Das Vogeltribunal - Agnes Ravatn - E-Book
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Das Vogeltribunal E-Book

Agnes Ravatn

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Beschreibung

Die Dozentin Allis hat für eine Affäre alles aufs Spiel gesetzt –und verloren. Nun will sie nur noch möglichst weit weg von ihrem alten Leben und antwortet auf die Anzeige von Sigurd Bagge, der für den Sommer jemanden sucht, der ihm in Haus und Garten hilft. Wider Erwarten trifft sie jedoch nicht auf einen pflegebedürftigen Greis, sondern auf einen seltsam verschlossenen Mittvierziger, der sofort klarstellt, dass sich ihr Kontakt nur auf das Nötigste zu beschränken hat. In dem einsamen Haus am Fjord sind beide aber aufeinander angewiesen und kommen sich zwangsläufig immer näher –– doch wer sich zu nahe kommt, kann nichts mehr vor dem anderen verbergen ...…

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Zum Buch

Die Dozentin Allis hat für eine Affäre alles aufs Spiel gesetzt – und verloren. Nun will sie nur noch möglichst weit weg von ihrem alten Leben und antwortet auf die Anzeige von Sigurd Bagge, der für den Sommer jemanden sucht, der ihm in Haus und Garten hilft. Wider Erwarten trifft sie jedoch nicht auf einen pflegebedürftigen Greis, sondern auf einen seltsam verschlossenen Mittvierziger, der sofort klarstellt, dass sich ihr Kontakt nur auf das Nötigste zu beschränken hat. In dem einsamen Haus am Fjord sind beide aber aufeinander angewiesen und kommen sich zwangsläufig immer näher – doch wer sich zu nahekommt, kann nichts mehr vor dem anderen verbergen …

Zur Autorin

AGNES RAVATN wurde 1983 in Norwegen geboren und arbeitet als Journalistin bei einer großen norwegischen Tageszeitung. Sie verfasste zahlreiche Essays und Kurzgeschichten, bevor sie 2007 ihren ersten Roman schrieb. »Das Vogeltribunal« ist ihr zweites Buch und wurde mit einem wichtigen norwegischen Radiopreis ausgezeichnet.

Agnes Ravatn

Das Vogeltribunal

Thriller

Aus dem Norwegischen von Julia Gschwilm

Mein Puls stieg, während ich durch den stillen Wald stapfte. Hier und da ein Vogelschrei, ansonsten nur graue, nackte Laubbäume, verzweigter Jungwald und der ein oder andere blaugrüne Lichtstreifen in der blassen Aprilsonne. Als der schmale Waldweg um eine Bergkuppe führte, wurde eine unregelmäßige Allee aus weißen, schlanken Birken sichtbar. Jede Birke hatte oben ein dichtes Gewirr aus Ästen, wie halb fertige Nester. Am Ende der Allee konnte man einen ausgeblichenen weißen Holzzaun mit einem Tor ausmachen. Hinter dem Tor: das Haus. Eine kleine, ältere Holzvilla mit Schieferdach.

Ich schloss lautlos die Tür hinter mir, ging über den Vorhof und die wenigen Stufen zur Haustür hinauf. Niemand öffnete, als ich anklopfte, ein kleiner Seufzer durchfuhr mich. Ich stellte die Koffer auf der Treppe ab, ging hinunter und folgte dem Weg aus Steinplatten, der um das Haus führte. Auf der Vorderseite öffnete sich die Landschaft. Violette Berge mit einzelnen Schneeflecken ruhten auf der anderen Seite des Fjords. Dickicht umrahmte das Grundstück auf beiden Seiten.

Er stand hinten im Garten bei einigen schlanken Bäumen, ein langer Rücken in einem dunkelblauen Wollpullover. Er fuhr zusammen, als ich Hallo rief. Wandte sich um, grüßte mit einer Hand und ging in schweren Stiefeln über den gelbgrauen Boden auf mich zu. Ich holte Atem. Ein Gesicht und ein Körper irgendwo in den Vierzigern, er sah nicht im Geringsten pflegebedürftig aus. Ich überspielte meine Überraschung mit einem Lächeln und ging ein paar Schritte auf ihn zu. Er war grob gebaut und dunkel. Sah mir nicht in die Augen, sondern an mir vorbei, als er die Hand ausstreckte.

»Sigurd Bagge.«

»Allis Hagtorn«, sagte ich und drückte seine große Hand leicht. Nichts in seinem Blick zeugte davon, dass er mich erkannte. Vielleicht war er nur ein guter Schauspieler.

»Wo haben Sie Ihr Gepäck?«

»Auf der anderen Seite.«

Der Garten hinter ihm war eine wintergraue Tragödie aus toten Büschen, nassem Stroh und Gestrüpp. Wenn demnächst der Frühling kam, würde er sich in einen Dschungel verwandeln. Er bemerkte meine bekümmerte Miene.

»Ja. Es gibt einiges zu tun.«

Ich lächelte, nickte.

»Der Garten ist das Projekt meiner Frau. Ich brauche jemanden, der aushilft, solange sie verreist ist.«

Ich folgte ihm ums Haus. Er nahm einen Koffer in jede Hand und ging in die Diele.

Er wies den Weg nach oben in den ersten Stock, stieg mit festem Schritt die alte Treppe hinauf. Mein Zimmer war einfach möbliert, mit einem schmalen Bett, einer Kommode und einem Schreibtisch. Es roch sauber. Das Bett war gemacht und hatte einen geblümten Überzug.

»Schönes Zimmer.«

Er wandte sich um, ohne zu antworten, senkte den Kopf und ging hinaus, nickte zu meinem Badezimmer hin, die Treppe hinunter, und ich stapfte hinterher, nach draußen und um die Ecke, über den Vorhof und zu dem kleinen Geräteschuppen. Es knackte im Holz, als er die Tür öffnete und auf die Wand zeigte: »Rechen, Spaten, Brechstange. Beim hohen Gras müssen Sie die Sense verwenden, wenn Sie wissen, wie?«

Ich nickte, schluckte.

»Hier finden Sie das meiste. Gartenscheren«, fuhr er fort. »Ich wäre froh, wenn Sie irgendeine Art von Ordnung in die Hecke bringen könnten. Und sagen Sie Bescheid, wenn Sie mehr Ausrüstung brauchen, dann bekommen Sie Geld.«

Er kümmerte sich nicht darum, mich anzusehen, wenn er redete. Ich war Bedienstete, es sollte vom ersten Moment an Distanz aufgebaut werden.

»Waren es viele, die auf die Annonce geantwortet haben?«, entfuhr es mir.

Er warf unter dem schwarzen Haarschopf einen kaum merklichen Blick auf mich.

»Es waren einige.«

Ich fand, seine Arroganz wirkte aufgesetzt, aber es stand mir nicht zu, etwas zu entgegnen. Ich war sein Eigentum, er konnte machen, was er wollte. Wir gingen weiter ums Haus und in den Garten hinunter, an den Beerensträuchern und Obstbäumen vorbei an der Steinmauer entlang. Die Luft war scharf und roh, es roch nach feuchter Erde und totem Gras. Er machte einen Schritt über ein niedriges schmiedeeisernes Tor und drehte sich zu mir um.

»Festgerostet«, sagte er, »vielleicht schaffen Sie es, das in Ordnung zu bringen.« Ich stieg über das Tor und ging hinter ihm her. Eine steile Steintreppe mit hohen Stufen führte vom Rand des Gartens direkt zum Fjord hinunter. Beim Hinabgehen zählte ich die Stufen und kam auf genau hundert. Dann standen wir auf einem kleinen gemauerten Steg, rechts davon ein verfallener Bootsschuppen mit Landungsplatz. Die Felswände formten einen Halbkreis um uns und schirmten den Steg auf beiden Seiten vor Einblicken ab. Es erinnerte mich an die Stelle, an der ich vor fast dreißig Jahren schwimmen gelernt hatte, bei einem Sommerhaus, das meine Eltern gemietet hatten.

»Schön ist es hier.«

»Ich werde den Schuppen wohl eines Tages abreißen«, sagte er mit abgewandtem Gesicht. Der Wind vom Fjord blies ihm ins Haar.

»Haben Sie ein Boot?«

»Nein«, antwortete er kurz. »Gut. Hier gibt es für Sie nicht viel zu tun. Aber jetzt haben Sie jedenfalls gesehen, wie es aussieht.«

Er drehte sich um und ging die Treppe hinauf.

Sein Schlafzimmer lag im Erdgeschoss, an der Küche und dem Esszimmer vorbei, mit Fenster zum Garten. Hinter dem Schlafzimmer befand sich sein Arbeitszimmer.

»Dort sitze ich die meiste Zeit des Tages. Sie werden nicht viel von mir sehen, und ich will so wenig wie möglich gestört werden.«

Dazu nickte ich langsam, einmal, um zu demonstrieren, dass ich den Ernst der Sache verstand.

»Ich habe leider kein Auto, aber ein Fahrrad mit Taschen für die Einkäufe. Der Laden liegt fünf Kilometer nördlich an der Bundesstraße. Das Frühstück soll um acht Uhr serviert werden: zwei hartgekochte Eier, eingelegter Hering, zwei Scheiben dunkles Roggenbrot und schwarzer Kaffee«, zählte er mir auf.

»An den Wochenenden haben Sie im Prinzip frei, aber wenn Sie sowieso da sind, können Sie das Frühstück eine Stunde später als sonst machen. Um ein Uhr gibt es ein leichtes Mittagessen. Abendessen um sechs Uhr, mit Kaffee und Cognac danach.«

Dann verschwand er in seinem Arbeitszimmer, und ich hatte Zeit, mich mit der Küche vertraut zu machen. Der Großteil der Ausrüstung war sichtlich gebraucht, aber solide, ich öffnete Schubladen und Schränke und versuchte, so wenige Geräusche wie möglich zu machen. Im Kühlschrank lag das Stück Kabeljau, das wir uns zum Abendessen teilen sollten.

Die Tischdecken lagen in der untersten Küchenschublade, ich suchte eine aus und breitete sie über den Esstisch, bevor ich so lautlos wie möglich für uns aufdeckte. Auf die Sekunde genau um sechs Uhr kam er aus dem Schlafzimmer, zog den Stuhl heraus und setzte sich ans kurze Ende. Wartete. Ich stellte die Platte mit dem Fisch mitten auf den Tisch, die Schüssel mit Kartoffeln vor ihn hin. Zog meinen Stuhl heraus und wollte mich gerade setzen, als er mich mit einer plötzlichen Handbewegung stoppte.

»Nein. Sie essen hinterher.«

Er blickte geradeaus.

»Es ist mein Fehler, ich habe das vielleicht nicht ganz deutlich gemacht.«

Ich schluckte schwer, nahm meinen Teller und stellte ihn ohne ein Wort schnell auf die Küchenzeile hinüber, mit gesenktem Kopf, ein großes Ungeziefer.

Während er aß, füllte ich Wasser ins Spülbecken und spülte die Töpfe und Kochlöffel. Er saß aufrecht und aß ohne einen Laut, blickte nicht auf. Ich setzte Kaffee auf, mit linkischen Bewegungen, fand den Cognac in der Glasvitrine hinter ihm und räumte den Tisch ab, als er das Besteck abgelegt hatte. Schenkte Kaffee in die Tasse, Cognac in das dünne Glas, stellte beides auf ein Tablett und trug es unsicher klirrend zu ihm hinüber. Als er hinterher aufstand, sich für das Essen bedankte und ins Arbeitszimmer zurückging, setzte ich mich an den Tisch und aß meine lauwarme Portion, goss halb festgewordene Butter über die Kartoffeln. Erledigte dann den restlichen Abwasch, wischte den Tisch und die Arbeitsfläche ab und ging in mein Zimmer hinauf. Packte alle meine Sachen aus, legte Kleidung, Socken und Unterwäsche in die Kommode, die Bücher in einem Stapel auf den Schreibtisch. Vergewisserte mich, dass mein Telefon ausgeschaltet war, bevor ich es in die Schreibtischschublade legte. Würde es nie mehr einschalten, außer im Notfall. Hinterher saß ich in völliger Stille da, traute mich nicht, Geräusche zu machen. Von unten kam kein Laut. Ging schließlich ins Bad und legte mich ins Bett.

Das Blatt der Sense musste geschliffen werden. Ich verfluchte das nasse, gelbe Gras, das sich herunterbog, egal wie fest und schnell ich die Sense darüberschwang. Es war bewölkt, und die Luft war feucht. Er war nach dem Frühstück sofort in sein Arbeitszimmer gegangen. Auf dem Weg nach draußen hatte ich mich eine Sekunde lang im Spiegel gesehen. Ich sah verkleidet aus, fiel mir auf. Die alte Hose, in der ich das Haus meiner Eltern gestrichen hatte, in einem Sommer vor sicher fünfzehn Jahren. Hatte sie vor zwei Tagen zu Hause im Schrank gefunden, als ich packte, um hierherzufahren, zusammen mit einem mit Farbe beklecksten Hemd. Meine Eltern, die erleichtert Abschied genommen hatten, als ich am nächsten Morgen zum Bus ging.

Ich begann, es im Rücken zu spüren. Schwitzte unter dem Hemd. Winzige Insekten umschwirrten mich, setzten sich mir ins Haar, auf die Stirn, es juckte. Ich musste ständig aufhören und meine Handschuhe ausziehen, um mir das Gesicht zu reiben. Die langen, gelben Halmbüschel lagen dort nur zum Spott und Hohn, ich schwang die Sense, so fest ich konnte.

»Ich würde es an Ihrer Stelle mit dem Eisenrechen versuchen.«

Ich drehte mich augenblicklich um, da stand Bagge. Ich musste vollkommen wahnwitzig aussehen, wie ich dastand, mit rot gesprenkeltem Gesicht, in fünfzehn Jahre alten Fetzen. Mein Pony klebte mir vor Schweiß auf der Haut, ich fuhr mir automatisch mit der Hand über die Stirn und fühlte, wie die Erde vom Handschuh daran festklebte.

»Die Sense nutzt nichts, wenn das Gras nass ist.«

»Nein.« Versuchte etwas erschöpft, über mich selbst zu lächeln.

»Und denken Sie ans Mittagessen«, sagte er und tippte kurz auf sein Handgelenk, um zu zeigen, dass es Zeit wurde. Er drehte sich um und ging. Ich warf einen raschen Blick zum Haus hinauf, zum Fenster seines Arbeitszimmers. Dort hatte er gestanden und ungläubig zu mir heruntergestarrt, wie ich meine unwissenden Gärtnerversuche betrieb, bis er es schließlich nicht mehr aushielt und zu mir herunterkommen musste. Ich grämte mich. Ich ging mit der Sense zum Geräteschuppen und hängte sie an die Wand. Nahm den Eisenrechen und ging wieder zurück, zog ihn fest über den Boden und füllte die Schubkarre mit totem, glitschigem Gras.

Das Fahrrad stand unter der Holzlege hinter dem Geräteschuppen. Ein altes, schnelles graues Peugeot mit schmalen Reifen und Rennradlenker, die Fahrt zum Laden dauerte nur fünf Minuten. Es war ein kleiner Lebensmittelladen in einer Kurve. Genau jenseits der Brücke, von der Zeit vergessen. Es klirrte rumpelnd über mir, als ich die Tür aufschob. Es waren keine anderen Kunden dort. Eine ältere Verkäuferin hinter dem Tresen nickte kaum merklich, als ich sie grüßte. Es gab Regale mit Fertiggerichten, Servietten und Kerzen, ein paar Brote, Milchprodukte und eine Gefriertruhe, Obst und Gemüse mit einer Waage, auf der man selbst abwog.

Die Verkäuferin folgte mir mit stechenden Adleraugen, als ich an ihren halb leeren Regalreihen entlangwanderte. Der kritische Blick war unmissverständlich. Sie erkannte mich. Es schnürte mir die Kehle zu, ich nahm die Waren heraus und legte sie mit steifen Bewegungen in den Korb, hatte gute Lust, ihn wegzustellen und zu gehen. Ging schließlich zum Bezahlen, legte die Waren auf den Tresen, ohne ihr in die Augen zu sehen. Sie tippte alles ein, verzog keine Miene. Faltige Hände und faltige Haut, ein kleiner Mund mit herabhängenden Winkeln; so war sie eben, dachte ich erleichtert, als ich nach Hause fuhr, es hatte nichts mit mir zu tun, es war ihre Lebenseinstellung.

Auf schmalen Reifen nach Hause sausen, den Fjord zur Linken und feuchte, schwarz glänzende Felswände zur Rechten, die Vorräte in der Tasche am Hinterrad, vorbeifahrende Autos auf dem Weg von einer Stadt zur anderen, den steilen Schotterweg hinunter, durch den Wald und das Fahrrad neben die Holzstapel stellen. Über den Kies knirschen, in die Diele, über den Boden. Irgendetwas an diesem ganzen Ort war falsch, dass ein Ehepaar hier lebte, ohne den Garten zu versorgen, ohne Auto, er den ganzen Tag im Arbeitszimmer. Die Frau weg. Ich stellte die Einkäufe hinein und begann mit dem Abendessen.

Es war unmöglich, sich zu bewegen. Mein Körper war schwer und steif wie ein schmiedeeisernes Tor, lange lag ich nur da und sah zu den Astlöchern in der Decke hinauf, bevor ich es schaffte, mich über die Matratze zu wälzen und auf den Boden hinunterzurollen. Idiotisch. Wann hatte ich zuletzt körperlich gearbeitet? Nie. Bevor ich plötzlich auf die Idee kam, stundenlang Gras zu rechen und harte Erde locker zu harken.

Ich wankte hässlich zwischen dem Esstisch und der Küchenzeile hin und her, als ich ihm das Frühstück servierte. Schämte mich, wusste, dass ihn meine steifen Bewegungen irritierten. Als ich ihm Kaffee einschenken wollte, entwich mir ein lautes Stöhnen, es war schwer zu sagen, wer von uns es beklemmender fand.

»Ich habe wohl gestern im Garten zu hart angepackt«, sagte ich vorsichtig entschuldigend.

Zur Antwort räusperte er sich und blickte an mir vorbei.

Anschließend ging er ohne ein Wort in sein Zimmer. Als ich danach allein den sauren Kaffee trank, hatte meine Laune einen Knacks bekommen. Ich war so stolz gewesen, als ich am Tag zuvor im Garten arbeitete, den Boden vom toten Gras befreite, hoffte, dass er mich vom Fenster aus gesehen hatte. Der Rücken war so steif, so steif.

Am nächsten Tag war es noch schlimmer, einen Fuß vor den anderen zu setzen war nicht auszuhalten. Den ganzen Tag vermied ich es, mich hinzusetzen, weil ich wusste, dass ich es nicht schaffen würde, wieder hochzukommen. Der Enthusiasmus für die Gartenarbeit hatte einen Tag angehalten. So war es immer. Ich ging mit großem Eifer auf Dinge los und brachte nie etwas zu Ende. Jedes Mal wieder das gleiche hemmungslose Engagement, bevor ich der Sache kurze Zeit später überdrüssig wurde. Ich hatte keine Ausdauer, keinen Willen zur Durchführung. Ich hatte gehofft, dass sich gerade das ändern würde, die Willensstärke, die Selbstdisziplin. Aber das war es ja gerade, es wäre Willensstärke nötig, um sich Willensstärke zu erarbeiten. Eine solidere Person, das musste ich werden, einen festeren Charakter bekommen. Wenn nicht jetzt, dann nie. Hier hatte ich all das wenige, was ich brauchte, Einsamkeit, offene Tage, wenige, vorhersehbare Pflichten, ich war frei von den Blicken der anderen, dem Gerede der anderen, und ich hatte einen Garten ganz für mich allein.

Am Abend des siebten Tages, als ich das Tablett mit dem Kaffeegeschirr und dem Glas Cognac vor ihn auf den Esstisch stellte und mich gerade zurückziehen wollte, hielt er mich mit einer Handbewegung zurück. Es war Dienstag. Ich hatte seit einer Woche für ihn Abendessen gekocht, und mir gingen bereits die Ideen aus. Heute: Hühnchen mit Estragon. Montag: Fischfrikadellen mit gebräunten Zwiebeln. Sonntag: Kalbsbraten. Samstag: Rinderbraten. Freitag: gebratene Forelle mit Gurkensalat. Donnerstag: gekochte Wurst mit weißer Soße. Mittwoch: gekochter Kabeljau.

»Allis.«

Es war das erste Mal, dass ich ihn meinen Namen sagen hörte.

»Ja?«

»Holen Sie noch eine Tasse und ein Glas und setzen Sie sich.«

Ich tat, was er sagte. Er schenkte mit sicherer Hand Kaffee in meine dünne Porzellantasse ein.

»Sie sind jetzt seit einer Woche hier«, sagte er und blickte zur Tischkante hinunter.

Ich sagte nichts.

»Gefällt es Ihnen hier?« Er sah auf.

»Ja.«

»Können Sie sich vorstellen, noch eine Weile zu bleiben?«

»Ja, absolut. Danke.«

»Sie bekommen Ihren ersten Lohn, wenn ein Monat vorbei ist. Ist das in Ordnung?«

Ich nickte.

»Haben Sie Fragen?«

Ich zögerte ein wenig.

»Wissen Sie in etwa, wie lange es hier Arbeit für mich geben wird?«

»Solange meine Frau verreist ist, werde ich sowohl im Haus als auch im Garten Hilfe brauchen. Das ganze Frühjahr und den ganzen Sommer lang fürs Erste.«

»Das passt mir gut.«

Er schenkte mir Cognac in mein kleines Glas. Dann hob er seines in meine Richtung.

»Dann trinken wir darauf.«

Ich hob das Glas, und ohne darüber nachzudenken, schlug ich es vorsichtig gegen seines, ein beinahe unhörbares Klicken. Wir blieben stumm sitzen. Danach zeigte er keinen Willen zur Konversation, saß mit gerunzelter Stirn unter dem schwarzen Haarschopf da. Ich trank meinen Kaffee, leerte das Glas, und bevor er fertig war, verließ ich den Tisch und begann mit dem Abwasch. Ich hörte ihn seinen Stuhl zurückschieben und in sein Zimmer verschwinden, während ich das Geschirr unter dem Wasserhahn abspülte, mir wurde kalt bei dem Gedanken, dass es beschlossene Sache war, ich würde hierbleiben, aber zugleich warm aus demselben Grund, ich hatte einen Ort, an dem ich bleiben konnte, musste nicht zurück, konnte in Frieden hier leben.

Nach ein paar sonnigen Tagen hatte der Garten zu trocknen begonnen. Zum Schluss hatte ich die Sense doch noch irgendwie in den Griff bekommen und hinterließ Bahnen von kurzen, stechenden Halmstoppeln. Ich schwitzte in der kalten Luft. Eine blasse Nachmittagssonne war kurz davor, hinter den Bergen unterzugehen, und ich hatte einen steifen Rücken. Ich blickte mich um. Frühlingsblumen waren hier und da zum Vorschein gekommen. Am einen Tag waren wir von einem Schneeschauer überrascht worden, am anderen flog auf einmal ein Schmetterling umher, es war kein System zu erkennen. Ich zog den Rechen über den Boden, befreite ihn von Heu und Unkraut und fuhr alles in der Schubkarre zum Ende des Gartens. Alte Blumenbeete mit schwarzer, erstarrter Erde waren unter dem Unkraut aufgetaucht. Ich hatte sie noch nicht angerührt, vielleicht gab es dort unten Zwiebeln und Samen und Leben, das an die Oberfläche kommen wollte. Es kam vor, dass ich mich während der Arbeit umdrehte und zum Haus hinaufblickte und einen Schatten von Bagge im Fenster erkannte, er glitt dann immer fort, ich konnte nicht sagen, ob er dagestanden und mich angesehen hatte oder nur vorbeigegangen war. Ich fuhr die Gartengeräte in den Geräteschuppen, klopfte an der Mauer unter der Veranda die Erde von den Arbeitsstiefeln und ging hinauf in mein Bad. Füllte Wasser in die Badewanne, glitt hinein und schrubbte mich von der Erde sauber, beglückt über diese neue Existenzmöglichkeit. Unter freiem Himmel arbeiten, es im Körper spüren, saubere Luft in die Lunge saugen. Ich hatte nie geglaubt, dass Veränderung möglich war. Nicht aus eigenem Antrieb. Niemals. Es war nur ab und zu ein lindernder Gedanke gewesen, aber gleichzeitig ein deprimierender, weil ich nicht daran glaubte. Aber jetzt. Mich dazu zu verpflichten: zur Arbeit im Garten. Dort Ordnung herstellen, Dinge zum Wachsen bringen. Darin war Erlösung zu finden, dort konnte ich mir ein Ich schaffen, ein konsistentes Selbst, dort, wo nichts von all dem Alten war, das an mir haftete. Mich rein und frei von Schuld machen, ein reines Herz. Ich zog den Stöpsel heraus und sah das Wasser verschwinden. Spülte Körper und Haare mit dem Duschkopf sauber und stieg aus der Wanne. Hörte unten Bagges Schritte – konnte er rein sein? Ich trocknete mich ab und zog mich an, ging in mein Zimmer. Vom Fenster aus sah ich ihn über den Vorhof und in den Garten hinuntergehen, auf Inspektion vielleicht, seine großen Schuhe knirschten über die trockenen Halmstoppeln, sein Rücken vorbei an den Obstbäumen und die Steintreppe zum Steg hinunter. Spürte ein Ziehen in der Magengrube, Männer, dachte ich, wie schön sie sind. Manche von ihnen. Die Stimmen, die Schultern. Ich ging schnell aus meinem Zimmer und drückte an die Tür gegenüber, sie war verschlossen. Blieb an der Treppe stehen und überlegte, nach unten zu rennen und blitzschnell ein bisschen herumzuschnüffeln, schon beim Gedanken daran begann es, in meiner Brust zu hämmern, ich ließ es sein.

Sein Badezimmer war rechts in der Diele, mit einem älteren, gefliesten Boden, einer normalen Toilette und einer einfachen Dusche hinter einem Vorhang. Ich hatte Anweisung, den Boden und sein Bad einmal in der Woche zu putzen. Ich durfte den Tag selbst bestimmen, hatte er gesagt, aber hinzugefügt, dass er den Geruch von Schmierseife zu Beginn des Wochenendes mochte.

Als ich in der Küche Wasser in den Eimer füllte, sah ich ihn in den Garten hinuntergehen. Er war groß und breit und bückte sich automatisch, wenn er ein Zimmer betrat oder verließ. Draußen ging er langsam und aufrecht in seinen schweren Bergstiefeln umher, bewegte sich immer leise, auch wenn er riesengroß war. Ohne offenbaren Grund dachte ich an den Gott Balder, als ich ihn so herumgehen sah. Ich mochte es, seinen Rücken zu betrachten. Mochte es, ihn gehen zu sehen. Er trug immer Hemden, abends, wenn es kalt war, mit einem dunkelblauen groben Wollpullover darüber. Er war vollkommen desinteressiert an mir, desinteressiert an allem. Allem außer dem, was in seinem Arbeitszimmer vor sich ging, was auch immer es war. Ich versuchte, nicht neugierig zu sein. Versuchte, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern, versuchte, daran zu denken, was im Garten passieren sollte, den ich inzwischen als meinen eigenen betrachtete, plante die Mahlzeiten. An den Abenden schrieb ich Listen darüber, welche Vorräte ich hatte, was gekauft werden musste, was ich kochen würde, wozu die verschiedenen Reste verwendet werden konnten, wie absolut alles bestmöglich ausgenutzt werden konnte. Das gab mir etwas, worin ich meine Gedanken verankern konnte, sie wanderten sonst so leicht an schlechtere Orte.

Die Tür des Badezimmerschranks gab ein leises Klicken von sich. Darin befanden sich lediglich Schmerztabletten, Pflaster, Mückenmittel, ein Rasierapparat und ein ganz normales Deodorant. Das war überraschend, ich war beinahe sicher gewesen, dass er in irgendeiner Form unter Medikamenten stand. Mein Blick im Spiegel, als ich ihn mit einem Papiertuch sauber gemacht hatte. Es war deutlich, dass der Mensch, der zurückstarrte, gerade etwas getan hatte, von dem er wusste, dass es falsch war; ich hatte diesen Blick hunderte Male zuvor gesehen. Nichts mehr davon, dachte ich, rein sein.

Ich las, dass die Büsche vor dem Sprießen der Knospen geschnitten werden mussten, aber nichts darüber, um welche Zeit das Sprießen der Knospen eigentlich zu erwarten war. Ich setzte mich auf einen Schemel neben den ersten schwarzen Johannisbeerstrauch, sah mir die Zweige genau an. Im Bücherregal hatte ich zum Glück ein Gartenbuch gefunden, aber die Informationen darin waren mangelhaft. Ich hatte mir angewöhnt, im Garten ein kontinuierliches inneres Gespräch mit mir selbst zu führen, von früh bis spät. Es ging um alle möglichen Themen. Ich war immer überzeugt gewesen, dass ich, sollte ich einmal verrückt werden, niemals eine dieser Personen werden würde, die auf der Straße herumliefen und laut mit sich selbst sprachen. Vermutlich deshalb, weil ich nichts zu sagen hatte. Aber hier, in dieser Stille, mit den Händen in der kalten, feuchten Erde oder über tote Zweige fahrend, schäumte ich über vor innerem Geplapper, endlose Gespräche mit mir selbst, andere Male eingebildete Dialoge zwischen mir und anderen, ich diskutierte und argumentierte jedes Mal stundenlang. Ich verlor alle meine inneren Diskussionen. Hörte mehr auf meine eingebildeten Meinungsgegner als auf mich selbst, ihre Argumente wogen immer schwerer. Andere Leute waren immer verlässlicher als ich selbst.

Zuerst nahm ich die Johannisbeerzweige, die aussahen, als hätten sie Winterschäden, danach die, die zu Boden hingen. Zum Schluss die Zweige ganz unten am Strauch, die am ältesten waren. Die Jahresringe in ihren Schnittflächen zeigten, dass die Sträucher mindestens sieben, acht Jahre nicht zurückgeschnitten worden waren, ich fand es seltsam, dass Bagge und seine Frau den Garten auf diese Art vernachlässigt hatten.

Hinterher nahm ich die Schere mit hinauf zu dem steinigen Abhang, an dem Haselsträucher wuchsen. Wenn ich sie jetzt zurückschnitt, würde es später vielleicht eine gute Nussernte geben. Im Garten herumzupusseln und nach bestem Vermögen kleinere Operationen durchzuführen war eine Freude, aber es war auch ein Balanceakt auf einem schmalen Grat der Selbsterkenntnis. Die Erwartungen, die ich vorher an mich selbst gehabt hatte, waren mit gutem Grund gedämpft worden. Meine Unkenntnis, was Garten, Pflanzen und Erde anging, war immens, ich wusste absolut nichts, war nie daran interessiert gewesen, hatte sogar einen nicht allzu kleinen Minderwertigkeitskomplex in Bezug auf Gärten. Dass Erde nicht einfach Erde sein durfte, sondern Dünger oder Nährstoffe hinzugefügt werden mussten. Dass die Natur es nicht selbst schaffte, sich in Ordnung zu halten war meiner Meinung nach ein großes Hindernis. Im Geräteschuppen lagen alte Samentütchen, aber das, was auf ihrer Rückseite stand, war für normale Menschen unverständlich, es ging um Ausdünnungsabstand, und ich weiß nicht was, es war in einer Sprache geschrieben, die nicht auf mich gemünzt war. Ich memorierte kleine Passagen aus dem Gartenbuch, bemühte mich, es zu visualisieren, und ging am nächsten Tag hinaus und versuchte, es in die Praxis umzusetzen: So? Ist es so gemeint? Ich erstarrte jedes Mal zu Eis, wenn mir der Gedanke kam, dass Bagge vielleicht am Fenster stand und mich unter Aufsicht hielt, dass er dastand und sich am Kopf kratzte: Was macht sie denn jetzt wieder? Nein, nein, nicht so! Zuerst traute ich mich nicht mehr zu tun, als etwas willkürlich in den Beeten zu jäten. Jetzt hatte ich die Sträucher so zurückgeschnitten, wie ich glaubte, dass man es machen musste, und ich spielte mit dem Gedanken, Zwiebeln zu pflanzen, aber gerade bei Zwiebeln hielt es der Gartenbuchautor offenbar für selbstverständlich, dass der Leser damit vertraut war, ja dass alle Menschen auf der Welt ihr kleines Arsenal von Zwiebeln hatten, die im Frühling ausgepflanzt werden sollten, ich verstand es nicht.

Ich rechte die Haselzweige zusammen und lud sie auf die Schubkarre. Rollte über den Rasen und leerte die Ladung auf den Komposthaufen. Die Sonne kam plötzlich hinter einer dunklen Wolke hervor, unerwartet warm und stechend. Ich setzte mich auf die Steinmauer, um auszuruhen, ein wenig Wärme ins Gesicht zu bekommen, ich schloss die Augen und wandte mich der Sonne zu, den Rücken zum Haus. Seufzte. Dachte, dass Gartenarbeit vielleicht wirklich etwas für mich war, ich hatte nur zuvor nie die Chance gehabt, hatte es nie lernen dürfen. Das würde ich schnell tun, ich hatte ja sonst keine Lernschwierigkeiten, fasste alle Dinge rasch auf, es gab keinen Grund zu glauben, dass ich eine Art Gartenlegasthenikerin war.

»Ganz still sitzen, Allis«, hörte ich plötzlich eine merkwürdig leise Stimme hinter mir.

Ich wandte automatisch den Kopf und sah ihn fragend an. Schrie auf, er kam wie ein Löwe im Sprung auf mich zu, dann ein schneidender, knirschender Schlag, ich fiel vornüber auf den Boden, ohne zu verstehen, warum oder was geschah. Hockte unwürdig auf allen vieren auf dem Rasen wie ein Hund. Er ließ den Stein los, den er in der Hand hatte. Nahm meine Hand und zog mich hoch, mir war schwindlig vor Adrenalin, ich atmete tief ein. Auf der Steinmauer, dort wo ich gesessen hatte, lag eine eingerollte Kreuzotter mit zertrümmertem Schädel.

»Ich wollte Sie nicht erschrecken.«

Ich brachte kein Wort heraus. Mein Herz hämmerte, ich machte einen unsicheren Schritt nach hinten.

Wir sahen die Schlange an, die ein klein wenig zuckte, ein langer, gemusterter Muskel im Krampf, nur dort weich und glänzend, wo der Kopf gewesen war, mich schauderte.

»Nicht so schlimm«, piepste ich und fühlte kalten Schweiß hervortreten.

Er ergriff die Schlange am Schwanz, sagte nichts, ging den Abhang hinauf, die Schlange in der Hand baumelnd, hoch zum Waldrand. Ich sah ihn dort oben in die Hocke gehen, einen Stein darüberlegen. Dann ging er zum Haus, über den Hof, seine Hand drückte die Türklinke hinunter, und er war weg.

Die Abende waren merklich heller geworden. Ich kam herein, nachdem ich eine Fahrradtour gemacht hatte, um die nähere Umgebung zu erkunden. Es hatte nichts zu sehen gegeben. Kaum Häuser, nur die Bundesstraße mit Autos, die vorbeidonnerten. Der Laden war der einzige Kontakt, den ich zur Außenwelt hatte, und im Laden waren auch keine Leute zu sehen, nur jedes Mal dieselbe ältere Frau hinter dem Tresen, die mich über ihre krumme Adlernase hinweg anschielte.

Das Haus genauso still und leer wie immer. Zu wissen, dass hier noch ein Mensch war, ohne dass es irgendeine Auswirkung hatte, außer wenn er sich zu den drei Mahlzeiten zeigte, das machte das Haus beinahe noch leerer. Ich wusch das Gemüse am Spülbecken. Begann, Brühe aus Fischabfällen zu kochen. Hatte keine Ideen, was ich ihm am nächsten Tag zum Abendessen servieren sollte. Wenn ich etwas mehr nachgedacht hätte, als ich mich vor einem Monat in den Bus hierher setzte, hätte ich ein Kochbuch mit eingepackt. Ich ging zum Bücherregal, um nachzusehen, ob es dort irgendeine Spur von Kochbüchern gab. Untersuchte die Buchrücken genau, aber fand nichts. Ein Haus ohne Rezepte, was war das für ein Heim.

Ich öffnete die Küchenschubladen eine nach der anderen, dann die Schranktüren. Ganz hinten im Gewürzschrank lag ein schmales, blaues Buch, das ich bisher übersehen hatte. Ich zog es heraus, blätterte vorsichtig. Rezepte mit dünnem schwarzen Stift. Schöne, schräge Handschrift, da waren Eintöpfe, Suppen, Kuchen. Ich sah sie vor mir, eine diffuse schlanke Gestalt, den Rücken zu mir gewandt, brauner Nacken und dunkles Haar in einem Knoten, ein paar Strähnen, die sich um die Ohren ein klein wenig kräuselten. Eine erwachsene schöne Frau. Eine Königin. Erwachsen, dachte ich, bin ich nicht erwachsen? Ein verirrtes Kind, das bin ich. Ich hielt bei einem Rezept inne, einer asiatischen Fischsuppe, sah, dass ich das meiste hatte, was ich brauchte, und wollte mir eine Probeversion als Abendimbiss kochen. Erhitzte Öl in einem Topf, gab Frühlingszwiebeln, Chili und Ingwer hinein, die Gerüche stiegen auf. Ich fügte Brühe hinzu. Ließ ein Stück Kabeljau in einem eigenen Topf ziehen. Als ich gerade den Fisch in die Suppenschüssel schöpfen wollte, hörte ich seine Schritte, die Tür öffnete sich, ich wurde rot und fluchte innerlich, ich hatte ihn gestört. Er streckte den Kopf herein, ich tat, als würde ich es nicht bemerken.

»Es riecht so gut hier.«

»Das ist nur eine kleine Suppe.«

»Oh, ja.«

»Es ist auch genug für Sie da, wenn Sie wollen.«

Er überrumpelte mich, indem er hereinkam und durchs Zimmer ging, er setzte sich an den Esstisch, gleichsam wartend. Seine Gegenwart machte mich unsicher. Ich steckte das Rezeptbuch zwischen ein paar Schneidebretter, schöpfte Suppe heraus und stellte den Teller vor ihn hin. Er schloss die Augen und sog den Duft ein, blickte überrascht zu mir auf. Ich aß meine eigene Suppe an der Arbeitsfläche stehend, während er saß. Keiner von uns sagte etwas. Ihn essen zu sehen gab mir ein warmes und ruhiges Gefühl. Er aß alles auf, atmete tief ein und rückte seinen Stuhl vom Tisch weg. Er stand auf und nahm den Teller, kam auf mich zu, kam ganz nah zu mir und stellte den Teller auf die Arbeitsfläche. Ich sah zu Boden, bis er in sein Zimmer gegangen war, mit heißen Wangen.