Das vierte Stadium - Ian Vandoor - E-Book

Das vierte Stadium E-Book

Ian Vandoor

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Beschreibung

Ein Thriller, der die Geschichte neu schreibt: Was wäre, wenn die Mauer nie gefallen wäre?
Im Jahr 1990 ist Herbert Jaspar, Hauptmann der Volkspolizei / Kriminalamt, frustriert. Wie der Rest der Republik hat auch er die Hoffnung auf Veränderung verloren. Statt des erwarteten Mauerfalls kam ein blutiges Fiasko. Keine Sektkorken, kein Konfetti, kein Jubel, keine Verbrüderung – die Wende ist ausgeblieben. Stillstand und Depression, ohnehin Teil des Lebens in der DDR, haben sich in ein lähmendes Phlegma verwandelt. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Bald könnte die repressive Agonie in Hass umschlagen. Jaspar wird in den Strudel dieser unruhigen Zeiten hineingezogen. Ein Routineauftrag entwickelt sich zum toxischen Himmelfahrtskommando. Wird er überleben? Kann er sich und die Menschen, die er liebt, retten? Und wird er die perfiden Machenschaften um ihn herum aufdecken oder selbst darin untergehen, wie so viele vor ihm?

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Seitenzahl: 802

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhaltsverzeichnis

Pressemitteilung vom 27.09.1990

28.09.1990

Sonnabend den 29.09.1990: Morgens

Nachmittag

Sonntag der 30.09.1990: Morgens

1 Oktober 1990

2 Oktober 1990

3 Oktober 1990

4 Oktober 1990

05. Oktober 1990: Freitag

06. Oktober 1990: Sonnabend

Sonntag 7.Oktober / Null Uhr 10 / Morgens

Sonntag 7. Oktober / Null Uhr 30

7 Oktober / Ein Uhr 30

7 Oktober / Vier Uhr 40

Montag: 8 Oktober

Mittwoch: 10.10. 1990

Donnerstag: 11 Oktober 1990

Freitag: 12. Oktober 1990

13.10.1990: Sonnabend

14. Oktober 1990: Sonntag

14 Oktober 1990: früher Morgen

März 1992

Pressemitteilung vom 27.09.1990

Der Volkskammersprecher Dietrich Schramm

gibt bekannt das die Notmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung mit Gültigkeit des 10 Oktober abgeschwächt werden. ….

hervorzuheben ist die Rücknahme des Kriegsrechtes und die Duldung größerer Menschen-Ansammlungen, des weiteren wird es ab dem 10 Oktober jeden DDR-Bürger gestattet , der den gesetzlichen Sondervereinbarungen zur Wahrung und Werterhaltung des Volkseigentums zustimmt, ins Ausland zureisen.

Überdies hat die oberste Bürgervertretung der DDR den Termin der Volkskammerwahlen festgesetzt.

Für den Termin zur Abstimmung wurde der 3 Februar 1991 gewählt

28.09.1990

Telegramm-artig kurz prägnant und aussagekräftig ist die wiederholte Botschaft aus dem Radio …. so wie die Entwicklung der letzten 12 Monate es war und ebenso die Reaktion des Staates auf selbige.....

„Das kann heikel werden“ raunt Peter vom Beifahrersitz.

Der junge Kollege hatte zweifellos recht … aber heikel ist wohl kaum die zutreffende Bezeichnung für das was auf die Sicherheitsorgane zurollte …. brisant! ....

Nein!... Kreuz gefährlich.... Ja , das ist wohl die zutreffende Umschreibung vergegenwärtigt man sich die ultra- repressive Reaktion des Staates auf die gesellschaftlichen Bewegung der vergangenen Monate.

Herbert fiel die Erinnerung nicht schwer... war es doch gerade mal ein Jahr her, als das geschah was in die Geschichte einging als der „Blutige Herbst“.

Wortlos schaltet Herbert das Radio aus und kappt das nervtötende Gedudel.

„Schade!... das war Gut!“ muckiert sich Peter verhalten.

Doch Herbert kennt kein Erbarmen, dieser neumodische Techno-Pop nervte ihn ungemein.... und überhaupt war sein Geist längst mit den verstörenden Rhythmen der Vergangenheit beschäftigt … unwillkürlich waren Bilder aus seiner Erinnerung vor dem geistigen Auge aufgetaucht, als er nur an den Euphemismus >Blutiger Herbst< dachte.

Der Staat ist seitdem gesellschaftlich gelähmt und alles unter fiel dem Kriegsrecht … da ist es für die Laune nicht förderlich, wird man zusätzlich noch von ätzenden Bässen durchgewalkt.

„Vergiss den Mist und konzentriere dich lieber auf die bevorstehende Aufgabe!“ leierte Herbert und will damit eigentlich den eigenen Gedankengängen den Riegel vorzuschieben.

„Und Traufstein hat gesagt, wir sollen da hinfahren?!“

Argwöhnt Peter missmutig.

>Ja!!... hat er... der Herr Oberst hat gebeten...sprich angeordnet … er solle mit dem Kollegen von der Kampftruppe dort hinfahren und , ihm den Gefallen erweisen, eine kleine Sonderermittlung durchzuführen.... ganz privat, versteht sich < Diese schmeichelnde wohlwollende Ergänzung schrill noch wie Alarmsirenen in seinen Ohren. >Ganz Privat!....Was bitte schön ist denn heutzutage noch privat?!.... < „Und?... Was wollen wir da!? .. Hat er wirklich verlangt ...“

„Ja!!... Peter!... hat er.. und nun ist gut...

Wenn Traufstein sagt fahr hin … dann fahr ich da hin!....

Also!... Schluss jetzt mit den Fragen!“ blubbert Herbert gereizt.

Der junge Mann, offiziell bewaffneter Beobachter und im Grunde genommen nichts weiter als das Zugeständnis an die latente Befürchtung der Bevölkerung die Sicherheitsorgane könnten ihre Vollmachten überschreiten, wollte nach Hause.

Warum auch nicht.... der Bursche war wie so viele Andere nach dem Blutigen Herbst arbeitslos geworden und hatte sich lieber freiwillig zur Kampftruppe der Werktätigen gemeldet, als zum verschärften Wehrdienst herangezogen zu werden.

„Peter!... deine Freundin wird dich ein paar Stunden entbehren können.“

beschwichtigt Herbert, wohl wissend das der junge Mann den gesamten Tag davon erzählt hatte, dass ihm endlich die Erlaubnis zugeteilt wurde nach der Ausgangssperre eine der organisierten Kunst- und Musikveranstaltungen der FDJ besuchen zu dürfen.

„Weißt du was Peter!... Wir machen es kurz ...Wir gehen dahin... fragen womit wir dienen können und entschuldigen uns dann mit der üblichen Ausrede, dass wir verpflichtet wären nach Ablauf von 12 Stunden unsere Waffen abzugeben.“

Jeder Bürger ist dahingehend informiert, dass die bewaffneten Zivilkräfte nach dieser 12 Stunden Frist die Dienstwaffen abzugeben haben, um, wie es hieß, den angemessenen Gebrauch, der zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung zur Verfügung gestellten Schusswaffen, sicher zustellen....

Hinter dieser rhetorischen Floskel verbarg sich lediglich eine staatliche Schutzbehauptung … wusste doch auch ein Jeder, dass, wollte ein Waffenberechtigter Straftaten begehen, dazu 12 Stunden ausreichen....

Außerdem.... Überstunden sind von dieser Regel ausgenommen und da praktisch alle Bediensteten einen 12 bis 13 Stunden- Tag leisten, konnte man, wie viele andere Regeln und Gebote auch, diese als Makulatur betrachten.

„Wir richten das schon so ein, dass du deinem Mädel mal wieder was bieten kannst“ schnauft Herbert versöhnlich..... womit er sich sogar nach Dienstanweisung richtete, laut der auf die Bedürfnisse der bewaffneten Beobachter einzugehen ist da,

jene aus der Mitte des Volkes stammen und die Stimmung der Selben reflektieren,

weshalb auch Herbert angehalten ist

die Einstellung des Einzelnen aufrechtzuerhalten...

man fürchtete wahrscheinlich eher einen Rückkopplungseffekt des Einzelnen auf die Volksseele … und gleichzeitig gewann man wie alt hergebracht Informationen …

Psychologische Kriegsführung nannte das Traufstein, ihr Chef der Sonderermittlungsgruppe der seit der >Machtergreifung< , wie Bürgerrechtsgruppen diffamierend die gesellschaftlichen Umbrüche verschrien, den Rang eines Oberst angenommen hatte.

Peter schnaufte ungehalten und stierte aus dem Seitenfenster , während die Hände wütend die Mpi im Schoss krampfen.

„Wir sind gleich da!“ beruhigt Herbert.

Der altersschwache Wartburg rappelt über die raue Asphaltpiste, der Motor und die Fahrgeräusche vereinen sich zu einer unverwechselbaren Melodie und schon bald taucht im spärlichen Scheinwerferlicht das Ortseingangsschild auf.

Abgelegen und versteckt ein gutes Stück abseits der Stadt befindet sich die Einfamilienhaussiedlung, mit darin verstreut stehenden Wohnblöcken aus den 60ziger Jahren.

Nur eine Straße führt in die Ansiedlung inmitten eines dichten Waldes der umringt wird von weiten Feldern.

Ein zaghaftes rot schimmerndes Licht schwenkt voraus im Dunkel und gebietet unmissverständlich zu Halten.

„OH!!.. Nein!... Die haben mir gerade noch gefehlt!!“ wettert Herbert im Flüsterton und reißt so Peter aus seiner Lethargie.

Ein Blick auf die nähergerückte Gruppe, welche die Straße blockiert, reicht aus um auch Peter einen Ausruf des Unwillen zu entlocken. „OCH!...

NÖ!!!.... Flintenweiber!“

Behäbig drosselt das Fahrzeug die Geschwindigkeit und rollt schließlich in der Mitte des Straßenposten aus.

Drei feldgrau uniformierte Frauen, mit Schiffchenmützen auf das militärisch gezüchtigte Haar gestülpt, stoppen das Auto und fordern vehement das Abblenden der Scheinwerfer.

Gespannt flankieren zwei der Soldatinnen das Fahrzeug und halten währenddessen ihre Maschinenpistolen, wie Handtaschen über der Schulter baumelnd, in Feuerbereitschaft.

„Abend!!... Kollege....Wo soll´s denn hinjeen, zu so später Stunde?!“ kräht die Postenführerin jovial durchs halb herab-gekurbelte Fahrerfenster und späht dabei bereits wie ein Habicht in den Innenraum.

Ihr Blick versteinert, als sie die Waffe in Peters Händen bemerkt.

„Ich bin Hauptmann Jaspar und das ist.....“

Alarmierend steif und hastig war die Postenführerin vom Fahrzeug abgerückt und gab ihren Militärhelferinnen ein Zeichen.

Noch während die Mündungen sich ausrichten plärrt die durch aus hübsche Postenführerin ins Auto „Mir Wurscht.. Fresse halten!!... Ick überzeug mir selbst davon wen ick vor mir hab!“

Aggressiv mit verzerrtem Antlitz fordert ihre scharfkantig gehobene Stimme schneidend „... Aus!!..wei!! ...se!!“

Herbert ist wenig beeindruckt … kommt aber gemächlich in langsamen Bewegungen der Forderung nach und reicht die Papiere hinaus.

>Immer schön ruhig... nicht die Stimme heben und offensives Verhalten vermeiden...< so befolgt Herbert artig die Richtlinien im Umgang mit paramilitärischen Sicherheitskräften.

Erst vor zwei Wochen hatte ein solcher Frauenposten einen Kollegen und seinen bewaffneten Beobachter durchsiebt, weil die Beiden sich dem Befehlston von Weibern nicht beugen wollten.... Konsequenz... zwei Tote...

und drei Belobigungen für die Posten.... so dämlich würde er nicht sein... die Frauen besoffen zu beschimpfen und Fäuste schwingend aus dem Auto zu klettern.

Herbert lächelte honigsüß und wich dem Augenkontakt der Frau nie aus.

„Is in Ornung … Verzeihen se Herr Hauptmann... aber diese Banditen tun uns die Arbeit schwer machen“ befleißigt sich die plötzlich Respekt sprühenden Postenführerin in Beschwichtigungspolitik.

„Schon jut!!... keeen Problem..“ posaunt Herbert einmütig.

Das Grundstück NR. 18 fand sich in einer gut ausgeleuchteten Seitenstraße im Außenring der Ortschaft.

Hohe Bäume flankieren die Grundstücksgrenzen und ein halb hoher Lattenzaun mit dahinter wachsenden Nadelbüschen verstellt wie ein Wall den Zugang.

Ein Flachbau mit weiß getünchter Garage nebenan zeichnet sich schemenhaft im dunklem Tief des Obstbaum übersäten Vorgarten ab.

Hek...z...lar.. liest Herbert schwerfällig vom Blechbriefkasten und presst den Klingelknopf sacht in das winzige fragil anmutende Plastikdreieck.

Ein Licht flammt nach einer Weile auf und erhellt eine Well-Asbestplatten gedecktes Vordach.

Heiser quietschend öffnet sich eine Tür..... im Halbdunkel sieht Herbert einen länglichen Schatten aus dem Haus schlüpfen.

Behäbig trottet die schlaksige hüfthohe Silhouette vor zur Gartenpforte.

Ein struppig grimmig anzusehender Wolfshund mit argwöhnisch seltsam resignierten Blick mustert die zwei Abendgäste vor dem Gartenzaun.

„Wer da!?“ ruft eine zittrige Stimme.

Herbert sieht deutlich den Schatten der Frau die dort neben der Haustür versteckt steht.

„Traufstein hat uns geschickt!“ raunt Herbert laut, während sein Blick umherschweift und die Straße sowie die Nachbargrundstücke auf Beobachter prüft.

„AHA... der Herr Oberst schickt Sie!“ erschallt die erleichterte Stimme worauf die Frau ins Licht der Tür tritt.

„Kommen Sie rein“ Herbert wagt nicht die Hand gen Gartenpforte zu recken, der Hund schien nur darauf zu lauern, und Hunde die nicht bellen waren ihm von je her suspekt.

„Verschwinde!... du Vieh oder ich blass dir ein paar Luftlöcher in den zotteligen Pelz“ zischt Peter den Lauf der Mpi wie einen verlängerten Finger durch die Latten der Pforte gesteckt.

„Lass die Kniffte im Auto … Peter!“ hetzt Herbert gepresst seicht schockiert.... doch der Struwwelpeter in Hundegestalt bleibt unbeeindruckt...

Ja... in herablassender Art gähnt der Köter und leckt kurz in fast liebevoller Weise wie an einer Eiskugel über die Mündung des Laufes.

„IHGITTT!!!... so ein Scheißvieh!!“ blubbert Peter und schüttelt den Lauf, als müsste er literweise Sabber aus dem Stahlrohr klecksen.

Herbert kann nicht anders, unwillkürlich muss er lächeln und empfindet Sympathie für den alten Streuner, der , da die Herrin nun schon zum dritten Male energisch nach ihm ruft, lediglich behäbig lustlos den Hundeschädel kehrt und belästigt auf das Begehren seiner Herrin schielt.

„Rolli!!!....Komm HER!“

Nur ein abfällig tönendes Schnaufen entrinnt dem Hund.

„Komm Rolli... lasse uns mal rein“ nuschelt Herbert sanft als rede er mit einem Kleinkind und streckt dem eigensinnigen Tier die Hand über den Gartenzaun entgegen.

Der Hund erinnerte Herbert ein wenig an Diogenes im Fass und seine Art die dargereichte Hand zu beschnuppern, nebenbei und desinteressiert, gab ihm recht.

Endlich bequemte sich Rolli, der Starrsinn auf vier Pfoten, zur Seite zu trotten und gewährte ihnen Einlass.

Herbert dürfte unberührt passieren aber Peter hatte es dem Tier offensichtlich angetan. Kaum das der junge Kollege das Tor durchschritt begann das Tier ganz körperlich zu wedeln.

„Hey lass das!! .. Geh weg .. Pfui!... Weg hab ich gesagt!.. Pfui Ihgitt... Nein!... Oh.. Och.. Och nö!!“ echauffiert sich Peter in besänftigenden Ton, während der Hund um seine Füße herum schawenzelt und versucht bei jedem Schritt einen der polierten Stiefel abzulecken.

„Der Hund liebt das Fett.“ konstatiert die ältere Frau , die Herbert vor der Haustür empfing und dem amüsierten Gesicht ihres Gastes mit einem kurzen gezwungen Lächeln entgegnet, dass wie ein Pflug durch die blasse Sorgenmiene “furcht“.

Während Peter noch ungelenk von permanenten Zungen-Schlägen verfolgt gen Haus stakt trat Herbert bereits ein.

„Die Schuhe stellen Sie besser dort rauf“ zeigte die Hausherrin auf das oberste Regal der Flurgarderobe.

Gereizt will Herbert das Ansinnen abschmettern … die Schuhe ausziehen!?!... im Dienst!?!...Unmöglich!...aber ein Blick auf die Garderobe ließ jede Opposition verstummen und veranlasste ihn sich demütig ohne Zeitverzug seiner Schuhe zu entledigen.

Peter musste erst gar nicht gebeten werden aus den feucht glänzenden Stiefeln zusteigen, aber auch er kam nicht umhin die zwei Uniformröcke in der Garderobe zu begutachten.

„Meine Fresse!... der Alte von Der ist Generalleutnant“ murmelt Peter ehrfürchtig Richtung Herbert, der argwöhnisch mit steifen Leib im Flur steht und in das nahe Wohnzimmer linst.

„Ja Peter .. ist er .. aber..“

„Darf ich ihnen etwas zu trinken anbieten?“ ruft die Hausherrin aus der Weite der Zimmer, doch als kenne sie den Einwand der nun unweigerlich zu folgen hatte schiebt sie nach „... keine Befürchtung .. nur ein Pils... das bleibt alles ganz privat“ Das erinnerte an Traufstein.... eine Ablehnung schien nun unmöglich.

„JA Bitte!“ bekennt Herbert eilfertig.

„Aber wir sind im Di....“

„Still...!!“ befiehlt Herbert und äugt Peter warnend an.

„Nimm deinen neuen Freund … das Bier... und verschließe Augen und Ohren... das hier!... ist ganz privat! … OK?!“

Der junge Mann schien sich wie ein Hund zu fühlen der widersprüchliche Signale empfing .. aber gleich dem Vier-Beiner zu seinen Füßen, der verliebt zu ihm empor schielt und sich um alles andere nicht scherte, winkt Peter resigniert ab und drängelt sich arglos an Herbert vorbei in die Wohnstube.

Der Wohnraum ist gediegen eingerichtet …

ein kanariengelbes Sofa, zwei gleichfarbig Augen schmerzende Sessel, eine VEB-Schrankwand und am Boden grau beige Auslegeware.

Die Wand an die das Sofa geschoben steht zierte eine Bildtapete... Motiv ist eine herbstliche Waldlandschaft in dunklen Farben … der Rest der Einrichtung folgte offenbar der selben Ambition die sichtlich darauf abzielte den Ruhe-bedürftigen in den Schlaf zu langweilen.

Das einzige Highlight ist der klobig graue Fernseher in riesigen Ausmaßen, der wirkt als sei die Ebenholz--farbende Schrankwand um ihn herum geleimt und gepresst worden.

„Mann!... ein Farbfernseher!“ raunt Peter verblüfft und giert sofort nach jedem der kolorierten Bilder, die über die Mattscheibe flimmern.

Herbert nimmt wenig Notiz vom Interieur , die Uniform in der Garderobe hatte ihn aufgeschreckt.

Endlich tritt die Hausherrin ein, drei Flaschenbier in den Händen.

„Sie trinken bestimmt aus der Flasche... junger Mann.

Ich kenne doch die rebellische Jugend“ säuselt die hörbar angetrunkene Kummergestalt und reicht Peter ohne weiteren Blick eine der bauchigen Pilsner-Flaschen.

Herbert nimmt artig das gereichte Glas samt Flasche, während er im Augenwinkel das Missfallen Peters beobachtet, der angewidert die Grünglas-Flasche begafft.

„Verzeihen Sie … wie heißen Sie doch gleich?!“

„Jaspar … Hauptmann Herbert Jaspar“

„AHA... JA … Verzeihen Sie … Ich bin etwas... wie sagt man , Ich stehe neben mir …!“

„Ihr Mann nehme ich an?“ fischt Herbert mit geschulten Instinkt im Trüben.

„JA!“ hustet die Dame verwundert „Traufstein hatte recht...

Sie sind der Richtige.... aber können wir nebenan...?“

„Kein Problem mein junger Freund ist versorgt“ Peter interessierte sich nicht für den Kram den die Alten zu bequaken hatten... im Fernseher lief Mc Gyver... in Farbe!!!...

und der Hund ließ sich anstandslos schluckweise das Bier einflössen.

Geheimnis um wittert ließ sich Herbert in den Nebenraum schieben.... eine Trennwand aus Eichendielen verschob den Zugang zum Arbeits- und Essraum.

„Verzeihen Sie ..“ entschuldigt sich die Frau zum dutzenden Male und büßt plötzlich den Rest ihrer Contenance ein... ihre straffe Körperhaltung sackt in sich, die Augen werden trüb, der Rücken buckelt und die Stimme versinkt in Schluchzen.

„Mein Mann ist weg!“ rückt die scheinbar um mehrere Zentimeter geschrumpfte Frau weinerlich mit der Sprache raus.

„Sie müssen ihn finden .. Bitte!!... Ich!... Allein!... In diesen unruhigen Zeiten... und an wen soll ich mich wenden?... die Freunde wollen entweder nichts mehr von uns wissen oder brüten über ihren eigenen Problemen …

wie Aussätzige wird man behandelt … Furchtbar!“

Herbert nickt beflissen, kann aber kein Mitleid aufbringen.

„Sie müssen ihn finden … Ich bitte Sie!!... Ich fürchte er wird sich in Schwierigkeiten bringen“ „Nun bleiben Sie mal ganz ruhig!“ flüstert Herbert fürsorglich, rang aber mit den Worten.... Was sollte er sagen?.... diese ehemaligen Parteibonzen waren in einem Großreinemachen alle geschasst worden.... das ging Ruck-Zuck...Heute SED morgen Ade-Ade … viele von denen waren von einen Tag auf den Nächsten zur Altlast geworden... und nicht wenige sind schlicht durchgedreht , haben sich das Leben genommen oder sind Amok gelaufen...

der überwiegende Teil aber hat sich resigniert in das Schicksal ergeben und hat begonnen zu saufen.

„Nun mal ganz ruhig Frau Hekzlar .. vielleicht...“

Herbert suchte nach dezenten Worten. „...vielleicht ist er nur bei einem Bekannten... Skat spielen.. ein Bier trinken … und über alte Zeiten plaudern“ „Nein...Nein!... nicht mein Eberhart .. außerdem ist er doch erst aus dem Urlaub gekommen“ „Urlaub!?!“ Herbert zog das Wort ungewöhnlich in die Länge.

Dieses Wort hatte er lange nicht mehr gehört... „Urrrlllaaaub!?!“

„JA!... Er war mit dem Faltboot unterwegs … zwei Wochen...

ganz Allein... nur er sein Zelt, das Boot und das Wasser.“

„War er irgendwelchem Stress ausgesetzt?“ hakt Herbert ungläubig nach und setzt das Bierglas zum finalen Schluck an.

„Na Ja der Umbruch hat ihn schon ein wenig genervt .. fast verstört .. aber wir haben ja immer nur gemacht was man uns gesagt hat … nicht wahr...“

Erneut kann Herbert nur nicken und zwar zur eigenen Beruhigung ….diesen Standartsatz hörte er stets, wenn es galt Verantwortung von sich zu schieben.

„Ihr Mann hat also noch seinen Posten!?“

Frau Hekzlar versteift und mustert ihn plötzlich überrascht.

„Verstehen Sie mich nicht falsch …“ erklärt sich Herbert „... die Uniform...

draußen in der Garderobe … ich meinte nur... viele der älteren Genossen wurden gegangen, wie es so schön heißt“ „Nein... Nein!“ wiegelt die Frau besänftigt ab „Mein Mann hat sogar gleich mehrere Termine … und das ist das Problem!...

wenn er da nicht auftaucht, könnte es heißen er wäre Fahnen-flüchtig... oder Schlimmeres.... und selbst wenn er sich nur eigenmächtig von der Truppe entfernt hat … Sie verstehen!?...die Akten lügen nicht“ Die Frau sprach in Klauseln... was gab es in Zeiten des Kriegsrechtes schlimmeres als Fahnenflucht... und eigen-mächtige Abwesenheit war unter diesen Bedingungen praktisch das Selbe... aber zu mindestens verstand er jetzt warum sich die Frau förmlich vor seinen Augen auflöste und unterdrückt Krampf geschüttelt zu weinen begann.

„Frau Hekzlar so beruhigen Sie sich doch!..

Aber was ich wissen muss … gab es einen Anlass...

irgendwelche Hinweise … auf ...“

>Ja auf was?.... Ideen gab es genug .. aber nur eine Lösung.... < „Er hat sich aufgeregt.... ganz furchtbar sogar!... Gestern!...

im Fernsehen lief eine Sendung zu den anberaumten Volkskammerwahlen …

darüber ist er fast explodiert … gebrüllt hat er .. die machen Alles kaputt...

solche Idioten... und vieles andere mehr … und dann... ist er einfach abgefahren... ohne ein Wort der Erklärung … nicht mal gemeldet hat er sich … obwohl er sich selbst auf seinen Bootsausflug die Zeit genommen hat wenigstens einmal am Tag anzurufen....“ versichert die Frau Tränen erstickt.

„....das... das … ist nicht seine Art … verstehen Sie doch!....

Ich habe Angst das er Dummheiten macht!“

Herbert stellte das leere Glas beiseite und blickte mitleidig missmutig auf das Häufchen Elend, dass sich vor ihm auf dem Stuhl wand und jämmerlich heult.

>Verflucht wenn Traufstein davon erfuhr wie taktvoll er vor-gegangen war und das seine Freundin, Frau Generalleutnant, geplärrt hat, würde er Wochenlang Strafdienst schieben … oder Schlimmer noch …

zur Reserve abkommandiert....<

„Wissen Sie was Frau Hekzlar ….Wir fahren jetzt ein bisschen durch die Gegend … vielleicht findet sich ihr Mann schon an der nächsten Ecke“ flüstert Herbert aufmunternd und reicht der Frau seine Hand.

Zähne knirschen, Augen rollen und verhalten ablehnendes Schnaufen sind Äußerungen der beiden Männer vorn im Auto, während Frau Hekzlar auf dem Rücksitz unaufhörlich schnattert und ihr Leid klagt.

Jaspar ist schlicht genervt, diese Frau redet und redet und erwähnt erst nach hartnäckigen Bohren und geduldigen Zwischenfragen, dass ihr Mann vielleicht in der Laube seiner Eltern sein könnte... der Vater sei zwar schon lange tot und die Mutter im Altersheim aber trotzdem hat er die Laube nie aufgeben wollen... erklärt Frau Hekzlar kopfschüttelnd.

Peter schaut mit Mördermiene hinüber zu Herbert und fängt dessen mimische Reaktion ein...

dünne Lippen, verbissene Zähne und ein verhärtetes Gesicht formen stumm Worte des Zorns.

Also fuhren sie durch die Stadt, um auf der anderen Seite wieder in Grüne zu gelangen.

Der holprige Weg führt vorbei an alten verwitterten Wehrmachtkasernen, die nun schon seit Dekaden von den Westtruppen der russischen Streitkräfte genutzt werden, über löchrige Kopfstein gepflasterte Straßen sanierungsbedürftige Schleusen-Anlagen und durch dichte Wälder fahren sie, bis endlich die abgelegene Bungalow-Siedlung im Nirgendwo erreicht ist.

>JWD< fiel Jaspar dazu nur ein, als er in die verdunkelt und verwinkelte Laubenkolonie einfuhr … >Janz Weit Draußen<...

ist das hier.... murmelt Herbert in sich und sucht im Scheinwerfer-kegel nach Allem und Nichts.

Ein Genex-Bungalow reiht sich neben das Nächste, halbhohe Zäune, dichte Hecken, Obstbäume, Gemüsebeete und ganz viel Gartenromantik warten hier darauf entdeckt zu werden... aber Herbert Jaspar war nie ein Freund von so viel heiler Welt gewesen.

Langsam schlingert er den Wartburg durch die engen Gassen bis sich Frau Hekzlar endlich zurecht fand und auf einer großen staubigen Piste, gesäumt von uralten Bäumen, das Grundstück ausmachte.

Behäbig lässt Jaspar den Wagen am Gartentor entlang ausrollen und wirft dabei ein Blick auf die Parzelle.

„Gott sei dank!!.. Das Auto steht da!“ ruft Frau Hekzlar erleichtert .

Dennoch irgendwas kam Jaspar absonderlich vor …

das Gartentor steht halb offen und im Bungalow leuchtet helles Licht...

ungewöhnlich … Nein!... aber sein Magen rumorte alarmiert.

„Bleib du hier!... Ich sehe mal nach...“ nuschelt Herbert angespannt, als er die Scheinwerfer und den Motor abschaltet.

„Nicht das ihr Gatte sich erschrickt … wenn Sie in Begleitung der Polizei...

Na Sie wissen schon was ich meine“ „Ja … gehen Sie“ murmelt Frau Hekzlar verständnisvoll eingeschüchtert, denn auch sie schien die ohmenhafte Stille und diese fast greifbar unheilvolle Atmosphäre zu spüren, die den gesamten Gartenkomplex finster einhüllt.

Mit undefinierbaren flauen Gefühl betritt Jaspar das Gartengrundstück, heiser quietscht das Tor unter seinem Griff und schreckt Herbert aus seiner Anspannung.... unerwartet ernüchtert murmelt er sich zu das wahrscheinlich gleich der Ehemann der alten “Plaudertasche“ aus der Laube gestürmt kommt, um zu erfahren wer sein Besitz betrat.... was würde der Alte wohl erst für ein Aufstand machen wenn er erfuhr das seine bessere Hälfe im Auto sitzt.

Der Lada Niva, ein halb hohes Geländewagen ähnliches Fahrzeug, steht in der Einfahrt, doch nur kurz ist der Blick den Jaspar verschwendet um den Wagen zu begutachten mit dem er privat liebäugelt.

Im Bungalow grellt hell gelbliches Licht...

ein Schatten wuselt hektisch umher …

durch das große Frontfenster der Terrasse kann er deutlich die Silhouette der Gestalt sehen die dort rumpelt und kramt.

„Hallo!.... Hallo?!“ meldet Jaspar seine Präsenz an, während er aufmerksam die Umrisse der Gestalt im Inneren betrachtet.

Kaum angerufen stockt die Betriebsamkeit und das Lärmen verstummt augenblicklich.

Unwillkürlich instinktiv zur Vorsicht gemahnt nährt sich Jaspar, herab gebeugt tastenden Schrittes im Schutze des Nacht finsteren Gartenbewuchses, der Terrasse.

Die Silhouette steht still … und als Herbert die knarrenden Dielen der Terrasse betritt verschwindet die Gestalt rasant.

Beklemmende Stille umfängt Jaspar und bedrückende Schwärze … sein Blick ist unverwandt durchs große Fenster gerichtet.... viel ist durch die dichte Gardine nicht zu erkennen , eine ausgediente Schrankwand im Stil der 50ziger Jahre , ein ausgezogenes Schlafsofa, ein verknäueltes Bettlaken , zerzauste Decken... „Hallo!?!“

Mehr eine höfliche Geste ist das argwöhnisch seichte Klopfen an der Holztür.

„Hier ist Hauptmann Jaspar von der Kripo...

Ihre Frau hat sich Sorgen gemacht!“ leiert er abwesend , die Sinne hinter die Tür ins Innere gerichtet.

Ein Knarren und heiseres Quietschen ertönt... Kleidung raschelt leise....

etwas huscht und tippelt hörbar auf feuchte pfropfender Sohle.

Umsichtig, neben die nach außen zu öffnende Tür gestellt, zieht Herbert die Klinke herabgedrückt langsam die Tür an sich Ein schmaler Lichtstreifen flutet ihm entgegen und eröffnet den Einblick in die Stube........

>Scheiße!!!!....< durchzuckt ihn ein Schreck heiß kalt und verhärtet die Bewegung... doch die Hand schiebt weiter die Tür am Kopf vorbei, als hätte das Bild des Grauens keinen Einfluss auf die einmal abgeforderte Handlung gerichtet an die Hand, welche zittrig die Türklinke krallt.

Ein Blick durch den schmalen Schlitz ins Innere genügte...

Wie auf einem Präsentierteller bot sich der Anblick dem erschrockenen Auge .... mitten in den winzigen Raum gestellt steht ein Tisch vollgeladen mit Papieren und mittendrin wie in ein Nest gebettet liegt der deformiert matschig triefende Schädel eines Mannes....

die Arme baumeln schlaff an den Seiten des weit vorn über gebeugten Körpers der kraftlos im Stuhl ruht.

Blut kleckert in dünnen Rinnsalen vom Tisch zu Boden …

in einer roten Lache und Blut getränkten Papieren liegt eine Pistole.

Hilflos mit gehetzten Atem reißt sich das Auge vom Grauen los und wendet sich intuitiv der Bewegung zu die er unterbewusst wahrnahm.

Im hinteren Bereich offenbar der Küche, die im Halbdunkel versenkt ist, regt sich etwas.

Rasant begreift Herbert das dort soeben eine Gestalt langsam durch ein Fenster ins Freie schlüpft.

„Stehen bleiben!!“ flüstert Jaspar erschrocken und schiebt nun geräuschvoll die Tür gänzlich auf .

Plötzlich scheint die Stille und Trägheit des Momentes gebrochen …

wie abgeschossen springt die robuste Gestalt aus dem rückwärtigen Fenster in den Garten.

Verfolgen... Stellen.... und Festnehmen.... die konditionierten Handlungen vollziehen sich fast ohne Emotion... rasant atemlos reißt Jaspar den Leib herum und jagt außen um die Laube.

Erst im Dunkel des Garten hinter dem Bungalow, als er anhält um sich im Finsteren zu orientieren und zu Horchen, begreift er sich wieder als Mensch.

Angst und Furcht wollen ihn nageln , doch im selben Moment erspäht er die Gestalt, die sich im Schatten eines Gewächses verborgen hatte und nun planvoll los sprintet.

Gleich einer Gazelle schnell und elegant springt der Schatten auf einen länglichen Haufen und überwindet, geschmeidig in einer seitwärts gewandten Sprungrolle, den Zaun zum nächsten Grundstück.

Jaspar ist sofort wieder Maschine … wie tausendfach an der Spalier-wand geübt überwindet auch er mit Leichtigkeit den Zaun und hetzt der Gestalt nach, die gleich einem Leistungssportler über Beete springt, Hecken und Bäume wie Pylone einer Hindernisstrecke um zirkelt und jede unerwartete Sperre auf dem Parcours mit Bravur nimmt als sei dies seine Natur.

Jaspar rennt wie noch nie.... endlich ist die Gestalt auf eine der engen Gassen ausgewichen und versucht nun im Sprint den Verfolger abzuschütteln.

Doch Jaspar ist ähnlich dem Gepard.... im Spring unschlagbar.

Rasch nähert er sich dem Mann im braunen GST- Sportdress, der gleichmäßig wie eine Lok schnauft und anders als Jaspar kaum ein Laufgeräusch produziert... während Herberts Schritte immer schwerer Auf trampeln und laut dröhnen.

Sein Atem hechelt und der weit aufgerissenen Mund speichelt feuchte Fetzen in den Rücken des Flüchtigen... der Bursche scheint Herberts ausgestreckte Greiferklaue zu spüren.

Als schalte der Kerl einen Gang hoch wird er schneller, biegt auf eine Landstraßen ein und entfernte sich allmählich.

Aufgeben ist für Jaspar keine Option, obwohl bereits die Sinne schwinden und das Bewusstsein nur noch von aufgestauten Druck und Atemnot beherrscht wird.

Plötzlich flammen vor den Beiden Scheinwerfer auf … ein Auto fährt hochtourig an und setzt sich mit schlingernd Heck in Bewegung.

Abrupt stoppt der Flüchtige und Herbert, nahe dem Zusammenbruch, taumelt in die unerwartet stehen gebliebene Fleischwand.

„Hey...Hey!!...weg mit dir Plattfuß!!“ zischt der Mann Jaspar wütend entgegen und wendet sich eruptiv.

Jaspar ist wie betäubt und kann dem Ellenbogen nichts entgegensetzten ..

lediglich instinktiv reißt er den Schädel samt strauchelnden Leib zur Seite …

doch der ausgeklinkte Rammstoß touchiert ihn heftig am Kopf.

Benommen das Blickfeld von einem weißen Licht, wie von einer Explosion, ausgeblendet stolpert Jaspar zur Seite und kommt im Rasenstreifen zum Stehen.

Schwindelnd Sinne zerren an ihm, durch wässrigen Schleier die Hände auf die Knie gestützt den krampfenden Leib voran gebeugt und gepresst hechelndem Atem sucht er nach dem Angreifer.... hinter sich sieht er ihn über den Acker jagen... und vor sich sieht Herbert das mit Aufblendlicht heran sausende Fahrzeug.

Grimmig … völlig außer Atem winkt Jaspar dem Auto und stellt sich auf die Straße... doch die Karre hält nicht an!....

Immer schneller prescht das Auto heran und hält nun auf Jaspar zu, der fassungslos unfähig zur Regung wie ein ertapptes Reh auf der Fahrbahn verharrt und auf das herbei wälzende Unheil sieht.

Hart und geschickt ist das Bremsmanöver.

Der weiße Lada stellt sich kurz schräg und schlenkert ohne gänzlich zum Stillstand zu gelangen mit dem Heck in entgegengesetzte Richtung, schert aus und zirkelt belanglos, wie um einen Pfeiler, an Herbert vorbei.

Von Staub und aufgewirbelten Dreck eingehüllt schielt Herbert dem Auto nach, dass ihn beinahe überrollt hatte.

„..zwei Typen saßen darin und das Nummernschild habe ich auch...“ murrt er geistig von der Situation abgehoben dem Fahrzeug hinterher , während sein Tränen verschleierter Blick Richtung des Ackers späht....

auch der Kerl ist weg!....

aber sein Gesicht hatte er sich eingeprägt.

Träge schleppt sich Jaspar zurück zum Garten der Hekzlar´s.

Kopfschmerzen quellen auf und die lädierte Augenbraue schwillt allmählich pochend an.

Nachdem er sich im Dunkeln mühevoll orientiert hatte fand er schließlich das Bungalow.

Abgekämpft stampft er in den finsteren Garten und trifft Peter vor der Laube.... in seinen Armen liegt Frau Hekzlar und schluchzt Krampf geschüttelt mit zittrigen Beinen in die Brust des jungen Mannes.

Peter ähnlich bleich und steif blickt orientierungslos in die Ferne und immer wieder auf den hell erleuchtete Eingang des Bungalows... die Tür steht weit offen und von Weitem bereits sind die eigenartig Angstreiz anstachelnden Umrisse des Tisches und Stuhles sowie die des reglos sitzen halb liegenden Körpers auszumachen.

Unangenehm erfrischt blüht Herberts Geist auf und schiebt die Rachegelüste beiseite.

„Peter!... bring Frau Hekzlar zum Wagen und ruf die Kollegen...

melde eine Suizid.... - Verdacht... und Einbruch“ leiert Jaspar gereizt den Blick unverwandt in die Laube gerichtet.

„Wie!?... Verdacht?... und Einbruch?“ haspelt Peter irritiert.

„Mache einfach was ich dir sage Peter!... Na LOS!!“ schnauzt Jaspar unwirsch und trottet tief durch geatmet in das Blickfeld zwischen Laube und das paralysiert drein grienende Duo.

Langsam nähert er sich dem Tatort... jedes mal, trat er solchen Fundorten entgegen, schaltete sein Bewusstsein um... einerseits überkam ihn dann intuitiv das Verlangen diese intime Erfahrung in Einsamkeit zu verleben, andererseits aber spürte er wie die Seele sich des Anblicks enthob und eine Barrikade emporzog.

Seltsam klar und emotionslos, frei und hoch konzentriert , abgelöst von Allem was plagt und zwickt zum teilnahmslosen Zuschauer erhöht betritt Herbert diesen Ort, wo das Bedürfnis nach Frieden und Geborgenheit sowie die Realität der menschlichen Existenz derart unvereinbar aufeinander prallen, dass unweigerlich alles in Hoffnungslosigkeit ertrank.

Aber sein Ich … ist unerreichbar....

„ Kein Anschluss unter dieser Nummer ...“ murmelt Herbert zynisch wie jedes Mal einem Ritual gleich, als er die Schwelle überschreitet und hinter sich die Tür heranzieht.

Die Leiche blendet er vorerst, soweit es denn möglich ist, aus, um die Einrichtung sorgfältig ins Visier zu nehmen.

Ein permanent leises Pochen nervt ihn... das Küchenfenster regt sich seicht im Windzug … mit ausladenden und prüfenden Tritt, als sei er ein Mikado-Stäbchen das nichts berühren dürfte, windet sich Jaspar hinüber in die Küche.

Das Fenster dürfte er nicht schließen aber wenigstens bestätigte sich seine Vermutung, dass das störende Geräusch wirklich vom Fenster verursacht wurde.

Um dann doch Etwas tun zu dürfen dreht er prophylaktisch den Wasserhahn über der Spüle fest... diese beinahe zwanghafte Handlung befördert seine Fähigkeit nun auch noch die vorhandenen akustischen Fäden in die reale Außenwelt zu kappen.

Abwesend hatte er bereits danach gefahndet, und es fand sich... ein feucht kühler Lappen der den aufstrebenden Schmerz über dem Auge lindert.

Ausgeblendet ist nun Alles was ablenkt und Jaspar fühlt sich nun in die Lage versetzt den Tatort eingehend zu betrachten.

Der Blick schweift ins grausige Zentrum des Raumes , der für Herbert nun jenseits von Gut und Böse und fern vom Hier und Jetzt zum dreidimensional erlebbaren Bild geworden ist , in welches er eintauchen wandeln und konstatieren dürfte und in dem Gedankengänge indifferent ausgerollt werden können.

Wie bereits auf den ersten Blick angenommen hatte sich die männliche Person, in etwa 60 Jahre alt, 90 Kilo schwer aber von kräftig bis sportlicher Statur, in den Kopf geschossen.

Die Eintrittwunde befindet sich hinter dem Ohr....

der deformiert aufgeplatzte Schädel liegt seitlich mit der massiven Austrittswunde im Wust der Papiere …der Mann hat gearbeitet....

Ein Glas halb voll klarer Flüssigkeit steht am Rand des Tisches …

teuer Markenwodka steht geöffnet auf einer Anrichte neben der Schrankwand … Apfelsinen und Bananen häufen sich in einer Schüssel aus Porzellan … eine Packung Kaffee westlicher Produktion und eine verschlossene Flasche feinstem Whiskey stehen wie zur Abholung neben der Schrankwand parat.

Der Tote hatte offenbar Besuch erwartet....

höchst-wahrscheinlich der Flüchtige... aber wieso war der abgehauen?

Panik?... Angst?... Was war der Zweck seines Besuchs?

Was der Grund für das Opfer, sich anscheinend derart spontan zu entscheiden gewaltsam aus dem Leben zu scheiden?

Unwillkürlich tritt Jaspar an die Leiche heran und beugt sich über die verstreuten Papiere.

Lärm dringt herbei.... verhalten sind markig schroffe Stimmen zu vernehmen... Schritte nähern sich schnell und reißen Jaspar aus seiner apathischen Versenkung...

>die Kollegen sind schon da!?< horcht Jaspar auf >das ging aber fix!<

Auf gemerkt hampelt Jaspar zur Tür und will soeben dem herbei geeilten Kollegen die Tür aufschieben, als jene mit Macht auffliegt und ein großer Mann herein stürmt.

Beinahe Nase an Nase stoppen Beide ihre Bewegung und stieren sich ein Moment lang verwirrt in die Augen.

Ein militärisch kurz geschorener Kopf, harte Gesichtszüge, grimmige Augen feinden Jaspar gereizt an.

„Sie sind WER!?!“ herrscht der Mann Herbert aggressiv in leise bissigen Ton an.

Der militärische Ton fordert sofort das konditionierte Abspulen von Namen und Dienstrang ab und das obwohl der große dynamisch kräftige Kerl vor Herbert wie er selbst in Zivilkleidung auftritt.... aber dieser lange Ledermantel löste Assoziationen von sofortiger körperlicher Züchtigung aus gehorchte man nicht umgehend dem imperativen Forderungen.

„Kripo?!... Jaspar?!... hört sich an wie Kaspar!...

Was haben SIE!!??...an meinem Tatort zu suchen!??“

>Wie?.... Was!?...< tausend Fragen wollen sich die Bahn brechen, aber artikulieren kann Herbert nur die Eine.

„Ihr Tatort???“

„JJJAAAA!!!“ brüllt der Mann aufgebracht und schubst Herbert grob vor sich her in den Raum.

Noch bevor Jaspar sich echauffieren kann blickt der Mann mit kantig schneidenden Adler- Blick einmal durch die Laube und bellt roh „Sichern!!“

Augenblicklich treten zwei ebenso martialisch wirkende Typen vor den Türeinlass und verstellen den Ausgang.

„Aber... Aber...“ brubbelt Jaspar verständnislos.

„Was denn!!! nun schon wieder!?“ würgt der autoritär auftretende Zivilist die aufkeimende Opposition ab.

„Sind Sie ein bisschen blöd oder Was!?... sehen Sie nicht das Sie meine Ermittlung stören!?“

„Ermittlung?!“

Der Mann grient Jaspar unverhohlen Grimassen besetzt an, als rede er mit einem Rindvieh und zeigt banal wirkend auf die Leiche.

Jetzt brodelt Herbert endlich auf „Wer sind Sie eigentlich das Sie es wagen so mit mir zu reden... das ist eine...“

„Fresse zu!!“ mufft ihn der Bursche belästigt fast beiläufig an.

„Ich bin ihnen keine Rechenschaft schuldig ….

aber um des lieben Friedens willen … Wir sind vom Amt...!... DAS!!...

ist jetzt Unsere Sache.... Verstanden?!“

Jaspar ist urplötzlich wie vor den Kopf geschlagen und verstummt augenblicklich.... vorsichtig steigt er einen Schritt zurück und weicht jedem der stechenden Blicke seines Tyrannen gleichen Gegenüber aus.

Es gibt nur eine Institution in diesem Land die sich derart kurz und knapp aber zwingen prägnant in der Konsequenz vorzustellen pflegte...

und es auch kann...!!

Verstört hastet Jaspar´s Augenfang durch den Raum immer versucht scheu dem Gegenüber auszuweichen … doch unerwartet karamboliert der Blick, festgefressen an einem Detail.

Langsam, als stünde ein Raubtier im Raum, wendet sich Herbert ab und kehrt dem Tatort den Rücken zu.

„...Das da!... ist Einer von Uns... und somit eine Angelegenheit von Uns!...“

erläutert der “Ledermantel“ diktatorisch herab-lassend in Widerspruch ablehnenden Befehlston.

Doch Jaspar nickt das neuerliche Ego erschütternde Herabwürdigen seiner Person lediglich einer Floskel gleich ab.

Vor der Schrankwand aufgebaut, dem Geschehen den Rücken zu gekehrt, fasst er sich er sich nur resigniert ungelenk an die Brust nickt erneut mehrfach und atmet schwer durch, bevor er sich zum Zeichen der bedingungslosen Kapitulation wieder wendet.

Dem bösen schielenden Blick des Anderen weicht Jaspar noch immer bewusst aus.

„WAS?!... wollen Sie etwa mit mir diskutieren!??“ schnaubt der Kerl aus der Hocke neben der Pistole am Boden niedergekniet.

Jaspar versteift zur Stahlrute, schwingt maschinenhaft verneinend das Haupt und signalisiert das er auf Anweisungen wartet.

Prompt erfüllt sich das nonverbal Abgeforderte.

„Los raus hier!... aber Dalli!!... ansonsten nehmen Wir Sie mit, so wie Den da!“ knurrt der Mann affektiert bösartig und weist Jaspar belästigt ab.

Mit hängendem Kopf die Gesichter der Begleiter ausgespart wird er von den zwei menschlichen Wachhunden zum Auto eskortiert.

„Bis Morgen Bericht schreiben und zur Aussage bereit halten“ verabschiedet man Jaspar lapidar und verstellt augenblicklich die Aussicht auf die Laube.

Kurz und wütend ist Herberts Schulterblick ins Auto...

„Wo ist Frau Hekzlar!?“

„Bei Denen...“ murmelt Peter eingeschüchtert.

„Na schön.... ein Problem weniger“ murrt Herbert genervt und gibt Vollgas.

Nur Minuten brauchen sie bis das Auto die Einfallstraße in die Stadt erreicht, wo Jaspar endlich den Zorn aus dem Gaspedal entlässt.

Nachdenklich ist die Frage an Herbert „Was waren das für Welche?“

Verstimmt mit einer Note Sarkasmus antwortet Herbert nur „Die sind vom Amt!“

„ Vom Aaammtt!?“ raunt Peter verständnislos als sei er von einem anderen Stern.

„Peter!!... lass gut sein!“ murmelt Jaspar resigniert und fasst sich währenddessen unter die Jacke, wo er das Foto befühlt, welches er heimlich aus dem Schrank entnommen hatte.

„Peter … Du willst wissen wer das war?“ raunt er geheimnisvoll und horcht auf das heisere neugierig ungeduldige Auf und Ab tönende Schnaufen vom Beifahrersitz.

„Stasi!... Peter... die Stasi!“

Es war spät geworden.... gegen 1 Uhr Morgens stampft Herbert die Treppen zu seiner Wohnung hoch.

Mit jeder Stufe schien er ein Wenig von dem Ballast des Berufes abzulegen um den geistigen Freiraum sofort mit den Problemen des Alltags zu füllen.

Als er oben vor der Wohnungstür steht überfällt ihn eine undefinierbare Furcht, die tief aus seinem Innerem aufblitzt.

>Hoffentlich schlafen die Kinder schon ... um diese Uhrzeit eigentlich selbstverständlich aber auch nur eigentlich!

Wer sollte zu Hause auch die Regeln durchsetzten, wenn selbst seine Frau mit sich und Allem im Konflikt stand... ER?!....

Nein!...für den Job hatte er keine Kraft mehr... jeden Abend kam er zu meist erst gegen 9 oder 10 Uhr nach Hause und Morgens gegen 7 Uhr ging er wieder … und das 6 Tage die Woche und nicht selten auch Sonntags... so ist das eben .. das Verbrechen schläft nicht und kennt kein Wochenende<.

Vorsichtig öffnet er die Wohnungstür und sieht sofort seine Hoffnung enttäuscht... durch die wellig dicke Glasscheibe der Wohnzimmertür flackern schemenhaft Lichtfetzen in den Flur.

Leise entkleidet sich Herbert und streift so auch das letzte bisschen staatliche Autorität von sich, denn hier im Hause Jaspar wehte ….

„...der Wind der Konterrevolution...“

Dieser Kommentar scharf und an Hetze kaum zu überbieten fauchte ihm entgegen, als er die Wohnzimmertür aufschob.

„AHA...Herbert komm rein ...“

„Ja Papa ...komm setze dich und sieh dir das an!“

Herbert fühlte sich wie ein Gast.

Seine Frau sitzt mit der Tochter vor dem Fernseher und beide schauten einen …“Feind-Sender“!!...

Ihm ist es wurscht... aber was die Beiden jetzt für eine Sendung sehen grenzte schon an Zersetzung... doch... jede Auflehnung oder Argumentation Betreff seines langen Arbeitstages, das er geistig Abschalten und lieber Sissi im rosaroten Himmel sehen wolle, als das da, würden in eine Krawall-artige Diskussion münden... speziell mit seiner Tochter, die ihm bereits einmal vorgeworfen hatte nur ein Büttel des roten Faschismus zu sein .

Ja genau das hatte sie gesagt.... fast hätte er der vorlauten Göre eine gedonnert … aber das hätte ihm mehr weh getan, als ihr und ihren Standpunkt noch gefestigt...

außerdem wer wusste schon genau wofür er sich krumm machte.

Die Worte Frau Hekzlar´s kamen ihn in den Sinn...

> Wir machen immer nur was uns gesagt wird<.... und so ist es auch in diesem Fall … gelassen setzt sich Herbert auf die Couch in die Mitte zwischen Frau und Tochter.

Die Sendung ist berüchtigt und auf dem Revier ständig Thema bei den wöchentlichen Besprechungen zur politischen Lage...

bei diesen Veranstaltungen sollten den Ermittlern Argumente an die Hand geben werden, um dem unseligen Verlangen der Bürger nach politischer Diskussion mit Staats- und insbesondere Exekutiv-Organen etwas Vernunftbegabtes entgegen zusetzten, statt immer nur des Gummi-Knüppels oder hilflosen Stottern.

“Volk unter Waffen“ nennt sich die Sendung ausgestrahlt vom Westdeutschen Fernsehen.

Der Titel kokettierte augenfällig mit der derzeitigen Realität, welche die Republik in Agonie zwingt, und ist eine unübersehbare Parallele auf die Demokratie des antiken Spartas, gemischt mit dem üblen Nachgeschmack preußischen Machtdenkens … zu dem stellte der Titel noch einen zynischen Seitenhieb auf eine der legendären propagandistischen Frontalangriffe des “schwarzen Kanal“ da.

In einer der letzten Ausstrahlungen bevor die Sendung eingestellt wurde verglichen die Macher des “schwarzen Kanal“ die Bürgerrechtsbewegung mit der französischen Revolution, die im blutigen Chaos und Terror mündete.

Jakobiner wurden in dieser Ausstrahlung die Rädelsführer der gegeißelten Konterrevolution genannt, die das Volk wider dem Arbeiter und Bauernstaat aufstacheln...

so hatten die sich ausgedrückt und sich selbst mal wieder der Lächerlichkeit preisgegeben.

Heute thematisierte, dieser Stachel im Fleisch der Volksseele wie der Trottel von der Polit-Aufklärung das Format im Alt backenden Stalin-Jargon nannte, die Herbsttage im Oktober des vergangenen Jahres … des Blut-Herbstes.

Halb angewidert halb fasziniert schaut Herbert mal auf die Mattscheibe mal neben sich … seine Frau Klara schien hin und weg und mit dem Fernsehbild verschmolzen.... seine Tochter ist ebenfalls in die Sendung vertieft, schüttelt ständig erschüttert oder zornig den Madonna-Look frisierten Kopf, knabbert an den Fingernägeln und verzieht entsprechend der schwarz weiß Emotion das Gesicht zu Grimassen.

Schon wieder plärrt einer dieser “Wasserprediger“ irgendwas von Konterrevolution, das war damals das Lieblingswort der kopflosen Polit-Prominenz … ständig ergingen die sich in Phrasen und stellte ein kecker Reporter eine der damals typisch brennenden Fragen, die Alle umtrieben, glaubte man eine Wiederholung von Boris Beckers Interview nach dem Gewinn des Wimbledon-Pokal zusehen.

Diesmal schwadronierte der ehemalige Minister für Staats-Sicherheit höchstselbst vor der Kamera über die unhaltbaren Zuständen, welche imperialistische Heils-Scharlatane instrumentalisierten um den Ungeist der Konterrevolution im Volk zu säen und aufzubrodeln.

Herbert musste genüsslich lächeln, “der Alte vom Berg“, wie er den Minister heimlich titulierte, ahnte da wohl nicht das er und seine gesamten Kumpels von der alten Garde schon Tage später unter Hausarrest gestellt werden …

und das im Auftrage der Kommission die nach Verhängung des Kriegsrechts Sondervollmachten ausübte und ihren Auftrag , Ordnung und Sicherheit sowie die politische Stabilität wieder herzustellen, konsequent und der Tagespolitik entsprechend nachkam.

Das ging runter wie Öl … das ganze Politbüro, alle Minister und vorsitzenden Bezirksleiter der SED sowie zahlreiche Staatssekretäre wurden ihrer Ämter enthoben und zur Aufrechterhaltung der eigenen Sicherheit in einem Objekt nördlich von Berlin zusammen gepfercht ….

Wandlitz oder so..aber so genau weiß das natürlich Niemand... resümiert Herbert.

Maschinengewehrfeuer reißt Herbert aus den Gedanken...

entsetzt krampft das Herz … da waren sie wieder, die Bilder des Oktober ...tausende Menschen die protestieren, die Straßen füllen und Parolen skandieren … und irgendwann inmitten des unüberschaubaren Durcheinander inmitten des Katz und Maus-Spiel der Sicherheitskräfte mit den Demonstranten und Schaulustigen verbreitet sich wie ein Virus von Mund zu Mund getragen das Gerücht.... Gorbatschow, zu Gast in Berlin, sei nach überstürzter Abreise mit dem Flugzeug verunglückt …

Wer diesen Unsinn verbreitet hatte, ist bis Heute unklar geblieben …

waren es Provokateure vom Staat oder Radikale aus dem Lager der Bürgerrechtsbewegung, keiner vermochte sich zu erinnern wie das Gerücht auflebte … denn war es doch genau diese Parole , welche die bisher noch verhaltene und akzeptable Proteststimmung kippen ließ zu Gunsten einer Gewaltlösung.

Alle Hoffnungen ruhten damals auf den KPDSU- Generalsekretär und das hatte die Masse Tage zuvor lautstark zum Ausdruck gebracht.

Nachdem das Gerücht kolportiert war gab es kein Halten mehr … Randale , erst vereinzelt, dann wie ein Flächenbrand weiteten sich von Berlin in jede Stadt der Republik aus.

Aus friedlichen Demonstrationen wurden Aufstände...

so zu mindestens bewerteten die Führenden die Lage.

Wie in einer Festung eingeschlossen war damals beinahe die gesamte Führungsriege im Palast der Republik zusammen gekommen, eigentlich um den Jahrestag der Staatsgründung zu feiern, stattdessen wütete nun rundum den Palast die desillusionierten und perspektivlosen Menschen, die ihrem Ärger endlich Luft und ihrer Wut freien Lauf lassen wollten.

Die ersten Schüsse fielen als eine Gruppe Hass-Verblendeter begann den Palast mit Pflastersteinen und Knüppeln zu attackieren und die Masse, angestachelt von zurück weichen der Sicherheitskräfte, den Palast stürmen wollte.

Chaos brach auf beiden Seiten aus … rasch brannten die ersten Autos und ein weiteres Gerücht, dass im Vorfeld des Demonstrationstages kursierte, bestätigte sich... die Menge wollte “grüne Leichen“.

Aber die Eskalation erfuhr seine eruptive landesweite Dynamik erst nachdem ein Zug von einigen Tausenden die Grenzanlagen nach Westberlin bestürmte.

Die Bilder die damals um die Welt gingen sahen sie jetzt. Feuergefechte der Grenztruppen mit Westberliner Polizei und alliierten Streitkräften.

Das Wachregiment, einzig stationierte reguläre Truppe in Ostberlin die über Kriegswaffen verfügte igelte sich im Brandenburger Tor ein und wehrte die Entlastungsangriffe von Westberliner Seite ab....

Alles ging drunter und drüber … und der Russe blieb in der Kaserne …

kein 17 Juni... stattdessen ein blutiges Inferno Haus gemachter Art.

Nur gut das bei Beginn der Auseinandersetzungen die Sicherheitskräfte, außer vor dem Palast der Republik, im Rückzug begriffen waren und so dem überwiegenden Teil der friedfertigen Demonstranten die Möglichkeit einräumte die Stadt zu verlassen oder schlicht nach Hause zu gehen.

Gegen Mitternacht konnten auf Grund dessen die Fronten schärfer abgegrenzt werden … und seit dieser Mitternacht herrschte das Kriegsrecht … alles was im Rückhalt bereitstand wurde gegen das rebellierende Volk mobilisiert … aber da wütete längst nicht mehr das Volk sondern der Mob der in Blutrausch verfallen den Umsturz versuchte...

jene die es einfach nur satt hatten weg zusehen zukneifen und sich bevormunden zulassen, die waren nach Hause gegangen um den Unmut gären zulassen.

Die Spirale der Gewalt war zwischenzeitlich derart in Turbulenz geraten das der Mob sich selbst der Möglichkeit versagte mit den Bürgern in Uniform zu diskutieren , die da aufmarschierten sie zu stoppen.

Wenn man einen Bruder mit Steinen und Hass empfängt , wird er sich seines Lebens erwehren...

simpelste Überlebensstrategie die im Resultat dazu führte das die Schützenpanzer und Eliteeinheiten erst die Grenzanlagen sicherten , um dann die Straßen leer zu fegen.

Wie viele Tote es gab ist bis Heute nicht sicher bestätigt...

nur die Zahl der getöteten Sicherheitskräfte ist gewiss...

108...ungeheuer viele … bedachte man deren Bewaffnung und Schlagkraft gegen teils wehrlose Demonstranten...

vergegenwärtigt man sich aber der Dimension und der flächendeckenden fast Pogrom-haften Stimmung im ganzen Land, konnte man zufrieden sein das nicht mehr staatliche Bauernopfer den Hass der Massen kühlen mussten.

Und Herbert wusste das dies genau den Nerv traf....denn mit dem gesamten Waffenarsenal des Polizeipräsidiums in Potsdam hatten sie sich in der Bauhofstraße verschanzt, während in ihrem Rücken das Untersuchungsgefängnis abfackelte.

Ähnliches spielte sich in der Innenstadt ab... die vom “Lindenhotel“ riefen jede Minute an und forderten Hände ringend Unterstützung …

aber keiner von ihnen dachte daran für die Stasi-Typen im Mfs-Knast vor die verrammelten Tore zu treten, wütenden Horden hätten sie einfach auf geknüpft....Vermutlich... und plötzlich...

ganz unerwartet ging die Lichter aus...

wie er später erfuhr im gesamten Land...

überall wurde der Strom abgeschaltet...

eine wie sich später ebenfalls herausstellen sollte völlig widersinnige Anordnung...denn ohne Strom und ohne Licht schien auch das letzte Band der Zivilisation gekappt und die Ausschreitungen nahmen anarchische Ausmaße an.

Herbert hatte genug …. genug gesehen und erlebt... genug für mehrere Menschenleben... erschöpft wendet er sich ab und schnauft „Ich gehe schlafen“ „Mach das ...“ ist die abwesende Bemerkung seiner Frau, die eher aus Höflichkeit den Kopf schwenkt.

„Was ist denn mit deinem Auge passiert?“ bemerkt sie endlich in entrücktem Ton und gegenwartsfremder Miene.

„Nichts Schatz.... ich bin nur hingefallen... schau du nur ruhig weiter“ wiegelt Herbert nüchtern ab und sofort wendet sich seine Frau wieder der, ohnehin nie aus dem Bann entlassenden, Sendung zu.

Flüchtig ist seine Gute-Nacht Kuss bevor er Richtung Schlafzimmer wankt, als habe ihn erneut die Gewalteskalation von Damals seelisch wie körperlich erschüttert.

Sonnabend den 29.09.1990 Morgens

Schläfrig gelangweilt sitzt Jaspar auf dem Flur, der keinerlei Bezugspunkte bereithält... wohin der Blick auch schweift nur kahle gelblich getünchte Mauer-Fluchten gebrochen von unscheinbaren Türen treiben den Geist zur Abkehr von der Gegenwart.

Unbewusst gleich einem Ritual nimmt er unperiodisch immer wieder den selbst verfassten Tagesbericht der gestrigen Vorfälle und blättert lustlos darin, um sie wieder neben sich auf den Stuhl zulegen.

>Was dauert denn da so lange!?< erneut horcht er auf die gedämpften Geräusche im Büro zu seiner Rechten.

Traufstein scheint noch immer zu telefonieren... Herbert konnte zwar nicht verstehen was gesprochen wird aber der monotone Klang der Stimme verriet das der Oberst noch an der Strippe hing. Das ruhelose Verlangen zu wissen wann die Wartezeit verstrichen ist, hat er schon wieder, ohne es bewusst zu erleben, den Grund für seine Vorladung in die Hand nehmen lassen.....

den Tagesbericht.

>Wer schreibt der bleibt< kam Jaspar unwillkürlich in den Sinn , als er sich in Erinnerung ruft das kaum die Schwelle zum Präsidium überschritten schon die Wache am Eingang eine Mitteilung für ihn bereithielt.

“Traufstein: Bericht fürs AfNS schreiben...

10 Uhr im Büro antreten“ lautete die kurze Botschaft, die trotz ihrer Knappheit das Potenzial in sich barg viele sehr viele konditionierte Handlungsmuster abzurufen.

Das Amt für Nationale Sicherheit forderte seinen Bericht an und Traufstein persönlich nahm den dann entgegen, was dem eigentlich banalen alltäglichem Vorgang eine Note von Brisanz verlieh.

Er hasste es wenn diese “Staatssicherheits- Fuzzy´s“ ihren Dienst beeinflussen... Schon immer!...., waren “Die“ erst mal mit von der Partie,...

degradierte das die normale Polizeiarbeit zum Botendienst,.... jegliche Priorität galt dann dem Exekutiv-Organ der Staatssicherheit, oder dem Amt für Nationale Sicherheit wie man jetzt diese “Horch und Guck Institution“ heute nannte.

Für Herbert würde es immer die Stasi bleiben .. außer dem Namen hatte sich schließlich nicht viel geändert …

Das Amt für NS, wie es auch gern zynisch genannt wird, war jetzt dem Innenministerium unterstellt und hatte seinen Status eines eigenständigen Ministeriums eingebüßt, aber im Grunde ist das nur Augenwischerei....

“Die“ machten noch immer was sie wollten und der Nimbus der Allgegenwart und Schild und das Schwert einer unzudringlich fernen Macht zu sein hing Denen noch immer an... Doch einen Unterschied gab es zu dem Benehmen der Jahre vor dem blutigen Herbst und dem Heute...

Jetzt in Zeiten des verhängten Kriegsrechts waren die Befugnisse und Vollmachten des AfNS- Clan´s ins Unüberschaubare gewachsen.

Früher richteten “Die“ sich wenigstens noch nach einigermaßen nachvollziehbare Regeln und an einen unausgesprochenen Kodex, nun aber schalteten und walteten “Die“ mit einer Weisungs-Transparenz, die an den “wilden Westen“ erinnert... wie eine Bande von Outlaw´s mit Marschall-Stern zogen “Die“ durch das Land und überall wo sie auftauchten stifteten sie zwar Sicherheit aber auf Kosten der inneren Ruhe eines Jeden, der sich, kaum waren “Die“ wieder weiter gezogen, mit offenen Fragen und Spekulationen der Institution konfrontiert und überflutet sah.

Jaspar horcht auf und wie ertappt legt er den Bericht aus den Händen...

jemand trabte die Treppe empor und schlurft auf den Flur...

>AHA!!< Peter ist es.

Ein ausgiebiges Gähnen begleitet Peter´s Eintritt in den langen Flur ….

müde und erschöpft trottet Peter herbei, schenkt Jaspar ein gefälliges Augenkneifen zum Gruß und gewährt abermals einen tiefen unverhüllten Einblick in seine Mundhöhle, um schlussendlich schwerfällig neben Herbert auf den Stuhl zu sinken.

„Na!... wohl gestern noch ein bisschen über die Stränge geschlagen?“

will Jaspar den “Maulfaulen“ neben sich aufmuntern .

Peter brummt nur unwirsch … aber Jaspar ließ nicht locker .

„Und?... wann bist du im Bett gewesen?“

„Drei“ ist die knurrige Antwort.

„Um Drei schon!?“ wundert sich Jaspar irritiert.... er hatte Peter gestern noch nach Hause gefahren, da war es kurz vor Null Uhr und zu diesem Zeitpunkt wollte der junge Mann noch zur Tanzveranstaltung.

„Was ist passiert?“ will Jaspar die gefühlte Diskrepanz ausloten.

„Was soll gewesen sein ...“ murmelt Peter mit tief röhrender Bassstimme „...

meine Freundin hatte keine Lust mehr zu tanzen und war schon wieder Heim gegangen, als ich nach Hause kam ...also bin ich allein hin“ Das erklärte einiges, aber noch nicht warum er schon so früh wieder zu Haus war.

„Und?... wie war´s?!“ forscht Jaspar nach.

Ungehaltenes Brummen gurgelt erschöpft „Toll... ganz doll!“ grollt Peter „.. um Eins bin ich da angekommen... die Lichter waren alle an die meisten Leute weg und der Plattenjockey hat Schlager aufgelegt...“

Peter hatte also das Beste verpasst und war zur Rausschmeißer-runde angekommen … konstatierte Jaspar mitfühlend.

„Und!… was hab ich gemacht?... aus Frust eine Druckbetankung vorgenommen, um dann Eine Stunde lang an der Bushaltestelle zu warten...

zusammen mit einem dutzend Alk-Opfern und FDJ-Funktionären die dämliche Witze gerissen haben... Weißt du eigentlich...

das ich vorher noch nie einen Toten gesehen habe...“

Die plötzliche Einlassung überrascht Jaspar.

Verständnisvoll brummt Jaspar „.das ist also des Pudels-Kern..“

>Seltsam...< hält Jaspar für sich peinlich gerührt fest ... der menschliche Aspekt dieser Erst-Begegnung seines jungen Kollegen ist an ihm vorbei gegangen … eigentlich logisch das so eine Tragödie nicht spurlos an Einem vorbei ging und im Nachhinein permanent beschäftigt …

aber er hatte im Laufe der Dienstjahre soviel gesehen das er es gewohnt ist so etwas zu verdrängen …

Peter aber ist ein junger unerfahrener und unverbrauchter Mensch...

den feindeten noch Zweifel und tiefe philosophische Gedanken an nachdem er den Tod gegenüberstand.

„Dein Bericht..?“ lenkt Jaspar ungeschickt abrupt vom Thema ab und schielt auf die Maschinen geschriebenen Blätter in Peter´s kraftlosen Fingern.

„Was hat du geschrieben!?“ will Jaspar unbedarft wissen, nur um den unangenehm mörderischen Graben, der sich zwischen ihnen aufgetan hatte, zu umgehen.

Peter leiert unerwartet Fakten und stereotype Sachverhalts-Erläuterungen wie standardisierte Blockbausteine und machte auf diese Weise Jaspar bewusst das dies nicht Peter´s Schilderung ist, sondern das vorgefertigte Urteil seines Führungsoffiziers.

Alle Angaben entsprechen objektiv dem Geschehen... aber es fehlt jede subjektive Note... persönliche Eindrücke und spekulative Ergänzungen sind ausgeklammert .. im Grunde ist das Geschehen in Peter´s Ausführung auf ein substanzlosen Kurzabriss reduziert.

Gegen 22 Uhr Ankunft in der Bungalowsiedlung... Blah Blah..

gegen 22 Uhr 5 Entdeckung des Toten... Blah Blah..gegen 22Uhr 15 Ankunft der Ermittlungskräfte...

mehr stand da nicht drin … alles Andere wurde schlicht ignoriert …

soviel zu den konditionierten Handlungsmustern .

Den Rest was die Ermittlungskräfte dann noch wissen möchten quetschen die dann schon noch aus einem heraus... schließlich brauchten bedeutsame Details nicht in die Akten der Kripo Eingang finden... so wurden alle gewonnenen Informationen Teil des Erkenntnis-Schatzes des Amtes und dieser dürfte nicht an untergeordnete Instanzen veräußert werden.

Das einzige Schwierige dabei ist das Ummänteln des verordneten Schweigens …

Wie sollte man einen Bericht schreiben in dem Nichts stand und der doch augenscheinlich darstellte , dass sie ihrer Pflicht nach gekommen waren?!...

Da halfen Chiffren, Formeln und Baustein-artige Standartsätze …

>Tja... Wer schreibt der bleibt … Wer redet der fliegt...< raunt Jaspar resigniert in sich.

Das leise Klinken der Tür zerstreut augenblicklich alle Introspektive.

Aufgeschreckt stieren beide auf den Türspalt und horchen.

Traufstein lässt bitten....

In Pose eines Dichter und Denker , den Ellenbogen aufgestützt das Kinn in die Handfläche gelegt , betrachtet der Oberst nachdenklich die zwei Untergebenen.

Wortlos mit betretenden Mienen legen Jaspar und Peter ihre Berichte vor und weichen absichtlich Traufstein´s schielenden Blicken aus.

Nachdem sich die Zwei auf den Plätze vor dem Schreibtisch niedergelassen haben und Traufstein Effekt heischend den Moment des peinlichen Schweigens genussvoll in die Länge gezogen hat scheint nun genug Spannung erzeugt um die Stimme zu erheben.

„Da sind Sie aber ganz schön in was reingeschlittert!“

Jaspar verschloss unwillkürlich die Augen … der erste Satz reicht aus um ihn aus der vollumfänglichen Wahrnehmung des Augenblickes zu entführen.... , denn das entwickelt sich offenbar ebenfalls zu so einem Standartgespräch das lediglich auslotet abgrenzt zur Konformität aufruft und die Linie der Behörde in Erinnerung ruft und verinnerlicht.

Im Grunde könnte Traufstein auch befehlen …

alles vergessen und weitermache…

aber leider sind Menschen in dieser Hinsicht Maschinen gegenüber Defizit behaftet.... was geschehen war ließ sich nicht löschen sondern nur relativieren und in einen banalen Kontext setzen , der es ermöglicht das Gewesene in seiner Bedeutung herabzusetzen um eine rasches Verdrängen zu generieren.

Traufstein erging sich in klein-lauter Beschwichtigungs-Rhetorik, bat , ebenfalls rhetorisch , um Verzeihung dar er sie in diese Situation gebracht hatte und versicherte im selben Atemzug das dies alles zwar tragisch, aber für die Kripo nicht von Belang sei.

Und um die Leute vom Amt bräuchten sie sich selbstverständlich keine Sorgen machen, die kochen auch nur mir Wasser und seien angeblich nur sauer weil schon wieder einer ihrer tragenden Personalien den Weg der eigenmächtigen Entlassung gewählt habe, statt die Öffentlichkeit wirksame Demütigung zu ertragen das dem ehemaligen Staatssicherheits-Tiger die Zähne und Krallen gezogen werden.

„Meine Herren ich danke ihnen für ihre Zeit und Aufmerksamkeit …

und seien Sie unbesorgt die vom Amt haben genug andere Sachen zu tun...

die werden Sie nicht groß belästigen … vielleicht geht die Sache sogar im alltäglichen Wahn unter … also keine Sorge das wird wie alles seinen sozialistischen Weg gehen...“ scherzt Traufstein zum Abschied.

Jaspar hatte wie Peter auch kein Wort gesprochen, erst vor dem Büro kommunizierten Beide wieder mit ihrer Umwelt.

Jaspar klopft Peter aufmunternd sacht auf den Rücken und Peter nickt gelangweilt.

Schweigend gingen Beide an ihr Tagwerk...

Peter dürfte für den Rest des Tages nach Hause zurück und Jaspar sollte endlich seinen “Papierkrieg“ im Büro gewinnen.

Erst als Herbert in sein Stockwerk getrottet war und vor seinem Büro stand löste sich allmählich die apathische Versenkung und Ärger quoll augenblicklich in ihm empor.

>Dieser Wichtigtuer Traufstein... keine Sorgen sollen sie sich machen!....

das hat er einmal zu oft gesagt....< die stetige Wiederholung förderte den Eindruck der Bedrohung noch....

Jetzt machte er sich wirklich Sorgen … denn mehr als nur ein Detail des gesamten Vorgang ließ ihn stutzen und verursachten das die Gedanken ständig zu diesem Thema zurückglitten.

Keine fünf Meter gegangen und Platz am überquellenden Schreibtisch genommen gärte der Ärger bereits über...

>Was dachten die sich... fahr mal dahin und mach mal das und zum Dank dafür das man auf die Fresse kriegt und in unverschämter Weise abgekanzelt wird , muss man sich noch einreden lassen, dass man sich Sorgen machen soll... als hätte er etwas falsch gemacht!!.. so eine Frechheit!..

Was ist er!?... ein unmündiger Bengel, den man herum schubsen kann? < Jegliche Lust auf Geradlinigkeit und Gehorsam verflossen endgültig, als sein Blick über den Papierberg vor sich wandert.

Der unwillkürliche Handgriff in die unterste Schreibtischschublade beruhigte....

Der Blick schweift nochmals argwöhnisch zur Tür...

Es ist kein ungebetener Gast zu erwarten und die Privatsphäre für einige Momente sicher.

Entspannt lässt sich Herbert in die Lehne zurück sacken und hebt das Foto vor sich.

Fünf Männer sind darauf abgebildet im dichten Schulterschluss sichtlich für das Bild in Position gestellt und bester Laune.

Alle sind mit den Uniform gleichen dunkel braunen Sportanzügen des Armee-Sport-Klub bekleidet .. im Hintergrund sind aufgestapelte Kanus zu sehen, eine ausgedehnte Wasserfläche und ein Freizeitheim.

Herbert ist sich ziemlich sicher dieses Foto wurde in der Umgebung von Potsdam aufgenommen … aber wo?...

Bootsanlegestellen und ASK Vereinsheime gibt es an den Ufern der Havel mehrere … der Blick auf die Rückseite des Fotos enthebt ihn einer langwierigen Suche …

Kollektiv gewinnt die Regatta

Caputh der 7. Juni 1987

Erfrischt japst Herbert und tippt auf den am linken Ende der Gruppe abgebildeten Männer „... dich krieg ich!...“ schnaubt er gereizt …

denn das ist er....

der Kerl der ihn ins Gesicht geschlagen hat, der abgehauen war, der ihn Plattfuß genannt hat.

Wenn er schon den Sandsack mimen soll und obendrein noch den armen Tölpel der alles ausbadet, dann wird es wohl erlaubt sein das eigene Gemüt etwas zu kühlen … nur weil dort draußen die latente Rebellion mit rigiden Mitteln der staatlichen Gewalt unterdrückt wird, heißt das noch lange nicht das er sich straflos niederschlagen und demütigen lassen muss und das nur weil sein Chef sagt das müsse so sein … das wäre nichts weiter als die Duldung behördlicher Entkräftung aller rechtsstaatlichen Prinzipien....

definiert Jaspar bauernschlau die gefühlte Widersprüchlichkeit und füllt sogleich die Lücke zwischen Gehorchen und Gewähren lassen mit einer Rechtfertigung eigener Interpretation von Recht und Ordnung .

Wenn die denn schon anarchisches Verhalten tolerieren und von ihm als gegeben zu akzeptieren abfordern, dann kann er auch im gleichen Denkmuster verhaftet eine weitere Form der Gesetzlosigkeit zelebrieren …

die Selbstjustiz.

Nachmittag

Es ist einer dieser sonnigen Herbsttage.... der bereits betagte September verabschiedet den Sommer, während frische Brisen bereits an den Kronen der Laubbäume rütteln.

Gemächlich zuckelt Jaspar in seinem Dienstfahrzeug über fast leere Straßen Richtung Präsidium.

Der Tag hatte nichts außergewöhnliches bereit gehalten … eigentlich nur das Übliche … ein Diebstahldelikt, eine Frau wurde an der Schleuse ihres Betriebs beim Verlassen der Arbeitsstelle routinemäßig aufgehalten durchsucht und mit Diebesgut gestellt, dann war da noch einem Verdacht auf Autoschieberei nach zugehen und einer Prügelei … eigentlich waren es zwei Vorfälle gewalttätiger Übergriffe aber der Urheber war der Selbe...