Das war vorauszusehen - Leni Behrendt - E-Book

Das war vorauszusehen E-Book

Leni Behrendt

0,0

Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Der Frühling hatte seine Vorboten ausgeschickt, die nun emsig bemüht waren, die winterlichen Attribute hinwegzuschaffen. Der Regen schwemmte den Schnee fort, machte das Eis so mürbe, daß es barst, von dem hochquellenden Wasser überflutet und abgespült wurde. Der Sturm hingegen ging noch radikaler vor. Der brauste dahin und nahm alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Das Großreinemachen in der Natur hatte begonnen. Für diese war das eine Wohltat, aber weniger für die Menschen, die es über sich ergehen lassen mußten. Der Schirm bot gegen den peitschenden Regen nur wenig Schutz, und von den Wettermänteln rieselte das kalte Naß in die Schuhe hinein. Die Erfahrung machte auch das weibliche Wesen, das sich auf dem Fußweg, parallel zur Chaussee, durch Regen und Sturm kämpfte. Den Kopf vermummte eine Kapuze, den Körper ein Cape, das an der einen Seite einen Auswuchs zeigte. Wahrlich kein Vergnügen, so dahinzutappen, dazu noch auf einem glitschigen Weg. Wie gut hatten es dagegen die beiden Insassen des kostspieligen Wagens, der soeben von der Chaussee in eine Allee abbog! Da die Bäume kahl waren, konnte man hindurchlugen auf einen Zaun mit zementiertem Sockel, der von einem kunstvoll geschmiedeten Tor unterbrochen wurde, das sich nun für den Wagen öffnete und sich hinter ihm wieder schloß. Die Fußgängerin jedoch bog in den nächsten Querweg ein, der zu einem Staketenzaun führte, der ein Grundstück umfriedete. Mittendrin stand ein Haus, das mit seinem weißen Anstrich und den grünen Fensterläden einen schmucken Eindruck machte. Die Fußgängerin öffnete die Pforte, über die sich ein Bogen spannte. Jetzt war er kahl, da die Rosen noch eingedeckt waren. Von der Pforte führte ein Fliesenweg zur Haustür, in der die Besitzerin des Hauses stand, zu deren kleinem hageren Körper das volle Mopsgesicht so gar nicht passen wollte. Und doch wirkte dieses Gesicht so, daß man sich davon sofort angezogen fühlte. Hauptsächlich von den grau-blauen Augen, die so lustig zwinkerten, aber auch kühl und spöttisch blicken konnten. Das dunkle Haar war glatt zurückgekämmt, die Kleidung schlicht, aber gut.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 184

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Leni Behrendt Bestseller – 11 –

Das war vorauszusehen

Leni Behrendt

Der Frühling hatte seine Vorboten ausgeschickt, die nun emsig bemüht waren, die winterlichen Attribute hinwegzuschaffen. Der Regen schwemmte den Schnee fort, machte das Eis so mürbe, daß es barst, von dem hochquellenden Wasser überflutet und abgespült wurde. Der Sturm hingegen ging noch radikaler vor. Der brauste dahin und nahm alles mit, was nicht niet- und nagelfest war. Das Großreinemachen in der Natur hatte begonnen. Für diese war das eine Wohltat, aber weniger für die Menschen, die es über sich ergehen lassen mußten. Der Schirm bot gegen den peitschenden Regen nur wenig Schutz, und von den Wettermänteln rieselte das kalte Naß in die Schuhe hinein.

Die Erfahrung machte auch das weibliche Wesen, das sich auf dem Fußweg, parallel zur Chaussee, durch Regen und Sturm kämpfte. Den Kopf vermummte eine Kapuze, den Körper ein Cape, das an der einen Seite einen Auswuchs zeigte. Wahrlich kein Vergnügen, so dahinzutappen, dazu noch auf einem glitschigen Weg.

Wie gut hatten es dagegen die beiden Insassen des kostspieligen Wagens, der soeben von der Chaussee in eine Allee abbog! Da die Bäume kahl waren, konnte man hindurchlugen auf einen Zaun mit zementiertem Sockel, der von einem kunstvoll geschmiedeten Tor unterbrochen wurde, das sich nun für den Wagen öffnete und sich hinter ihm wieder schloß.

Die Fußgängerin jedoch bog in den nächsten Querweg ein, der zu einem Staketenzaun führte, der ein Grundstück umfriedete. Mittendrin stand ein Haus, das mit seinem weißen Anstrich und den grünen Fensterläden einen schmucken Eindruck machte. Die Fußgängerin öffnete die Pforte, über die sich ein Bogen spannte. Jetzt war er kahl, da die Rosen noch eingedeckt waren.

Von der Pforte führte ein Fliesenweg zur Haustür, in der die Besitzerin des Hauses stand, zu deren kleinem hageren Körper das volle Mopsgesicht so gar nicht passen wollte.

Und doch wirkte dieses Gesicht so, daß man sich davon sofort angezogen fühlte. Hauptsächlich von den grau-blauen Augen, die so lustig zwinkerten, aber auch kühl und spöttisch blicken konnten. Das dunkle Haar war glatt zurückgekämmt, die Kleidung schlicht, aber gut. Man konnte die Dame in ihr nicht verkennen.

»Endlich bist du da!« sprach eine warme Stimme, in der Besorgnis mitschwang. »Geh ins Badezimmer und tu das nasse Zeug ab, ich brühe uns indes einen steifen Kaffee.«

Die so lieb Empfangene huschte durch die kleine Diele in das Bad, und was bald darauf im Wohnzimmer sichtbar wurde, war ein junges Menschenkind, dem die Natur viel Schönes mitgegeben hatte. Eine ranke Gestalt, ein feines Gesicht, aus dem zwei große blaue Augen strahlten und auf dessen Kopf sich naturgewelltes, bernsteinhelles Haar lockte. Das alles gehörte zu Kathrein Hendricks, zweiundzwanzigjährig, gesund, gescheit und von frischfröhlichem Naturell.

Und was da ins Zimmer schmunzelte und die Kaffeekanne auf den gedeckten Tisch stellte, hieß Anette Treußen, Alter Mitte Vierzig, unverehelicht und mit ihrem Los vollkommen zufrieden.

Sie wohnte nun schon seit zwei Jahrzehnten auf dem kleinen Besitz, den ihr Vater, ein höherer Beamter, nach seiner Pensionierung von Herrn Bröck gekauft hatte, der in der naheliegenden Stadt ein Handelshaus besaß. Als Wohnsitz jedoch diente ihm das Haus, das er außerhalb der Stadt erbauen ließ. Und da man damals weder an Raum noch an Material zu sparen brauchte und außerdem noch Wertarbeit schätzte, entstand ein feudales Gebäude inmitten eines Parkes mit altem Baumbestand, weiten Rasenflächen, Sträuchern und Blumenrabatten. An der Fassade war der vornehme Besitz von einem Zaun, an den Seiten von Mauern umgeben.

An der einen Quermauer ließ David Bröck für einen Verwandten, der nicht so mit Glücksgütern gesegnet war wie er, den er jedoch sehr schätzte, einen Garten anlegen und darin ein kleines Haus erbauen. Und als dieser ohne Nachkommen starb, verkaufte Bröck das Anwesen an Herrn Treußen, das nach dessen Tod seine Tochter erbte. Und das war Anette, die sich nun mit ihrer jungen Mitbewohnerin an den Kaffeetisch setzte.

»Hau tüchtig rein!« wurde diese ermuntert. »Appetit wirst du dir ja wohl angelaufen haben.«

»Laufen ist gut!« Kathrein biß lachend in ein Stück Napfkuchen, den niemand so gut zu backen verstand wie ihr liebes Nettchen. »Tapsen wäre dafür die richtige Bezeichnung. Denn der Weg war von dem Dauerregen durchweicht, außerdem hatte ich auf der Rücktour den Wind von vorn. Aber es hat sich wenigstens gelohnt, da ich reichlich Arbeit mitbringe. Und die gibt Brötchen.«

Vergnügt lachten sie sich an, die sich von Herzen zugetan waren.

Wie froh war Anette gewesen, als sie vor einem Vierteljahr die Kathrein mit sich nehmen durfte, die nach dem Tod des Vaters allein im Leben stand; genau wie sie, die ihren Vater einige Wochen vorher hatte hergeben müssen. So taten sich denn die beiden Vereinsamten zusammen und lebten einträchtig in dem Haus, das Anette mit den Möbeln der Eltern eingerichtet hatte. Zwar war alles altmodisch, aber lieb und traut.

Froh und zufrieden war das alternde Nettchen, und Kathrein war es auch, vorläufig. Denn auf die Dauer würde es dem jungen Menschenkind in der Abgeschiedenheit zu langweilig werden. Es hatte ein Anrecht darauf, an dem teilzunehmen, was der Jugend zukommt.

Und Kathrein hatte bisher noch so gut wie nichts von all den Vergnügungen gehabt. Sie hatte in der Schule fleißig lernen und dazu noch die kranke Mutter versorgen müssen. Als diese starb, zog sich der Vater ein Herzleiden zu und mußte als Major den Dienst quittieren.

Damals hatte Kathrein gerade ihr Abitur gemacht und hätte gern Chemie studiert. Jedoch war sie vernünftig genug, von dem langwierigen Studium abzusehen. Denn sie mußte ja damit rechnen, daß der Vater, von dessen Pension sie lebten, seinem Herzleiden erliegen könnte, bevor sie das Studium beendet hatte. Also besuchte sie eine Handelsschule, in der sie auch in Sprachen gründlich ausgebildet wurde. Und kaum, daß sie das Examen bestanden hatte, war des Vaters Zustand schlechter geworden – das kranke Herz tat bald seinen letzten Schlag.

Nun stand die zweiundzwanzigjährige Kathrein da, allein und mittellos. Was sollte sie nun beginnen?

Die Antwort auf diese Frage gab Anette Treußen, die zum Begräbnis des Vetters erschien, um dessen verwaister Tochter mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Die Wohnung wurde in Bausch und Bogen an ein Ehepaar verkauft, und Kathrein fand ein Zuhause bei dem lieben Nettchen.

Diese bezog eine Rente, die gut für beide ausgereicht hätte, doch Kathrein wollte davon nichts wissen. Sie wäre sehr gut imstande gewesen, einen Büroposten auszufüllen, doch davon wollte wiederum Anette nichts wissen, mit der Begründung, daß sie tagsüber nicht allein sein wollte. Gerade auf das Beisammensein hätte sie sich gefreut. So suchte Kathrein sich Heimarbeit, mit der ein Rechtsanwalt sie reichlich versorgte.

*

Endlich hatte sich der Regen verzogen, und die Sonne strahlte auf das nun blankgewaschene Land. Mit Eifer gingen die Gartenbesitzer daran, Beete abzudecken, Wege zu harken und das Unkraut zu entfernen, das keck hochzuschießen begann.

Kathrein, die eben dabei war, einen Haufen der Schmarotzer in die Karre zu tun, ließ von ihrer Arbeit ab und ging dem Briefträger entgegen, der soeben durch die Pforte trat.

»Guten Morgen, Fräuleinchen«, grüßte er zutraulich. »Heute habe ich was ganz Besonderes für die Tante Nettchen. Einen Einschreibebrief von dem da«, er zeigte mit dem Daumen nach der Mauer, hinter der das feudale Haus stand. »Diesen Zettel muß das Tantchen unterschreiben. Oder schläft sie noch?«

»Um zehn Uhr?« kam es von der Haustür her, durch die Anette trat. »Ich bin doch keine Primadonna. So, hier haben Sie die Unterschrift. Ein Schnaps gefällig?«

»Leider nicht. Ich bin doch jetzt motorisiert.«

Aber die Zigarren, die Kathrein holte, nahm er mit Dank an und trollte zufrieden von dannen.

Die Damen gingen ins Wohnzimmer, wo Nettchen die Brille auf die Nase setzte, gemächlich den Brief öffnete und ihn gründlich las.

Kathrein, die danebenstand, bezwang ihre Neugierde, bis die Tante die Brille abnahm. Dann erst fragte sie:

»Was will denn der Uhu von dir, Nettchen?«

»Unser Buen Retiro kaufen.«

»Waaas? Der ist wohl von ’ner kranken Kuh gebissen!«

»Meine ich auch. Hier, lies.«

Kathrein tat es. Und was da fein säuberlich getippt stand, war das herablassende Angebot des Herrn Dr. rer. pol. Jens Waland an Fräulein Anette Treußen, ihm ihr Anwesen zu verkaufen, das wie eine störende Enklave inmitten seines Besitztums lag. Er wolle bauen und brauche darum den Platz.

»Na, so ein habgieriger Mensch!« empörte Kathrein sich. »Der besitzt doch wahrlich Land genug…«

»Sag mal, Herzchen, warum regst du dich eigentlich so auf?« lachte Anette gemütlich dazwischen. »Er kriegt einen abschlägigen Bescheid und damit basta. Das wäre dann schon der zweite. Denn als er nach dem Tode Bröcks dessen Betrieb nebst Besitz offiziell übernahm, denn inoffiziell gehörte ihm beides schon lange, ersuchte er mich, mein Anwesen an ihn abzutreten, da es Bröcksches Eigentum gewesen war. So teilte ich ihm dann mit, daß er da nicht so recht im Bilde wäre. Wohl hätte David Bröck das Gehöft einem Verwandten als Wohnsitz überlassen, es aber nach dessen Tod an meinen Vater rechtmäßig verkauft. Die beglaubigte Abschrift des Kaufvertrags legte ich dem Schreiben bei, und da er sich daraufhin nicht meldete, nahm ich an, daß die Sache erledigt sei. Doch mitnichten. Er schickt mir nun ein Kaufangebot, das übrigens recht großzügig ist. Also werde ich die zweite Absage noch deutlicher formulieren müssen.«

Jedoch auch das nützte nichts. Denn einige Tage später erschien ein älterer Herr, der sich als Prokurist des Walandschen Handelshauses vorstellte und sehr selbstbewußt auftrat.

»Also, mein gnädiges Fräulein«, begann er jovial, nachdem Anette ihm einen Platz angeboten hatte, »ich glaube, daß es sich recht gut mit Ihnen verhandeln lassen wird.«

»Kommt ganz darauf an«, entgegnete Nettchen, während Kathrein den tadellos gekleideten Herrn mit den grauen Schläfen eingehend betrachtete.

»So ist es. Mein liebes Fräulein Treußen, Sie können sich sicher denken, warum ich hier bin?«

»Allerdings.«

»Hm, ja, ich bin im Auftrag des Herrn Doktor Waland hier…«

»Der einem Menschen den Platz nehmen will, der seit zwei Jahrzehnten sein Zuhause ist«, unterbrach Anette ihn gelassen. Da wurde der wohlwollende Herr denn doch unsicher. Wie leicht hatten sein Chef und er es sich gedacht, so ein altes Fräulein umzustimmen mit Komplimenten und einem überzahlten Preis. Also mußte er es auf eine andere Art versuchen.

»Aber, aber, mein gnädiges Fräulein, warum denn gleich so kraß?« sagte er vorwurfsvoll. »Herr Doktor Waland würde natürlich für Ersatz sorgen…«

»Eben, Ersatz!« unterbrach Anette ihn wieder. »Wer gibt sich denn damit zufrieden, wenn er es nicht unbedingt muß? Ihrem Chef gehört hier das Gelände, so weit das Auge reicht. Darauf kann er doch bauen noch und noch. Warum ist er nun ausgerechnet auf dieses armselige Stückchen Land so versessen?«

»Aus Rücksichtnahme, nur aus Rücksichtnahme. Schauen Sie, gnädiges Fräulein, wenn hier Speicher hinkommen, wie es geplant ist, wird es sehr unruhig werden. Und Sie haben sich doch in diese Einöde zurückgezogen, um Ruhe zu haben, nicht wahr?«

»Das tat vor zwanzig Jahren mein Vater. Aber nicht etwa, um Däumchen zu drehen, sondern um nach seiner Pensionierung nicht ohne Beschäftigung zu sein. Da er gern buddelte und bastelte, fand er hier eine Betätigung, die ihm zusagte. Er schloß sich in dieser Einöde auch nicht wie ein Einsiedler ab, wie ich es ja auch nicht tue. So ein bißchen Krach wird mir bestimmt nicht schaden, ich liebe reges Leben um mich her. Also können Sie mir ruhig Ihre Speicher vor die Nase setzen, mich geniert das nicht.«

»Ja, dann müssen wir wohl die Waffen strecken«, resignierte er, und sie lachte.

»Da tun Sie recht. Denn diese Waffen, und sollten es gleich Kanonen sein, nützen Ihnen gar nichts, weil ich über die stärkste Waffe verfüge. Und zwar durch die Weitsichtigkeit meines Vaters, der in den Kaufvertrag die Klausel einsetzen ließ, daß niemand und nichts uns von diesem Fleckchen verjagen kann, auch Ihr großmächtiger Chef nicht. Das könnte höchstens der liebe Gott tun. Und der tut es nicht, da ich eine arme Waise bin.«

Da mußte der Herr denn doch lachen, obwohl ihm nicht danach zumute war. Denn die Niederlage, die er erlitt, empfand er als beschämend. Um so mehr, als er seinem Chef gegenüber damit geprahlt hatte, es würde für ihn eine Kleinigkeit sein, das altjüngferliche Dämchen zu einem Verkauf zu überreden.

Und nun entpuppte sich dieses »Dämchen« als gar nicht altjüngferlich, sondern als gescheiter, energischer Mensch, der ganz genau wußte, was er wollte. Und das junge Mädchen hatte etwas in den Augen, das wie Schadenfreude anmutete.

Jedenfalls fühlte der sonst so selbstsichere Herr sich hier so unbehaglich, daß er es für ratsam hielt, sich zu empfehlen. Er hatte nun wirklich keine Lust, gewissermaßen Wasser mit Sieben zu schöpfen.

Das sagte er auch seinem Chef, als er in dessen Arbeitszimmer erschien, um Bericht zu erstatten.

Unnahbar saß er hinter seinem prächtigen Schreibtisch, der vornehme Handelsherr Jens Waland. In seinem schmalen, scharfgeschnittenen Gesicht wirkte der harte Mund wie ein Strich. Die blauen Augen blickten kühl und skeptisch, das blonde Haar war peinlich genau geordnet, die Kleidung von ausgesuchter Eleganz. So der richtige vornehme Handelsherr, der sich schon durch sein Aussehen allein überall Achtung verschaffte. Gelassen hörte er die Schilderung des Prokuristen mit an, der nun hinzufügte:

»Tut mir leid, Herr Doktor, ich habe da wirklich nichts ausrichten können, obwohl ich vorher den Mund so vollnahm«, gab er kleinlaut zu. »Denn ich war fest davon überzeugt, daß es mir ein leichtes sein würde, das Altjüngferlein mit Komplimenten und einem überzahlten Preis zu bestechen. Aber Fräulein Treußen ist weder altjüngferlich noch bestechlich, sondern eine Dame mittleren Alters, gescheit, schlagfertig und spöttisch. Und bei der jungen Dame, übrigens ein Bild von einem Mädchen, hatte ich das Gefühl, als ob sie sich über mich lustig machte. Und was nun, Herr Doktor?«

»Nichts«, entgegnete der andere achselzuckend. »Ich werde das Ärgernis, das mir das Grundstück inmitten meines Besitzes bedeutet, weiter hinnehmen müssen. Nun, es gibt Schlimmeres.«

Abrupt brach er ab, und der Prokurist bemerkte, wie er die Zähne zusammenbiß. Sie war ja auch noch so frisch, die Wunde, welche der Tod der geliebten Frau in sein Herz gerissen hatte. Sie war wohl zu zart gewesen, um die Geburt des Töchterchens zu überstehen. Wohl hatte sie diese durchgehalten und noch einen Blick auf das Neugeborene werfen können, aber dann hatte das müde Herz seinen letzten Schlag getan, obwohl zwei Ärzte alles taten, was in ihrer Macht stand. Auch ihr Bemühen um das Kind blieb erfolglos. Es kam zwar nicht tot zur Welt, doch nur wenige Stunden waren ihm darauf beschieden.

Und für den hinterbliebenen Gatten und Vater kam nun das große: Warum?

Warum mußte gerade seine Frau sterben und das Kind, auf das er sich so gefreut hatte? Andere zarte Frauen überstanden doch auch die Geburt, und viele schwächliche Kinder blieben am Leben. Warum gerade seine Frau, sein Kind?

Halte dich still, halte dich stumm,

nur nicht forschen: Warum, warum?

Wie’s dich aufzuhorchen treibt,

das Dunkel, das Rätsel,

die Frage bleibt –

sagt Fontane, aber damit durfte man einem verbitterten Menschen nicht kommen. Schon gar nicht Jens Waland, der ohnehin schon ziemlich unzugänglich war und sich nun nach dem Tod seiner Frau sozusagen in sich selbst verkroch. Er hatte weder Freunde noch nähere Bekannte, hatte nur seine Mutter, der Vater war vor einem knappen Jahr gestorben, mit der er in dem Haus wohnte, das David Bröck erbauen ließ.

Bröck hatte das Handelshaus, das sein Großvater gründete, durch Sparsamkeit und Fleiß zu einem erstklassigen Unternehmen gemacht und hoffte, in seinem Sohn einen würdigen Nachfolger zu haben, aber leider wurde er es nicht und dessen Sohn auch nicht. Sie lebten herrlich und in Freuden und ließen andere für sich arbeiten. Die Folge davon war, daß sie nicht nur den Betrieb ruinierten, sondern darüber hinaus bis über beide Ohren in Schulden steckten. Und da Waland senior als Hauptgläubiger sein Geld nicht verlieren wollte, übernahm er den Betrieb, zumal er aus derselben Branche war und die nötigen Kenntnisse besaß. Es dauerte Monate, bis er und sein Sohn Jens sich durch das Chaos gefunden hatten. Viel war es nicht, was sie den Bröcks auszahlten. Als auch das verbraucht war, verkauften sie an Waland ihren Wohnsitz und das dazugehörige Gelände. Mit diesem Geld waren sie auch bald fertig, als Bröck junior bei einer Bobfahrt tödlich verunglückte. Seine Mutter rührte der Schlag, und sein Vater trank sich zu Tode, wie die Menschen es unverblümt bezeichneten. Und somit endete eine Familie, deren Name einst einen guten Klang hatte.

*

In der hohen Mauer, die den Treußenschen Besitz von dem der Walands abschloß, befand sich eine Bohlentür, die David Bröck hatte einfügen lassen, damit er zu seinem Vetter gelangen konnte, ohne dabei den Umweg über die Straße machen zu müssen. Auch zum Besuch des Nachbarn Treußen hatte die Tür sich noch geöffnet. Doch nach dem Tod Davids blieb sie geschlossen, und Treußen pflanzte auf seiner Seite Kletterrosen, die sich im Laufe der Jahre so üppig verrankt hatten, daß sie nicht nur die Tür bedeckten, sondern sich auch beiderseits der Mauer hinzogen.

Jetzt waren Anette und Kathrein dabei, lose Ranken zu befestigen. Erschrocken fuhr letztere zurück, als ein Hammer haarscharf an ihr vorbeisauste und auf den Boden schlug. Hinterher folgte eine Rolle Stacheldraht.

Hochschauend erblickte sie jenseits der Mauer den Oberkörper eines Mannes und sagte empört:

»Sind Sie denn ganz von Gott verlassen, mit Hammer und Stacheldraht um sich zu werfen? Man ist hier ja seines Lebens nicht sicher!«

»Aber Fräuleinchen, wer wird denn gleich so schimpfen!« grinste der Mann, ohne zu bemerken, daß hinter seinem Rücken sein Gebieter und seine Mutter daherkamen und bei der zornigen Mädchenstimme den Schritt verhielten. »Ich habe doch nicht absichtlich nach Ihnen geworfen, schon gar nicht mit Hammer und Stacheldraht.«

»Na, bei euch ist alles möglich«, mußte Kathrein über das pfiffige Gesicht lachen. »Eigentlich müßte man die Wurfgeschosse als Pfand behalten, aber ich will mal nicht so sein. Was wollen Sie damit?«

»Den schadhaften Stacheldraht erneuern.«

»Aha, damit wir nicht über die Mauer klettern können. Keine Angst, die Nachbarschaft pflegen wir nicht zu bestehlen. Achtung, ich werfe die Sachen ’rüber!«

Rasch zog Jens Waland seine Mutter in einen Seitenweg. Eine Vorsicht, die vonnöten war. Denn gerade da, wo sie gestanden hatten, schlugen die Geschosse auf den Boden.

»Ein Leichtsinn ohnegleichen!« sagte Jens ungehalten. »Da müßte man…«

»Gar nichts muß man«, warf die Mutter ein. »Gustav hatte ja keine Ahnung, daß wir hinter ihm standen. Und er soll es auch nicht wissen, daß wir Zeuge des Geplänkels waren. Das wäre ihm nur peinlich und uns auch. Hast du ihm gesagt, daß er den Draht erneuern soll?«

»Wie kommst du denn darauf, Mutter? Du weißt doch, daß ich Gustav in seinem Bereich freie Hand lasse. Da er sehr gewissenhaft ist, pflegt er gleich alle Schäden zu reparieren.«

»Nun, an der Stelle wäre das nicht nötig gewesen. Das verschärft nur das gespannte Verhältnis zwischen uns und den Nachbarn.«

»Warum denn? Wir können doch wohl auf unserem Grund und Boden machen, was wir wollen. Wir kümmern uns ja auch nicht darum, was Fräulein Treußen auf dem ihren tut. Oder nimmst du etwa an, daß Gustav absichtlich nach den Damen geworfen hat?«

»Natürlich nicht. Aber die Damen scheinen es anzunehmen, nach der Empörung der jungen zu schließen.«

»Sie scheint sich ziemlich freimütig zu äußern. Ein Glück, daß wir von ihnen so abgesondert sind, daß wir sie ignorieren können.«

Jedoch der Mensch denkt…

Denn einige Tage später wollte Kathrein das Haus betreten, in dem der Rechtsanwalt, für den sie schriftliche Heimarbeit leistete, außer der Wohnung auch seine Praxis hatte. Doch bevor sie die Haustür öffnen konnte,

tat es von innen eine Dame, blieb mit dem Schuhabsatz im Abkratzer hängen und wäre unweigerlich hingeschlagen, wenn Kathrein sie nicht aufgefangen hätte.

»Hoppla, das war forsch!« sagte sie lachend, wurde aber ernst, als die Dame das Gesicht verzog und nach dem Fußknöchel griff.

»Verknackst, gnädige Frau«, fragte das Mädchen besorgt.

»Ich glaube schon. Jedenfalls tut der Fuß weh und ist dazu auch noch eingeklemmt.«

»Das ist der geringste Kummer.« Kathrein faßte behutsam nach dem Fuß und zog ihn aus dem Schuh. Dann befreite sie auch diesen, allerdings ohne Absatz. Der steckte in dem Quadrat des Abkratzers.

»Was nun, gnädige Frau?«

»Steckenlassen«, war die lakonische Antwort. »Wenn ich nur wüßte, wie ich zu meinem Wagen kommen soll!«

»Wo steht er?«

»Auf dem Parkplatz, gegenüber dieser Anlage.«

»Wenn Sie mir den Wagen anvertrauen wollen, hole ich ihn her. Ich besitze einen Führerschein.«

»Sehr liebenswürdig, mein Fräulein. Aber die Schlüssel hat der Chauffeur, der auf Besorgungsgängen unterwegs ist. Und zum Parkplatz kann ich nicht gehen. Schauen Sie mal, wie der Knöchel angeschwollen ist!«

»O weh, das sieht wirklich böse aus!« sagte Kathrein betroffen, den Fuß dabei abtastend. »Gebrochen ist gottlob nichts, aber dennoch schlimm genug. Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?«

»Bitte.«

»Ich bringe Sie in die Konditorei dort an der Ecke. Oder glauben Sie, es bis dahin nicht schaffen zu können?«

»Die paar Meter schon. Ich möchte Sie nur nicht bemühen.«

»Was heißt hier bemühen?« lachte Kathrein sie strahlend an. »Wer zwei gesunde Beine hat, der helfe seinem pfötchenkranken Nächsten.«

»Na, wenn es so ist, dann ja«, lachte nun auch die andere. »Was haben Sie dann weiter mit mir vor?«

»Wenn Sie bequem im Polster sitzen, gehe ich zum Parkplatz, warte dort auf den Chauffeur und schicke ihn zur Konditorei. Einverstanden?«

»Wenn Sie das wirklich für mich tun wollen.«

»Gern sogar. Aber den boshaften Absatz lassen wir nicht hier, der muß mit. Wäre schade um den schönen Schuh.«

Sie kramte aus ihrer Handtasche ein kleines Messer hervor, klappte die Klinge hoch, fuhr mit der stumpfen Seite um den Absatz herum, und die Dame sah, an der Hauswand lehnend, dem Bemühen lächelnd zu. Das wunderbar gepflegte Haar mit dem goldigen Glanz war nach vorn in das vor Eifer gerötete Gesicht gefallen, die Zunge fuhr über die Lippen, als müßte sie mithelfen bei dem schwierigen Werk. Aber es wurde geschafft, ohne den Absatz zu beschädigen.

»So, du hartnäckiger Bursche«, besah sie ihn sich zufrieden von allen Seiten. »Du kommst wieder dahin, wohin du gehörst. Und nun steht unserm Abmarsch nichts mehr im Wege, gnädige Frau.«

»Von wegen Abmarsch«, lachte sie, die ihre Freude an dem Mädchen hatte, an dem alles so bezaubernd frisch wirkte, so unbekümmert froh. »Es wird wohl mehr eine Hopserei werden.«

»Also hopsen wir. Mit Geduld und Weile hopst der Frosch ’ne Meile. Legen Sie bitte den Arm um meine Schulter. Sie können herzhaft zupacken, ich halt’s schon aus.«