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Ein spannendes Seefahrerbuch aus der Zeit der großen Windjammer und Klipper. Heinrich Rohrpenn ist der neue Steuermann auf einem Handelsschiff mit Ziel Melbourne. Doch Piraten kapern das Schiff, und setzen die Besatzung auf einer einsamen Südsee-Insel aus. Heinrich wird zum Helden, als er alles dransetzt, die Gestrandeten zu retten. Das Buch gewährt unterhaltsamen Einblick in den Alltag an Bord der Handelsschiffe zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die wichtigsten nautischen Ausdrücke werden in Fußnoten erläutert. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 228
Veröffentlichungsjahr: 2025
Friedrich Meister
Das verschollene Schiff
Eine Seegeschichte
Friedrich Meister
Das verschollene Schiff
Eine Seegeschichte
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-954189-56-4
null-papier.de/neu
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
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Wie Heinrich Rohrpenn an Bord des Paladin kam. – Ein fixer Kerl. – In See. – Seltsame Unterhaltung im Matrosenlogis. – Ein böser Geist an Bord. – Valeska am Ruder. – Der Albatroß. – In den Mallungen. – Der Hai. – Eine Bö.
Wer einmal in Hamburg gewesen ist, den zieht es immer wieder nach der alten schönen Hafenstadt.
Wohl hat ihr die neue Zeit gar manche ihrer ehrwürdigen und romantischen Eigentümlichkeiten genommen, aber den Hauch jener alten kernigen Zeit, in der die stahlgepanzerten Hanseaten auf ihren kriegstüchtigen Koggen den Vitalienbrüdern Gödeke Michael, Störtebeker und andern Feinden siegreiche Schlachten lieferten und ruhm- und beutereich wieder aus der Elbe zu Anker gingen, diesen Hauch spürt heute noch jeder, der den mächtigen Strom überschaut und die alten sich längs des Hafens hinziehenden Stadtteile durchwandert.
Nicht wenig trägt dazu auch das Hamburgische Plattdeutsch bei, das einem auf Schritt und Tritt in die Ohren klingt, dasselbe Plattdeutsch, das schon vor Jahrhunderten hier geredet wurde.
Prächtig ist die Elbstadt in ihren modernen Teilen; anmutig spiegeln sich die stattlichen Patrizierhäuser, die von Gärten und Parks umgebenen freundlichen Villen in den stillen Fluten der Binnen- und Außenalster; vielgestaltig und eigenartig ist das wimmelnde Volksleben auf den Plätzen und Straßen, interessant der Blick auf die schmalen Flete, an welchen die altersgrauen, hohen Speicher stehen.
Die eigentliche Besonderheit der Stadt aber ist das Hamburg an der Elbe, der Stadtteil am Hafen, wo vor den Häusern der Schiffsmakler und Schiffshändler, vor den zahlreichen kleinen Wirtschaften und Tavernen sich die verschiedenartigsten Völkertypen, repräsentiert durch Kapitäne, Steuerleute und Matrosen, hin- und herbewegen.
An den Vorsetzen, einer unmittelbar am Hafen gelegenen Straße, reiht sich Flaggenstock an Flaggenstock; niedrige eiserne Kräne dienen dem kleinen Schiffsverkehr, und auf dem Strome selbst liegen unabsehbare Reihen von Seeschiffen, deren Masten wie ein Wald zum Himmel ragen und mit ihrem Takelwerk ein schier unentwirrbares Gewebe zu bilden scheinen.
Vom großen Frachtdampfer bis zum kleinen Fischerewer sind hier alle Schiffsgattungen vertreten; Schuten und auch hier und da ein Elbkahn liegen den Schiffen zur Seite, die entweder Ladung aus ihnen empfangen oder in sie abgeben.
Kleine schnelle Schlepp- und Fährdampfer schießen ab und zu durch die Schiffsreihen, und ihr schrilles Pfeifen mischt sich mit dem dumpfen Geheul der gewaltigen Seedampfer, die brausend flußabwärts fahren oder von der Außenelbe heraufkommen.
Es ist ein so reiches und wechselvolles Bild, daß man sich kaum satt daran sehen kann, zumal wenn man seinen Standpunkt auf einem der Pontons bei St. Pauli hat, wo man einerseits den ganzen Hafen und die zahlreichen großen Schiffswerften, Docks und Maschinenfabriken von Steinwärder, Reiherstieg usw. und hinter sich die Deutsche Seewarte und das Seemannshaus auf der Elbhöhe hat, und andrerseits nach Altona hinausschaut und auf den sich breit ausdehnenden Spiegel des herrlichen Stromes, auf welchem je nach dem Stande der Gezeiten ganze Flotten von Segelschiffen vor Anker liegen oder in Bewegung sind.
Hell leuchten die weißen Segel der Vollschiffe, der Barken, Briggen und Schoner in die blaue Luft hinaus, im malerischen Gegensatz zu der lohfarbenen, braunen und roten Leinwand der Ewer, Galioten und Tjalken und den dunklen Rauchmassen aus den Schloten der Dampfer, die zeitweise die Aussicht mit einem Schleier verdecken.
In der Morgenfrühe des Tages, an dem unsere Geschichte beginnt, stand ein junger Mann auf dem Speicherkai am oberen Ende des Hafens, in die Betrachtung eines prachtvollen und ganz neuen eisernen Vollschiffes vertieft, das dicht an den Kai herangeholt hatte und mit diesem durch eine breite Planke verbunden war.
Die drei Luken des Schiffes, an dessen Heck und Bug der Name Paladin in goldenen, hell in der Morgensonne funkelnden Lettern zu lesen war, standen offen, um die Stückgüter aufzunehmen, die eine Anzahl Schauerleute aus dem Speicher heraus- und an Deck hinüberschafften, wo sie mit Hilfe der Winsch (Winde) in den Raum hinunterbefördert wurden.
Der Name des jungen Mannes war Heinrich Rohrpenn; er hatte sein neunzehntes Lebensjahr noch nicht ganz erreicht, war trotzdem bereits ungewöhnlich groß und kräftig, und konnte als ein prächtiges Muster eines jungen deutschen Seemanns gelten.
Seine Ausbildung hatte er an Bord der Herzogin Sophie Charlotte, eines der Schulschiffe des Norddeutschen Lloyd, erhalten, um sich später der Offizierslaufbahn auf den großen Bremer Schnelldampfern widmen zu können. Er war im ersten Jahre als Schiffsjunge, im zweiten als Leichtmatrose und im dritten als Vollmatrose gefahren und hatte auf seinen Reisen während dieser drei Jahre Japan, Australien und die Westküste von Südamerika kennen gelernt.
Diesen Fahrten folgte eine Reise auf einem der Lloyddampfer und hierauf hatte er die Seefahrtschule zu Bremen besucht. Gern hätte er nun eine Stellung als vierter Offizier auf einem der Bremer Schnelldampfer angenommen, allein auf den dringenden Wunsch seines Vaters, des alten Hamburger Kapitäns Adam Rohrpenn, entschloß er sich, als dritter Steuermann auf dem Paladin anzumustern, dessen Führer, Kapitän Lüdemann, seit langen Jahren mit Adam Rohrpenn eng befreundet war.
Rohrpenn besaß in dem unterhalb Altonas gelegenen Dörfchen Neumühlen ein kleines Haus, in dem er sein Leben zu beschließen gedachte. Er war bei einem Schiffbruch zum Krüppel geworden und mußte seine Tage in einem Rollstuhl zubringen, sonst hätte er es sich nicht nehmen lassen, seinen Heinrich persönlich an Bord des schönen neuen Paladin zu geleiten, der der nämlichen Reederei gehörte, für die er selber dreißig Jahre lang gefahren hatte.
Als der Bau des Paladin geplant wurde, da hatte man beschlossen, ihm, Adam Rohrpenn, die Führung dieses Schiffes zu übertragen; allein das grausame Schicksal fügte es anders. Dreißig Jahre lang hatte der brave Kapitän in dem Rufe gestanden, immer nur vom Glück ganz besonders begünstigte Fahrten zu machen; bei der letzten Fahrt aber brach das Unglück über ihn herein: ein furchtbarer Orkan warf seine Ceres auf die Klippen der Scillyinseln am Eingang des Englischen Kanals; das Schiff ging in Stücke, nur wenige von der Besatzung wurden gerettet, unter ihnen auch Kapitän Rohrpenn, der jedoch infolge der bei der Katastrophe erlittenen Verletzung zum Invaliden wurde.
Wenn nun aber auch ein Rohrpenn den Paladin nicht mehr kommandieren konnte, so sollte doch ein Rohrpenn auf ihm Dienste nehmen; und darum hatte sich an jenem Morgen der Held unserer Geschichte in Neumühlen von seinem Vater verabschiedet und nach Hamburg aufgemacht, wo wir ihn auf dem Speicherkai in die Betrachtung des Paladin vertieft gefunden haben.
Er trug seinen Feiertagsanzug aus blauem Düffel und auf seinem blonden Krauskopf eine Schirmmütze von gleichem Stoff mit von goldenen Knöpfen gehaltenem Sturmriemen und einem schwarzen Wachstuchüberzug. Aus seinem frischen, sonnenverbrannten Antlitz schauten ein paar ehrliche graue Augen scharf und energisch in die Welt hinaus und man erkannte auf den ersten Blick, daß man es in Heinrich Rohrpenn mit einem treuen zuverlässigen, ehrenhaften und mutigen jungen Manne zu tun hatte.
Mittschiffs, unweit des Fallreeps, wo durch die Entfernung eines Stückes der Schanzkleidung eine Ladepforte geschaffen worden war, lehnte ein Mann an der Reling des Paladin, der, ein Taschenbuch und einen Bleistift in den Händen, die an Bord kommenden Stückgüter kontrollierte. Das war der Obersteuermann Rupp, der in Abwesenheit des Kapitäns das Kommando führte.
Aus irgend einer Veranlassung wendete er sich jetzt dem Kai zu und gewahrte dabei den dritten Steuermann, den er bereits auf dem Musterbüro kennen gelernt hatte.
»Dor sün Se jo, Rohrpenn!«, rief er herüber, »komm Se man gau an Bord, Se könt mi hier helpen!«
Heinrich sprang in drei Sätzen über die Planke an Deck, bot dem Obersteuermann einen fröhlichen guten Morgen, lief in seine Kammer, wo bereits am Abend zuvor seine Seekiste untergebracht worden war, wechselte rasch den Anzug und erhielt dann vom Obersteuermann Buch und Bleistift und die Weisung, sich zur Achterluke zu verfügen und zu notieren, was dort in den Raum hinabgegeben wurde.
Zu der Ladung, die mittschiffs verstaut wurde, gehörten auch zwölf Kruppsche stählerne Feldgeschütze nebst Lafetten und allem Zubehör, außerdem mehrere hundert Gewehre und Munition. Diese Waffen waren für eine Abteilung der australischen Miliz bestimmt; sie erregten naturgemäß die Neugierde der auf dem Kai lungernden Leute, unter denen besonders ein Mann die Verladung mit größter Aufmerksamkeit beobachtete.
In seinem Eifer half er den Schauerleuten die Geschützrohre in die Kranketten schlingen und erwies sich dabei so geschickt und flink, daß Heinrich Rohrpenn in ihm auf den ersten Blick einen erfahrenen Seemann erkannte.
Des Mannes Gesicht war von Sonne und Wetter dunkelgebräunt, er trug goldene Ohrringe und gute Kleider aus dunkelblauem Stoff, wie Janmaat sie anzulegen pflegt, wenn er an Land geht.
Als sich alle Geschütze an Bord befanden, richtete der Mann seine scharfen Augen auf das Schiff und musterte dessen Masten, Raaen und Takelung, sowie auch die feinen Linien des Rumpfes mit kritischen Kennerblicken und jenem wohlgefälligen Verständnis, das jeder tüchtige Seemann solch einem in jeder Hinsicht vollkommenen Fahrzeug entgegenzubringen pflegt.
Acht Tage später wurden die Luken zugedeckt und für die Reise dichtgemacht, denn der Paladin hatte jetzt seine gesamte Ladung an Bord.
Während dieser Zeit hatte sich der braune Seefahrer mehrmals auf dem Kai eingefunden und den Paladin mit immer neuem Interesse betrachtet; er schien eine Vorliebe für das schöne Schiff gefaßt zu haben.
Heinrich Rohrpenn war daher durchaus nicht verwundert, als der Fremde am letzten Tage des Ladungeinnehmens über die Planke herüber an Deck kam, ohne weiteres auf den auf dem Achterdeck stehenden Kapitän Lüdemann zuschritt und diesen, die Mütze lüftend, fragte, ob die Mannschaft bereits vollzählig sei.
Der Schiffer musterte den Mann von oben bis unten und antwortete dann, daß er noch einige Leute haben müsse; wenn er willens sei, die Reise mitzumachen, dann solle er sich am Nachmittag zu einer bestimmten Stunde auf dem Musterbüro einstellen. Der Mann war gern dazu bereit, und so trennten sie sich nach kurzer Unterhaltung, augenscheinlich jeder mit dem andern sehr zufrieden.
»Ein fixer Kerl«, sagte Kapitän Lüdemann zu Heinrich, dem Abgehenden nachschauend, der mit schnellen, elastischen Schritten über den Kai davoneilte, »er ist dreimal ums Kap Hoorn gewesen, wie er mir gesagt hat, und muß daher seine Sache verstehen. Er hat da auch noch fünf Schiffsmaaten, die mit ihm bei demselben Schlafbaas wohnen, lauter tüchtige Vollmatrosen, und er meint, daß auch die gern auf dem Paladin anmustern würden. Ich denke, wir werden diesmal eine gute Kruh1 haben.«
Am Nachmittag wurde die noch fehlende Besatzung angemustert und zwar der zweite Steuermann, der Bootsmann, der Zimmermann, der Segelmacher, der Steward, der Koch, vierzehn Vollmatrosen – unter diesen auch der braune Kaphoornfahrer, der den Namen Markus Wenzel führte – und acht Leichtmatrosen. Die gesamte Besatzung, den Kapitän und den Obersteuermann mitgerechnet, belief sich daher auf einunddreißig Köpfe, so daß auf jede der beiden Wachen dreizehn Mann kamen, da Kapitän, Koch, Steward, Zimmermann und Segelmacher keine Wache mitzugehen hatten.
Eine Kruh von dreizehn Mann in der Wache an Bord eines Vollschiffes von der Größe des Paladin ist nur eben ausreichend, das Fahrzeug in einem mäßigen Sturm noch zu regieren; beginnt es stärker zu wehen, dann muß auch die andere Wache ausgepurrt werden.
Am Abend desselben Tages kam Kapitän Scherk, ein alter Freund des Kapitän Lüdemann, an Bord, um seinen Abschiedsbesuch zu machen. Er war der Führer des Albatroß, eines feinen Vollschiffes, das noch einige Hundert Tonnen2 größer war, als der Paladin und um dieselbe Zeit wie dieser die Reise nach Melbourne antreten sollte. Der Paladin war ein Schiff von zwölfhundert Tonnen.
Lange schon hatten beide Kapitäne den Wunsch gehegt, miteinander um die Wette segeln zu können, und jetzt endlich war die Gelegenheit dazu gekommen. Sie hatten um einen neuen Hut gewettet, den der erhalten sollte, der vor dem andern im Hafen von Melbourne einlaufen würde.
Obwohl jeder der beiden Seebären im geheimen fest von der überlegenen Schnelligkeit seines eigenen Schiffes überzeugt war, so gab er sich dennoch den Anschein, als glaube er bestimmt, hinter der besseren Segelfähigkeit des nebenbuhlerischen Fahrzeugs zurückstehen zu müssen.
»Na denn adjüs ok, Lüdemann«, sagte Scheck, nachdem sie die Flasche Rotspohn geleert hatten, »adjüs ohl Fründ un glückliche Reis’. Ick denk, in de Gegend von den Äquator sehen wi uns woll sacht wieder. Ick loop veeruntwintig Stunn vör di ut de Elbe rut, aber düssen lütten Vörsprung holst du bald wedder in.«
»Von Inholen kann gor kein’ Red’ sin«, entgegnete Lüdemann, ernsthaft den Kopf schüttelnd. »Du weetst ganz genau, dat min lütt Schipp gor keen Chance gegenäwer dinen feinen Klipper, den Albatroß, hewwen doon deit. Wi liggen veel to deep in ’t Water und hewwen ok nich unsen richtigen Trimm. Nee, Fründ Scherk, acht Dag mindestens bist du früher in Melbourne, as ick, so dat du reichlich Tit hest, uns dor antomelln.«
»Nich doch, Lüdemann, ünner den Äquator hest du uns inholt, un denn blewen wi wiet in den Paladin sin Kielwater torügg, dat kannst du mi glöwen. De nige Haut is din, dorup kannst du di drist verlaten.«
Die beiden verschmitzten alten Burschen drückten sich lachend die Hände und Kapitän Scherk ging wieder an Land, überzeugt davon, daß er den Hut gewinnen werde.
Am folgenden Morgen kamen zwölf Arbeiter an Bord des Paladin, Maschinenbauer von einer Hamburger Schiffswerft, die nach Australien gehen wollten, in der Meinung, dort höheren Lohn zu erhalten. Sie wurden im Zwischendeck untergebracht.
Am Nachmittag erschienen die Kajütspassagiere, sieben an der Zahl. Es waren der Doktor Cellarius, seine Frau und sein sechsjähriges Töchterchen namens Lucie; Fräulein Valeska Merk, die Schwester der Frau Cellarius, und der Ingenieur Eisenlohr, seine Frau und sein siebenjähriger Sohn.
Die Herrschaften ließen sich ihre Kammern anweisen, ihr Gepäck hineinschaffen und richteten sich so behaglich als möglich für die lange Seereise ein, die ihnen bevorstand. Darauf begaben sich der Doktor und der Ingenieur an Deck, um sich miteinander und mit den Offizieren bekannt zu machen, und als die Zeit des Abendessens herankam, da hatten sie die Ansicht gewonnen, daß sie miteinander trefflich auskommen würden, daß Kapitän Lüdemann ein prächtiger Herr sei, daß Rupp, der Obersteuermann, und Klaus, der zweite Steuermann »so-so« wären, der dritte Steuermann aber, der junge Rohrpenn, ein gebildeter, offener und sehr ansprechender Jüngling sei, und daß man, was die Gesellschaft anlangte, eine angenehme Reise erwarten könne.
Noch ein weiterer Tag verging, dann kam der kleine Dampfer Herkules und schleppte den Paladin die Elbe hinab. Heinrich Rohrpenn hatte den ersten Rudertörn3 übernommen. Der Hamburger Hafen blieb bald zurück; Altona, mit seinen direkt aus dem Strom aufsteigenden großen Speichern und Dampfmühlen, mit den alten Pfahl- und Bollwerken am Ufer und den zahlreich hier ankernden Fischerfahrzeugen glitt zur Rechten vorüber, und vor Heinrichs sehnsüchtigen Blicken tauchten die Uferhöhen von Ottensen und Neumühlen auf.
Die Schlösser und Villen der Handelsfürsten Hamburg-Altonas schauten hoch herab aus ihren grünen Parks und bunten Gärten; unten bespülte das Wasser des Stromes den weißen Strand.
Terrassenförmig stiegen die kleinen Gärtchen vor den zierlichen Schifferhäusern Neumühlens auf, von alten Ulmen beschattet.
Kapitän Lüdemann war an den jungen Mann herangetreten. »Kiek, Heinrich«, sagte er, »dor is din Vater sin Hus. Er het an sin Flaggenstock dat Signal Glückliche Reise upheißt, un dor sitt he sülben in sin Rollstuhl; he het sick bet dicht an de Waterkant ranschuwen laten. Jetzt schwenkt er seinen Strohhut zu uns herüber!«
Heinrich hatte schon längst die Mütze abgerissen und seinem Vater Grüße zugewinkt.
»Auf Wiedersehen!«, rief er, obgleich er wußte, daß der alte Herr ihn nicht hören konnte.
»Auf Wiedersehen, ohl Fründ!«, rief auch Kapitän Lüdemann, indem er zugleich die von der Gaffel wehende Flagge dreimal dippte.
Das Schiff rauschte vorüber und bald lag auch Neumühlen weit hinter ihm, und das Gehämmer der zahlreichen Bootsbauereien, wegen der das Dörfchen so berühmt ist, war nicht mehr hörbar.
Die Elbmündung war bald erreicht. Im Nordergatt warf der Schleppdampfer die Trosse los, die schon vorher gelösten Segel wurden vorgeschotet, die Raaen getrimmt, und mit frischer östlicher Brise steuerte der Paladin hinaus in die grüne Nordsee und dem Englischen Kanal zu.
Kapitän Lüdemann ließ das Log werfen, und zu seiner und der gesamten Besatzung großen Befriedigung stellte es sich heraus, daß das Schiff bei dieser mäßigen Brise nicht weniger als elf Knoten lief.
Drei Tage später war der Kanal durchlaufen und der Paladin begann die lange Schwell des Atlantischen Ozeans zu spüren. Der Wind frischte auf, und das Schiff stampfte und rollte über die Biscayische See mit einer so schnellen Fahrt dahin, daß alle Mann geradezu in Entzücken versetzt wurden.
Der Schiffer marschierte auf der Luvseite des Kampanjedecks hin und her, rieb sich vergnügt die Hände, kicherte vor sich hin und redete im Selbstgespräch halblaut allerlei abgerissenes Zeug wie:
»De ohle Jung, de Scherk, de schall de Ogen uprieten – mindestens acht Dag is min Paladin früher in Melbourne, as sin ohle Heuwagen, de Albatroß – und ich kriege den Hut – haha!«
Das war’s, was Heinrich Rohrpenn aufschnappte, als er einen Augenblick auf dem Achterdeck zu tun hatte.
Im Logis, dem Wohnraum der Matrosen, gab die Schnelligkeit des Schiffes an jenem Abend viel Stoff zur Unterhaltung. Janmaat hat eine große Vorliebe für fixe Segler, und jetzt, wo man wußte, was der Paladin unter günstigen Umständen zu leisten vermochte, versicherte jeder, noch niemals an Bord eines Schiffes gewesen zu sein, das diesem an Schnelligkeit gleichgekommen wäre.
Markus Wenzel, der Mann mit dem braungebrannten Gesicht, dem pechschwarzen Haar und Bart und den goldenen Ohrringen, war von allen der Begeistertste.
»Junge, Junge!«, rief er, als die andern sich in ihren Lobeserhebungen so ziemlich erschöpft hatten, »wat würde der Kasten für ein Piratenschiff abgeben! Wäre er mein, ich machte mein Glück damit, und nicht nur mein Glück, sondern auch das von alle Mann, und das sollte kein halbes Jahr dauern!«
Diese Worte riefen ein allgemeines Gelächter hervor.
»Mensch, Markus! Du willst doch nich etwa sagen, dat du mit düsse Paladin Seeraub bedriewen wülltst, wenn he din Eigendom wer?«, sagte Tim Thode, ein großer vierschrötiger Seefahrer mit rotem buschigem Bart, der dem andern auf seiner Seekiste gegenüber saß.
»Nee, Maat, dat gerade nich«, antwortete Wenzel, »aber dennoch – warum eigentlich nich? Es gibt ja doch noch manch schlechteres Handwerk, als Seeraub, dat könt ji mi glöwen, Lüd.«
»Oho!«, rief Tim. »Meinst du? Nenn mi doch mal so en Handwerk.«
»Dat is leicht geschehen«, erwiderte der andere. »Zum Beispiel unser Matrosenhandwerk – is dat nich en ganz deel schlechter? Harte Arbeit, schlechtes Futter, miserable Bezahlung – ji möt mi nich falsch verstehn, ick will mi öwer de Paladin nich beklagen, dat Eten is hier good genug un veel Arbeit hewwt wi hier ok noch nich to sehen kregen – aber dat Gesicht von den Oberstüermann Rupp gefällt mich nich un ok nich dat von den tweeten Stüermann Klaus. Wat Keppen Lüdemann is, de schient ja en ganzen gooden Mann to sin – bis jetzt, wohlverstanden. Aber dies Schiff wird ihn verderben.«
»Hoho!«, lachte Tim.
»Jawoll, Maat, dies Schiff wird ihn verderben«, wiederholte Markus Wenzel. »Laß ihn nur erst mal richtig dahinter gekommen sein, daß er einen Schnellsegler, einen Flieger unter den Füßen hat, dann wird er jagen auf Teufel komm heraus, dann wird er die Leinwand stehen lassen bis auf die letzte Minute, bis alle Mann zum Segelbergen ausgepurrt werden müssen, damit die Stengen nicht über Bord gehen, anstatt die Segel beizeiten wegzunehmen, was eine Wache allein verrichten kann. Wartets ab, Maaten, dieser Flieger macht Keppen Lüdemann noch zum Leuteschinder!«
Diese Prophezeiung rief hier und da zustimmendes Brummen und bedenkliches Kopfschütteln hervor, Tim Thode aber rief:
»Wat schall de Snack! Wat het dat mit de Seeräuberei to doon?«
»Lat mi doch man utreden!«, entgegnete Wenzel. »Ich habe gesagt, dat Janmaat hart arbeiten muß, wie ein Hund wohnt und schlechte Kost und wenig Geld kriegt. Dahingegen, wenn wir Piraten wären, dann hätten wir höchstens die Segel zu trimmen, dabei das Beste zu essen und zu trinken, könnten nach einer Kreuzfahrt von sechs Monaten die Seefahrt aufgeben und den Rest unsers Lebens wie Fürsten an Land zubringen.«
Thode brach in ein schallendes Gelächter aus.
»Mensch«, sagte er, »för so en Schapskopp hadd ick di wahrhaftig nich holln! Dat kann doch din Ernst nich sin! Du büst noch keen Pirat west, ebensowenig as wi annern. So’n Räuberpack möt noch düller arbeiten, as Janmaat up’n Kohlenschipp, und dorbi kann dat jeden Ogenblick ’n Kugel in Kopp oder ’n Messerstich von sin Oberbanditen gewärtig sin. Un de Kriegsschepen, de achter so’n Rackertüg her sin doon, un de Mordtaten, die jeder Pirat up sin Gewissen hat! Nee, Maat, bleib mich von’s Leib mit din Seeräuberei, ick dank dorför.«
»Hat ja noch keiner verlangt, dat du Pirat werden sollst«, antwortete Wenzel ruhig. »Ich behaupte nach wie vor, daß Seeraub nicht das schlechteste Handwerk ist. Mordtaten sind dabei durchaus nicht nötig. Es ist ja wahr, tote Leute plaudern nichts aus, aber man kann Leute auch stumm machen, ohne ihnen die Hälse abzuschneiden. Gibt es nicht Inseln genug, wo man seine Gefangenen aussetzen kann? Und was die Arbeit anlangt, so kann man ja einige Gefangene an Bord behalten, die der Mannschaft die Arbeit abnehmen müssen. Und wenn man genug Beute gemacht hat, dann haut man in der Nähe eines passenden Hafens bei dunkler Nacht das Schiff leck, läßt es wegsacken, geht mit seinem Kram als armer schiffbrüchiger Seemann an Land und kann hernach als wohlhabender Mann herrlich und in Freuden leben. Ich weiß Bescheid, Maaten.«
»Dann bist du woll ein’ von de Kerls, de sick gern an anner Lüd ehr Eigendom vergriepen doon?«, sagte Thode.
»Du hast mich nicht verstanden, sonst würdest du nicht solche Frage an mich richten«, entgegnete Wenzel in beleidigtem Ton. »Ich bin kein Dieb und die Seekiste eines Schiffsmaaten ist mir heilig, denn da sind nur Dinge drin, die er notwendig haben muß und an die er ein Recht hat. Niemand aber hat ein Recht an Überfluß, solange andre Menschen dadurch zu kurz kommen.«
»Dat is richtig«, kam eine Stimme aus einem dunklen Winkel.
»Es gibt viel Leute«, fuhr Wenzel fort, »die haben so viel Geld, daß sie gar nicht wissen wie reich sie sind, und haben doch in ihrem Leben niemals gearbeitet. Und wir armen Janmaaten müssen schuften und uns quälen Tag und Nacht, bei gutem und schlechtem Wetter um Leib und Seele zusammen zu halten.«
»Dat is richtig«, sagte die Stimme aus dem Winkel.
»Ist das Gerechtigkeit?«, redete Wenzel weiter. »Ich sage nein! Und ich würde mich keine Sekunde besinnen, jenen reichen Nichtstuern und Tagedieben etwas von ihrem Überfluß abzunehmen, wenn sich die Gelegenheit dazu fände. So denke ich!«
»Markus het nich unrecht«, brummten einige der andern, »nee, he het ganz un gornich unrecht, wenn man de Sak richtig äwerleggen doon deit.«
Tim Thode aber stierte den braunhäutigen Schiffsmaaten eine Welle zweifelnd an, dann rief er:
»Büst nu to Enn mit din Snack? Du büst en fixen Kerl, Markus, binah en beten to fix. Du kannst reden as en Advokat, aber du kannst mi nich inreden, dat du sülben an dinen Snack glöwen doon deist. Wenn ich nich wüßte, dat du der beste un willigste Seemann hier an Bord bist, denn möcht ich dir fast för en Rebellen ansehen.«
In diesem Augenblick erklang draußen die Schiffsglocke in vier Doppelschlägen.
»Acht Glasen«, schloß Thode seine Rede. »Wir müssen an Deck. Wer hat den ersten Rudertörn?«
Die Steuerbordwache begab sich für die nächsten vier Stunden an Deck und die Backbordwache suchte ihre Kojen auf.
Da das Schiff mit günstigem und stetigem Winde seinen Kurs verfolgte, gab es zunächst keine Arbeit, nur der Mann am Ruder und der auf dem Ausguck hatten ihre Obliegenheiten wahrzunehmen, jeder zwei Stunden lang.
Wenzel und ein andrer Matrose, namens Backhaus, zündeten ihre Pfeifen an und setzten sich nebeneinander auf die Reservespieren, die auf der Luvseite des Decks festgelascht waren.
Eine Weile rauchten sie schweigend und in Gedanken versunken vor sich hin, dann nahm Backhaus das Wort.
»Ich hab mir bannig erschrocken«, begann er mit gedämpfter Stimme, »wie du vorhin in’t Logis mit unsen Piratenplan so vierkant rausplatzen tatest. Ich hätt’ dat feiner angefangen. Der Thode wird Verdacht kriegen, wenn dat nich vorsichtiger betrieben wird.«
»Hast recht, Maat«, antwortete Wenzel, »ich hätte ein Reef einstecken sollen, ehe ich damit unter Segel ging; aber der Thode hat mich sozusagen herausgefordert. Immerhin hat die Sache einen Anstoß gekriegt und die Leute werden sich das Ding durch den Kopf gehen lassen. Mit Thode bringe ich alles wieder in die Reihe; er hat mich einen fixen Kerl genannt und da hat er recht, bloß daß ich noch viel fixer bin, als er denkt. Und es hat gewirkt, Maat; ich glaube, daß ich dir jetzt schon drei oder vier Mann nennen kann, die zu uns halten werden, wenn die Zeit da ist.«
Wir brauchen der Unterhaltung der beiden nicht weiter zu folgen; das was wir hier wiedergegeben haben, reicht hin, dem Leser zu zeigen, daß schon beim Beginn der ersten Reise des Paladin ein böser Geist an Bord des guten Schiffes sein Wesen trieb.
Am Abend des fünften Tages erreichte das Fahrzeug die Höhe von Kap Finisterre. Es rauschte unter allen Segeln und Leesegeln vor einer nördlichen Brise über den mit unzähligen kleinen Schaumkämmen bedeckten Ozean entlang, mit einer Geschwindigkeit, die die Steuerleute in Erstaunen setzte, so oft sie die Logleine einholten und deren Knoten zählten.
Die Passagiere freuten sich der schnellen Fahrt und des schneidigen Schiffes; sie fühlten sich wohl und waren zufrieden mit ihren Reisegenossen, mit dem Kapitän und mit der Mannschaft; sie waren überzeugt davon, daß die letztere aus ausgesucht tüchtigen und zuverlässigen Seeleuten bestünde.
Auch an musikalischer Unterhaltung fehlte es nicht; der Ingenieur Eisenlohr hatte seine Flöte mitgebracht, zur Ausstattung des Salons der Kajüte gehörte ein gutes Pianino und Frau Doktor Cellarius und ihre Schwester, Fräulein Valeska, verfügten über schöne und gutgeschulte Stimmen; so flutete zuweilen ein liebliches Konzert hinaus in die Abendluft und über das Deck, zum Entzücken des braven Kapitäns, des Rudersmannes und der Leute der Wache.
Eines Tages regte sich in Fräulein Valeska das ehrgeizige Verlangen, steuern zu lernen. Sie hatte schon oft stundenlang den Mann am Ruder beobachtet, wie er auf der Luvseite hinter dem Rade stand, mit den sehnigen Fäusten die Speichen gefaßt hielt, sie ab und zu sacht um einige Zoll an sich ziehend und sie eine oder zwei Minuten später ebenso sacht wieder zurückdrückend.
Das sah lächerlich leicht aus, und dennoch lag etwas Großartiges in dem Gedanken, daß durch diese einfachen und mühelosen Bewegungen gewissermaßen das Geschick des ganzen gewaltigen Schiffes und aller an Bord befindlichen Menschen gelenkt wurde.
Fräulein Valeska beschloß daher, sich die Kunst des Steuerns zu eigen zu machen.
Der Paladin hatte die Höhe von Madeira erreicht und strich mit Achtknotenfahrt ruhig über die abendliche See.
Der steuernde Matrose war von Heinrich Rohrpenn, dem dritten Steuermann, auf die Kreuzraa hinaufgeschickt worden, um dort eine Arbeit zu verrichten, und unser junger Freund hatte inzwischen das Ruder übernommen.
Seine linke Hand ruhte auf dem Rande des Rades, seine Rechte, in Armlänge ausgestreckt, hielt mit losem Griff eine Speiche und sein Auge beobachtete das Liek4