirm des Notebooks befindliche Webcam ein, ohne große Erwartungen daran zu knüpfen.

»Himmel herrje!«

Erschrocken fährt er auf seinem Stuhl zurück.

»Der sieht aber nicht mehr frisch aus.«

Damit hat Lars nicht gerechnet.

Durch die Webcam hat er Menschen schon in allen fremden Lebenslagen und Situationen gesehen, ob peinlich, ungeniert, erotisch, verletzlich, ja selbst erpressbar, wie auch immer. Aber das ist neu.

»Ein Toter!«

Die Worte kommen Lars nur kläglich und leise über die Lippen, und eigentlich will er den Computer wieder verlassen, aber dann denkt er sich:

»Davon mache ich mit der Webcam noch schnell ein Foto und lade es herunter, wer weiß, wozu ich es gebrauchen kann.«

Gesagt, getan.

Danach sucht er das Weite auf dem fremden Computer, nicht ohne stolz auf sich zu sein, wegen seiner Kaltschnäuzigkeit mit dem Foto.

Nun sitzt er hier vor seinem eigenem Rechner und schaut sich, am ganzen Leibe zitternd, dieses Bild an. Es dauert wirklich lange, bis er emotionslos und sachlich die Fakten, die ihm dieses Foto liefert, analysieren kann.

»Also, da sehe ich einen Mann, so um die 40 Jahre alt, bestimmt nur ein paar Jahre älter als ich. Na ja, jedenfalls lebt er nicht mehr. Blutspuren oder irgendwelche Fremdeinwirkungen kann ich nicht erkennen.

Er scheint ein gutes Leben geführt zu haben, seine Kleidung jedenfalls ist vom feinsten. Die Wohnung ist topp, das Mobiliar ist stylisch und ...«

Lars springt zurück.

Er reibt sich die Augen und schaut noch einmal genau auf das Foto. Aber kein Zweifel.

»Hinten in der Ecke, auf dem Couchtisch, dort steht eine Kaffeetasse«, stammelt er.

Und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, weigern sich die nächsten Worte beharrlich, seine Lippen zu verlassen.

»Mit Kaffee.

Und der Kaffee dampft noch!«

Nach dem ersten Schock kommen Lars sofort erhebliche Zweifel wegen seiner ersten Einschätzung.

»Ist der vorhin gerade erst gestorben, oder schläft der etwa nur?«

Er schaut sich den Mann noch einmal genau an. Nein, der ist definitiv tot, und das nicht erst seit ein paar Stunden. Lars ist kein Mediziner, aber da er weiß, dass der Computer seit vierzehn Tagen nicht benutzt ist, tippt er das Todesdatum des Mannes auf diesen Zeitpunkt.

»Dann läuft da jemand durch die Wohnung, kocht sich sogar Kaffee, kennt sich demnach dort bestens aus, nimmt aber keinerlei Notiz von dem Toten und macht keine Meldung bei der Polizei.«

Trotz intensivstem Kraulen seiner Haare, findet Lars für dieses abnormale Verhalten keinerlei logische Erklärung.

»Seltsam.«

Er überlegt, ob er bei der Polizei anrufen soll. Das geht allerdings nur anonym, er kann ja schlecht erklären, wie er selbst an diese Informationen gekommen ist.

»Jetzt weiß ich endlich, wozu damals diese komischen Telefonzellen gut waren«, findet er langsam seinen Humor wieder, »um anonym zu bleiben.«

Aber er hat keine Idee, wo er bei sich in der Nähe eine Telefonzelle finden soll. Und wenn er das eigene Telefon benutzt, dann kann er sich gleich mit Namen melden. Außerdem, wo wohnt der Tote überhaupt?

»Ich kann der Polizei ja nicht die IP-Adresse vom Computer durchgeben. Da finden die den doch nie. Die wissen vielleicht nicht einmal, was eine IP-Adresse ist.«

Lars beschließt, dass es für heute erst einmal genug ist. Er ist müde, kann sich kaum noch konzentrieren und morgen ist auch noch ein Tag.

Aber an einen normalen Schlaf ist unter diesen Umständen natürlich nicht zu denken, deswegen verläuft die Nacht unruhig und mit den ersten Sonnenstrahlen ist Lars wieder aus dem Bett und setzt sich vor seinen Rechner.

Dass er sich beim Toten wieder einhackt, weil er im Rechner dessen Wohnadresse für die Polizei suchen will, ist nur eine fadenscheinige Ausrede, um sein Gewissen zu beruhigen. Fakt ist, dass er neugierig ist. Er will versuchen herauszufinden, was in dieser ominösen Wohnung wirklich passiert ist.

Als erstes schaltet er wieder die Kamera ein.

Alles scheint unverändert. Der Mann sitzt, beziehungsweise hängt immer noch so auf seinem Stuhl, wie gestern Abend. Toter geht es nicht.

»Die Kaffeetasse ist weg!«

Der Schreck fährt Lars in die Glieder, aber genauso schnell hat er sich auch wieder unter Kontrolle.

»Ist ja eigentlich nicht ungewöhnlich. Der Kaffee ist gestern erst kurz vor der Aufnahme dort abgesetzt worden, sonst hätte er nicht gedampft. Also wird ihn noch jemand getrunken haben«, beruhigt Lars sich selbst, »es wäre viel besorgniserregender, wenn der Kaffee schon wieder dampfen, und sogar unmöglich, wenn er das immer noch tun würde.«

Erleichtert und planstabsmäßig geht Lars jetzt ans Werk.

Er macht ein Foto ohne die Tasse und lädt es auf seinen eigenen Rechner. Die Kamera schaltet er zur Vorsicht aus, um der Gefahr zu entgehen, entdeckt zu werden.

Dann schaltet er sie doch wieder ein.

»Das war Blödsinn. Wenn der Kaffeetrinker dort noch sein sollte, kann ich ihn wenigstens sehen, und falls dieser die laufende Webcam bemerkt, weiß er immer noch nicht, wer ihn durch sie beobachtet.«

Da sich in der Wohnung des Toten absolut nichts rührt, beginnt Lars ein bisschen im Dokumentenordner des Computers herum zu stöbern.

»Ich werde verrückt. Das sieht aus, wie auf meinem Rechner«, stellt er nach wenigen Augenblicken überrascht fest.

In der Tat, es gibt hier eine Datei mit IP-Adressen von fremden Computern, und denen sind Namen, Anschriften, Passwörter, Pin-Codes, Login-Daten und was auch immer zugeordnet. Daten, die ihm sein bei den Benutzern unfreiwillig installierter Browser ebenfalls zur Verfügung stellt.

»Das war auch ein Hacker!«

Lars zuckt zusammen und ihm wird schlecht, ohne dass er eigentlich weiß, warum.

Ein Berufskollege, und dem ist es an den Kragen gegangen. Aber muss er sich deswegen jetzt fürchten, nur weil er auch ein Hacker ist? Sicher nicht, doch ein komisches Gefühl bleibt dennoch.

Schließlich gibt sich Lars damit zufrieden, dass Hacker ja grundsätzlich anonym tätig sind, und dass es darum sowieso schon selten ist, jemandem aus dieser Branche zu begegnen. Egal ob tot oder lebendig.

Aber Lars ist nun sehr neugierig geworden, mehr noch.

»Ich glaube, dass ich mich in meiner Berufsehre verletzt fühle, wenn dem etwas unnatürliches zugestoßen sein sollte.«

In Anbetracht dieses Ehrgefühls nimmt Lars die Angelegenheit jetzt selbst in die Hand. Die geplante Weiterleitung der Anschrift des Toten an die Polizei ist damit erst einmal vom Tisch, falls dazu überhaupt je die Absicht bestand.

Lars kopiert alles was er findet und was nicht nach Systemsoftware aussieht, erst einmal auf seinen eigenen Rechner. Dann sucht er nach dem Namen und der Anschrift des Toten. Es dauert nicht lange, bis er fündig geworden ist, der Name ist quasi überall gegenwärtig.

»Curt Svensson heißt der Gute, und er wohnt hier tatsächlich um die Ecke, keine zwanzig Kilometer entfernt. Das ist schon Zufall, es hätten ja auch fünfhundert Kilometer oder mehr sein können«, kommen Lars erste Bedenken, die er aber schnell wieder ausräumt, »ist aber praktisch, falls ich da einmal hinfahren sollte.«

Den Namen hat Lars schon irgendwo gehört, und wenn er darüber nachdenkt, sogar öfter. Aber er kann ihn im Moment leider nicht zuordnen, er hat auch nicht die Nerven und die nötige Ruhe dazu, doch was nicht ist, das kann ja noch werden.

Er sucht in jedem Fall erst einmal weiter, stochert wahllos in den Dateien herum, öffnet hier mal ein Dokument und liest sich dort mal etwas durch.

»Oh, eine Kopie eines Reisepasses.«

Lars traut seinen Augen nicht.

»Ein Reisepass ausgestellt auf einen Ido Vermolen. Und wenn ich mir das Passfoto so ansehe, dann ist das mein Kollege dort auf dem Stuhl.«

Lars ist ratlos, er hat keinerlei Idee, wie und wo er diese zwei unterschiedlichen Identifikationen einordnen soll.

»Die Wohnung und der Computer gehören eindeutig diesem Curt Svensson, der Tote muss allerdings Ido Vermolen sein.«

Das ist Fakt, und daraus leitet sich gleich wieder das nächste Fragezeichen ab.

»Wie kommt der Vermolen vor den Computer und seine Ausweiskopie in den Computer?«

Lars hat keine Ahnung, ihn beruhigt lediglich ein Umstand.

»Wenn der Svensson noch leben sollte, dann erklärt das zumindest den dampfenden Kaffee.«

Frauen beim abschminken zuzusehen ist einfacher und vor allem stressfrei.

»Ach, hätte ich doch gestern nach dem Striptease dieser schönen Unbekannten einfach aufgehört«, jammert er.

Aber nun ist es zu spät, jetzt muss und will er eigentlich auch da durch.

Er kopiert noch verschiedene andere Ordner, unter anderem mit Bildern und E-Mails, um dann erst einmal, zumindest für diesen Augenblick, Schluss zu machen.

Doch im E-Mail-Postfach fällt ihm auf, dass dort etwas in den Entwürfen abgespeichert ist.

»Vielleicht ist das ja die letzte Tätigkeit, die hier am Rechner ausgeführt und dann nicht beendet werden konnte?«

Neugierig öffnet er den Entwurf.

Lieber Berufskollege!

Erstaunt, dass ich Dich so anrede?

Mich überrascht es jedenfalls nicht, denn ich glaube,

dass kein Branchenfremder in der Lage ist, diesen Entwurf,

der als Nachricht an meinen Nachfolger gedacht

ist, zu öffnen und zu lesen.

Ich habe mein Leben gelebt, und zwar in Saus und

Braus, in vollen Zügen und mit allem Luxus, den man

sich nur vorstellen kann. Wie heißt es doch so schön:

Sex, Drugs & Rock`n Roll

Dabei habe ich unsere Fähigkeiten ausgenutzt, wo es

nur ging, habe der Welt meine Regeln aufgedrückt.

Aber irgendwann ist jedes Spiel zu Ende, wird der Boden

zu heiß unter den Füßen, wollen die Leute ihr Geld oder

ihre Frauen zurück oder sich für was auch immer

einfach nur rächen.

Diese Notizen habe ich vorsorglich schon hier hinterlegt,

weil ich nicht absehen kann, ob ich in der Lage sein

werde, selbst Schluss zu machen, oder ob mir jemand

zuvor kommt.

Aber eines ist sicher.

Curt Svensson ist tot.

Und lass die Finger von ihm, zu Deiner Sicherheit.

Aber Ido Vermolen lebt noch, irgendwo hier im Hintergrund.

Ich habe es etwas spannend gemacht, damit es dir nicht

langweilig wird. Aber du wirst ihn schon finden, suche

ihn in meinen Dateien, er hat all mein Vermögen und

mein Know-how.

Aktiviere mit ihm vorsichtig die Beziehungen und Verbindungen

von Curt.

Lebe als Ido weiter und halte Deinen eigenen Namen

sauber.

Ziehe Dir meine Dateien auf Deinen Rechner und lösche

sie dann vorsichtshalber bei mir.

Verwische Deine Spuren.

Bevor du gehst, starte noch das Programm

'Und Tschüss'.

Es gibt meinen Rechner frei, startet die auf mich gerichtete

Webcam und die Verbindung zur Polizei.

Damit komme auch ich zur Ruhe.

Es war schön bei Euch und ich bereue nichts.

Ich würde es wieder so machen.

Dir viel Glück.

Dein Hacker Spotty

Lars ist fix und fertig, er weiß nicht, wo ihm sein Kopf steht. Er ließt die Nachricht bestimmt drei oder vier Mal durch, bis er so langsam begreift, worum es eigentlich geht.

»Also Ido hat sich selbst umgebracht, hat aber als Sven gelebt, somit ein klassisches Doppelleben geführt und lässt jetzt die Welt glauben, dass Sven tot ist«, zieht Lars das Resümee, »und nun soll ich mich zurückziehen und als Ido das Doppelleben weiter führen.«

Lars ist sich unsicher und zweifelt, benötigt mehr Zeit und Ruhe. Darum trifft er erst einmal eine Entscheidung. Er ruft bei seinem Arbeitgeber an und meldete sich für heute krank.

»Ich kann jetzt hier nicht einfach abbrechen und arbeiten gehen. Ich muss das nun durchziehen, kann mich sowieso nicht auf andere Dinge konzentrieren.«

Also macht sich Lars daran, sein begonnenes Werk zu vollenden. Er versucht dabei, alle Anweisungen der Nachricht chronologisch auszuführen.

Die Dateien hat er vorhin bereits kopiert, aber vorsichtshalber kontrolliert er noch einmal, dass alles auf seinem Rechner gelandet ist und dass er nichts vergessen hat.

Dann löscht er alle privaten Daten von Curt oder Ido, wie ihm das angeraten wurde. Auch sein Computerspiel und seinen Browser eliminiert er von der Platte, löscht den Papierkorb und die Historie und alles, was auf seinen Besuch deuten könnte.

Er startet das Programm 'Und Tschüss' und geht aus der Leitung.

Es ist Ruhe, gespenstige Stille.

»Ich werde nie wieder in den Rechner kommen, nie sehen, wer den Kaffee getrunken hat.

Das ist schon ein komisches Gefühl.«

Lars schließt seine Augen, um sich noch einmal auf die abgelaufenen Geschehnisse konzentrieren zu können.

Er realisiert so langsam, dass er sich nicht nur von dem Rechner verabschieden muss, sondern auch von seinem bisherigen Leben.

»Aber will ich das überhaupt?

Ich?

Als Hacker Spotty?«

Kapitel 2

»Sie benötigen ja schon eine Faltencreme.«

Lars stellt sich gerade vor, wie er Profit aus seiner Tätigkeit als Hacker schlagen kann.

»Okay, so könnte es gehen.«

Wenn er eine Frau dabei beobachtet, wie sie diese Creme benutzt, er sie dann mit ihrem wahren Alter konfrontiert, ihr das peinlich ist und sie ihn für seine Verschwiegenheit bezahlt.

Natürlich fährt man da keine hunderte von Kilometern für, aber es geht ja ums Prinzip.

In der Geschäftswelt geht es sicherlich um richtig viel Geld, und wer weiß, was für Falten mit welchen Cremes da überschminkt werden.

Und wenn da ein Schweigen bezahlt wird, spielen Spesen und Kilometer bestimmt keine Rolle mehr.

Aber das ist natürlich kriminell, und das will Lars eigentlich nicht werden. Er betrachtet seine Aktivitäten als Kavaliersdelikt, fügt niemandem einen Schaden zu, zumindest keinen finanziellen.

Obwohl, wenn er so darüber nachdenkt.

»Wenn die Frauen erfahren, dass ich sie beobachtet habe, werden sie sich wahrscheinlich ekeln, vielleicht nie mehr einen Computer sehen wollen. Es kann sogar sein, dass ihnen selbst ein richtiger Einbrecher lieber gewesen wäre.«

Spannen ist also auch nicht schön und im Endeffekt genauso kriminell. Aber was ist jetzt das Fazit seiner Gedanken?

Wenn schon kriminell, dann richtig?

Lars ist irritiert, sucht aber nicht nach einer Antwort, denn er bezweifelt sowieso, dass er die geeignete Person für die Aufgabe ist, die ihm Ido da stellt.

»Wenn ich in zerschlissenen Jeans und einem Moped zu einem Industriellen fahre, um von ihm Schweigegeld zu verlangen, ruft der im günstigsten Fall die Polizei an, um mich festnehmen zu lassen. Wenn ich Pech habe, kann ich mir gleich die Radieschen von unten ansehen.«

Natürlich ist das übertrieben formuliert, aber Lars ist sich sicher, dass er in der jetzigen Situation mit seinem Auto und auch bestem Anzug, genau so enden würde.

»Wenn du dich mit einem Gesprächspartner nicht auf einer finanziellen Ebene befindest, wirst du nicht akzeptiert. Da kannst du gleich das Handtuch in den Ring werfen, weil jede Verhandlung mit ihm von vorne herein zwecklos ist.«

Er überdenkt noch einmal seine Worte, ist sich aber letztlich absolut sicher.

»Es ist wie in jeder Branche. Wenn du dich selbständig machen willst, brauchst du Kapital. Ohne Geld geht überhaupt nichts. Und je höher du hinaus willst, desto mehr musst du im voraus investieren.«

Lars ist zwar nicht arm, aber für ein paar dubiose Experimente hat er kein Geld über. Außerdem müssen solche Aktionen geplant und vorbereitet werden, das kann man nicht nur Abends oder am Wochenende machen, und innerhalb der Woche muss er arbeiten.

»Also alles nur Träume«, sagt er sich und vertröstet sich auf später, wenn er sich auf die Suche nach Ido macht. Vielleicht findet er da ja wirklich etwas Startkapital.

Jetzt will er erst einmal herausfinden, wer dieser Curt Svensson war, beendet darum seine Träumereien, öffnet seine Augen wieder und geht ins Internet.

»Curt Svensson … ein Klick auf Suchen … und … da ist er ja.«

Lars scrollt den Bildschirm einmal rauf und wieder runter, wirft einen raschen Blick auf das ihm angezeigte Ergebnis seiner Sucheingabe.

»Das dachte ich mir schon, da habe ich jetzt die freie Auswahl, und wie immer, die ältesten Kamellen als erstes. Nur weil die auf Grund ihres Alters schon länger und damit öfter angeklickt wurden, als die neueren Meldungen. Da muss ich mich jetzt wohl oder übel so langsam durchwühlen.«

Nach einer guten Stunde intensiver Recherche weiß Lars zumindest ungefähr, wer dieser Curt einmal war, er kann sich auch an einige der in diesen Artikeln behandelten Themen erinnern, aber schlauer geworden ist er dadurch nicht wesentlich.

Das meiste wird sowieso doppelt und dreifach angezeigt, nur von unterschiedlichen Verfassern beschrieben und kommentiert. Aber Lars kennt jetzt zumindest einige Stationen von Curts Leben, warum er dies nun aber beendet hat, darüber kann er leider keinerlei Hinweise finden.

»Wenn ich mal alle Informationen filtere und zusammenfasse, dann sitzt er im Aufsichtsrat von einigen großen Unternehmen. Darunter sind wenigstens ein Pharmakonzern und auch ein DAX-notiertes Unternehmen. Ob es sich hierbei um ein und die gleiche Firma handelt, konnte ich nicht feststellen. Außerdem hat er hervorragende Kontakte zur Politik und ist bekannt für seine Lobbyarbeit.«

Einen kurzen Moment stockt Lars in seiner Analyse, um sich noch einmal zu vergewissern.

»Genau, da steht es ja. Bei einigen Börsenaktionen wurde ihm die Nutzung von Insider-Informationen unterstellt, es konnte ihm aber nicht nachgewiesen werden. Wie auch immer.

Jedenfalls muss der Wert seines Wertpapierdepots enorm sein und das erklärt wiederum sein überdurchschnittlich hohes Sponsoring von einigen sozialen Einrichtungen und Sportvereinen.«

Lars geht seine Zusammenfassung gedanklich ein weiteres Mal durch. Okay, vielleicht hat er ein paar Kleinigkeiten nicht mit berücksichtigt, aber im Prinzip ist es das, was er gefunden hat.

Und das macht ihn stutzig.

»Seltsam, es gibt keinen Einstieg in dieses Leben.

Keine reiche Familie oder Erbschaft.

Kein Arbeitsleben, bei dem er sich auf der Leiter hochgearbeitet hat.

Nichts.«

Lars kann es nicht glauben, aber Curt Svensson sitzt mit einem Mal mir nichts, dir nichts, irgendwo im Aufsichtsrat.

Informationen über ihn, die älter als zwölf Jahre sind, gibt es einfach nicht.

»Und das alles funktioniert nicht, das kann nicht sein, da ist etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen.

Ich komme als normal sterblicher nicht einfach so in einen Aufsichtsrat, Vorstand oder was auch immer, ich persönlich werde nicht einmal Abteilungsleiter.«

Lars lehnt sich zurück.

»Dann werden die Hinweise aus dieser Abschieds-E-Mail wohl tatsächlich der Wahrheit entsprechen. Er ist von einem Tag auf den anderen durch das Hacken von wem auch immer, zu Reichtum gekommen.«

Lars beginnt wieder in die Zukunft zu schauen, um nicht zu sagen, zu träumen.

»Es kommt natürlich darauf an, ob ich in den kopierten Dateien wirklich den verborgenen Schatz von diesem Ido finde. Aber wenn ja?«

Ganz langsam findet Lars wieder den Weg zurück in die Realität, und er sagt sich:

»Dann kann ich neben meiner Krankmeldung auch gleich die Kündigung schicken. Das wäre es doch.«

Mit einem Satz sitzt er wieder senkrecht vor seinem Bildschirm und er fragt sich, warum er mit der Schatzsuche nicht schon viel früher begonnen hat.

»Na ja, alles ist im Leben für irgendetwas gut, wer weiß, wofür die Erkenntnisse über Curt gut sind.«

Mit dieser positiven Grundeinstellung macht sich Lars ans Werk und sieht sich als erstes die Datei mit den ganzen IP-Adressen der fremden Computer an.

Mit jedem öffnen einer Adresse gelangt er auf ein Dokument mit allerlei Informationen, wie zum Beispiel Benutzernamen, Passwörtern, Pin-Codes, Telefon- und Kontonummern und so weiter. Von der Sache her also immer mehr oder weniger identische Inhalte.

Ihm fällt nichts außergewöhnliches auf.

»Soll ich mir jetzt jede einzelne IP-Adresse ansehen?«

Aber er spürt, dass es einfacher gehen muss, dass hier irgendwo die Lösung versteckt sein muss. Immer und immer wieder schaut er auf die Zahlen, dreht sie um, bildet Kombinationen, aber nichts. Was soll er nur daraus erkennen?

»Wenn das nun aber gar nicht alles IP-Adressen sind? Nur bestimmte Nummern, die als solche getarnt wurden?«

Er sieht sich die Zahlenkolonnen unter diesen Gesichtspunkten erneut an und hat schnell Erfolg.

»Wenn ich mich nicht irre, dann ist das eine Bankleitzahl.«

Die Bestätigung hat er schnell im Bankleitzahlenverzeichnis der Deutschen Bundesbank gefunden. Eine zufällige Übereinstimmung schließt Lars sofort aus, denn bei der Bankleitzahl handelt es sich um die der örtlichen Sparkasse.

Er öffnet das Dokument, und siehe da:

»Kontonummer und Pin-Code für das Online-Banking und die Nummer eines dortigen Bankschließfachs.«

Lars will schon vor Freude in die Luft springen, aber der Text unterhalb dieser Daten hält ihn noch davor zurück.

Aus Sicherheitsgründen sage ich Dir hier nicht, wo Du

den Schlüssel zum Schließfach findest.

Aber Du schaffst das schon, und es ist wichtig.

Dort findest Du alles, um als Ido weiterleben zu können.

Und meine Bankkontonummer hast Du ja auch.

Viel Glück.

»Und ich dachte bereits, ich hätte es geschafft. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden, denn das Grundprinzip des Versteckspiels habe ich ja verstanden.«

Unter diesen Gesichtspunkten macht sich Lars wieder an die Suche, um auch den zweiten Teil des Puzzles zu lösen. Aber Fehlanzeige. So schnell wie mit der Bankleitzahl geht es jetzt nicht.

Alle Bankleitzahlen sind 8-stellig, damit war diese kürzer als die anderen Nummern der Liste und stach deshalb sofort ins Auge. Aber die restlichen Nummern sind alle 10-stellig und was noch schlimmer ist, davon gibt es immerhin 13.857 Stück.

»Muss ich die jetzt alle einzeln öffnen?«

Lars will das unter keinen Umständen, das ist unter seinem Niveau, und als Systemanalytiker muss er schließlich logisch denken können.

»Also den Text noch einmal genau lesen, vielleicht ist die Lösung ja dort versteckt.«

… meine Bankkontonummer hast du ja ...

»Ja hallo! Wie blöd darf man sein, aber darauf muss man erst einmal kommen. Die Kontonummer ist ja auch 10-stellig.«

Ein kurzer Blick und Lars sieht die Nummer als IP-Adresse gespeichert. Er klickt sie an und öffnet das Dokument.

Als erstes blickt er auf ein Foto von einem Fahrradstand mit mehreren Fahrrädern, darunter steht der folgende Text:

Glückwunsch.

Du siehst auf dem Foto ein Fahrrad mit einer kleinen

Werkzeugtasche am Sattel. Darin befindet sich der

Schlüssel vom Banksafe.

Hole ihn dir einfach heraus, lass das Fahrrad stehen. Du

findest es am Bahnhof im bewachten Fahrradparkhaus,

ebenerdig, fünfte Reihe links im viert letzten Fahrradständer.

Ich musste es so kompliziert machen, denn sicherlich

haben schon ganze Völkerstämme meine Wohnung

nach dem Schlüssel durchsucht.

Mache meinem Namen keine Schande und lass mich in

Dir weiter leben.

Ich passe von oben auf Dich auf.

Und endgültig tschüss.

Lars ist sichtlich gerührt und emotional erregt, er braucht erst einmal eine kleine Pause, muss alles etwas sacken lassen. Eine schöne Tasse Kaffee wird ihm sicher gut tun. Dabei kann er in Ruhe die nächsten Schritte bedenken.

Aber nach dem ersten Schluck sitzt er wieder vor dem Rechner.

»Online-Banking. Vielleicht bin ich ja schon Millionär?«

Im Nu ist er im Internet, lädt sich das entsprechende Programm der Sparkasse auf den Rechner und startet das Online-Banking.

Die Kontonummer und der Pin-Code werden akzeptiert und es dauert nur einen Moment, bis sich die Seite mit den Kontodaten öffnet.

Lars wird es schwindelig. Wie Seifenblasen zerplatzen seine nicht gelebten Träume. Wie in Trance meldet er sich wieder aus dem Programm ab.

Er weiß jetzt wirklich nicht, was er machen soll. Er ist maßlos enttäuscht und eine negative Stimmung breitet sich bei ihm aus. Aber dann klopft er sich mit der flachen Hand vor die Stirn.

»Wenn ich als Privatmann ein Millionenvermögen hätte, dann würde das nicht bei der örtlichen Sparkasse liegen, und mit Sicherheit nicht auf einem Girokonto. Das bringt zum einen keine Zinsen, zum anderen wüsste es, Bankgeheimnis hin oder her, bald die ganze Stadt.«

Lars widmet sich wieder in aller Ruhe seinem Kaffee. Und gefrühstückt hat er ja auch noch nicht.

»Erst einmal stärken, dann hole ich mir diesen Tresorschlüssel und fahre zur Sparkasse. Wenn das auch ein Reinfall ist, kann ich immer noch die Fotos von Curt, mit und ohne Kaffeetasse, der Polizei zukommen lassen.«

Auf dem Weg zum Fahrradparkhaus am Bahnhof kommt Lars durch die Straße, in der Curt sein Büro haben muss. Dieser Tatbestand macht ihn nun doch neugierig und kurz entschlossen hält er in der Nähe an, steigt aus und nimmt auf einer Bank platz, von der er das Haus gut einsehen kann.

Es sind drei Fenster zur Straße und daher weiß Lars nicht genau, wo sich das Büro von Curt befindet. Aber ein Auto fällt ihm auf, in dem zwei Personen sitzen und das Haus zu beobachten scheinen. Sie haben sich offensichtlich auf einen längeren Aufenthalt eingerichtet, denn Kaffee, Brötchen und Zeitung sind mit an Bord.

Sirenengeheul nähert sich dem Haus in Form eines Polizei- und eines Krankenwagens. Polizisten und Sanitäter stürmen in das Haus und Lars kann deutlich Bewegungen hinter dem mittleren Fenster erkennen, wahrscheinlich aus Curts Büro.

Die zwei Typen in dem Auto beenden abrupt ihr Frühstück und verlassen unauffällig ihren Beobachtungsplatz. Sie fahren direkt an Lars vorbei und er kann sich das Kennzeichen des Fahrzeugs merken und notieren.

»Wer weiß, wofür hier alles gut ist«, sagt er sich und macht sich auf den Weg zum Bahnhof.

In diesem bewachten Parkhaus, das ausschließlich für Fahrräder gebaut ist, gibt es keinerlei Probleme, da Lars ja nicht mit einem Fahrrad das Gebäude verlassen will.

Das er in einer schlecht einsehbaren, und daher gut gewählten Ecke des Parkhauses, von einem Fahrrad den Inhalt einer kleinen Satteltasche entnimmt, bemerkt vom Wachpersonal niemand.

Wieder in seinem Auto angekommen, begutachtet Lars endlich seine Beute. In einem Putzlappen eingewickelt findet er tatsächlich Schraubenschlüssel und Flickzeug für Fahrräder, aber auch unverkennbar den Schlüssel für einen Safe, ein Schließfach oder ähnliches.

Die Pulsfrequenz und Nervosität nimmt bei Lars deutlich zu, denn einen Tresorraum von einer Bank kennt er höchstens aus dem Fernsehen.

»Aber was soll schon sein«, denkt er sich, »ich kenne alle Geheimzahlen auswendig, und falls sie den Ausweis sehen wollen, habe ich den halt vergessen, aber zufällig eine Kopie bei mir.«

Nachdem sich Lars so Mut zugesprochen hat, fährt er zur Sparkasse und betritt die Schalterhalle.

»Mein Name ist Ido Vermolen, ich möchte gerne zu meinem Schließfach.«

»Sehr gerne, wenn Sie bitte hier die Nummer und Ihr Passwort notieren würden«, sagt der Angestellte und reicht ihm ein kleines Formular und etwas misstrauisch geworden, da er diesen Ido natürlich noch nie gesehen hat, fragt er ganz beiläufig:

»Wie war noch Ihre Kontonummer, vielleicht kann ich auch nach Ihren Auszügen sehen.«

Aber Lars ist mit einem Mal die Souveränität in Person, er notiert die Nummer vom Safe und das Passwort, nennt dem Angestellten seine Kontonummer und sagt:

»Danke, Sie brauchen nicht nachsehen, es sei denn, es ist soeben etwas hinzu gekommen, zuhause waren es noch so ungefähr 143 Euro.«

Das überzeugt den Angestellten endgültig und er informiert seinen Abteilungsleiter, damit dieser dem Kundenwunsch Folge leisten kann. Wenig später geht er mit Lars beziehungsweise Ido über eine Wendeltreppe in den Keller.

Die große, schwere Tresortür ist bereits offen, nur eine Gittertür verhindert den direkten Zugang zum Tresorraum, in dem Lars jetzt mehrere lange Reihen von Schließfächern in unterschiedlichen Größen erkennen kann.

Nachdem beide ihre Schlüssel in das entsprechende Schließfach gesteckt und es damit geöffnet haben, entnimmt Lars eine große Metallkiste und stellt sie auf einen extra für die Kunden bereitgestellten Tisch. Der Abteilungsleiter verlässt den Tresorraum, verschließt aber die Gittertür und lässt Lars mit sich und der Welt alleine.

Vorsichtig und vor Neugierde platzend öffnet Lars den Deckel der Kiste. Sie ist voll.

Voll mit Wertpapieren aller Art, Briefen, Umschlägen, Formularen, Kredit- und EC-Karten, einem Pass, weiteren Schlüsseln und einigen Bündeln mit 50 Euro-Scheinen, schätzungsweise 50.000 Euro.

Lars hat jetzt nicht die Nerven, um sich alles im Detail zu betrachten, er nimmt seinen Aktenkoffer und verstaut dort alles. Die leere Metallkiste schiebt er wieder in das Schließfach und ruft nach dem Abteilungsleiter.

Mit seinem Koffer in der Hand verlässt Lars die Bank, geht schweißgebadet zu seinem Auto und steigt ein.

Sorgenvoll schaut er nach allen Seiten, ob ihm jemand gefolgt ist. Er sieht nichts, würde aber auch niemanden sehen, selbst wenn derjenige nur einen Meter von ihm entfernt stünde.

Sein Gesicht fühlt sich feucht an und er hat keine Ahnung, ob das noch vom Angstschweiß, oder schon von den Freudentränen kommt.

Nervös wie ein Fahranfänger auf seiner Jungfernfahrt startet er das Auto und fährt nach Hause.

Kapitel 3

»Ich bin völlig fertig.«

Lars ist endlich zuhause angekommen. Sofort lässt er die Jalousien an den Fenstern herunter, schließt alle Türen und verriegelt sie.

Auf der Heimfahrt hat er auch mehr nach möglichen Verfolgern Ausschau gehalten, als sich auf den Verkehr konzentriert.

Jetzt steht er in der Ecke seines Wohnzimmers und starrt auf den Schreibtisch mit dem Computer.

»Ich sehe Curt leblos davor auf dem Stuhl sitzen. Aber was hatte er geschrieben?«

Lars nimmt sich zur Sicherheit zum wiederholten Mal Curts Abschiedsbrief zur Hand und sucht darin eine bestimmte Passage.

… Ich würde es wieder so machen ...

»Na also, dann mal ran an den Speck.«

Er räumt den Esstisch frei und öffnet seinen Aktenkoffer. Am einfachsten und am schnellsten geht das Zählen des Geldes. Es sind tatsächlich 10 Banderolen je 5.000 Euro.

»50.000 Mäuse, das ist doch schon mal was, und dann auch noch in bar, da kann ich ja jetzt die Sau raus lassen«, lacht er und stapelt die Bündel in einer Ecke des Tisches.

Mit den festverzinslichen Schuldverschreibungen der Deutschen Bundesbank kann Lars im Moment überhaupt nichts anfangen. Er nimmt sie zur Kenntnis und legt sie neben das Bargeld.

Dazu kommen jetzt vier goldene Kreditkarten, je zwei Visa und zwei Mastercard, drei EC-Karten, davon eine für das Konto bei der Sparkasse, ein Schlüsselbund und noch zwei Tresorschlüssel, einen in der Art wie er ihn schon hat, und einen etwas kleineren, aber doch sehr stabilen Schlüssel.

Als nächstes entnimmt er seinem Koffer einen kleinen Stapel verschlossener und nummerierter Briefumschläge. Vier Stück an der Zahl. Er traut sich nicht, sie zu öffnen und legt sie einfach daneben.

Bleibt noch der größte Anteil des Kofferinhalts. Ein Stapel von Formularen und Briefen unterschiedlicher Firmen und Behörden, hand- und maschinengeschriebene Papierseiten und ein Schreiben, besser eine Bedienungsanleitung, ausgestellt von Ido.

War doch gar nicht so schwer, oder?

Also pass auf, dies sind jetzt, bis auf die vier Briefumschläge,

die letzten Instruktionen von mir, dann musst

Du alleine laufen.

Die Umschläge bleiben noch geschlossen. Umschlag 1

darfst Du öffnen, wenn Du die Punkte 1 + 2 dieses

Schreibens erledigt hast. In jedem Umschlag findest Du

eine Anweisung, wann Du den nächsten öffnen darfst.

Halte dich daran, denn vorher stören die Informationen

nur.

Punkt 1

Verkaufe oder kündige Deine Wohnung, Auto, Arbeitsstelle

und alles andere was Geld kostet, Dich belastet

oder Deine Aufmerksamkeit benötigt. Aber unauffällig

und legal. Verlasse auch Familie, Frau, oder Freundin.

Verwische in jedem Fall Deine bisherigen Spuren als

Hacker.

Sei unbesorgt, Dein Vermögen liegt bereits jetzt im

Millionenbereich.

Du wohnst danach in einer Eigentumswohnung in einem

Hochhaus, die Adresse hängt am Schlüsselbund.

Das wird Deine private Rückzugadresse unter Deinem

Namen. Dort findest Du alles was Du benötigst, und

noch etwas: niemand kümmert sich dort darum, wann

Du kommst oder gehst.

Die Wohnung ist auf Idos Namen eingetragen, in Umschlag

1 findest du Anweisungen, wie Du sie

kostenfrei auf Deinen Namen umändern kannst.

Punkt 2

Miete Dir als Ido dort in der Nähe ein kleines Büro. Es

muss alle technischen Anforderungen erfüllen, aber unauffällig,

und von außen schlecht einsehbar sein. Hier

arbeitest Du nur als Hacker Spotty.

Punkt 3

Nach Erledigung der obigen Punkte kaufst oder mietest

Du Dir eine Luxuswohnung oder ein Haus, mit entsprechendem

Auto und allem was dazu gehört. Hier wirst

Du Dich als Ido bei Geschäftsleuten oder Freundinnen

repräsentieren.

Ab sofort lebst Du für die Außenwelt nur noch als Ido.

Ido ist absolut sauber, ist bisher nicht negativ

aufgefallen oder registriert.

Alles weitere, auch was Du mit den Utensilien aus dem

Banksafe machen kannst, findest Du, wenn die Zeit dafür

reif ist, kurz und bündig in den Umschlägen

beschrieben.

Ich wünsche Dir nochmal viel Glück.

Und sei vorsichtig.

Die Bahn, auf die Du Dich jetzt begibst, ist nicht nur

schief, sie ist abschüssig kriminell.

Aber Du wirst damit bald in feinster Gesellschaft sein.

Dein Ido

Lars braucht erst einmal eine Pause. Er liest den Brief mehrmals, doch nach jedem Mal wird er ruhiger und gelassener.

»Eigentlich werde ich zu nichts gezwungen, es wird mir auch keine eilige Entscheidung abverlangt. Theoretisch könnte ich mir das Geld unter den Nagel reißen und den restlichen Kofferinhalt verbrennen.

Aber was ist danach und was habe ich davon?«

Lars benötigt nicht viel Zeit, um darauf die Antwort zu finden.

»Dann kann ich mir ein neues Auto leisten und laufe, ohne Perspektive und abhängig von meinem Arbeitgeber, bis zu meinem Lebensende als Marionette durch die Welt.

Wie ein Zombie. Wie jetzt auch.«

Und diese Tatsache, dass auch ein großer Geldbetrag nichts an seiner eintönigen Lebensweise verändern wird, ernüchtert ihn, gibt ihm aber auch die Kraft für seine Entscheidung.

»Ich beginne ein neues Leben, suche den Reiz, das Abenteuer und die Abwechslung, nehme die Millionen und die Frauen. Aber erst ab morgen.

Heute mache ich es mir als Lars noch einmal gemütlich und schlafe eine Nacht darüber.«

Er steckt sich ein paar Geldscheine ins Portemonnaie, packt bis auf den Brief alles wieder ordentlich in den Koffer, verstaut diesen unter seinem Sofa und geht in die Stadt zum Essen.

Da es die letzte Nacht doch etwas später geworden ist und Lars seinen Wecker ausgeschaltet hat, wird er erst durch das klingeln des Telefons geweckt.

Es ist sein Vorgesetzter, der sich um seinen Gesundheitszustand Sorgen macht und heute entweder noch ihn, oder eine Krankmeldung erwartet.

»Kann er kriegen«, sagt sich Lars nachdem er aufgelegt hat, »und zwar die Krankmeldung bis zum letzten Arbeitstag, aber auch die Kündigung.«

Für ihn ist die Entscheidung ja längst gefallen, also muss er sich mit seinem Chef nicht mehr herumärgern. Er macht sich sein Frühstück und beginnt in der Tageszeitung zu blättern.

Curt Svensson ein Mörder?

Der Bissen Brot bleibt Lars direkt im Hals stecken, die Titelzeile erschlägt ihn.

Daran hat er ja überhaupt nicht mehr gedacht, dass ja mittlerweile die Polizei, und damit auch die Presse, über den Toten informiert ist.

»Aber wieso ein Mörder, der ist doch selbst tot.«

So schnell kann Lars die Bedeutung dieser Titelzeile gar nicht verarbeiten. Im Nu überfliegt er den Text des Leitartikels und liest unter anderem zunächst bei den Fakten:

... wurden gestern in seiner Wohnung zwei

Leichen gefunden, eine davon war

Curt Svensson selbst …

... einer noch unbekannte Person wurde in den

Rücken geschossen, Curt Svensson wurde

wahrscheinlich vergiftet …

In der Rubrik von Analyse und Recherche, dessen Ergebnis den Journalisten zu seiner Überschrift verleitet haben mag, liest Lars:

… man kann nicht jemand vergiften und sich dann

selbst in den Rücken schießen …

… eine dritte Person wird nicht zwei verschiedene

Tötungsmethoden wählen …

… bleibt die Vermutung, dass Curt Svensson

die noch unbekannte Person getötet, und sich dann

selbst vergiftet hat …

Lars schießen mehrere Fragen und Antworten zugleich durch den Kopf.

»War die andere Person auch schon seit wenigstens zwei Wochen tot?

Wenn ja, könnte Curt der Mörder gewesen sein.

Oder war der Kaffeetrinker der Mörder?

Dann gab es in der Tat wenigstens noch eine dritte Person.

Was war mit den zwei Typen in dem Auto?

Haben die dieser Person in den Rücken geschossen?«

Mit einem weiteren Toten hat Lars überhaupt nicht gerechnet, und solange Curt der Mörder gewesen sein könnte, meldet er sich höchstens krank, aber mit der Kündigung wartet er dann doch noch.

»Oder soll ich der Polizei die Fotos mit und ohne Kaffeetasse schicken? Vielleicht beschleunigt sich dadurch die Suche nach dem wahren Täter?«

Überzeugt ist Lars von dieser Idee jedenfalls nicht.

»Auf der anderen Seite hat Ido ja geschrieben, dass ich Curt vergessen soll, oder so ähnlich.

Ach, ich weiß auch nicht.«

Lars hat so ein bisschen der Mut verlassen, aber er kann ja nicht beim ersten Gegenwind die Flinte ins Korn werfen, darum zwingt er sich, die Situation noch einmal logisch zu analysieren.

»Curt rechnete mit Angreifern.

Ihm war nämlich unklar, ob er in der Lage sein würde, selbst Schluss zu machen, oder ob ihm jemand zuvor kommt.«

Das ist Fakt, das bestätigt sich Lars mehrmals, aber was kann oder muss er jetzt daraus schließen?

»Wenn man am Leben bleiben will, versucht man zu flüchten oder seinen Angreifer außer Gefecht zu setzen. Curt wollte sich aber lieber selbst töten, als seinen Angreifer. Er war lediglich besorgt, dass ihm dieser die Arbeit abnimmt.«

Lars kontrolliert und bestätigt sich nochmals, dass sein Resümee korrekt ist, und das bedeutet?

»Curt ist kein Mörder.«

Diese Erkenntnis beruhigt Lars ungemein und er spürt so langsam wieder den Tatendrang in sich wach werden.

Irgendetwas ist aber noch ungeklärt. Er nimmt die Fragen noch einmal durch, die ihm vorhin durch den Kopf gegangen sind.

»Genau, die zwei Typen im Auto. Das Kennzeichen, wo habe ich es mir notiert?«

Der Zettel ist schnell gefunden und zur Kraftfahrzeugzulassungsstelle hat er einen guten Draht. Ein Anruf und etwas Smalltalk reichen, und er hat den Namen und die Adresse vom Eigentümer dieses Fahrzeugs.

»Eine Detektei Stabinsky, na, die schaue ich mir im Netz erst einmal an.«

Lars geht an seinen Rechner und googelt nach diesem Namen.

»Also auf Grund dieser Ergebnisse, würde ich die mit nichts seriösem beauftragen. Jeder warnt vor diesem Unternehmen, ich finde nicht eine positive Rezension. Aber mit Sicherheit nehmen die jeden zweifelhaften Auftrag an, und solche werden bestimmt zur Zufriedenheit ausgeführt, jedoch von den Kunden nicht rezensiert.«

Lars findet eine Homepage der Firma. Sie umfasst nur eine Seite und ist nicht von Profis erstellt, darum entdeckt er relativ schnell eine Lücke, wie er den Rechner dieser Firma hacken könnte.

Aber er hackt nicht, er notiert sich nur alles. Er will dort nicht als Lars hacken, und er kann im Moment mit eventuellen Resultaten sowieso nichts anfangen.

Doch wenn das Gegner von Curt sind, dann könnten das auch seine werden, und dann ist es gut, diese Informationen zu besitzen.

»Jetzt bleiben nur noch die Fotos mit den Kaffeetassen. Die schicke ich vorerst nicht an die Polizei. Sollen die mit dem Fall klar kommen, wie sie wollen, ich für meinen Teil weiß, dass Curt nicht der Mörder ist, und das reicht mir.«

Lars reibt sich zufrieden und stolz über seine Recherche die Hände und scheint über visionäre Kenntnisse zu verfügen, als er sich denkt:

»Vielleicht kann ich die Fotos ja zu einem anderen Zeitpunkt für mich viel vorteilhafter verwenden.«

Damit ist für Lars das Thema Curt endgültig abgehakt, die Entscheidung über seine eigene Zukunft ja auch längst getroffen. Darum plant er jetzt, was er alles unternehmen muss, um die ersten beiden Punkte aus Idos Brief zu erfüllen.

»Frauen laufen mir bisher leider keine nach. Aber jeder Nachteil hat auch seinen Vorteil, also muss ich ihnen jetzt nicht weglaufen. Auch Familie habe ich nicht mehr und damit ist dieser Punkt bereits erledigt. Das war einfach.«

Lars erstellt jetzt seine Kündigungen für die Wohnung und die Firma, geht danach zum Hausarzt und lässt sich von ihm bis zu seinem letzten Arbeitstag krank schreiben.

Die Kündigungen und die Krankmeldung wirft er in den Briefkasten.

Neben der Post befindet sich das Büro der örtlichen Tageszeitung. Dort gibt Lars zwei Annoncen unter den folgenden Rubriken auf:

Autoverkauf

Wohnungsnachfolger gesucht

Lars findet, dass er damit einen großen Schritt in sein neues Leben bewältigt hat.

»Und morgen bin ich Ido und sehe mir mal meine neue Bleibe an.«

Kapitel 4

»Dieser Ausblick ist einfach fantastisch.«

Lars sitzt in seiner neuen Wohnung im 6. Stock eines Hochhauses mit einem wunderschönen Rundblick über einen Großteil der Stadt. Aber was diese Unterkunft so genial macht, dass ist die Anonymität, die Lars hier genießt. Niemand interessiert sich für ihn oder gar für die Tatsache, dass hier bis vor kurzem noch eine andere Person gewohnt hat.

Trotzdem macht es sich Lars zur Angewohnheit, dass er sich außerhalb seiner Wohnung und im Bereich des Hochhauses nur mit Baseballkappe und Brille bewegt. Ohne Verkleidung wird er in Zukunft nur noch als Ido auftreten, und keiner soll ihn hier später einmal als solchen identifizieren können.

Für seine alte Wohnung findet er problemlos einen Nachmieter. Bis zu seinem Umzug entfernt er seinen bei anderen Personen unfreiwillig installierten Browser wieder von deren Computern und sorgt auch dafür, dass sein Computerspiel vom Markt genommen wird. Der Hacker Lars ist damit von der Bildfläche verschwunden.

Sein eigenes Auto verkauft er, nicht zu einem guten Preis, dafür aber relativ schnell.

An seinem letzten Arbeitstag geht er noch einmal zu seiner Arbeitsstelle, um seine persönlichen Gegenstände abzuholen und sich von seinen ehemaligen Kollegen zu verabschieden. Auf die drängenden Fragen des 'Warum' sagt er ihnen, dass er ein Angebot im Ausland angenommen hat. So gewährleistet er, dass ihn niemand vermisst, beziehungsweise sucht, um ihn einmal zu irgendeiner Gelegenheit einzuladen.

Am anderen Ende der Stadt mietet sich Lars eine Einzimmerwohnung mit Küchenzeile und Bad, um sich dort als Hacker Spotty sein Büro einzurichten.

In einem in der Nähe des Büros befindlichen Parkhaus mietet er sich schon zwei Dauerparkplätze auf unterschiedlichen Parkebenen an, und zwar für die neuen und teilweise noch zu erwerbenden Autos für Lars und für Ido.

Außerdem soll das Parkhaus dazu dienen, nicht nur die Fahrzeuge der beiden zu wechseln, sondern auch deren Identität, denn um die entsprechende Person anzunehmen, kann man sich dafür auf der dortigen Toilette umziehen.

Wenn das Parkhaus als Spotty verlassen oder betreten wird, dann geschieht das zu Fuß, und zwar mit einer Perücke und Hornbrille.

»Die ersten Bedingungen habe ich alle erfüllt. Eigentlich ist jetzt genau der richtige Zeitpunkt, um den ersten Umschlag zu öffnen.«

Lars ist mit sich und der Welt zufrieden.

Er nimmt noch einen Schluck von seinem Rotwein, macht es sich im Sessel bequem, legt die Füße auf den dazugehörenden Hocker und öffnet den Briefumschlag mit der Nummer 1.

Hallo.

In der Küche steht auf dem Kühlschrank eine Mikrowelle.

Nimm sie weg und Du findest dahinter einen kleinen

Tresor.

Den Schlüssel dafür hast Du schon.

Dort findest Du Deine Autoschlüssel und alle dazugehörenden

Papiere. Das Auto steht in der Tiefgarage auf einem

zur Wohnung gehörenden Parkplatz.

Lasse es auf Deinen richtigen Namen umschreiben.

Diese Wohnung habe ich deswegen erworben, weil in

dieser Stadt alle Ämter digitalisiert sind, und ich das

Grundbuch- und Katasteramt hacken konnte.

Hier ist eine fiktive IP-Adresse:

45.236.821.17

In diesem Dokument findest Du die entsprechenden Informationen,

um in den Dateien dieser Ämter die Wohnung

auf Deinen Namen zu ändern.

Ohne Notar und Geld. Ist doch praktisch, oder?

Fordere von ihnen danach einfach einen neuen Grundbuchauszug an.

Unter dieser IP-Adresse findest Du aber noch weitere Informationen.

Zum Beispiel die Daten zum Hacken von zwei weiteren

Banken. Die Kontonummern siehst Du auf den EC-Karten

aus dem Bankschließfach. Ändere alle Konten und

Depots von Ido auf Deinen richtigen Namen, und die von

Curt auf Idos Namen. Dann lässt Du wegen Diebstahls

die alten EC- und Kreditkarten sperren, und forderst

neue an.

Geld findest Du dort genug um für Ido ein adäquates Luxusleben

vorzubereiten.

Du hast noch einen weiteren Schlüssel für einen Banksafe.

Der gehört zu Idos Bank. Er hat dort auch ein Wertpapierdepot.

Die Nummern vom Safe und Depot findest

Du unter der IP-Adresse. Im Safe liegt nur Bargeld, falls

Du mal dringend Liquidität benötigst, und zwar so um

eine halbe Million Euro.

Der Rest meines Besitztums befindet sich auf einem

Schweizer Nummernkonto, dessen Nummer Du dort

ebenfalls findest. Das Passwort teile ich Dir aus

Sicherheitsgründen hier schon mit.

Es lautet: CurtIdoSpotty

Wenn Du dies alles erledigt hast, auch alle neuen

Kreditkarten und Grundbuchauszüge in Händen hältst,

wenn dazu Haus und Auto gemäß dem Punkt 3 für Ido

angeschafft sind, dann fängt der Spaß für Dich als Ido

erst richtig an.

Dann öffne den Umschlag Nummer 2.

»Wahnsinn. So habe ich das nicht einmal zu träumen gewagt.«

Lars strahlt über sein ganzes Gesicht und so gut wie bisher alles vorbereitet und geplant ist, ist er sich sicher, dass auch diese Aufgaben reibungslos erledigt werden können.

»Endlich wieder ein Auto«, freut er sich, »das Leben ohne fahrbaren Untersatz ist doch komplizierter als ich dachte.«

Natürlich geht er sofort mit allen Tresorschlüsseln bewaffnet in die Küche und räumt die Mikrowelle an die Seite.

»Tatsache. Ein kleiner Geheimsafe, eingebaut in die Wand. Nicht schlecht.«

Lars öffnet ihn, entnimmt den Inhalt und überfliegt die Papiere.

»Da kann ich ja nicht meckern. Ein fünf Jahre alter 318er BMW. Komfortabel und nicht besonders auffällig, wenn ich damit als Lars unterwegs bin.

Dann will ich mich direkt mal an die Arbeit machen.«

Lars setzt sich eine der neu erworbenen Baseballkappen und die mit Fensterglas ausgestattete Brille auf, und begibt sich in die Tiefgarage auf die Suche nach seinem Auto.

Er erahnt es schon von weitem. Nicht an der Farbe, schwarz sind hier fast alle Fahrzeuge. Auch kann er das Nummernschild längst noch nicht erkennen. Nein, es ist der Staub, welcher das Auto durch den wochenlangen Stillstand bedeckt.

»Na, da machen wir doch erst einmal einen Besuch in der Waschstraße«, sagt Lars und klopft seinem neuen Gefährten auf den Kotflügel.

Danach fährt er in Richtung seines Büros und parkt in dem Parkhaus auf dem ersten seiner Dauerparkplätze, steigt aus und geht auf die Kundentoilette.

Als er sich vergewissert hat, alleine zu sein, wechselt er die Kappe gegen eine Perücke mit blonden und etwas längeren Haaren ein und tauscht seine bisherige Brille gegen eine dunkle Hornbrille aus.

So verlässt er das Parkhaus und geht nach einigen Metern in eine Seitenstraße, um als Spotty sein neues Büro aufzusuchen.

»Es ist schon erstaunlich, wie leichtfertig die Menschen mit ihren Computern und den darin gespeicherten Daten umgehen. Bei Privatpersonen kann ich ja eine gewisse Unerfahrenheit noch verstehen, aber bei Firmen, Behörden oder Banken, da sollten doch Profis für die nötige Sicherheit sorgen.«

Lars, oder eindeutiger gesagt Spotty, relativiert seine Aussage jedoch schnell wieder.

»Aber auf der anderen Seite, um einen Computer knacken zu können, stellt sich eigentlich nur die Frage, wie viel Zeit man zur Verfügung hat. Sicher ist auf die Dauer jedenfalls keiner.«

Die Anweisungen, die Spotty unter der Pseudo-IP-Adresse findet, sind so eindeutig, dass es keines großen Aufwands bedarf, um die Namen auf den Bankkonten, Depots und Grundbüchern entsprechend zu ändern.

Dann fordert er per Telefon neue Auszüge beim Grundbuchamt, und Kredit- und EC-Karten bei den Banken an.

»Das war´s. Eigentlich ein Kinderspiel, so einfach hätte ich mir das nie vorgestellt.«

In Anbetracht dieser Tatsache, beginnt Spotty zu sinnieren.

»Wenn man bedenkt, wie gefährlich für sich selbst und für andere zum Beispiel so ein Bankraub ist, und wie hoch dann die Strafe ausfällt, wenn man erwischt wird. Und wenn man Pech hat, das alles nur für ein paar lausige Euros.

Auf der anderen Seite ist man durch geschicktes Hacken in der Lage, viel mehr Geld zu erbeuten, und das bei null Gefahr für andere Menschen und bei einem viel geringerem Strafmaß bei Misserfolgen.«

Bevor Spotty in das Parkhaus geht, sucht er in der Stadt noch ein Schreibwarengeschäft auf, um ein paar überregionale Zeitungen zu kaufen.

Danach verkleidet er sich von Spotty in Lars und fährt zur Kraftfahrzeugzulassungsstelle, um den BMW auf seinen Namen überschreiben zu lassen.

Zuhause angekommen, macht er es sich auf seinem Sofa wieder gemütlich und er studiert die erworbenen Zeitungen.

»Über den Tod von Curt und dem anderen Mann haben die Zeitungen in großen Lettern berichtet, da hatten sie eine Aufmachung, eine Schlagzeile und ihre Sensation.

Aber seither erfährt man nichts mehr, nicht eine Zeile, was aus deren Spekulationen und Vermutungen geworden ist. Als ob pure Informationen niemanden mehr interessieren, und das nennt sich dann auch noch Journalismus.«

Lars hat sich richtig in Rage geredet, aber einmal in Fahrt, ist er nicht mehr zu stoppen.

»Und Nachrichten sind noch schlimmer. Als Nachricht wird nur gemeldet, was von der Normalität abweicht, und das von morgens bis abends, abgelöst erst durch die nächste Sensation.

Dadurch entsteht der Eindruck, dass das abnormale schon normal geworden ist, auf der Welt nur noch Chaos, Terror und Krieg herrschen und wir nur noch von Unglücken, Katastrophen und sonstigem Ungemach umgeben sind.«

Nachdem sich Lars wieder abreagiert hat, sucht er im Autoteil der Zeitung nach einem Auto für Ido. Aber er findet absolut nichts, was ihm direkt ins Auge springt und ihm sagt: 'Das ist es.'

Und wenn er gezielt nach etwas suchen will, dann hat er keine Ahnung, wonach er suchen soll.

»Wie muss denn das Auto für Ido aussehen? Ich kenne ja noch gar nicht die Kreise, in denen er verkehren wird.«

Nachdem er Sportwagen, SUVs, überdimensionale Karossen und alles was nach neureich aussieht ausgeschlossen hat, kommt er zu folgendem Schluss.

»Es muss schon ein Auto sein, welches Erfolg suggeriert und trotzdem nicht zu protzig ist. Ausländische Fabrikate kommen wahrscheinlich nicht in Betracht, also bleiben nur ein großer Mercedes, Audi oder BMW. Vielleicht sogar ein Cabrio?«

Lars beschließt, bei den örtlichen Händlern dieser Marken demnächst einmal hineinzuschauen, und nach Vorführwagen und ähnlichem zu fragen.

Dann sind die Immobilien an der Reihe.

Was für eine Enttäuschung. Alle Häuser befinden sich laut Inserat in bester Lage, aber nirgends steht die Lage wirklich dabei, und wenn doch, dann sagt ihm diese nichts, da er sich in fremden Städten überhaupt nicht auskennt.

»Im Internet könnte ich jetzt gezielt suchen. Wer hat eigentlich den Teufel geritten, und mich Zeitungen kaufen lassen.«

Beim Zuschlagen der Zeitung springt ihm aber doch noch etwas ins Auge. Es ist nicht das Foto der Immobilie, sondern die Region, in der sich diese befindet. Lars sein Vorgesetzter hat nämlich mehrfach erwähnt, dass er im Falle eines Lottogewinns dort gerne wohnen würde.

»Dann fahre ich da morgen einfach hin, mal sehen, ob es dort wirklich schön ist. Vielleicht finde ich sogar etwas, oder zumindest einen Makler aus der Region, und wenn ich mich nicht irre, sind in der Nähe auch meine Autohändler ansässig.

Da kann ich wieder viele Klatschen mit einer Fliege fangen, oder so ähnlich.«

»Na, das nenne ich mal ein Häuschen.«

Lars ist mit dem Auto unterwegs in der Region, die sein ehemaliger Vorgesetzter so reizvoll findet. Von der Landstraße aus sieht er am Horizont eine Villa stehen, auf einer Anhöhe am Waldesrand in Hanglage.

»Das wäre es doch. Da fahre ich einfach mal hin und frage. Das 'Nein' habe ich auch, wenn ich nicht frage, das 'Ja' kann ich noch bekommen«, macht er sich selbst Mut.

Die Villa hält auch aus der Nähe das, was sie aus der Ferne verspricht. Von der Straße aus gelangt man ebenerdig in den oberen Teil des Gebäudes, und auf der Rückseite kommt man im unteren Teil ebenerdig über eine große Terrasse in den Landschaftsgarten mit Teichen und Brücken. Am anderen Ende des Grundstücks, hinter der letzten Brücke, sieht Lars ein Schwimmbad, einen barocken Pavillon und ein Gebäude, das aus Holzstämmen erbaut ist, wahrscheinlich eine Sauna.

»Okay, ein bisschen Farbe, alles etwas aufpäppeln, den Garten auf Vordermann bringen, sicherlich auch den Pool. Das nehme ich.

Wo ist die Kasse?«

Lars sieht im Garten einen alten Mann, der krampfhaft versucht, gegen den Wuchs der vielen Pflanzen und Blumen anzukämpfen. Aber diese wachsen ihm sprichwörtlich über den Kopf.

»Einen schönen Garten haben Sie«, ruft Lars über den Zaun, denn er hat sofort erkannt, dass dieser Mann kein Gärtner, sondern nur der Eigentümer sein kann.

»Hören Sie auf«, erwidert der Alte, sich seinen Rücken haltend, »viel zu viel Arbeit. Für mein Alter ist das nichts mehr, und was habe ich davon? Außer kaputten Knochen, nichts.«

Langsam kommt der Alte auf den Zaun zu geschlendert, sich freuend, dass er anscheinend etwas Abwechslung in seinen tristen Alltag bekommt. Sonst spricht ja kaum jemand mit ihm.

»In dem Schwimmbad ist auch seit drei Jahren niemand mehr gewesen. Seit die Kinder aus dem Haus sind, ist es ruhiger geworden, und seit meine Frau gestorben ist, bin ich froh, wenn ich in der Küche zurecht komme.«

»Und warum verkaufen Sie das Haus nicht?«

»Hören Sie auf. Darauf wartet das ganze Gesindel ja«, klagt der Alte, wild mit seinen Armen fuchtelnd und Lars merkt ihm auch deutlich seine Erregung an, »das Haus verkaufen, mich in ein Heim stecken, und sich von dem Geld dann einen schönen Lenz machen. Dafür habe ich nicht mein ganzen Leben schwer gearbeitet.«

»Verkaufen Ihre Kinder denn nach Ihrem Tod das Haus?« gibt sich Lars erstaunt.

»Natürlich, ich drehe mich ja deswegen jetzt schon im Grabe um. Aber was soll ich machen«, resigniert der Alte.

Lars hat eine vage Idee und versucht ganz nach dem Motto, 'wer nicht wagt, der nicht gewinnt', diese Idee direkt in einen mutigen Plan umzusetzen.

»Haben Sie schon einmal mit einem Schiff eine Kreuzfahrt unternommen?«

»Als meine Frau noch lebte, waren wir einmal im östlichen Mittelmeer«, schwärmt der Alte sofort, »nach Venedig, Sizilien, Istanbul, Athen. Das war der absolute Höhepunkt unseres Lebens. Dieser Service und Luxus, dieses Leben und Treiben auf der einen, und die Ruhe auf der anderen Seite. Herrlich.«

Sehnsuchtsvoll atmet der Alte tief durch und Lars führt seinen Plan noch weiter aus.

»Es gibt Kreuzfahrtschiffe, die fahren um die ganze Welt«, sagt er bedeutungsvoll zu ihm, »da muss man eigentlich nie mehr von Bord gehen. Es sei denn, man wechselt in einem Hafen das Schiff, um mal eine andere Route zu genießen.«

Lars wartet einen Moment, um dem Alten die Möglichkeit zu geben, Geschmack an seinen Worten und Gefallen an seiner Idee zu finden.

»New York, Karibik, Brasilien«, fährt Lars fort mit schwärmen, »oder Thailand, Japan, Singapur, Abu Dhabi, oder die Ostsee, das Nordkap.«

Die Augen des alten Mannes leuchten nun wie die Augen eines Kindes zu Weihnachten und Lars setzt noch einen oben drauf.

»Man braucht nie wieder kochen, nie mehr sauber machen, die Wäsche wird einem gewaschen und man kann sich den ganzen Tag mit netten, gutgelaunten Menschen unterhalten. Das man dabei auch noch die ganze Welt zu sehen bekommt, muss ich gar nicht mehr erwähnen.«

Dass der Alte sein Vermögen nicht geschenkt bekommen hat, sondern dass hierfür eine gehörige Portion Intelligenz erforderlich war, merkt Lars schon an dessen Reaktion.

»Sie wollen also mein Haus kaufen, und es mit einer Kreuzfahrt bezahlen.«



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