Das Weiberdorf - Clara Viebig - E-Book

Das Weiberdorf E-Book

Clara Viebig

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Beschreibung

Ein kleines Dorf in der Eifel, abseits der großen Straßen und der Eisenbahn, ist der Schauplatz dieses Romans. In den 70er Jahren des vor-vorigen Jahrhunderts verdingen sich praktisch alle arbeitsfähigen Männer des Ortes bei den aufblühenden Stahlwerken im Ruhrgebiet. Sie werden Gastarbeiter und sehen ihre Heimat und ihre Familien nur noch zweimal im Jahr. Dann wird gefeiert und getanzt, dann wird versucht, das versäumte Leben nachzuholen, bis sie nach zehn Tagen wieder abreisen müssen. Zurück bleibt ein Dorf ohne Männer, Das Weiberdorf. Clara Viebig nimmt die Geschichte eines kleinen Falschmünzers zum Ausgangspunkt ihrer Beschreibung der Lebensumstände in Eisenschmitt bei Manderscheid, dessen Identität im Namen 'Eifelschmitt' kaum verhüllt wird. Weder Held noch Anti-Held ist dieser Peter Miffert, der mit seinem lahmen Bein nicht in die Ferne zum Geldverdienen ziehen kann. So bleibt er zurück im Dorf, aber selbst in der Rolle als Hahn im Korb wirkt er wie ein Opfer der Umstände – genau wie die Frauen, die sich um ihn bemühen. Die müssen während der langen Abwesenheit der Männer die Arbeiten im Haus und auf den Feldern allein erledigen, und daß sie dann auch noch auf andere Gedanken kommen, hat 'Das Weiberdorf' seinerzeit auf den Index der katholischen Kirche gebracht. Dabei schildert Clara Viebig deutlich die Umstände, die ihre Figuren zum Handeln führen, alles wirkt verständlich und menschlich. In ihrer vielleicht etwas versteckten Sympathie für die Eifeler hat sie den Frauen und Männern von 'Eifelschmitt' ein literarisches Denkmal gesetzt. In Eisenschmitt aber erinnert inzwischen ein Relief am Dorfbrunnen an die Autorin des Weiberdorfes.

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Clara Viebig

Das Weiberdorf

Roman aus der Eifel

Mit einem Nachwort von Hermann Gelhaus

RHEIN-MOSEL-VERLAG

Diese Wiederauflage stützt sich auf die früheste uns erreichbare Ausgabe, die als 3. Auflage im Verlag F. Fontane & Co., Berlin 1900, erschienen ist. Im Jahre 1900 war »Das Weiberdorf« auch zum ersten Mal aufgelegt worden.

Der Nachdruck entspricht, auch in den Dialekt-Passagen, der Vorlage.

Danksagungen des VerlagesBedanken möchten wir uns bei allen, die bei der Wiederauflage des berühmten Eifelromans von Clara Viebig geholfen haben: Herrn Prof. Gelhaus für das Nachwort und seine Beratung; der »Clara-Viebig-Gesellschaft Bad Bertrich e.V.« für die Überlassung alter Originale; Frau Dr. Charlotte Houben für die Durchsicht der Texte und Frau Ursula Hess sowie Frau Regina Melsheimer für die Gestaltung des Titelbildes.

I.

Trapp, trapp – hart klingen die Schritte auf der steinigen Landstraße. Männer, ein ganzer Trupp! Und nun noch ein Trupp, und etwas weiter zurück kommt noch ein dritter. Männer mit Schweiß auf den Stirnen, mit Staub auf den Stiefeln, mit der ganzen Glut des frühen Sommers und des hastigen Wanderns auf den geröteten Gesichtern. Jeder trägt sein Bündel am Stecken über der Schulter, paarweise schleppen sie auch ein Köfferchen; alle haben sie die Taschen der städtischen Sonntagsröcke vollgestopft zum Platzen.

Nun halten sie an auf der Höhe von Schwarzenborn und verschnaufen.

Da unten liegt das Salmtal, schmal und grün und lieblich. Die klare Salm schlängelt sich als Silberband; dort, an der letzten Krümmung, ragen die Ruinen von Kloster Himmerod, schon verschleiert vom Abendduft, und da, dicht zu Füßen, scheinbar mit einem Steinwurf zu erreichen, Eifelschmitt! Daheim, daheim!

Ein froher Schein glitt über die heißen Gesichter, ein tiefer Atemzug hob jedem der Wanderer die Brust unter dem zerknüllten Hemd. Da wurden rasch die Hüte vom Kopf gerissen und geschwenkt. »Hurrah! Helao! Derhäm!«

Der jüngsten einer, der schlanke Kerl mit dem Feldblumensträußchen am Strohhut, fing ein Lied an; er schmetterte aus Leibeskräften, sein starker, etwas kratziger Tenor zitterte in mächtigen Schallwellen über die Bergrücken. Unten im Tal erwachte ein Echo. Das machte ihm Vergnügen; er hielt den einen Ton an, gleich stark, endlos, die Bänder am Halse schwollen ihm, sein Gesicht wurde blaurot, die Augen quollen ihm vor – immer noch!

Die anderen bewunderten ihn: »Dän kann et!«

Immer noch – da knacks, der Ton brach ab! In gekränkter Eitelkeit versuchte der Bursche noch einmal, aber die Stimme gehorchte nicht mehr.

»En Krümmel in der Tröt, saon se lav unnen zu Köllen. Haha, en Krümmel in der Tröt!« Die Männer lachten.

Der Sänger wurde zornesrot und räusperte sich gewaltsam.

»Looß sin«, sagte begütigend einer der älteren und klatschte ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Hal dei Maul, Jong! Sei net e su bubsterzig[1], de Stimm kann mer net kommandieren, se es ken Maschien on ken Framensch.« Und dann augenzwinkernd: »Wat maanste, Lorenz, ob Lenzen Bäbb heit awend besser pariert?«

»Dat Bäbbchen?!« Lorenz zeigte, schnell getröstet, die tadellosen Zahnreihen. »Et gitt gäckig vor Freid. Se maanen all, mir kommen erscht morjen.« Er patschte sich auf die Lenden. »Helao, dat gitt ebbes! Seit Weihnachten en halw Jaohr ohne Schatz gesäß! Dat es net pläsierlich.«

»Nä, nä, dat is et aach net!« Eine gewisse Rührung bemächtigte sich ihrer sämtlich; ein jeder dachte an die, die an seiner Brust liegen würde. Die Ehemänner dachten an ihre Frauen, die Ledigen an die Mädchen, die sie beim letzten Besuch zu Weihnachten am heißesten geküßt, heiß geküßt im kalten Schnee. Und jetzt war Sommer – die hatten lange fasten müssen!

»Dat gitt en Freid!« Man warf sich in die Brust, man brachte ja das Glück. Schnell noch einen Blick hinunter ins dämmernde Tal. Da warteten die Hütten im milden Abendlicht, leichter Rauch kräuselte sich vom heimischen Herd. Da träumten die Wiesen, und die Büsche am Waldsaum lockten mit verschwiegenem Dunkel.

Es schwebte etwas herauf, es kam mit dem Wind und flüsterte im Gras; die Luft koste leise und weich, Nebelstreifen wie winkende Brautschleier stiegen aus dem Grund am Bach, Bäume streckten verlangende Arme aus. Jetzt – hier – da – dort glomm ein Lichtchen auf! Blasse Sterne, sehnsüchtige Augen in einsamer Kammer.

Niemand mehr auf den abschüssigen Äckerchen. Alles still, wie begraben.

»Häh! Halloah! Gieht noch net schlaofen, eweil sein mir elao! Halloah – – – oa – – oah – –!« Einer da oben hielt die hohlen Hände vor den Mund und tutete hinein, dann warf er lustig sein Bündel in die Höh. »Lorenz, Josef, Mathesen, Hanni! Wän es dän erschten unnen? Hopp! Bonz unnen, Bonz owen[2], voran gemaach!«

Wie Pfeile schossen die Burschen bergunter, sie verschmähten die vielfach gewundene Fahrstraße, auf steilen Richtwegen schnitten sie die Serpentinen ab; polternd, prasselnd stürzte ihnen loses Geröll nach. Auch die gesetzteren Männer eilten sich, eine plötzliche Ungeduld hatte sie alle ergriffen, das Blut floß nicht mehr träge in den Adern, es kreiste unruhig und stieg ihnen zu Kopf.

Heller und heller flimmerten unten die Lichtchen, sie warfen einen trauten Schein aus den engen Kammerfenstern. Voran, voran! Süße Vogelstimmen piepten im Nest. Voran, quer durchs Brombeergestrüpp! Da saß schon eine weiße Hauskatze auf der Lauer, sie sprang nicht fort, sondern stieß den sammetweichen Kopf schnurrend gegen die sie streichelnden Hände. Aber weiter – die warteten!

Der Berghang wimmelte von dunklen kletternden Gestalten. Nun kam der letzte Absatz, man rutschte, man glitt, man sprang – nun lag das Dorf ganz nah, melodisch tönte das »Muh« einer Kuh, ein sehnsüchtig langgezogener Liebesschrei.

Noch atemlos begann Lorenz zu schmettern, da war keiner, der nicht mit einstimmte:

»Kommen wir in dieser Nacht, Fein Liebchen, fein! Seid ihr tot oder lebt ihr noch, Fein Liebchen, fein?« – – –

Da war schon das erste Haus.

»Will das Mädchen net obstohnn, Fein Liebchen, fein! So wollen wir’s in die Blotz drohn[3] Fein Liebchen, fein!« – – –

Immer lauter wurde der Gesang, er schwoll an und wuchs und drängte:

»Will das Mädchen sich net tummeln, Wollen wir die Tür auftrummeln« – – –

Horch! Ein heller Schrei: »Jesses, die Mannsleit!«

Die Tür des ersten Hauses war aufgeflogen, ein Weib in Unterrock und halb geöffneter Taille stürzte heraus, mit einem Satz stand sie mitten unter den Männern, wild sah sie sich um – wieder ein Aufkreischen – da, sie stürzte dem einen an den Hals.

»Jesses, Hubert, lao biste! Komm erein, Mahn, komm erein! Ech haon uf dech gelauert! Dag on Naacht, onsen Hährgott waaß et. Gelowt sei de Jongfra Maria!« Sie bekreuzte sich und ihn. »Könner, Könner« – schon sprang sie wieder zur Tür »Könner, dän Vadder es elao!« Sie zog ihren Mann hinter sich drein, kaum daß sie ihm Zeit ließ, den Kameraden zuzunicken; sie hielt ihn so fest am Ärmel, als fürchte sie, ihn gleich wieder zu verlieren. Die Frau mit dem schon faltigen Gesicht, mit dem schlaffen Busen und den Zahnlücken zeigte die Glut einer Zwanzigjährigen.

»Se sein hei, se sein hei!« Nur dieser eine Ruf, und alle Häuser waren plötzlich belebt, alle Fenster hell, alle Türen geöffnet. Kinder, in Hemden und barfüßig, wie sie aus dem Bett gesprungen, standen auf der Schwelle; Frauen und Mädchen eilten auf die Gasse. Der weiche Sommernachtwind spielte mit ihrem halbgelösten Haar und den hastig übergeworfenen Kleidern. Laternen tauchten auf vor den Ställen, in den Höfen, im Wirtshaus wurden alle Lampen angezündet; Peter Krumscheid stieg eilig in den Keller und stach ein Faß an. Die Straße wimmelte von Menschen, wie mit Zauberschlag waren sie alle erschienen, alle umringten die Ankömmlinge. Das war ein Gesumm, ein Lachen, ein Geschrei. »Se sein hei, se sein hei!«

Lorenz Schneider stand an der Ecke am Prellstein. Hier ging’s hinein in ein dunkles Gäßchen, erst zwischen Stallwänden, dann zwischen Hecken – nichts rührte sich darin, – und da war die Straße, hell vom Lichtschein, der aus den geöffneten Fenstern und Türen fiel. Alle, die er kannte, standen da umher, aufgeregt, lachend und schwatzend; die Weiber hatten die Männer untergefaßt, die Mädchen begrüßten ihre Schätze.

Immer wieder suchten seine Blicke; enttäuscht fing er leise an zu fluchen: Dunnerkiel, wo war das Bäbb? Schlief sie schon so fest, daß sie den Lärm nicht hörte? War sie ihm untreu geworden? Da mußte er doch lachen, war denn hier wohl ein Mannsbild gewesen, um das sich’s verlohnte, ihn zu vergessen?! Er ärgerte sich; warum kam sie denn nicht? Ob er vielleicht nach ihr fragte?

Vor dem Wirtshaus hatten sich die ganz jungen Mädchen, die heurigen Hasen, in einer Reihe aufgepflanzt; neugierig und ein wenig neidisch guckten sie zu, wie die älteren Schwestern und Bekanntinnen mit ihren Burschen abzogen. Die Augen funkelten ihnen im Kopf, sie brachten die Mäuler nicht zusammen. Sie stießen sich mit den Ellenbogen an und kicherten, als Lorenz nach ihnen hinsah.

Den Schnurrbart aufdrehend, trat er zu ihnen. Das Gekicher wurde stärker. – »’n Aowend, dir Mädercher!«

»Boschur, Lorenz«, sagte keck die erste.

»Tina?« fragte er erstaunt. Zu Weihnachten war sie noch halbwüchsig gewesen, und jetzt trug sie einen langen Rock und sah ihn an mit dreisten, unbewußt begehrlichen Augen. »Es dat Bäbbche net mieh hei, Tina?« fragte er hastig. »Lenzen Bäbb?«

Tina zeigte lachend ihre weißen Zähne. »Ech waaß net!« Mutwillig blinzelte sie den Gefährtinnen zu, er fühlte seine Hand ergriffen, kräftig geschüttelt und dann festgehalten. In einem Augenblick hatten ihn die Mädchen umringt; er stand mit Tina in der Mitte, die anderen hopsten im Kreis, ausgelassen wie junge Böcklein, um ihn und die Dirne herum.

»Dommhaaten! Laoß los!« Unwirsch suchte er sich frei zu machen.

»Autsch, autsch!« Tina schlenkerte ihre Finger, gleich darauf packte sie ihn aufs neue; wie ein Wall stemmten sich die Mädchenleiber ihm entgegen.

»Schneidersch Lorenz, kucktelhei, Schneidersch Lorenz! Hahah, hahahaha!« Sie lachten wie die Tollen; dem Burschen schwirbelte es vor Augen und Ohren, er wurde hin- und her gerissen, von einer gegen die andere gepufft, Tina hing sich an ihn, er wurde sie nicht los, nirgendwo konnte er den Kreis durchbrechen.

»Dunnerknippchen, noach ehs, wuh es dat Bäbb?« stieß er mit einer letzten Anstrengung heraus.

»Bäbb hin, Bäbb här, Bäbb, dat is en Zottelbär – hahaha –!«

Immer dichter umdrängten sie ihn, immer schallender wurde das Lachen, immer wilder das Drehen; er fühlte Tinas Hände an seinem Rock, sie preßte ihm seine beiden Arme fest an den Leib. Jedesmal, wenn sie aufhüpfte, kitzelten ihn ihre krausen Haare unter der Nase, ihr Gesicht kam dem seinen ganz nah. Da, ehe sie sich’s versah, hatte er die Arme frei; er schlug sie ihr um die Taille, und ein derber Schmatz brannte ihr auf dem Mund.

Sie schrie hell auf und wandte sich zur Flucht; mit lautem Gekreisch stoben sämtliche Mädchen davon, er hinterdrein. Hier suchte er noch eine zu fassen und da eine – die Röcke flatterten – jetzt waren sie, um das Wirtshaus herum, im Dunkel verschwunden.

»Verflixte Rotznaosen«, schimpfte der Bursche, und doch schmunzelte er dabei. Die Tina war gar nicht garstig, noch schmeckte er ihre frischen Lippen. Er schnalzte mit der Zunge, sein Durst war erwacht – wo blieb die Bäbbi?

Langsam kehrte er zu seinem Prellstein zurück, in verdrossenen Gedanken blieb er dort stehen. Da – er schreckte auf, jemand zupfte ihn von hinten am Ärmel. Am Eingang des Heckengangs stand eine weibliche Gestalt.

»Bäbbchen?« fragte er zweifelnd. Sie kam ihm so wenig schlank vor, Lenzen Bäbb war lang nicht so völlig gewesen. »Bäbbi?«

»Heihin!« Schon zerrte sie ihn hinein in das dunkle Gäßchen; es schien ihr noch nicht dunkel genug, sie schob ihn hinter die Regentonne an der einen Stallwand. Jetzt schlang sie die Arme um ihn und küßte ihn, daß ihm der Atem verging. Sie gebärdete sich wie närrisch, lachte und schluchzte und drückte ihn, ohne ein Wort zu reden; ihre warme Brust bebte an der seinen, schwer hing sie ihm am Halse. Immer wieder preßten sich ihre Lippen auf seinen Mund, sie saugten sich förmlich daran fest.

Ein lange nicht gekanntes Wohlgefühl durchrieselte den Burschen – so küßt doch nur der Schatz in der Heimat! Sein Blut, durch das eilige Wandern und hastigen Trunk ohnehin erhitzt, schäumte über; nun war er es, der sie immer mehr hinein ins Dunkel drängte und gegen die Stallwand preßte. Er erstickte sie fast.

»Lorenz«, ächzte sie endlich, »laoß!« Ein schmerzlich zitternder Seufzer folgte.

»Bäbb«, flüsterte er zärtlich, »mei Mädche! Eweil sein ech widder hei, eweil wolle mer ons verlustieren. Dat gitt en Pläsier! Komm!« Er zog sie kosend dem Ausgang des Gäßchens zu. »Komm ehs zom Krumscheid, ech traktieren dech!«

»Jao, jao.« Sie schmiegte sich fester an ihn und drängte ihn doch immer wieder tiefer hinein ins Dunkel.

»Nä, nä«, flüsterte sie dann hastig und verlegen, »ech kann net ehnder met der giehn, ech moß der erscht ebbes saon.«

»Wat dann? Waorom kannste net met mer giehn?« Er hielt sie von sich ab, etwas erstaunt; nun fiel ihm auch sein Verdruß von vorhin ein. »Waorom haste mech e su lang lauern laossen, dau sakramentsch Dingen? Wollste mech for en Naorr halen? Eweil es et schuns e su spät, ech han Honger on Dorscht!« Von einem plötzlichen Ärger erfaßt, rüttelte er sie. »Haste geschlaof?«

»Nä, nä!« Sie drängte sich wieder ganz dicht an ihn. »Ech wollten der nor vorerscht ebbes saon. Saog« – wie von einer dringenden Notwendigkeit getrieben, faßte sie seine Hand – »wanneh wolle mir onsen Hillig[4] haalen?«

»Waorom?« fragte er verwundert und beunruhigt zugleich. Und dann nach einer Pause des Bedenkens: »Zo Christdag; wat fraogste? Wann ech Vormann gänn!«

»Nä, ehnder«, sagte sie rasch und küßte ihn heftig. »E su bal als miëlich[5]! Ech moß der ebbes saon.« Jetzt flüsterte sie, aber ihr Flüstern war eindringlich, jedes Wort hob sich deutlich heraus: »Ech sein im sechsten Monat!«

»Kreizdonnerparaplüi!« Es entfuhr ihm so wider Willen – das kam zu plötzlich! Er stieß sie zurück und erhob die Hand wie zum Schlag. »Maach! Gott verzeih mer de Sünd – dau Onglöcksmensch!«

Sie fing an zu weinen.

Stumm stand er neben ihr und schob den Hut von einem Ohr auf das andere.

Auf der Straße war der Lärm verstummt, auch die Helle war weg, die Türen hatten sich hinter den Glücklichen geschlossen. Kein Mensch mehr draußen, die meisten saßen im Wirtshaus. Jetzt tönte da der Jubel; bis in den dunklen Winkel hinter der Regentonne verirrte sich das Gläserklingen und Juchzen.

Die Sterne waren aufgezogen, immer mehr entfalteten sie ihren Glanz. Nachttau fiel, man hörte ihn in den Hecken tropfen; dazwischen klang leises Schluchzen. In dem verschleierten, bleichen und doch durchdringenden Licht, das vom Himmel niederzitterte, sah Lorenz zum erstenmal deutlich die entstellte Gestalt seines Mädchens.

Mit einem »Dunnerkiel!« fuhr er zurück, aber gleich darauf streichelte er die Weinende.

»Kreisch net, Bäbbchen«, sagte er gutmütig, er war heute nun einmal in einer so weichen Stimmung. »Kreisch net e su, domm Dingen! Wat passiert es, es passiert, duh kann niemand neist dran ännern. Sonndag es Peter on Paul, dän erschten Kirmesdag; onsen gaastlichen Hähr verkünn ons, ein for allemaol. Hän es su ebbes gewehnt, annere han aach schuns Malör gehatt. Mir maachen stracks Hochzeid, on dann« – er kratzte sich hinterm Ohr – »jao, dann es dän Urlauw zu End. Mir Bochumer han zehn Dag, de annern von Dortmund on Steele han aach net länger. Äwer uf dän Momang mösse mir redur kommen. Kreisch net, Bäbb!«

Er schlang den Arm um ihre Hüfte; langsam wandelten sie den Heckengang weiter.

Rechts Gärten, links Gärten. Obstbäume hängen ihre Zweige über dichte Weißdorn- und Wildrosenhecken; zuweilen wechseln sie ab mit morschen Bretterzäunen, die sich schief neigen und ihren modernden Holzgeruch mit dem süßlichen Duft der Gebüsche mischen.

Wie zwei Schatten schleichen die Liebenden unterm Blätterdach dahin, von weißlichem Dunst in einer Wolke umschwebt. In dem nahen Wiesengrund erheben die Frösche ein leidenschaftliches Liebeskonzert; jetzt verstummen die auch. Nichts regt sich, nichts lebt scheinbar rundum, und doch ist ein stummberedtes Fordern in der Frühsommernacht, eine warme treibende Sehnsucht.

Stärker und stärker fällt Tau, silbrig glänzt er auf den Gräsern und auf den gesenkten Scheiteln. Wie ein feuchtes Tuch legt es sich um die heißen Gesichter, um die heißen Glieder; schauernd schmiegen sich beide Gestalten fest aneinander. Sie stehen still und küssen sich, im schmachtenden Sternenlicht scheinbar in Eins verschmolzen.

[1] eigensinnig

[2] Kopf über, Kopf unter

[3] in die Pfütze werfen

[4] Hochzeit

[5] möglich

II.

Die Männer von Eifelschmitt hatten nie viel Zeit; rasch wurde geliebt, rasch wurde gefreit. Zweimal im Jahr – im Winter zu Weihnachten, im Sommer zu Peter und Paul – kamen sie heim ins enge Salmtal. Sie konnten da nicht ihren Lebensunterhalt verdienen; der Erwerb ist knapp in der Eifel, karg hängen die Äckerchen an den Bergen, lang sind die Winter, kurz die Sommer.

Es war kurz nach dem deutsch-französischen Kriege. Das Aufblühen der rheinischen Eisenindustrie machte das Heranziehen vieler Arbeitskräfte notwendig.

So hatte ein Agent irgend einen Eifelschmitter hinausgelockt, der kam zu Besuch heim, Geld in der Tasche; nun zogen die anderen hinter ihm drein, wie die Schafe hinterm Leithammel. Vater, Sohn, Gatte, Bruder, alles wanderte aus nach Westfalen und tief ins Rheinland, wo auf der meilenweiten Ebene düstre Fabrikstädte sich zusammendrängen und mit ihrem nie stockenden schwarzen Atem aus Riesenschornsteinen den Himmel anfauchen. Die Luft ist dick vom Kohlenstaub, die reinen Wolken selbst sind angegraut; ewiger Rauch, Geprassel, Gerassel, Gekeuch, Geächz, Gestampf, Sausen von Rädern, Schnauben von Maschinen, Pfeifen von Lokomobilen, Pusten und Stöhnen von Dampfkesseln. Kein Rasten, kein Ruhen. Zur Nachtzeit bricht lodernde Glut aus Riesenbauten, an den Öfen stehen Männer, nackt bis zum Gürtel, heiß und berußt wie Teufel, die Höllenfeuer schüren. Schweißtropfen rinnen, Funken sprühen.

Hier konnte man die Eifelsöhne finden: umglüht von Flammen, eingeengt von Mauern, sehnsüchtig des Heimathimmels gedenkend, der sich rein und kühl über den Eifelkuppen wölbt; unter dem die wohnen, die ihnen das Leben gegeben; die auf sie warten, denen sie die Ehe versprochen, oder die sie schon gefreit haben; wo die Kinder nach den Vätern verlangen.

Aber dann die Heimkehr! Durchjubelte Tage, durchjubelte Nächte. – – –

Heute saßen sie alle bei einander im Wirtshaus. Der alte Krumscheid mit seinem vertrockneten Holzgesicht kommandierte hinterm Schenktisch. Ein ganzes Regiment Weiber war zur Bedienung gedungen; mit lachenden Gesichtern, flink wie Wiesel, liefen die Dirnen ab und zu. Bald wurde die von ihrem Schatz gerufen, bald jene; dann setzte sie sich für zwei Augenblicke neben ihn, wohl auch auf seinen Schoß, trank aus seinem Glas und ließ sich die glühenden Wangen streicheln.

Die schmalen Holzbänke längs der gescheuerten Tische waren dicht besetzt. Mann reihte sich an Mann. Nur wenige Frauen waren da, die kamen erst gegen Abend, wenn das Tanzen losging und die Musik; wenn das Vergnügen so groß wurde, daß der Boden dröhnte vom Stampfen der Füße, Bänke umpolterten, Gläser in Scherben klirrten.

Auf dem Platz vor der Kirche, um die paar Buden, darin Halsketten, Fingerringe, Rosenkränze, Lebkuchenherzen und Gerstenzuckerstangen feilgeboten wurden, trieben sich Kinder herum, große Stücke Kirmeskuchen in den Händen, die mit Blaubeerenmus beschmierten Mäuler begehrlich gespitzt. Es hockten auch ihrer welche auf der Kirchentreppe; bliesen in die neuen Trompeten oder zeigten einander die vom ›Pappa‹ mitgebrachten Puppen.

Noch war die Straße feiertäglich still. Hinter den kleinen Fenstern putzten sich die Weiber; das vom vormittäglichen Kirchgang her übers Bett gespreizte Sonntagsgewand wurde einer eingehenden Musterung unterzogen. Wer noch ein besseres Kleid hatte, zog’s heute nachmittag an; glücklich die, die was Neues antun konnte, das der Mann oder der Schatz mitgebracht. Die Haare glänzten vom Strählen mit Wasser und Fett, die Röcke rauschten, die Gesichter waren blankgerieben, die Ohren rot.

Die Sonne fiel schon schräg ins Tal und malte huschende, rasch verschwindende Goldkringel an die weißgetünchten Hauswände.

Die sich bauschenden Röcke sorgsam gerafft, spazierten jetzt Mädchen am Wirtshaus vorbei, immer hin und her. Kinder balgten sich um den besten Platz vor den Fenstern, schleppten Steine herzu und Schemel, krochen hinauf und drückten die Nasen an den Scheiben platt.

Drinnen in der Schenkstube, die zugleich den Kramladen des Orts vorstellte, war die Luft dick, durchwürzt vom Duft eines ganz infamen Knasters. An den geschlossenen Fensterscheiben krochen summende Fliegen und drehten sich oben an der Decke in surrendem Spiel.

Man war noch ziemlich schweigsam, der erste Kirmestag verlief immer am wenigsten stürmisch. Doch jetzt – lautes Halloh!

»Hä, Pittchen! Helao, Pittchen! Uf dein Spezielles, Prost!«

Peter Miffert war eingetreten; das linke Bein etwas nachziehend, näherte er sich langsam dem ersten Tisch. Nicht jeder reichte ihm die Hand; er schien das gar nicht zu bemerken, er hatte für alle das gleiche halb gutmütige, halb verschmitzte Lachen. Als sie zusammenrückten, ließ er sich auf dem schmalen Plätzchen am Ende der Bank nieder. Er sagte nicht: »Röckt noch ebbes« – er sagte: »Met Verlöw« und placierte seine Beine so bequem als möglich unter dem Tisch.

»No, Pittchen«, rief Niklas Densborn, einer der älteren, der obenan saß, »wat schaffste? Dau giefst jao fett wie en Hammel! Dat glauwen ech der, dau has jao aach en Läwen wie onsen Hährgott in Frankreich!«

»Spaor dei Red«, schrie Thomas Laufeld, ein stämmiger Bursche mit einer Stupsnase. »Dän kann dat Läwen jao bal net mieh mantenören[6]! Kucktelhei dat Pittchen!« Er brüllte, um sich in dem Gelächter verständlich zu machen, packte den neben ihm sitzenden Miffert beim Handgelenk, streifte ihm den Ärmel zurück und hielt gewaltsam den mageren Arm in die Höhe. »Kucktelhei, Haut on Knochen, ke halw Pündche Fleisch!«

Peter strebte, sich frei zu machen, aber ohne Gewalt, ganz sanft; sein hübsches Gesicht lächelte noch immer.

»Laoß de Dommhaaten«, sagte er gelassen. Laufeld brüllte weiter, er schien einen besonderen Ingrimm zu hegen.

»Dau tätst aach besser, dau gingst met ons uf die Arweit. Wat hockste hei bei de Fraleider?! Kuck« – er hielt seinen fleischigen Arm neben den dürren des Peter und schlug sich auf die herausgedrückte Brust, daß es klatschte – »dat es en Kerl! Dat micht de Arweit, on wann mer net alleweil de Menscher am Schörzenzippel hängt! Dau deierlicher[7] Schmachtlappes, dürr wie en Axtstill, dein Fra haot dech wohl« –

»Mein Fra aus em Spill«, sagte Miffert plötzlich und machte eine kurze Bewegung, als ob er eine Fliege wegscheuche – da lag auch schon der Laufeld unter der Bank, wie niedergeschmettert.

Man half dem Gestürzten auf; ganz verdutzt stand er da und klopfte den Staub von seinen Hosen. Die anderen lachten, einige schimpften.

»Dürr wie en Axtstill, äwer Kraft wie en Ochs«, brummte anerkennend Niklas Densborn; und dann sich zu Miffert wendend, der dasaß, als ginge ihn all das nichts an, sagte er vorwurfsvoll: »Et es en Schand, Peter, dat dau net erunner maachst in die Fabrik; dau has Schlosser gelernt, dat kömmt der lao zo paß. On guden Verdienst gitt et lao unnen; hei owen kannste Hongerpoten kötschen[8]!«

Miffert zog das Maul schief; er sah unbeschreiblich faul aus in der nachlässigen Haltung, mit der etwas hängenden Lippe und dem schläfrigen Blick unter schweren Lidern. Er sprach auch schläfrig, kaum daß er die Zähne voneinander brachte:

»Dir wollt mech wohl pisacken?! Hei« – er wies auf sein lahmes Bein – »dat es mer zu schanierlich, ech kann net e su trawalljen[9] wie en annern.« Seine Stimme wurde kläglich: »Ech haon dat Wieh im Enkel; ech haon et met uf de Welt gebraacht, lao es neist bei zo maachen!«

»Ojeh, Alfanzerei«, schrie Mathesen Martin und schlug auf den Tisch, daß die Gläser sprangen, »wat micht dän for Fisematenten! Wieh im Enkel – haha, wän dat zweifelt[10]. Laoß de Komedi, faules Luder. Schlaofen on erum lungern on de Weibsbiller karessieren, dat es sein Gu[11]!«

Miffert verzog keine Miene, er hatte die Ellenbogen aufgestützt und guckte in sein Glas.

»Hän is faul, faul, dat et stinkt!«

»Jao, jao«, stimmte der vorhin zu Boden geworfene Laufeld eifrig bei. »Faul wie de Sünd! Sitzt im Dreck on röhrt sech net!«

»Ehnder gänn Brameln[12] Weinbeeren, als dat Pittchen arweiten duht«, schrie irgendeiner.

Die ganze Gesellschaft stimmte zu: »Jao, Brameln gänn ehnder Weinbeeren, hahahaha!«

Peter Miffert lachte selbst mit, ein lautloses Lachen, das ihn aber inwendig ordentlich stieß; er kniff die Augen zusammen und schüttelte sich.

»Waorom sollen ech mech e su abrackern«, sagte er dann gutmütig, »dat Läwen es korz, mir haon nor einmaol Pläsir dervon. Wat de gaastlichen Hähren aach saon, wat mer haot, haot mer. Uf dat, wat mer versproch krieht« – er lachte verschmitzt und stieß einen leisen Pfiff aus – »dat gilt en Dreck!«

Die Männer sahen ihn verdutzt an. Er ließ seinen schläfrigen Blick, in dem es zu funkeln begann, reihum gehen.

»Wer waaß, wie bal hän verspillt haot! Ech muß en Dauer met eich haon, ihr Leit, daß dir eich e su schindt. Awer jeder naoch senem Ehs[13]!« Er zuckte die Achseln.

Sie nickten betroffen. »Recht haot hän!« Auf viele Gesichter lagerte sich ein plötzlicher Ernst; da waren Falten eingegraben, Furchen, wie im aufgewühlten Acker, die man vorher nicht gesehn.

»Mer moß sech schinnen, on wat haot mer dervon?« murmelte der Densborn und ließ die Faust schwer niederfallen.

Eine Weile schwiegen sie alle, dann sagte der Densborn mit einem Seufzer: »Äwer et es doch emaol net anners. Hal dei dreckig Maul«, schrie er plötzlich Pittchen an, »dau schandlusen Kerl.«

Dieser musterte mit pfiffigem Lächeln die stumpfen Gesichter. »Mer moß wissen, wän mer dreiwt, wann mer en Esel vor sech haot!« sagte er.

Sie verstanden ihn nicht – was wollte er damit sagen? Sie sahen nur sein spöttisches Lächeln, und das genügte. Die Köpfe wurden rot, eine gewisse Unruhe fuhr in die Beine, Fäuste ballten sich heimlich.

Ein paar von den jungen legten sich herausfordernd über den Tisch. »Wat? Wat? Esel –?! Esel haot hän gesaot! Wän es dän Esel? Hä, saog dat noch ehs!«

Ein Murren ging von einem Ende der Stube zum andern. »Esel, Esel!« Die Füße scharrten ungeduldig, die Augen funkelten, das Murren wurde grollender. Die schönste Prügelei schien in Aussicht.

Martin Mathes hielt schon drohend dem Miffert die Faust unter die Nase: »Maach!«

Pittchen duckte sich wie eine Katze. Aus seinen tiefliegenden Augen schoß ein versteckter Strahl, aber seine Stimme klang geschmeidig: »Wat willste? Wat haon ech dann gedahn?«

»Esel – Esel! Wir wollen dich liehren, Esel saon! Dau Hongerlieder. Saog noch ehs: Esel! Mir schlaon der alle Rippen im Leif dorch, datste ke Glied mieh röhre kanns!«

»Jesses, seid dir gäckig?« Peter tat sehr verwundert. »Esel – Esel wän haot ebbes von Esel gesaot?!« Er drehte den Kopf hin und her, als ob er jemanden suche. »Su ebbes von Ausverschämtheit! Wän kann sech onnerstiehn, ebbes von ›Esel‹ zo saon?!«

Er war ganz Empörung, Erstaunen und beleidigtes Ehrgefühl. Sein Gesicht trug den Ausdruck ruhiger Unschuld und harmlosester Verwunderung; mit offenem Lächeln sah er einen nach dem anderen an und hob dann sein Glas. »Zogott[14], dir sollt läwen! Ech duhen der Bescheid, Nikla! Mathes! Thom! Zogott!«

Zögernd stießen sie mit ihm an; sie waren ganz unsicher geworden.

Peter seufzte und stützte den Kopf schwer in die Hand. »Jao, et es en dreckig Welt, ech haon et bal saat! Dir haot et noch gud, äwer ech arm Luder!« Er gähnte. »Ech kriehn neist von der Welt zo siehn. Mer hockt alleweil hei in der buckeligen Gäjend, on de Weibsbiller sein mer bis« – er fuhr mit dem Handrücken unterm Kinn her – »bis heihin!«

Das hätte er nicht sagen sollen, mißtrauische Blicke trafen ihn; da war besonders der Mathesen Martin, der schien ihn auf dem Strich zu haben. Man munkelte im Dorf, dem Mathesen sein Zweiter sei dem Pittchen wie aus den Augen geschnitten.

»Dau Faxenmaacher«, schrie Martin. »Glauwt net, wat hän babbelt! Dän de Fraleider saat –?!« Er lachte zornig. »Dau Filu!« Er sprang auf und ging drohend auf Miffert zu. »Hinner jeder Diehr sticht hän, an jeder Schörz hängt hän! Waart, ech will dech Conduiten liehren!« Rot vor Wut wollte er sich auf Peter stürzen, dieser blieb gelassen sitzen.

»Gemaach, gemaach, Martin«, mischte sich der Densborn ein, »laoß hän! Mir wollen ke Streit anfänken, heit am erschten Kirmesdag. Wat willste maachen? Wat geschehn es, es geschehn. Framenscher sein Framenscher. On Dag on Nacht allein! Mer moß en Dauer met ihnen haon. Dän elao« – er wies auf den Wirt hinterm Schenktisch – »dän on de paor annern alden Knackstiebel kannste doch net für voll rechnen!«

Der alte Krumscheid hatte trotz seiner Harthörigkeit verstanden; nun war er beleidigt. Er warf sich in die Brust und pustete die eingesunkenen Backen auf. »Dau Lausbub«, schrie er herüber, »kömmst hei erin geschneit on willst ebbes saon? Dattste net de Blaatz kriehst vor Eingebildhaat! Lao sein Mädercher genog, de nach mer kucken. Gäl, Nettche?!« Er kniff eine der Kellnerinnen in die Backe.

»Laoßt!« Das Mädchen schlug ihn derb auf die Finger. »Ech haon eweil ebbes Schieneres zo siehn, wie su en Stück Dörrflaasch!«

Brüllendes Gelächter dröhnte durch die Stube.

Miffert lachte nicht mit; er schlich vom Tisch weg, um sich unbemerkt zu entfernen. Er war schon an der Tür, da sprang ihm Mathes nach. »Hei gebliewen«, schrie er und drängte ihn zum Tisch zurück. Peter ließ sich drängen, er widersetzte sich nicht.

»Kucktelhei«, schrie der andere weiter, dem schon ein Rausch zu Kopf stieg, »dän Kalmäuser[15]! Dat es dän Bock, dän mir zom Gärtner gemaacht haon! Frißt de Blumen in anner Leit’s Gaarten! Äwer hol dech in Aacht, dattste net ausgezaohlt giefs – dein Fra, dat Zeih, dat haot Aagen im Koap! Ech dähten er net drauen uf fünnef Schritt. In der Not frißt dän Deiwel Fliegen; äwer laoß nor en annern kommen! – Dat Zeih, dat es en staatsch[16] Luder, en schnipp-schnappig[17] Mensch, dat – –«

Ein furchtbarer Schlag auf den Mund ließ Mathes jäh verstummen, betäubt taumelte er zurück.

Mit sprühenden Augen und erhobener Faust stand Miffert; nichts mehr von schläfriger Trägheit war an ihm, ein lebendiger Mensch stand da, mit rollendem Blut in den Adern, jede Muskel straff. In grimmiger Wildheit biß Pittchen die Zähne aufeinander, und dann brüllte er: »Hal dei Maul!« Seine erhobene Faust sauste nieder. »Dat es für dat ›Luder‹ – on dat« – wieder hob und senkte sich die Faust – »dat es für dat ›schnipp-schnappig Mensch‹ – on dat – on dat – onnerstieh dech noch ehs!«

Wie der Hammer auf den Amboß, so sauste die Faust nieder – hierhin, dorthin – hei, waren das Schläge! Da mußten Funken sprühn und Eisen in Stücke gehn.

Kein Mensch hatte sich gerührt, starr vor Überraschung standen sie alle. Aber jetzt brach’s los, mit Geschrei und Fluchen sprang man dem Mathes zu Hilfe. Pittchen wurde weggerissen; in eine Ecke gedrängt, wehrte er sich mit Händen und Füßen. Bänke stürzten um, Gläser klirrten zu Boden – Schimpfen, Lachen, Drohen, Schreie, Stampfen, Fluchen, Toben – da – die Tür ging auf!

Wie erschrockenes Hühnervolk in die Ackerfurche, wenn aufscheuchende Schüsse knallen, so fiel es in die Stube ein, mit Rauschen und Rascheln und Schwirren – die Weiber! Voran eine, die anderen alle durch ihre üppige Fülle in Schatten stellend.

»Schkandal?« rief Lucia Miffert fragend. Entschlossen stieß sie die vordersten beiseite, stellte sich vor ihren Mann und deckte ihn mit ihrer kräftigen Gestalt.

»Wat gitt et hei?« rief sie hell. »Ruhig, Pitter! Dao haste ebbes!« Sie teilte dem ersten, der wieder auf sie eindrang, eine Maulschelle aus, halb scherzhaft, halb im Ernst; jedenfalls zeichneten sich alle ihre fünf Finger auf der Wange des Getroffenen ab.

»Dunnerkiel!« Der Mann fuhr zurück und rieb sich das Gesicht.

»Kuckste«, lachte sie heiter, »dat kömmt dervon! Laoßt de Dommhaaten, heit wolle mir Pläsier haon, ihr Mannsbiller!« Aus ihren schönen runden Augen sandte sie einen vollen Blick über die ganze Gesellschaft, ihre weißen Zähne blitzten, ihre Stimme übertönte allen Lärm. »Jesses, die Mannsleit, e su ebbes! Haha! Haun sech wie de Könner! Hahahaha!«

Sie wollte sich ausschütten vor Lachen; ihre gesteiften Röcke raschelten, ihr braunrotes Sonntagskleid, das sich knapp über die volle Brust spannte, krachte in allen Nähten. »Hahahaha!« Wieder das Lachen. Es klang so lustig, so leichtherzig; es wirkte ansteckend, die Mäuler zogen sich breit, alle Gesichter grinsten. Die geballten Fäuste taten sich auseinander oder versenkten sich in die Hosentaschen.