Der Spuk auf der Hallig - Friedrich Meister - E-Book

Der Spuk auf der Hallig E-Book

Friedrich Meister

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Beschreibung

An Sylvester 1892 erleidet Kapitän Jaspersen Schiffbruch vor der Küste von Westerstrand. Der schwer verletzte Kapitän wird gerettet von dem 16-jährigen Pfarrerssohn Paul Krull. Nachdem er den Kapitän aus der eiskalten Nordsee gezogen hat, heuert Paul, der gern selber Kapitän werden möchte, gegen alle Bedenken seines Vaters bei Jaspersen an. Mit der Hamburger Bark Hallig Hooge gehen die beiden auf Reisen.

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Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

1. Kapitel.

Das Pfarrhaus zu Westerstrand. – Im Rettungsboot. – Die Schiffbrüchigen.

»Hast du soeben den Kanonenschuß gehört, Vater? Horch! Noch einer! Und noch einer! Da ist ein Schiff ausgelaufen! Bei diesem Nordweststurm kann es nur auf den Muschelsand geraten sein, und wenn es da sitzt, dann ist es verloren. Adieu, liebste Mutter, ich muß mit in das Rettungsboot! Halte alles bereit für die Schiffbrüchigen, die wir an Land bringen!«

»O Paul, bleibe hier!« flehte die Mutter. »Es sind genug Leute da ohne dich! Bleibe hier, mein Sohn, der Sturm ist fürchterlich!«

»Wieder ein Schuß! Ich muß hinaus! Adieu alle!«

Paul umarmte und küßte die Mutter, riß hastig Ölrock und Südwester von der Wand und eilte hinaus in die Sturmnacht, aus der in diesem Augenblick abermals ein Notschuß windverweht herüberdröhnte.

In den letzten Tagen des Jahres 1892 wütete in dem deutschen Meere, wie wir die Nordsee von Rechts wegen nennen müßten – die Engländer haben ihr längst diesen Namen gegeben – ein schreckliches Unwetter, das am Altjahrsabend am verderblichsten tobte. An den Küsten und auf den Inseln von Schleswig und Ostfriesland ist jene Sturmzeit noch heute unvergessen.

Wenn im Winter der Orkan mit Schnee und Schlossen über die nächtliche See schnaubt, an den Türen und Fensterladen rüttelt und klappert, durch den Schornstein herabfährt und Rauch und Funken aus dem offenen Herd in die Wohnungen der Menschen treibt, dann erinnert sich der und jener wohl noch des Silvesterabends von 1892, an dem man im trauten Familienkreise vor dem prasselnden Feuer des weiten Kamins gesessen und der Mitternachtsschläge vom Turme des Kirchleins geharrt hatte, um mit einem guten Wort das alte Jahr zu beschließen und mit gegenseitigen Segenswünschen das neue zu beginnen.

Draußen auf der See aber kämpfte zur selben Zeit gar manches Schiff im wilden Schneesturm mit dem schwarzen Verhängnis, und noch ehe der Morgen anbrach, hatten viele brave Seeleute ihre letzte Ruhe tief unter den zornigen Wogen gefunden.

Auch im Pfarrhause der Insel Westerstrand hatte an jenem Abend der Pastor Krull mit seiner Frau, seinen beiden Töchtern und seinem Sohne Paul, einem kräftigen Jüngling von über sechzehn Jahren, vor dem Kaminfeuer in der weiten Küche gesessen, die, nach der alten Sitte an unsrer Wasserkante, vielfach zugleich als Wohnraum diente.

Obgleich die Jahreswende Anlaß genug zu allerlei Betrachtungen bot, wollte eine Unterhaltung dennoch nicht recht zustande kommen, da alle mit Besorgnis dem donnernden Tosen der Brandung und dem Geheul und Geschmetter des Sturmwindes lauschten, der das alte Haus in seinen Grundfesten zu erschüttern schien. – Dann kamen die Notschüsse. Paul eilte hinaus, der Pastor versah sich gleichfalls mit Ölrock und Südwester, und nun schritten beide, mit aller Macht gegen den Sturm ankämpfend, zum Strande hinab, wo eine Anzahl Männer bereits im Begriff war, das Rettungsboot zu Wasser zu bringen. Draußen in der schwarzen Finsternis über der See, in der Gegend des Muschelsandes zeigte sich ein gelbes, verwehtes Licht, das Notsignal eines Fahrzeugs.

Als der Pastor und sein Sohn sich dem Bootschuppen näherten, erweiterte sich ihr Sehkreis ein wenig, weil der schneeweiße Schaum der Brandung einen gewissen Lichtschein verbreitete, der um so merkbarer war, als sich die Gischtmassen der donnernden Fluten bis weit in die See hinaus erstreckten.

Ein Teil der Rettungsmannschaft, die aus lauter Freiwilligen bestand, hatte seefertig ihren Platz in dem auf der Gleitbahn stehenden Boot eingenommen. Auch die Masten waren bereits aufgerichtet, was unter dem Dache des Schuppens nicht hatte bewerkstelligt werden können.

»Een Mann fehlt noch!« rief der Bootssteurer.

»He kümmt all!« antwortete Pauls kräftige Stimme. »He is all dor!«

»Wokeen is dat?« rief der Bootssteurer zurück.

»Uns' Pastohr sin Paul!« antworteten mehrere aus der Menge der am Strande Stehenden zugleich.

»De is good. Mak en beten to, Paul!«

Paul faßte des Vaters Hand.

»Auf Wiedersehen, lieber Vater,« sagte er. »Wir werden bald wieder zurück sein. Da, sieh, es ist nur eine kurze Strecke bis zu dem Schiffe.«

»Es geht um Leben und Tod, mein Sohn. Gott behüte dich!«

Gleich darauf saß Paul auf seinem Platz im Boote. Jetzt rief der

Bootssteurer vorschriftsmäßig: »Alle Mann an Bord?«

»Alle Mann an Bord!« kam die kräftige Antwort.

»Alle Korkwesten an?« war die nächste Frage.

»Alle an!«

»Segel klar zum Heißen?«

»All klar!«

»Ankerleine klar?«

»All klar!«

»Dann in Gottes Namen – los!«

Unter dem Heck des Bootes stand ein Mann bereit, das Bändsel durchzuschneiden, welches das Fahrzeug noch an der Kette festhielt.

»Los is!« schrie der Mann.

Man hörte das Klirren der fallenden Kette, das Boot begann zu gleiten, erst langsam, dann schneller, endlich sauste es in rasender, aber geräuschloser Fahrt die Gleitbahn hinunter, während zu gleicher Zeit einige der Männer die Fock setzten, die übrigen aber sich bereithielten, an der Ankerleine zu holen, sobald das Boot sich im brandenden Wasser befinden würde. – Die dichtgereffte Fock schlug und knatterte, als müsse sie demnächst in dünnen Fetzen davonfliegen, während die Raa am Maste emporstieg; der Sturm schmetterte gellend in die betäubten Ohren der Bemannung, eine Wolke brüllenden Schaumes umtoste sie, als das Boot in die Brandung hineinschoß, im nächsten Moment saßen alle Mann knietief im Wasser, dann sprang das Boot auf die Höhe des nächsten Rollers, unwiderstehlich vorwärtsgerissen von den eisernen Fäusten der Männer von Westerstrand, die mit Macht an der Leine holten, die an dem weit draußen im tiefen Wasser liegenden Anker befestigt war. – Inzwischen war auch das dichtgereffte Großsegel gesetzt worden, die Männer ließen die Ankerleine los und das Boot schoß dicht am Winde über Backbordbug in die wilde See hinaus. – Lange vorher schon war das Boot den Blicken des Pastors und der andern am Strande stehenden Leute in der Finsternis entschwunden gewesen. – »Laßt uns nach der Leeseite des Bootschuppens gehen und dort den Herrgott bitten, unsere Leute gesund wieder an Land zu bringen und auch den Schiffbrüchigen beizustehen,« sagte der Pastor zu den andern.

»Jowoll, Herr Pastohr, dat wüllt wi doon,« war die Antwort, und die kleine Schar, alte Männer, Frauen und Knaben, folgte ihrem Seelenhirten, der auf der windgeschützten Seite des Schuppens ein kurzes Gebet für die Bootsmannschaft und für alle in dieser schrecklichen Nacht um ihr Leben ringenden Seefahrer emporsandte.

Dann kamen lange und bange Stunden des Wartens. Nur wenige verließen den Strand; die meisten blieben in Lee des Bootschuppens und lauschten den Worten der alten Fischer, die gegenseitig ihre Vermutungen darüber austauschten, wie das Rettungsboot wohl mit dem Sturme fertig werde, welche Gefahren es zu bestehen habe, ob es überhaupt an das Schiff herankommen könne und ob zuletzt nicht alles doch vergebens sein werde.

Endlich begann es im Osten zu dämmern; der erste Morgen des neuen Jahres brach an. Das Boot war noch immer nicht zurück. Bald tönte die Glocke des Kirchleins durch den Wind. Pastor Krull hielt den Frühgottesdienst ab. Die andächtige Gemeinde war nur klein, einige alte Fischer und die Frauen derer, die im Rettungsboot auf der stürmischen See waren. – Gerade als der Segen gesprochen wurde, kam ein Mann in schweren Stiefeln und triefendem Ölzeug eilig in die Kirche herein, und rief mit schallender, freudiger Stimme: »De Boot is torügg! Se sünd all an Land!«

Da ward es lebendig in dem sonst so stillen Gotteshause. Einige Bänke fielen polternd um, und alles eilte in größter Hast hinaus. Der Pastor folgte schnellen Schrittes. Am Bootschuppen kam Paul auf ihn zugesprungen und faßte seine Hand.

»Prosit Neujahr, lieber Vater!« rief der Jüngling atemlos. »Weißt du, wen wir geborgen haben? Keppen Jaspersen, mit dem ich die letzte Reise gemacht habe. Ein glücklicher Zufall bei all dem Unglück, nicht wahr?«

»Ist sonst niemand gerettet?« forschte der Pastor bestürzt.

»Ja, noch ein Matrose, Keppen Jaspersen ist bedenklich verletzt, wie ich fürchte; er hat eine böse Kopfwunde. Laß ihn nur sogleich ins Pfarrhaus schaffen. Wenn ich etwas gegessen habe, erzähle ich dir alles. Der Matrose ist einer von der rechten Sorte, ohne ihn lebte der Kapitän jetzt nicht mehr. Auch er muß mit heim zu uns.«

Eine halbe Stunde später befand sich der Verwundete, Kapitän Jasper Jaspersen, Führer des gestrandeten Vollschiffes »Hammonia«, in sauberem Bett und wohldurchwärmtem Zimmer unter der sachkundigen und liebevollen Pflege der Frau Pastorin und ihrer ältesten Tochter Gesine. Auf Westerstrand war kein Arzt; daher hatte schon mancher kranke oder verletzte Schiffbrüchige in dem gastlichen Pfarrhause Hilfe und treue Pflege gefunden.

Der andere Überlebende, ein ostfriesischer Matrose namens Towe Tjarks, fühlte sich bald bei Speise und Trank in der Küche sehr wohl. Paul hatte den Mägden mitgeteilt, daß dieser des Kapitäns Lebensretter sei, und so bewunderten sie in dem kraushaarigen, rotbärtigen, herkulisch gebauten Manne, der etwa dreißig Jahre zählen mochte, einen Helden.

2. Kapitel.

Warum der Matrose Towe einen Eierhandel anfangen will. – Wie der Pastorsohn ein Schiffsjunge wurde. – An Bord des »Senator Merk«.

Eine Woche lang schwebte Kapitän Jaspersen in großer Gefahr; der von Husum herbeigeholte Arzt erklärte sich außerstande, für seine Wiedergenesung gutsagen zu können. Unter gewöhnlichen Umständen wäre die Kopfwunde nicht sehr gefährlich gewesen; der Patient hatte jedoch so lange Zeit in der bitteren Kälte und der salzigen Flut zubringen müssen, daß die Verletzung dadurch einen bösartigen Charakter angenommen hatte.

Für Towe Tjarks aber war diese Woche eine Reihe von Festtagen. Der Pastor hatte in dem Gasthause des Ortes ein Stübchen für ihn gemietet, in dem er sich wie ein Fürst vorkam, wenn er diesen behaglichen Aufenthalt mit dem dunklen, unsauberen und engen Matrosenlogis an Bord der unlängst in Trümmer gegangenen »Hammonia« verglich. Trotzdem aber brachte er den größten Teil seiner Zeit in der Küche des Pfarrhauses zu. Einen Vorwand, dorthin zu steuern, hatte er stets; mußte er sich doch täglich nach dem Befinden seines Kapitäns erkundigen. Paul aber und der Pastor kamen bald dahinter, daß der ehrliche Towe ein großes Wohlgefallen an Katje, dem netten Hausmädchen, gefunden hatte.

Und als endlich von der Reederei der »Hammonia« ein Schreiben einlief, in dem der Vollmatrose Towe Tjarks aufgefordert wurde, sich im Kontor zu Hamburg einzufinden, um seine Aussage über den Schiffbruch zu Protokoll zu geben, da suchte er den Pastor auf und erklärte ihm, daß er Katje heiraten wolle und diese damit einverstanden sei.

»Eine kleine Weil' kann dat ja noch duern, Herr Pastohr,« fügte er in seinem besten Hochdeutsch hinzu. »Denn sehen Sie, ich hab' ja all ein büschen Geld auf die Sparkass', aber zu einem Hühnerhof langt dat noch nich. Wi hewwt uns dat nämlich überlegt, so ein Eierhandel is ein gutes Geschäft, dabei verdient man ein bannig Stück Geld, mehr als bi de Seefohrt. Wenn ich nu noch eine Reis' machen tu', dann hab' ich sacht so viel beisammen, dat wi heiraten könt.«

Darauf dankte er dem Pastor warm und treuherzig für alles Gute, das dieser ihm und seinem Kapitän erwiesen, verabschiedete sich von Paul, der Frau Pastorin, den Töchtern und zuletzt von Katje, und machte sich von Husum aus auf die Eisenbahnfahrt nach Hamburg.

Vierzehn Tage später war auch Kapitän Jaspersen so weit wiederhergestellt, daß er sich zur Abwicklung seiner Geschäfte zur Reederei begeben konnte. Beim Abschied von seinen Wohltätern war sein männliches Auge feucht von Tränen. Man nahm ihm das Versprechen ab, ehe er seine nächste Fahrt antreten würde, das Pfarrhaus auf Westerstrand noch einmal zu besuchen; dann sollte Paul mit ihm gehen, um unter seinem Kommando die dritte seiner Seereisen zu machen.

Paul war des Pastors einziger Sohn. Auf Westerstrand geboren, war in dem Herzen des Knaben schon früh die Liebe zur See erwacht. Der Vater ließ nichts unversucht, ihn davon abzubringen. Er gab ihn tief im Binnenlande in eine Pension und ließ ihn dort die Schule besuchen, allein diese Verbannung fachte die Sehnsucht des Knaben nach dem freien blauen Meere, dem windigen, schaumumkränzten Strande mit all den Booten und Fischkuttern nur noch heftiger an. Endlich gab der Vater nach. Er sagte sich, daß Paul auf der See ebensogut sein Glück machen und ein tüchtiger Mann werden könne wie in jedem andern Beruf, und daß das Vaterland gerade jetzt, wo die deutsche Marine einen so gewaltigen Aufschwung zu nehmen im Begriff war, gar nicht genug Seeleute haben könne.

Er fuhr mit dem Sohne nach Hamburg zu einem ihm bekannten Reeder, der den Knaben auf einem seiner Schiffe unterbrachte, zunächst als Kajütsjunge. Die erste Reise ging nach Valparaiso, die zweite, unter Kapitän Jaspersen, nach Kapstadt und über Westindien wieder heim. Während dieser Fahrt, die er als Decksjunge machte, hatte der Schiffer ihm viel Wohlwollen und Freundlichkeit erzeigt, und solch ein Junge vergißt in seinem ganzen Leben nicht die Güte, die ein Vorgesetzter ihm in der harten Lehrzeit entgegengebracht hat, ebensowenig aber auch die schlechte Behandlung, die er etwa hat erfahren müssen. Daher war auch Pauls Freude so groß, als er zur Rettung seines guten Kapitäns hatte beitragen dürfen.

Nach einigen Wochen traf Kapitän Jaspersen wieder im Pfarrhaus auf Westerstrand ein, allen seinen Insassen ein lieber und hochwillkommener Gast. Gleich am ersten Abend hatte der Pastor eine lange Unterredung in seinem Studierzimmer mit ihm.

»Die Reederei hat mir im nächsten Jahr ein neues Schiff versprochen, das ich als Kapitän führen soll,« berichtete der Schiffer im Laufe des Gesprächs. »Bis dahin ist eine Kapitänsstelle für mich nicht frei. Binnen kurzem aber wird der ›Senator Merk‹ seeklar sein, eine feine Bark, die auch Eigentum meiner Reederei ist. Die brauchte einen ersten Steuermann, da habe ich mich entschlossen, als solcher anzumustern. Die Reise geht nach Melbourne. Ohne Zweifel hätte ich bei einer andern Reederei einen Kapitänsposten gefunden, ich wollte aber meiner alten Firma, der ich nun schon seit meiner Schiffsjungenzeit diene, nicht untreu werden.«

»Das macht Ihnen Ehre, Kapitän Jaspersen. Und Sie meinen, daß Paul auch unter diesen veränderten Umständen zu Ihnen an Bord kommen könnte? Soll ich an die Reederei schreiben?«

»Das wird nicht nötig sein, Herr Pastor. Es wäre mir eine große Freude, Paul wieder bei mir an Bord zu haben. Ich habe bereits mit den Herren im Kontor darüber gesprochen und ihnen erzählt, welchen Anteil Paul an unserer Rettung gehabt hat. Ich denke, Sie werden nächster Tage ein Schreiben von der Firma erhalten.«

Dann brachte Jaspersen die Stellung zur Sprache, die Paul an Bord einnehmen sollte.

»Er fährt nun länger als zwei Jahre,« sagte er, »und hat in dieser Zeit schon so viel vom Schiffsdienst gelernt, daß er jetzt als Leichtmatrose anmustern kann. In einem weiteren Jahr ist er Vollmatrose, und wenn er fünfundvierzig Monate Fahrzeit aufzuweisen hat, kann er auf die Navigationsschule gehen. Hat er diese hinter sich und das Examen bestanden, dann ist er berechtigt, den Steuermannsdienst auf deutschen Kauffahrteischiffen jeder Größe zu verrichten und als Einjähriger in der Marine zu dienen.«

»Und wann kann er Kapitän werden?« fragte der Pastor.

»Wenn er vierundzwanzig Monate als Steuermann gedient haben wird.«

»Nun, möge Gott ihn und uns dies erleben lassen,« sagte der Pastor. Schon am folgenden Morgen kam ein Brief aus Hamburg für Paul. Die Reederei schrieb ihm, wenn er willens sei, auf dem »Senator Merk« anzumustern, so möge er sich bereithalten; die Bark werde Ende der Woche in See gehen. Dann folgten Worte warmer Anerkennung für sein Verhalten beim Schiffbruch der »Hammonia«.

Paul reichte den Brief seinem Vater.

»Nett von den Herren,« sagte er. »Hoffentlich geben sie dem Koch auch die Weisung, mir zu Ehren jeden Sonntag extra ein paar Hände voll Pflaumen in den Sackkuchen zu tun.«

Jaspersen reiste nach wenigen Tagen wieder ab, da der erste Steuermann an Bord sein muß, sobald das Einnehmen der Ladung beginnt. Er muß genau wissen, wo alles verstaut wird, und dabei hat er noch vielerlei andere Dinge zu überwachen, wie das Unterbringen der Proviantvorräte, der neuen Segel, des Tauwerks und all der andern für die Reise notwendigen Waren und Gegenstände.

Die nächsten Tage verstrichen allen Bewohnern des Pfarrhauses sehr schnell. Die Zeit vor einem Abschiednehmen scheint immer Flügel zu haben. –

Wir finden Paul an Bord des »Senator Merk« wieder. Es ist acht Uhr früh. Der Schleppdampfer, der das Schiff aus der Elbe hinausbugsierte, hat die Trossen losgeworfen und wendet sich zur Rückfahrt. Eine günstige Brise füllt die Segel des stolzen Fahrzeugs, das auf westlichem Kurse in das deutsche Meer hinaussteuert.

Das Schiff hatte das im Monat Februar seltene Glück, die Nordsee und den Kanal mit einem stetigen Nordostwind und bei bestem Wetter zu passieren, und da die Brise auch dann noch günstig blieb, gelangte es bald aus dem rauhen nordischen Klima in eine wärmere Gegend. Hier schralte der Wind jedoch nach Süden herum; man mußte die Raaen scharf anbrassen, die Bulinen ausholen und »bei dem Winde« segeln.

Die Mannschaft bestand fast gänzlich aus Seeleuten von unserer nordischen Wasserkante, Hamburgern, Schleswig-Holsteinern, Friesen und Pommern; nur zwei Ausländer befanden sich darunter, ein Norweger und ein Grieche. Solange nicht zu viel fremde Elemente im Logis sind, kann man immer auf ein gutes Einvernehmen und auf eine gemütliche Reise rechnen; zuweilen reicht freilich ein einziger Störenfried hin, eine ganze Mannschaft in Aufregung und Unbehaglichkeit zu erhalten. Man kann nie wissen, wie die Dinge an Bord sich gestalten werden, ehe man nicht einige Wochen in See ist, denn dann erst beginnen sowohl die Offiziere wie auch die Leute einander recht zu verstehen und zu beurteilen.

Obersteuermann Jaspersen behandelte Paul genau so wie alle andern und ließ durch nichts erkennen, daß er ihm näher stand. Nur zur Nachtzeit, wenn Paul seine zwei Stunden am Ruder zu stehen hatte und das Wetter es erlaubte, plauderten sie von dem lieben Pfarrhause auf Westerstrand und allen seinen Bewohnern, wobei der Steuermann oft wie ganz zufällig das Gespräch auf Fräulein Gesine, seine treue Pflegerin, zu bringen wußte.

3. Kapitel.

Vom Glasenschlagen. – Ein Dieb im Logis. – Vor Gericht. – Das Urteil.

Nach einer Fahrt von vier Wochen gelangte der »Senator Merk« in den Nordostpassat. Der Wind war mäßig, trotzdem lief das Schiff, das jetzt alle Leesegel stehen hatte, eine gute Fahrt, und jeder Tag brachte es in wärmeres Wetter. – Paul und Towe hielten zusammen wie Kletten, was eigentlich auch nicht zu verwundern war.

Während der Nachtwachen, in denen es, solange man in der Passatgegend ist, fast nichts zu tun gibt, hockten sie fast immer beieinander, entweder auf der Back, oder auf der Vorluk, oder auf den Reservespieren an der Reling. Towe ward nie müde, von den schönen Tagen zu reden, die er im Pfarrhause verlebt hatte, und dabei kam er auf dem kürzesten Wege stets auf Katje und die Hühnerzucht, die er mit ihr betreiben wollte, wenn sie erst verheiratet wären.

So saßen sie auch in einer sternklaren Nacht auf dem vorderen Ende der Spieren auf der Steuerbordseite. Es war in der ersten Wache, von acht bis zwölf, und soeben hatte es drei Glasen geschlagen.

Zur Aufklärung für diejenigen meiner jungen Leser, die den Ausdruck Glasen nicht verstehen, sei hier folgendes eingeschoben: Glas ist ein Schlag an die Schiffsglocke, der den Ablauf einer halben Stunde seit Beginn der Wache bedeutet und für den Dienst an Bord maßgebend ist; die Wache dauert vier Stunden, ist also um acht Glasen zu Ende. In früherer Zeit dienten Halbstunden-Sandgläser als Zeitmesser, daher rührt der Name.

Die Glockenklänge waren kaum verhallt, da sahen unsere Freunde einen Mann aus der Logiskappe kommen, dessen Gebaren ihnen auffiel. Er sah sich lauschend und wie scheu um, schlüpfte mit langen hastigen Schritten zum Ankerspill und versteckte etwas unter einem Pallen. In der Mitte der achteckigen hölzernen Welle des Ankerspills befindet sich ein starker gußeiserner Ring, der Pallkranz, außen mit Zähnen versehen, in welche die Pallen oder Sperrklinken eingreifen, um beim Aufhieven des Ankers die Rückwärtsdrehung der Welle zu verhindern. Towe stieß Paul an und flüsterte ihm zu, sich schlafend zu stellen. Der tat wie ihm geheißen, obgleich er nicht wußte, was Towe im Sinne hatte. Der Mann stieg dann auf die Back hinauf und fragte den daselbst am Fockstag lehnenden Ausguck, ob es schon drei Glasen geschlagen habe. Als er Bescheid erhalten hatte, sagte er mit stark ausländisch klingender Betonung: »Ich hatte nichts gehört; um vier Glasen beginnt mein Rudertörn; ich habe auf der Vorluk geschlafen. Jetzt will ich mir noch eine Pfeife anzünden, ehe ich achteraus muß.«

Er sprang von der Back herab und ging wieder ins Logis.

»Junge, Junge!« sagte Towe und schlug sich erregt auf das Knie.

»Dat is de verdammte Griek! Ick heww mi dat dacht; ick will aber nix nich seggen, ehr ick dat nich genau weten do.«

»Wat hest du?« fragte Paul erstaunt.

»Ick vertell di, wenn de Keerl achterut is. Nu mußt du aber ümmer noch so tun, als ob du slafen tätest, dormit dat he nix nich marken doon deit.«

Als es vier Glasen schlug, wurden der Mann am Ruder und der auf dem Ausguck abgelöst.

»Nu is't Tid,« sagte Towe und stand schnell auf. »Mensch, Paul, ick heww dat jo all lang wußt! Du schast sehn, ob ick nich recht heww.«

»Mensch, Towe, du sprichst in Rätseln.«

»Ach wat, Snack! Du mit din Hochdütsch! Weetst du nich ebenso good as ick, dat so lang as wie nu all in See sünd, binah jeden Dag een von uns wat verloren un nich wedderkregen het, hüt de un morgen de? Weetst nich, wo oft dor Zank un Strid nah kamen is?

Toerst wer den Sleswiger sin gollen Ring weg; dünn verlör de Flensburger sin engelsches Taschenmetz; nahsten wer den annern sin fine nickelsche Tobaksbüß tom Düwel. Dunn säd ick to mi, dat is een von de Utlandschen, de de Sacken stahlen het.«

»Und du meinst –?« begann Paul.

»Ja, ich mein', Herr Krull,« spottete Towe, »wenn ick doch mit Gewalt Hochdütsch reden soll. An Bord von deutschen Schiffen ist man nicht gewohnt, seine Seekist' zuzuschließen, dat doon de Engländers, de Spaniolen un so'n Volk. Der Spitzbube hat's daher bei uns bequem gehabt.«

»Und du meinst, der Gazzi sei der Spitzbube?«

»Dat mein' ick nich, dat weet ick.«

»Dann laß uns nachsehen, was er da auf dem Spill versteckt hat.«

»Töw noch en beten, Paul. Wir müssen noch einen Zeugen haben.

Ick gah' un hol' Heik Weers, de just von den Utkiek kamen is. To em het de Griek seggt, dat he up de Vörluk slapen harr.«

Heik Weers erschien an Deck, und jetzt gingen die drei zum Ankerspill.

»Nu föhl mal ünner de Pallen,« sagte Towe zu Paul, »verlich finnst du da wat.«

Paul tastete hin und her, dann rief er mit unterdrückter Stimme:

»Hier habe ich etwas!« und brachte eine silberne Taschenuhr zum Vorschein.

»Dat is Julius Lassen sin',« sagte Heik Weers. »Probeer mal, ob dor nich noch mehr verstaut is.«

Nach kurzem Suchen holte Paul noch eine Uhrkette, einen Ring und mehrere andere Gegenstände hervor.

»Heww ick dat nich seggt?« rief Towe. »Wat makt wi nu mit düssen slechten Menschen?«

»Uphangen!« entschied Heik Weers.

»Ower Bord smieten,« sagte Towe.

»Wenn ich hier raten kann, dann berichten wir die Sache dem Obersteuermann; der mag mit dem Kaptein darüber reden,« sagte Paul.

Man kam überein, die Gegenstände vorläufig wieder unter die Palle zu legen, darauf sollte Paul achteraus gehen und dem Steuermann mitteilen, was er wußte.

Jaspersen stand bei der Besanswant und schaute in Gedanken versunken über die nächtliche See hinaus. »Nun, was gibt's?« fragte er, als Paul in zwei Sprüngen die Achterdeckstreppe heraufkam.

Dann hörte er ruhig an, was dieser ihm zu berichten hatte.

»Hm,« sagte er, »Towe Tjarks müßte eigentlich wissen, was da zu tun ist. Er kennt doch das Verfahren, das in solchen Fällen zur Anwendung kommt. Durch solch ein Volksgericht an Bord wird dem Kerl viel wirksamer Ehrlichkeit beigebracht, als durch ein Jahr Gefängnis an Land. Ein Dutzend oder zwei mit dem Tamp und dann für den Rest der Fahrt das Großboot als Koje. Natürlich muß zuvor seine Schuld durch ein regelrechtes Verhör festgestellt werden.«

»Das wird Towe schon bestroppen,« nickte Paul.

»Wartet damit aber bis es Tag geworden ist,« gab Jaspersen dem Abgehenden noch mit auf den Weg. »Während der Nacht will ich keinen Lärm an Deck haben.«

Paul setzte die beiden Matrosen, die ihn auf der Vorluk sitzend erwarteten, von dem Vorschlag des Steuermanns in Kenntnis.

»So is dat good un richtig,« sagte Heik Weers befriedigt. »Un Julius Lassen, den de Uhr tohören doot, de schall de Richter wesen, un wi annern wi sünd de Gesworenen. So kümmt allens in de Reih'.«

Dem Griechen sollte, wenn er um acht Glasen vom Ruder kam, nichts von dem gesagt werden, was über ihm schwebte. Julius Lassen aber wurde geweckt und aufgefordert, in seiner Kiste nachzusehen, ob ihm etwa seine Uhr fehle.

»Meine Uhr?« fragte er, und klappte den Deckel auf. »Wahrhaftig, Lüd, se is weg! Junge, Junge! Twintig Johr fohr' ick nu all to See, un noch nie nich het mi een wat stahlen! De Griek, seggt ji, is dat west?

Den brek ick de Knaken, sowie he von't Roor kümmt!«

»Nee, Julius,« sagte Towe, »dat lat man nah, töw man ruhig bet morgen fröh Klock söben, dünn ward Gerichtssitzung afhollen.

Dennso schast du din Recht woll kregen.«

Die ganze Steuerbordwache war damit einverstanden. Nach Ablauf seines Rudertörns kam der Grieche in das Logis. Er ahnte nicht, wovon hier soeben noch geredet worden war, und kroch mit größter Seelenruhe in seine Koje. Hier tastete er eine Weile am Kopfende des Lagers herum, wo er, nach Matrosenart, allerlei von seinen Habseligkeiten verstaut hatte. Endlich stieß er eine Verwünschung aus und sagte:

»Da hat mir einer meinen Tabak gestohlen, ein ganzes Pfund! Hören die Diebereien an Bord dieses Kastens denn gar nicht auf? Ich wollte nur, ich könnte den Kerl fassen! Der sollte noch lange an mich denken!«

»Morgen früh kannst du uns mehr dorvon vortelln, Maat,« knurrte Towe. »Jetzt wüllt wi slapen.«

Gleich darauf schnarchten alle Mann der Backbordwache in schönster Harmonie. – Kurz vor sieben Glasen wurden sie durch Julius Lassens grimmige Stimme, der wie ein wütender Löwe im Logis herumrumorte, aus dem Schlafe geweckt.

»Dunnerlüchting, Mann, wat schall dat bedüden?« rief ihm einer der andern ärgerlich zu. »Holl din Snut, süs kriegst 'n Seestäwel an Kopp!«

»So? Min Snut holln schall ick, wenn een von de Backbordwach' min goode sülwerne Uhr stahlen het?« entgegnete Lassen giftig.

»So? Een von de Backbordwach' seggst du? Kann dat nich ok een von ju Stüerbordwach' west sin? Doris de Griek, den hewwen se hüt nacht en Pund Tobak stohlen, as he seggen ded. Dat kann doch man een von ju dahn hewwen, in de Tid, wo he sin Roortörn wohrnehmen ded. He seggt ok, he müßt de Mann, de't dahn het.«

»Denn büst du woll so good, Gazzi, un nennst uns düssen Mann,«

wendete Lassen sich jetzt an den Griechen. »Meine Frau hat mich die Uhr mitgegeben, darum muß ich ihr wiederhaben. Also wer is dat west?«

»Das kann ich nicht sagen,« erwiderte Gazzi. »Ich habe nur so meinen Verdacht.«

»Du, Julius,« nahm jetzt Towe Tjarks das Wort, »ick kenn' de Spitzbow.« – »Wokein is he?« riefen alle auf einmal.

Towe sprang mit einem langen Satz auf den Griechen zu, packte ihn am Halse und zog ihn aus der Koje. – »Düsse is't!« rief er.

Gazzi riß sein Messer aus der Scheide, ehe er aber davon Gebrauch machen konnte, hielt Heik Weers ihm den Arm fest.

»Nee, min Jung',« sagte er. »So wat is auf deutschen Schiffen nich Mode.«

Man band dem tückisch die Zähne fletschenden Menschen die Hände zusammen und stieß ihn die Treppe hinauf an Deck, wo sich inzwischen die gesamte Mannschaft versammelt hatte.

Eine umgekehrte Waschbalje diente als Richterstuhl, aus dem Julius Lassen, als der am meisten Geschädigte, Platz nahm.

»Man führe den Gefangenen vor!« befahl er ernst und streng.

Zwei Matrosen brachten den Delinquenten herbei.

»Bekennst du di schüllig ore nichtschüllig?« fragte der Richter.

Der Grieche schwieg verstockt.

»Na töw man, min Jung', wir werden dich die Zunge schon noch lösen. Towe Tjarks, mach' deine Aussage.«

Towe berichtete, was er in der vergangenen Nacht beobachtet hatte; darauf wurde der Ausguckmann vernommen und zum Schluß mußte auch Paul sein Zeugnis abgeben.

»Ihr habt alles gehört, Maaten,« wendete der Richter sich jetzt an die Geschworenen, die im Halbkreise herumstanden; »wat seggt ji?

Is der Angeklagte schüllig, ore is he nicht schüllig?«

»Schüllig!« riefen alle wie aus einem Munde.

»Hest du dat hört, Maat?« sagte der Richter zu dem Delinquenten.

»Deine Schiffsmaaten haben dir schüllig befunden. Jetzund muß ich dein Urteil sprechen. Am liebsten täte ich dir kielholen lassen, aber dat darf ich nich, un so verurteile ich dir hiermit zu drei Dutzend, die dich mit dat End von den Klüverneerholer aufgezählt werden sollen. Außerdem darfst du dir niemals wieder ins Logis sehen lassen. Wenn du aber gestehen tust, dennso soll dich ein Dutzend erlassen werden.«

Er wartete auf die Antwort des Verurteilten, der aber blieb hartnäckig stumm. – »Fort mit ihm, Maaten!« rief der Richter.

»Lascht em äwer dat Spill! Wi wüllt em sin Lex gewen, he schall sick nich wedder an uns' Eigendum vergriepen!«

Der Grieche wurde von vier Matrosen gepackt, über das Ankerspill gezogen und darauf festgebunden. Jetzt ergriff ihn die Angst, er flehte laut jammernd um Gnade, er wolle auch in seinem ganzen Leben nicht wieder stehlen.

»Aha,« sagte Lassen, »ick heww dat jo mußt, dat de Vogel noch ganz fein singen kunn. Also weil er bekannt hat und auch nie nich wieder stehlen will, so soll ihm ein Dutzend erlassen werden. Wat seggt ji, Maaten?«

»Einverstanden!« antwortete Towe für alle. »Twee Dutz sünd ok reichlich noog.« – Zwei Mann, die Matrosen Geert und Hajung wurden zu Profosen ernannt und vollzogen die Exekution mit bestem Willen und Nachdruck. Der Grieche heulte erbärmlich, aber es half ihm nichts.

Darauf warf man sein Bettzeug und was ihm sonst noch gehörte aus dem Logis, und befahl ihm, in dem mittschiffs stehenden Großboot, über dem die Jolle wie eine Art Dach festgezurrt war, Quartier zu machen.

Während der ganzen Zeit war der Kapitän mit dem zweiten Steuermann auf der Luvseite des Achterdecks auf und ab geschritten; beide hatten von dem, was da vorn vorging, gar keine Notiz genommen. Bei solchen Vorkommnissen wird die Mannschaft in ihrem Tun niemals gestört.

Es schlug acht Glasen; der Rudersmann wurde abgelöst, die Backbordwache ging an ihre Arbeit, die Steuerbordwache holte sich ihr Frühstück aus der Kombüse und suchte dann die Kojen auf.

4. Kapitel.

Die »Hallig Hooge«. – »Irgendwo steckt hier ein Geheimnis«. – Was im Logbuch zu lesen war. – Abschied vom »Senator Merk«.

Der Nordostpassat brachte den Senator bis auf einen Grad an den Äquator heran. Hier geriet er in die sogenannten Mallungen, das zwischen beiden Passaten liegende Gebiet der Windstillen und der leichten, veränderlichen und meist ungünstigen Winde. Es gelang ihm jedoch, diese bei den Seefahrern wenig beliebte Gegend bald hinter sich zu bringen und dann den willkommenen Südostpassat zu erreichen. Unter dem achtzehnten Grad südlicher Breite kam er in eine Windstille, die zwei Tage anhielt, dann machte sich eine frische nordwestliche Brise auf, die Raaen wurden vierkant gebraßt, und nun segelte das Schiff aus den Regionen des warmen Sonnenscheins hinunter in den rauhen Ozean, dessen sturmgepeitschten Fluten das Kap der Guten Hoffnung umbranden, das nicht mit Unrecht auch das Kap der Stürme genannt wird.

Seit der Bestrafung des Griechen war das Leben im Mannschaftslogis ruhig und friedlich; mit dem Verbannten verkehrte man nur, wenn der Dienst dies erforderte. Bei mildem Wetter konnte dieser über sein Quartier im Großboot nicht klagen, die Aussicht aber, auch beim Passieren des Kaps darin zubringen zu müssen, war keine angenehme. Die Mannschaft war jedoch fest entschlossen, ihn nicht wieder im Logis aufzunehmen. Seine Diebereien hätten die Leute ihm verziehen, aber dafür, daß er das Messer gegen einen Schiffsmaaten gezückt hatte, gab es keine Vergebung.

Eines Morgens kam Land in Sicht, ein kleines, kaum erkennbares Fleckchen auf Steuerbord voraus. Alle Mann schauten eifrig danach aus, war es doch das erste Land seit man den Kanal verlassen hatte.

»Dat is dat Eiland Tristan da Cunha,« sagte Towe zu Paul. »Nu ward de Ohl de Kurs mehr östlich setten. Paß up, nu giwwt dat bald slecht Wedder un fixe Bris'.«

Tristan da Cunha kam bald wieder aus Sicht. Towes Prophezeiung erfüllte sich jedoch nicht; die Brise flaute immer mehr ab, das Wetter wurde zwar kälter, blieb aber schön.

Als die Backbordwacht am nächsten Morgen an Deck kam, fand sie dort alles in Aufregung. Der Senator war in die Nähe eines großen Fahrzeugs gekommen, das sich so sonderbar benahm, daß niemand aus ihm klug werden konnte. Bald standen seine Segel voll, bald wieder schlugen sie back; es schien sich willkürlich nach allen Strichen der Windrose zu drehen.

»Junge, Junge,« sagte Heik Weers, nachdem er das Fahrzeug lange betrachtet hatte, »dor sünd jo woll Apen und Boren staats Seelüd an Bord. De Kasten denkt wohrschinlich, dat he noch in de Mallungen is. Verlich is dor ok gor keen Mensch an Bord.«

»Wat schall dor woll keen Mensch an Bord wesen!« entgegnete der Matrose Hajunk. »Alle Seils stahn, un ok fünften is allens in Ordnung, soveel as ick man sehn kann.«

Der Kapitän ließ die Flagge heißen, in der Erwartung, daß auch der fremde Segler sich zu erkennen geben würde. Der aber achtete nicht darauf und gierte nach wie vor so planlos im Winde umher, als sei kein menschliches Wesen auf seinem Deck.

Inzwischen kam der Senator dem andern Fahrzeug immer näher.

Der Kapitän befahl, das Schiff beizudrehen und dann ein Boot klar zu machen. Die Fahrzeuge waren jetzt ungefähr eine Viertelseemeile voneinander entfernt. – »Gehen Sie an Bord von dem Kasten, Steuermann,« sagte der Kapitän zu Jaspersen, »sehen Sie sich das Ding mal an und sagen Sie mir dann, was mit ihm los ist.«

»Jawoll Kaptein,« antwortete der Angeredete, dann rief er: »Veer Mann in de Boot! Towe Tjarks, Heik Weers un –«

»Un ick, Stüermann!« meldete sich Paul eifrig.

»Ja, Paul Krull un – o, dor is jo all een in de Boot – de Keerl, de Griek!

Na, lat em. Fier' weg!«

Das Boot hing in seinen Davits, den kranartig gekrümmten eisernen Trägern. Gazzi war hineingeklettert, um es für die Fahrt herzurichten; auch die andern drei kletterten hinein, es wurde ins Wasser hinabgefiert, der Steuermann sprang, an einer der Taljen hinuntergleitend, leichtfüßig in die Sternschoten, den hinteren Teil des Bootes, und ließ abstoßen.

Von kräftigen Riemenschlägen getrieben schoß das kleine Fahrzeug schnell über die tiefblaue Flut. Bald hatte es den fremden Segler, der eine große Bark war, in Rufweite.

Der Steuermann stand auf, legte die Hände an den Mund und rief:

»Bark ahoi!«

Er erhielt keine Antwort, auch zeigte sich niemand oberhalb der Reling.

Nach wenigen Minuten lag das Boot langseit; Jaspersen schwang sich in die Großrüst, kletterte über die Reling und entschwand den Blicken seiner Leute. Gleich darauf aber erschien er wieder und hieß Paul, Tjarks und Weers an Bord kommen. Gazzi mußte im Boote bleiben, um es von der Schiffsseite freizuhalten.

»Junge, Junge, wo unheimlich dat hier utsüht,« sagte Weers, indem er die Augen nach allen Seiten über das verödete Deck schweifen ließ. »Wat dat Aug' nich sehn tut, macht dat Herz kein' Schmerz nich, aber richtig is dat nich mit düsse Bark. Wenn dat man keen Gespensterschipp is, so een as de fleegende Holländer west wer.«

Alles an Bord der Bark befand sich in bester Ordnung.

»Wenn hier noch lebendige Menschen an Bord wären, dann müßten sie gehört haben, wie wir hier umhertrampeln, und schon zum Vorschein gekommen sein,« sagte Jaspersen zu Paul. »Von den Booten fehlt kein einziges; die Besatzung kann das Fahrzeug also nicht im Stich gelassen haben. Unbegreiflich!« – »Die Bark heißt ›Hallig Hooge‹,« sagte Paul, »der Name steht an den Pützen und auch an den Booten.«

»Uns' Maat Ocke Hinrichsen ischo up een von de Halligen to Hus,«

bemerkte Towe, »ick glöw sogar up de Hallig Hooge.«

Der Steuermann ließ zunächst die Raaen backbrassen und auf diese Weise die Bark beidrehen, damit sie auf einer Stelle blieb, und dann schickte er Weers und Tjarks nach vorn mit der Weisung, das Logis zu untersuchen. »Paul und ich gehen achteraus in die Kajüte,« sagte er.