The Deadly Side of Love - Francis Eden - E-Book

The Deadly Side of Love E-Book

Francis Eden

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Beschreibung

Ein verzauberter Buchladen, eine Hexe mit ... emotional instabiler Magie und ein Dämon, der ... versehentlich gebunden wurde Sei vorsichtig mit deinen Wünschen, sie könnten in Erfüllung gehen!  Deandra "Dee" Moth gilt dank ihrer magischen Instabilität als wandelnde Katastrophe. Kein Wunder also, dass eine Räumungsklage für ihren frisch übernommenen Buchladen in Ecco Falls eintrifft. Ihr bleiben genau vier Wochen, um zu beweisen, dass sie mehr kann, als Chaos verbreiten. Sie braucht also dringend einen Plan. Denn Dee hat die Nase voll davon, immer wieder zu versagen. Im Hexen-Netz stößt sie auf einen für Anfänger geeigneten Beschwörungszauber. Der Plan? Genial. Die Ausführung? Nun ja… Denn statt eines strahlenden Schutzgeists steht plötzlich der Tod persönlich vor ihr. Groß, düster – und überraschend charmant. Mit der Räumungsklage im Nacken und einem viel zu attraktiven Dämon an ihrer Seite muss Dee schlagartig zwei Probleme lösen: Wie wird sie diesen Dämon wieder los? Und wie rettet sie dabei ihren geliebten Laden? #SmalltownFantasyRomcom #GrumpyxSunshine #ForcedProximity #FoundFamil #WhoDidThisToYou #FakeDating

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Seitenzahl: 430

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Francis Eden

The Deadly Side of Love

Hexbound Disasters

Dilogie Band 1

Ausführliche Informationen über unsere

Autorinnen und Autoren und ihre Bücher

www.leaf-verlag.de

1. Auflage 2025

Originalausgabe:

Copyright © 2025 by LEAF Verlag, Bücherbüchse OHG, Siebenbürger Straße 15a, 82538 Geretsried, Deutschland

Copyright © 2025 by Francis Eden

Textredaktion: Sarah Di Fabio, Yvonne Lübben

Coverillustration und -gestaltung: Francis Eden @francis.eden_art und Caroline Keller @caroline.dsign

Innengestaltung: LEAF Verlag unter Verwendung von Illustrationen von © Francis Eden @francis.eden_art und Caroline Keller @caroline.dsign

Gesetzt aus der Adobe Caslon

Satz: LEAF Verlag unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock (© Alena Koval) und Illustrationen von © Francis Eden @francis.eden_art

eISBN 978-3-911244-50-3

INHALT

EPISODE EINS

YDRIL. HUNGER

KAPITEL 1 | DEE: EINE WANDELNDE KATASTROPHE 10 STUNDEN BIS ZUM DESASTER

KAPITEL 2 | DEE: EINE HEXE MUSS TUN, WAS EINE HEXE TUN MUSS 9 STUNDEN BIS ZUM DESASTER

KAPITEL 3 | DEE: EIN DILEMMA KOMMT SELTEN ALLEIN 7 STUNDEN BIS ZUM DESASTER

KAPITEL 4 | DEE: WIE MAN EINEN SCHUTZPATRON BESCHWÖRT 4 STUNDEN BIS ZUM DESASTER

EPISODE ZWEI

YDRIL. GEBUNDEN

KAPITEL 5 | DEE: MOTTEN, DIE ZUM LICHT FLIEGEN 26 STUNDEN BIS ZUR ERLÖSUNG

KAPITEL 6 | DEE: DÄMONEN UND DRAMATISCHE WENDUNGEN 23 STUNDEN BIS ZUR ERLÖSUNG

KAPITEL 7 | DEE: WIE MAN EINE BOMBE PLATZEN LÄSST 15 STUNDEN BIS ZUR ERLÖSUNG

KAPITEL 8 | DEE: WENN DAS BLATT SICH WENDET 11 STUNDEN BIS ZUR ERLÖSUNG

EPISODE DREI

YDRIL. INFERNO

KAPITEL 9 | DEE: WENN DER VORHANG FÄLLT 6 STUNDEN BIS ZUR SHOWTIME

KAPITEL 10 | DEE: EIN SPIEL AUS LICHT UND DUNKELHEIT 5 STUNDEN BIS ZUR SHOWTIME

KAPITEL 11 | DEE: EIN DEAL MIT DÄMONEN 40 MINUTEN BIS ZUR SHOWTIME

KAPITEL 12 | DEE: WO DIE LIEBE HINFÄLLT25 MINUTEN BIS ZUR SHOWTIME

EPISODE VIER

YDRIL. SHOWTIME

KAPITEL 13 | DEE: WIE MAN EINEN DÄMON DATET 48 STUNDEN BIS ZUR ENTHÜLLUNG

KAPITEL 14 | DEE: SUKKUBUSBLUT, SUKKUBUSBLUT, SUKKUBUS-WAS? 46 STUNDEN BIS ZUR ENTHÜLLUNG

KAPITEL 15 | DEE: GEOMETRIE UND HEXENKUNDE 45 STUNDEN BIS ZUR ENTHÜLLUNG

KAPITEL 16 | DEE: ALLES FAKE 44 STUNDEN BIS ZUR ENTHÜLLUNG

EPISODE FÜNF

YDRIL. HÜLLENLOS

KAPITEL 17 | DEE: WILLENLOS UND VERBRANNT 10 TAGE BIS ZUM VERSPRECHEN

KAPITEL 18 | DEE: EIN ZEICHEN DES ÜBERLEBENS 9 TAGE BIS ZUM VERSPRECHEN

KAPITEL 19 | DEE: DER KLANG VON GOLD 9 TAGE BIS ZUM VERSPRECHEN

KAPITEL 20 | DEE: VON VERRAT UND VERSPRECHUNGEN 9 TAGE BIS ZUM VERSPRECHEN

EPISODE SECHS

YDRIL. WAHNSINN

KAPITEL 21 | DEE: EIN SPIEL MIT DEM FEUER 36 STUNDEN BIS ZUR DUNKELHEIT

KAPITEL 22 | DEE: BRANDGEFÄHRLICH 10 STUNDEN BIS ZUR DUNKELHEIT

KAPITEL 23 | DEE: DER TOD IST NICHT ROMANTISCH 8 STUNDEN BIS ZUR DUNKELHEIT

KAPITEL 24 | DEE: DIE WELT IST VOLL MAGISCHER DINGE UND TOD 6 STUNDEN BIS ZUR DUNKELHEIT

EPISODE SIEBEN

YDRIL. HEILIGE SCHEISSE

KAPITEL 25 | DEE: Überzeugungsarbeit 32 STUNDEN BIS ZUM FALL

KAPITEL 26 | DEE: SCHMERZHAFTE SÜNDEN 31 STUNDEN BIS ZUM FALL

KAPITEL 27 | DEE: MAGISCHE UN FÄHIGKEITEN UND DÄMONISCHE DIENSTE 8 STUNDEN BIS ZUM FALL

KAPITEL 28 | DEE: WENN MOTTEN FALLEN 32 MINUTEN BIS ZUM FALL

EPISODE ACHT

YDRIL. O DARLING

KAPITEL 29 | DEE: SEELENRUHE UND SEELENHEIL 4 TAGE BIS ZUM RAD DES SCHICKS ALS

KAPITEL 30 | DEE: PROKRASTINATION MIT EINEM DÄMON 4 TAGE BIS ZUM RAD DES SCHICKS ALS

KAPITEL 31 | DEE: SPIEGLEIN, SPIEGLEIN 3 TAGE BIS ZUM RAD DES SCHICKS ALS

KAPITEL 32 | DEE: EIN RISKANTER PLAN IST IMMER NOCH EIN PLAN 3 TAGE BIS ZUM RAD DES SCHICKS ALS

EPISODE NEUN

YDRIL. ICH KANN

KAPITEL 33 | DEE: DIE NACHT DER SCHATTEN UND GEISTER 1 TAG BIS ZUR BEFREIUNG

YDRIL. DICH NICHT

KAPITEL 34 | DEE: INTRIGEN UND VERWIRRUNGEN 58 MINUTEN BIS ZUR BEFREIUNG

YDRIL. VERLASSEN

KAPITEL 35 | DEE: WENN MOTTEN DAS LICHT SCHEUEN 46 MINUTEN BIS ZUR BEFREIUNG

EPILOG

YDRIL. MEHRERE WOCHEN NACH DER BEFREIUNG

DANKSAGUNG

HINWEIS ZUM WORT HEXEN:

Das Wort Hexen wird hier genderneutral verwendet. Es steht für Menschen jeder Geschlechtszuordnung. Es ist an manchen Stellen bewusst eurer Fantasie überlassen, welches Geschlecht sich hinter einer Aussage verbirgt und was das möglicherweise über die Sexualität aussagt.

Bitte lass dich von dem süßen Cover nicht in die Irre führen. The Deadly Side of Love ist eine RomCom mit leichten Fantasy-Elementen. Dennoch werden folgende Themen behandelt: Blutmagie, Selbstverletzung, Tod, Seelenraub, Blasphemie, Alkoholkonsum, Krankheiten, Mord sowie sexuelle Inhalte – inklusive sehr leichten Andeutungen zu Kinks (Breath Play, Praise Kink, Blood Play, Sensory Play). Wenn du keinen Spice magst (auch dann, wenn dieser nicht explizit ausgeschrieben wurde), kannst du Kapitel 30 überspringen, ohne etwas von der Geschichte zu verpassen.

Jetzt wünsche ich dir viel Spaß beim Lesen!

Deine Francis

Für all jene, die schon einmal dachten, nicht gut, schlau oder schön genug zu sein. Die immer nur das Besondere an anderen sehen, sich selbst aber herabmindern. Es gibt immer jemanden, für den ihr ein Dornenrufer seid.

YDRIL HUNGER

Die meisten Tage in meinem Leben brachten den Tod.

Denn ich war der Tod.

Ein Jäger. Der beste, um genau zu sein. Immer auf Platz eins.

Ich kannte weder Gnade noch Reue. Liebte es, wenn ein neuer Auftrag mich auf die Suche schickte. Nach den verdorbenen Seelen, deren Geschmack ich auskosten konnte. Bei mir gab es keinen leisen Tod, kein friedliches Einlullen, keine besänftigenden Worte. Denn Gnade schmeckte fad und sinnlos. Sie stillte den ewigen Hunger nicht und nur wenige Seelen hatten es verdient, sanft geholt zu werden.

Ich stützte meine Hände auf dem Schreibtisch ab, den Blick starr auf die Unterlagen vor mir gerichtet. Wie immer auf der Suche. Nach Tod, Verderben. Gewalt. Nach diesem einen Auftrag, der endlich meinen Hunger stillen konnte. Der diese frische, reinigende Energie in meinen Fingerspitzen pulsieren ließ.

So wie jetzt.

Die Schatten, die meine Fingerkuppen schwarz färbten und sich von dort die Hand hinaufschlängelten, waberten hungrig hin und her, während ich die Notizen eingehender studierte. Wenn ich meinen geschätzten Posten hinter den Akten der Unterwelt aufgab, musste ich sicher sein.

Denn die Jagd soll sich lohnen.

Obwohl der Hunger in mir immer lauter schrie und sich aufbäumte, ignorierte ich ihn stoisch. Jeder Auftrag brauchte seine Vorbereitung, den perfiden Mix aus Gerissenheit, Leidenschaft und Spürsinn. Lange schon hatte keine Seele mein Interesse mehr wecken können. Seit Ewigkeiten zwickte die Sehnsucht wie ein lästiger Dornenrufer in meine Eingeweide. Genau deshalb gab ich mich mit dem Geschmack eines alltäglichen Todes nicht mehr zufrieden. Mit dieser abgestandenen Pampe, die die neue, friedliche Welt angeschleppt hatte.

Rauch floss wie dicke schwarze Tinte aus meinen Fingern und füllte den Raum aus, nahm Bücherstapel, Schriftrollen und Artefakte ein, bis sie zu Schemen wurden.

Verwirrt starrte ich dorthin, wo besagte Hände liegen mussten. Der dichte Nebel hatte sie inzwischen vollends geschluckt. Wie ungewöhnlich.

Wabernde Dunkelheit breitete sich aus, nahm alles ein. Die Studien auf dem Tisch. Den Stapel aus Büchern, Notizen und Ansammlungen von Akten. Doch egal, wie angestrengt ich in die Finsternis und zu den Objekten starrte, die von ihr erobert wurden, ich fand den Grund für dieses Verlangen nicht. Diesen Hunger. Die pure, triefende Gier. Irgendwo in diesen Unterlagen schlummerte die Antwort auf meine Sehnsucht, sie war da … nur wo?

»Irgendwas stimmt hier nicht.« Umbras Stimme hallte in meinem Kopf wider und ich musste ihr recht geben.

All das hier ergab keinen Sinn.

Aber dann … fühlte ich es.

Nein, schmeckte es.

Hmmm …

Und der Hunger brüllte. Unbarmherzig. Gnadenlos. Bis mein Blickfeld sich schwarz trübte und summende Energie meine Nervenbahnen flutete.

So. Ausgesprochen. Köstlich.

Bevor ich dem Geruch dieser Seele folgen und ihre Herkunft ergründen konnte, durchschnitt blendend weißes Licht die Schatten. Und dann? Dann ging einfach alles verdammt schief.

Bis heute war Am I the Goblin? meine absolut ungeschlagene Lieblingssendung gewesen. Zumindest bis die Stimme von Chris-fucking-Leebold mir einen verbalen Hammer an den Kopf schmetterte.

Wie jeden Morgen seit meiner Ankunft in Ecco Falls lief der Podcast laut auf meinem Handy, während ich mich in diesem winzigen Zimmer, das ich neuerdings mein Heim nannte, zurechtmachte. Bereits der Einspieler sorgte dafür, dass mein Ellenbogen gegen die Badezimmertür stieß. Gerade, als ich die Bluse über den Kopf gezogen hatte. Für einen Moment verlor ich die Orientierung – was wirklich einer durch und durch überragenden Fähigkeit glich, bedachte man, dass ich mich in dieser Kammer drehen und nahezu alle vier Wände gleichzeitig berühren konnte. Fluchend stolperte ich gegen das neue Bett, das ich seit dem Einzug vor drei Wochen mein Eigen nannte.

Endlich befreite ich den Kopf und fiel auf das knarzende Ungetüm, das annähernd achtzig Prozent der aus Holz und Schrägen bestehenden Dachkammer einnahm. Keine Ahnung, wem dieses Zimmer früher gehört hatte, aber die Person musste winzig und genügsam gewesen sein. Nicht, dass wir im Hexenzirkel auf der anderen Seite des Silver Lakes im Luxus gebadet hätten. Nur erinnerte das hier mehr an eines dieser schaurigen Märchen. Mit Happy-Ever-After-Ende und einem Prince Charming mit blonder Wallemähne und Diamantlächeln.

Würg.

Von solchen Männern hatte ich gestrichen die Nase voll.

Apropos Prince Charming.

Dieser Einspieler meiner Lieblingssendung? Der weckte allerlei stürmische Erinnerungen an meinenPrince Charming. Zum Glück lebte Cal weiterhin auf der anderen Seite des gigantischen Sees in Stars Creek. Dagegen wurde Am I the Goblin? in Ecco Falls ausgestrahlt. Nichts würde die Hexen zu Hause dazu bringen, sich irgendwas anzuhören, das nicht aus ihren magisch-technischen Händen stammte. Seit ich in dieser Kleinstadt festsaß, verschlang ich also jede Folge, weil der trockene Humor der drei Sprecher mich an die zärtlichen Gemeinheiten des Zirkels erinnerte.

Manchmal vermisste ich ihn.

Den Humor und die Hexen auf der anderen Seite, nicht ihn.

Kopfschüttelnd steckte ich meine Bluse in die Hose und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Schlammbraunes Haar fiel in einem Mix aus glatten und gewellten Strähnen über meine Schultern. Die langen Ärmel der Bluse verdeckten die Narben und das Zeichen des Zirkels, das sich weißlich auf dezent gebräunter Haut abhob.

Ich erschien professionell.

Wie eine echte Buchhändlerin.

Eine, die ihren Zirkel mit Stolz erfüllen würde.

Nicht die chaotische und magisch unbegabte Deandrea Moth, die ich ein Leben lang auf der anderen Seite des Silver Lakes gewesen war.

Während die Jungs von Am I the Goblin? über die letzte Folge sprachen und ein wenig scherzten, schloss ich mein Kämmerchen ab und versiegelte die Tür mit einem Tropfen Blut aus der Fingerkuppe. Einzig dafür hatte ich einen Nagel in das Holz geschlagen. Es knisterte und zischte, doch die Tür folgte dem Zauber und ich atmete beruhigt auf. Heute wird es keine Entgleisungen geben, versprach ich mir.

Ich eilte die knarzende Holztreppe hinab, die jeden meiner Schritte auslachte, und landete in einem staubigen, finsteren Raum. Der Geruch von altem Papier und Leder stieg mir in die Nase und sofort kribbelte es dort. Ein weiterer Tropfen Blut, den ich aus der noch frischen Wunde presste, reichte aus, damit sich ein Flämmchen an der Wand entzündete. Die Schale neben der Treppe leuchtete golden auf und ich atmete tief ein, um mich für diesen Tag zu wappnen.

Was für ein Fehler.

Staub kratzte mir im Hals und in der Nase. Das Kribbeln wurde schlagartig unerträglich.

Hatschiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!!!!

Das Flämmchen erlosch und Dunkelheit umarmte mich.

Na wunderbar.

Konnte nicht ein Tag glatt verlaufen?

Mit dem Daumen strich ich die von der Stauballergie ausgelösten Tränen unter meinen Augen weg und kämpfte weiter gegen das Kribbeln an. Ich streckte suchend die Hand aus und fand das Messer neben dem Gefäß, das für mein tägliches Ritual bereitlag. Ein kurzer Schnitt an der Handinnenfläche, dann hielt ich die Finger über die Schale. »Warum kehrt der Staub in dieses Geschäft zurück wie ein fieser Dornenrufer, den man auch nach Wochen noch in der Strickjacke findet?«, brabbelte ich gereizt vor mich hin.

Die ersten Tropfen Blut trafen auf das Metall und Lichtflämmchen erwachten überall im Laden. An den Wänden entlang und über den schmalen Gängen, an denen sich die Lederbände bis an die Decke stapelten. »Und warum wollte ich ausgerechnet diesen Job?«

Weil ich Bücher liebe, flüsterte meine innere Stimme und vertrieb die aufkeimende Versagensangst.

»Weil du zu nichts anderem zu gebrauchen bist?«, erwiderte Gilbert trocken aus seiner Ecke.

Ich warf ihm einen teuflischen Blick zu.

Stan, der Dritte im Bunde der Am-I-the-Goblin?-Jungs las weiter den Leserbrief vor, als ich in die mit mattem Holz vertäfelte Küche schritt. Stan war ein friedlicher Zwerg, der oftmals reife Einblicke und anständige Tipps gab. Ich mochte ihn, aber seine Worte jagten mir einen Schauer den Rücken hinab. Verflucht, diese Geschichte über eine Freundschaft seit Kindheitstagen klang viel zu vertraut. Dabei war das Ausblenden meiner eigenen persönlichen Tragödie das einzig Erfreuliche am Weggang aus Stars Creek gewesen. Das und nun ja …die Bücher hier.

Ich bereitete mir einen Tee zu und ging die Parallelen durch, die bisher genannt wurden:

Innige Freundschaft.

Check.

Zusammen aufgewachsen inmitten einer Gemeinschaft.

Check.

In der Nähe eines Sees.

Check.

Okay, das traf streng genommen auf jedes Wesen in Ecco Falls zu. Also lachte ich dieses Gefühl nieder, das in mir hochkochte wie das frisch aufgebrühte Teewasser.

Gedankenverloren lauschte ich der eben entfachten Diskussion zwischen Cregg und Chris Leebold über die Vorzüge von Friends-to-Lovers-Storys, bis Stan die beiden unterbrach, um die Geschichte fortzuführen.

Verdammt, ja!

Ich brauchte Gewissheit, dass das hier ein Zufall war.

Mit dem Tee in der Hand ging ich zurück zum Verkaufsraum und warf den hektischen Lichtern und Gilbert einen warnenden Blick zu. Bei anderen Hexen gäbe es anstelle des Flackerns eine gleichmäßige Lichtquelle, welche die Räumlichkeiten bis in die letzte Ecke ausleuchtete. Bei mir jedoch verwandelte sich dieser Buchladen in eine Gruselhöhle mit unstetem Kerzenschein.

Wenn das Witch Way in den vergangenen Jahren uns gehört hätte, gäbe es hier Licht und Elektrizität, doch so war ich auf meine Magie angewiesen. Was all das hier nicht besser machte.

»Heute wieder etwas instabil, hmmm?«

Ach ja, Gilbert …

Mir war keine Hexe bekannt, die es schaffte, einem Totenschädel einen eigenen – vor allem sarkastischen – Kopf zu bescheren, ohne ihm Einhalt gebieten zu können. Ich dagegen hatte keinerlei Macht über Gilbert und seinen fehlenden Anstand. Sobald Magie ihn zum Leben erweckte, bereicherte er meinen Alltag im Buchladen mit seinem charmanten tiefschwarzen Humor.

»O Mann …« Die Stimme von Chris Leebold holte mich zurück. »Du willst mir sagen, der Kerl flirtet mit seiner besten Freundin und zieht diese ganze Nummer ab. Händchen halten.« Check. »Kuscheln.« O nein … Check. »Gemeinsame Roadtrips – zu zweit wohlbemerkt, nicht in einer Gruppe.« CHECK. »Und dann …«, redete Chris weiter und mein Magen sackte in die Kniekehlen.

Unmöglich.

»Dann fatshamed er sie, als sie zugibt, Gefühle für ihn zu haben«, beendete Cregg den Satz.

Normalerweise liebte ich seine trockenen Kommentare. Doch hier ging es gerade um mich. Glaubte ich zumindest.

»Dieser …« Stan stockte kurz, fand dann anscheinend, was er gesucht hatte. »Cal scheint einer von der ganz netten Sorte zu sein.«

Schon hatte ich meine Antwort.

»Also keine Friends-to-Lovers-Story?« Cregg.

»Sieht nicht so aus«, brummte Chris.

»Laut dem Brief hat seine Freundin den Ort verlassen, nachdem er deutlich gemacht hat, dass er nie Gefühle für sie haben könnte«, ergänzte Stan, nur um meiner imaginären Liste das letzte Häkchen hinzuzufügen: »Vor der gesamten Gemeinschaft.«

Ich hätte die Sendung einfach beenden sollen. Es wäre so einfach. Die Verbindung mit der Magie kappen. Sogar für mich wäre das machbar. Stattdessen blieb ich aber wie versteinert mitten im Laden stehen und starrte die Lichter an, die sich pulsierend aufbäumten, um immer wieder in sich zusammenzufallen.

»Oh, oh«, warnte Gilbert.

»Was für ein Arschloch«, brummte Chris aus dem Telefon.

»Dieser Cal ist wohl nicht unser Freund?«

»Nein, Gilbert. Nicht mehr.« Früher schon. Da war Cal mein bester Freund und die Liebe meines Lebens gewesen. Bis er mir letzten Monat alles genommen hatte.

Meine Würde.

Mein kaum vorhandenes Ansehen.

Die Hoffnung auf ein Happy-Ever-After.

Dann erloschen erneut alle Lichter und es wurde stockduster um mich herum. Gilberts Augen blieben die einzige Lichtquelle – zwei violett schimmernde Kugeln in der staubigen Dunkelheit.

»Er ist so was von ein Goblin.«

Vielleicht mochte ich den Schädel doch ein wenig.

Wie lange willst du noch deinen Arsch im Spiegel betrachten?«

Ich verdrehte die Augen, bemüht, Gilbert weiter zu ignorieren. Der kurze Anfall von Zuneigung hatte sich binnen Sekunden aufgelöst. Also stürzte ich mich in die Eröffnung des Geschäfts. Nicht, dass es etwas nutzen würde. Seit ich diesen Laden führte, hatten sich exakt drei Wesen hierher verirrt. Ein Oger, der das winzige Gnom- oder Zwergenbett in meiner Dachkammer gegen das knarzende Ungetüm getauscht hatte. Eine Kundin, die auf der Suche nach einem Blumenladen hereingestolpert war (wir wurden gemeinsam eine Querstraße weiter fündig). Und Astrid. Beste Freundin Schrägstrich der einzige Grund, warum ich nicht vor Sehnsucht nach Stars Creek verging (und nicht längst aufgegeben hatte, in den Kreis des Zirkels zurückgekehrt war und meinen emotionalen Tod hingenommen hatte).

»Musst du wirklich hören, dass dein Hintern in dieser Hose keine Vollkatastrophe ist?«, schnippte sich Gilbert zurück in meine Gedanken und mir wurde bewusst, dass ich weiterhin in den Spiegel starrte, der sich neben der Kasse befand. Ein längliches Ungetüm voller Eisenschnörkel, das perfekt in eine Boutique für gotische Hexen gepasst hätte. Wobei, dank der atmosphärischen Kerzenstimmung, die hier herrschte, passte er irgendwie auch ins Witch Way.

»Willst du mich weiter ignorieren und den Frust wegen deines Ex an mir auslassen?« Aus irgendeinem Grund war Gilbert heute abscheulich gesprächig.

»Ehemals bester Freund«, korrigierte ich ihn. Ex implizierte mehr. Doch laut Calix-Prince-Goldene-Wallemähne-Charming hatte ich mir alles nur eingebildet. Die romantischen Spaziergänge (bei Sonnenuntergang, verdammt!), die Momente voller Zweisamkeit, die Tatsache, dass immer er meine Nähe gesucht hatte (inklusive Händchenhalten mitten im Zirkel). All das … Die puuure Einbildung.

»Vom Starren wird dein Hintern nicht schrumpfen.«

Brodelnd drehte ich mich dieser Warzenkröte eines Schädels zu. »Soll er auch nicht!« Ja, es klang wie eine Rechtfertigung. Dabei hatte ich früher nie das Gefühl gehabt, meinen Körper verteidigen zu müssen. Bis Cal öffentlich seine Abneigung verdeutlicht hatte, hatte ich diesen Anblick gemocht und geglaubt, dass auch er eine Vorliebe für jede dieser Rundungen besaß. Noch so ein Irrglaube.

»Perfekt.«

Ich warf einen letzten Blick auf meine Rückseite und stimmte Gilbert zu. »Ohne Frage.«

Statt einer Antwort erntete ich ein Schnauben, aber als ich ihm eine Verschwörung an den Schädel werfen wollte, glaubte ich, ein Grinsen auf seinem fleischlosen Mund zu erkennen.

Bevor ich den Fehler machte, mein zerbrechliches Herz erneut für diesen nervtötenden Schädel zu erwärmen, stürzte ich mich zurück in die Arbeit und begann, die Bücher neu zu sortieren. Wenn die Kunden nicht in das Witch Way kommen wollten, musste ich eben einen Weg finden, zu ihnen zu gelangen.

Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, die beiden kleinen Körbe, die verstaubt in der Ecke des Ladens verfaulten, nach draußen zu befördern. Jedes Mal, wenn ich am helllichten Tag den Weg vor die Tür fand, brauchten meine Augen einen Moment, sich an das Licht zu gewöhnen. Dieser Wechsel von stetig flackernden Lichtern in der Dunkelheit des Ladens zur brennenden Sonne in Ecco Falls war drakonisch. Selbst im Herbst herrschten stets lauwarme Temperaturen im Gebiet rund um den Silver Lake. Je nachdem wie der Wind stand, wehte eine kühle Brise von den Silver Mountains herüber. Sie brachte behagliche Abkühlung und den Geruch von Wald und Schnee mit sich. Heute schlug mir nur ein Mix aus Gewürzen und dem von der Sonne erwärmten Kopfsteinpflaster entgegen. Für einen Moment gönnte ich meiner vom Staub geschundenen Nase eine Auszeit und inhalierte die Luft. Bis ich meinte, die Blumen des Ladens zwei Straßen weiter zu riechen.

Und so ertappte ich mich dabei, wie ich summend die Körbe vor dem Witch Way zurechtrückte und sie mit meinen Lieblingsklassikern füllte. In der Hoffnung, auf Gleichgesinnte zu treffen, legte ich ein paar Monster-Smut-Exemplare dazu. Vielleicht war ich ja nicht die Einzige, die ab und an etwas fjktiven Spice im Leben brauchte.

Das Kribbeln in meiner Nase kehrte schlagartig zurück und wurde binnen Sekunden so brennend, dass ich mehrfach niesen musste, bis die Titel der Bücher durch den Tränenschleier kaum mehr lesbar waren.

»Ist deine Allergie heute so schlimm?«

Blinzelnd drehte ich mich der bekannten Stimme entgegen und wusste sofort, woher diese heftige Reaktion kam. »Astrid!«

Ich erntete ein Lachen, dann folgten zwei Hände, die mich in eine steinharte Umarmung zogen. Was der ungezähmten Berührung eines Ogers gleichkam, aber ich liebte Astrids raue Zärtlichkeit. Ich wünschte nur, sie würde mich nicht auch Lou näherbringen. Der Otter auf Astrids Schultern quietschte erfreut und ich bemühte mich, Abstand zwischen uns zu bringen.

»Ist deine Schicht vorbei?«, fragte ich und wischte die Tränen fort, bis die schwammigen Bilder sich in braune Haut und purpurfarbene Haare verwandelten. Astrid steckte noch in ihrer Arbeitskleidung – eine schulterfreie sandfarbene Korsage und ein weit ausgestellter rostroter Rock mit Taschen. Ihre purpurnen Locken hatte sie nach oben gebunden und vereinzelte Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Auf ihren vollen Lippen fand ich das für sie typische Lächeln, das ihre braunen Augen zum Strahlen brachte. Mein persönliches Unglück namens Lou fand ich direkt auf ihrer Schulter. Ein Knopfauge strahlte mich an, das andere wurde von einer Augenklappe verdeckt.

»Ich hab nicht viel Zeit.« Astrid hakte sich bei mir ein und zog mich zurück in den Laden. Kaum hatten wir vom blendenden Sonnenlicht in die flackernde Düsternis des Witch Way gewechselt, fand auch schon Astrids Haustier seinen Weg auf meine Schulter.

Hatschuuuuuuuu!!!

»Heute ist es wirklich schlimm, Dee.« Astrid musterte mich besorgt, beiläufig schenkte sie Gilbert einen Handkuss.

»Geht schon.« Ich wedelte mir Luft zu, atmete dadurch aber nur noch mehr ein. Dieser Mix aus Staub und Lou brachte meine Allergie gewaltig auf Hochtouren. Dicht befeuert von der Liebe des Otters. Lou drückte sich in mein Haar und vergrub sich aufgekratzt darin, was mir trotz brennender Augen ein Lächeln entlockte.

»Warte.« Astrid ließ mich los und bevor ich etwas entgegensetzen konnte, schnitt sie sich mit meinem Messer in die braune Haut am Arm. Lediglich tief genug für vier, fünf Tropfen Blut. Sie nahm sie mit dem Zeigefinger auf und kam näher. Einen Zauberspruch flüsternd, rieb sie Daumen und Zeigefinger über meinem Lippenbogen gegeneinander. Der metallische Geruch legte sich in meiner Nase ab, dicht gefolgt von dem befreienden Gefühl, wieder atmen zu können. Meine Lunge füllte sich mit Luft, ohne sich an dem ewigen Staub des Witch Way oder Lous Haaren zu stören, die bei ihrem Gewühl unweigerlich herumflogen.

»Das hätte nicht sein müssen.« Ich strich besorgt über die Wunde auf Astrids Arm, die sich bereits wieder schloss.

Sie zuckte entspannt mit den Schultern. »Ich konnte die letzten acht Stunden keine Magie ausüben«, erklärte sie grinsend, »weil diese Wesen in Ecco Falls dann durchdrehen und Hexe winseln würden. Tut gut, endlich wieder normal zu sein.« Sie ließ sich auf einen der opulenten Samtsessel neben den Bücherregalen fallen, die für Gäste vorgesehen waren. Dann leckte sie die letzten Tropfen Blut von ihren Fingern, fächerte die Hand aus und pustete einmal über die Handfläche. Augenblicklich wurde aus dem unsteten Flackern ein gleichmäßiges Glimmen, das mein Gruselkabinett in warmes Licht tauchte und jeden Winkel erfüllte. Aus Gothic-Schick wurde ein behaglich erleuchteter Buchladen.

Ich schluckte die Eifersucht herunter. Im Gegensatz zu mir konnte Astrid ihre Magie gezielt einsetzen, sodass ein Alltag, ohne ihre Fähigkeiten zu nutzen, für sie unvorstellbar war. Die Zeit in der Taverne brachte ihre Geduld jedes Mal an den Rand des Erträglichen. Da sie alles wie ein normaler Mensch angehen musste, statt schlicht ein Messer zu zücken, etwas Blut zu vergießen und eine kurzweilige Narbe zu produzieren, die binnen Minuten, Tagen oder Wochen verblassen würde. Je nach Umfang des Zaubers. Zumindest galt das für alle Hexen, die ich kannte. Meine Narben blieben oftmals für Monate.

Japp, noch so eine Besonderheit.

Willkommen in meinem Leben.

Deswegen wagte ich kaum mehr als diese mickrigen Zaubertricks. Astrid brauchte dafür lediglich ein paar winzige Restpartikel ihres Blutes und ließ all das hier so mühelos aussehen.

Als sie meinen Blick bemerkte, atmete meine Freundin hörbar aus. »Sorry. Ich wollte nicht –«

»Schon gut«, wehrte ich ab. »Es sieht … netter aus.«

»Trotzdem hätte ich nicht einfach –«

»Unserer Vollkatastrophe unter die Nase reiben sollen, wie viel begabter du im Vergleich zu ihr bist?«

»Gilbert!« Ich ersparte mir einen weiteren tödlichen Blick in seine Richtung.

»Er hat ja recht.« Astrid lachte auf. »Nicht mit der Vollkatastrophe.« Zum Beweis zog sie ein Kartendeck aus ihrer Rocktasche und ich stöhnte auf. Was Lou dazu brachte, begeistert zu quietschen. Der Otter liebte den Platz unter meinen Haaren fast so sehr wie Astrid, die ihm vermutlich vor drei Wochen das Leben gerettet hatte, als sie das verwundete Tier bei sich aufnahm.

Zu meinem Leidwesen.

Diese Frau besaß ein viel zu reines Herz.

Nicht eine Sekunde hatte sie gezögert, den Zirkel hinter sich zu lassen, um mich nach Ecco Falls zu begleiten. Weil sie mich »nur über ihre Leiche allein in dieses Rattenloch steigen lassen würde« – ihre Worte.

Seitdem lebte Lou bei Astrid, hatte sich erholt und trug eine Augenklappe dort, wo vor drei Wochen eine blutende Wunde gewesen war. Nur deswegen (und nach der Erkenntnis, dass die Dachkammer zu winzig für uns beide wäre) hatte ich zugestimmt, dass Astrid sich eine eigene Bleibe suchte. Lou würde mich vermutlich im Schlaf töten, nicht, weil sie unsagbar barbarisch oder viel zu süß war (das war sie! Bei Orla, ich liebte Tiere!), sondern weil ich schon immer hochgradig allergisch auf tierische Lebewesen reagiert hatte. Was ich die letzten vierundzwanzig Jahre ausgezeichnet vor dem Zirkel und meiner besten Freundin hatte verbergen können.

Ehrlich?

Eine Hexe mit emotional instabiler Magie und dann auch noch allergisch gegen Tiere?

Wisst ihr, was die größte Ehre einer Hexe ist?

Ein tierischer und magischer Begleiter.

Genau.

Denkt mal darüber nach.

Astrid legte die Karten auf dem runden Tisch zwischen den Lesesesseln ab und es sagte viel über meine Liebe zu ihr aus, dass ich nicht jammerte, mich wehrte oder einfach ging. Denn ich hasste ihre Vorliebe dafür, meine Zukunft in den Karten zu lesen. Ein Blick aus ihren braunen Augen verriet mir, dass ihr diese Abneigung bewusst war.

»Für mich?«

Sie legte drei Stapel auf den Tisch und drehte die erste der oberen Karten um. Sie wusste, dass ich nicht ablehnen würde, weil ich den Grund kannte, warum sie so interessiert an meiner Zukunft war. Weil sie ihre eigene nicht sehen konnte.

»Genau deswegen«, sagte sie und legte einen Finger auf das bunte Bild mit den neun Münzen, »lege ich dir jedes Mal die Karten, wenn du so schaust. Verdreh nicht die Augen, Dee! Ich weiß, dass in dir eine ungeahnte Kraft schlummert, du musst nur noch …«

»… lernen, sie zu kanalisieren«, vervollständigte Gilbert die Phrase und machte dabei Astrids samtige Stimme nach. Wahnsinn, der Schädel begleitete uns drei Wochen und kannte bereits die Vorträge meiner besten Freundin. »Geh endlich zum spannenden Part über.«

Ich schnaubte, musste mir aber ein Grinsen verkneifen, als dieses Mal Astrid Gilbert einen teuflischen Blick zuwarf. Dennoch folgte sie seiner Aufforderung, deckte auch die zweite und dritte Karte auf, ehe sie sich mit verschränkten Armen zurücklehnte. Sie gab ein Grummeln von sich, das sehr nach »Zufrieden?« klang.

»Das Übliche?« Dieses Mal war ich sicher, dass Gilbert grinste.

»Ein Deck aus achtundsiebzig Karten und doch –«

»Sind es immer die gleichen«, beendete dieses Mal ich Astrids Satz.

Ich war es müde, um dieses Thema herumzukreisen. Anfangs war es noch witzig gewesen, als Astrid herausgefunden hatte, dass sie eine Begabung für das Kartenlesen besaß. Doch irgendwann war aus Spaß Ernst geworden. Vor allem, nachdem klar wurde, dass meine Zukunft über Jahre hinweg gleich aussah.

Neun Münzen standen für verborgene Talente und die erfüllenden Ergebnisse der eigenen Handlungen. Der Grund, warum Astrid glaubte, in mir steckte mehr als nur Instabilität. Ich dagegen hoffte eher darauf, dass ich mich wie ein normaler Mensch mit einem normalen Job hervortun konnte.

Einem erfolgreich geführten Buchladen zum Beispiel.

Die Liebenden standen für … das Offensichtliche: Liebe. Aber auch Sehnsucht, Partnerschaft und Entscheidungen. Die letzten Jahre hatte ich gedacht, dass diese Zeichnung für Cal und mich stehen würde. Für unsere Liebe, die langsam immer mehr erblühen und aus Freundschaft eine Partnerschaft erwachsen lassen würde. Es war wohl doch die Sehnsuchtskarte. Tjoa. Shit happens.

Und dann war da noch …

»Der Tod muss nicht unbedingt für das Ende eines Lebensabschnitts stehen«, erinnerte mich Astrid wie ein Uhrwerk.

»Es bleiben noch der Neuanfang und eine Verwandlung«, ergänzte Gilbert.

»Riiiichtig.« Astrid warf ihm erneut einen Blick zu, breitete dann aber die Arme aus und nahm den ganzen von Licht erfüllten Raum mit der Geste ein. »Und wie wir sehen, steckst du mitten in einem Neuanfang.«

Ich ersparte mir die Frage, die seit drei Wochen auf meiner Zunge lag. Warum kam dann weiterhin diese Karte? Wenn der Neuanfang bereits hinter mir lag? Das ergibt keinen Sinn. Es sei denn …

»Denk. Nicht. Einmal. Dran«, warnte Astrid und setzte dazu an, noch mehr zu sagen, doch da wurde sie erneut von Gilbert unterbrochen.

»Willkommen im Witch Way, mein Herr!«

Überrascht sprangen Astrid und ich auf, denn mitten im Eingang stand ein männlicher Halborc. Über zwei Meter groß, mit breiten Schultern, kurzen braunen Haaren und olivgrüner Haut. Unentschlossen blickte er sich im Laden um und schien zu schrumpfen, als er meinem und Astrids Blick begegnete. »Habt ihr zufällig … Bücher?«

Fast hätte ich gelacht. Doch die dafür zuständigen Gehirnzellen waren vor Angst eingefroren. Ich war zwischen Hexen und magischen Begleitern aufgewachsen. Andere Wesen – vor allem so gigantische – verwandelten meine Knie in wabbelig gekochten Pudding.

»Übers Backen?«, setzte der Mann nach und seine Züge wurden weicher, als sich seine Wangen dunkler färbten.

Astrid gab mir einen Schubs und ich stolperte auf den Halborc zu. Bisher hatte ich nicht viele seiner Sorte gesehen, wusste aber, dass reine Orcs noch größer waren. Seine Züge waren menschlicher, feiner, dennoch markant. Dicke Muskeln hoben sich unter seinem weißen Hemd ab und ich erinnerte mich bewusst daran, dass Ecco Falls eine friedliche Stadt war, in der Wesen aller Spezies miteinander lebten – oder es zumindest seit Neuestem versuchten.

Friedensvertrag, ermahnte ich mich und erwiderte sein scheues Lächeln. »Was brauchst du genau?« Ich schob mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

Seine Wangen wurden noch dunkler und er wich meinem Blick aus. »Ich suche was für …« Er räusperte sich, hielt sich eine Pranke vor den Mund, die ich fasziniert betrachtete. Wahrscheinlich könnte er mich in weniger als drei Sekunden mit zwei Fingern mühelos zerquetschen. Für eine Hexe sollte das nicht beeindruckend sein, denn sie hatte ihre Magie. Aber für eine unfähige Hexe wie mich? Faszinierend …

»Hast du was über Gebäck? Oder besser noch, kleine Desserts?«

Ein Halborc, der wirklich backen wollte?

Wow, dieser Kunde war … besonders.

Und faszinierend.

»Wir können bei den Kochbüchern mal schauen. Notfalls bestelle ich dir was, dann ist es in maximal ein bis zwei Wochen hier.« Die ersten Tage nach meiner Ankunft in Ecco Falls hatte ich damit verbracht, mich durch den Leitfaden für die Führung des Ladens zu wühlen. Ich war gerne vorbereitet. Ohne Fähigkeiten war Wissen die stärkste Macht, die ich besaß. Wissen und Hartnäckigkeit.

Er nickte.

Dann schauten wir uns an.

Oh. Mir wurde bewusst, dass ich mich bewegen musste.

Sonst würden die Neun Münzen auch nicht für den beruflichen Erfolg als Buchhändlerin stehen. Also drehte ich mich um und eilte in den Bereich des Ladens mit den Büchern über Tränke, Kräuter und jede Form der Nahrungszubereitung. »Für Anfänger oder Fortgeschrittene?«

»Ähm …« Er trat neben mir von einem muskulösen Bein auf das andere. »Anfänger.«

Ich strich mit den Fingern über die Buchrücken, griff dann einen Lederband mit grünen und goldenen Verzierungen, der passend erschien. »Du könntest mit dem hier starten. Im System kann ich aber schauen, ob wir noch etwas bestellen können, das besser passt.«

Mit einem Nicken folgte er mir zur Kasse. Ich warf den surrenden Computer an und stellte erstaunt fest, dass auch dieser nicht flackerte, sondern tadellos funktionierte. Danke, Astrid.

Braune Augen musterten das Gerät vor mir. Ich winkte den friedlichen Riesen heran und er kam meiner Geste nach. »Ist das so ein …« Er suchte nach Worten. »Computer?«

Die Lippen fest zusammengepresst, um nicht zu lächeln, nickte ich. Oftmals vergaß ich, dass außerhalb des Zirkels kaum Technik existierte. Wir waren die nerdigen Freaks, die ständig neue Dinge entwickelten und sie mit Magie füllten. Na ja, die anderen Hexen zumindest.

Seine Augen blitzten begeistert auf, als ich die Suchfunktion startete und gemeinsam mit ihm die gelisteten Bücher durchging. Er löcherte mich mit Fragen zum System, das wir entwickelt hatten. Wie diese Computer funktionierten. Und generell zum Mix aus Magie und Technik. Dabei vergaß ich, dass ich mich gerade mit einem Halborc unterhielt, der mein unfähiges Hexendasein binnen Sekunden beenden könnte – mit seinem kleinen Finger. Vielleicht konnte dieser Frieden wirklich funktionieren. Mein erster echter Kunde bestellte am Ende fünf weitere Bücher, die er nächste Woche abholen würde, dann bezahlte er und verschwand.

Noch immer von ihm gebannt starrte ich ihm nach.

»Gar nicht so übel.« Astrid kicherte.

»Für einen Halborc?« Ich dachte kurz nach, aber ja, er sah wirklich nicht schlecht aus. Anders irgendwie, aber gut.

»Für deinen ersten Kunden.«

»Oh.« Meine Wangen wurden heiß.

Gilbert lachte keckernd und ich beschloss wieder, ihn nicht zu mögen. Altes, muffeliges Knochengerüst.

Leider schien Astrids Magie keine Wirkung auf sein Mundwerk zu haben.

Ihr Handy summte und nach einem kurzen Blick legte sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Mit fliegenden Fingern tippte sie darauf herum, dann steckte sie das Telefon wieder weg. In den letzten Tagen machte Astrid das öfter.

»Hast du ein Date?«

Jetzt grinste sie breit. »Ich arbeite dran. Aber vorher muss ich zu einem Vorstellungsgespräch.«

»Was ist mit deinem Job in der Taverne?«

»Wir brauchen mehr Geld.«

Ich seufzte.

Astrid sollte das nicht ausbaden.

Es reichte schon, dass sie mir nach Ecco Falls gefolgt war. Dass sie nun auch noch jeden denkbaren Job annahm, um unser Leben hier zu finanzieren (weil ich es nicht schaffte, genug für uns zu verdienen), zeigte nur, wie spektakulär das alles hier schiefging.

Lou rührte sich wieder in meinen Haaren und ich erstarrte. »Deswegen bist du hier?«

Astrid lächelte gequält. »Kannst du auf sie aufpassen? Lou ist nicht gern allein und ich kann sie nicht einfach mitnehmen. Ich weiß, du magst sie nicht besonders, aber –«

»Ich mach's«, unterbrach ich sie.

Verdammt, wenn Astrid so plapperte, fühlte sie sich schuldig. Und wenn Astrid sich schuldig fühlte, fühlte ich mich superschurkenmies. Ich war hier das Problem, nicht sie. Ohne meine Unfähigkeit würden wir beide nicht hier stecken. In einer anderen Stadt, unter Fremden. Und ich würde keinen Laden führen, der, seitdem er dem Zirkel nach über hundert Jahren überschrieben worden war, keinen Gewinn abgeworfen hatte.

Bis heute.

Vielleicht war es das, was die Karte mit dem Neuanfang gemeint hatte, vielleicht war heute endlich dieser Tag.

Astrid riss mich in eine Umarmung, drückte mir einen Kuss auf den Haarschopf und streichelte Lou, die sich sofort aus ihrem Nest heraustraute. »Ich hol sie vor meiner Nachtschicht wieder ab.«

»Du weißt ja, wo du mich findest«, scherzte ich und Astrid warf einen letzten Blick auf ihr Telefon, winkte dann Gilbert zum Abschied zu und riss die Tür auf.

Nur kam sie nicht weit.

Ein Schrei erklang, dann landete meine Freundin auf ihrem Hintern.

In der Tür stand eine Frau mit blassblauer Haut und schulterlangen mondweißen Haaren, die vollen blutroten Lippen nach unten verzogen. Sie trug ein nachtblaues Kostüm, das an der Taille so eng lag, dass ihre Figur an eine Sanduhr erinnerte. Für einen Moment war ich neidisch. So würde ich nie aussehen. Danke, Cal, für diese verfluchte Unsicherheit, die sich in meinem Kopf eingenistet hat.

»Die Gerüchte stimmen also«, richtete die Kundin ihre Worte an Astrid, die sich gerade wieder aufrappelte und sich den Staub vom Rock klopfte. »Hexenkindern bringt wahrlich niemand Benehmen bei.« Die Fremde wandte den Blick von Astrid ab, nur um mir plötzlich ihre Aufmerksamkeit zu schenken.

»Bitte entschuldigen Sie. Kann ich Ihnen weiterhelfen?« Ich eilte herbei.

»Deandrea Moth?« Fliederfarbene Augen richteten sich auf mich und ich konnte gerade mal zögerlich nicken. »Harper Elison Wolf«.

Da machte es klick.

Heilige Hexenversammlung.

Sie streckte mir einen Brief entgegen und lächelte dabei dermaßen grausam, als wartete sie auf meine Henkersmahlzeit – nein, als wäre ich ihre nächste Mahlzeit. Ein scharfer Eckzahn blitzte auf und bestätigte den Verdacht. Die Familie Wolf war einer der ältesten Vampirclans der Gegend.

»Dieser Laden gehört rechtmäßig uns. Entweder verlassen du und deine mickrige Hexenkröte Ecco Falls wieder oder ihr werdet unsere Familie kennenlernen.« Als ich den Brief nicht ergriff, drückte sie ihn mir schnaubend in die zitternden Hände. Dabei entging mir nicht, dass sich ihre bläuliche Haut lebendiger anfühlte als erwartet. »Solltet ihr bleiben, könnte es höchst … unangenehm werden.«

Astrid schob sich zwischen Harper und mich, erntete aber nur ein müdes Lächeln von der Vampirfrau. Für einen Moment starrten die beiden einander an und ich befürchtete schon einen neuen Krieg. Doch da senkte Astrid den Blick. Was Harper sichtlich genoss. »An den Anblick könnte ich mich gewöhnen.« Mit einem diabolischen Lächeln und aufwirbelndem Staub verschwand sie durch die Tür.

»Was bei den zehn Schwertern geht hier vor?« Astrid musterte den Brief in meinen Händen, als bestünde das blutrote Siegel darauf aus Dynamit. In schwungvollen Verzierungen leuchtete das W auf dem blutroten Wachs. Ein Blick zwischen uns sowie ein kurzes Nicken reichten aus und ich brach das Siegel auf.

Plötzlich wurde mir der Brief entrissen, er flog um die eigene Achse in die Luft und schwebte dort hin und her. Knisternd entfaltete sich das Papier, dann erschien der Kopf eines Gnoms. Der Blick aus seinen pechschwarzen Augen richtete sich sofort auf mich. »Dies ist die förmliche Zustellung der Räumungsklage mit dem Aktenzeichen FT527-391-G-263-F7. Ausgestellt vom Bezirk Ecco Falls, Stadt des neu ausgerufenen Friedens der Gemeinschaft des Gebiets Silver Mountain. Das zuständige Landgericht ist ansässig in Keet Hollow und erreichbar werktags von 08 bis 14 Uhr. Die Klage wird dem vom Hexenzirkel der White Witch als für zuständig bestimmten Zirkelmitglied, Deandrea Moth, derzeit wohnhaft in Ecco Falls, zugestellt. Sie haben genau einen Monat Zeit, die Örtlichkeit, derzeit genannt Witch Way, zu räumen oder binnen vier Wochen nachweislich einen mit Belegen versehenen Einspruch einzulegen. Einsprüche ohne ausreichende Begründung können nicht anerkannt werden. Einsprüche, die zu spät oder nicht nachweislich dem Bezirk von Ecco Falls zugestellt werden, können nicht anerkannt werden. Einsprüche –«

»Jaja«, unterbrach Gilbert die Meldung. »Wir haben es ja kapiert. Wir sind am Arsch.«

Nach einem umfangreichen Spaziergang, bei dem ich Lou (und mir) Frischluft gegönnt hatte, unzähligen hitzigen Diskussionen mit Gilbert und einer massiven Portion Panik hatte ich das getan, was vermutlich alle Hexen an meiner Stelle tun würden.

Ich rief meine Tante an.

Da ich wie alle Hexenkinder als Waise im Kreis des Zirkels aufgezogen worden war, kam Tante Greshna der erwachsenen und soliden Stütze in meinem Leben am nächsten. Damals, als ich noch Sorge gehabt hatte, meine Magie würde einfach nur … sehr spät zünden, war ich zu ihr gegangen und sie hatte mir den Rat gegeben, auf das Universum und die Fügung der Göttin Orla zu vertrauen.

Wenn ich mit meiner Berufung im Zirkel haderte, fragte ich Greshna und … Okay, meine Tante wusste auch nicht so recht, was sie mit mir machen sollte, aber sie war es auch gewesen, die mich nach Ecco Falls geschickt hatte. Mit dem Auftrag, diesen Buchladen im Namen der Hexen zu führen, nachdem er uns vor über hundert Jahren im Krieg genommen wurde – um ihn den Vampiren zu übertragen. Erst durch den neuen Friedensvertrag war er den Hexen wieder überschrieben worden und wir brauchten plötzlich jemanden, der sich um das ehemalige Gebäude, das damals schon den Namen Witch Way getragen hatte, kümmerte. Bedachte man, dass der Laden Greshnas Familie entsprang und für sie schon immer eine große Bedeutung gehabt hatte, glich es einem Wunder, dass sie ihn mir anvertraute. Genau deswegen durfte ich nicht versagen.

Ach ja. Nicht zu vergessen die Situation mit Cal. Vor dem nahezu kompletten Zirkel, der meinem angeknacksten Selbstwertgefühl einen mächtigen Tritt verpasst hatte. Auch hier war ich am Ende bei Greshna gelandet. Und meine Tante hatte Tee aufgesetzt, seelenruhig darin herumgerührt und mir versprochen, ich würde irgendwann auf ein Wesen treffen, das mich liebte. Mit jeder Faser und jeder Kurve. Mit faulem Atem am Morgen, Dehnungsstreifen auf der Haut und unrasierten Beinen. Dann erst sollte ich überhaupt in Erwägung ziehen zu lieben.

Ach, Greshna.

So dürftig mir ihre Ratschläge bisher geholfen hatten, irgendwie vermisste ich die alte Hexe, die mir nur bis zum Brustbein ging. Keiner konnte sagen, wie alt Greshna genau war. Nur war sie einfach schon immer da gewesen.

Und gerade jetzt hätte ich etwas Hilfe vom Zirkel gebrauchen können. Von irgendwem.

Astrid steckte in ihrem Vorstellungsgespräch fest. Sie hatte mir geschrieben, dass sie – anders als geplant – Lou erst nach ihrer Schicht in der Taverne würde abholen können. Also schlug ich Schneisen in die Holzdielen des Buchladens, während ich darauf wartete, dass meine Tante endlich ans Telefon ging.

Doch egal, wie oft ich es versuchte, Greshna ignorierte jeden meiner Anrufe.

Dann versuchte ich es bei Jessina. Barb. Thyon. Und allen anderen gespeicherten Kontakten.

Niemand ging ran.

Was für eine Verschwörung läuft hier ab, verdammt?

Inzwischen waren seit Harpers Auftauchen, der amtlichen Verlesung dieser Räumungsklage und Astrids Verschwinden mehrere Stunden vergangen und die Unruhe übertrug sich immer mehr auf die Beleuchtung im Witch Way. Astrids Zauber ließ allmählich nach, denn der Laden war von Anruf zu Anruf dunkler geworden und die leuchtenden Kugeln, die vor Stunden noch das Untergeschoss mit Licht geflutet hatten, flackerten nun wirr. Hungrig. Überemotionale kleine Spiegelbilder meiner eigenen Verzweiflung.

Lou hatte sich wieder in die Kuhle zwischen Haaren und Nacken verkrochen und lag schwer über meinen Schultern.

Ich darf nicht versagen.

Nicht auch noch hier.

Weit entfernt von der Notwendigkeit, Magie zu verwenden.

Das hier ist meine einzige Chance.

Die Möglichkeit, endlich den Neun Münzen gerecht zu werden.

Es war meine Aussicht auf eine neue Zukunft.

Abrupt blieb ich stehen und ließ das Telefon sinken.

Lou steckte den Kopf hervor, blickte zu mir auf. Ihre Schnurrhaare kitzelten mich am Kinn und ich spürte Gilberts Blick, der sich in meinen Rücken brannte. Seit Stunden hatte er nichts mehr gesagt, was ungewöhnlich für ihn war.

Jetzt seufzte er.

Ich schaute zu ihm hoch, spürte das Brennen in meinen Augen, das ich auf Lou und meine Allergie schob. Dabei wusste ich es besser. Egal, was ich versuchte, mir fiel keine Lösung ein. Ohne Astrid oder Greshna kam ich zu keinem Ergebnis. Weil ich nicht einmal so was Einfaches schaffte, wie einen verfluchten Buchladen zu halten.

Ich habe versagt.

Schon wieder.

»Deandrea«, setzte Gilbert ungewohnt sanft an. »Wir finden einen Weg.«

Ich schüttelte den Kopf.

»Wir haben einen Monat.«

»Um zu verschwinden«, bestätigte ich. Ich hatte keine Ahnung vom Rechtssystem. Ich wusste nicht einmal, ob diese Räumungsklage überhaupt Bestand hatte. Aber ich wusste, dass Harper Elison Wolf die Erbin eines Vampirimperiums war. Sie besaß Geld. Mittel. Ach ja, und Unsterblichkeit. Bei Orla, diese Vampirfrau könnte einfach den Tod aller aussitzen und würde am Ende dennoch gewinnen. Wenn das, was ich über Vampire zu wissen glaubte, wirklich stimmte.

»Wir könnten Astrid fragen, ob sie einen Zauber kennt«, versuchte Gilbert vorzuschlagen, doch ich wehrte ab. Astrid machte bereits zu viel. Das hier war meine Mission.

Ein letztes Mal blickte ich aufs Telefon, beschloss aber, nicht weiter der Hilfe des Zirkels hinterherzurennen. Greshna hatte mich hierhergeschickt, weil sie an mich glaubte. Weil sie wusste, dass ich das hier schaffen würde. Vertraue auf das Universum und die Fügung der Göttin.

Ich schloss die Augen und überlegte fieberhaft, welche Möglichkeiten mir blieben.

»Ruf noch mal an –« Weiter kam Gilbert nicht, denn erneut unterbrach ich ihn mit einer Geste, die Lou aufquieken ließ.

Göttin.

»Schutzpatron!«, rief ich und starrte ihn an.

»Sag ich d– Moment. W-was?«, stotterte der Schädel, seine leuchtenden Augen zu zwei schmalen Schlitzen verformt. Doch ich ignorierte ihn und stürmte auf den Computer zu. Jetzt, wo Astrid nicht mehr da war und ihr Zauber verblasste, flackerte der Bildschirm, doch die Suchfunktion funktionierte noch immer – wenn auch langsam.

»Dee? He! Du kannst nicht einfach Schutzpatron! rufen wie eine Besessene und dann wild auf diesem Ding herumhämmern.«

Mit einer Hand fuchtelte ich in Richtung Schädel herum, tippte aber mit der anderen unentwegt weiter. Sollte das wirklich funktionieren? »Gib mir eine Minute, ich glaube, ich habe eine Idee.«

»So eine Idee wie das eine Mal, als du deiner Vermieterin Blumen schenken wolltest?«

»Woher sollte ich wissen, dass sie allergisch darauf reagiert?«

»Distelquarz ist für alle Gnome tödlich, Dee.«

Ich rollte mit den Augen. »Ich bin nur unter Hexen aufgewachsen. Und jetzt lass mich eben nachschlagen, ob ich richtigliege. Du lenkst mich ab!«

»Du willst aber nicht zaubern … oder? Dee, bitte sag mir, dass du nicht vorhast, Magie zu wirken.«

Darauf gab ich lieber keine Antwort. Denn ein Schutzpatron könnte die Lösung sein. Jemand, der das Witch Waybeschützte, damit Astrid es nicht mehr machen musste. Schutzpatrone waren gute Geister, sie halfen den Bedürftigen und brachten Gerechtigkeit, richtig? Und so verbrachte ich die nächsten zwei Stunden auf diversen Seiten, recherchierte passende Zauber und machte mir Notizen. Gilberts Fragen ignorierte ich weiter stoisch.

Das hier musste einfach funktionieren.

Laut den Seiten war die Formel kinderleicht und durch und durch Anfänger approved.

Ich, Deandrea Moth, würde einen Schutzpatron beschwören.

Dann sollte Harper Elison Wolf mir mal zeigen, wie sie weiter vorgehen würde.

Binnen zwanzig Minuten hatte ich mir einen Platz zwischen den Bücherregalen freigeräumt. Lesesessel und Tisch standen nun an den Wänden. Unzählige winzige Flämmchen flackerten auf dem Boden. Der Zauberkreis aus Blut war gezeichnet und eine gewisse Aufregung machte sich in meinem Bauch breit.

Irgendwie fühlte sich das hier richtig an.

Ein ungewohntes Empfinden.

Denn seit Jahren vermied ich es, größere Zauber zu nutzen.

Ich hatte vergessen, wie hinreißend es sich anfühlen konnte, an mich und die eigenen Fähigkeiten zu glauben.

»Bist du dir sicher –«

»Pscht!«, unterbrach ich Gilbert. »Ich muss mich konzentrieren.«

»Aber –«

Mit einem Schnippen sorgte ich dafür, dass der Schädel verstummte. Es war noch immer genug Blut an den Fingern und das entzückende Gefühl von Macht flutete meine Nervenbahnen. War es das, was Hexen normalerweise empfanden?

Es fühlt sich so verflucht gut an.

Eigentlich sollte ich die blutende Wunde am Oberarm versorgen. Für den Schnitt hatte ich die Bluse ausgezogen, sodass ich nur noch Hose und Tanktop trug. Warmes Blut lief mir unaufhörlich den Arm hinab, aber ich war zu aufgeregt, zu sehr unter Spannung, um mich darum zu kümmern. Und um ehrlich zu sein, hatte ich Angst.

Angst, dass wenn ich jetzt nicht weitermachte, die alte Unsicherheit zurückkehren und ich mein Vorhaben abblasen würde.

Doch das konnte ich nicht mehr.

Keine Ahnung, woher diese Gewissheit kam, dieses Bewusstsein, dass ich genau das hier machen musste.

Das Flackern hatte nachgelassen, stattdessen glaubte ich, ein Summen zu hören, das von den Lichtern ausging. Sogar Gilbert blieb stumm, musterte mich aus seiner Ecke auf dem Regal.

Vielleicht sollte es schon immer so sein.

Ich hier.

Voller summender Magie.

Das Gefühl von Macht, die meinen Hals hinaufkrabbelte, bis ich glaubte, gleich auflachen zu müssen.

Also leckte ich das Blut von den Fingern und begann, die Worte aufzusagen, die ich in den letzten Stunden verinnerlicht hatte.

Alles fühlte sich so richtig an.

Die Luft um mich surrte.

Die Energie schwoll an.

Das Licht wurde intensiver, blendender.

Dann bewegte sich Lou.

Moment …

Ich stockte in der Beschwörung und hätte mich fast verhaspelt, weil ich den Otter unter meinem Haar komplett vergessen hatte.

Während der Recherche hatte Lou sich zusammengerollt und war eingeschlafen. Doch jetzt wurde sie anscheinend wach und begann, sich zappelnd zu bewegen.

Ich versuchte, mich nicht aus meiner Konzentration bringen zu lassen. Doch dann schüttelte sie sich und automatisch vermied ich es einzuatmen.

Atemlos sprach ich weiter.

Da sprang Lou von meiner Schulter mitten in den Bannkreis.

Und dann gingen mehrere Sachen gleichzeitig schief.

Ich versuchte, die Formel, die in meinem Kopf plötzlich keinen Faden mehr fand, weiter aufzusagen, gleichzeitig Lou davon abzuhalten, die Zeichen auf dem Boden zu berühren und … scheiterte.

An allem.

Keine Ahnung, ob die Worte noch Sinn ergaben, die panisch aus mir heraussprudelten. Lou sprang über die Zeichnungen – ohne sie zu berühren – und ich atmete auf. Gerade in dem Moment, in dem der Otter auf der anderen Seite des Zauberkreises landete und Staub aufwirbelte.

Meine Allergie kickte instant.

Der Mix aus Lous Haaren und Staub.

Und die fehlende Magie von Astrid.

Ich nieste.

So heftig wie noch nie in meinem Leben.

So sehr, dass ich auf den Hintern fiel, unfähig, den Zauber noch zu Ende zu sprechen.

Als ich wieder atmen konnte, blickte ich auf Lou herab, die mich aus einem aufgerissenen schwarzen Auge anstarrte. Der Staub hatte sich gelegt und ein kurzer prüfender Blick verriet mir, dass nun ich es geschafft hatte, die Zeichen auf dem Boden zu verwischen.

Mit polterndem Herzen zählte ich die Sekunden.

Eins.

Zwei.

… Zehn.

Doch nichts passierte.

Erst da wagte ich aufzuatmen.

Ich hatte also erneut versagt.

Immerhin hatte ich bei meiner Aktion keinen –

Schwarzer Rauch schoss aus dem Boden. Dicke Schwaden, die binnen weniger Sekunden den ganzen Raum einnahmen und jedes Licht verschlangen. Die ehemals flackernden Flämmchen wurden zu entfernten schimmernden Kugeln und selbst Gilberts Augen konnte ich kaum noch ausmachen.

»Was, bei Orla?«, setzte ich an, wurde dann aber von der Silhouette unterbrochen, die sich mitten im Rauch vor mir formte. Aus dichten Schatten wurde ein Körper, der hoch über mir aufragte, und ein raues Lachen erklang. So tief und gleichzeitig melodisch, dass sich die Haare auf meinen Armen aufrichteten.

»Das nenne ich mal interessant.«

Ich schluckte trocken.

Der dichte tiefschwarze Nebel lichtete sich und Folgendes wurde klar:

1. Das hier war ganz offensichtlich kein Schutzpatron.

2. Der Dämon vor mir wurde nicht nur von den Schatten geschluckt, er verschmolz mit ihnen. Dichte, dunkle Schwaden zogen sich über die Haut an seinen Armen und dem Hals, sie züngelten an seinem Kinn und bewegten sich unentwegt. Seine Augen waren genauso düster und furchteinflößend wie sie. Lediglich die Iris leuchtete golden inmitten der tiefschwarzen Dunkelheit auf.

3. Sah man davon ab, war er verdammt attraktiv. Schwarze, kurze Haare, gerade lang genug, dass sie ihm in die Stirn fallen konnten. Das, was man unter der Kleidung und den Schatten auf seiner Haut erkennen konnte, schien überaus trainiert. Die Narben an seiner Unterlippe und seinem rechten Auge machten ihn genau richtig – vor allem für eine weiße Hexe wie mich.

4. Ich sollte aufhören, dieses Wesen vor mir anzustarren, und lieber weglaufen. Aber ich konnte nicht, war unfähig, mich zu rühren.

Der Dämon kam direkt auf mich zu, neigte den Kopf und streckte mir die Hand entgegen. Sein Mund blieb ernst, aber das Gold in seinen Iriden blitzte amüsiert auf.

Absolut unfähig, klar zu denken, griff ich nach seiner Hand, bemerkte die tiefschwarzen Fingerkuppen und ließ mich zurück auf die Füße ziehen. Im nächsten Moment stand ich direkt vor ihm und musste meinen Kopf in den Nacken legen.

»Hallo, Darling«, sagte er und legte einen Finger unter mein Kinn. »Welche Seele genau soll ich für dich holen?«

YDRIL GEBUNDEN

Als einer der mächtigsten Seelenjäger gerufen zu werden, weckte gewisse … Erwartungen. Ein feudaler Empfang schien angemessen. Etwas, das meinem Stand gerecht wurde. Vor allem bei einem solch unzivilisierten Ruf, der es für überflüssig hielt, eine Antwort abzuwarten. Oh, dieses Wesen musste mächtig