Das verschwundene Haus - Karl Ettlinger - E-Book

Das verschwundene Haus E-Book

Karl Ettlinger

4,9

Beschreibung

Erstmals seit den 1920er Jahren neu aufgelegt: In »Das verschwundene Haus – oder: Der Maharadscha von Breckendorf« erzählt der deutsch-jüdische Journalist und Schriftsteller Karl Ettlinger mit Humor und satirischem Scharfsinn eine provinzielle Kriminalgeschichte mit internationalem Flair. Eduard Bohnkraut – ein gutmütiger Polterer mit Bärenstimme und Inhaber eine Schnapskneipe in Philadelphia – kehrt nach zwanzig Jahren in den USA in seine alte Heimat zurück: Dank der guten Luft ist das verschlafene Breckendorf im Harz inzwischen zu einer Großstadt mit Kurbetrieb avanciert – mit edlen Hotels, eigenem Theater und Gästen aus aller Welt. Bohnkraut möchte in das Haus seines verstorbenen Vaters einziehen, doch anstelle der »Villa Sonnenstrahl« erwartet ihn eine leere Baugrube. Und der Rechtsanwalt »Meier III«, der Bohnkraut brieflich über das Erbe informiert hat, ist in der Stadt noch nie gesehen worden. Als bei einer Theaterpremiere mit Stromausfall neben vielen anderen auch der berühmteste aller Kurgäste – der Maharadscha von Bengusi – beklaut wird, deutet sich ein Zusammenhang mit Bohnkrauts verschwundenem Haus an: Die »Villa Sonnenstrahl«-Bande versetzt die Stadt in Ausnahmezustand. Amerika-Rückkehrer Bohnkraut hält die lokale Polizei für unfähig und ermittelt auf eigene Faust. Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel voller Überraschungen … In Zukunft werden bei www.krimischaetze.de regelmäßig weitere Titel erscheinen - überarbeitet, in neuer Rechtschreibung und mit erklärenden Fußnoten versehen. krimischaetze.de Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 182

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Karl Ettlinger

Das verschwundene Haus

Oder: Der Maharadscha von Breckendorf

Karl Ettlinger

Das verschwundene Haus

Oder: Der Maharadscha von Breckendorf

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] EV: Georg Müller, München, 1922 2. Auflage, ISBN 978-3-954185-33-7

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Über kri­mis­chaet­ze.de

Über den Au­tor

Über die­ses Buch

Han­deln­de Per­so­nen

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

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Der Drachen­teich

Fräu­lein Ban­dit

Die blaue Spur – Mau­ri­ce Wal­li­on er­mit­telt

Das ver­schwun­de­ne Haus

Der Tod im Ka­si­no

Der Mann vom Meer

Auf der Flucht

Die wei­ße Nel­ke

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Über krimischaetze.de

Kri­mi­nal­ro­ma­ne sind heut­zu­ta­ge er­folg­reich wie nie. Kri­mi-Klas­si­ker? Da den­ken die meis­ten so­fort an Aga­tha Chris­tie (1890-1976) oder Ed­gar Wal­lace (1875-1932). Tat­säch­lich ge­hör­ten die bri­ti­schen Au­to­ren zu den ers­ten, die in den »wil­den« 1920er Jah­ren ins Deut­sche über­setzt wur­den. Kri­mi-Fans ken­nen oft auch den Schwei­zer Fried­rich Glau­ser (1896-1938), den Na­mens­ge­ber des Glau­ser-Prei­ses -- eine der wich­tigs­ten Aus­zeich­nun­gen für deutsch­spra­chi­ge Kri­mi-Au­to­ren. Wie viel­fäl­tig die Kri­mi-Sze­ne in der Wei­ma­rer Re­pu­blik war, ist in der brei­ten Öf­fent­lich­keit je­doch voll­kom­men in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten. Für kri­mis­chaet­ze.de ha­ben sich Jür­gen Schul­ze, Ver­le­ger des Null Pa­pier-Ver­la­ges, und Se­bas­ti­an Brück, Au­tor und Jour­na­list, zu­sam­men­ge­tan, um alte Kri­mi-Best­sel­ler neu zu ent­de­cken und als E-Book ver­füg­bar zu ma­chen -- über­ar­bei­tet, in neu­er Recht­schrei­bung und mit er­klä­ren­den Fuß­no­ten ver­se­hen.

Das kri­mis­chaet­ze.de-Pro­gramm star­tet zu­nächst mit sechs Ti­teln -- so­wohl Über­set­zun­gen aus dem Eng­li­schen (S.S. Van Dine) und Schwe­di­schen (Ju­li­us Re­gis), als auch deutsch­spra­chi­ge Ori­gi­na­le: In je zwei Fäl­len er­mit­teln Phi­lo Van­ce, der »ame­ri­ka­ni­sche Sher­lock Hol­mes«, und Mau­ri­ce Wal­li­on, der »De­tek­tivre­por­ter« und »Ur­va­ter« von Stieg Lars­sons »Mil­le­ni­um«-Pro­tago­nist Mi­kael Blom­qvist. Eben­falls ver­tre­ten sind die ver­ges­se­nen Wer­ke zwei­er jü­di­scher Au­to­ren: Die in Bu­da­pest, Pa­ris und San Se­bas­tián spie­len­de Kri­mi­ko­mö­die »Fräu­lein Ban­dit« des Ös­ter­rei­chers Jo­seph Del­mont so­wie der hu­mor­vol­le Kri­mi­nal­ro­man »Das ver­schwun­de­ne Haus -- oder: Der Ma­ha­ra­dscha von Bre­cken­dorf« des Frank­fur­ters Karl Ett­lin­ger.

In Zu­kunft wer­den bei www.krimischaetze.de re­gel­mä­ßig wei­te­re Ti­tel er­schei­nen.

Über den Autor

Karl Ett­lin­ger, ge­bo­ren 1881 in Frank­furt am Main, stammt aus ei­ner jü­di­schen Kauf­manns­fa­mi­lie. Im Al­ter von 23 Jah­ren ver­öf­fent­lich­te er erst­mals Tex­te in der Mün­che­ner Wo­chen­zeit­schrift »Die Ju­gend«, bei der er kurz dar­auf vom Re­dak­ti­ons­se­kre­tär zum Re­dak­teur auf­steigt. Von pa­trio­ti­scher Be­geis­te­rung ge­trie­ben zieht er in den Ers­ten Welt­krieg, wo er 1916 schwer ver­wun­det wird. In die­ser Zeit ent­ste­hen »Karl­chens Kriegs­be­rich­te« -- sa­ti­ri­sche An­ek­do­ten, die eine Auf­la­ge von rund 150.000 Exem­pla­ren er­rei­chen. Das Pseud­onym »Karl­chen« be­hält Ett­lin­ger auch nach dem Krieg bei: Er geht mit ka­ba­ret­tis­ti­schen »Karl­chen­aben­den« auf Tour durch deut­sche Groß­städ­te und Ba­de­or­te.

Au­ßer­dem schreibt er meh­re­re Ge­dicht­bän­de so­wie No­vel­len und hu­mo­ris­ti­sche Ro­ma­ne.

Nach der Macht­über­nah­me durch die Na­zis er­hält er ab 1933 ers­te Ar­beits­ver­bo­te -- bis ihm kurz vor sei­nem Tod das Schrei­ben kom­plett ver­bo­ten wird. Zwi­schen­zeit­lich am Te­gern­see an­säs­sig, be­schließt Ett­lin­ger zu sei­nem Bru­der in die USA aus­zu­rei­sen. Vor­her -- im Mai 1939 -- wird er in Ber­lin an der Gal­le ope­riert und verstirbt da­bei an Herz­ver­sa­gen.

An sei­nem Grab auf dem Jü­di­schen Fried­hof in Frank­furt er­in­nert eine Ge­denk­plat­te an Karl Ett­lin­ger. An­fang der 1990er Jah­re wur­den ei­ni­ge sei­ner in Frank­fur­ter Mund­art ge­schrie­be­nen Ge­dich­te bei ei­nem Ver­lag neu her­aus­ge­ge­ben. Als Au­tor ist er au­ßer­halb sei­ner Hei­mat­stadt in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten.

Über dieses Buch

Erst­mals seit den 1920er Jah­ren neu auf­ge­legt: In »Das ver­schwun­de­ne Haus --oder: Der Ma­ha­ra­dscha von Bre­cken­dorf« er­zählt der deutsch-jü­di­sche Jour­na­list und Schrift­stel­ler Karl Ett­lin­ger mit Hu­mor und sa­ti­ri­schem Scharf­sinn eine pro­vin­zi­el­le Kri­mi­nal­ge­schich­te mit in­ter­na­tio­na­lem Flair.

Eduard Bohn­kraut -- ein gut­mü­ti­ger Pol­te­rer mit Bä­ren­stim­me und In­ha­ber eine Schnaps­knei­pe in Phil­adel­phia -- kehrt nach zwan­zig Jah­ren in den USA in sei­ne alte Hei­mat zu­rück: Dank der gu­ten Luft ist das ver­schla­fe­ne Bre­cken­dorf im Harz in­zwi­schen zu ei­ner Groß­stadt mit Kur­be­trieb avan­ciert -- mit ed­len Ho­tels, ei­ge­nem Thea­ter und Gäs­ten aus al­ler Welt. Bohn­kraut möch­te in das Haus sei­nes ver­stor­be­nen Va­ters ein­zie­hen, doch an­stel­le der »Vil­la Son­nen­strahl« er­war­tet ihn eine lee­re Bau­gru­be. Und der Rechts­an­walt »Mei­er III«, der Bohn­kraut brief­lich über das Erbe in­for­miert hat, ist in der Stadt noch nie ge­se­hen wor­den. Als bei ei­ner Thea­ter­pre­mie­re mit Strom­aus­fall ne­ben vie­len an­de­ren auch der be­rühm­tes­te al­ler Kur­gäs­te -- der Ma­ha­ra­dscha von Ben­gu­si -- be­klaut wird, deu­tet sich ein Zu­sam­men­hang mit Bohn­krauts ver­schwun­de­nem Haus an: Die »Vil­la Son­nen­strahl«-Ban­de ver­setzt die Stadt in Aus­nah­me­zu­stand. Ame­ri­ka-Rück­keh­rer Bohn­kraut hält die lo­ka­le Po­li­zei für un­fä­hig und er­mit­telt auf ei­ge­ne Faust. Es be­ginnt ein Katz-und-Maus-Spiel vol­ler Über­ra­schun­gen ...

Handelnde Personen

E­duard Bohn­kraut: Ame­ri­ka-Rück­keh­rer mit Bre­cken­dorf-Ver­gan­gen­heit

Po­li­zei­as­ses­sor Fun­ke: Er­mitt­ler im Fall von Eduard Bohn­krauts ver­schwun­de­nem Haus. Ist we­gen zahl­rei­cher Frau­en­ge­schich­ten von der Lan­des­haupt­stadt nach Bre­cken­dorf ver­setzt wor­den.

Mei­er III: Mys­te­ri­öser Rechts­an­walt, zu­stän­dig für das Erbe von Eduard Bohn­kraut.

Ajax: Fox­ter­ri­er von Mei­er III

A­de­le Can­tel­li: Berühm­te Tän­ze­rin und Sän­ge­rin.

Bür­ger­meis­ter / Po­li­zei­prä­si­dent / Kurdi­rek­tor: Sind vor­nehm­lich am gu­ten Ruf Bre­cken­dorfs als Ner­ven­kur­ort in­ter­es­siert -- kos­te es, was es wol­le.

Schutz­mann Win­kel: Ei­ner von Fun­kes As­sis­ten­ten

I.

Vor sech­zig Jah­ren noch war Bre­cken­dorf ein idyl­li­sches Nest, das nur we­ni­ge Harz­wan­de­rer auf­such­ten. Heu­te wid­men die Rei­sehand­bü­cher dem Ku­r­ort Bre­cken­dorf vier gan­ze Sei­ten. Häu­ser, die man ehe­dem pie­tät­los alte Ba­ra­cken nann­te, wer­den heu­te ob ih­res Bau­stils von den Kur­gäs­ten ehr­fürch­tig be­wun­dert, und vor dem Rat­haus wird den Schau­lus­ti­gen von den Frem­den­füh­rern mehr Ge­schei­tes vor­ge­schwätzt, als je in dem Rat­haus ge­re­det wur­de.

Der jet­zi­ge Bür­ger­meis­ter emp­fängt sei­ne Schutz­be­foh­le­nen nicht mehr in Hem­d­är­meln, er re­det sei­nen Schrei­ber nicht mehr mit »du« an und un­ter­bricht nicht mehr die Ge­mein­de­sit­zung, wenn sei­ne Kuh kalbt -- nein, heu­te ist der Herr Bür­ger­meis­ter ein wohl­fri­sier­ter, ju­ris­tisch ge­bil­de­ter Herr, der zu sei­nen Amts­stun­den in schwar­zem An­zug er­scheint, eine statt­li­che An­zahl Or­den be­sitzt und, je nach­dem es die Rat­haus­mehr­heit ver­langt, kon­ser­va­ti­ve, li­be­ra­le, streng kirch­li­che und frei­den­ke­ri­sche Re­den hal­ten kann.

Ja, Bre­cken­dorf ist Groß­stadt ge­wor­den. Sei­ne herr­li­che Lage in ei­nem der schöns­ten wal­di­gen Harz­tä­ler wur­de ihm zum Ver­häng­nis. Zu­erst sie­del­ten sich in Bre­cken­dorf nur ver­ein­zelt pen­sio­nier­te alte Her­ren an, harm­lo­se Ren­ten­fres­ser, die die Ruhe lieb­ten, und die hier vor über­mä­ßi­gen Aus­ga­ben si­cher wa­ren.

Die Urein­woh­ner be­trach­te­ten die­se An­kömm­lin­ge mit Gleich­gül­tig­keit, wa­ren wohl er­staunt, dass die­se Fremd­lin­ge sich Häu­ser ohne Kuh- und Schwei­ne­stäl­le bau­ten, küm­mer­ten sich aber mit der Duld­sam­keit der Land­be­woh­ner, die je­den nach sei­ner Fas­son när­risch wer­den las­sen, nicht wei­ter um sie. Der Bür­ger­meis­ter sorg­te da­für, dass die Zu­ge­zo­ge­nen pünkt­lich Steu­er­zet­tel be­ka­men, und be­schränk­te sich im Üb­ri­gen dar­auf, die Bau­ern zu be­leh­ren, dass es ihre va­ter­län­di­sche Pf­licht sei, den frem­den Herr­schaf­ten die Grund­stücke nicht zu bil­lig zu ver­kau­fen. Aber in die­ser Hin­sicht wa­ren die Bre­cken­dor­fer schon von selbst gute Pa­trio­ten ge­we­sen.

Es ent­stand am Hü­gel öst­lich des Dor­fes eine klei­ne Vil­len­ko­lo­nie mit schö­nen Gär­ten, mit be­hag­li­chen Häu­schen, auf de­ren Bal­ko­nen und Ve­ran­den bei gu­tem Wet­ter be­schlafrock­te Her­ren und ver­ein­zelt auch halb­fri­sier­te Frau­en ih­ren zur Ruhe ge­setz­ten Geist mit Kaf­fee­trin­ken und un­ge­fähr­li­cher Lek­tü­re ein­bal­sa­mier­ten. Ein an­ge­neh­mer Hauch von Pen­si­ons­be­rech­ti­gung lag über die­sem Vil­len­vier­tel. Na­men wie »Vil­la Son­nen­strahl«, »Mein Ru­he­plätz­chen«, »Land­haus Au­ro­ra« zeug­ten von der Fried­fer­tig­keit der Be­woh­ner.

An ei­nem der Gar­ten­git­ter prang­te al­ler­dings ein Schild »Vor dem Hun­de wird ge­warnt«, aber das hat­te der Be­sit­zer nur aus Pie­tät an­ge­bracht, --- der Hund war schon lan­ge vor der Über­sied­lung sei­nes Herrn nach Bre­cken­dorf ge­stor­ben.

So war Bre­cken­dorf eine lieb­li­che No­vel­le in dem großen Buch der Na­tur, bis es ihr lei­der er­ging, wie so man­cher an­de­ren un­schul­di­gen No­vel­le: Sie wur­de plötz­lich Mode. Ir­gend­ein spe­ku­la­tiv ver­an­lag­ter Mensch brach­te her­aus, dass die Luft von Bre­cken­dorf be­deu­tend mehr Stick­stoff ent­hal­te als die Luft des üb­ri­gen Kon­tin­ents, dass Stick­stoff das bes­te Heil­mit­tel ge­gen alle Krank­hei­ten sei, von der Cho­le­ra bis hin­ab zum Hüh­ne­r­au­ge, und er be­eil­te sich, die­se Ent­de­ckung in tau­sen­den von Bro­schü­ren und Zei­tungs­ar­ti­keln der Mensch­heit mit­zu­tei­len.

Dass die­ser Men­schen­freund kurz zu­vor fast den gan­zen Grund um Bre­cken­dorf auf­ge­kauft hat­te, war ein necki­scher Zu­fall.

Die Bau­ern­hö­fe mach­ten drei­stö­cki­gen Häu­sern Platz, Ho­tels schos­sen aus dem Bo­den, die Kirch­stra­ße wur­de in »Haupt­al­lee« um­ge­tauft, und wo frü­her die Kühe und Och­sen ge­lust­wan­delt hat­ten, pro­me­nier­ten als­bald ele­gan­te Her­ren und Da­men. Statt der Kuh­schwän­ze we­del­ten sei­de­ne Schlep­pen, statt der Hör­ner trug die neue Stra­ßen­be­völ­ke­rung Son­nen­schir­me, und statt »Muh« sag­te sie: »Herr­li­ches Wet­ter heu­te, nicht wahr? Oh, die­ser Stick­stoff!«

Die Ei­sen­bahn, die bis­her einen großen Bo­gen um Bre­cken­dorf ge­macht hat­te, gab ihre vor­neh­me Zu­rück­hal­tung auf, leg­te ein großes Ei in Ge­stalt ei­nes Bahn­hofs und ga­cker­te täg­lich drei­mal her­bei, um nach­zu­se­hen, ob das Ei noch da sei. Und je­des Mal leg­te sie da­bei ei­ni­ge Dut­zend Kur­gäs­te.

Ein Park wur­de an­ge­legt, Ra­sen­an­la­gen ge­schaf­fen, da­mit man ihr Be­tre­ten ver­bie­ten konn­te, ein paar Schwä­ne durf­ten sich auf dem Teich phi­lo­so­phi­schen Stu­di­en er­ge­ben, ein Kur­haus und ein Kur­thea­ter wur­den er­baut, eine Krie­ger-Ei­che wur­de ge­pflanzt. Goe­the, Schil­ler und der Lo­kal­poet Aloys Kat­zen­ber­ger be­ka­men ihr Pf­licht­denk­mal, auf die be­nach­bar­te Au­gus­ten­hö­he wur­de eine Draht­seil­bahn ge­hef­tet, an de­ren End­sta­ti­on man zu al­len Ta­ges­zei­ten kuh­war­me Milch, An­sichts­post­kar­ten und an­de­re Frem­den­nah­rung ha­ben konn­te -- kurz: Bre­cken­dorf mach­te sich.

Ge­schäfts­leu­te sie­del­ten sich an, eine An­den­ken­in­dus­trie er­blüh­te, Mo­de­ge­schäf­te ta­ten sich auf, ein schlau­er Kon­di­tor er­fand die al­lein-ech­ten Bre­cken­dor­fer Zucker­plätz­chen, ein Ge­lehr­ter schrieb die Ge­schich­te der Stadt, an­ge­fan­gen bei Ku­ni­bert dem Ein­äu­gi­gen, der dort die ers­te Sau ge­hü­tet hat­te, bis auf die Jetzt­zeit, die Ver­lo­bung ei­ner jun­gen Mil­li­ar­därin mach­te Bre­cken­dorf auch in Of­fi­zier­s­krei­sen be­rühmt, Frau Al­ber­ti­ne Frie­de­rich­sen, ge­bo­re­ne Mül­ler, er­rich­te­te ein Pen­sio­nat für die hö­he­ren Töch­ter bes­se­rer Krei­se, in dem man den gu­ten Ton und das schlech­te Kla­vier­spiel in al­len Le­bens­la­gen ler­nen konn­te, eine Ober­re­al­schu­le wur­de hin­ge­legt, und als gar eine Miss, die ih­ren letz­ten Atem­zug im Bre­cken­dor­fer Stick­stoff aus­ge­haucht hat­te, tes­ta­men­ta­risch den Bau ei­nes eng­li­schen Kirch­leins ge­stif­tet hat­te, war das Schick­sal des ehe­mals so idyl­li­schen Or­tes be­sie­gelt. Bre­cken­dorf wur­de Sitz der Pro­vin­zi­al­be­hör­den und da­mit end­gül­tig Groß­stadt.

Nur auf dem öst­li­chen Hü­gel blüh­te noch ein schwa­cher Ab­glanz frü­he­rer Be­hag­lich­keit, dort, wo die klei­nen Vil­len stan­den, und wo noch im­mer vor dem Hun­de ge­warnt wur­de.

Auf der Kur­pro­me­na­de vor dem Mu­sik­pa­vil­lon schwirr­ten alle Spra­chen des Erd­balls durch­ein­an­der, Toi­let­ten und Bril­lan­ten wur­den spa­zie­ren ge­führt. In der Hoch­sai­son stie­gen die Ho­tel­prei­se ins un­ge­mes­se­ne, und die Sou­bret­te1 des Kur­thea­ters spar­te in ei­ner ein­zi­gen Spiel­zeit vier­zig­tau­send Mark, ob­wohl ihr neu­es Ge­biss al­lein acht­hun­dert Mark ge­kos­tet hat­te.

Die Bre­cken­dor­fer wa­ren stolz auf die feu­da­len Na­men, die in der Kur­lis­te prang­ten. Ehr­furchts­voll be­staun­ten sie die rei­chen Ame­ri­ka­ner und Eng­län­der, weit ehr­furchts­vol­ler, als ihre wa­cke­ren Groß­vä­ter einen Prei­soch­sen be­wun­dert hat­ten, und mit scheu­er An­dacht flüs­ter­ten sie sich die an­ge­nom­me­nen Na­men der Fürst­lich­kei­ten zu, die in­ko­gni­to den Bre­cken­dor­fer Stick­stoff ein­at­me­ten. Eine die­ser Fürst­lich­kei­ten war so­gar echt.

Der höchs­te Stolz des groß­städ­ti­schen Ku­r­orts aber war der Ma­ha­ra­dscha von Bun­ge­si, der nun schon die zwei­te Sai­son hin­ter­ein­an­der in Bre­cken­dorf zu stick­stof­feln ge­ruh­te. Sei­ne brau­ne Haut­far­be und die Haut­far­be sei­nes zahl­rei­chen Ge­fol­ges mach­ten ein In­ko­gni­to un­mög­lich. Aber dar­auf leg­te die in­di­sche Ho­heit auch of­fen­bar gar kei­nen Wert; er mie­te­te ein gan­zes Stock­werk im Palast-Ho­tel, zahl­te fürst­lich, ließ sich nur von sei­nen Un­ter­ta­nen be­die­nen und küm­mer­te sich we­nig um das Auf­se­hen, das sein Er­schei­nen auf der Pro­me­na­de und im Kur­saal mach­te.

Von eu­ro­päi­schen Ein­rich­tun­gen schi­en er nur den Ko­gnak zu schät­zen, den er, wenn er gu­ter Lau­ne war, aus Was­ser­glä­sern trank. Ob dies eine in­di­sche Sit­te ist, wage ich nicht zu ent­schei­den. An den vier­zig­tau­send Mark Er­spar­nis­sen der Sou­bret­te war er durch­aus un­be­tei­ligt, wie er über­haupt dem als schö­ner ver­schrie­nen Ge­schlecht ge­gen­über eine ho­heits­vol­le In­ter­es­se­lo­sig­keit an den Tag leg­te.

Man mun­kel­te von ei­nem un­glück­li­chen Lie­bes­ro­man, den Sei­ne Ho­heit an den hei­li­gen Ge­sta­den des Gan­ges er­lit­ten habe und der den Ma­ha­ra­dscha nicht nur in den Au­gen der hö­he­ren Töch­ter des Frie­de­rich­sen­schen Pen­sio­nats noch in­ter­essan­ter mach­te, als es ein le­ben­di­ger Aus­län­der oh­ne­dies ist.

Wie der Lo­kal­schrift­lei­ter2 des »Bre­cken­dor­fer Ta­ge­blat­tes«, der Sei­ne Ho­heit zwei Tage nach dem ers­tem Ein­tref­fen in­ter­viewt hat­te, schrieb, »um­flor­te den ed­len Blick der me­lan­cho­li­sche Zug je­nes See­len­schmer­zes, der uns Men­schen­ken­nern von der Fe­der von den tau­send Wun­dern und Lei­den der tie­fen Lie­be so er­grei­fend zu kün­den weiß. Ja, lie­ber Le­ser, die­ser edle Fürst, ein Va­ter sei­nes Vol­kes, ach, er ist trotz sei­ner Ju­gend, trotz sei­ner Schön­heit, trotz sei­nes Reich­tums nicht glück­lich! Oh, dass mir die blu­mi­ge Spra­che der Dschun­geln, dass mir der glü­hen­de Hauch der Lo­tos­blu­me zur Ver­fü­gung stän­de, den er­schüt­tern­den Ein­druck zu schil­dern, den die­ser gü­ti­ge Herr­scher in mei­nem In­nern aus­lös­te!«

Lei­der stand dem Lo­kal­schrift­lei­ter kei­ne Lo­tos­blu­me, son­dern gott­lob nur an­dert­halb Zei­tungs­spal­ten zur Ver­fü­gung. Üb­ri­gens ge­lang ihm das große Wun­der, ein Lä­cheln aus die Lip­pen des sonst so erns­ten, ver­schlos­se­nen Aus­län­ders zu zau­bern, der nach Been­di­gung der Au­di­enz sich mit den Wor­ten an sei­nen Haus­hof­meis­ter wand­te: »Spre­chen die deut­schen Lo­kal­re­dak­teu­re alle ein so mi­se­ra­bles Eng­lisch?«

Ganz be­son­ders hat­te den Ma­ha­ra­dscha der Bür­ger­meis­ter in sein Herz ge­schlos­sen. Nicht nur, weil ihn die Ho­heit zu ei­nem Be­such in In­di­en ein­ge­la­den, ihm eine Ti­ger­jagd in Aus­sicht ge­stellt und ihm ver­spro­chen hat­te, er dür­fe den Ti­ger auf drei Me­ter Ent­fer­nung per­sön­lich er­schie­ßen -- eine Ehre, bei de­ren blo­ßer Er­wäh­nung den Bür­ger­meis­ter eine Gän­se­haut von Stopf­gans­gü­te über­rie­sel­te. Nein, die un­be­grenz­te Ver­eh­rung des Stad­t­ober­haup­tes für den brau­nen Fürs­ten hat­te noch eine an­de­re, ge­wich­ti­ge­re Ur­sa­che.

Kurz vor sei­ner letz­ten Abrei­se hat­te näm­lich der Ma­ha­ra­dscha den Bür­ger­meis­ter zu sich bit­ten las­sen, um ihm eine höchst pein­li­che Er­öff­nung zu ma­chen: Ihm war ein wert­vol­ler Per­len­schmuck ge­stoh­len wor­den.

Der Bür­ger­meis­ter war au­ßer sich. Wenn die­ser Dieb­stahl be­kannt wur­de, wel­che Schan­de für Bre­cken­dorf! Wie wür­de der Ruf des Ku­r­orts lei­den! Mit wel­chem Hohn, wel­cher Scha­den­freu­de wür­den alle Kon­kur­renz­bä­der den Fall auf­grei­fen und breit­tre­ten! Hat­te nicht erst neu­lich der schä­bi­ge Kur­arzt des be­nach­bar­ten Ba­de­orts3 Küm­mel­stadt in ei­nem Zei­tungs­ar­ti­kel be­haup­tet, der Stick­stoff­ge­halt der Bre­cken­dor­fer Luft habe sich um 0,07 Pro­zent ver­min­dert?

So­gar di­plo­ma­ti­sche Ver­wick­lun­gen mit In­di­en konn­ten ent­ste­hen.

Das Hemd des Bür­ger­meis­ters glich an Feuch­tig­keit ei­nem Prieß­nitz­schen Wi­ckel.4 Das war ja bei­na­he noch schlim­mer als eine Ti­ger­jagd. Mit ge­mes­se­nem Er­stau­nen sah der Ma­ha­ra­dscha die Verzweif­lung des Ge­wal­ti­gen. »Wes­halb regt sich mein wei­ßer Freund so auf?«, sprach er in sei­ner küh­len Art, die nie­mals eine in­ne­re Er­re­gung er­ra­ten ließ. »Wir in In­di­en ha­ben eine sehr ein­fa­che Art, Die­be zu ent­lar­ven.«

»Ho­heit wer­den mich durch je­den Wink glück­lich ma­chen ...«, stot­ter­te der Bür­ger­meis­ter und die­ner­te, als ob er mit der Nase ein Loch in den Tep­pich sto­ßen woll­te. »Ho­heit kön­nen über­zeugt sein, dass wir alle die Weis­heit In­diens zu schät­zen wis­sen. Al­les wird ge­sche­hen, was Ho­heit be­feh­len!«

Der Ma­ha­ra­dscha maß ihn einen Au­gen­blick mit sei­nen brau­nen Au­gen. Fei­er­lich hob er den rech­ten Arm und sprach: »Man las­se das ge­sam­te Ho­tel­per­so­nal so lan­ge mit ei­ser­nen Ket­ten peit­schen, bis sich der Dieb mel­det! So ma­che ich es in mei­ner son­ni­gen Hei­mat.«

Der Zy­lin­der ent­roll­te den zit­tern­den Hän­den des Bür­ger­meis­ters. Er wünsch­te dem Ma­ha­ra­dscha in die­ser Mi­nu­te sämt­li­che Bril­len­schlan­gen des Os­tens an den Hals.

Aber der Fall lös­te sich er­freu­li­cher, als er hof­fen konn­te. Sei es, dass der Ma­ha­ra­dscha Mit­leid mit ihm hat­te, sei es, dass bei sei­nen Reich­tü­mern eine Per­len­ket­te kei­ne Rol­le spiel­te -- der Fürst ver­zich­te­te auf die wei­te­re Ver­fol­gung des Fal­les, und die An­ge­le­gen­heit drang nicht in die Ohren der Öf­fent­lich­keit, de­ren Ohren an Grö­ße be­kannt­lich nur noch von ih­rem Mund­werk über­trof­fen wer­den.

Seit die­sem Tage galt der Ma­ha­ra­dscha dem Bür­ger­meis­ter als In­be­griff al­ler Fürs­ten­tu­gen­den. Er be­dau­er­te je­den Mor­gen von neu­em, nicht in In­di­en auf die Welt ge­kom­men zu sein, und er be­fahl dem Ka­pell­meis­ter des Ku­ror­che­s­ters, je­des Mal beim An­nä­hern des ho­hen Gas­tes die in­di­sche Na­tio­nal­hym­ne an­zu­stim­men.

Der Ka­pell­meis­ter, der die­ses Ton­stück in kei­nem deut­schen Mu­sik­ver­lag auf­trei­ben konn­te, kom­po­nier­te als­bald eine in­di­sche Na­tio­nal­hym­ne, und seit­dem hat Bre­cken­dorf sei­nen ei­ge­nen Ma­ha­ra­dscha-Marsch, in dem sehr viel große Trom­mel und Tri­an­gel vor­kommt und dem nie­mand mehr an­merkt, dass er ur­sprüng­lich aus dem »Ri­en­zi«5 stamm­te.

Und nun war zum drit­ten Mal der Be­such des Ma­ha­ra­dscha in Bre­cken­dorf an­ge­kün­digt.

Das ers­te Stock­werk des Palast-Ho­tels war für ihn be­legt, ein Teil sei­nes Ge­fol­ges war be­reits vor zwei Ta­gen ein­ge­trof­fen, um die nö­ti­gen Vor­be­rei­tun­gen zu tref­fen und für den ent­spre­chen­den Vor­rat an Ko­gnak zu sor­gen. Der Be­grü­ßungs­ar­ti­kel im »Ta­ge­blatt« war fer­tig­ge­setzt und harr­te des Au­gen­blicks, da er in die Druck­pres­se wan­dern durf­te, der Lo­kal­schrift­lei­ter träum­te schon von dem gel­ben Pa­pa­gei­or­den am grü­nen Strumpf­band oder ei­ner an­de­ren in­di­schen Aus­zeich­nung für treu ge­leis­te­te Zei­len­schin­de­rei, der weib­li­che Teil der Kur­gäs­te hat­te be­reits Un­sum­men fürs On­du­lie­ren6 aus­ge­ge­ben, und der Ka­pell­meis­ter des Ku­ror­che­s­ters hat­te schnell noch eine zwei­te Po­sau­nen­stim­me in sei­ne in­di­sche Na­tio­nal­hym­ne hin­ein­ge­schrie­ben -- al­les war zum Empfang be­reit.

Auf dem ab­ge­sperr­ten Bahn­steig stand der Bür­ger­meis­ter mit den Ab­ge­ord­ne­ten der Rechts­par­tei­en,7 alle in so ta­del­lo­sen Frä­cken, wie man sie sonst nur auf dem Stif­tungs­fest ei­ner Kell­ner­ver­ei­ni­gung zu se­hen be­kommt; er las schnell noch ein­mal sei­ne Be­grü­ßungs­re­de durch, de­ren Ma­nu­skript er im Zy­lin­der­bo­den ver­bor­gen hat­te.

Im War­te­saal hat­te die Kur­ka­pel­le Platz ge­nom­men, und der Di­ri­gent flüs­ter­te zum zehn­ten Male: »Also zu­erst ein Tusch, und dann die Hym­ne! Mey­er, den Tril­ler8 auf dem Des recht zart! Recht in­disch! Den­ken Sie da­bei an einen Ha­rem!«

Ob Sei­ner Ho­heit die­ser förm­li­che Empfang son­der­lich be­ha­gen wür­de? Ach, wer in der See­le ei­nes in­di­schen Fürs­ten zu le­sen ver­möch­te!

Dass er kei­nen Ex­tra­zug be­nutz­te, son­dern sich nur einen Wa­gen ers­ter Klas­se zu re­ser­vie­ren pfleg­te, wies ei­gent­lich auf jene vor­neh­me Sch­licht­heit hin, die man bei Fürst­lich­kei­ten häu­fi­ger an­trifft als bei Kom­mer­zi­en­rä­ten.9

»... Und so be­grü­ße ich denn Eure Ho­heit im Na­men der gan­zen Stadt Bre­cken­dorf mit tief­ge­fühl­ter Ver­eh­rung und mit dank­ba­rem Her­zen«, me­mo­rier­te der Bür­ger­meis­ter an sei­ner Rede, als plötz­lich ein Lo­ko­mo­tiv­p­fiff tön­te und der Zug sicht­bar wur­de.

Und ehe noch das Ehren­ko­mi­tee auf dem Bahn­steig sich mi­li­tä­risch aus­rich­ten und die Dame mit dem Blu­men­strauß ein ei­ser­nes Lä­cheln auf ihre Lip­pen­schmin­ke zau­bern konn­te, dampf­te der Zug in die Hal­le.

Ein un­ter­setz­ter, gut­ge­nähr­ter Herr, aus des­sen bär­ti­gem Ge­sicht die di­cke Stumpf­na­se her­vor­leuch­te­te wie eine Glüh­lam­pe aus ei­ner Tan­nen­gir­lan­de, sprang aus dem noch fah­ren­den Zug, fröh­lich eine alt­mo­di­sche, ge­strick­te Rei­se­ta­sche schwin­gend, und sah sich ver­blüfft um.

»Hal­lo, Boys!«, brüll­te er mit Bä­ren­stim­me. »Was ist denn hier los? Gro­ße Zy­lin­der­ver­samm­lung? Ehrt mich! Scheint ja ein ver­flucht fi­de­les Nest ge­wor­den zu sein, die olle Stick­stoff­plan­ta­ge!«

Ent­setzt eil­te der Bür­ger­meis­ter auf den ge­räusch­vol­len Frem­den zu, der den gan­zen Empfang zu stö­ren droh­te, und flüs­ter­te auf ihn ein: »Tre­ten Sie zur Sei­te, mein Herr, ... wir er­war­ten Sei­ne Ho­heit, den ...«

»Quatsch, Ho­heit!«, stieß ihn der Di­cke gut­mü­tig bei­sei­te. »Bin in mei­nen Au­gen eben­so hoch, wie die höchs­te Ho­heit! Kom­me aus dem frei­en Lan­de Ame­ri­ka und habe kein Ver­stehs­te­mich für eure Bauchtän­ze! Na, wer­det mich schon noch nä­her ken­nen­ler­nen, Kin­der. Bin näm­lich hier erb­li­cher Häu­ser­be­sit­zer! Eduard Bohn­kraut -- kannst dir den Na­men mer­ken, al­tes Frack­hemd!«

»Um Got­tes wil­len, der Ma­ha­ra­dscha kann je­den Au­gen­blick aus­stei­gen ... Ich bin der Bür­ger­meis­ter ... Ich bin ver­ant­wort­lich ...«

Eduard Bohn­kraut be­gann eine Art Won­ne-Two­step zu tan­zen.

»Ma­ha­ra­dscha!«, wie­her­te er. »Dach­te, die gib­t’s bloß im Kino! Was man nicht al­les auf sei­ne al­ten Tage zu be­gu­cken kriegt! -- Na, dann singt mal schön ›God save the Ma­ha­rad­scha‹, oder was Ihr euch sonst ein­stu­diert habt! Will nicht stö­ren. Schö­nen Gruß an den In­dia­ner­häupt­ling! Von Eduard Bohn­kraut! -- Good bye!« Und über­mü­tig sei­ne vor­sint­flut­li­che Rei­se­ta­sche jonglie­rend, dräng­te sich der un­an­ge­neh­me Mensch durch das Ko­mi­tee, stieß die Ehren­jung­frau bei­sei­te und ver­schwand lär­mend im Aus­gang.

Im sel­ben Au­gen­blick ent­stieg der hohe Gast dem Sa­lon­wa­gen, schritt fei­er­lich durch das spa­lier­bil­den­de Ge­fol­ge und blieb vor dem Bür­ger­meis­ter ste­hen, der sich nun end­lich sei­ne Be­grü­ßungs­re­de von der See­le wäl­zen konn­te. Die Kur­ka­pel­le stimm­te im rich­ti­gen Au­gen­blick den Tusch an, die Dame über­reich­te ih­ren Blu­men­strauß mit ei­nem Hof­knicks, der einen Ra­di­us von etwa zwei Me­tern auf­wies, die in­di­sche Hym­ne er­braus­te, Mey­er blies den Tril­ler auf dem Des wie eine Nach­ti­gall, und der Ma­ha­ra­dscha gab durch ein leich­tes Ni­cken des Kop­fes zu er­ken­nen, dass er an dem Empfang nichts We­sent­li­ches aus­zu­set­zen hat­te.

Es war doch recht güns­tig, dass der Ka­pell­meis­ter noch eine zwei­te Po­sau­nen­stim­me kom­po­niert hat­te, sonst hät­te der Streit, den Eduard Bohn­kraut in­zwi­schen in der Ge­päck­aus­ga­be be­gon­nen hat­te, das edle Mu­sik­stück über­tönt.

»Wün­sche den Kof­fer in mei­ne Vil­la, Hö­hen­stra­ße 74!«, brüll­te Eduard Bohn­kraut, denn eine an­de­re Ton­stär­ke schi­en er nicht zu ken­nen. »Schei­nen ja in mei­ner Hei­mat­stadt net­te Zu­stän­de ein­ge­ris­sen zu sein! Bit­te mir den­sel­ben Pro­zent­satz Re­spekt aus, wie eure Stick­stof­fels von Kur­gäs­ten! Ver­stan­den?«

Da­mit warf er dem Be­am­ten sei­nen Ge­päck­schein hin, schob sich vor das Por­tal des Bahn­hofs, steck­te zwei Fin­ger in den Mund, pfiff gel­lend ei­ner Drosch­ke und be­fahl: »Hö­hen­stra­ße 74, Vil­la Son­nen­strahl! Hopp, hopp, könn­ten schon dort sein!«

Weib­li­che Rol­le in Oper und Ope­ret­te  <<<

Lei­ter der Lo­kal­re­dak­ti­on  <<<

ge­meint: Ku­r­ort mit Ba­de­be­trieb  <<<

Eine An­wen­dung bei Er­kran­kun­gen: Ein Wi­ckel­tuch wird in kal­tes Was­ser ge­taucht und dann auf die zu be­han­deln­de Kör­per­stel­le ge­legt und mit tro­ckenen Woll­tü­chern be­legt. So ver­wan­delt sich die Käl­te in feuch­te Wär­me.  <<<

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die Haa­re mit ei­ner Brenn­sche­re wel­len  <<<

Das 1922 ver­öf­fent­lich­te Buch spielt in der Wei­ma­rer Re­pu­blik, dem­nach sind mit »Rechts­par­tei­en« wohl im wei­tes­ten Sin­ne die fol­gen­den ge­meint: Die ka­tho­lisch ge­präg­te und »Mit­te rechts« an­ge­sie­del­te Zen­trums­par­tei, die rechts­li­be­ra­le DVP (Deut­sche Volks­par­tei) so­wie die na­tio­na­lis­ti­sche DNVP (Deutschna­tio­na­le Volks­par­tei). Hin­zu ka­men noch ei­ni­ge klei­ne­re Sp­lit­ter­par­tei­en. Die ex­trem na­tio­na­lis­ti­sche NSDAP (Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deut­sche Ar­bei­ter­par­tei) spiel­te zu die­sem Zeit­punkt noch kei­ne Rol­le und war Ende 1923 bis An­fang 1925 reichs­weit ver­bo­ten.  <<<

Beim Tril­ler wer­den in schnel­lem Wech­sel der no­tier­te Haupt­ton und der dar­über lie­gen­de Ne­ben­ton ge­spielt.  <<<

Ein Ehren­ti­tel, der im Deut­schen Reich bis 1919 an Per­sön­lich­kei­ten aus der Wirt­schaft ver­lie­hen wur­de, und zwar nach er­heb­li­chen »Stif­tun­gen für das Ge­mein­wohl«. Die nächs­te Stu­fe war der »Ge­hei­me Kom­mer­zi­en­rat«, der den Ti­tel­trä­ger so­wie sei­ne Frau und sei­ne Töch­ter hof­fä­hig mach­te und ih­nen so­mit Zu­gang zu fürst­li­chen Ge­sell­schafts­krei­sen er­mög­lich­te.  <<<

II.

So einen ver­rück­ten Kerl hab’ ich in mei­nem gan­zen Le­ben noch nicht ge­fah­ren!«, knurr­te der Kut­scher vor sich hin, wäh­rend er müh­sam sein Ve­hi­kel durch die war­ten­de Men­ge steu­er­te. »Ein biss­chen ver­rückt sind ja un­se­re Kur­gäs­te all’, da­für sin­d’s Kur­gäs­te. Aber da hab’ ich, scheint’s, den Ober­hans­wurst er­wi­scht.«

Eduard Bohn­kraut lehn­te ho­heits­voll in der of­fe­nen Drosch­ke und grüß­te her­ab­las­send die Kur­gäs­te, die sich vor dem Bahn­hof und in der Haup­thal­le dräng­ten, um dem Ma­ha­ra­dscha und ih­rer Neu­gier zu hul­di­gen.