Morgen 17 Uhr - K. W. Robek - E-Book

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K. W. Robek

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Beschreibung

Seit über zwanzig Jahren ist Alex auf der Suche nach den Mördern seiner Eltern, die im georgischen Bürgerkrieg von russischen Freischärlern erschossen wurden. Er schließt sich deswegen damals tschetschenischen Separatisten an, welche jetzt einen Anschlag auf das Bolschoi Theater in Moskau planen. Auf seiner Suche lernt Alex Bianca kennen, die in den Mord an ihrem eigenen Schwager verwickelt ist. Im Laufe der Zeit verdichten sich die Anzeichen, dass Alex den Mörder seiner Eltern in Biancas Ehemann Christoph gefunden hat. Er beschließt daraufhin, ihm erst die Frau und das Vermögen zu nehmen. Dann lässt er zum Tag des geplanten Anschlags die beiden in einer Tombola eine Reise nach Moskau inklusive Theaterbesuch gewinnen. Christoph fliegt zwar mit nach Moskau, geht jedoch dann nicht ins Theater. Aber es gibt einen Plan B. Morgen 17 Uhr.

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Seitenzahl: 426

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 1

»Es würde mich freuen, wenn ich an ihrem Tisch Platz nehmen darf.«

In Gedanken versunken blickte Alex auf und war von der einen auf die andere Sekunde hellwach. Da stand sie vor ihm. Groß, schlank, rotbraunes und lang gewelltes Haar, leuchtend grüne Augen. Selbstsicher und mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht wartete sie auf Antwort.

Alex suchte nach Worten und im Café nach freien Tischen, er fand beides nicht. Zum Glück, zumindest was die Tische betraf.

»Hat ihnen schon mal jemand einen Wunsch abschlagen können?« fragte er endlich, erhob sich leicht und wies mit der Hand auf den freien Stuhl neben sich, »bitte nehmen sie doch Platz.«

»Das Café ist ziemlich voll und ich möchte nur schnell einen Espresso trinken«, versuchte sie sich zu rechtfertigen, hängte dabei ihre kleine Handtasche über den freien Stuhl und nahm Platz, ohne dabei Alex aus den Augen zu lassen.

»Eigentlich war ich bereits im Begriff zu gehen, habe auch schon mit dem Kellner abgerechnet, aber diesen Augenblick lasse ich mir natürlich nicht nehmen und leiste ihnen gerne noch Gesellschaft.«

Normalerweise waren Alex seine Beziehungen zu Frauen eher zurückhaltend, aber bei so einer Erscheinung fiel das natürlich sehr schwer und Alex war ja schließlich nicht unattraktiv. Er war schlank, sportlich und muskulös, hatte kurze blonde Haare, blaue Augen und er war ledig und mit 39 Jahren im besten Mannesalter.

Außerdem erregte bei dieser Frau ein kleines Detail seine Aufmerksamkeit. Ein perlmuttfarbenes, Gold umrandetes Amulett zierte ihr Dekolleté, auf dem eine kleine russische Matroschka-Puppe eingraviert war. Und so wanderte sein Blick hin und her, von der Puppe zum Dekolleté und wieder zurück.

»Sorry«, stotterte er ein wenig, »aber ich glaube, dass ich sie jetzt von oben bis unten gemustert und fixiert habe.«

»Ich habe ihre Blicke erstaunlicherweise genossen«, war ihre schnelle aber ehrliche Antwort, über die sie selbst erschrak und sie leicht zusammenzucken lies.

»Dann ist es allerdings schade, dass sie diesem Genuss nur die Zeit eines Espressos widmen können«, flirtete Alex, »zumal mir meine Augen soeben erklärt haben, in keine andere Richtung mehr sehen zu wollen.«

Alex fühlte sich jetzt irgendwie unwiderstehlich, und sein spontanes Kompliment nährte bei ihm die Hoffnung, diese Zusammenkunft noch etwas verlängern zu können.

Sie nippte leicht verlegen an ihrem Kaffee, welchen ihr der Kellner mittlerweile gebracht hatte. Alex gefiel ihr. Schon als sie ihn beim Betreten des Cafés erblickte, überkam sie dieses sehnsuchtsvolle Verlangen und fast wäre sie auf den Flirt eingegangen, zumal es eine ihrer liebsten Leidenschaften war, anderen Männern allein durch ihre Erscheinung den Kopf zu verdrehen. Doch ihr Blick fiel zufällig auf die im Café hängende Wanduhr und statt zu flirten, nahm sie den letzten Schluck ihres Espressos.

»Sie sind äußerst charmant«, sagte sie deshalb, »und das Gespräch verdient sicher eine Fortsetzung. Leider muss ich schon gehen. Wenn sie aber möchten, dann rufen sie mich doch einfach an. Bestimmt ist ein anderes Mal etwas mehr Zeit.«

Sie legte ihre Visitenkarte auf den Tisch, das Geld für ihren Espresso, winkte Alex kurz mit der rechten Hand zu und verschwand genauso schnell wieder, wie sie gekommen war.

»Bianca von Behrenfeld«, las Alex und steckte das Kärtchen ein, »was für eine Augenweide.«

Gedankenversunken blickte er ihr nach, bis sie das Café verlassen hatte. Das Matroschka-Amulett hatte schon seine ganze Aufmerksamkeit erregt, aber zusammen mit dieser Frau hatte ihn das auch noch neugieriger gemacht.

»Sicher werde ich sie einmal kontaktieren«, dachte er sich, seufzte fast unhörbar vor sich hin und ging ebenfalls.

Bianca hatte die City langsam aber zielstrebig entlang der Einkaufspassage in Richtung des Stadtparks verlassen. Dass ihr Alex in relativ geringem Abstand folgen würde, konnten sie beide nicht ahnen.

Es war ein wunderschöner Frühsommertag. Die Sonne schien bei strahlend blauem Himmel, die Temperatur war aber angenehm warm, noch nicht so sengend heiß wie im Hochsommer. Ein Grund mehr für viele Menschen, heute einmal einen Bummel durch den Stadtpark zu machen.

Der Park war also gut besucht, als Bianca dort eintraf und in Richtung des großen Obelisken ging, der seit hunderten von Jahren am Eingang zum Park stand.

Anscheinend wartete dort ein Mann auf sie, jedenfalls erhob er kurz seinen Arm, als er Bianca erblickte und ging auf sie zu. Bianca erwiderte den Armgruß ebenso kurz und blieb dann wartend stehen.

Ein Motorrad fuhr in diesem Moment aus einer Parklücke. Hinter dem Fahrer saß noch eine zweite Person. Beide trugen schwarze Lederkleidung und ihre Helme hatten das Visier geschlossen.

Der Mann, der auf Bianca zuging, drehte sich zu dem Motorrad um. Vielleicht hatte er noch das Mündungsfeuer aus der Pistole wahrnehmen können, welche der Beifahrer auf ihn gerichtet hatte.

Drei Schüsse fielen.

Als der Mann zu Boden sackte, gehörten jedenfalls für ihn Wahrnehmungen aller Art der Vergangenheit an. Das Motorrad beschleunigte rasant und raste an Bianca vorbei in Richtung Innenstadt.

Schon beim ersten Schuss spürte Alex den Adrenalinschub in seinem Körper. Er war auf Stresssituationen trainiert und als das Motorrad auch an ihm vorbei fuhr, war alles in ihm in Hochspannung. Reflexartig drehte er sich um, und merkte sich das Kennzeichen des Fahrzeugs. Dann rannte er in Richtung des Tatorts. Zu seiner Überraschung lief er dabei direkt in Biancas Arme.

Bianca wollte vor Entsetzen laut schreien, aber irgendetwas in ihr unterdrückte diesen Schrei. Im Gegenteil, sie merkte, wie sich ihr Körper bei diesem für sie doch völlig fremden Mann wohlig anschmiegte. Ihre Arme umklammerten seinen Oberkörper und sie drückte fest zu.

Hier fühlte sie sich sicher und geborgen.

Dieser Mann sah zwar genauso hart und undurchdringlich aus, wie all die Männer mit denen sie bisher Bekanntschaft gemacht hatte oder zwangsläufig machen musste, aber trotzdem, dieser strahlte auch irgendwo Sanftmut und Wärme aus. Ein Gefühl, dass sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gespürt hatte.

Alex hatte viele Fragen, die er am liebsten gleich an Bianca gestellt hätte, aber irgendwie hatte er auch das Gefühl, sie erst einmal trösten zu müssen. Darum erwiderte er den Druck, den er durch Biancas perfekten Oberkörper spürte und genoss diesen intimen Moment.

Gerade als er den Druck wieder lockern wollte, sah er einen Van mit verdunkelten Seitenscheiben langsam auf sich zukommen.

Was dann geschah, passierte sonst nur in Actionfilmen.

Alex drückte noch fester zu, hob Bianca einfach ein bisschen in die Höhe, lief ein, zwei Schritte nach vorne und warf sich mit ihr hinter ein Gebüsch auf den Boden. Schützend breitete er seine Arme über sie aus.

Der Van fuhr langsam an ihnen vorbei, im Augenwinkel sah Alex an dessen Rückseite ein Behindertenschild.

»Ist das alles, oder kommt jetzt noch etwas?

Sagen sie mir bitte Bescheid, wenn sie ihre Hormone wieder unter Kontrolle haben«, schimpfte Bianca auf Alex ein, »ich habe ja schon viel erlebt, aber am helllichten Tag mit jemandem in die Büsche springen? Da kann ich mir doch angenehmere Orte und Zeitpunkte vorstellen.«

Bianca konnte sich nicht mehr beruhigen, sie rappelte sich los und stand auf. Am liebsten hätte sie noch weiter geschimpft, aber ihre Kleiderordnung hatte doch sehr gelitten. Putzen, glatt streichen und striegeln waren ihr erst einmal wichtiger.

Alex, der mittlerweile auch aufgestanden war, wies mit dem Arm auf das sich langsam entfernende Auto.

»Ich dachte ...«, stammelte er.

»... dass sie noch nicht zurück ins Heim wollten«, konterte sie und beide mussten unwillkürlich anfangen zu lachen.

Allerdings dauerte es nicht lange bis sich die Fröhlichkeit wieder gelegt hatte, dann traten die Geschehnisse der letzten Minuten wieder in den Vordergrund.

»Was ist da eben passiert?

Wer hat da geschossen?

Was war das für ein Motorrad?

Wer ist dieser Mann?

Warum sind sie gerade weggelaufen?«

Routinemäßig spulte Alex seine Fragen herunter ohne wirklich auf eine Antwort zu warten. Er verschaffte sich stattdessen lieber einen Überblick über die aktuelle Lage.

Nach dem Menschenauflauf zu urteilen, war der Mann dahinten definitiv tot, eine Hilfeleistung damit nicht mehr erforderlich.

Polizei oder Rettungsfahrzeuge waren alarmiert, er konnte deren Sirenen bereits in der Ferne hören.

Für den Seitensprung ins Gebüsch hatten sich keine Zuschauer interessiert, es gab ja auch spannenderes zu sehen.

Blieb nur ein Punkt der wichtig und vorrangig zu klären war.

»Müssen wir da jetzt hin, oder müssen wir hier weg?« lautete seine eindringliche Frage und dabei packte er Bianca fest an ihren Oberarmen.

»Weg, ich möchte nichts wie weg.«

Ihre Stimme klang kläglich, von der kurz aufgeflackerten heiteren Stimmung war nichts mehr übrig, die Angst hatte sich wieder in ihren Augen breit gemacht.

Alex und Bianca kehrten zielstrebig aber nicht überhastet wieder zurück in das kleine Café in der Innenstadt, ohne dass sie weiter auffielen. Es waren dort zwischenzeitlich genügend Plätze frei geworden, sodass sie sich einen Tisch mit einem Sofa und zwei gepolsterten Sesseln mit Armlehnen aussuchen konnten, welcher zudem in einer ruhigen Ecke des Cafés platziert war.

Kaum dass sie Platz genommen hatten, durchbrach Alex das bisherige Schweigen, um seine Fragen zu wiederholen.

»Wer ist, oder besser gesagt, wer war dieser Mann?«

»Warum sind sie mir gefolgt und wer sind sie überhaupt, dass sie Glauben, von mir dazu eine Antwort zu erhalten?«

Bianca hatte auf dem Weg zum Café ihre Souveränität zurückgewonnen und sie war nicht bereit, diesen Fremdling auch nur ein kleines bisschen Schlauer als irgendwie nötig zu machen, zumindest jetzt noch nicht.

«Okay«, lenkte Alex ein, »außer dass ich ihnen nicht absichtlich gefolgt bin, haben sie Recht. Aber sie müssen entschuldigen, ich hatte leider noch keine Möglichkeit mich ihnen vorzustellen.

Mein Name ist Aleksandre Arweladse.

Meine Freunde nennen mich Alex und ich würde mich glücklich schätzen, sie, beziehungsweise dich, dazu zählen zu dürfen.«

»Angenehm«, erwiderte Bianca und erneut spürte sie dieses Kribbeln, dieses sehnsuchtsvolle Verlangen nicht nur nach Zärtlichkeiten.

»Ein Satz von ihm und schon schmelze ich dahin«, dachte sie für sich. Doch sie riss sich noch einmal zusammen und fuhr mit sanfter Stimme fort:

»Alex, ein schöner Name. Du wirst es sicher gelesen haben, ich heiße Bianca.«

Für einige Sekunden herrschte absolute Stille an dem kleinen Tisch im Café, für Bianca kam es vor wie eine Ewigkeit. Zu lange um sich noch zu beherrschen und wie in Trance hörte sie sich sagen:

»Wenn wir uns jetzt duzen, müssen wir auch Brüderschaft trinken und uns küssen.«

Auch wenn Bianca über ihre eigenen Worte in Erstaunen geriet, was dann folgte, machte sie sprachlos, und das in jeder Hinsicht.

Alex stand nämlich auf, griff Bianca unter die Achseln, hob sie hoch, umarmte sie, fasste mit der linken Hand fest in ihre Haare und mit der rechten Hand drückte er ihren Unterrücken an sich.

Er küsste sie, erst kurz und zärtlich, dann langanhaltend und intensiv.

Erst als Biancas Beine begannen, ihr den Dienst zu verweigern, ließ er sie wieder auf ihren Sessel nieder gleiten. Er setzte sich ebenfalls und sah erwartungsvoll direkt in ihre schönen, smaragdgrünen Augen.

»Ich bin verheiratet.

Der Tote ist der Bruder meines Ehemannes.«

Bums. Das saß, und zwar tief.

Diesen Szenenwechsel hatte Alex so nicht erwartet. Keine Anerkennung für seinen Kuss, und dann war sie auch noch verheiratet und der Erschossene demnach ihr Schwager.

»Was geht mich das alles an«, hatte er selbst einen Moment lang gedacht und war auf dem Sprung, das Café einfach zu verlassen. Es dauerte schon eine Weile bis er sich wieder gesammelt hatte und seine Sinne alle wieder auf 'On' gesprungen waren. Dann erwachte aber in ihm die Neugierde und jetzt wollte er alles wissen. Er wollte Antworten auf seine Fragen hören.

»Hattest du ein Verhältnis mit ihm?«

Das schien für Alex die naheliegende Frage in diesem Moment zu sein, auch wenn er sich nicht im Klaren darüber war, ob die Antwort für den Mord oder für ihn selbst von Interesse sein würde.

»Oder warum hattet ihr euch verabredet?«

Die Frage traf Bianca offensichtlich unvorbereitet. Sie wollte Alex nur schockieren und hatte nicht bedacht, dass ihre kurze Ehrlichkeit weitere Fragen nach sich ziehen würde, wofür sie aber noch keine offiziellen Erklärungen parat hatte. Darum kam ihre Antwort nur zögerlich und klang nicht gerade überzeugend.

»Nein«, begann sie, »er hatte Probleme mit seiner Frau. Ihre Ehe wurde nur noch pro forma aufrecht erhalten. Wie ich ihn verstanden habe, wollte er der Ehe aber wieder neues Leben einhauchen und hatte deswegen meinen Rat gesucht. Es sollte aber niemand wissen. Ich glaube, dass er sich geniert hatte.«

»Führst du denn auch eine Pro-Forma-Ehe?«

Es versetzte Alex schon in Erstaunen, dass ihn Biancas Eheleben mehr zu interessieren schien, als die Klärung dieser fadenscheinigen Begründung.

»Nein, aber unsere Ehe ist aus finanziellen Gründen sagen wir mal eine Zweckgemeinschaft, jedenfalls ist es keine Liebesbeziehung.«

Alex hatte den Eindruck, dass dies die erste ehrliche Antwort war, die Bianca ihm an diesem Abend gegeben hatte.

Er fühlte in sich richtig die Erleichterung, Steine fielen von ihm ab. Für einen Moment war ihm der weitere Verlauf des Gespräches eigentlich egal, er musste sich schon zusammen reißen, um fortfahren zu können.

»Hast du denn eine Idee, wer deinen Schwager erschossen haben könnte? Oder besser gesagt, wer den Auftrag dazu erteilt hat?«

Bianca überlegte einen Augenblick.

»Warum sitze ich hier überhaupt und versuche mich zu rechtfertigen? Warum gehe ich nicht einfach weg?«

Aber wenn sie Alex wie einen Fremden behandeln würde, könnte er zur Polizei gehen, doch als Freund war sie ihm natürlich Erklärungen schuldig.

Aber auch die Wahrheit?

»Natürlich nicht«, begann sie deshalb, »aber ich will dir gerne in zwei Sätzen etwas über unsere Familie erzählen, dann kannst du dir vielleicht einen eigenen Eindruck über diese Situation machen. Wenn es dich interessieren sollte?«

»Selbstverständlich, ich höre.«

»Also, mein Mann und sein Bruder sind Eigentümer einer Metallwarenfirma. Aber im Grunde genommen werden über die Firma nur irgendwelche Geschäfte abgewickelt.«

»Was meinst du mit 'irgendwelche' Geschäfte?«

Dieses Wort hatte sofort die Aufmerksamkeit von Alex erregt und seine Sinne in Alarmbereitschaft versetzt.

»Ich kümmere mich da nicht weiter drum, weiß lediglich, dass es immer um sehr viel Geld geht, welches ich dann auch gerne wieder ausgebe.«

Alex musste schmunzeln und konnte sich dazu seinen Kommentar so gerade noch verkneifen.

»In letzter Zeit fiel mir auf, dass mein Schwager oft mit ausländischen Geschäftspartnern telefoniert hat, einmal hörte ich auch den Namen Boeing. Vielleicht hilft das ja.«

»Viel ist es nicht, aber man kann ja nie wissen«, sagte Alex leicht enttäuscht, »bleibt nur noch die Frage, warum du dort weggelaufen bist?«

»Denk einmal selbst darüber nach, in welche Panik ich bei der Vorstellung geraten bin, Antworten an die Polizei, meinen Mann oder die Presse geben zu müssen, warum ich mich gerade zu diesem Zeitpunkt dort aufgehalten habe? Einen Zufall würde mir da doch niemand abnehmen.«

»So gesehen hat sie Recht«, dachte sich Alex.

Auch wenn Alex sein Verstand noch zweifelte und rebellierte, sein Herz wollte Bianca glauben und er entschied sich fürs Herz und dafür, sie erst einmal zu trösten.

Darum strich er ihr durchs Haar und kraulte ihr den Kopf dabei ein wenig. Er wollte diese Situation noch länger genießen, suchte nach einem neuen, geeigneten Gesprächsthema. Sein Blick fiel wieder auf ihr Dekolleté.

»Ist das Amulett von deinem Mann?«

Bianca wollte eigentlich ihre Augen schließen und nur noch gekrault werden. Widerwillig und lustlos nahm sie das Amulett in die Hand und betrachtete es gedankenverloren.

»Ja, ein altes Erbstück«, antwortete sie dann mit einem fast unhörbaren Seufzer, »und es war auch mein einziges Hochzeitsgeschenk.«

Aber diese neue Vertraulichkeit währte nicht lange. Der Kellner kam und bat darum kassieren zu dürfen, das Café würde schließen.

Bianca bestellte sich daraufhin ein Taxi, ließ sich Alex seine Telefonnummer geben und versprach, sich in den nächsten Tagen selbst bei ihm zu melden.

»Wenn ich daran denke, was jetzt zu Hause noch alles auf mich zukommen kann, dann wird mir schlecht.«

Doch Bianca schwenkte schnell wieder um, sie musste und wollte sich unbedingt mit positiven Gedanken verabschieden.

»Aber trotzdem, auch wenn unsere Begegnung zu dem unglücklichsten Zeitpunkt stattgefunden hat, den man sich denken kann, Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh und glücklich ich bin, dich hier und heute überhaupt kennengelernt zu haben.«

Das waren ihre letzten Worten bevor sie Alex noch einen Kuss gab, ihn noch einmal ganz fest an sich drückte und dann in Richtung Taxi verschwand.

Alex war wie gelähmt, unfähig noch irgend einen vernünftigen Gedanken zu fassen.

»Man sieht sich«, stammelte er ihr schließlich hinterher.

Kapitel 2

»Soll ich mich mit dieser Sache beschäftigen, oder soll ich mich da heraushalten?«

Es war immer wieder diese eine Frage, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Alex hatte deswegen schlecht geschlafen.

Eigentlich ging ihn das ja alles nichts an, aber da waren dann doch drei Punkte, die letztlich ausschlaggebend dafür waren, sich dieser Vorkommnisse ein wenig anzunehmen.

Bianca, eine Frau mit einem russischen Amulett, die er wieder sehen und auch wieder küssen wollte

Neugierde, denn irgendetwas muss an dieser Geschichte viel mehr als nur faul gewesen sein

Geld, das konnte er riechen, und wenn ja, dann musste da auch für ihn ein bisschen zu holen sein

»Nach dem Frühstück werde ich erst einmal ein paar Recherchen anstellen, mal sehen was sich ergibt«, sagte er sich, »wieder alles einstellen kann ich immer noch.«

»Waffenlieferant auf offener Straße erschossen!«

Diese Schlagzeile in der Tageszeitung sorgte dafür, dass Alex wieder ganz schnell vom gestrigen Tag eingeholt wurde. Mit einem gemütlichen Frühstück war es damit vorbei, und einige Passagen des Artikels sorgten sogar dafür, dass er sich aus dieser Sache niemals herausgehalten hätte. So las er unter anderem:

»..... einer der Geschäftsführer der Firma Behrenfelder Metallwaren GmbH, Thomas von Behrenfeld, wurde gestern vor dem Eingang zum Stadtpark von vorbeifahrenden Motorradfahrern erschossen .....

..... er war nicht verheiratet und lässt seinen Bruder Christoph von Behrenfeld mit Familie zurück .....«

»Also so viel zu der pro forma aufrecht erhaltenen Ehe dieses ledigen, armen Kerls«, dachte sich Alex.

»Was für eine verlogene Schlange ist doch diese Bianca. Hat die mir doch gestern die ganze Zeit ein Märchen nach dem anderen aufgetischt.

Aber wer zuletzt lacht!«

Wie ein Tiger im Käfig lief Alex im Zimmer von einer Ecke in die andere. Die Idee, Bianca einfach anzurufen, um sie zur Rechenschaft für ihre Aussagen zu ziehen, verwarf er aber schnell wieder.

Zum einen folgte auf die erste Lüge beziehungsweise erste Ausrede erfahrungsgemäß direkt die nächste, zum anderen würde sich seine Rufnummer auf Biancas Handy in diesem Moment sicherlich nicht gut machen.

Außerdem viel ihm wieder das Motorrad ein.

Er musste irgendwo in seinem Kopf ein Foto von dem Nummernschild gespeichert haben.

Es dauerte eine Weile und ein paar Zimmerrunden, bis sich dieses Bild wieder wie ein Puzzle zusammengesetzt hatte, und dann sah er das Kennzeichen des Motorrads vor sich.

»M-KW 13«, genau das war es, hundert Prozent.

Es bedurfte auch nur der Länge eines Telefonats, einer kleinen Notlüge und viel Charme, und Alex wusste, dass das Motorrad auf eine Autovermietung zugelassen war.

Wie aus dem Kennzeichen zu erkennen war, hatte diese ihren Sitz natürlich in München. Das war zum einen zwar eine nicht unerhebliche Entfernung, zum anderen aber viel besser als ein privater Eigentümer, der sein Motorrad als gestohlen gemeldet hatte. Da gäbe es dann nichts zu recherchieren, aber bei einer Autovermietung hatte man vielleicht doch ein paar Ansatzpunkte.

Alex dachte nach und seine Euphorie sank auf den absoluten Tiefpunkt:

»Niemand, der einen Mord plant, mietet sich auf seinen eigenen Namen ein Fahrzeug.«

Einen Anruf bei der Vermietungsfirma konnte er sich also auch sparen. Aber dann hatte er eine Idee, mehr eine Hoffnung auf glückliche Umstände, und da es die einzige Möglichkeit war, um überhaupt weiterzukommen, rief er dort doch an.

»Autovermietung Wilhelmi, einen schönen guten Tag, was kann ich für sie tun?« fragte eine durchaus freundliche, männliche Stimme.

»Aleksandre Arweladse, ebenfalls einen schönen guten Tag. Ich hoffe sehr, dass sie etwas für mich tun können. Ein Bekannter von mir mietet sich bei ihnen hin und wieder ein Motorrad.«

»Sie meinen das gestern?«

Alex traute seinen Ohren kaum.

Bingo, eine Quasselstrippe am Telefon. Sein Plan könnte funktionieren.

»Genau. Freut mich, dass ich bei ihnen gleich an der richtigen Stelle bin. Wenn ich mich nicht irre, bestellt und reserviert er doch vorher immer die Maschine, wenn er eine braucht, oder?«

»Ja, das macht er meistens einen Tag, manchmal aber auch schon eine Woche vorher. Und er ist immer zuverlässig, wir hatten noch nie Ärger mit ihm.«

Alex machte in Gedanken Luftsprünge vor Freude. Er ging jetzt aufs Ganze.

»Nein, das Glaube ich ihnen aufs Wort, das wäre auch nicht seine Art, ist schon ein toller Typ. Ich möchte mit ihm mal wieder eine Tour machen, es soll aber für ihn eine Überraschung sein, dann ist das Wiedersehen immer am schönsten.«

»Ja, das stimmt«, plärrte der Vermieter dazwischen.

»Ich gebe ihnen meine Handynummer. Wenn er wieder eine Maschine reserviert, dann schicken sie mir bitte eine SMS.

Keinen langen Text, schreiben sie nur das Datum und die Uhrzeit der Reservierung. Dann weiß ich, dass es von ihnen kommt und wann ich dort sein muss.

Kann ich mich da auf sie verlassen?«

»Hundert Prozent. Für unsere Kunden machen wir doch alles.«

Alex hinterließ noch seine Handynummer, verwies noch einmal auf strikte Geheimhaltung, bedankte sich artig, nicht ohne den Hinweis, sich bei gegebenem Anlass dafür revanchieren zu wollen, und legte auf.

Wenn die Luftsprünge vorhin nur in Gedanken ausgeführt wurden, dann waren sie jetzt echt. Und wie echt.

Alex freute sich riesig, er hatte Spaß an dem Fall gefunden, er war stolz auf sich selbst, seine Idee, seine Redegewandtheit, seine Überzeugungskunst.

Wie auch immer, in jedem Fall war dort eine Lunte gelegt. Hier musste er nur noch warten.

Irgendetwas an dem Zeitungsartikel hatte doch auch noch seine Aufmerksamkeit erregt. Alex begann erneut zu lesen.

»Waffenlieferant auf offener Straße erschossen!«

Schon beim ersten Wort fiel es ihm wieder ein.

»Nicht oberflächlich werden«, ermahnte er sich.

Wenn sich unser Provinzblättchen also schon traute, einen Toten als Waffenlieferanten zu bezeichnen, dann würden die Waffengeschäfte sicher nicht illegal sein. Mit Waffen jeder Art war schon immer Geld zu verdienen, und bei legalem Handel erst recht.

»Hat Bianca gestern nicht auch erwähnt, den Namen Boeing gehört zu haben?«

Alex dachte bei diesem Namen natürlich erst einmal an Flugzeuge, klar.

»Aber gehört Boeing im Rüstungshaushalt der USA nicht auch zu den ersten fünf unter den Lieferanten?«

Alex seine Nase juckte immer, wenn es irgendwo nach Geld oder Waffen roch, jetzt roch es nach beidem, darum vibrierte sie förmlich.

»Ich wusste heute Morgen schon, dass hier auch Geld im Spiel ist, aber jetzt bin ich mir sicher. Das wird in jedem Fall interessant werden.«

Er hatte jetzt noch die Zeit, also beschloss er, diese Metallwarenfirma im Branchenverzeichnis zu suchen und dann mal etwas näher unter die Lupe zu nehmen.

»Warum hat sich Bianca mit ihrem Schwager ausgerechnet hier bei uns verabredet?«

Diese Frage schoss Alex als erstes durch den Kopf, als er vergeblich versuchte Informationen über das Unternehmen ausfindig zu machen. Er kannte so ziemlich alle Firmen im Ort und der Umgebung, zumindest dem Namen nach, aber Behrenfelder Metallwaren, die Firma hatte er auch noch nie gehört.

Er sah sich Biancas Visitenkarte genauer an und fand zu seiner Verwunderung auf der Rückseite ihre komplette Anschrift notiert.

»Aber da hat die Dame wirklich ein Problem«, sagte Alex zu sich selbst, »da wäre ich auch weggelaufen.«

Wegen Eheproblemen des Schwagers wurde das Treffen sicher nicht vereinbart, denn dieser war ledig. Aber was machten dann beide gemeinsam fast hundert Kilometer von ihrem Wohnort entfernt?

Das gab Erklärungsbedarf, aber reichlich.

Bei seiner Recherche über das Unternehmen stieß Alex durch die dortige Industrie- und Handelskammer noch auf die folgenden Fakten:

Thomas und Christoph von Behrenfeld waren beide sowohl Geschäftsführer, als auch alleinige Gesellschafter der GmbH.

Der Geschäftszweck war der Handel sowie die Ein- und Ausfuhr von Metallwaren aller Art.

Die Firmenanschrift war auch die Privatanschrift der beiden Brüder.

Da keine Waren produziert wurden, auch kein gesondertes Firmengelände zur Verfügung stand, ging Alex davon aus, dass auch kein Personal beschäftigt war, abgesehen vielleicht von Reinigungskräften oder ähnlichem.

»Also nicht viel mehr als eine Briefkastenfirma?

Und dann aber viel Geld machen?

Und dann alles legal?«

Alex war auf der Suche nach Antworten, fand aber immer mehr ungelöste Fragen.

Also beschloss er, sich diese Firma beziehungsweise Biancas Wohnadresse demnächst einmal unauffällig und aus nächster Nähe anzusehen.

Kapitel 3

»Hatten sie ein Verhältnis mit Thomas von Behrenfeld, ihrem Schwager?«

Kriminalkommissar Tim Behnke fiel bei seinen Vernehmungen und Untersuchungen gerne einmal direkt mit der Tür ins Haus. Da die Fragen nicht in dieser Form erwartet wurden, machten nach seinen Erfahrungen Menschen bei ihren Antworten meistens Fehler.

Er wurde mit dem 'Mordfall Thomas von Behrenfeld' betraut, denn dass es sich um einen Mord handelte, war nach dem Stand der gestrigen Ermittlungen eindeutig. Es war der erste Mordfall, der ihm anvertraut wurde, es war allerdings auch der erste Mordfall, welchen es bisher im ganzen Revier zu lösen galt.

Dass er heute beschlossen hatte, sofort die Reise zur Familie von Behrenfeld anzutreten, lag unter anderem an einigen Fotos, die ihm am Morgen durch einen aufmerksamen Pressefotografen zugestellt wurden.

Da saß er nun in der überdimensional großen Empfangshalle der Villa Behrenfeld und ihm gegenüber hatte die aufreizend gekleidete Bianca von Behrenfeld zum Verhör Platz genommen.

Sie war vielleicht der Meinung, um ihren ermordeten Schwager nicht trauern zu müssen, er war der Meinung, neben ihr so ärmlich wie Inspektor Colombo auszusehen.

»Ob ich ein Verhältnis mit Thomas hatte?« wiederholte Bianca die Frage des Inspektors, um dann nach einer kurzen Atempause fortzufahren.

»Ich wurde bei einer Verkehrskontrolle einmal gefragt, ob ich etwas getrunken habe.«

Den verständnislosen Blick und offenen Mund des Kommissars hatte Bianca erwartet, seine damit verbundene Sprachlosigkeit genau einkalkuliert. Genau in dem Moment, als er glaubte sich wieder gefangen zu haben, sagte sie:

»Sorry Herr Kommissar, aber die Frage dieses Polizisten war genauso dumm wie ihre soeben.«

Kommissar Behnke fühlte sich jetzt sogar wie Inspektor Colombo, irgendwie nicht für voll genommen.

»Natürlich stehen Menschen in einer Familie miteinander in irgendeinem Verhältnis, genauso wie ich auch ständig etwas trinke«, fügte Bianca zur Erklärung an.

»Sie wissen genau, wie ich es gemeint habe«, zischte der Kommissar. Er fühlte sich von Bianca verschaukelt und war sichtlich erregt.

»Sagen sie doch einfach das, was sie meinen. Mir legen sie ja auch bestimmt jedes Wort auf die Goldwaage, oder?« sagte Bianca schnippisch und sie hatte nicht das Gefühl, den Bogen überspannt zu haben.

Sie spielte ihre Rolle der wegen des Verhörs beleidigten Schwägerin gut. Sie fühlte sich da auch absolut sicher.

»Ich komme da gerne darauf zurück.«

Kriminalkommissar Tim Behnke hatte sich wieder gefangen.

»Ich meine natürlich ein intimes Verhältnis. Mir liegen Fotos vor, auf denen sie mit ihrem Schwager in dem Park zu sehen sind, vor dessen Toren er gestern erschossen wurde.«

Ein Strahlen, welches dem Kommissar nicht entging, durchzog Biancas Gesicht. Sie musste an die Szene gestern im Park denken, als sie mit Alex zusammenstieß und er das Transportfahrzeug für Behinderte sah.

»Entschuldigung, aber ich habe mir gerade vorgestellt wie es wohl aussieht, wenn ich mit jemandem am helllichten Tage durch einen Park gehe, uns auf einmal die Gefühle überwältigen, und wir hinter einen Busch auf den Boden springen, um intim zu werden.«

Ein warmer, wohliger Schauer lief ihr bei dem Gedanken an den gestrigen Zusammenstoß über den Rücken. Der Schauer wurde aber kälter, er wurde eisig kalt.

Der Kommissar hatte ihr wortlos einige Fotos überreicht. Auf allen waren eindeutig Bianca und Thomas in Großaufnahme zu sehen. Mal Hand in Hand, mal eng umschlungen oder Küsschen gebend. Dementieren war zwecklos.

Bianca lehnte sich zurück, die Fotos glitten ihr aus der Hand.

»Wo kommen die denn jetzt her, muss das denn sein«, wollte sie schreien, aber sie brachte kein Wort über die Lippen.

Ihr wurde schlecht und alles um sie herum drehte sich. Sie wollte heulen und begann zu schluchzen, selbst Tränen rannen über ihre Wangen.

Kommissar Behnke schwieg. Aber er genoss diese Situation. Er hatte das Gefühl, es sich irgendwie verdient zu haben.

»Ich möchte da nicht nur zwei Sätze zu sagen«, begann Bianca und wischte sich die letzten Tränen mit einem Taschentuch weg, »sondern ganz von vorne beginnen. Ich glaube, nur so können sie sich ein objektives Bild von mir und meiner Lage verschaffen.«

»Ich habe mir heute noch nichts weiter vorgenommen«, erwiderte der Kommissar durchaus freundlich und ermutigte sie, jetzt fortzufahren.

Bianca legte ihrer Kopf zurück auf die Rückenlehne des Sessels, schloss für einen Augenblick ihre Augen, um sich auf die Vergangenheit zu konzentrieren.

»Als ich damals Christoph, meinen Ehemann, kennenlernte, war ich jung und schön. Aber das war auch alles. Ich hatte nichts und ich wusste nichts von der Welt.«

Kommissar Behnke hob einen Finger und wollte Bianca mit einer Frage unterbrechen, aber sie winkte ab.

»Nicht, dass ich heute mehr von irgendetwas weiß, aber nach unserer Hochzeit hatte ich wenigstens etwas. Ich war finanziell abgesichert, hatte Geld, Haus, Schmuck, Ansehen und was man sonst noch so alles braucht.«

»Außer Liebe«, unterbrach der Kommissar jetzt ohne vorher um Erlaubnis anzufragen.

»Jawohl Herr Kommissar, außer Liebe, die fand ich bei Christoph nicht. Aber im Laufe der Jahre bekam ich die von Thomas.«

Bianca machte eine kurze Pause, trank einen Schluck Wasser. Sie war für einen Moment in Erregung geraten, jetzt hatte sie ihre Fassung aber wieder gefunden.

»Ich möchte mich hier trotzdem kurz fassen und ihnen unwichtige Details ersparen.«

»Wollen sie bitte uns überlassen, welche Details unwichtig oder wichtig sind«, störte der Kommissar erneut.

Bianca schluckte. Am liebsten hätte sie sonst was mit dem Kommissar angestellt, aber jetzt musste sie gute Miene zum bösen Spiel machen.

»Als wir uns unserer Liebe sicher waren, da dachten wir natürlich zuerst, alles legalisieren zu können, haben das Vorhaben aber schnell aufgegeben. Es hätte nicht nur die Familie, sondern auch die Firma zerstört.

Ein normales und glückliches Leben wäre nicht mehr möglich gewesen, darum beließen wir die Situation, so wie sie war.«

»Das erklärt allerdings noch nicht diese Fotos«, ermahnte der Kommissar, »sie wollten sich doch kurz fassen.«

»Sie haben Recht, irgendwann muss es doch gesagt werden.

Wir hatten beschlossen, uns zwar unregelmäßig, aber doch ungefähr einmal im Monat zu treffen. Um unentdeckt zu bleiben, verabredeten wir uns nie hier vor Ort, sondern immer so im Umkreis von hundert Kilometern.«

»Und was war das Ziel ihrer Zusammenkünfte?«

So naiv konnte eigentlich nur ein Kriminalkommissar fragen.

Bianca schäumte innerlich vor Wut, aber wenn er es hören will, kann er es kriegen, dachte sie sich.

»Wir gingen bei schönem Wetter spazieren oder verbrachten bei Regen den ganzen Tag im Hotelbett. Wir liebten uns im Auto, im Fahrstuhl, in der Umkleidekabine oder wo es sonst noch eine passende oder spannende Möglichkeit dazu gab.

Es war schön, einfach schön. Es hätte wegen uns noch hundert Jahre so weitergehen können.«

Kommissar Behnke schluckte mehrmals. Nicht nur Biancas letzte Worte hatten ihn verlegen gemacht, sondern auch ihre aufreizenden Gesten taten dabei ihr übriges und während er noch versuchte, Biancas Ausführungen einzuschätzen, fuhr diese fort:

»Ich frage mich nur, wie sie an die Fotos gekommen sind?«

»Das ist einfach zu erklären«, gab er bereitwillig Antwort, »ich habe sie vom Fotoreporter unserer Tageszeitung.

Er war vor rund einem Jahr dabei, als man eine Reportage über angebliche Waffengeschäfte mit dem nahen Osten machte. Dabei wurde unter anderem auch ihr Schwager interviewt.«

»Stimmt, daran kann ich mich erinnern.«

»Als der Fotoreporter sie beide dann zufällig einmal bei uns im Park sah, erkannte er ihren Schwager wieder und machte dann mit einigem Abstand diese Bilder mit dem Teleobjektiv.

Vielleicht konnte man die Fotos ja mal gebrauchen, sagte er sich, denn soweit er wusste, lebte ihr Schwager ja nicht in einer festen Beziehung.«

»Wieso darf dieser Fotograf eigentlich frei rumlaufen?«

Bianca war dieser Wutausbruch erst einmal egal, es musste raus, sie musste ihrem Unmut einfach etwas Luft machen.

»Sorry«, schickte sie hinterher.

»Pech gehabt«, konnte sich Kommissar Behnke nun nicht verkneifen, »aber wo waren sie eigentlich gestern gegen 15:00 Uhr?«

»Circa dreißig Meter von der Unglücksstelle entfernt«, kam die trockene Antwort.

Jetzt war es der Kommissar, der mit weit aufgerissenem Mund nach Luft rang, sich unbewusst ans Herz fasste und vor Schreck seinen Notizblock fallen ließ.

Aber Bianca ließ ihn dieses Mal nicht lange zappeln, sie machte ihm sofort deutlich, dafür eine Erklärung zu haben.

»Wir hatten uns für 15:00 Uhr am Parkeingang verabredet. In der Tat waren wir vor ungefähr einem Jahr schon einmal dort gewesen und wir waren damals sehr glücklich.«

»Also, die Echtheit der Fotos ist damit schon einmal bestätigt«, fiel ihr der Kommissar ins Wort und als er ihre bösen Blicke sah, ergänzte er schnell, »bitte fahren sie fort, ich wollte sie wirklich nicht unterbrechen, ich habe nur laut gedacht.«

»Ich ging auf den Eingang zu und Thomas stand bei dem Obelisken, als wir uns sahen. Wir winkten uns kurz zu.

Dann ging alles so schnell. Dieses Motorrad kam irgendwo her. Es saßen zwei Männer darauf und der hintere schoss auf Thomas.«

Bianca hielt einen Moment inne und sich die Hände vor die Augen. Dann schluchzte sie ein paar mal, holte tief Luft und erzählte weiter.

»Ich glaube, er hatte sich noch zu ihnen umgedreht bevor er auf den Boden sank. Ich lief erst ein paar Schritte in die Richtung. Aber dann bekam ich Panik.«

»Panik? Wieso?«

»Das Motorrad rauschte an mir vorbei. Leute liefen schreiend um Thomas herum.

Ich wollte helfen, traute mich aber nicht, denn ich dachte an unser Geheimnis, daran die Familie und die Firma zu schützen.

Ich wusste nicht weiter, drehte mich einfach um und lief weg. Ich fuhr letztlich wieder nach Hause.«

»Der Tathergang stimmt wirklich mit unseren bisherigen Ermittlungen überein«, sagte Kommissar Behnke mehr oder weniger zu sich selbst bevor er seine Befragung fortsetzte.

»Hatte ihr Schwager denn Feinde?«

Die letzten Sätze hatte Bianca ja ganz bedacht, langsam und mit trauernder Stimme vorgetragen, bei dieser Frage geriet sie aber direkt in Rage.

»Haben sie sich bei uns im Haus einmal umgeschaut? Auf eine Haushaltshilfe kommen sicher zehn Bodyguards.

Auf ein Gramm Hirn kommt bestimmt ein Zentner Muskeln. Das hat doch einen Grund, oder nicht?«

»Also hatte er Feinde?«

»Machen sie sich ihr eigenes Bild. Meinen Mann sehe ich ohne Bodyguard vielleicht mal im Schlafzimmer, wenn ich ihn da mal sehe, meistens sehe ich nur den Bodyguard.«

Sie musste schmunzeln, auch der Kommissar konnte sich eine Lachfalte nicht verkneifen.

»Und wie war das mit den Bodyguards bei ihrem Schwager?«

»Den haben Sie auch nie ohne die Jungen gesehen. Nur wenn wir uns verabredet hatten, da war er alleine. Wie er das geregelt hat, weiß ich aber leider nicht.«

Der Kommissar machte eifrig seine Notizen und er hatte noch einen unangenehmen Punkt, den er ansprechen wollte.

»Eines viel mir noch auf«, begann er ganz vorsichtig, »ich möchte ihnen damit auch nicht zu nahe treten.

Aber ich war immer der Meinung, dass man Trauer trägt oder in Trauerstimmung ist, wenn der sogenannte Geliebte gerade gestorben ist. Das vermisse ich bei ihnen ein wenig, um nicht zu sagen ganz.«

Bianca strich sich imaginäre Falten in ihrem Rockglatt.

»Eigentlich hatte ich vorhin nicht sie erwartet, sondern meinen Ehegatten.«

»Ist der denn nicht zuhause?«

»Der muss jetzt irgendwann von einer Geschäftsreise aus Dubai oder Abu Dhabi zurückkommen.«

»Jetzt erst?« fragte der Kommissar überrascht.

»Ja, er hat zwar gestern auch per E-Mail vom Tod seines Bruders erfahren, er wird auch sicherlich schockiert gewesen sein und es noch sein.

Aber er konnte wohl nicht früher zurückkehren und ich dachte mir heute, mit der Wahl meiner Kleidung die Freude über seine Rückkehr höher bewerten zu müssen, als die Trauer über den Tod seines Bruders.«

Als der Kommissar unverständlich vor sich hin brummte, ergänzte Bianca noch:

»Er war schließlich mehrere Wochen fort. Aber ansonsten dürfen sie beruhigt sein, in der Öffentlichkeit werden sie mich sicher als trauernde Schwägerin in schwarz sehen.«

»Sie entschuldigen bitte.«

Das Handy des Kommissars klingelte, oder was man so als klingeln bezeichnen konnte. Es machte jedenfalls Lärm.

»Kriminalkommissar Behnke!

Wie viel?

Wer?

Gestern?

Unglaublich.

Ja Danke.«

Es trat eine beunruhigende Stille in den Raum, Kommissar Behnke suchte nach seiner Fassung.

»Eigentlich dachte ich, dass ich mit der Befragung zumindest für heute fertig bin, aber jetzt wird es immer mysteriöser.«

Der Kommissar erhob sich aus dem Sessel.

»Mir wurde soeben mitgeteilt, dass ihnen ihr Schwager gestern vor seinem Tod noch zehn Millionen Euro auf ihr Konto überwiesen hat.«

Bianca war kurz davor in Ohnmacht zu fallen. Ihr Körper war schwerelos. Sie hatte das Gefühl über den Dingen zu schweben, welche sie nicht greifen und schon gar nicht mehr begreifen konnte.

»Davon weiß ich nichts«, stammelte sie und der Kommissar war sich sicher, in diesem Augenblick den ersten aufrichtigen Satz von ihr gehört zu haben.

»Aber einen Moment mal.«

Bianca versuchte sich zu erinnern. In ihrem Kopf herrschte Chaos, der Grat zwischen Fantasie und Realität war schmal, die neuen Geschehnisse auch überhaupt noch nicht am vorgesehenen Platz einsortiert. Das Resultat der Suche war deswegen auch etwas undeutlich.

»Thomas hat einmal so ungefähr gesagt, wenn ich mal zehn Millionen habe, dann schenke ich die dir. Wir machen reinen Tisch und heiraten. Aber das kann er doch nur zum Spaß gesagt haben, oder?«

»Ich kann es ihnen jedenfalls nicht sagen. Ich muss, ehrlich gesagt, dieses Gespräch auch erst einmal sacken lassen. Ich weiß überhaupt nicht, was ich glauben soll und was nicht.

Ich möchte das Gespräch hiermit, zumindest vorerst, beenden.«

»Von meiner Seite kann und habe ich auch nichts mehr hinzuzufügen,« sagte Bianca, die froh war, dass es endlich vorbei sein sollte.

»Wenn ihnen noch etwas wichtiges einfällt und sie dann auch noch der Meinung sind, es mir mitteilen zu müssen, hier ist meine Visitenkarte. Sie können mich jederzeit anrufen, ich betone jederzeit.«

»Ich werde sie bewahren«, sagte Bianca und steckte das Kärtchen gleich in ihre Handtasche.

»Falls ihr Ehemann heute noch nach Hause kommt, dann richten sie ihm bitte aus, dass er sich morgen Vormittag um 11:00 Uhr bei mir im Büro zur Vernehmung einzufinden hat.«

Kriminalkommissar Tim Behnke verabschiedete sich höflich und lies eine völlig verstörte Bianca zurück.

Kapitel 4

»Was ist mit Thomas passiert?«

Das war natürlich die erste Frage an Bianca, als Christoph von Behrenfeld von seiner Geschäftsreise zurückkehrte und aufgeregt in die Villa stürzte.

Mit seinen fast zwei Metern Körpergröße, einem Alter von 45 Jahren, schwarzen, glatten Haaren und kantigem, osteuropäischem Einschlag wirkte er noch furchteinflößender, als er ohnehin war.

Bianca hatte den Besuch des Kriminalkommissars immer noch nicht endgültig verarbeitet. Nicht das sie unter Schock stand, aber große Lust ihrem Ehemann die Geschehnisse der letzten Tage schonend beizubringen, hatte sie nicht.

»Er ist tot. Ich habe ihn erschießen lassen!«

Zum Glück stand in der Empfangshalle ein großer Sessel in unmittelbarer Nähe, viel weiter hätte es Christoph ohne Sturz nicht geschafft.

»Was hast du?«

Ungläubig war seine Frage, er konnte sich nur verhört haben.

»Ich habe Thomas erschießen lassen, sonst wärst du an seiner Stelle jetzt tiefgekühlt. Den Auftrag dazu hatte er schon erteilt.«

»Moment mal«, stotterte Christoph, »Thomas hat jemand beauftragt, mich zu erschießen? Das ist doch wohl ein Scherz, oder?«

»Definitiv nicht. Wäre ich nicht dazwischen gekommen, hätten die gleichen Leute, die ihn gestern erschossen haben, dich heute am Flughafen erledigt.«

Ein Film nach dem anderen raste in Sekundenschnelle durch Christophs Kopf. Angefangen von der Kindheit bis heute suchte er darin nach einem Grund, der die Mordabsichten seines Bruders gerechtfertigt hätte.

Er fand nichts, nicht einmal einen Anhaltspunkt. Sie waren ihr ganzen Leben zusammen gewesen, nicht nur als Brüder, auch als Freunde und Partner.

Sie waren durch dick und dünn gemeinsam gegangen, hatten früher schwere Zeiten zu durchstehen, lebten seit einigen Jahren in Luxus, hatten jetzt den endgültigen Durchbruch geschafft, hätten für den Rest des Lebens mehr als ausgesorgt, und dann das?

Er konnte und wollte es nicht glauben.

Christoph stand auf der Schwelle um auszurasten, sprang aus dem Sessel und begann Runden in der Empfangshalle zu drehen. Vorsichtshalber überprüfte er auch noch einmal sein Verhältnis zu Bianca.

Okay. Sex, Erotik und solche Dinge waren nicht seine Welt, aber da ließ er Bianca freie Hand, und je weniger sie sich aneinander klammerten, desto gefestigter wurde ihre Ehe.

Sie waren immer füreinander da, nicht nur wenn es darauf ankam. Sie waren Mann und Frau, ein Team. Nein, sie waren eins. Da war er sich sicher. Bianca wird ihre Gründe gehabt haben. Er wird die Details sicher gleich erfahren. Erst einmal beruhigt, setzte er sich wieder hin.

»Komm wir gehen nach oben.«

Bianca zog ihren Mann wieder aus dem Sessel und umarmte seine Hüfte. Sie gingen eine der großen Marmortreppen nach oben in den Wohn- und Schlafbereich des Hauses.

»Kannst du dir vorstellen, wie schlecht es mir ging? Irgendwann hatte ich ja realisiert, dass nur noch einer von euch beiden da sein wird. Entweder bringt er dich um, oder ich komme ihm zuvor.

Und da ich sozusagen aussuchen durfte mit wem ich weiterleben möchte, habe ich mich natürlich für dich entschieden. Du bist mein Mann und wirst es immer bleiben«, begann Bianca mit ihrer Erklärung schon auf der Treppe.

Christoph verstand nichts.

«Fang um Himmels willen bitte von vorne an und warte bis ich mir meinen Jack Daniels geholt und mich hingesetzt habe«, jammerte er.

»Eines schicke ich vorweg«, begann Bianca als sie es sich beide im Wohnzimmer auf ihrer Designercouch gemütlich gemacht hatten, »nicht alles, was ich jetzt erzähle, wusste ich schon von Anfang an, einiges weiß ich erst seit vorhin, seit der Kommissar von der Kripo da war.«

»Die Polizei war auch schon da?« erschrak Christoph.

»Was glaubst du, was ich schon alles mitgemacht habe, im Prinzip kannst du mich schon zum Psychiater bringen. Aber der Reihe nach.«

Sie konzentrierte sich noch einmal, suchte nach dem richtigen Anfangssatz und dann begann sie.

»Dass Thomas und ich uns ja hin und wieder mal ein sogenanntes Schäferstündchen gegönnt haben, weißt du ja.«

»Nun fang aber nicht bei Adam und Eva an.«

»Nein«, lachte sie, »es war vor ein paar Tagen, ja genau, kurz nachdem er aus den USA zurückgekehrt ist und du gerade nach Dubai geflogen bist.

Normalerweise haben wir uns ja nie hier im Haus geliebt, auch aus Rücksicht auf dich, selbst wenn du nicht da warst.«

»Ja, das war eigentlich unser ungeschriebenes Gesetz«, bestätigte Christoph.

»Aber ich hatte halt Lust auf ihn«, entschuldigte sich Bianca, »ich schlich mich darum leise in Richtung seines Zimmers und wollte ihn überraschen.

Er war am telefonieren und was ich da zufällig zu hören bekam, klang nicht gut. Es sollte, wie auch immer, ganz klar jemand ermordet werden.«

»Im Auftrag von Thomas?«

»Ja, und ich glaubte auch in diesem Zusammenhang deinen Namen gehört zu haben. Es wurde auch eine Summe von Fünfzigtausend Euro vereinbart.«

»Unglaublich, mehr bin ich nicht wert? Ich fasse es nicht. Aber was hast du dann gemacht?«

»Als das Gespräch zu Ende war, bin ich etwas später laut polternd zu ihm hin.

Ich habe ihn an dem Abend im Bett richtig fertig gemacht, er hat danach nicht nur geschlafen, er war fast ohnmächtig. Dann bin ich aufgestanden, habe mir sein Handy geholt und mir aus der Telefonliste die Nummer des letzten Gesprächs notiert.«

»Ich bin stolz auf dich, bist halt meine Frau«, kam es von Christoph, der vor Spannung immer wieder von seinem Bourbon nippen musste.

»Warte, ich bin noch nicht fertig. Den nächsten Tag habe ich diese Nummer angerufen. Es meldete sich eine Autovermietung Wilhelmi in München. Ich habe wieder aufgelegt, mir die Adresse aus dem Branchenverzeichnis gesucht und bin dort hingefahren.«

»Du kannst doch dort nicht so einfach hinfahren. Wer macht denn so was? Was glaubst du, wie gefährlich das sein kann? Hattest du gar keine Angst?«

»Zum Glück wusste ich nicht, was mich dort erwarten würde. Im Nachhinein könnte ich mich heute immer noch vor Angst in die Hose machen.«

»Das ist ja sowieso deine Paradedisziplin«, lachte jetzt Christoph.

»Haha«, fauchte Bianca zurück, »also, ich komme dort an und mache da irgendwie ein paar Sprüche. 'Hier soll jemand für fünfzig Riesen ermordet werden, wer ist da mein Ansprechpartner', oder so ähnlich.

Aber eigentlich hatte ich gar keinen Plan.«

»Mir kräuseln sich die Fußnägel. Wie kann man nur«, stöhnte Christoph.

»Jedenfalls sollte ich mich setzen und es wurde telefoniert. Nach rund einer halben Stunde kam dann eine ganze Schar von Typen, die deiner Truppe draußen alle Ehre gemacht hätten.«

»Warum bist du nicht einfach weggegangen?«

»Dazu war es da schon zu spät. Jedenfalls wurden mir ohne weiteren Kommentar die Augen verbunden, und das nicht gerade sanft. Ich wurde in ein Auto gezerrt und wir fuhren in eine dunkle, leere Lagerhalle.«

»Ich glaube es nicht, wie kann man auch nur so blöde sein«, schrie Christoph, der sich überhaupt nicht mehr beherrschen konnte, »fährt die da einfach hin. Und was haben die dann gemacht?«

»Details will ich dir ersparen, ich hätte mich dort aber sicher in die Hose gemacht, nur war ich der Meinung, dass sich meine Blase schon im Auto entleert hatte.«

»Sage ich doch«, konnte sich Christoph trotz aller Tragik die Bemerkung nicht verkneifen, »deine Spezialität.«

»Wenn du das so lächerlich findest, dann kannst du dir den Rest ja selbst zusammenreimen«, fluchte Bianca und machte Anstalten, zu gehen.

»Nein, entschuldige«, beschwichtigte Christoph sie, »ich höre damit auch auf. Erzähle bitte weiter.«

»Also sie hörten erst auf mich zu peinigen, als sie sich sicher waren, dass Thomas, du und ich eine Familie sind. Dann begannen sie sogar selbst zu erzählen, nahmen mir auch die Binde von den Augen.«

»Was wussten die denn über uns zu erzählen?« wurde Christoph neugierig.

»Na ja, ich meine, wie und warum Thomas sich an sie gewandt hat und so weiter. Jedenfalls kam bei dem Gespräch heraus, dass Thomas 'einen gewissen Christoph von Behrenfeld', so nannte er dich, gerne beseitigt hätte und damit könne er ja schließlich nicht seine eigenen Leute beauftragen.«

»Wann sollte das denn geschehen? Hätte ich das nicht selbst noch versuchen können zu regeln?«

»Nein. Wie ich dir vorhin schon sagte, es sollte heute, also direkt bei deiner Rückkehr aus Dubai, geschehen.«

»Und was hast du dann unternommen?«

»Ich habe denen den gleichen Betrag angeboten, wenn sie an deiner Stelle 'einen gewissen Thomas von Behrenfeld' erledigen.«

»Und da sind die darauf eingegangen?«

»Ja, ich habe ihnen aber Vorkasse bezahlen müssen.«

»Auch das noch, wenn die jetzt das Geld genommen, aber nichts geändert hätten? Thomas hatte die doch sicher auch schon bezahlt.«

Christoph wurde immer aufgeregter. Schließlich waren ihm die Gesetze der Unterwelt nicht unbekannt. Er hätte das Geld jedenfalls auch angenommen, aber dann entschieden, wer zuerst kommt, malt zuerst.

»Na ja«, fügte Bianca etwas kleinlaut hinzu, zweifelte auch einen kleinen Moment, ob sie wirklich alles erzählen sollte, »ich war mir schon sicher, dass sie das ausführen werden, denn dafür bekommen sie ja jetzt noch eine Nacht mit mir dazu.«

»Kleines Luder«, entfuhr es Christoph, »kannst halt jeden spitz machen und damit um den Finger wickeln.«

Es trat eine Pause ein.

Bianca kam darin zu der Feststellung, dass sie sicher auch auf den Strich gehen könnte, ohne dass es ihren Ehemann interessieren würde, wahrscheinlich würde er ihr noch nicht einmal das Geld dafür abnehmen.

Christoph hingegen versuchte in der Zeit, sich noch einmal alle Fakten vor Augen zu holen und ein entscheidender Punkt war überhaupt noch nicht angesprochen worden.

»Warum wollte er mich eigentlich umbringen lassen?« begann er wieder zu fragen.

»Das wussten weder die noch ich, zumindest bis vorhin. Aber auf jeden Fall war es für ihn unumstößlich.«

»Na gut, und wie ging es weiter?«

»Dann haben die Jungen mit mir den Tatablauf besprochen und vereinbart. Da sie nicht wussten, wie Thomas aussieht, ich auch kein Foto von ihm hatte, musste ich mich mit ihm ja irgendwo treffen.«

Christoph hielt sich wegen diesem Dilettantismus die Hände vor seine Augen und meinte nur:

»Hättest du kein Foto schicken können?«

»Nein!« stampfte Bianca mit dem Fuß auf die Erde, um dann in aller Ruhe wieder weiter zu berichten, »ich war mit Thomas mal vor rund einem Jahr in so einem kleinen Nest, konnte mich noch an einen Park mit einem Obelisken davor erinnern.

Es war bei uns immer so Brauch, dass wir unseren Arm hoben, wenn uns unsere Blicke bei einem Treffen das erste Mal kreuzten. Das war das abgesprochene Zeichen für die Jungen.«

»Ganz schön gewagt, mitten in der Öffentlichkeit«, konnte Christoph seine Bemerkung nicht lassen.

»Wie wir nun wissen, hat es ja dennoch bestens funktioniert«, konterte Bianca, »und Gott sei Dank hatte nur einer seinen Arm erhoben, und auch noch der Richtige, das dann leider zum letzten Mal.«

Man konnte den Eindruck nicht los werden, dass alle beide eine kleine Gedenkminute einlegten, aber dann fragte Bianca:

»Habt ihr in letzter Zeit eigentlich erfolgreich gearbeitet?«

»Ja und wie«, begann Christoph euphorisch, »aber ich bin bisher ja noch nicht dazu gekommen, dir auch mal etwas zu erzählen.«

Bianca machte nur ein kurze Geste, die andeuten sollte, dass sie doch immer dazu bereit sei, ihm zuzuhören.

»Wir sprechen ja nicht oft über das Geschäft, weil das sicherer ist. Ich habe dir aber mal vor vielleicht fünf Jahren angedeutet, dass wir einen Riesendeal vorbereiten.«

»Stimmt«, unterbrach Bianca, »das war genau zu dem Zeitpunkt, als Thomas so zum Spaß sagte, wenn er mal zehn Millionen hat, will er mich bei dir freikaufen und mich heiraten.«

»Jetzt ist mir alles klar!«

Christoph sprang auf und lief im Kreis um die Sitzgruppe, während Bianca mit hochgezogenen Schultern und aufgerissenen Augen, um eine Erklärung bat.

»Nur kurz noch, Thomas war in den Staaten, wegen diesem Deal. Er hat dort endlich die Verkaufspapiere, erforderliche Genehmigungen für die Ausfuhr, und so weiter regeln können. Ich war im Orient, habe dort die dazugehörenden Kaufverträge unter Dach und Fach gebracht.

Ein Geschäft über viele Milliarden Dollar mit hervorragenden Vermittlungsprovisionen für uns, welche natürlich erst mit Abwicklung des Geschäfts fließen werden.«

»Dann darf ich wieder einkaufen gehen?«

»Meinetwegen. Die Härte war aber, dass die Araber kurz vor Unterzeichnung noch ankamen und hundert Millionen Dollar Nachlass wollten.

'Fünfzig für uns und fünfzig für euch, sonst geht gar nichts.' sagten sie.«

»Das muss für dich ja auch wieder Stress gewesen sein, oder?«

»Na und ob, ich habe dann wieder zwei weitere Tage mit den Amerikanern telefonisch verhandelt, Thomas war ja schon wieder zuhause, bis die sich auf eine Reduzierung der Vertragssumme um achtzig Millionen eingelassen haben.

'Auch gut, dann sind eben nur dreißig Millionen Dollar für Euch', sagten daraufhin die Araber.«

»Das hätte mir auch gereicht«, meinte Bianca.

»Ich wäre ja mit noch viel weniger zufrieden gewesen, zumal es ja sowieso ein zusätzlicher Verdienst war. Ich weiß auch nicht wie es kam, jedenfalls hörte ich mich sagen:

'Die bekommen wir dann aber sofort'.

'Deal', sagte daraufhin ganz trocken ein Araber.«

»Wahnsinn«, staunte Bianca und hielt ihre Hände vor Aufregung vor den Mund.

»Jedenfalls sind wir noch denselben Tag zur Bank.



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