Das Weltgebäude muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen. - Angela Krauß - E-Book

Das Weltgebäude muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen. E-Book

Angela Krauß

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Beschreibung

»Schon länger lebe ich in der Gewißheit, Zeuge einer großen Daseinsverwandlung zu sein. Unter den Formen der Daseinsverwandlung halte ich zwei für möglich: plötzliches Unglück und plötzliches Glück. Oder könnte es sich auch um einen Traum handeln?«

Mitreißend traumtänzerisch entwirft die Dichterin Angela Krauß geistige Räume ihres Weltgebäudes, in denen das fragmentierte Dasein ein Zuhause hat: Tore der Verwandlung, Loggien der Begegnung, Kinderzimmer, Hinterzimmer ...

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Seitenzahl: 81

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Cover

Titel

Angela Krauß

Das Weltgebäude

muß errichtet werden. Man will ja irgendwo wohnen.

Suhrkamp

Impressum

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eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2024

Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2024.

© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2024

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Umschlaggestaltung: Hermann Michels und Regina Göllner

Umschlagfoto: Feridun Akgüngör, Istanbul

eISBN 978-3-518-77845-6

www.suhrkamp.de

Übersicht

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Informationen zum Buch

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Hallen der Erwartung

Tore der Verwandlung

Verfügung

Kinderzimmer

Küchen und Keller

Logen poetischer Existenz

Loggien der Begegnung

Hinterzimmer

Korridore von Korrespondenzen

Die Sternwarte

Heilige Umkleideräume

Informationen zum Buch

Hallen der Erwartung

Ende Januar war mir schwindelig. Es war ein Stück vom Nordpol der Sonne abgebrochen. Ich erfuhr es vom Sternwärter, die NASA meldete es acht Stunden später. Durch den Abbruch sei mit Energiewellen unbekannten Ausmaßes zu rechnen. Ich versuchte, meinen Platz in Zeit und Raum vorsichtig zu korrigieren, auch wenn mir genaue Daten fehlten. Den Wellenkanal gänzlich zu verlassen würde schwerlich gelingen. Dennoch, die Herausforderung beflügelte mich. Man sollte jederzeit alles für möglich halten. Ich legte mich mit einiger Hoffnung zu Bett.

Eine Fee erschien mir im Schlaf.

Sie sagte, ich habe einen Wunsch frei.

Nicht drei? fragte ich benommen.

Zu spät, antwortete sie.

Die Nacht verlief danach ungestört. Einmal erwachte ich kurz vom silbrigen Licht im Zimmer. Ich stand auf und schaute nach dem Mond, ich hielt die Augen geschlossen. Es ist ganz natürlich, im jähen nächtlichen Erwachen Mond und Sterne mit geschlossenen Augen zu sehen. Der Mond: gleißend kalt, schattenlos. Ich nahm das träumend auf. Man weiß gar nicht, daß man davon lebt, von diesen winzigen, blitzschnell erfaßten Dosen Ewigkeit, die morgens vergessen sind.

Der folgende Tag, er fühlte sich auf Anhieb merkwürdig an. Von nichts grundiert, nichtssagend auf königliche Weise, mit keiner Botschaft beladen als der seiner sinnlichen Gegenwart. Tatsächlich kamen mir Verbindlichkeiten meines üblichen Tagwerks von Stunde zu Stunde mehr abhanden; wie von Ferne erinnerte ich mich an das Gerüst der Rituale, die dem Leben einen unmerklichen und unerschütterlichen Halt verleihen. Dieses Gerüst zerfiel etwa um die Mittagszeit vor meinen Augen, ich leistete keinen Widerstand. Das Gedankengepäck meines Lebens schien von meinen Schultern gerutscht, ich drehte mich nicht um. Gleich darauf wähnte ich mich unter ein Tor treten. Unter einen hohen, etwas altertümlichen Torbogen. Schon wollte ich hindurchschreiten, hielt jedoch reflexhaft inne, meinen Blick nach oben gewendet: den Regen aus Gold oder Pech erwartend.

Ich leide nicht an Schlafstörungen, ich schlafe tief, bewußtlos, ich könnte mir nirgendwohin folgen, wenn ich es am Morgen versuchen würde. Wie die meisten Menschen denke ich darüber nicht nach, das nennt sich ein gesunder Schlaf. Diese Bewußtlosigkeit. Die Träume, die schönsten Rätsel unserer Existenz, müssen dort wohnen. Irgendwo im Nirgendwo, wo wir nie waren und doch allnächtlich hingeraten.

Aber jetzt war es Tag, ich träumte also nicht. Ich blickte an mir hinab, ich sah meine Füße auf der Schwelle unter dem Torbogen, unter dem es Pech oder Gold regnen konnte, wenn man Marie hieß. Aber hießen einst nicht alle kleinen Mädchen Marie? Damals, als ein jeder nicht nur einen, sondern drei Wünsche frei hatte und die Wirklichkeit sich nicht vom Märchen unterschied. Damals hießen alle neugeborenen Mädchen Marie, und im Moment der Geburt – jetzt fiel mir der Moment wieder ein – standen wir unbeladen, frei wie Engel im Zwischenraum, auf der Schwelle unter dem göttlichen Torbogen.

Ich verbrachte den Tag also, das Schwindelgefühl trat in den Hintergrund, ich hatte die Sonne aus dem Blick verloren. Ich hielt zwölf Stunden inne, bewegte mich im Geiste nicht vor und nicht zurück, auf dem Fahrrad im Stadtverkehr bremste ich mehrmals ohne Anlaß. Einmal mußte ich sofort absteigen, an einer Kreuzung bei Grün. Der nächtliche Wunschbefehl, der sich als Freiheit ausgab, raubte mir alle Reserven zum Bestehen des Alltags. Ich verharrte im Zwischenraum, ich suchte herauszufinden, ob es sich vergangene Nacht um ein Angebot, eine Aufgabe oder um ein Ultimatum gehandelt hatte. Und ob dies einen Einfluß auf meine Wahl haben sollte. Bei Rot wollte ich weiterfahren und wurde angehupt. Genauso hatte sich der Traum angefühlt.

Zwischendurch überfiel mich Empörung. Zu spät? Zu spät für wen, zu spät für mich? Zu spät für alle? Nichts in meinem Leben erlaubte ich mir bisher als zu spät zu betrachten. Ich trainiere den Möglichkeitssinn. Eine Übung, die den Menschen wach und jung erhält. Sie verlangt Disziplin, man wird nicht unterstützt, denn es herrscht rundum ein Mangel an Zustimmung zu allem Ungreifbaren, ein Argwohn dem Offenen gegenüber. Was eine weitere, nicht minder wichtige Übung erfordert: Das Ertragen von Eigensinn, auch wenn er als Irrsinn verschrien wird. Es ist ein Stück der Sonne abgebrochen? Siehe, alles ist möglich!

Sich auf nichts weniger als das Universum zu beziehen gibt Halt und Beistand. Erst recht, da dieses Universum noch kaum erforscht ist, fast zur Gänze unbekannt. Obendrein unendlich. Kann es im Unendlichen ein Zu-spät geben? Gelegentlich wird die Menschheit von Entdeckungen ihrer Teleskope überrascht. Das Ganze wird unaufhaltsam größer, rätselhafter. Manchmal dringt daraufhin ein Staunen bis in die gesprochenen Nachrichten vor. Der Mensch merkt auf. Er spürt, es bleibt etwas ungesagt: Wir leben im Ungewissen.

Das vergißt sich schnell wieder. Der Mensch lebt nun in diesem Ungewissen recht und schlecht weiter. Ohne sich zu erinnern: Alles im Zustand des Möglichen weist in die Zukunft. Das Tatsächliche hat Form, es liegt in der Gegenwart als ein Abdruck der Vergangenheit. Das Mögliche ist grenzenlos, beweglich, lebendig und zieht in die Zukunft. Ich schaue also regelmäßig aufwärts in die Nacht, um mich meiner Grenzenlosigkeit zu versichern. Eine kleine Handlung mit großem Effekt. Gleich wähne ich mich gehalten, es überfällt mich eine gewisse Keckheit.

Einen Wunsch habe ich also frei, einen einzigen? So also soll es um meine Freiheit bestellt sein? Wer sagt das? Gab es überhaupt einen Anlaß für diesen nächtlichen Überfall? Handelt es sich um eine Strafe? Ist mein Leben bis zu dieser Nacht unbotmäßig gewesen? Bin ich persönlich gemeint, ich? Und wer sprach da eigentlich? Kurz gesagt, ich verlor tagsüber mehrfach den Überblick, griff Instanzen an, die mir bislang heilig waren. Ich fühlte mich gleichzeitig hilflos gegenüber meiner Wut. Ich mußte sie hinnehmen; gegen das Vitale ist schwer anzukommen.

Am Abend sammelte ich mich. Ich trank ein Glas Wein und schaute mich im Spiegel an. Nein! sagte ich zu der Anderen. Sie lächelte.

Die Fee erschien wieder in der zweiten Nacht.

Diesmal bot sie die Wahl unter drei Möglichkeiten.

Also doch! frohlockte ich.

Drei Möglichkeiten wozu? Möglichkeiten, glücklich zu sein?

Zu sterben, sagte die Fee.

Ich frühstückte entschlossen. Ich schlug aus einem Granatapfel die roten glänzenden Kerne heraus, nicht ohne mich der armenischen Tafel mitten in einer Zitronenplantage unter freiem Himmel zu erinnern, an der ich diese Frucht zum ersten Mal gekostet habe. Sie läßt an ein Tischfeuerwerk aus Edelsteinen denken. Ich wähne mich im Überfluß bei ihrem Anblick. Auch die Zitronen damals schmeckten süß; ich glaube seither keiner hiesigen Zitrone mehr. Ich kaute also sorgfältig, denn die Granatapfelkerne aus dem Reich der Edelsteine halten einen harten Mittelpunkt verborgen. Ich überlegte, wie ich vorgehen sollte. Gab es eine Frist? Auch wenn keine genannt worden war: Die Drei steht bereits im Raum, während die Zwei sich noch vollkommen glaubt. Würde es die dritte Nacht geben? Ich hatte keine Zeit zu verlieren. Die glanzvollen Granaten krachten beim Zubeißen wie die Geschmeide von Königinnen.

Noch während des Frühstücks fühlte ich mich wirklicher. Irgendwo draußen über Land ertönte ein langgezogener, durchdringender Pfiff. Auch wenn ich mir ob der verstörenden Nacht noch immer nicht ganz sicher war, wo ich mich gerade befand: Der Zwischenraum ist auch ein Raum. Ich rief meine Lebensgeister zusammen, die im Hier und Jetzt rumlungern, sobald sie ohne Führung sind, und verkündete ihnen: So nicht. Nicht mit mir!

Nach dem Kaffee entschied ich: Dieser Tag sei gesegnet! Ich bin erwacht, ich lebe, ich widerspreche, ich widersetze mich. Ich werde mich schnellstens aller Möglichkeiten, lebendig zu sein, erinnern. Lange überlegen muß ich nicht. Wer sich lebendig weiß, ist glücklich. Wer glücklich ist, liebt. Ungezielt liebt der Glückliche, mit jedem Ausatmen. Ich werde allem meine Liebe erklären, denn ich wurde erinnert: Ich bin am Leben! Ich lebe! Das ist die nächste Möglichkeit zu widerstehen. Sie kostet nichts, nicht einmal Mut. Das ist neu. Schon spüre ich eine Art Ungeduld. Es gilt, keine Zeit zu vertun. Ich werde eine beliebige dahineilende Person vor der Haustür zum Stehen bringen, um ihr meine Liebe zu erklären. Weil ich am Leben bin. Sie wird ratlos sein, was mich nicht in Verlegenheit bringen wird. Lächeln werde ich und weitergehn.