Das Volk der Fata Morgana, Band 1: Königin im Schattenreich - Abraham Merritt - E-Book

Das Volk der Fata Morgana, Band 1: Königin im Schattenreich E-Book

Abraham Merritt

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Beschreibung

Bärenklau Exklusiv präsentiert »Königin im Schattenreich«, den ersten Teil der Saga des Volkes der Fata Morgana, eine Übersetzung aus dem Amerikanischen von Lore Sraßl.
Eine Expedition ins Land des kleinen Volkes.
Schon einmal in seinem Leben ist Leif Langdon, der Bergwerksingenieur, dem Unerklärlichen begegnet. Es geschah in der Mongolei, als er Khalk’ru, dem schrecklichen Oktopus-Gott, gegenübertrat.
Seit dieser Zeit ist Leifs Persönlichkeit gespalten. In ihm wohnt Dwayanu, ein Krieger aus längst vergessener Zeit. Und als Khalk’ru ruft, hat Leif keine andere Wahl. Zusammen mit seinem Gefährten Jim, alias Tsantawu, einem Tscherokese Indianer, erreicht er das Schattenland, in dem die Pygmoiden leben und dort erwarten ihn schwierige, kaum lösbare Aufgaben …

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Abraham Merritt

 

 

Königin im Schattenreich

 

Das Volk der Fata Morgana, Band 1

 

Fantasy Roman 

 

 

 

 

 

 

Originaltitel: DWELLERS IN THE MIRAGE – 1. Teil

Aus dem Amerikanischen von Lore Straßl

 

 

*** 

Impressum

 

 

Neuausgabe

Copyright dieser deutschen Ausgabe © by Übersetzer/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Steve Mayer nach Motiven, 2023 

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Königin im Schattenreich 

Vorwort 

Buch 1 

1. Geräusche in der Nacht 

2. Der Krakenring 

3. Das Khalk’ru-Ritual 

4. Khalk’rus Tentakel  

Buch 2 

5. Das Luftbild 

6. Das Schattenland 

7. Das kleine Volk 

8. Evalie 

Buch 3 

9. Im Fata Morgane-Land 

10. Könnte man nur sein Gehirn voll nutzen! 

11. Die Trommeln der Rrrllya 

12. Auf der Nansürbrücke 

Der Autor Abraham Merritt 

Weitere Werke von Abraham Merritt, 

 

Das Buch

 

 

 

Bärenklau Exklusiv präsentiert »Königin im Schattenreich«, den ersten Teil der Saga des Volkes der Fata Morgana, eine Übersetzung aus dem Amerikanischen von Lore Sraßl.

Eine Expedition ins Land des kleinen Volkes. 

Schon einmal in seinem Leben ist Leif Langdon, der Bergwerksingenieur, dem Unerklärlichen begegnet. Es geschah in der Mongolei, als er Khalk’ru, dem schrecklichen Oktopus-Gott, gegenübertrat. 

Seit dieser Zeit ist Leifs Persönlichkeit gespalten. In ihm wohnt Dwayanu, ein Krieger aus längst vergessener Zeit. Und als Khalk’ru ruft, hat Leif keine andere Wahl. Zusammen mit seinem Gefährten Jim, alias Tsantawu, einem Tscherokese Indianer, erreicht er das Schattenland, in dem die Pygmoiden leben und dort erwarten ihn schwierige, kaum lösbare Aufgaben … 

 

 

***

Königin im Schattenreich

Das Volk der Fata Morgana, Band 1

 

 

Vorwort

 

In der Ausgabe vom 24. November 1917 des Magazins ALL-STORY erschien die erste Story Abraham Merritts, Through the Dragon Glass (Durch das Drachenglas, TERRA FANTASY 45). Bereits mit seiner zweiten Story, The People of the Pit (ALL-STORY, 5. Januar 1918) sicherte sich Merritt eine begeisterte Leserschaft, und Hunderte von begeisterten Zuschriften folgten der Veröffentlichung der Novelle The Moon Pool, ebenfalls in ALL-STORY, in der Ausgabe vom 22. Juni 1918.

Nicht mehr, seit 1912 Edgar Rice Burroughs’ Under the Moons of Mars erschienen war, hatte sich die Leserschaft des Magazins so engagiert und nach einer Fortsetzung verlangt. Die Fortsetzung The Conquest of the Moon Pool erschien ab 15. Februar 1919 in sechs Ausgaben des Wochenmagazins.

Mit den Moon Pool Erzählungen und der Fortsetzung The Metal Monster reihte sich Merritt in die Autoren des wissenschaftlichen Abenteuerromans, der in den zwanziger Jahren zur Blüte kam.

Weitaus mehr noch wuchs seine Popularität mit seinen reinen Fantasy-Abenteuern. Die Novelle The Face in the Abyss (1923), (1930 ergänzt durch die Fortsetzung The Snake Mother), The Ship of Ishtar (1924) (Schiff der Ischtar/König der zwei Tode, TERRA FANTASY 35/36) und der vorliegende Band, Dwellers in the Mirage (1932).

Merritts Ausflüge in das Kriminal- und Horror-Genre mit Seven Footprints to Satan (1927) und Burn Witch, Burn! (1932) brachten ihm breiteste Anerkennung. Beide Romane wurden verfilmt.

Creep, Shadow! (1934) (in späteren Ausgaben Creep Shadow, Creep!) war sein letzter Roman. Er ist eine Fortsetzung zu Burn Witch, Burn. Burn Witch, Burn erschien bereits zweimal in deutscher Sprache, in den fünfziger Jahren als UTOPIA-KRIMINAL-Roman unter dem Titel Die Puppen der Madame Mandilip, und 1973 als VAMPIR Taschenbuch 3 unter dem Titel Flieh, Hexe, Flieh.

Merritts Popularität ist mit seinem Tod 1943 nicht erloschen. Es gab immer neue Buch- und Taschenbuchausgaben seiner Romane. Einzig die Sammlung seiner Storys ist seit den vierziger Jahren nicht mehr aufgelegt worden. Erst 1977 erschien der Band The Fox Woman And Other Stories wieder.

The Fox Woman, eigentlich keine Novelle, sondern das Fragment eines Romans, an dem Merritt sporadisch seit 1923 gearbeitet hatte, mit dem er aber nicht nach seinen Vorstellungen vorankam, erschien erstmals 1946 in einer Buchausgabe mit 17 weiteren Kapiteln von Hannes Bok (1914 –1964), die unter dem Titel The Blue Pagoda zusammengefasst waren.

Hannes Bok, bekannt durch seine Fantasy-Romane The Sorcerer’s Ship und Beyond the Golden Stair und vor allem durch seine phantastischen Pulp- und Buchillustrationen, vollendete auch ein weiteres Merritt-Fragment: The Black Wheel. 1976 brachte Arno Press eine illustrierte Buchausgabe heraus, die beide Merritt-Bok-Fragment-Romane enthält.

 

Über den vorliegenden Roman schreibt Sam Moskowitz in seiner Biographie The Marvelous A. Merritt:

»Wenn es je Zweifel darüber gegeben hätte, dass Merritt in seinen Romanen und Erzählungen aus der Brutalität und der Ungerechtigkeit der realen Welt zu fliehen suchte, so wären sie durch Dwellers in the Mirage zerstreut worden, dessen erster Teil in ARGOSY vom 23. Januar 1932 erschien. Der gelbhaarige Leif Langdon ist zweifellos der jugendliche A. Merritt. Tsantawu, der Tscherokese, Leifs Führer, entspricht seinem indianischen Begleiter während seines Aufenthalts in Mexiko in frühen Tagen. Beschreibung der Architektur und Szenerie in dem Fantasieland unter der Luftspiegelung erinnern an die Ruinen der Mayas, die er an Ort und Stelle studierte …«

 

Abraham Merritt wurde 1884 in Beverley, New Jersey, geboren. Er wollte Jurist werden, nahm jedoch mit 19 aus finanziellen Erwägungen eine Anstellung als Reporter beim PHILADELPHIA INQUIRER an, war sehr erfolgreich und kam nicht mehr vom Schreiben los. 1912 ging er nach New York, um eine Stelle beim AMERICAN WEEKLY anzunehmen, dessen Herausgeber er in späteren Jahren wurde und bis zu seinem Tod im August 1943 blieb.

Während seiner Tätigkeit beim INQUIRER verbrachte er ein abenteuerliches Jahr in Mexiko und Mittelamerika, das von bleibendem Eindruck war. Er erforschte die Maya-Stadt Tulum, ging auf Schatzsuche in Yukatan und wurde Blutsbruder eines Indianerstammes in Miraflores. Der Abenteurer, der er in späteren Jahren nicht mehr sein konnte, und als der er sich tief innerlich fühlte, blieb er in seinen Romanen.

Buch 1

 

 

Khalk’ru 

 

 

1. Geräusche in der Nacht

 

Ich hob den Kopf, lauschte – doch nicht nur mit den Ohren! Alles in mir wartete darauf, befürchtete, dass der Laut, der mich geweckt hatte, sich wiederholte. Aber nun war es still. Ein geradezu absolutes Schweigen herrschte: kein Rauschen der Zweige im Wind; kein Rascheln von huschenden Tieren im Unterholz. Durch die Wipfel der hohen Tannen glitzerten schwach die Sterne in der kurzen Dämmerung, die die Nacht im Frühsommer Alaskas ersetzte.

Da neigte eine plötzliche Brise die Baumwipfel – sie brachte diesen gleichen Laut mit sich, der mich aus dem Schlaf gerissen hatte: ein Hämmern wie auf einen Amboss!

Ich schlüpfte hastig aus meinem Schlafsack und rannte um die letzte Glut unseres Lagerfeuers hinüber zu Jim. Seine Stimme ließ mich anhalten.

»Schon gut, Leif. Ich höre es.«

Der Wind seufzte und erstarb. Mit ihm verklang auch der stumpf dröhnende Nachhall des Hammerschlags.

Ehe wir noch Vermutungen darüber anstellen konnten, kam der Wind erneut auf. Wieder trug er denselben schwachen, zweifellos fernen Laut mit sich. Und wieder erstarb der Wind, und mit ihm dieses eigenartige Hämmern.

»Ein Amboss, Leif!«

»Horch!«

Ein plötzlicher, heftigerer Windstoß brauste durch die Bäume, rüttelte an ihnen. Er brachte ein fernes Singen mit sich – die Stimmen vieler Männer und Frauen in einer eigenartigen Weise in Moll. Der Gesang endete mit einem klagenden, unharmonischen Akkord.

Ein Trommelwirbel in raschem Crescendo folgte. Er schloss abrupt. Danach hörten wir schwach ein lärmendes Durcheinander. Ein tiefes, anhaltendes grollendes Donnern, dem nur die Entfernung die Kraft raubte, verschlang es. Es klang wie eine trotzige Herausforderung.

Atemlos lauschten wir. Doch mit dem neuerlichen Abklingen des Windes erstarb erneut jeglicher Laut. Kein Zweig bewegte sich mehr. Der Wind kehrte auch nicht wieder zurück.

»Seltsame Geräusche, Jim.« Ich bemühte mich, meine Stimme normal klingen zu lassen.

Er setzte sich hoch. Ein dürrer Ast in der Glut flackerte auf. Der Feuerschein hob Jims Züge gegen die Düsternis ab – sein Gesicht war schmal, gebräunt, ein scharf geschnittenes Adlerprofil. Er blickte mich nicht an.

»Jeder befiederte Vorvater der letzten zwanzig Jahrhunderte ist erwacht und ruft! Besser, du nennst mich jetzt Tsantawu, Leif. T’si Tsa’lagi ich bin ein Tscherokese! Und im Augenblick – hundertprozentig Indianer.«

Er lächelte, aber er blickte mich immer noch nicht an.

»Es war ein Amboss«, murmelte ich. »Ein verdammt großer Amboss. Und Hunderte von Menschen sangen – wie ist das in dieser Wildnis möglich? Es – es klang nicht wie Indianergesang …«

»Es waren auch keine Indianertrommeln.« Er kauerte sich dicht ans Feuer und starrte blicklos hinein. »Als es anfing, war mir, als spiele jemand mit Eiszapfen Pizzikato auf meinem Rücken.«

»Mir haben diese Trommeln auch ganz schön zugesetzt«, gestand ich. Ich glaubte, meine Stimme klänge fest, aber nun blickte Jim mich scharf an. Jetzt wandte ich die Augen ab und starrte in die Glut.

»Sie erinnerten mich an etwas, das ich einmal hörte – und zu sehen glaubte –, damals, in der Mongolei. Genau wie das Singen. Verdammt, Jim, weshalb siehst du mich so an?«

Ich warf einen Ast ins Feuer. Gegen meinen Willen spähte ich misstrauisch in den Schatten, als das Holz aufflammte. Dann stellte ich mich Jims Blick.

»Ziemlich schlimm, damals, nicht wahr, Leif?«, fragte er mich leise.

Ich schwieg. Jim stand auf und ging zu unseren Rucksäcken. Er kam mit einer Feldflasche zurück und leerte sie über dem Feuer aus. Danach schob er mit den Zehenspitzen Erde auf die zischende Glut. Wenn er bemerkte, dass ich zusammenzuckte, als die Schatten über uns fielen, ließ er es sich zumindest nicht anmerken.

»Der Wind kam aus dem Norden«, erklärte er. »Von dorther brachte er die Töne. Wer immer sie also verursachte, muss sich nördlich von hier befinden. Nachdem das nun feststeht, bleibt uns nur zu entscheiden, in welche Richtung wir morgen weiterziehen.«

»In nördliche«, erwiderte ich.

Kaum hatte ich die Antwort heraus, war mir, als schnüre etwas meine Kehle zu.

Jim lachte. Er kletterte wieder in seinen Schlafsack.

»Die Ahnen sind sehr stimmgewaltig, Leif. Ich höre sie. Sie prophezeien nichts Gutes – wenn wir uns nordwärts wenden … ›Schlechte Medizin!‹, sagen die Ahnen. ›Schlechte Medizin für dich, Tsantawu! Du gehst ins Usunhi’yi, das Geisterland! Hüte dich! Dreh dem Norden den Rücken, Tsantawu!‹«

»Oh, geh schlafen, abergläubische Rothaut!«

»Na gut. Ich sag’s dir ja nur.«

Eine Weile später brummte er:

»Die Stimmen der Ahnen künden Krieg, Leif. Schlimmeres als Krieg prophezeien sie.«

»Verdammt! Halt endlich den Mund!«

Ich hörte noch ein trockenes Lachen, danach herrschte Schweigen.

Ich hatte mich ins Gras gesetzt, lehnte mich jedoch immer noch an den Stamm. Die Laute, oder vielmehr die schreckliche Erinnerung, die sie in mir weckten, hatten mich mehr mitgenommen, als ich mir selbst eingestehen wollte. Es schien mir, als wäre das Ding, das ich seit zwei Jahren in einem kleinen Lederbeutel an der Kette um meinen Hals trug, plötzlich lebendig geworden und dann zu Eis erstarrt. Ich fragte mich, wieviel Jim erraten hatte, von dem, was ich zu verbergen suchte …

Weshalb hatte er das Feuer ausgelöscht? Weil er wusste, dass ich mich fürchtete? Damit ich mich dieser Angst stellte, sie überwand? Oder war es der Instinkt des Indianers, der in der Dunkelheit Schutz sucht? Er hatte selbst zugegeben, dass dieser gespenstische Gesang und der Trommelwirbel ihm unter die Haut gegangen waren, so wie mir auch …

Angst! Natürlich war es Furcht gewesen, die mir die Kehle zugeschnürt hatte, mich in Schweiß ausbrechen und mein Herz wie wahnsinnig hatte klopfen lassen, dass es wie Trommeln in meinen Ohren klang.

Wie Trommeln – ja!

Aber nicht wie jene Trommeln, deren Wirbel der Nordwind zu uns getragen hatte. Das war wie die Kadenz eiliger Füße gewesen, der Füße von Männern und Frauen, Burschen und Mädchen und Kindern, die immer schneller die Seite einer hohlen Welt hinaufrannten, um hastig ins Nichts zu tauchen – sich im Nichts aufzulösen – die im Fallen verblichen – verschwanden – vom Nichts verschlungen wurden …

Nein, wie jener verfluchte Trommelwirbel war es gewesen, den ich vor zwei Jahren in einem geheimen Tempel in einer Oase der Wüste Gobi gehört hatte!

Weder damals noch jetzt war das, was ich empfunden hatte, Furcht allein gewesen. Ja, Furcht war es wahrhaftig, aber eine Furcht, in der ich mich innerlich auflehnte – eine Auflehnung des Lebens gegen seine Verleugnung – ein rasender, tobender, dem Leben entsprungener Grimm – ein wildes Aufbegehren des Ertrinkenden gegen das würgende Wasser – die Wut der Kerzenflamme auf den, der sie auslöschen will …

Himmel! War es wirklich so hoffnungslos wie meine Vergleiche? Wenn das, was ich vermutete, tatsächlich so war, wie ich glaubte, würde allein eine solche Einstellung von vornherein jegliches Unterfangen in dieser Hinsicht zum Scheitern verurteilen!

Aber ich musste auch an Jim denken! Wie konnte ich ihn heraushalten?

Ich hatte mich nie wirklich über seine übersinnlichen Wahrnehmungen lustig gemacht, was immer sie auch waren, die er die »Stimmen der Ahnen« nannte. Als er von Usunhi’yi, dem Land, gesprochen hatte, war es mir kalt über den Rücken gelaufen, denn hatte nicht der alte Priester der Uiguren das Schattenland erwähnt? Mir war, als hörte ich noch das Echo seiner Worte.

Ich blickte auf den schlafenden Jim. Er stand mir näher als meine leiblichen Brüder. Bei diesem Gedanken musste ich lächeln, denn meine Brüder waren mir nie wirklich nahe gewesen. Für alle, außer meiner nordischen Mutter mit der sanften Stimme und dem vollen Busen, blieb ich ein Fremder in dem streng der Tradition verschriebenen alten Haus, in dem ich das Licht der Welt erblickte. Der jüngste Sohn war ich und ein unwillkommener Eindringling, ein Wechselbalg. Es war nicht meine Schuld, dass ich in der Langdon-Familie ein Atavismus zu sein schien – ein blondhaariger, blauäugiger, muskelstarker Wikinger wie die Vorfahren meiner Mutter – und eben gar nicht den dunklen, hageren Langdons glich mit ihren schmalen Lippen und finsteren Gesichtern, die seit Generationen offenbar allesamt aus dem gleichen Holz geschnitzt waren. Von der Ahnengalerie hatten sie auf mich, den Wechselbalg, mit leicht amüsierter Herablassung oder gar Verachtung herabgeblickt, genau wie mein Vater und meine vier Brüder – echte Langdons –, wenn ich mich mit meiner massiven Statur vielleicht etwas unbeholfen am Tisch niederließ.

Ich war sehr unglücklich darüber, doch gerade das ließ meine Mutter mich noch mehr lieben. Ich fragte mich, wie ich mich schon unzählige Male gefragt hatte, was sie veranlasst hatte, die Frau dieses düsteren, selbstherrlichen Mannes zu werden, der mein Vater war – sie, mit dem Blut der Wikinger in den Adern. Sie war es auch gewesen, die mir den Namen Leif gegeben hatte – ein mit Langdon unvereinbarer Vorname, so unvereinbar wie ich mit der Familie.

Jim und ich waren am gleichen Tag ins Dartmouth College in New Hampshire gekommen. Ich erinnerte mich noch sehr gut, wie ich ihn damals zum ersten Mal gesehen hatte – ein großer, bronzehäutiger Bursche mit einem Adlergesicht und unergründlichen schwarzen Augen, ein reinrassiger Tscherokese aus dem Stamm, aus dem der große Sequoyah hervorgegangen war. Ein Stamm, der durch viele Jahrhunderte für seine weisen Ältesten und seine starken, listigen Krieger bekannt gewesen war.

Im Collegeregister stand sein Name als James T. Eagle, aber bei den Tscherokesen hieß er Zwei Adler, und seine Mutter nannte ihn Tsantawu. Vom ersten Augenblick an hatten wir unsere Seelenverwandtschaft erkannt. Nach den alten Ritualen seines Volks waren wir Blutsbrüder geworden, und er gab mir einen geheimen Namen, den niemand außer ihm und mir wusste – Degataga. Das heißt so viel wie: einer, der einem so nahe ist, dass beide eins sind.

Von meiner Körperkraft abgesehen, hatte mir die gute Fee noch eine Gabe in die Wiege mitgegeben: mein Talent für Sprachen. Ich beherrschte bald so gut Tscherokesisch, als wäre ich in diesem Stamm geboren und aufgewachsen. Jene Jahre im College waren meine glücklichsten. Während des letzten Jahres trat Amerika in den Weltkrieg ein. Gemeinsam verließen Jim und ich Dartmouth. Wir brachten unsere militärische Grundausbildung hinter uns und fuhren auch auf dem gleichen Schiff nach Frankreich, zum Einsatz an der Front.

Während ich so in der allmählich immer heller werdenden alaskischen Dämmerung saß, wanderten meine Gedanken weiter die vergangenen Jahre zurück – Mutters Tod genau am Tag, als der Waffenstillstand unterzeichnet wurde – meine Rückkehr nach New York in eine Familie, die ihre Feindseligkeit gegen mich kaum verbarg – Jims Rückberufung in seinen Stamm – meine Ausbildung als Bergwerksingenieur – meine Reise nach Asien und mein Aufenthalt dort – meine zweite Rückkehr nach Amerika und meine Suche nach Jim – und nun diese Expedition nach Alaska, mehr aus Kameradschaft und des Friedens in der Wildnis wegen als um des Goldes willen, das wir angeblich suchten.

 Ein langer Weg seit dem Krieg, und erst diese letzten zwei Monate hatte ich mich wieder wohl gefühlt. Wir waren von Nome über die Tundren zum Koyukuk gekommen und schließlich hierher zu diesem, unserem letzten Lager unter den Hemlocktannen, irgendwo zwischen den Oberläufen des Koyukuks und des Chandalars im Vorgebirge der noch unerforschten Endicott Range.

Ein langer Weg, wahrhaftig … Und ich hatte das Gefühl, dass hier erst der wirkliche Weg meines Lebens begann.

 

*

 

Der Schein der Morgensonne drang durch die Wipfel. Jim setzte sich auf, blickte mich an und grinste.

»Du hast wohl nach dem Konzert nicht mehr viel geschlafen, hm?«

Ich erwiderte sein Grinsen. »Was hast du mit deinen Ahnen gemacht? Sie haben dich offenbar nicht sehr lange wachgehalten.«

Ein wenig zu gleichgültig sagte er: »Oh, sie haben sich schnell beruhigt.«

Sein Gesicht und seine Augen blieben ausdruckslos. Er versuchte, seine Gedanken vor mir zu verbergen. Die Ahnen hatten sich nicht beruhigt. Er war wach gewesen, während ich gedacht hatte, er schlafe tief. Ich fasste einen schnellen Entschluss. Wir würden südwärts weiterziehen, wie wir es vorgehabt hatten. Ich würde ihn bis zum Polarkreis begleiten. Dort fiel mir dann schon irgendeine Ausrede ein, mich von ihm zu verabschieden.

»Wir lassen den Norden Norden sein«, sagte ich.

»So? Warum?«

»Erklärungen nach dem Frühstück«, erwiderte ich. Ich musste mir erst etwas einfallen lassen, ich war kein guter Lügner. »Mach Feuer, Jim. Ich hole Wasser vom Bach.«

»Degataga!«

Ich blieb wie angewurzelt stehen. Nur in ganz seltenen Augenblicken – wenn er mir seine Zuneigung zeigen wollte – oder in einem Gefahrenmoment – benutzte er diesen Geheimnamen.

»Degataga, du wirst nordwärts gehen! Du wirst es tun, und wenn ich vorausmarschieren muss, damit du folgst …«

Plötzlich sprach er auf Tscherokesisch weiter. »Es muss sein, um deinen Geist zu retten, Degataga. Also, marschieren wir Seite an Seite, Blutsbruder? Oder kriechst du mir nach – wie ein zitternder Hund dem Jäger?«

Das Blut pochte in meinen Schläfen. Ich hob wütend die Hand. Er trat einen Schritt zurück und lachte.

»So ist es schon besser, Leif.«

Mein Grimm erstarb. Ich ließ den Arm fallen.

»Also gut, Tsantawu. Auf in den Norden. Aber es war nicht – nicht meinetwegen, dass ich dir sagte, ich hätte mich anders besonnen.«

»Das weiß ich verdammt gut!«

Er beschäftigte sich mit dem Feuermachen. Ich ging Wasser holen. Wir tranken unseren starken schwarzen Tee und aßen, was von dem kleinen braunen Kranich übriggeblieben war, den sie hier Alaskatruthahn nennen, und den wir gestern geschossen hatten. Als wir mit dem Frühstück fertig waren, fing ich zu erzählen an.

 

 

2. Der Krakenring

 

Vor drei Jahren, so begann ich meine Geschichte, reiste ich mit der Fairchild-Expedition in die Mongolei. Zu ihrer Arbeit gehörte die Suche nach Bodenschätzen für britische Interessengruppen, und ebenfalls ethnographische und archäologische Forschungen für das Britische Museum und die Universität Pennsylvanien.

---ENDE DER LESEPROBE---