Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Der sechzehnjährige namenlose Elf wird dazu gezwungen, sein eigenes Volk zu suchen. Wenn er es schaffen würde, würde er grenzenlosen Ruhm bekommen und für immer als Held der Elfen gefeiert werden. Doch so einfach das auch klingt, birgt die weite Reise Gefahren und unerwartete Überraschungen. Als er auf den "Mensch" Arok trifft, beginnt für ihn ein neuer Lebensabschnitt, ein Lebensabschnitt mit einem Namen, dem Namen seines Vaters. Mit Hilfe eines Menschen schafft es Nari, in die mystischen Berge zu gelangen, wo der Sage nach die Elfen leben. Das Elfenvolk erwartet ihn bereits, jedoch sind sie mitten in den Vorbereitungen für den Krieg gegen die Menschen und Orks. Die epische Schlacht voller Grausamkeiten beginnt. Ein mächtiger Verbündeter stellt sich auf ihre Seite. Die Schlacht nimmt ein Ende, von dem keine von beiden Seiten begeistert ist. Jedoch findet Nari etwas, das seine Hoffnung nochmals aufkeimen lässt, und gleichzeitig taucht jemand auf, den der Elf am wenigsten erwartet hätte.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 283
Veröffentlichungsjahr: 2013
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für alle Menschen,
welche der Dunkelheit noch nicht verfallen sind,
und besonders meinem damaligen Lehrer und meinen Eltern.
Für meine Großmutter,
weil sie mich unterstützte, solange sie konnte.
Buch
Dem jungen Elfen Nari wurde der uralte Brauch zuteil, sein eigenes Volk zu suchen. Doch so einfach das auch klingt – eine weite Reise birgt unerwartete Wendungen. Mithilfe eines Menschen gelang es Nari, zu seinem Volk zu finden, doch wurde die Ankunft durch die Nachricht eines Verlustes getrübt.
Kurze Zeit darauf entbrannte die Schlacht zwischen den Elfen und Menschen. Alle Seiten erlitten große Verluste und Nari musste danach mit den Überlebenden in den Norden reisen, zu dem alten Brutplatz der Drachen. Doch die Vargar, welche in der eisigen Kälte hausten, nahmen den Elfen gefangen und sperrten ihn in ein düsteres Verlies. Dort unten entwickelte sich die Situation neu, denn das eine Drachenei, welches er dabeihatte, begann sich zu regen…
Autor
Claudio Mühle wurde 1996 in Schaffhausen geboren und ist ein leidenschaftlicher Fantasy-Leser und Autor. Mit 16 Jahren verfasste er seinen Debüt-Roman Das verschollene Volk.
BUCH 1 DIE REISE
Prolog
Schatten der Finsternis
Die Gedanken eines Elfen
Leichte Beute
Unerwartet
Niduen
Getrennte Wege
Finden und gefunden werden
Eine schicksalhafte Nacht
BUCH 2 DIE NACHKOMMEN DER DRACHEN
Die erste Aufgabe
Vergebens?
Schicksalsstunden
Alles, nur nicht das!
Nichts Ehrenvolles
Zwischenfall
Die Nachkommen der Drachen
BUCH 3 NORDWIND
Stunden der Trauer
Blutschuld
Aufbruch
Weiter, immer weiter
Wilredth
Die Vargar
Die Quelle aller Dinge
Nordwind
Epilog
Mondlicht
Der Ursprung der Namen
Lexika
Die Sprache der Elfen
Die Sprache der Vargar
Danksagung
Etwas kribbelte in seinem Nacken. Dies verhieß nichts Gutes.
Es war still, unheimlich still. Obwohl die Nacht noch nicht hereingebrochen war, war es in dem Dorf, in dem er lebte, schon wie ausgestorben. Er wagte nicht zu atmen, was die Stille noch unerträglicher machte. Fast alle anderen waren fort! Sie waren in den Krieg geschickt worden, um zu sterben oder verletzt heimzukehren. Nur er und ein paar seiner Kameraden waren zurückgeblieben, um das Dorf zu verteidigen. Die einzigen, die hier noch lebten, waren die Frauen und die Alten sowie ein paar Kinder, die mit ausdruckslosen Gesichtern umherirrten.
Verdammt! So weit hat uns dieser Krieg schon gebracht, dachte Mirok.
Er stammte aus einem einflussreichen menschlichen Geschlecht der Nuisdar. Und obwohl er schon einundzwanzig war, wollten seine Verwandten nicht, dass er in den Krieg zog. Er wollte aber! Er wollte seine Heimat gegen die blutrünstigen Monster von Elfen verteidigen. Wie konnten die anderen nur glauben, dass Elfen blutrünstige Monster waren? In den vielen Kindergeschichten, die sich die Menschen erzählten, waren es stets die Elfen, die ein Blutbad anrichteten. Doch es konnte auch sein, dass es etwas mit den Orks zu tun hatte. Die Orks waren eine Rasse, die am wenigsten den Menschen oder Elfen glich. Sie waren eiternde, faule, stinkende Missgeburten. Nichts weiter. Doch noch eines gab es: Sie liebten den Krieg und ebenso dunkle Orte, an die sich nicht einmal die Elfen hinwagten. Doch warum dachte er über so etwas nach? Er musste noch ein wenig Schlaf bekommen, bis seine Wachschicht anfing.
Dunkle Wolken zogen am Himmel vorbei und verdunkelten den Mond. Die Nacht war etwas, worüber er in dieser Zeit nicht nachdenken wollte. Wer weiß, was er in den Träumen alles durchleben musste… Doch seine schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten sich. Er träumte von einem Krieg, doch er wusste nicht wer und wie viele hier kämpften. Eins war jedoch klar, es waren riesige Armeen. Der durchdringende Geruch von Blut und Schweiß lag in der Luft. Es waren Kampf- und Todesschreie von Männern zu hören, die sich jedoch seinem Blick entzogen. Er sah Kampfgetöse, wo immer er auch hinschaute. Und dann eine blitzende Klinge direkt vor ihm.
Mit einem erstickten Schrei und schweiß überströmt wachte er auf. Erschrocken lag er im Bett und schaute sich um. Es war noch früh, in einer halben Stunde würde seine Wache anfangen. Normalerweise würde die vorherige Wache ihn wecken kommen, aber er konnte nicht mehr schlafen. So stand er auf und zog seine Rüstung an. Dann steckte er sein Schwert in die Scheide und machte sich auf den Weg zum Dorfrand, an dem er seine Wache schieben sollte. Die Wolken verdunkelten noch immer den Mond. Es war eine finstere Nacht. Als er an der Dorfpalisade ankam, zog die andere Wache, ein ehrlicher Bauer, ohne ein Wort zu sagen von dannen, um noch vor Tagesanbruch eine Mütze Schlaf zu bekommen. Die letzte Wache war immer die schlimmste, weil man dann nur wenig geschlafen hatte und am nächsten Tag hundemüde war. Aus reiner Gewohnheit schweifte sein Blick langsam über die Landschaft vor ihm. Aber es war noch dunkel, und so sah er nur Schatten. Fast wäre er eingenickt, schalt sich dann dafür und versank wieder in seinen Gedanken. Jäh schreckte er aus seinen Träumereien auf.
Etwas kribbelte in seinem Nacken. Dies verhieß nichts Gutes. Als Mirok seinen Blick wieder über die Landschaft gleiten ließ, bemerkte er etwas, das ihn erstarren ließ. Ein Mondstrahl war durch die Wolken gebrochen und hatte eine Fläche von etwa einem Quadratmeter erhellt. Dort erschien eine großgewachsene Kreatur so jäh und lautlos, als sei sie gerade aus dem Boden gewachsen. Welch ein Mist! Wie konnte er so etwas nicht bemerkt haben. Die Kreatur trat so schnell aus dem Fleckchen Mondschein, dass Mirok sie fast nicht gesehen hätte. War das ein Mensch? Ein Ork? Oder schlimmer noch, ein Elf?
Lange hatte er nicht Zeit zum Nachdenken, denn die Kreatur kam langsamen Schrittes auf das Dorf zu. Mirok konnte, seit er die Kreatur erblickt hatte, der Erstarrung nicht entrinnen. Er war nicht in der Lage, Alarm zu schlagen. Es schien fast so, als blockiere etwas seine Gedanken. Die Kreatur war nur noch etwa zweihundert Meter von der Palisade entfernt. Als sie sich um hundert Meter genähert hatte, blieb sie kurz stehen, entschied dann, dass es keine Gefahr gab und kam weiter auf Mirok zu. Jetzt konnte er auch erkennen, dass die Kreatur in einen Kapuzenmantel gehüllt war, der so schwarz war, dass er die Kreatur mit der Dunkelheit verschmelzen ließ. Sie glitt beinahe lautlos über den Boden auf ihn zu. Es schien fast so, als würde sie schweben. Jetzt war sie schon auf zehn Meter herangekommen und blieb dann plötzlich stehen. Sie neigte den Kopf und starrte aus ungewöhnlich glitzernden Augen direkt in Miroks Gesicht, so als wollte sie sagen:
»Worauf wartest du denn noch? Öffne sofort das Tor!«
Jetzt glitt die Kapuze zurück, und da wusste Mirok, was er vor sich hatte.
Diese Art von Magie war ihm absolut ungeheuer.
Er war allein, seit Jahren war er allein. Er konnte sich nicht erinnern, jemals etwas Lebendes außer Tieren gesehen zu haben. Zu wissen, dass er allein war, war erdrückend. So lange schon. Er war noch jung, vielleicht sechzehn. Selbst nach den Maßstäben der Elfen noch ein Kind. Er selbst war ein Elf. Einer von jenen, der nicht wusste, ob es noch andere seinesgleichen gab.
Die Steine knirschten unter seinen Füssen, als er auf dem Grat eines kleinen Hügels ankam. Um ihn herum war es kahl. Es gab nur ein paar verdorrte Büsche. Er wusste nicht einmal, wie er hieß. Seit sein Leben als Elf begonnen hatte, war er auf Wanderschaft. Er suchte nach anderen Elfen, die sagen konnten, woher er kam. Oder zumindest nach Menschen, die ihn vielleicht aufnehmen würden. Doch er wusste, dass es gefährlich war, zu Menschen zu gehen, weil sie das Elfenvolk hassten. Mehr noch, verabscheuten. Wenn sie einen Elfen zu fassen bekamen, was jedoch selten geschah, dann kam er auf den Scheiterhaufen oder sie knüpften ihn auf. Doch zurzeit wollte er noch keinen Gedanken daran verschwenden. Diese Zeit würde früh genug kommen.
Die Landschaft, auf die er nun hinabblickte, war nicht weniger so, wie sie schon seit Wochen war. Sandig, steinig und trocken. Doch halt, etwas war anders. Es gab einen kleinen Bach. Endlich Wasser… Doch halt, da war noch etwas. Ein Birkenhain, der so friedlich dalag, dass der Elf sich überlegte, für immer hier zu bleiben. Er könnte ein Zuhause aufbauen, und Tiere gab es bestimmt auch. Den letzten Teil unterstrich auch sein Magen, der mit einem lauten Knurren antwortete. Der junge Elf hatte seit Tagen nichts Richtiges zu essen bekommen, geschweige denn zu trinken. Sofort stürzte er zum Bach und trank so viel, wie er nur konnte, und füllte anschließend seinen behelfsmäßigen, aus Fellen gemachten Wasserschlauch auf. Jetzt widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Hain. Er spürte, zu seiner Freude, eine ganze Herde Rotwild. Zum Glück besaß er als Elf so eine Fähigkeit. Er konnte nur mit seinen Gedanken die Gegend um ihn nach Lebewesen absuchen. So merkte er auch, wenn Menschen in der Nähe waren. Zu seinem großen Missfallen konnte er die Tiere aber nicht reinen Gewissens essen. Es war eine Sache zu wissen, wie man sie erlegt. Die andere Sache, die Elfen am Töten hinderte, ist schwer zu erklären. Wenn man einmal die Gedanken eines Tiers berührt hatte und es tötete, fühlte es sich so an, als stürbe ein Teil in einem. Deshalb versuchten Elfen auch nie, den Geist eines Menschen zu spüren, weil sie sonst nicht mehr Krieg hätten führen können. Ach, was war denn schon Krieg? Nur ein sinnloses Gemetzel, und am Ende waren beide Völker so dezimiert, dass eine ganze Ära zu Ende ging. Ein Seufzer entfuhr seinen Lippen.
Es erstaunte den Elfen, wie viel er wusste, obwohl noch nie jemand zu ihm gesprochen und mit ihm dieses Wissen geteilt hatte. Dies hatte einen ganz einfachen Grund: Ein elfisches Kind, bekam das gesamte Wissen der Eltern auf sich übertragen. So wurde das elfische Wissen seit Tausenden von Jahren weitergegeben, und seither war immer mehr Wissen dazu geflossen. So wusste er auch, wie es früher gewesen war, bei dem Drachenkrieg! Obwohl er es nicht miterlebt hatte, sah er alle Einzelheiten genau vor sich, und sogar den Duft in der Luft konnte er riechen. Ach, wie schön musste es damals gewesen sein. Er schreckte aus seinen Tagträumereien hoch, als unvermittelt sein Magen erneut zu knurren anfing. Der Elf konzentrierte sich wieder auf die Jagd und rang gleichzeitig den Ekel nieder, weil er ein Lebewesen auslöschen würde. Kein Ast knackte, als er mit seinen federleichten Füssen unter die Birken trat. Es war ein herrlicher Wald, voll von Leben, Licht und Wärme. Doch etwas störte ihn. War es sein Magen oder das ungute Gefühl, dass dieser Hain von Magie durchtränkt war? Von dunkler Magie? Magie war eine Sache für sich. Nicht sehr viele waren der Magie mächtig, auch nicht alle Elfen. Von den Menschen musste man da gar nicht erst anfangen. Doch es war auch gefährlich, sie einzusetzen, denn wenn etwas schiefging, musste man es möglichst vermeiden, daneben zu stehen.
Der Elf konnte das Wild noch immer spüren. Er ging in die Richtung, in der sich die Tiere aufhielten. Als er hinter einem Busch stehenblieb, blieb ihm der Mund offen. Solch schöne Tiere! Nicht abgemagert, wie er es erwartet hatte. Nein! Es waren kräftige, gut ernährte Tiere. Ihr Fell glänzte in der Abendsonne. Vorsichtig nahm er seinen Bogen vom Rücken und legte einen Pfeil ein. Er zielte auf einen kleineren Hirsch mit großem Geweih. Die Sehne schnellte vor, als er sie losließ. Das tödliche Geschoss, das er auf die Reise schickte, forderte sein Opfer. Als der Hirsch umkippte, nahmen die anderen aus seiner Herde Reißaus und verschwanden bald gänzlich in den Tiefen des Hains. Der Elf ging zum Hirsch, zog sein Jagdmesser und ließ den Hirsch ausbluten, indem er ihm die Kehle durchschnitt. Zu seinem großen Staunen durchtränkte das Blut des Hirsches den Waldboden nicht. Es war wahrscheinlich die uralte Magie, die der Elf schon gespürt hatte, bevor er den Hain betreten hatte. Diese Art von Magie war ihm absolut ungeheuer.
Er fing an, ihn zu häuten und die Innereien auszunehmen. Dann entzündete er mit Hilfe von Magie ein Feuer, spießte ein paar Fleischstücke auf einen Ast und hielt sie darüber. Er nahm ein Döschen aus seinem ledernen Rucksack und machte es auf. Es war ein Salzdöschen. Enttäuscht musste der junge Elf feststellen, dass fast nichts mehr übrig war. Er entnahm eine kleine Prise und streute sie über das Fleisch. Es war eine karge Mahlzeit, doch er hatte nie viel mehr zu essen bekommen. Deshalb beschwerte er sich nicht. Die Innereien, wie die Leber, die Nieren und das Herz, briet er auf einem flachen Stein, den er in die Glut gelegt hatte. Er hatte nicht vor, sie zu essen. Aber wenn sie gebraten waren, verbreiteten sie weniger Geruch, der Aasfresser hätte anlocken können. Als das Fleisch, welches er direkt in den Flammen briet, gar war, nahm er es vom Feuer und schwenkte den Spieß in der Luft, um das Fleisch abzukühlen. Vorsichtig nahm er mit seiner Hand ein Stück Muskel des Hirsches vom Spieß und schob es sich in den Mund. Die anderen Fleischbrocken, die noch an seinem Spieß waren, nagte er kurzerhand ab. Mit ein paar Schlucken aus seinem Wasserschlauch spülte er alles hinunter.
Das restliche Fleisch wickelte er in Blätter ein und verstaute es in seinem Rucksack. Dann schnitt er dem Hirsch einen kleinen Teil vom Geweih ab und verstaute es ebenfalls in seinem Rucksack. Er würde später sicher noch etwas daraus machen können. Den Rest vergrub er, und die übriggebliebenen Innereien, die er gebraten hatte, ließ er dort, wo sie waren. So würde ein zufällig vorbeikommendes Tier noch einen kleinen Happen zu essen haben. Der Elf legte sich neben den wärmenden Flammen nieder, und erst Stunden, nachdem er eingeschlafen war, erlosch das Feuer langsam, und der helle Schein wich der Finsternis der Nacht.
Doch bevor ihm bewusstwurde, was hier vor sich ging, stand er schon am Fuß der Berge. Ein Zurück gab es nicht mehr.
Der junge Elf wachte auf. Seine Glieder schmerzten von den letzten Tagen noch immer. Doch jetzt würde er etwas sachter vorgehen. Zum Glück war das Gebiet, auf dem der Wald lag, flach. So würde er sich nicht überanstrengen. Er packte seine Sachen und wollte losziehen, blieb dann jedoch abrupt stehen und lächelte. Die Innereien waren verschwunden. Den Rest des Hirsches, der nicht in seinen Rucksack passte, ließ er dort liegen für die anderen Tiere. Dann machte er sich auf den Weg durch den Wald. Nach zwei Stunden Marsch im ewigen Grün wurde der Wald immer dichter. Die Bäume standen nun so nah, dass kaum noch Sonnenstrahlen hindurch fielen. Die Stämme wurden breiter, und es gab nur noch wenig Unterholz. Im ewigen Zwielicht des Waldes war es unmöglich zu schätzen, wie spät es war. Dann bekam er einen solchen Schrecken, dass er fast hingefallen wäre.
Vor ihm schwebte etwas in der Luft. Es war dichter, schwarzer Nebel. In seinem Nacken kribbelte es. Dies musste wohl die Waldmitte sein. Ehrfurcht überkam ihn. Dieser Ort war uralt! Er kam in Geschichten immer wieder vor, doch nur selten kam irgendjemand hierher. Plötzlich sah er etwas, was ihn fast noch einmal von den Füssen fallen lies. Etwas Riesiges schwebte vor dem Nebel. Aber es war so schwarz, dass der Nebel die Kreatur fast zu verschlucken schien. Nur seine gelblichen Augen und das unheimliche Gefühl verrieten, dass sich dort etwas befand, das nicht hierhergehörte. Der junge Elf schalt sich dafür, dass er so lange und ohne Deckung dagestanden hatte. Die schleierhafte Kreatur kam langsam auf ihn zu. Seine Beine, die er vorher nicht mehr hatte gebrauchen können, gehorchten ihm jetzt wieder. Sofort stolperte er rückwärts und fiel hin. Das Wesen schwebte über ihm. Es streckte seine Hand aus, fast so, als wollte es ihm aufzustehen helfen. Doch die Hand wanderte zu seiner Kehle und drückte zu.
So endet es also, dachte der Elf.
Ein Lachen schüttelte ihn. Diesen Satz dachte er fast jeden Tag. Verwirrt und ängstlich drückte die monsterhafte Hand noch einmal fester zu. Etwas knackte. Ein erneutes Lachen schüttelte ihn. Das Wesen ließ von ihm ab und verschwand in der Dunkelheit des Waldes, der jedes Tageslicht verschluckte. Der Nebel löste sich auf. Inmitten der ersten Lichtung, die er in diesem Wald sah, stand ein Steinkreis. Mächtige Orte waren das, das wusste der Elf. Er spürte noch immer eine Aura mächtiger Magie über dem Ort, die von vergangenen Zeiten kündete. Langsam ging er auf das Steingebilde zu, machte dann aber in einem Abstand einen Bogen darum und ging so schnell wie möglich weiter. Als er zurückschaute, war der Ort wieder von Nebel umhüllt.
Wilde Freude durchströmte ihn. Ihm, einem bedeutungslosen Elfen, hatte sich der mächtigste aller Orte offenbart. Was für ein Geschenk. Doch seine Freude währte nicht lange. Mit einem erstickten Röcheln ging er in die Knie. Seine verletzte Kehle hatte er ganz vergessen. Mist! Er war ein Elf, vielleicht konnte er sich heilen. Aber konnte er überhaupt so etwas? Er musste es versuchen. So legte der Elf sich die eigenen Finger um den Hals und sprach die alten Worte der Magie: »Vulnus est sana!«
Er spürte, wie sich der Hals wieder richtete, doch er spürte auch die Kraft, die ihm entzogen wurde, als er den Zauber sprach. Geschwächt lag er zusammengekauert am Boden. Verdammt! Wie hatte er die wichtigste Regel der Magie vergessen können. Jeder Zauber, den man sprach, brauchte genau so viel Kraft, wie wenn die Heilung von selbst stattfinden würde. Und auf größere Entfernungen bedurfte es nochmals größere Kräfte. Das würde er nie wieder vergessen.
Als er weiterging, merkte er, wie das Unterholz wieder mehr wurde und die Bäume nach und nach mehr Licht einließen. In einem Strahl blieb er stehen und streckte genüsslich den Kopf der Sonne entgegen. Die Wärme tat gut. Gewiss war er immer noch bleich von dem Schreck, den ihm der Dämon eingejagt hatte. Genügend gewärmt marschierte er tapfer weiter.
Irgendwann trat er aus dem Wald hinaus und musste verärgert feststellen, was ihm am Tag davor nicht aufgefallen war. Ein mächtiger Gebirgszug erstreckte sich vor ihm. Doch bevor ihm bewusst wurde, was hier vor sich ging, stand er schon am Fuß der Berge. Ein Zurück gab es nicht mehr. Das war seine Bestimmung. Dann sah er mit Entsetzen, dass es schon bald Nacht werden würde. Er brauchte einen sicheren Lagerplatz zum Übernachten. Er stieg zehn Fuß auf einen kleinen Felsvorsprung hinauf und stellte mit Freude fest, dass es da eine kleine Höhle gab, gerade groß genug für eine oder zwei Personen. Dies war früher sicher ein Unterschlupf für Jäger gewesen. Das Feuer prasselte herrlich. Der Duft des Hirsches verbreitete sich im Lager. Nach dem Essen legte sich der Elf hin und schlief rasch ein. Es wurde eine ruhige Nacht. Die Sterne funkelten am Himmel.
Im Morgengrauen wachte er auf. Es hatte über Nacht ein wenig geschneit. Das beunruhigte ihn. Er musste doch heute noch über den Sattel kommen! Wie sollte er denn das in diesem Schneegestöber schaffen. Die Frustration war grösser als der Tatendrang. So blieb er noch eine Weile auf dem steinharten Boden liegen und döste vor sich hin. Mit einem Ruck wachte er auf. Es war schon spät am Morgen. Wie dumm von ihm! Er hätte eigentlich im Morgengrauen loslaufen sollen, um am Mittag oben zu sein. Doch das konnte er vergessen. Er überlegte, ob er bis am nächsten Tag mit dem Aufstieg warten sollte, beschloss dann aber, es heute zu tun. Er wollte nicht noch länger im selben Tal wie das Wesen sein. Beim Aufstehen tat ihm alles weh. Verdammt harter Boden. Bis er seine Sachen eingepackt hatte, war wieder eine halbe Stunde vorbei. Als der Elf endlich zum Aufstieg bereit war, war es schon Mittag. Es ging langsam voran. Doch zum Glück war der Schnee schon geschmolzen. Er war schon ein gutes Stück vorangekommen, als er fluchend stehenblieb. Der Gipfel ragte noch immer hunderte Meter über ihm in den Himmel. Warum hatte er all das Fleisch mitgenommen? Und dazu noch das Stück vom Geweih? Das war zu viel Gewicht! Doch umkehren konnte er jetzt beim besten Willen nicht. Er musste es schaffen. Mit diesen Worten stapfte er weiter. Er hatte bereits die Schneegrenze hinter sich gelassen und lief nun im kniehohen Schnee. Was es noch schlimmer machte, waren die Blasen an seinen Füssen, und zu allem anderen kam noch etwas dazu, das Schlimmste, wenn man hoch im Gebirge war, die Dämmerung. Und mit ihr kam ein Schneesturm auf. Der junge Elf war hoffnungslos verloren. Er sah nichts mehr, was außerhalb seiner Armlänge war. Dichter Nebel hatte ihn umhüllt. Doch immer noch lief er tapfer weiter, bis das Ereignis eintraf, das er befürchtet hatte. Donnergrollen.
Doch es war kein Gewitter, sondern eine riesige Lawine, die sich vom Hang gelöst hatte und direkt auf ihn zukam. Er spürte, wie der Boden unter seinen Füssen bebte. Er sah noch eine verschwommene weiße Masse, die auf ihn zukam, und im nächsten Moment war er unter dem Schnee begraben. In solchen Fällen dachte er an seinen Lieblingssatz: So endet es also.
Er fror. Jegliche Orientierung hatte er verloren. Die Schneemaße war erdrückend. Etwas begann in ihm zu wachsen: Panik. Wo er doch sonst nie die Beherrschung verlor. Bevor er in Ohnmacht fiel, spürte er noch, wie ihn etwas im Nacken packte. Kalte Angst überkam ihn. Dann verlor er das Bewusstsein und versank in tiefer Finsternis.
Es war wohl nicht Zufall, dass er den Namen seines Vaters bekam. Und war es Zufall, dass sein Vater das Gleiche hatte durchleben müssen? Lag das in der Familie?
Der Elf wachte auf. Er war also nicht tot. Aber warum? Ihm war warm. Wo war er? Er schlug seine Augen auf. Alles war verschwommen. Der Bratspieß lag neben ihm. Er blinzelte. Falsch. Es war sein Bogen. Aber warum? Seine Arme wollten ihm nicht gehorchen, als er nach dem Bogen greifen wollte. Stöhnend wandte er sich um. Er blinzelte noch einmal. Eine Höhle kam zum Vorschein. Er sah nach draußen. Es war dunkel. Offenbar war es noch immer Nacht, oder war es wieder Nacht? Wie lange hat er geschlafen? Einen Tag? Zwei Tage? Auf diese Frage wusste er keine Antwort. Sein Blick wurde wieder klar. Er lag an einem Feuer. Und dahinter saß… ein Mensch!
Er sprang auf. Dabei tat ihm alles weh, und sofort sank er wieder auf das Bett zurück. Der Mensch kam um das Feuer zu ihm. Jetzt war alles verloren. Doch siehe da, der Mensch half ihm aufzustehen. Vorsichtig wagte er in der Menschensprache zu fragen:
»Du bist ein männlicher Mensch, oder?«
Diese Sprache war ihm gar nicht geläufig. Die Worte waren so roh. Und da er Jahre lang nichts gesagt hatte, fiel es ihm noch zusätzlich schwerer. Doch sofort bereute er, was er gesagt hatte. Der Mensch war offenkundig verärgert.
»Das heißt Mann, Elf«, entgegnete der Mensch.
»Ah. Ja«, versuchte er zu lügen.
Doch der Mensch kaufte ihm das nicht ab. Wollte dies aber nicht offen zeigen und sagte stattdessen: »Wieso bist du hier?«
Der Elf schien verwirrt, dass man ihn so etwas fragte.
»Weil du mich…«
»Nein«, unterbrach ihn der Mensch. »Warum bist du auf diesen Berg gekommen?«
»Weil meine Wanderschaft mich hierhergebracht hat.« So etwas ist doch offensichtlich, dachte der Elf.
»Dann bist du also einer von denen, die auf der Suche nach ihrem Volk sind«, schlussfolgerte nun der Mensch.
»Ja«, antwortete der Elf ganz langsam. Er war sich nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich war der Mensch selbst ein Elf, der sein Aussehen zu einem Menschen verändert hatte.
»Dann will ich dir meinen Namen verraten. Ich bin Arok.«
Der Elf schien zuerst ein wenig erstaunt. Dieser Name war doch irgendwo in den Gedanken seiner Urväter aufgezeichnet. Sogleich entschied er jedoch, dass es wohl die Sitten der Menschen beleidigen würde, wenn er nicht auch seinen Namen nannte. Doch da war ein anderes Problem. Er hatte keinen.
»Ich habe keinen Namen«, sagte der Elf wahrheitsgemäß, während er betreten zu Boden sah. Dann hob er den Kopf und dachte, dass ein kleiner Mitleidfunke in Aroks Augen aufblitzte.
»Dann will ich dir einen geben. Er gehörte einem Elfen, der vor langer Zeit bei mir war, genau wie du. Er hieß Narî.«
Verwundert hielt der Elf inne. Dies war ein sehr machtvoller Name. Ein Teil von ihm ahnte bereits etwas, doch er brauchte mehr Sicherheit. Gerade als er die Frage aussprechen wollte, kam ihm Arok zuvor, so als hätte er seine Gedanken gelesen.
»Wenn du das meinst«, sagte Arok, »ja, er war dein Vater. Ich habe ihn gekannt, wir waren Freunde, doch der Drachenkrieg riss uns auseinander.«
Er war ein wenig schockiert, weil ein Mensch so viel über seinen Vater wusste. Und vor allem, woher wusste Arok, wer er war? Doch dann musste er schmunzeln. Es war wohl nicht Zufall, dass er den Namen seines Vaters bekam. Und war es Zufall, dass sein Vater das Gleiche hatte durchleben müssen? Lag das in der Familie? Es graute ihm jetzt schon davor, wenn er sich vorstellte, wie er selbst sein eigenes Kind aussetzen würde.
»Ich denke, du möchtest jetzt gern etwas essen und danach weiterschlafen, oder?«, fragte ihn der Mensch.
»Ja, gerne!« Er freute sich schon auf ein gutes Mahl und darauf, danach ein schönes Schläfchen zu halten.
Das Mahl war köstlich, auch wenn nicht allzu viel da war. Es gab lediglich ein bisschen Hirschfleisch, ein paar Früchte sowie Nüsse. Das Fleisch hatte der Mensch auf zwei Arten zubereitet. Die erste Hälfte hatte er auf dem Feuer gebraten - Es sah wunderschön saftig aus - und die andere Hälfte hatte er in einem Topf mit geschmolzenem Schnee darin und ein wenig Salz über dem Feuer schmoren lassen.
Während des Essens erklärte Arok ihm, dass Narî einmal ein großer Krieger gewesen war. Er hatte in den Drachenkriegen gekämpft und war damals als großer, ruhmreicher Held daraus hervorgegangen. Wenig später jedoch war Narî an dem Gift eines speziellen Drachens, des Giftkrallendrachens, gestorben. Diese hatten, entsprechend ihrem Namen, in ihren Krallen Giftdrüsen. Wenn sie einen mit den Krallen verletzten, kam das Drachengift in den Körper und löste diesen innerhalb von wenigen Tagen auf. So etwas war sehr schmerzhaft. Und weil der Körper sich lebendig auflöste, konnte er auch nicht geborgen oder bestattet werden.
Der Elf sah Arok mit entsetzen an, aß jedoch stillschweigend weiter.
Nachdem sich beide gesättigt hatten, schlurfte der Elf wieder zurück ins Bett und schlief noch einmal einen Tag durch. Am nächsten Morgen weckte Arok ihn.
»Es wird Zeit aufzustehen. Es ist ein wahrlich schöner Tag heute.«
Erfrischt stand der Elf auf, und ging zum Rand der Höhle. Sie lag weit unterhalb der Schneegrenze auf der anderen Seite des Berges, und deshalb gediehen hier auch Pflanzen und Kräuter. Kleine Eidechsen schossen über die Steine. Sie waren asch fahl und hatten schwarze Punkte auf der Haut, der jedoch eher ein Panzer war. Und jedes Mal, wenn sich ein Vogel ihnen näherte, explodierten die Punkte so heftig, dass der Vogel halb entstellt und der Stein unter den Echsen schwarz wurde. Deshalb auch die Farbe der Echsen. Wahrscheinlich währen sie grünlich, wenn man ihnen den Ruß abwischen würde.
Tatsächlich war es einigermaßen warm. Und obwohl die ersten Sonnenstrahlen erst über den Berg kamen, musste es schon bald Mittag sein. Die morgendliche Stille wurde nur von den Explosionen der Echsen und dem Gekreische der verbrannten Vögel unterbrochen. Er fragte sich, wie man sie wohl fangen könnte, ohne sich die Finger zu verbrennen.
Nach dem Frühstück und nachdem alles für die nächste Etappe der Reise bereitgemacht worden war, gab der Alte ihm einen Wink. Der Elf ging näher und rückte den Kopf ein wenig vor, um Arok besser zu verstehen.
»Nun ist die Zeit gekommen, mein Versprechen dir gegenüber zu erfüllen. Ich werde einen Zauber wirken und dir so deinen Namen geben. Doch dies könnte mich sehr erschöpfen. Wenn es so weit ist, dann geh und schaue nicht mehr zurück!«
Die Worte des Menschen behagten dem Elfen nicht. Und doch blieb er mit seinem Rucksack, vollgestopft mit Fleisch und dem Bogen, den er daran befestigt hatte, dort stehen, wo er war.
Arok sagte nun einen Satz in der Elfensprache.
»Tuum nomen est Nari.« Dein Name ist Nari.
Nari wollte sich bei ihm bedanken, doch etwas hielt ihn zurück. Die Worte des Alten. Und so machte sich Nari zum zweiten Mal auf den Weg. Doch diesmal mit einem sehr großen Geschenk. Einem Namen. Dem Namen seines Vaters. Und doch, ein innerer Drang bewegte ihn dazu, noch einmal zurückzusehen. Nari drehte sich auf dem Absatz um. Er sah gerade noch, wie Arok sich langsam umdrehte und gebückt in seiner Höhle verschwand. Wahrscheinlich würde keiner ihn jemals wiedersehen. Doch er hielt sich an die Worte des Menschen und lief tapfer weiter.
Nach etwas mehr als einer Stunde stand er am Rand eines riesigen Geröllfeldes. Verzweiflung ergriff ihn. Wie sollte er jemals hier heil hindurchkommen? Er würde sich alle Knochen brechen! Doch er musste den direkten Weg nehmen. Der Weg ringsherum hätte einen halben Tagesmarsch bedeutet. Der Abstieg war mühevoll. Die Steine waren lose, sodass einige wegrutschten und in die Tiefe kullerten. Mehrmals konnte er sich gerade noch vor dem Abstürzen retten, indem er sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit brachte. Doch so handelte er sich auch tiefe Kratzer ein.
Nari war schon in der Mitte des Geröllfeldes, als er Halt machen musste. Seine erschöpften Glieder würden ihn nicht mehr weit tragen. Er machte eine halbe Stunde Pause in dem Schatten eines großen Felsens. Die Mittagssonne brannte unerbittlich auf die steinerne Wüste herab. Die Hitze war fast nicht mehr auszuhalten, doch er musste weiter. Die Sonne hatte schon einen großen roten Fleck auf seine Arme gebrannt, und zweimal hätte er fast einen Hitzeschlag erlitten. Er hatte sich aber im letzten Moment noch retten können, indem er einen Kühlungszauber aussprach. Doch auch dies konnte er nicht immer anwenden, weil es ihn zusätzlich ermüdete.
Der Rand des Feldes war nicht mehr fern. Neue Hoffnung keimte in ihm auf. Er sah ein Waldgebiet unter sich. Und vor ihm eine Hügellandschaft. Nari rannte los. Er wollte so schnell wie möglich in den Wald kommen. Doch in seinem Eifer stürzte er. Die Erde kam immer näher. Es gab ein lautes Knacken, als er sich mit der Hand abstützen wollte. Krachend schlug er auf dem Boden auf. Sein Kopf traf einen Stein. Seine Sehkraft flackerte. Das Bild vor seinen Augen schwand. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können! So kurz vor der Erlösung von dieser Hitze. Sein Puls verlangsamte sich gefährlich. Vor seinen Augen wurde es grau. Die Dunkelheit kam immer näher. Der Tod schien persönlich zu ihm zu kommen. Er war nun so nah, dass er sich wie ein Nichts vor ihm auftat. Er fiel immer weiter in die Dunkelheit hinein. Sein Herz stand still. Noch halb hoffte er, dass es nur die Ohnmacht war und er wieder aufwachen würde. Doch nichts dergleichen geschah oder würde geschehen. Er spürte, wie sein Körper von ihm ging, kalt und steif wurde.
Jetzt half nur noch eine Verzweiflungstat. Mit letzter Mühe schaffte er es, einen spitzen Stein anzuheben und sich damit in die Haut zu ritzen. Doch weil er seinen Arm nicht mehr ganz unter Kontrolle hatte, rutschte er aus und verursachte einen tiefen Zickzackschnitt. Ein lautloser Schrei entfuhr seinen Lippen. Es tat weh, doch es half. Die Dunkelheit schwand, und sein Herz fing wieder an zu schlagen. Er rappelte sich auf. Ihm war schwindelig. Der Elf stolperte nun so schnell er konnte über die Steine, dem Wald entgegen. Beinahe wäre er noch einmal gestürzt. Ein Ast fing ihn auf. Keuchend lehnte er sich an den Baum.
Erst jetzt sah der Elf, dass er das Handgelenk gebrochen hatte. Sämtliche Knochen an seiner Hand waren gebrochen, und es blutete sehr stark. Mit den Worten »Vulnus est sana« sprangen seine Knochen wieder in ihre ursprüngliche Form, und die Haut schloss sich über den neu zusammengewachsenen Blutadern zusammen. Selbst die tiefe Zickzackwunde an seinem Arm verschwand, ohne eine Narbe zu hinterlassen. Andere Worte wendete er bei seinem Rücken an. Es war wie einen Kübel kaltes Wasser, das man ihm über den Rücken goss. Soweit geheilt, aber von den Zaubern mehr geschwächt, als beabsichtigt war, trat er schließlich unter die Bäume. Es war wundervoll kühl hier. Nichts verriet die Hitze, die jenseits dieses Waldes herrschte. Unter den Bäumen fühlte er sich wie zu Hause. Doch bevor er weitergehen konnte, musste er sich zuerst noch einen Lagerplatz suchen, wo er eine Nacht verbringen konnte.
Das Feuer war entzündet, und das frische Fleisch, das Arok ihm gegeben hatte, brutzelte darüber. Nur schon der Gedanke an den alten Mann war beklemmend. Wieso nur hatte er ihm einen Namen geben und dabei sein Leben riskieren müssen? War das noch mehr als nur ein Name? Solche Fragen konnte er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht beantworten. Er musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. Das Fleisch schmeckte, trotz den Erinnerungen an Arok, gut. So gut wie schon lange nicht mehr. Nach dem Essen packte er seine Sachen und legte den Bogen neben sich, sodass er ihn im Dunkeln blitzschnell greifen konnte. Den Rest legte er so zurecht, dass er am Morgen zügig aufbrechen konnte.
Durch die Äste sah er in den Nachthimmel hoch. Es war eine klare Nacht. Die Sterne funkelten neben dem sichelförmigen Mond. Ihm wollten schon die Augen zufallen, als er ein Knacken im nahegelegenen Busch hörte. Seine Hand nahm den Bogen von Boden, doch er blieb weiterhin reglos liegen. Nur seine Muskeln spannten sich an, bereit, beim kleinsten Anzeichen von Gefahr aufzuspringen. Es knackte erneut. Dann kam etwas aus dem Gebüsch gehüpft. Es war nur ein Vogel. Sein Herzschlag beruhigte sich. In der Stille der Nacht und mit seinem geschärften Gehör musste ihm alles übernatürlich laut vorgekommen sein. Der Vogel flatterte mit einem schrillen Gezwitscher davon. Der Elf beobachtete wieder die Sterne, die über ihm schwebten. Er fühlte sich vollkommen wohl in seiner Haut.
Schließlich übermannte ihn der Schlaf und mit einem Lächeln auf den Lippen schlief er ein.